Max von der Grün · Stellenweise Glatteis
Max von der Grün – Werkausgabe Band IV
Herausgegeben von Günther Butkus
Max von der Grün
Stellenweise Glatteis
Roman
Mit weiteren Texten
von Max von der Grün
und einem Nachwort
von Stephan Reinhardt
PENDRAGON
Wir danken für die Förderung dieses Projektes
der Kunststiftung NRW
Unsere Bücher im Internet:
www.pendragon.de
Veröffentlicht im Pendragon Verlag
Günther Butkus, Bielefeld 2009
© by Pendragon Verlag Bielefeld 2009
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Eike Birck, Martine Legrand-Stork
Umschlag & Herstellung: Uta Zeißler (www.muito.de)
Gesetzt aus der Adobe Garamond
ISBN: 978-3-86532-123-7
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Stellenweise Glatteis
Stephan Reinhardt, »Arbeit – was das war …«
Max von der Grün, »Dortmund«
Max von der Grün, »Arbeit – was das war und was das ist«
Ein Interview mit Max von der Grün
Nachwort von Stephan Reinhardt
Editorische Notiz
Stellenweise Glatteis
Die Invaliden fanden das Mädchen auf dem Weg.
Das halb nackte Mädchen lag mit dem Gesicht im nassen Laub. Es war die zehnjährige Tochter des Bauunternehmers Schöller aus dem Stadtteil Eving. Der Wald, in dem das Mädchen gefunden wurde, ist ein dreihundert Hektar großer Mischwald, in ihm gehen die Invaliden, die nichts mehr zu tun haben, spazieren. Täglich zwei Stunden, wenn es das Wetter erlaubt.
Die Invaliden umstanden das tote Mädchen. Heinrich Wittbräucke war auf die Straße gelaufen. Er hielt einen Autofahrer an, der die Polizei verständigte. Zehn Minuten später traf sie ein und drängte die Invaliden zurück.
Heinrich Wittbräucke sagte: Dieses Schwein … So ein Schwein … Wenn sie das Schwein finden, der das gemacht hat, dann nicht vor Gericht. Erst Schwanz abschneiden, dann den Kopf abhacken.
Die Invaliden blieben abseits stehen, bis die Mordkommission eintraf. Sie husteten aus ihren Betonlungen.
Über Dortmund lag smogartiges Wetter.
Als man das Mädchen des Bauunternehmers Schöller in einem Krankenwagen abtransportiert hatte, gingen die Invaliden in die Kneipe »Zum Gildenhof«. Sie stellten sich an die Theke und bestellten Bier und Schnaps, sie erzählten von ihrer Begegnung, als hätten sie einen Sack Gold gefunden. Am Abend sprachen alle davon, dass der Italiener Angelo Pinola, Arbeiter in der Drahtzieherei der Hoesch-Werke und ebenfalls Stammgast im Gildenhof, der Mörder sein solle. Angelo Pinola wohnte über den Garagen des Bauunternehmers Schöller mit zwei anderen Italienern in einem Zimmer. Angelo wurde, so erzählten die Leute, mehrfach mit Renate Schöller gesehen. Er hatte oft mit dem Mädchen gespielt und war mit ihm spazieren gegangen.
In seiner Freizeit arbeitet Angelo Pinola für den Bauunternehmer Schöller. Er fährt stundenweise einen Lastwagen, transportiert Kies, Sand, Steine. Dieser Nebenverdienst bringt Angelo so viel ein, dass er dem Bauunternehmer Schöller die hundertfünfzig Mark Miete bezahlen kann und noch ein paar Mark übrig behält.
Am Abend wurde Angelo Pinola an seinem Arbeitsplatz im Werk verhaftet, und der Gildenwirt ließ keinen Italiener mehr in seine Kneipe. Zu den Gästen sagte er: Wenn ihr so einen Spaghettifresser seht, dann schmeißt ihn die Treppe runter. Der Schreiner Wölbert und der Dachdecker Meermann, zwei seiner Stammgäste, stellten sich an den Eingang. Kein Italiener ließ sich an diesem Abend in der Kneipe sehen. Als der Wirt die letzten Gäste entließ, sagte er: Ist doch klar. Der Angelo war es. Wenn er es nicht gewesen wäre, dann hätte sich heute mindestens ein Spaghettifresser sehen lassen.
Etwa so hat man es mir am Sonntagvormittag auf der Straße erzählt. Die Leute wussten, dass ich seit Jahren mit Angelo befreundet bin. Ich ging mittags in die Gildenstube zum Frühschoppen. Ich stellte mich an den Tresen, trank und hörte zu, was die anderen erzählten. Sie wollten meine Meinung hören, und als ich nur mit den Schultern zuckte, sprachen sie nicht mehr mit mir. Der Dachdecker Meermann sagte: Der Maiwald ist auch so einer, der hält zu den Itakern.
Ich trank mein Bier und sah dem Wirt zu, wie er Gläser spülte. Aber als ich Meermann noch einmal sagen hörte: Der Maiwald ist auch so einer, nahm ich mein halb volles Glas, stellte mich vor ihn und fragte: Was meinst du damit. Er lachte.
Da schüttete ich ihm das Bier ins Gesicht.
