Bewohnerorientierte Hauswirtschaft
Praktische Konzepte und ihre Umsetzung in der Altenhilfe
Der tägliche Umgang mit Menschen ist eine besondere Herausforderung. Dies gilt für die Versorgung, Betreuung und Pflege im institutionellen wie im ambulanten Kontext und erfordert von Personal und Angehörigen Aufmerksamkeit und Kenntnisse sowie Einfühlungsvermögen.
Hauswirtschaftliche Tätigkeiten eignen sich in hohem Maße als Interaktionsfelder für betreuungsbedürftige Menschen und ihre Bezugspersonen, da damit einerseits die notwendige Versorgung und Betreuung sichergestellt wird, andererseits für die Betroffenen eine sinnvolle, strukturierende und teilweise auch therapeutische Betätigung im Alltag geschaffen werden kann.
Das Buch vermittelt Überblick und Einblick in die unterschiedlichen hauswirtschaftlichen Bereiche, die bei Planung und Organisation von stationären, teilstationären und ambulanten Wohn- und Versorgungssituationen zu berücksichtigen sind. Im Vordergrund steht dabei die Zielgruppe der älteren Menschen.
Auch kleine Störungen in der alltäglichen Versorgung können Bewohner stark beeinflussen, zum Beispiel hinsichtlich ihres Ernährungsverhaltens. Insbesondere bei Menschen mit Demenz ist die Gefahr einer Mangelernährung groß. Hier ist es wichtig, rundum für Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine Atmosphäre des Wohlfühlens, der Geborgenheit und der Sicherheit zu schaffen. Dazu gehört es, für beide Gruppen soweit als möglich und sinnvoll ein aktives Miteinander für alle Bereiche des Alltags (Wohnen, Verpflegung, Reinigung, Freizeit etc.) zu gestalten. Hauswirtschaft in ihren vielfältigen Ausprägungen kann und soll hierbei eine zentrale und verantwortungsvolle Rolle übernehmen.
In diesem Buch werden wesentliche Rahmenbedingungen wissenschaftlich fundiert, grundlegend und praktisch anwendungsbezogen für die verschiedenen hauswirtschaftlichen Aufgabengebiete sowie anhand von konkreten Beispielen dargestellt und alle Bereiche von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten im Alltag älterer Menschen umfassend beschrieben. Vermittelt werden zudem praktische Hilfen für die alltägliche Organisation, Abläufe und Kommunikation hinsichtlich der Bedürfniserfüllung von Bewohnern und Mitarbeitern.
Alle Einzelbeiträge enthalten Literatur- und sonstige Quellenhinweise, so dass Interessierte sich über das Buch hinaus weiter informieren können. Zusätzlich ergänzen praxisorientierte Übersichten und Checklisten einzelne Bereiche.
Das Buch bietet damit eine wissenschaftlich fundierte, grundlegende, aber verständlich formulierte Basis für eine Auseinandersetzung mit der Versorgung und Betreuung von älteren Menschen. Besonders Menschen mit demenzieller Erkrankung und die Konzepte von Haus- bzw. Wohngemeinschaften stationärer Einrichtungen werden in Hinblick auf die Sicherstellung der Lebensqualität von Bewohnern und der Arbeitsqualität von Mitarbeitern thematisiert. Gleichzeitig ist diese Veröffentlichung ein praxisorientierter Leitfaden, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hauswirtschaft bei der täglichen Versorgung und Betreuung von Bewohnerinnen und Bewohnern unterstützt. Damit ist dieses Buch eine hervorragende Grundlage für Leitungen und hauswirtschaftliches Personal von stationären Einrichtungen und ambulanten Diensten der Altenhilfe sowie für Angehörige, die Hilfestellung im Erkennen und Erfüllen von Bedürfnissen und Bedarfen dementer Menschen benötigen.
Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus verschiedenen Feldern der Haushalts- und Ernährungswissenschaft, der Gerontologie sowie der Hauswirtschaft. Die Verfasserinnen und Verfasser eint ihre interdisziplinäre Sichtweise und das Ziel, mit ihren Beiträgen in diesem Buch zum gegenseitigen Verständnis aller Beteiligten in Einrichtungen der Altenhilfe beizutragen und Hilfestellung in deren Alltag zu geben.
Elisabeth Leicht-Eckardt
Martina Feulner
Die neuen alltags- und lebensweltorientierten Konzepte in der Altenhilfe stellen die Hauswirtschaft vor eine wichtige Herausforderung. Notwendig wird mit diesen Konzepten die Überprüfung des beruflichen Selbstverständnisses und der handlungsleitenden Intention der beteiligten Professionen, wie sie bislang die Altenhilfe geprägt haben.
In den Hausgemeinschaften, Wohngruppen und tagesstrukturierenden Maßnahmen ist ein neuer Ansatz beabsichtigt, der die Menschen und ihren Lebensalltag in den Mittelpunkt stellt, als einen Alltag, der wirklich gelebt und erlebt werden soll. In diesem Kontext sind es die hauswirtschaftlichen Aufgaben und Verantwortungsbereiche, die wichtig werden und im Hinblick auf ihre Ziele und Handlungskonzepte neu ausgerichtet werden müssen. Gefragt ist eine bewohnerorientierte Hauswirtschaft, in der so viel Selbstbestimmung und Beteiligung wie möglich von den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst wahrgenommen wird.
Im Alter ist die eigene Wohnung ein wichtiger Lebensort, tägliche Rituale haben eine hohe Bedeutung, und die Aufgabe der eigenständigen und selbstverantworteten Versorgung spielt eine große Rolle. Damit sind Begleitung, Unterstützung und Förderung der Selbstständigkeit zentrale Handlungselemente. Die Bewohner werden für die Hauswirtschaft zu Akteuren in der Alltagsgestaltung, denen so viel Raum zu geben ist, wie sie für sich einnehmen wollen. Sie sind die Auftraggeber für die Dienstleistungen des Alltags, damit mit diesem Ansatz der Alltag zu ihrem Alltag wird.
Aus den Lebensweisen im Alter müssen für das berufliche Selbstverständnis sehr deutlich die Rückschlüsse gezogen werden, dass die Wohnung als Ort der Hauswirtschaft und die hauswirtschaftlichen Arbeits- und Funktionsbereiche zu wichtigen Gestaltungselementen werden.
Damit wird eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Hauswirtschaft und ihrem Dienstleistungsangebot wichtig. Um die neuen Konzepte auch mit neuen Inhalten zu füllen, muss vom Hauswirtschaftsverständnis Abstand genommen werden, wie es sich in den stationären Einrichtungen der Altenhilfe in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat. In den Einrichtungen sind hauswirtschaftliche Funktionsbereiche entstanden, die in Küche, Hausreinigung, Wäscheversorgung und Hausgestaltung gegliedert wurden. Oftmals haben sich Einrichtungen für eine weitere Binnendifferenzierung entschieden, die in Küche und Hauswirtschaft unterteilt ist, in der dann nur noch die Hausreinigung, Wäscheversorgung und Hausgestaltung vereint ist. Die Hauswirtschaft wurde mit diesem Ansatz aus ihrem ganzheitlichen Kontext herausgelöst und teilweise sinnentstellend aufgeteilt.
Die neuen Konzepte erfordern einen Ansatz, der den Haushalt als Einzelwirtschaft wieder in den Mittelpunkt stellt, in dem Personen und Personengruppen zusammenleben und -wirtschaften. Haushalte sind Institutionen, die unmittelbar der Versorgung von Menschen dienen und von diesen persönlich gestaltet werden. Dieses Zusammenleben hat dabei erst einmal Themen und Aufgaben im Blick, die das Leben den Menschen stellt. Die Unterstützung und Pflege im Alter und bei Krankheit sind in dieser Betrachtung zunächst Aufgaben, für die im Haushalt eine Lösung entwickelt werden muss. Sie werden und sind immer Teil des Alltags und müssen, eingebunden in den tagtäglichen Ablauf, gelöst werden.
