Max von der Grün · Männer in zweifacher Nacht
Max von der Grün – Werkausgabe Band I
Herausgegeben von Günther Butkus
Max von der Grün
Männer in zweifacher Nacht
Roman
Mit weiteren Texten
von Max von der Grün
und einem Nachwort
von Frank Göhre
PENDRAGON
Wir danken für die Förderung dieses Projektes der Kunststiftung NRW
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Veröffentlicht im Pendragon Verlag
Günther Butkus, Bielefeld 2009
© by Pendragon Verlag Bielefeld 2009
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Günther Butkus, Stephanie Müller
Umschlag & Herstellung: Uta Zeißler (www.muito.de)
Gesetzt aus der Adobe Garamond
ISBN 978-3-86532-120-6
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
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Männer in zweifacher Nacht
Stephan Rheinhardt, »Unfälle unter Tage«
Max von der Grün, »Der Wacholderkönig«
Max von der Grün, »Der Betriebsrat«
Max von der Grün, »Das Wunder«
Nachwort von Frank Göhre
Erklärung bergmännischer Fachausdrücke
Editorische Notiz
Männer in zweifacher Nacht
Die Feiertage standen noch in ihren Gesichtern. Der Gang zur Anfahrt war schleppend. An der Lampenstube vorbei zogen an die tausend Kumpel durch den überdeckten Laufsteg. Streit und Sticheleien gab es nicht. Weihnachten klang in allen noch nach.
Die Arbeit war ihnen an diesem ersten Tag nach dem Fest ein Gräuel. Auf den Bänken in der Kaue saßen sie und blickten voller Unbehagen auf die große Uhr über dem Eingang, deren Zeiger unerbittlich auf die Sechs hinzuckten. Andere standen an ihren Kleiderhaken und überlegten, ob sie endlich die Straßenkleidung mit dem Arbeitszeug tauschen sollten.
In der Kaue warfen sie die Bündel mit der Grubenkleidung auf den warmen Zementboden, entledigten sich der Straßenkleider und hängten diese an die Krallen, an denen zuvor das Grubenzeug gehangen hatte. Die Hauer Hubalek und Kießling standen inmitten eines Trüppchens vor den Toiletten und rauchten noch schnell eine Zigarette – ein warmes Frühstück, wie es in ihrer Sprache heißt. Das Rauchen ist in Grubenkleidung verboten, wer aber wollte es an diesem Tag den Bergleuten schon verbieten. Für die meisten von ihnen ist eine Zigarette vor der Anfahrt das wahre Betäubungsmittel und nach der Auffahrt ein Zeichen dafür, dass man noch lebt.
Schnupftabak wurde von Stanniolpäckchen in Gebrauchsdosen gefiltert, Kautabak in Blechschachteln gelegt. Der Alltag besitzt Normen, der des Bergmanns hat seine eigenen. Johannes Brinkmann keuchte dem Kaueeingang zu, unter dem rechten Arm die in ein großes Handtuch geknüpften Grubenkleider, in der Linken Kaffeeflasche und Butterbrote. Er hatte keine Zeit für Begrüßungsworte an Hubalek und Kießling. Ein kurzes Nicken nur, dann verschwand er.
In der Kaue schlug ihm eine undefinierbare Mischung von Gerüchen entgegen, ein Brodem, der den Waschkauen aller Länder eigen ist. Dort blubbert ein Stimmengewirr besonderer Art, wie das Ausrollen des Donners, nur gedämpfter. Das Quietschen der Räder, auf denen die Ketten rollen, Lachen, Schimpfen, Fallen und Klatschen – das alles vermischt sich zu einem unverwechselbaren Konglomerat. Die Kaue ist das Treibhaus der Zeche, in dem alles rüstet, neu ersteht.
Johannes beeilte sich mit dem Umziehen, verstaute Flasche und Brote in die Taschen, nahm seine Kontrollmarke und holte seine Lampe an der Lampenstube ab. Am Ende des Laufsteges wartete er auf seine Arbeitskameraden, und als die beiden zu ihm getreten waren, gingen sie langsam zur Hängebank.
Am Schacht traf Johannes Brinkmann seinen Vater wieder, der Anschläger der westlichen Förderung war und besorgt über die Köpfe der Anfahrenden auf den Holzplatz schaute. Vater und Sohn hatten wenig Zeit für ein Gespräch. Der alte Brinkmann warf nur kurz einen Blick auf die Ausrüstung seines Sohnes und fragte, wo er seine Handschuhe gelassen habe. Johannes winkte ab, solcher Flickflack sei unnötig, er habe feste Hände. »Dann eben nicht«, brummte der Alte, und zu seinem Hilfsanschläger gewandt: »Heutzutage haben die Eier mehr Verstand als die Hühner.« Die Seilfahrt vollzog sich heute in mustergültiger Ordnung, keiner drängelte, keiner murrte, keiner war wütend über den anderen. Alle waren noch müde. Auch im »Glück auf«, das einige sich gedankenlos zumurrten, schwang Resignation.