Hinter mir sagte jemand: Das war richtig so. Die meisten aber sahen mich feindselig an, der Wirt verschwand in die Küche, wie immer, wenn in der Kneipe Streit aufzog oder wenn es galt, für jemanden Partei zu ergreifen. Meermann wischte sich erst mit dem Handrücken und dann mit einem Taschentuch das Bier aus dem Gesicht und von der Jacke. Er sagte: Ich lass den Anzug reinigen. Aber die Reinigung bezahlst du.
Vor der Kneipe unterhalb der Treppe begegnete mir Martin Voigt. Martin ist Junggeselle, dreißig Jahre alt. Er betreibt gemeinsam mit seinem Vater einen Biervertrieb. Getränkevertrieb Voigt und Sohn war ein Begriff in unserer Stadt. Martin steht oft mit mir am Tresen und ist an allem interessiert, was mit Sport zu tun hat.
Karl, den Angelo hat die Polizei wieder laufen lassen. Er war es nicht. Das steht fest, er hat ein Alibi, er war in der Fabrik, als es passierte. Sagt der Arzt, Todeszeit und so.
Wer war es denn?, fragte ich.
Weiß ich auch nicht. Angelo jedenfalls hat ein einwandfreies Alibi.
Ich fuhr nach Hause. Es sind nur zwei Kilometer, aber ich fahre die Strecke immer mit dem Wagen. Es gab Rindsrouladen mit Kartoffelbrei. Meine Frau sagte während des Essens: Der Angelo ist wieder frei. Es ist gerade im Radio in den Nachrichten durchgekommen, er hat ein Alibi, haben sie gesagt.
Ich hab es schon gehört.
Mein Gott, wer das bloß gewesen ist. Hoffentlich finden sie den Kerl. Mein Gott, so kleine Mädchen, einfach umbringen.
Ist Karin nicht da?, fragte ich.
Ist doch mit den Handballern weg, nach Schwerte.
Wir aßen schweigend weiter. Und als wir gegessen hatten, sagte Angelika: In der Straße war wieder mal was los.
Ja? Was denn?
Weil die Hunde von unserer Seite ihre Haufen in die Vorgärten auf der anderen Seite machen.
Ist nur gut, Angelika, dass wir keinen Hund haben.
Die auf der Waldseite stellen sich aber auch an, wegen so ’n bisschen Hundescheiße.
Die Straße, in der ich wohne, heißt: die Lange Straße. Dabei ist sie gar nicht so lang, etwa einen Kilometer. Sie beginnt an der Bundesstraße 54, an einer Straßenbahnhaltestelle, und verläuft gerade nach Osten bis zu den Feldern. Sie ist breit und liegt fünfhundert Meter von der Autobahn entfernt. Die Leute haben sie aufgeteilt in die Waldseite und in die Autobahnseite, in die grüne und in die schwarze Seite. Auf der Waldseite stehen die Bungalows und Villen von Direktoren, Ärzten, Rechtsanwälten, Kaufleuten, Handwerksmeistern und Fuhrunternehmern. Hinter ihren lang gestreckten Gärten beginnt der Wald, er steht unter Naturschutz.
Ich wohne auf der Autobahnseite. Sie hat kleine Einfamilienhäuser und dreistöckige Mietshäuser, sozialer Wohnungsbau. Auf meiner Seite wohnen Arbeiter und kleine Angestellte, ihre Wohnungen kosten zwischen hundertachtzig und zweihundertsechzig Mark im Monat. Die Autos auf der grünen Seite sind größer und teurer, und wenn die Frauen der grünen Seite wegfahren, nehmen sie den Zweitwagen. Die Frauen unserer Seite fahren mit der Straßenbahn.
Auch sonst gibt es Unterschiede, die aber nicht zu beweisen sind: Die grüne Seite wählt FDP, die CDU ist ihnen zu schwarz, die SPD zu rot, unsere Seite wählt SPD, und bei der letzten Landtagswahl erhielten sogar die Kommunisten hunderteinundsechzig Stimmen.
Eine ruhige Straße, eine saubere Straße. Nur wenn der Wind von Osten kommt, von der drei Kilometer entfernten Zeche und Kokerei, dann weht der Staub durch unsere Straße und es ist vor Gestank kaum auszuhalten. Staub und Gestank dringen durch die feinsten Ritzen in Fenstern und Türen. Das hält oft tagelang an. Ist es vorbei, machen die Frauen großen Hausputz und lüften stundenlang die Wohnungen.
Das Ergebnis der letzten Wahl stimmte unseren Nachbarn von der Waldseite bedenklich. Der Mann ist ein guter und auch ein gut verdienender Zahnarzt. Er sagte mir nach der Wahl damals: Na, Herr Maiwald, das Ergebnis von unserem Stadtteil schon gehört? Da entwickelt sich ja unsere Straße zu einem roten Zentrum.
Ich wusch gerade meinen Wagen, als er über die Straße auf mich zukam. Er spricht mich immer an, wenn er mich sieht. Ich frotzelte zurück: Da passen Sie nur auf, Herr Borgmann, dass die nicht an die Macht kommen, dann verdienen Sie nämlich nicht mehr Ihre zweihunderttausend Mark im Jahr.