Zu einem besseren Verständnis des Zusammenspiels ist es hilfreich, Haushalte und ihre Mitglieder die Familie oder die Bewohner einer Wohngemeinschaft als systemisch zu betrachten, in einem Ansatz, wie er von Rosemarie von Schweitzer entwickelt wurde (SCHWEITZER, 1983, S. 102).
Abb. 1: Familien- und Haushaltssystem
Dieser Ansatz ist hilfreich, um die enge Verzahnung von hauswirtschaftlicher Versorgung mit den Mitgliedern eines Haushalts zu verstehen und für die Praxis der alltags- und lebensweltorientierten Konzepte umzusetzen.
Aufgabe des so genannten Familiensystems ist es, den Umgang der Familienmitglieder untereinander und mit der Umgebung zu gestalten. Es trägt die Verantwortung für das Zusammenleben und -wirtschaften, ein wichtiger Teil dieser Verantwortung fällt auf die Aufgaben der Haushaltsführung.
Das Familiensystem wird von Rosemarie von Schweitzer in Sympathie-, Dominanz- und Sachbezugssystem untergliedert. Es hat eine enge Verbindung zum Haushaltssystem, das sie in Personalsystem, Hauswirtschaftssystem und Marktsystem gliedert. Beide Systeme werden deshalb mit einer gemeinsamen Schnittmenge dargestellt.
In einem Haushalt ist damit die Hauswirtschaft ein Subsystem mit verschiedenen Arbeits- und Funktionsbereichen, die die unmittelbaren Versorgungs-, Pflege- und Erziehungsleistungen bereitstellen (SCHWEITZER, 1983, S. 325f.). In Anlehnung an die Konstruktion der Alltagssicherung in privaten Haushalten müssen hauswirtschaftliche Dienstleistungen in ihrer Gesamtheit gesehen werden. Die arbeitsteilige Aufteilung der Aufgaben auf verschiedene Mitarbeiter/-innen und unterschiedliche Professionen ist der zweite Schritt, der nicht ohne den ersten erfolgen darf. Wird auf die Gesamtschau verzichtet und im gewohnten Denken der Schnitt- und Nahtstellen zwischen hauswirtschaftlichen und pflegerischen Mitarbeitern gehandelt, verliert sich der Gedanke der Alltagsgestaltung sehr schnell. Das alte professionsbezogene Denken blendet zum Beispiel Themen des Alltags aus, die nicht eindeutig zugeordnet sind.
Für die Hauswirtschaft als Fachbereich sind in den Konzepten der Alltags- und Lebensweltorientierung folgende Aufgaben und Zuständigkeiten zu gestalten:
· Die hauswirtschaftlichen Handlungen der täglichen Daseinsvorsorge sind die in der Gemeinschaft zu gestaltenden Aufgaben der Alltagsgestaltung.
· Die Orte und Räume, in denen hauswirtschaftliche Dienstleistungen erbracht werden, sind als Hauswirtschaftsräume wichtig.
· · Die Art und Weise der Begleitung, Förderung und Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner ist zentraler Bestandteil des Handlungskonzepts.
Spätestens mit der Einführung der Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen mit demenziellen Erkrankungen wurde deutlich, dass Veränderungen und Neuorientierungen in der Altenhilfe nicht mehr allein die Pflege betreffen. Werden neue Ansätze diskutiert und erprobt, müssen sich alle in der Altenhilfe beteiligten Fachbereiche damit auseinandersetzen. Einrichtungen der Altenhilfe sind wie alle sozialen Einrichtungen komplexe Systeme mit vielfältigen Verzahnungen und Kooperationsbeziehungen. Erst im Zusammenspiel der verschiedenen Fachbereiche entsteht ein stimmiges Altenhilfeangebot. Je passgenauer sich die einzelnen Fachbereiche miteinander abstimmen, umso besser fügt sich das interdisziplinäre Angebot zu einem gemeinsamen Ganzen zusammen. Mit den Konzepten der Alltags- und Lebensweltgestaltung werden Ansätze implementiert, die auf das reibungslose Zusammenspiel von Mitarbeitern der unterschiedlichsten Professionen aufbauen und damit eine Abstimmung der beteiligten Fachbereiche Hauswirtschaft, Pflege und Soziale Dienste voraussetzen.