Mit dem letzten Korb fuhren Johannes Brinkmann, »Stacho« Hubalek und Josef Kießling in die Tiefe, und Stacho meinte auf halbem Wege, dass sie nun für acht Stunden verkauft wären. »Alles Schiet, Kohlen müsste es im Tagebau geben, aber nicht so. Blöde Erfindung.«
Zwei Minuten später hatten sie die vierte Sohle erreicht, Tiefe 800 Meter.
Vom Korb aus wanderten die drei gemächlich dem Personenbahnhof zu, wo sie in das überdachte Abteil des bereitstehenden Zuges krochen. Dieser Wagen bot guten Schutz gegen den hier besonders heftig anstürmenden Wetterzug, der selbst die dickste Kleidung durchdringt. Sie drehten die Lampen ab und stellten sie zwischen die Beine. Josef Kießling legte seinen Kopf an die Blechwandung, schloss die Augen und schlief ein, noch bevor der Zug sich in Bewegung setzte.
»Wie steht es jetzt im Mausegatt?«, fragte Johannes.
»Übel. Du wirst es ja gleich sehn, übel sage ich dir. Die Strecke ist so schmal geworden, dass in letzter Zeit der Akku nicht mehr durchkam. Das Ort musste vierzehn Tage gestundet werden. Jetzt wurde ausgestollt, etwas besser, aber auch nur Flickwerk. Lange dauert es nicht, dann geht die Bruchbude zusammen. Unsereiner darf doch nichts sagen, wir sind Kumpels, verstehst du? Der Arsch der Welt, mit dem man nicht denken kann. Und weil die andern die Köpfe sind und die Verantwortung tragen, müssen sie zwangsläufig auch alles richtig machen. Verstehst du?«
»Nein.«
»Nein? Du bist ja auch kein Kumpel, nur ein studierter Hanswurst.« Das einsetzende Gepolter und Geratter des nun fahrenden Zuges unterbrach ihr Gespräch, an weitere Unterhaltung war nicht zu denken. Ziel: die fünfte westliche Abteilung, die letzte der westlichen Richtstrecke. Entfernung: 2600 Meter. Johannes kannte die Strecke von früheren Befahrungen her gut, auch war er den ganzen Weg schon zu Fuß gelaufen, wenn er den Personenzug einmal verpasst hatte. Wahrlich ein beschwerliches Hasten. Kein Meter frei von Feuchtigkeit, alles war so glitschig, dass das Vorschreiten mehr einem Rückgleiten gleichkam. Das starke Licht der Oberleitungsmaschine bohrte sich aufreißend in die Nacht der Grube, erweckte das Tote zum Leben. Und ohne dass Johannes es sah, wusste er, dass die erste westliche Abteilung passiert wurde, denn der Wechsel, der die zweispurige Bahn zur eingleisigen führte, war noch in demselben schlechten Zustand wie vor einem halben Jahr.
Schlendrian, dachte Johannes. Stimmt schon, was die Kumpels sagen: Gemacht wird erst dann was, wenn es einen Toten gegeben hat. Dann ist natürlich nicht der sonst geduldete Schlendrian schuld, sondern die mangelnde Vorsicht des Kumpels. Überall das Gleiche, gut, dass ich nicht Bergmann werde, könnte mich nicht beherrschen, müsste meinen Mund aufreißen. Wie man das so kann, täglich über den Schlendrian steigen, täglich das Unzulängliche sehen und doch den Mund halten – wie kann man das? Ist der Kumpel vertrottelt? Oder ist es Resignation, weil doch nichts getan wird?
Nur gut, dass ich später was anderes mache. Hier unten erstickte ich nach vierzehn Tagen.
Hinter der zweiten Abteilung wurde es hell, und das Licht begleitete sie bis zur vierten Abteilung, wo der Zug zum ersten Male anhielt. Hier entstiegen die Männer des Reviers acht. Es waren nicht viele, denn das Kohlendrittel dieses Reviers lief auf Mittagschicht. Die Helle zwischen der zweiten und vierten Abteilung hatte ihren Grund. Dieser Teilabschnitt der Richtstrecke war vor den Feiertagen neu eingestäubt worden, damit die Feuergefahr bei ausbrechenden Explosionen verhindert oder zumindest gehemmt würde. Das sind Dinge, die man im Laufe der Jahre mitbekommt, ohne dass einer es sagt. Dieser Steinstaub, gemahlener Kalkstein, hat die erfreuliche Eigenschaft, weiß wie Schnee zu sein. In der Nacht der Gruben nimmt sich das geradezu feierlich aus. Unwillkürlich kam Johannes der Gedanke, wie freundlich die Gruben sein müssten, wäre auch die Farbe der Kohle weiß.