Er wurde ärgerlich: Was ihr immer für Vorstellungen von unseren Einkommen habt. Selbst wenn ich zweihunderttausend im Jahr hätte, dann ist das doch nur Einnahme. Was glauben Sie, was unsereiner für Unkosten hat.
Ja, ich weiß, sagte ich, aber die Unkosten können Sie doch alle von der Steuer absetzen.
Herr Maiwald, Sie waren viel vernünftiger früher, als Sie noch nicht Betriebsrat gewesen sind. Jetzt gebärden Sie sich manchmal wie ein Roter.
Ach, Herr Borgmann, wen stört das. Bei uns ist doch jeder ein Roter, wenn er nur eine andere Meinung hat, das haben Sie mir selber mal gesagt. Und dann gibt es noch die anderen, von denen sagt meine Tochter immer: Die sind wie fau1e Radieschen, außen rot und innen braun.
Ihre Reifen sind auch nicht mehr die besten, sagte er.
Ich weiß, antwortete ich. Aber ich kann mir momentan keine neuen kaufen.
Ich lachte ihn an und sagte, wieder frotzelnd: Und dann, ich kann die Reifen nicht wie Sie von der Steuer absetzen. Borgmann pfiff seinem Hund.
Meine Frau, der ich von dieser Unterhaltung erzählt hatte, meinte: Wenn du so weiter machst, dann muss ich mir noch einen anderen Zahnarzt suchen. Du warst früher umgänglicher, du bist anders geworden, seitdem du Betriebsrat bist.
Hat Borgmann auch gesagt, erwiderte ich.
Du hängst dir einen Haufen Arbeit und Ärger an den Hals und kriegst dafür keine Mark mehr im Monat.
Hör auf, Angelika, leg eine andere Platte auf.
An diesem vierten Advent fuhr ich abends gegen sieben noch einmal in die Kneipe. Ich wollte Flipper spielen, aber der Automat war besetzt. Es war Angelo, der spielte. Er war allein. Ich stellte mich an den Tresen und sah auf die auf und ab und kreuz und quer rollende Kugel, auf die aufblitzenden und verlöschenden Lichter, Angelo bemerkte mich erst, als die Kugel aus dem Spiel war.
Kannst mir helfen, Karl, bin gekündigt, sagte er.
Wer hat … Fabrik?
Nein, der Schöller hat mir gekündigt, das Zimmer, fristlos.
Dieses Schwein, sagte ich.
Am anderen Ende des Tresens standen die drei Invaliden, die das Mädchen gefunden hatten. Sie husteten und krächzten.
Was soll ich machen, Angelo, ich würde dich mit zu uns nehmen, aber wir haben einfach keinen Platz, was sind dreieinhalb Zimmer. Haben sie dich wenigstens gut behandelt?
Ja, gut, Polizei. Auch Untersuchungsrichter war freundlich. Hat mir sogar Hand gegeben.
Verdammt, Schöller kann dir doch nicht einfach kündigen, sagte ich. Du warst es doch nicht.
Mit Itaker kann man alles machen, weißt du doch, habe keinen Vertrag für Miete. Ich gehe zurück in Baracke zu anderen Italienern, wo ich war vor Schöller.
Angelo, in der Kneipe hier …
Ja, ich weiß, sie glauben immer noch, dass ich die Renate … bis sie gefunden haben den Täter … Sie sagen nichts … auch nicht, dass ich gehen soll vom Flipper … Alle wollen sie spielen.
Lass mich mitspielen, sagte ich.
Dann schick Geld in Schlitz.
Wir spielten etwa eine Stunde. Wer eine Runde verlor, musste zwei Bier bezahlen.
Ich war schon bei Betriebsrat, sagte Angelo. Der hat gesagt: Ist alles in Ordnung. Betrieb hat mir doch Alibi gegeben. Betriebsrat und der Meister und der Personalchef.
Wenigstens etwas, sagte ich.
Was ist mit dir, Karl. Immer wenn ich berichte über Selbstverständliches, dann sagst du: Wenigstens etwas.
Nur eine Redensart, Angelo.
Der Wirt hinter der Theke rauchte nervös. Als ich bezahlte, nahm er mein Geld, ohne mich anzusehen, und Angelos Schein mit zwei Fingern wie etwas Giftiges. Er sagte, als wir gingen: Auf Wiedersehen, ihr beiden.
Soll ich dich nach Hause fahren?, fragte ich. Angelo überlegte kurz und nickte. Ich hielt auf dem taghell erleuchteten Platz vor den Garagen. Kaum hatte ich gehalten, stand Schöller neben meinem Wagen und schrie: Karl, der Kerl kommt mir nicht ins Haus, der soll hingehen, wo der Pfeffer wächst.
Komm, hör auf. Er will ja gar nicht zu dir, er will nur auf sein Zimmer.
Auf sein Zimmer? Noch ist das mein Eigentum.
Reg dich wieder ab, schrie nun ich, er will nur seine Sachen holen, sonst nichts.
Die kann er holen lassen. Er jedenfalls …
Pass auf, Schöller: Wenn du jetzt Zicken machst, dann hole ich die Polizei, dann holt Angelo mit Hilfe der Polizei seine Sachen aus dem Zimmer.
Schöller sah mich an. Also, fünfzehn Minuten gebe ich euch beiden, keine Minute mehr, sonst hole nämlich ich die Polizei.