Mit dem Ziel, den Alltag bewohnerorientiert zu gestalten, ist die Hauswirtschaft gefordert, sich mit ihren fachlichen Grundlagen neu auseinanderzusetzen. Für eine Neudefinition der Ziele und Handlungsleitlinien hauswirtschaftlicher Dienstleistungen in der Altenhilfe wird es notwendig, Denkansätze zu entwickeln, die von den Bewohnern und ihrem Alltagserleben ausgehen. Die Hauswirtschaft kann an dieser Stelle auf die Grundlagen haushälterischen Handelns zurückgreifen, wie sie in der Haushaltswissenschaft für die Wirtschaftslehre des privaten Haushalts zum Beispiel von Lore Blosser-Reisen und Rosemarie von Schweitzer in den 60er Jahren entwickelt wurden. Für die Praxis in der Altenhilfe ist dann wichtig, diese Ansätze mit den Handlungskonzepten der Altenpflege zu verknüpfen. Erst durch diese Verknüpfungen kann ein Konzept entstehen, das von Bewohnerinnen und Bewohnern in Einrichtungen der Altenhilfe als stimmig und ohne Brüche erlebt wird.
Immer wieder neu stellte man sich in der Altenhilfe die Frage: Was sind zielführende Rahmenkonzeptionen und -leitbilder? In der Betrachtung der Entwicklungen in der Altenhilfe wird deutlich, dass in den letzten Jahrzehnten grundlegende Perspektivwechsel stattgefunden haben.
Versorgung und Verwahrung
Bis in die 60er Jahre hinein werden Einrichtungen der Altenhilfe ohne fachliche Spezifizierungen mit dem Ziel angelegt, Menschen im Alter zu versorgen. Zentrale Versorgungsstrukturen, Mehrbettzimmer und eine minimale Infrastruktur in den Gemeinschaftsbereichen bestimmen die Konzeptionen. Hauswirtschaftliche Dienstleistungen werden zentral erbracht, zum Teil mit einem sehr geringen Professionalisierungsgrad.
Medizinische Behandlung
In der Professionalisierung der 70er und 80er Jahre orientieren sich die Einrichtungen an der Medizin und an der Krankenpflege. In der Hauswirtschaft entwickeln sich auf einen hauswirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieb ausgerichtete Verfahren und Methoden.
Aktivierung
In der Pflege werden in den 90er Jahren verschiedenste Ansätze der Aktivierung und der Sicherung des Wohn- und Lebensumfelds sowie der Gestaltung der Umgebung wichtig. Die Entwicklungen in der Hauswirtschaft sind in erster Linie auf Effizienz ausgerichtet. Die fachlichen Spezifizierungen in der Pflege werden zu Handlungsansätzen, die sehr schnell in Richtung Therapie gehen, während die Hauswirtschaft mit ihrem Dienstleistungsangebot zur reinen Versorgung wird, der immer wieder jeder Bewohnerbezug abgesprochen wird.
Alltags- und Lebensweltorientierung
Das Konzept der Lebensweltorientierung stellt den Menschen in den Mittelpunkt, der sein Leben und damit seinen Alltag in einer Einrichtung lebt. Aus dem Auftrag der Betreuung, Pflege und Versorgung wie er für Einrichtungen der Altenhilfe besteht formuliert Karla Kämmer das Ziel: Soviel Normalität und Eigenverantwortung wie möglich und gerade so viel Betreuung und Unterstützung wie nötig (KÄMMER, 2002).
Sich in der Betreuung, Pflege und Versorgung an der Lebenswelt der Bewohnerinnen und Bewohner zu orientieren, lässt sich mit folgenden zentralen Merkmalen charakterisieren:
· Angebote, die sich am einzelnen Menschen orientieren,
· Gestaltungsspielräume im Lebensalltag fördern,
· Biografieorientierung,
· angepasstes Milieu,
· dazugehören, beteiligen (KÄMMER, 2005).