Warum sollte die Kohle nicht weiß sein? Hat Gott das so bestimmt? Wir wissen nur, dass die Kohle in Millionen Jahren entstanden ist, dass wir weiter nichts fördern als Holz. Warum kann Kohle also nicht weiß sein? Aber nein, sie muss schwarz sein, schwer und staubreich. Warum nur? Sie würde bestimmt auch brennen, wäre sie weiß oder rot oder lila …
Sein Kopf stieß beim Anrucken des Zuges schmerzhaft an die Wagenkante. Hier an der vierten Abteilung bahnte die Strecke eine S-Kurve, sie kam aus östlicher Richtung, führte nun nach Norden und bog hundert Meter weiter wieder zur Ostwestrichtung um. Die vierte Abteilung hieß beim Kumpel das Deutsche Eck, denn hier war eine aus Hartbrandsteinen ausgebaute Nase, mit schweren T-Trägern verstärkt, die, bei etwas Phantasie, die Namensgebung wohl rechtfertigte. Hundert Meter vor dem Stapel der fünften Abteilung war Endstation. Der Lokführer rangierte den Zug, als alle ausgestiegen waren, auf ein Abstellgleis. Die nun folgenden Wege mussten gelaufen werden, da die Strecke schon viel von ihrer ursprünglichen Breite eingebüßt hatte. Fünfzig bis sechzig Männer bewegten sich zum Stapel, Angehörige des Reviers neun, das in dieser Abteilung – weit verstreut – seine Betriebspunkte hatte.
Stapel- oder Blindschächte sind Angel- und Sammelpunkte innerhalb einer Abteilung, hier versammeln sich die Männer vor Arbeitsbeginn zur Einweisung und kehren hierhin nach Schichtende zurück.
Was der Haupt- oder Förderschacht für die Grube, ist der Stapel für die Abteilung. Er verbindet, von Sohle zu Sohle getrieben, die Orte miteinander. Die Hauer in den Streben verzehren hier meistens ihre Butterbrote, entledigen sich der überflüssigen Kleidung und erhalten Anweisungen für die beginnende Schicht. Der Steiger selbst kann hier einen schnellen Überblick gewinnen, feststellen, wer fehlt, erfahren, wer hinzugekommen ist. Am Stapel hält der Bergmann auch gerne großes Palaver, bietet sich doch während der Arbeit selbst nur selten Gelegenheit dazu. Da wird alles beredet: das in Kürze abzuschließende Gedinge, die Wahlen, Sieg oder Niederlage einer Fußballmannschaft, Totound Lottoergebnisse. Man spricht auch über Missstände, die im Verlauf einer Schicht oder Woche aufgetreten sind.
Steiger Heinisch nickte Johannes nur zu. Für ihn war er ein Protegierter, und die mochte der Steiger nicht besonders. Heinisch rief Hubalek zu, den angehenden Pfarrer besonders an die Kandare zu nehmen, diesen Leuten solle nichts geschenkt werden, auch sie sollten im Schweiße ihres Angesichtes ihr Brot verdienen. Es klang nicht bösartig, es waren eben Floskeln, ohne die ein Bergmann in seinem Alltag nicht auskommt.
Ort drei. Der Korb hielt. Vier Männer, ebenfalls Ortsleute, entstiegen dem Satz.
»Begleitort Flöz Geitling«, erklärte Stacho Johannes. Ort vier. Alle stiegen vom Korb. Hubalek und seine beiden Mitschaffer und die Hauer des Flözes Geitling, die von hier in den Streb einsteigen mussten.
Die Hauer trugen auf dem Oberkörper nur Schweißhemden. Das Arschleder hing lose herunter, die Halteriemen baumelten um die Knie. Einige trugen Knieschoner aus Hartgummi. Stacho gab den Korb frei. Signal: zweimal zwei Schläge. Der Korb sauste zur Tiefe, neue Menschenfracht an die Betriebspunkte zu verteilen. Die vierzehn Hauer liefen nach Norden, Hubalek, Brinkmann und Kießling nach Süden.
Hundert Meter Querschlag, dann Teilung der Strecke in West und Ost. Die drei brauchten nur geradeaus zu laufen – Osten; die Richtstrecke war hier gleichzeitig Flözstrecke.
»Wird im Westen noch gekohlt?«
»Schluss da, wird ausgeraubt, schon fünf Wochen zugange.«
Die Strecke, in die sie nun einbogen – und bis vor Ort durchlaufen mussten, maß fast fünfhundert Meter. An einigen Stellen war der Stollen so zusammengesunken, dass sie nur gebückt gehen konnten. Johannes stieß mit dem Kopf heftig an eine durchgebogene Kappschiene.
»Nimm die Rübe runter«, rief Stacho. Johannes stülpte den abgefallenen Helm wieder auf. »Tut verdammt weh.«
»In Bonn«, sagte Kießling, »sind die Räumlichkeiten höher.«
»Stimmt!«, antwortete Johannes.
»Blödmänner, ihr«, fuhr Stacho dazwischen, »passt auf hier. Verfluchte Strecke, täglich dieser verdammte Weg. Verfluchte Sauerei. Zuchthaus ist ein Kinderspiel dagegen. Lass mich einsperren, wenn ich noch lange vor dem Ort sein sollte. Vorher aber bringe ich noch einen um.« Bum! Bum! Auch er stieß nun heftig an. Der Helm fiel zu Boden, wie vorher bei Johannes. Johannes und Josef lachten. Stacho wütend. »Schnauze!«, brüllte er, »Gesindel«, jammerte er dann.