Ich lief mit Angelo die Treppe hoch. Seine beiden Kollegen saßen auf ihren Betten und sahen uns an, als wir eintraten. Sie zuckten mit den Schultern, als Angelo sie etwas auf italienisch fragte.
Sie halfen uns, Koffer und Kartons voll zu packen. Durchs Fenster sah ich, wie Schöller im Hof auf und ab ging. Der sollte jetzt andere Sorgen haben, als auf Angelo zu warten, dachte ich.
Schöller sagte kein Wort; als Angelo und ich mit zwei Koffern und zwei Kartons auf den Hof zurückkamen und die Gepäckstücke in meinen Wagen luden. Erst als ich abfahren wollte und Angelo sich neben mich gesetzt hatte, stellte sich Schöller neben das heruntergerollte Fenster. Er sagte zu mir: Ich kann das meiner Frau nicht zumuten, Karl, das musst du verstehen.
Ich fuhr ab.
In der Baracke wiesen ihm die Italiener wortlos ein Bett zu. Brauchst du mich noch, fragte ich.
Nein, kannst wieder fahren, antwortete er.
Danke hätte er wenigstens sagen können, dachte ich. An der Straßenbahnhaltestelle sah ich meine Tochter warten. Ich nahm sie mit.
Kommst du zufällig vorbei?, fragte sie.
Nein.
Wir haben vierzehn zu dreizehn gewonnen. Die Männer haben verloren, die haben auch gespielt.
Ich dachte an Schöller.
Was ist? Hast du Ärger? Mit Mutter?
Nein. Der Schöller hat Angelo aus dem Zimmer geworfen. Ich habe ihn in die Baracke gebracht.
Ist doch besser so, Vater. Der Schöller hat den Angelo nur ausgenützt. Drei Mann in einem Zimmer, jeder musste hundertfünfzig Mark zahlen. Und der Angelo hat für ihn gefahren und gefahren für die lumpige Miete. Der Schöller soll sich jetzt einen anderen Dummen suchen.
Baracke ist auch nichts, antwortete ich ihr. Vier Mann auf einem Zimmer und ein Spirituskocher und für zwanzig Mann eine Dusche.
Als wir zu Hause waren, zündete meine Frau die vierte Adventskerze an.
Ich beobachtete meine Frau heimlich. Sie war einmal ein burschikoses Mädchen gewesen und hatte von einer Karriere geträumt. Aber sie wurde nur Lehrling in einem Elektrogeschäft, und nach der Arbeit ließ sie sich in Stenographie und Schreibmaschine ausbilden in einer Abendschule, dann wurde sie Tippmädchen, dann Sekretärin, und ein paar Jahre nach unserer Heirat nahm sie eine Stelle im Konsum an, in der Warenausgabe, weil sie da besser verdiente. Die Karriere meiner Frau war schon zu Ende, noch ehe sie überhaupt begonnen hatte.
Ich musste solange mit am Tisch im Wohnzimmer sitzen, bis die vierte Kerze abgebrannt war.
Vor zwanzig Jahren hatte ich nur einen Wunsch: Heiraten, gut verdienen, mich um nichts kümmern, nach oben kommen und sonst in Ruhe gelassen werden. Ich fuhr Lastwagen in mehreren Firmen. Auch bei Schöller war ich ein halbes Jahr, bis ich ihm wegen irgendeiner Sache die Autoschlüssel vor die Füße warf. Ich landete schließlich bei der Firma Maßmann AG, Industriegase, Sauerstoff, Stickstoff, die im Bundesgebiet zwanzig Niederlassungen hat. Mir wurde ein Dreißigtonner zugewiesen. Ich fuhr mit meinem Tankzug bis nach Saarbrücken und Basel. Ich verdiente gut mit Überstunden, ich arbeitete bis über dreihundert Stunden im Monat, ich erhielt die besten Ferntouren, ich war zuverlässig. Oft war ich drei, vier Tage nicht zu Hause, und ich weiß heute, dass Angelika mich mit anderen Männern aus ihrem Betrieb betrogen hat.
Am Monatsletzten hatte ich immer wenigstens dreißig bis vierzig Stunden mehr in der Lohntüte als andere Fahrer.
Dann musste ich einmal ein Vierteljahr krankfeiern. Ich bekam es plötzlich mit der Bandscheibe, und als ich wieder fuhr, wurden mir Fahrten zugeteilt, nicht über hundert Kilometer. Ich verdiente dadurch bis zu zweihundert Mark weniger im Monat. Dann aber begann das Unglück.
Wegen der Kunststoffsitze in den Lastwagen bekam ich einen Abszess nach dem anderen. Besonders im Sommer bei großer Hitze. Nur um nicht wieder zum Arzt zu müssen, schnitt ich mir die Geschwüre zu Hause im Badezimmer mit einer Rasierklinge selbst auf, und mit Hilfe zweier Spiegel. Der Arzt hätte mich sonst wieder krank geschrieben, ich hätte wieder krankfeiern müssen, ich hätte wieder schlechtere Fahrten mit weniger Stunden machen müssen und damit weniger verdient. Womöglich wäre ich sogar auf dem Hof gelandet. Als Platzarbeiter ist man der letzte Dreck.