Das heißt ganz konkret für die Umsetzung:
· Nicht mehr die Gruppe der Heimbewohner ist wichtig, sondern die einzelne Bewohnerin und der einzelne Bewohner.
· Individuell für die einzelne Bewohnerin und den einzelnen Bewohner sind Gestaltungs- und Handlungsspielräume zu entwickeln und zugänglich zu machen.
· Der Alltag mit seiner Strukturierung, den Aufgaben der Daseinsvorsorge, den verschiedensten Ereignissen, Begegnungen und Beobachtungen wird wichtig.
Die Frage nach dem, was die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner ausmacht, ist mit dem Lebensweltkonzept neu gestellt. Während die Handlungsleitlinien der Vergangenheit fachlich ausgefeilte Pflege- oder Hauswirtschaftskonzeptionen in den Vordergrund stellten, lässt die Betrachtung aus Sicht der Bewohner vieles in einem neuen Licht erscheinen. In den Lebenswelten entstehen dann zum Beispiel Gerichte, die im ersten Moment sehr ungewöhnlich aussehen, aber sie schmecken den Bewohnern der Wohngruppe. Wie Traditionsmahlzeiten von Familien, die von Außenstehenden als gewöhnungsbedürftig eingestuft werden.
Haben die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Entscheidungs-, Gestaltungs- und Handlungsfreiräume im Alltag, so sind die Abläufe in den Einrichtungen unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Beteiligung und Mitbestimmung zu durchleuchten. Hier wird in der näheren Betrachtung deutlich, dass es gar nicht so sehr die so genannten großen Dinge sind, die verändert werden müssen, sondern der Erfolg in einer Neuakzentuierung der alltäglich immer wiederkehrenden Handlungen liegt. So bekommen die alltäglichen Begegnungen zwischen den Mitarbeitern und den Bewohnern einen neuen Stellenwert. Das Wahrnehmen, die Begegnung und damit eng verbunden die Kommunikation, verbal und nonverbal, werden wichtig, auch wenn sie anscheinend nebenbei passieren. Die Bewohner erleben Begegnungen oder auch Anfragen und Entscheidungen nicht als Bestandteile von Betriebsabläufen, sondern als Aufgaben, die ihr Leben betreffen. Die Entscheidung darüber, was ich heute frühstücke und der kleine Dialog bei der Reinigung des Bewohnerzimmers werden wichtig. Die Auseinandersetzung darüber wird wichtig, dass Dienstleistungen, die bislang als reine Versorgungsleistungen betrachtet wurden, im Grunde personenbezogene Dienstleistungen sind und als solche betrachtet in Stellenwert und Wirkung steigen.
In der Pflege wurde für diesen Kontext der Begriff der "diskreten Pflege" formuliert. Karla Kämmer beschreibt damit ein Vorgehen, das aufbauend auf gezielte Beobachtungen und Biografiearbeit, die Anliegen und Gewohnheiten der Bewohner sensibel aufspürt und daraus abgeleitet die Pflegeleistungen in unaufdringlicher Weise anbietet. Pflegeleistungen erhalten dadurch ganz persönliche Prägungen, und es wird auch überprüft, ob es für die Bewohnerin, den Bewohner der richtige Zeitpunkt und der richtige Ansatz ist, mit dem die Pflegeleistung durchgeführt wird (KÄMMER, 2002).
In gleicher Weise ist diese Frage auch an die Hauswirtschaft zu stellen, wie sie den Ansatz der Lebensweltorientierung für sich sieht bzw. wie sie sich mit ihrem Dienstleistungsangebot in alltags- und lebensweltbezogenen Konzeptionen verankern möchte.