Wieder liefen sie schweigend weiter. Endlich erreichten sie die Mündungen, aus denen die Kohle vom Streb gezogen wird. Drei Stahlblechmündungen, alle verbeult und ausbesserungsbedürftig. Dieses letzte Stück Strecke war schlimm, auch für den geübten Bergmann, der weiß Gott an allerhand gewöhnt ist: der Ausbau erbärmlich vernachlässigt, die Stempel eine Karikatur von dem, was sie hätten sein sollen. Die Schwellen lagen frei, das Laufen wurde zum gebückten Hüpfen, das Gehen zum Anschleichen. Links und rechts der Schienen lag das Ausstollgestein, oft einen halben Meter hoch. Nur die untergesetzten Mittelstempel verhinderten ein Zusammensacken der Streckenteile.
»Junge, Junge, schwer niedrig hier. Wie da der Akku noch hindurchkommt?«
»Wie du bei dem Gelatsche noch quasseln kannst«, murrte Josef. Mehr als fünfzig Meter war der niedrige Streckenabschnitt lang, und bis vor Ort zeigte sich dann eine wohlgebaute Umformung, normal, und für die Begriffe des Bergmanns intakt.
»Typische Zechenwirtschaft«, schnaufte Stacho, als sie den höheren Teil erreicht hatten. »Der Akku kann gerade noch drunter herfahren, und manchmal greift die Batterie an die Firste. Wie oft habe ich dem Obersteiger schon gesagt, es müsste unbedingt etwas getan werden. Eines Tages fährt sich da noch einer den Kopf ab.«
»Was dann?«
»Was dann? Nichts! Dann wird die Strecke zugemacht. Das ist alles. Die Kerle sind taub.«
»Dir gegenüber wohl?«
»Sicher. Ich habe ein rotgefärbtes Maul, sagt der vollgefressene Wanst.«
»Du bist bekannt wie das saure Bier, Stacho.« Johannes lachte.
»Die sind es auch. Alles Verbrecher. Sauerei das hier, und noch dazu nach den Feiertagen.«
Sie hatten die Gezähkisten vor Ort erreicht, drei Stück nebeneinander gestellt, fünf Meter vor Ort. Als wäre es Schichtende und nicht Schichtbeginn, fielen sie müde auf die Kisten nieder. Auf ihren Stirnen perlte der Schweiß.
Sie verschnauften.
Nach wenigen Minuten zogen sie ihre Röcke aus, entnahmen diesen Butterbrote und Kaffeeflaschen, butterten.
Sepp stand noch einmal auf und drehte den Ventilator ab. »Der Krach von dem Ding macht mich krank, man kann dabei verrückt werden.«
Sie aßen und tranken schmatzend – aber sie schwiegen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Endlich sagte Stacho: »So ein Schinkenbutter ist eine Wohltat nach so vielen Tagen Kuchen. Meine Alte wollte mir tatsächlich Kuchen mit zur Zeche geben. Total plemplem, und das nach dreißig Jahren Ehe.«
Kießling hatte wenig Hunger, keinen Durst; er aß nur eine Doppelschnitte, die Flasche ließ er unberührt. Aber er war müde. Während die anderen noch aßen, formte er eine Kuhle und legte sich hinein.
»Ist das mit dem immer so?«
Kauen konnte Hubalek, es war eine Freude, dem Manne zuzusehen; er schmatzte und stöhnte beim Essen, als verrichte er eine schwere Arbeit, und der Schweiß perlte noch stärker auf seiner Stirn. Erst als er den Mund leer gekaut hatte, antwortete er.
»Seit einigen Wochen. Hat da irgendwo eine Schickse stehn, in Bochum, wenn ich mich nicht irre. Wenn wir Frühschicht haben, fährt er jeden zweiten Tag hin. Wenn es mit der noch lange läuft …«
Der Alte trank mit ein paar Zügen die Flasche halb leer. »Was soll man dazu sagen? Er ist schließlich alt genug, um zu wissen, was er tut. Die Weiber sind eines Tages sein Untergang; er kann sich nicht beherrschen, wenn er einen Rock sieht. Sein Verstand ist dann im Eimer. Drohte ihm schon an, mir einen andern Kumpel zu suchen, falls er so weitermacht. Gefruchtet hat es nicht. Würde ich auch nicht tun – und wenn er auf Stelzen zur Arbeit käme.«
»Was tätest du nicht?«
»Mir einen andern suchen. Habe mich zu sehr an Sepp gewöhnt. Er arbeitet gut, spricht wenig – was will ich noch? Das ist viel zu viel für die Grube.«
»Eigentlich weiß man wenig von ihm.«
»Was willst du wissen? Hauptsache, er schafft gut, ist zuverlässig, ist Kamerad – das andere zählt nicht, und wenn er jemand umgebracht hätte. Hat man sonst noch Forderungen für die Grube? Nein! Wir sind in der Grube doch alle andere Menschen, nicht so wie über Tage. Wir sind im Stein Figuren, die für acht Stunden – oder neun – kein Vor- und kein Nachleben haben. Wir sind Kumpel, das ist alles.«
Johannes hatte die Hälfte seiner mitgebrachten Schnitten verzehrt, die andere verwahrte er sich für Schichtende.