Nach einem Jahr erhielt ich wieder Fernfahrten, ich konnte wieder Überstunden machen und war in der Lage, meinen Wagen zu bezahlen, den ich mir auf Wechsel gekauft hatte. Ich genoss wieder das Vertrauen der Firma. Der Direktor sagte mir: Wissen Sie, Maiwald, jeder kann mal krank werden. Aber was der Mensch taugt, das sieht man erst, wenn er nach dem Krankfeiern die Zähne zusammenbeißt, trotzdem sagt und weitermacht.
Ich biss die Zähne zusammen.
Seine Worte taten mir gut. Und doch wurde ich eine gewisse Angst nicht los. Ja, ich hatte Angst. Niemand wusste, nicht einmal Angelika, dass ich mir mit einer Rasierklinge die Geschwüre selbst aufschnitt, um am nächsten Morgen wieder ohne Schmerzen fahren zu können, und ich hatte Angst, die Bandscheibe könnte sich wieder melden. Der Arzt hatte mir einen Rückfall angedeutet. Ich fuhr Tag für Tag und Nacht für Nacht meinen Tankzug und zerbiss mir die Zähne vor Schmerzen, ich arbeitete manchmal wieder über dreihundert Stunden im Monat. Ich saß mehr hinterm Steuer als ich zu Haus war, und zu diesem Zeitpunkt war ich überzeugt, dass meine Frau sich einen anderen Mann fürs Bett gesucht hatte, ich fiel, wenn ich nach Hause kam, wie ein Toter ins Bett.
Während meine Frau zur Arbeit war, schlich sich Karin manchmal ins Schlafzimmer, setzte sich auf die Bettkante, und ich ließ sie in dem Glauben, dass ich schliefe. Einmal strich sie mir übers Haar. Ich tat so, als erwachte ich. Sie stotterte ein paar Lügen. Ich sagte: Machst du mir Kaffee?
Dann passierte die Geschichte in Gelsenkirchen.
Vielleicht war ich schuld. Vielleicht. Ich hatte an dem Tag eine Menge Tabletten geschluckt, weil mich ein nicht verheiltes Furunkel besonders schmerzte. Obwohl mir der Arzt geraten hatte, ich dürfe keine Tabletten nehmen, weil sie die Fahrtüchtigkeit und Konzentration am Steuer beeinträchtigen.
Vor Gericht wurde ich freigesprochen. Aber ich weiß heute, dass ich schuldig war. In einer schmalen Straße in Gelsenkirchen war ein Kind hinter einem parkenden Milchwagen hervorgelaufen, zwei Flaschen Milch in beiden Händen.
Ich habe das Kind totgefahren.
Ich weiß heute: Hätte ich die Tabletten nicht genommen, dann hätte ich den Lastzug zum Stehen gebracht. Mein Glück war, dass ich noch unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren war.
Im Betrieb wurden mir deswegen keine Vorwürfe gemacht. Der Direktor klopfte mir wieder auf die Schulter: Wissen Sie, Maiwald, wenn einer wie Sie bis zu dreißigtausend Kilometer im Jahr fährt, der erlebt schon was. Das ist geradezu übermenschlich. Plagen Sie sich jetzt bloß nicht mit Skrupeln. Sie können nichts dafür, warum schickt auch diese faule Frau ihr Kind über die Straße, warum ist sie nicht selber gegangen.
Ich bin ihm für seine Worte dankbar gewesen, denn zu Hause saß Angelika wochenlang da und jammerte: Stell dir vor, das wäre unsere Karin gewesen. Ich möchte mal hören, was du da sagen würdest.
Im Betrieb aber schien es doch nicht mehr dasselbe zu sein, denn ab und zu wiesen sie mir jetzt wieder Fahrten in die nähere Umgebung zu, nach Neuß und Düsseldorf, und sie holten mich manchmal sonntags, weil irgendeinem Krankenhaus der Sauerstoff ausgegangen war. Es war vorher nie vorgekommen, dass ich aus dem Bett geholt wurde. Ich konnte mich nicht weigern. Mir wurden nun allmählich immer mehr Nahfahrten zugeteilt, schließlich fuhr ich wieder nur noch im Umkreis von hundert Kilometern, und mir blieben die tariflichen zweiundvierzig Stunden.
Das war bitter.
Und als ich es nicht mehr aushalten konnte und wissen wollte, was eigentlich los sei und zum Direktor gehen wollte, um ihn zur Rede zu stellen, da kam erneut das Unglück. Wieder konnte ich nicht mehr sitzen. Diesmal waren es nicht die Furunkel, es war wieder die Bandscheibe. Ich kam für drei Wochen ins Krankenhaus.
Der Arzt hatte gesagt: Suchen Sie sich eine andere Arbeit. Wenn Sie weiter einen Lastzug fahren, dann werden Sie Ihr ganzes Leben damit zu tun haben, dann sind Sie vielleicht schon mit fünfzig Invalide.
Haben Sie für mich eine andere Arbeit, Herr Doktor?, fragte ich.
Das ist nicht meine Sache. Ich kann Ihnen als Arzt nur einen Rat geben. Zu Ihrem Nutzen. Sonst nichts.