Die Auseinandersetzung mit alltags- und lebensweltorientierten Ansätzen in der Pflege älterer Menschen stellt die Hauswirtschaft vor die Herausforderung, ihren Standpunkt in der Altenhilfe zu überprüfen. An diesem Punkt erscheint es sinnvoll, die hauswirtschaftliche Auseinandersetzung nicht sofort auf die Altenhilfe hin zu fokussieren, sondern sich erst einmal ganz allgemein mit der Frage auseinander zu setzen, welchen Raum die Hauswirtschaft in der Alltagsgestaltung einnimmt.
Zentrale Aufgaben im Leben aller Menschen sind die Gestaltung des Alltags und die Organisation der Lebensführung. Mit Lebensführung wird beschrieben,
· womit Menschen ihre Zeit verbringen,
· wofür sie ihre Energie einsetzen,
· wofür sie ihr Geld ausgeben,
· was ihnen im Leben wichtig ist.
Sie müssen ihr Leben gestalten und dabei vielen Anforderungen gerecht werden. Diese Aufgaben stellen sich täglich neu und wiederholen sich fortlaufend (SAHLE, 2002).
Als alltägliche Lebensführung wird die Verknüpfung der Tätigkeiten in folgenden verschiedenen Lebensbereichen definiert:
· Familienarbeit,
· Hausarbeit,
· Bildung,
· Erwerbsarbeit,
· Freizeit,
· bürgerschaftliches Engagement (FEULNER/SIMPFENDÖRFER, 2005).
In der Alltagsorganisation sind der eigene Haushalt und die Haushaltsführung wichtige Aktionsbereiche. Sie sind die Lebensgrundlage für alle Familien- und Lebensformen. Besonders im Alter geschieht die Gestaltung des Alltags wie zum Beispiel Haushaltsführung, Kontaktpflege, Mediennutzung, spielerische und schöpferische Betätigung wohnungszentriert. Die selbstverantwortete Gestaltung des Alltags gewinnt an Bedeutung, wenn der Aktionsradius sich einschränkt (SAUP, 1986).
Die Strukturierung eines Haushalts wird über seine Arbeitsund Funktionsbereiche vorgenommen:
· die Verpflegung, · die Wohnungspflege,
· die Kleider- und Wäschepflege,
· die Betreuung und Pflege von Kindern,
· die Betreuung und Pflege von kranken Haushaltsmitgliedern,
· die Betreuung und Pflege von pflegebedürftigen Haushaltsmitgliedern,
· das Einkaufen,
· die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen,
· die Kontakte zu Behörden und Institutionen.
Damit wird das Profil vorgegeben, an dem sich die Sicherung der Daseinsvorsorge im Alltag von Hausgemeinschaften, Wohngruppen und tagesstrukturierenden Maßnahmen orientieren. In ihrer Gesamtheit sind sie wichtig, aber auch in ihrem Ineinander- und Miteinanderverwobensein.
So lassen sich zum Beispiel beim Essen und Trinken die Zubereitung von Mahlzeiten und die notwendige Unterstützung beim Essen nicht strikt voneinander trennen und eindeutig die notwendigen Handlungen den beteiligten Professionen zuordnen. Je nach Bewohner brauchen die Speisen eine spezielle Darreichungsform und die Unterstützungen beim Anreichen während der Mahlzeiten müssen sehr individuell ausfallen. Wichtig ist in der Dienstleistungserstellung, dass alle Beteiligten auf die gleiche Art und Weise den Bewohner im Blick haben, für den die Mahlzeit gerichtet wird und dabei gemeinsam ein Verständnis zur Art und Weise der Mahlzeiten vereinbart wurde. Vor diesem Hintergrund sind dann situationsbezogen die Entscheidungen zu treffen, wer für welchen Bewohner bzw. wer für welchen Part beim Essen und Trinken zuständig ist. Der Pflegekontext, in dem in der Altenhilfe gearbeitet wird, hat und braucht die interdisziplinäre Aufgabenteilung. Modelle der Kooperation bzw. Aufgabenteilung sind gefragt, die sich nicht in erster Linie an den professionsorientierten Schnittstellen orientieren, sondern alltags- und personenbezogen das zusammen sehen, was auch zusammengehört.