»Kann ich meine Butters in den Stoß legen, oder gibt es hier Mäuse?«
»Binde sie lieber mit Schießdraht auf, Mäuse gibt es hier in Massen, das heißt: gab; komischerweise habe ich seit einigen Tagen keine mehr gesehen. Weiß der Teufel, wo die Mistviecher nur hingelaufen sind?«
Johannes trank seine Flasche unbedacht halb leer: »Auf den Kuchen, den man sich während der Feiertage in den Wanst geschlagen hat, bekommt man Durst.«
»Ich auch. Wird schon vorübergehn, die Schicht.«
Der Kumpel trinkt nie anfangs der Schicht seine Flasche leer, denn keiner weiß, was die nachfolgenden Stunden bringen. Nun saßen auch Stacho und Johannes auf den Kisten, ihre Rücken an den Knüppelverzug zwischen die Stempel gelehnt, und sie sahen gedankenlos vor sich hin. Stacho schloss nach ein paar Minuten die Augen, kreuzte die Arme über seinem Bauch, grunzte und seufzte, als wäre das Tagewerk schon vollendet. Endlich schlummerte der Alte. Es war nun beseligende Ruhe eingezogen, und außer dem undichten Ventil, das leise zischend Pressluft ausließ, und dem Geschnarche des Alten war kein Laut im Berg. Johannes saß mit wachen Augen und wartete auf das Huschen der Mäuse. Keine kam. So sehr er sein Gehör und seine Augen anspannte, nirgendwo ein flinker Schatten.
Das hier ist nun das Ende der Welt, dies ist der einsamste Ort – vor Ort. Das ist der verlassenste Platz der Erde – nicht der Nordpol, nicht der Südpol, nicht die grenzenlose Öde der Sahara, nicht der Gipfel des Mount Everest; hier ist, wenn auch gestaltlos, das Ende. Nach hier dringen keine Augen, hierher strahlt nicht das Licht des Tages, nicht der Frost, nicht die Hitze, ebenso wenig der Wind, der Sturm – keine Stimme. Dieser Ort verkörpert das Nichts, das Vergessen; hier offenbart die Einsamkeit ihre Formen. Vor Ort.
Vor Ort! – Die Jagd nach dem Gelde, das Gedinge, das Lärmen der brechenden Hämmer, das Heulen der Ventilatoren und das Blasen der Düsen, das Knacken des Eisens, das Splittern des Holzes, das Geschrei des Gesteins – das alles täuscht den Bergmann über seine große Verlassenheit hinweg.
Nie ist er sich bewusst, dass die Tür hinter ihm zugeschlagen wird, wenn er mit dem Korb bergein saust.
Auf Gedeih und Verderb ist er seiner Arbeit und dem Berg verpflichtet; steht er aber im Berge, läuft die Gefahr nebenher.
Der Berg! Ein systematisch durchgewühltes Streckengefüge, das tausend Gefahren in sich birgt, unsichtbar und ohne Vorwarnung. Und der Kumpel in ihm ein Kind, ein Pionier, manchmal auch ein Tier. Der Berg, die Gefahr, der Kumpel: Trinität gefährlichen Alltags.
Der Berg: ein Fluch – ein Gebet!
Ob er schweigt oder rumort, immer wandert er und fließt, schiebt, springt auf und tummelt sich. Immerfort ist der Bergmann den Launen dieses Monstrums ausgesetzt, ob er sich ihm wie ein Kind anvertraut oder wie ein Einbrecher weiter in ihn vordringt. Das Schwarze ist sein Brot, die Stimme des Berges seine Gesellschaft, die Firste sein Himmel, die Sohle das einzig Beständige. Und ohne diese Eigenschaften des Berges würde der Kumpel nur halb leben, wäre der Bergmann nicht Kumpel.
»Der sägt wieder alles kurz und klein.« Stacho stieß Johannes an und deutete nach Josef.
»Wen hattest du eigentlich vor mir als Dritten?«
»Den krummen Otto, du kennst ihn doch.« Der Alte lachte. »Sagen alle, der sei blöd. Aber wenn der blöd ist, wer ist dann noch normal?«
»Wieso?«
»Mensch, der hatte eine Art, sich vor der Arbeit zu drücken, einmalig, sag ich dir. Hatte er was Schweres zu heben, bekam er einen Hexenschuss, schaufelte er, ging ihm die Puste aus, und nahm er den Hammer, warf er unter Garantie einen kleinen Bruch. Mein Lieber, ich weiß nicht: Ist er der geborene Simulant oder der raffinierteste Kerl? Er selbst hält sich für den vollkommensten Arbeiter. Bekomme ich den wieder, wenn du nach den Ferien abhaust, schlage ich den Burschen in der ersten Stunde durch Sonne und Mond.«
Johannes blickte zur Uhr. Acht, schon längst Zeit zum Arbeitsbeginn. Aber er wollte Stacho keinesfalls mahnen, der musste selbst wissen, wie viel träge Zeit das Gedinge zulässt. Johannes gefiel es so: Noch ein wenig sitzen, vor sich hindösen und in die Dämmerung starren. Die Feiertage hatten die Unlust in die Glieder eingelassen, der befreiende Schritt zur Arbeit kümmerte noch in Gedanken und Willen. Stacho wartete auf Josef. Der wieder auf den Alten. Trotz der völligen Ruhe, trotz des abgeschirmten Lichtes keine Maus, kein huschender Schatten und auch nicht das Rascheln ihrer schussartigen Bewegungen. Verwunderlich, diese kleinen Tiere trifft man überall an, wo Bergleute ihre Butterbrote verzehren. Von den Krumen leben sie, die Brösel reichen ihnen, und notfalls zernagen sie das fettige Papier.