Herr Doktor, ich bin jetzt fünfundvierzig Jahre alt, zehn Jahre bei der Firma. Erstens nimmt mich niemand mit meiner Bandscheibe und in meinem Alter, ich bin nämlich zwanzig Jahre zu alt für eine andere Arbeit. Und drittens: Ich kriege praktisch vierzehn Monatsgehälter, nämlich Gewinnausschüttung und Weihnachtsgratifikation zu meinem normalen Verdienst hinzu. Das ist für mich kein Pappenstiel.
Ich weiß, das ist hart für Sie. Ich kann Ihnen in dieser Hinsicht nicht helfen, ich kann Ihnen als Arzt nur eines sagen: Suchen Sie sich eine Arbeit, bei der Sie nicht mehr Auto fahren müssen, zumindest nicht so einen Tankzug. Ich meine es gut mit Ihnen.
Da lag ich im Krankenhaus und dachte über meine Lage nach.
Angelika besuchte mich alle Tage nach der Arbeit, Karin kam selten. Das war 1968, und meine Tochter hatte sich damals entschieden, die Schule zu verlassen, um Kindergärtnerin zu werden und auf das Abitur zu verzichten. Sie wollte in einen Kindergarten für geistig und körperlich behinderte Kinder. Ich war über Karins Entschluss wütend, aber meine Frau sagte nur: Deine Erziehung. Ich halte mich da raus.
Vom Werk hatte mich um diese Zeit keiner besucht. Einmal bekam ich eine Flasche Schnaps und drei Päckchen Zigaretten. Den Schnaps habe ich wieder verschenkt, weil ich keinen Alkohol trinken durfte. Einmal kam der Vorarbeiter vorbei, nahm sich einen Stuhl, setzte sich neben das Bett und sagte: Jaja, Karl, alles Scheiße.
Er saß eine halbe Stunde auf dem Stuhl und blätterte im »Spiegel«. Er meinte: Dass du immer so Zeug liest. Das versteht doch nur ein Studierter.
Dann ging er ohne ein Wort.
Kurz vor Weihnachten wurde ich wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Auf der Treppe war ich Angelo zum ersten Mal begegnet. Er fragte mich etwas, ich zuckte mit den Schultern, denn ich verstand nichts, er sprach noch ein miserables Deutsch, ich hörte nur: Ambulanz … ich … Ambulanz. Ich ging mit ihm den Flur entlang und fragte ihn: Krank?
Nein, sagte er, nur Spritze.
Ich wartete, bis er seine Spritze erhalten hatte, und nahm ihn mit in dem Taxi, das ich vom Pförtner rufen ließ. Angelo hatte mir verständlich gemacht, dass er in der Ausländerbaracke in der Evinger Straße am Bahnübergang wohnt. Ich bezahlte den Taxifahrer und sah mir seine Bude an. Im Zimmer saßen drei Männer auf ihren Betten und sangen leise zu einer Melodie, die aus dem Radio kam. Angelo lachte mich an und sagte: Wir in Deutschland nur arbeiten, essen, schlafen, trinken, sparen, träumen, singen.
Das waren die einzigen Worte, die er damals richtig aussprechen konnte.
Von der Baracke war ich an diesem Samstag zu Fuß zu Schöller gegangen und hatte ihn gefragt, ob er einen Italiener aufnehmen würde in das Zimmer über seinen Garagen. Er hatte erst gezögert, dann aber zugesagt. Später zogen zu Angelo in das Zimmer über den Garagen noch zwei frühere Stubenkollegen aus der Baracke. Ich weiß nicht mehr, warum ich zu Schöller gegangen bin, mit dem ich nach meiner Kündigung jahrelang kaum ein Wort gesprochen hatte. Schöller hatte gesagt: Italiener? Ich weiß nicht, man hat doch nur Ärger mit Ausländern. Aber er sagte zu.
Wenige Wochen später traf ich Schöller in der Kneipe, er ging mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und strahlte: Mensch, Karl, einen prima Kerl hast du mir ins Haus gebracht. Der Angelo ist pures Geld. Du, bring ihn doch so weit, dass er von der Fabrik weggeht, ganz zu mir.
Das aber wollte Angelo nicht.
Als ich mich nach diesen drei Wochen Krankenhaus wieder in der Firma meldete, beim Meister und Betriebsleiter, sagten sie, dass sie sich freuen würden, mich endlich wiederzusehen. Ich nickte zu ihren Worten, und der Meister fügte hinzu, es sei besser, wenn ich keinen Tankzug mehr fahre, sondern auf dem Hof bleibe. Sie wiesen mir die Fahrzeugwartung zu, denn ich bin gelernter Autoschlosser.
Finanziellen Verlust hatte ich kaum, weil ich auch da Überstunden machen musste. Ich wurde auch viel für Sonntagsarbeit eingeteilt. Das gab Aufschlag. Die Schmerzen blieben bei der Arbeit in der Werkstatt weg, und doch spürte ich, wenn ich mit meinem Wagen zur Arbeit fuhr, wie der Schmerz in meinem Rücken stach.
In unserer Firma gelten Leute, die im Fabrikhof oder auch in der Fahrzeugwartung beschäftigt sind, als Arbeiter zweiter Klasse, fast wie Strafversetzte, dabei sind sie nur krank oder nahe an der Invaliditätsgrenze. Ich war zu jung, um invalid zu sein, aber zu krank, um noch über Land fahren zu können.