Mit der Art und Weise der Haushaltsführung und der gewählten Form des Zusammenlebens schafft sich jeder Mensch ein Stück seiner Identität. So wie die Menschen unterschiedlich sind, hat auch jeder Haushalt sein Profil. Jede Gruppe von Haushaltsmitgliedern hat ihre individuellen Lebenseinstellungen, Werte und Handlungsziele. Somit gibt es keine generellen Profile für Hausgemeinschaften oder Wohngruppen. Je nachdem, wer zusammenlebt, wird der Alltag seine individuelle Prägung haben.
Grundlage der verschiedenen Möglichkeiten für die Haushaltsführung sind die vorhandenen Ressourcen und die damit verbundene Frage, wie die Ressourcen genutzt werden. Hinzu kommen in den einzelnen Arbeits- und Funktionsbereichen verschiedene Handlungsalternativen sowie die Auswahl der Verfahren und Methoden in der Dienstleistungserbringung. Prägend für einen Haushalt ist auch sein Wohnumfeld und damit das soziale Umfeld für die Haushaltsmitglieder.
Dies spielt in der Ausgestaltung des Alltags und der Lebensräume von alten Menschen eine sehr große Rolle. Menschen mit 80, 90 oder 95 Jahren haben nicht nur viel Lebenserfahrung, sondern auch eine lange Zeit der Prägung erlebt. Ihre Gewohnheiten haben sich verfestigt und sind zu wichtigen Orientierungsgrößen in ihrem Leben geworden. Diesen Gewohnheiten und Prägungen nachzuspüren und sie für das neue Lebensumfeld in der Einrichtung so weit wie möglich zu rekonstruieren, ist eine wichtige Aufgabe.
Für die Hauswirtschaft bedeutet dies die Auseinandersetzung mit der Vielfalt von Lebensstilen und Haushaltsführungsmustern, die das menschliche Leben bereithält. Nicht selten wird es passieren, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Gewohnheiten konfrontiert werden, die für unmöglich gehalten werden. Und immer wieder wird in der Auseinandersetzung deutlich, dass wir in einer Gesellschaft leben, die erst langsam wieder die Wichtigkeit und Bedeutung der Hauswirtschaft entdeckt. Privates Leben mit all seinen Aufgaben in den eigenen vier Wänden war in der Vergangenheit kein Thema.
Für eine gelingende Alltagsorganisation sind die folgenden Ressourcen wichtig:
· persönliche Ressourcen, zum Beispiel Wissen, Fertigkeiten, handwerkliches Geschick, Bildung, Ausdauer, Begeisterungsfähigkeit;
· materielle Ressourcen, zum Beispiel Einrichtung, Einkommen;
· soziale Ressourcen, zum Beispiel gegenseitige Wertschätzung, klare Rollenstrukturen und Verantwortlichkeiten, Hilfsbereitschaft, Freude an gemeinsamen Unternehmungen;
· Ressourcen außerhalb des gemeinsamen Haushalts, zum Beispiel Angehörige, Nachbarschaftskontakte, Freunde, gute Kontakte zu Behörden und sozialen Diensten (FEULNER/SIMPFENDÖRFER, 2005).
Aus diesem haushaltswissenschaftlichen Ansatz lassen sich folgende Schlüsselkompetenzen für die Gestaltung der Alltagsorganisation ableiten:
· Kompetenzen zur Abstimmung der Betreuungs- und Versorgungsziele mit möglichen Handlungsalternativen,
· Kompetenzen zur Beschaffung und Auswahl der Ressourcen für die Haushaltsführung,
· Kompetenzen zur Nutzung der Ressourcen und zur Erstellung der Versorgungs- und Betreuungsleistungen (FEULNER/SIMPFENDÖRFER, 2005).