Josef war aufgewacht, er gähnte und streckte sich, zog dann sein Oberhemd aus. Mit voll aufgedrehtem Licht lief er in die Strecke hinein, um den Ventilator einzuschalten, und einer Trompete gleich jagte dessen Ton über drei Oktaven, bis er schließlich das hohe C erklomm. Dieser Ton blieb fortan bestimmend, blieb es tage- und wochenlang. Dann lief Josef zum Ort und schraubte, nachdem er einige Sekunden vor dem nicht ausgebauten Abschlag sinnierend gestanden hatte, die Luftlampe an; der Dynamo heulte auf wie ein Sturm, doch dafür erweckte aufflammendes Licht das Ort und einen Teil der Strecke zum Leben.
Ihr Sprechen und Schreien, hohes C und Gejaule verschmolzen zum Orkan. Die Technik unter Tage, des Bergmanns Erleichterung, ist allerorten überlaut.
Stacho brüllte Johannes ins Ohr: »Jetzt wird der Sepp wild, einmal losgelassen, ist der nicht mehr zu halten.«
Stacho schloss eine der drei Kisten auf und entnahm das, was er im Verlauf der Schicht brauchen würde: zwei Schippen, einen Krätzer, Säge und Beil und das Spitzeisen für den Presslufthammer. Johannes trug das Gezähe zum Ort, er kannte die Handreichungen von früher.
Zuerst schraubte er die Muffe vom Hammer, setzte das Spitzeisen ein und schob dann die Muffe wieder darüber, schraubte so lange, bis die Raste mit einem Klacken ihre Kerbe gefunden hatte. Der Abbauhammer war einsatzbereit. Mit sicheren Griffen schraubte er den Zuführungsschlauch in ein Ventil des Rohres, bis der Hammer unter Luft stand. Er probierte: blubb, blubb blubb blubb – die Arbeit konnte beginnen.
Nun erst fand er Zeit, das Ort genauer anzusehen. Das Flöz, vier Fuß Mächtigkeit, lief halbsteil durch das Ortsviereck, und vom Liegenden und Hangenden verblieb jeweils ein Dreieck: Das Hangende links oben, das Liegende rechts unten, und da beide aus Stein waren, wurden sie nicht mit dem Abbauhammer abgeholt, sondern nur angebohrt und vom Schießmeister abgeschossen. Diese Arbeit fiel nicht ihnen zu. Stachos Drittel hatte in dieser Woche den Ausbau zu setzen, den abgekohlten und abgeschossenen Abschlag holz- und eisenbewehrt einzukleiden und das Gebirge zu festigen. Die Mittagsschicht, die vor den Feiertagen als letztes Drittel hier arbeitete, war mit dem Laden nicht fertig geworden. Ein kleiner Haufen lag vor Ort, so dass Stacho gleich einschreiten musste:
»Sepp, erst den Haufen wegladen! Drei Leere haben wir noch, reichen aus. Könnt es alleine machen. Ich suche erst in der Strecke nach einer Schiene, denke, dass ich da eine finden werde. Die Sauhunde haben wieder kein Eisen gefördert.«
Kießling, der, seitdem sie vor Ort angekommen waren, noch kein Wort gesprochen hatte, fasste den ersten leeren Wagen, schob diesen mit Johannes’ Hilfe über den Wechsel an die Ladestelle und begann sofort zu laden. Johannes versuchte, das Tempo mitzuhalten, er gab es aber nach der zwanzigsten Schippe auf. Kießling arbeitete wie ein Uhrwerk. Er sah weder nach links noch nach rechts, nur auf den Haufen, auf den Wagen, auf die Schippe. Auch sprach dieser sonderbare Mann während der Arbeit kein Wort, und während der Schweiß Johannes’ Hemd schon eindunkelte, war Kießlings Stirn noch völlig trocken.
Josef arbeitete gelöst, in keiner Sekunde verkrampft wie Johannes, in seinem Arbeitstakt pulste eine beneidenswerte rhythmische Ruhe, als zöge ein Pferdegespann seiner bayerischen Vorfahren bedächtig und gleichmäßig den Pflug durch den Acker.
Der volle Wagen wurde ausgewechselt gegen einen leeren. Der Rhythmus begann von neuem.
»Nun halte doch einen Moment die Luft an«, rief Johannes. Keine Antwort, das Gestein der abgekippten Schaufeln klatschte auf den Wagenboden. Johannes dampfte, er zog sein Hemd aus der Hose und trocknete mit dem unteren Rand das Gesicht. Er seufzte, lud dann weiter.
Unterdessen suchte Stacho im rückwärtigen Teil der Strecke eine Schiene von drei Metern Länge. Nach längerem Umsehen hatte er im zusammengesackten Teil eine gefunden. Er markierte die Stelle mit Kreide, damit Johannes und Josef sie nachher auch fänden.