Nach Wochen kreuzte ich den Weg des Direktors. Er sah mich, aber er kam nicht wie früher auf mich zu, um ein paar Worte mit mir zu sprechen, sondern nickte nur, als ich ihn grüßte. Das gab mir einen Stich, immerhin hatte ich der Firma meine Gesundheit geopfert. Vielleicht hatte er mich auch wirklich nicht erkannt.
Ich wusste damals nicht so recht, was ich machen sollte. Mich wieder um Fernfahrten bemühen und dabei riskieren, spätestens in einem Vierteljahr wieder im Krankenhaus zu landen? Oder sollte ich mich mit der Arbeit in der Werkstatt abfinden? Der Arzt hatte mir gesagt, dass jeder erneute Rückschlag die Krankheit verschlimmerte. Sollte ich also doch auf dem Hof und in der Werkstatt bleiben, wo es zwar ruhig zuging, wo man sich aber überflüssig vorkommt und wo man leicht zum Sündenbock für alle wird, weil jeder Fahrer seine Schuld auf die Wartungskräfte abwälzen konnte, wenn auf der Fahrt Defekte an den Fahrzeugen auftraten.
Ich hatte Reibereien damals, erst mit den Kollegen, dann mit dem Betriebsleiter, schließlich auch mit den Leuten im Büro, ich war mit mir so unzufrieden, dass ich allen dafür die Schuld gab. Ich entschied mich dann doch für die Werkstatt, man gewöhnt sich an alles.
Als die vierte Adventskerze abgebrannt war, verließ Angelika die Wohnung. Wie meist abends, ging sie für eine Stunde zu ihrer Freundin. Frau Beuster von der Waldseite ist eine attraktive Frau, sie hat in eine Apotheke geheiratet. Meine Frau hat nie Anschluss an die Frauen hier in unserem Haus gesucht. Sie glaubt wahrscheinlich, wenn sie auf die Waldseite geht, etwas Besseres zu sein. Soll sie es glauben.
Ich lag auf der Couch und döste vor mich hin. Ich überlegte, ob ich nicht noch einmal in den Gildenhof fahren sollte, aber nach dem Vorfall mit Angelo war mir die Lust vergangen. Ich ging zu Karin ins Zimmer. Sie hörte Schallplatten und sagte: Hast du Langeweile?
Nein, ich bin nur so unlustig.
Also doch Langeweile, sagte sie und stand auf.
Vielleicht gehe ich noch in die Kneipe.
Ja, Vater, geh in die Kneipe, ist das beste für dich.
Wie meinst du das?
Ich meine, du gehst zu viel in die Kneipe. Das ist doch verlorene Zeit. Oder?
Ich weiß. Aber wo soll man sonst hin, wenn man Bekannte treffen will.
Da klingelte es.
Machst du auf?, fragte Karin.
Wie spät ist es denn?
Spät, sagte Karin, bevor ich die Korridortür öffnete. Ich war verblüfft, als der Personalchef vor mir stand.
’N Abend, Herr Maiwald. Kann ich mal reinkommen?
Jaja, kommen Sie, Herr Stratmann. Ist was?
Ich war zu Besuch auf der anderen Seite, bei Borgmann.
Ach, Sie kennen den Zahnarzt?, fragte ich.
Sicher. Wir waren früher Nachbarn.
Stratmann setzte sich mir im Wohnzimmer gegenüber. Er sagte: Ist eine ruhige Gegend hier. Bisschen weit zur Firma, aber wenn man einen Wagen hat, ist es ein Katzensprung.
Es ist zum Aushalten, sagte ich und überlegte, was er eigentlich wollte. Wir hatten in zehn Jahren vielleicht hundert Worte gewechselt.
Ich will es kurz machen, sagte er, und lehnte den Schnaps ab, den ich ihm anbot. Was ich zu sagen habe, das ist ein Angebot.
Ein Angebot? Von wem?
Unser Werk in Stuttgart braucht einen Fahrdienstleiter. Die Direktion dachte an Sie.
An mich? Ja, aber …
Sehen Sie, Herr Maiwald, fahren können Sie nicht mehr, wegen Ihres Bandscheibenschadens, und Sie sind viel zu gut dafür, bei uns dauernd in der Fahrzeugwartung zu arbeiten. Der Vorschlag kommt nicht von mir, er kommt von der Hauptverwaltung in Düsseldorf. Verstehen Sie?
Was soll ich in Stuttgart. Ich bin hier zu Hause.
Ich weiß. Aber ein Mensch ist dort zu Hause, wo er seine Arbeit und sein Auskommen hat. Sie werden Vorarbeiter, und im Vertrag ist vorgesehen, dass Sie später auch Meister werden, wenn der dortige in Pension geht. Das ist in vier Jahren.
Kommt ein bisschen plötzlich, Herr Stratmann.
Sie sollen sich nicht jetzt entscheiden, Sie sollen sich das durch den Kopf gehen lassen und mit Ihrer Familie darüber sprechen. Ein Angebot. Sie sehen, dass Sie uns was wert sind.
Ich bin doch hier Betriebsrat, ich kann doch nicht …
Betriebsrat müssten Sie allerdings aufgeben, das ist klar, sagte Stratmann.
Müsste ich aufgeben … jaja … natürlich.
Stratmann stand auf.