Gleichzeitig werden mit diesen Schlüsselkompetenzen die Ansatzpunkte für haushaltsunterstützende Hilfen deutlich. Lange Zeit war das Thema Hauswirtschaft allein auf die Erbringung von hauswirtschaftlichen Versorgungs- und Betreuungsleistungen konzentriert. An diesen Stellen sind Fachkräfte gefragt, die durch die Förderung und Vermittlung von Haushaltsführungskompetenzen Menschen darin unterstützen können, ihre private Daseinsvorsorge möglichst selbstständig und eigenverantwortlich zu bewältigen.
Die Hauswirtschaft mit ihren Dienstleistungen wird damit wichtig. Sie ist aber nicht alles! Vor allen Dingen darf hier nicht der Fehler gemacht werden, dass in der Betrachtung einzig und allein die Tätigkeiten in den Blick genommen werden, die wir aktuell in stationären Einrichtungen der Hauswirtschaft zuordnen. In der Regel sind es die Bereiche Verpflegung, Hausreinigung, Wäscheversorgung und Hausgestaltung, die sich in der Altenhilfe mit spezifischen Zuschnitten entwickelt und etabliert haben. Hauswirtschaft kann mit ihrem Selbstverständnis, das sich am Haushalt als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft orientiert, noch weitergehende Felder und Tätigkeitsbereiche abdecken. So können in Hausgemeinschaften und Wohngruppen zum Beispiel auch das (Vor-)Lesen von Tageszeitungen, die Pflege von Hobbys, handwerkliche Tätigkeiten, Singen und Musizieren wichtig werden.
Hier sind im Prinzip alle Lebensführungsmuster denkbar, wie sie in privaten Lebensräumen gelebt werden. Wobei auch die Frage nach den Lebensorten sehr offen gestellt werden muss, denn der Handlungsraum ist nicht auf die Wohnung direkt zu begrenzen. Der Garten und auch die Lebensräume in der Nachbarschaft und weit darüber hinaus müssen in diesem Ansatz mit gesehen werden.
Damit wird es wichtig, für die Hauswirtschaft in Lebenswelt- und alltagsbezogenen Kontexten ein Grundverständnis zu entwickeln. Für den Bereich der Caritas konnte 2003 im Rahmen eines Werkstattseminars folgende Festlegung entwickelt und bestätigt werden.
Das Selbstverständnis hauswirtschaftlicher Dienstleistungen in der Caritas
· Die Hauswirtschaft erbringt personenbezogene Dienstleistungen, die unmittelbar und direkt die Nutzerinnen und Nutzer der Einrichtungen und Dienste im Blick haben und damit personen- und situationsorientiert ausgerichtet und gestaltet werden.
· Hauswirtschaftliche Dienstleistungen sind die Grundlage zur Sicherung des Alltags. Sie setzen in und für die Lebensgestaltung des Menschen einen wichtigen Rahmen. · Hauswirtschaftliche Dienstleistungen sind Voraussetzung für pflegerisches und sozialpädagogisches Handeln.
· Sie werden zum Inhalt pädagogischer und pflegerischer Prozesse, wenn der Alltag mit seinem Lebensraum privater Haushalt als Erlebensfeld und Gestaltungsraum genutzt wird (DEUTSCHER CARITASVERBAND, 2001).
Bislang noch viel zu wenig beachtet in der fachlichen Diskussion sind die hauswirtschaftlichen Gestaltungselemente und Handlungskonzepte, durch die eine gezielte Förderung und Unterstützung im Sinne des Alltags- und Lebensweltkonzepts möglich wird. Es hat einen ganz besonderen Wert, wenn es durch die Hauswirtschaft gelingt, einen Alltag mitzugestalten, in dem die Möglichkeiten des Erlebens, der Beteiligung und Förderung von Bewohnerinnen und Bewohnern in den ganz normalen Abläufen möglich ist.
Im Zentrum stehen die Aufgaben des Alltags. Jede und jeder hat hier Wissen und Erfahrung. Bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten werden alle Sinne angesprochen, damit ergeben sich die verschiedensten Ebenen und Anknüpfungspunkte für Kommunikation und Interaktionen. Gemeinsames Tun, Vorbildhandeln, Anleiten und Beobachten geben vielfältige Ansätze zur Beteiligung und zur Förderung.