Der Alte hatte kaum seinen Gang beendet, da donnerte ein dumpfes Rollen über ihm. Es war von solcher Heftigkeit, dass selbst die Kappschienen erzitterten. Dann ein Knistern, wie wenn man dürres Reis ins Feuer wirft. Aus der Firste rieselte Kohle durch die Verzugsknüppel, schottergroßes Gestein, und in wenigen Minuten häufte es sich zwischen den Schienen an.
Stacho, zuerst vorgebeugt und ruhig, hatte einige Steine auf den Rücken bekommen. Jetzt fluchte er laut. Seine Sinne waren zum Berg gerichtet.
Der Knall, das nachfolgende Geknister und das einige Minuten anhaltende Geriesel waren eigentlich nicht von Bedeutung. Während einer Schicht geschah oft Derartiges. Der Bergmann weiß, dass das Gebirge sich verlagert. In der Unermesslichkeit verbreitert sich eine Spalte, oder eine Wasserader findet ein neues Bett. Das Schiefergestein ist in ständiger Bewegung. Die Folgen solcher Ausbrüche sind in der Regel gering, meist so, wie sie nun vor Stacho lagen, harmlos, nur ein Anlass zum Ärgern. Der Kumpel unterbricht bei einem Knall nicht einmal seine Arbeit. Erst wenn der Knall ungeheuerlich heftig ist, verlässt er fluchtartig die Gefahrenstelle.
Heute kam es Stacho anders vor. Sein Ohr, in dreißigjähriger Erfahrung geschult, hatte im Knall einen noch nie vernommenen Ton herausgehört, und das war es auch, warum er noch hocken blieb und weiterhorchte, als der Spuk längst verebbt war.
Gefällt mir nicht, klang so komisch, werden doch keine Schwierigkeiten kriegen? Fehlte noch. Muss es Heinisch sagen, wenn er kommt, hier muss was getan werden. Verdammte Zeche, könnte ich dich doch endlich von außen begucken. Ob der Wagen voll ist? Habe mich wieder gut gedrückt. Sind jünger, habe mich mein Lebtag genug geplagt. Stakete – wo nehme ich die fehlenden Staketen her? Der Zaun muss zu, die Hühner laufen auf die Straße. Dem Hoffmann seine Tauben knalle ich morgen ab, fressen den meinen das Futter weg. Der Hungerleider, hat für sich nicht genug zum Fressen, schafft sich dann noch eine Menge Viehzeug an. Angeber der. Scheint ruhig zu bleiben, der Berg. Komischer Knall, noch nie gehört. Wo nehme ich die Staketen her?
Als der Berg nach Minuten weiterhin stumm blieb, verließ Stacho den gefährlichen Platz. Er ging zum Ort, um Knüppel und Spitzen in den Abschlag zu schaffen. Viel dergleichen würde nötig werden, um die Firste abzudecken, wenn erst einmal die Schiene vorgepfettet war. Auch altes Rundholz schleifte er bei, nicht mehr verwendbare Stegen und große Steine, die man schon beim Laden ausgeschieden hatte.
Zwei Wagen geladen. Was noch dalag, war keine Behinderung für den nun beginnenden Ausbau. Johannes saß erschöpft auf einem Ersatzrohr und sah besorgt dem Treiben der beiden zu. Stacho lachte über die Erschöpfung des Jungen: »Nichts Gutes gewöhnt, mein Lieber. Musst schuften hier, ist kein Bleistiftspitzen.« Und nach einem missbilligenden Blick: »Setzt sich der Kerl schon wieder auf das kalte Eisen, du bekommst Hämorrhoiden. Oft genug gesagt.«
Mit keinem Wort tadelte er Johannes’ Kunstpause.
Während Stacho mit der Ausbauarbeit begann – viele Vorarbeiten waren nötig: Bühnenlöcher mussten gebrummt, der Stoß am Hangenden nachgebrochen werden –, rangierten Josef und Johannes einen Teckel aus dem Wechsel und fuhren zu der Stelle, die ihnen Stacho beschrieben hatte. Die Kappschiene war dringend nötig, es musste schnell gehen.
Beim Laden der Schiene verwünschte Johannes erstmals, dass er seine Handschuhe nicht mitgenommen hatte, denn er schürfte sich beide Handrücken blutig. Kießling besah den Schaden, grunzte, spuckte auf die aufgerissene Hand, arbeitete weiter.
Der beladene Teckel rollte vor ihnen her, und weil die Schienenführung zum Ort ein wenig Gefälle hatte, fasste Josef mit einer Hand den Oberrand, während Johannes, beide Lampen tragend, hinterherlief.
Und da, es waren ungefähr noch zehn Meter zum höheren Streckenteil, erzitterte das Gebirge erneut. Ein heftiger Schlag, lauter und ausladender als der vorige. Hinter ihnen brach eine Kappschiene wie eine Holzsparre, und sofort regneten durch den aufgerissenen Verzug Steine und Kohlenbrocken. Es begann fast lautlos, wie Sand durch die gespreizten Finger, und als nach wenigen Minuten der böse Zauber vorbei war, lag in der Bahn ein Haufen, der einen Tonnenwagen wohl gefüllt hätte.
Johannes saß zusammengekauert im Hangendenstoß, in den er unmittelbar nach dem Knall geflüchtet war; Josef hockte zwischen den Schienen und lauschte in das Gebirge: »Kruzitürken! Wenn wir da drunter gewesen wären!«
Josef entriss Johannes eine Lampe und lief etliche Schritte zurück, um das Ausgelaufene und den Aufbruch in der Firste eingehend zu untersuchen. Johannes folgte ängstlich. Josef sah die Angst in seines Nebenmannes Augen. »Na komm schon, du Jammerlappen, lassen wir’s eben liegen, wird schon jemand kommen und aufräumen – wahrscheinlich wir.«
Stacho, der den dumpfen Schlag als ein feines Vibrieren bis ins Ort gespürt hatte, kam ihnen entgegengelaufen; auch er besah die Firste.
»Verspätete Weihnachtsbescherung.«
Mit einer Spitze stocherte der Alte eine Weile in der Firste herum, ein neuer Niederfall kam Gott sei Dank nicht. Beruhigt, den Teckel vorherschiebend, stapften alle drei zum Ort.
»Wir lassen den Zimmet liegen, Heinisch muss ja gleich kommen, der kann sich ausquatschen, was geschehen soll.« Sie begannen mit dem Ausbau. Die Kappschiene war bald vorgepfettet, Stacho und Josef erstiegen eine Fahrte, jeder an einer anderen Seite, und von diesem erhöhten Stand aus verzogen sie die Firste mit Knüppeln, Spitzen und Altholz. Das notwendige Material reichte Johannes von der Sohle aus zu. Johannes’ Eifer war überflüssig, viele seiner Handgriffe und Wege nicht notwendig.
Schweigend, konzentriert lief die Arbeit, Worte nur dann, wenn eine Anordnung unumgänglich war: Knüppel – zwei Stück – Altholz – Knüppel – Donnerwetter! Pass auf! Stege her – wird es bald! Spitzen her! Beeilung! Verdammt! Gib ein Rundholz!
So floh eine Stunde dahin. Arbeit für den Berg, Arbeit für die Sicherheit. Die Luftlampe sang, der Dynamo heulte, sie hatten sich an all diesen Lärm mit den Jahren gewöhnt. Stacho stieg von der Fahrte, wischte den Schweiß ab und blickte in die Strecke zurück. »Aha, unser Steiger kommt, wird allmählich Zeit, alter Herr. Aha, jetzt beguckt er sich den russischen Salat.« Johannes wandte sich um. Das aufblitzende Licht des Steigers, dessen Gestalt unsichtbar blieb, irrte an jener Stelle ziellos, wo sie vor gut einer Stunde der Firstauslauf bedroht hatte. Heinisch blieb ungewöhnlich lange an der gefährdeten Firste, und sein Licht zuckte durch die Dunkelheit.
»Wird sich nicht klar, der alte Herr. Na, was ist? Ah, er kommt!« Da war das Rollen wieder. Der Berg schlug heftiger, mit den beiden voraufgegangenen Schlägen nicht vergleichbar, ein Gebirgsschlag von solcher Lautstärke und Wucht, dass noch Brocken vom nicht ausgekohlten Flöz vor Ort abschälten und zur Sohle klatschten. Einer Brandung gleich wallte der Luftdruck durch die Strecke – hin und zurück –, und es war, als habe ein Schießhauer eine überbemessene Ladung zur Explosion gebracht.
Josef fiel vor Schreck von der Fahrte, muss weh getan haben. Er rieb sich sein Gesäß und jammerte.
Dann standen die drei Ortsleute wie Säulen und stierten in die sich verdichtende Schwärze der Strecke. Das Licht des Steigers sahen sie noch, es irrte aber nicht wie vorher auf und ab, es stand.
»Dem wird doch nichts passiert sein? Das fehlte noch.« Im Sprechen hastete Stacho fort, die andern hinterher. Als sie ankamen, kroch Heinisch prustend aus dem geringen Firstniederfall hervor, fluchte und beachtete die andern nicht, er befühlte nur, als er wieder auf den Beinen stand, seine Glieder. Als er merkte, dass ihm nichts passiert war, schnarrte er: »Glück auf.«
»Auf-auf-auf.« Das vorgestellte »Glück« verschluckten sie; das ist Kumpel-Art.
»Ganz schöner Schlag das«, murrte Heinisch, »hätte mir beinahe in die Hosen gemacht. Junge, Junge, eine Detonation, hui.«
»Schon dreimal hintereinander dasselbe«, murrte Stacho, und auch er besah nun den bruchähnlichen Niederfall. Wie Kinder, die Niegesehenes erblicken, glotzten sie zur Firste, und die Ortsleute warteten ungeduldig, aber ergeben, auf die Anweisungen des Steigers. Der stocherte mit seinem Handstock in den Steinbrocken und schwieg.
»Soll der Mist liegen bleiben?«, fragte Stacho.
»Was? Hattest du was gesagt? – Ach so, ja. Was machen?