Dann will ich nicht weiter stören. Am Sonntag will jeder für sich sein. Ich wollte es Ihnen nur sagen, weil ich gerade auf der anderen Seite zu tun hatte. Kommen Sie doch nach Weihnachten oder Neujahr in mein Büro, da sprechen wir weiter, ich meine, die Einzelheiten und so. Aber nur wenn Sie wollen, wir wollen niemanden zwingen.
Er nickte mir zu, als er die Korridortüre hinter sich zuzog.
Karin stand in der Tür ihres Zimmers, sie schob ein paar Mal die Unterlippe über die Oberlippe und sagte: Lass die Finger von der Sache, Vater, die wollen dich bloß kaufen.
Kaufen? Was gibt es an mir schon zu kaufen.
Du bist ihnen unbequem geworden. Du machst ihnen Ärger. Sie wollen dich los sein.
Ich ging in ihr Zimmer und setzte mich auf die Bettkante. Wie meinst du das?, fragte ich.
Sie wollen dich los sein, weil du als Betriebsrat auf den Tisch haust, du klärst deine Kollegen zu sehr auf.
Ich musste lachen. Hast du eine Ahnung, Karin, die lassen sich doch gar nicht aufklären.
Du schaffst Unruhe. Glaub mir, Vater, sie wollen dich los sein und die beste Methode, einen loszuwerden, ist, dass man ihn befördert … Entlassen können sie dich nicht, dann also nach dieser Methode.
Hör auf, Karin, du hast Flausen im Kopf. Das kommt nur, weil du dauernd in diesen Juso-Kreisen verkehrst, die sind ja so misstrauisch.
Überleg es dir, sagte Karin. Ich bleibe jedenfalls hier, ich mache meine Ausbildung zu Ende. Ich will nicht von Dortmund weg.
Mutter wahrscheinlich auch nicht, sagte ich, dann gibt es für uns schon nichts mehr zu überlegen.
Mutter? Die geht hin, wo du hin willst. Hauptsache, du wirst Meister.
Ich fuhr doch noch in die Kneipe, wenn es auch schon spät geworden war. Es waren nicht mehr viel Gäste da. Am Flipper spielten zwei, die ich nicht kannte. Nur der Tresen stand voll, aus der Musikbox sangen die Humphrysingers »Going down to the Jordan«, der Wirt hatte an der Wand hinter dem Tresen einen neuen Spruch angebracht: Trinker leben nur halb so lange, dafür aber sehen sie alles doppelt.
Erst als mir der Wirt ein Bier auf die Theke gestellt hatte, bemerkte ich, dass ich zwischen Schöller und Martin Voigt stand. Wenn ich auch seit mehr als sechs Jahren im Gildenhof verkehre, so kannte ich die meisten Gäste doch nur beim Vornamen.
Schöller sagte zu mir: Karl, das mit Angelo …
Ich will davon nichts mehr hören. Und als ich es gesagt hatte, erschrak ich. Schöllers Tochter war von einem umgebracht worden, den man bis jetzt nicht kannte, und er ließ sich am Tresen volllaufen. In der Zeitung stand, dass das Mädchen zur Beisetzung freigegeben worden war.
Als habe Schöller meine Gedanken erraten, sagte er plötzlich: Weißt du, Karl, man muss einfach raus. Zu Hause kann man es nicht aushalten. Da sitzen die Weiber und flennen sich gegenseitig was vor. Das Geschäft geht schließlich weiter.
Vielleicht tat ich Schöller Unrecht und man kann bei solchen Ereignissen nur in eine Kneipe gehen und so tun, als sei nichts passiert.
Der Flipper war frei geworden. Komm, Karl, wir spielen ein paar Runden, sagte Martin.
Martin verlor. Er ärgerte sich. Nach einer Stunde ging ich wieder. Vor der Haustüre begegnete ich Angelika.
Na, fragte ich, Besuch schon zu Ende?
Meine Frau fragte zurück: Na, hat die Kneipe schon dicht gemacht?
Nein, noch nicht, sagte ich.
In der Küche erzählte ich ihr vom Besuch Stratmanns. Sie war plötzlich aufgeregt. Nach Stuttgart? Und du sollst Meister werden? Mein Gott, Karl, wer hätte das gedacht. In deinem Alter. Du nimmst doch an. Meinetwegen können wir gleich morgen umziehen.
Ich weiß noch nicht, sagte ich.
Aber Karl, so was kann man doch nicht ausschlagen.
Willst du bis an dein Lebensende in der Werkstatt bleiben?
Bis ans Lebensende nicht, nur bis zur Pensionierung, Angelika, nicht länger.
Am Montagvormittag wurde ich in die Direktion bestellt, weil ich vor Monaten einen Verbesserungsvorschlag eingereicht hatte. Ich hatte ein Gestell entworfen, mit dessen Hilfe sich die schweren Reifen an den Tankzügen leichter wechseln ließen. Im Vorzimmer wies mir die Sekretärin einen Sessel an, sie wurde zum Direktor gerufen, ich musste warten. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte und ich allein war, setzte ich mich auf einen Stuhl, der neben ihrem Schreibtisch stand. Es dauerte und dauerte, und ich sah mich auf ihrem Schreibtisch um. Auf ihrem Schreibtisch stand ein halbrunder Gegenstand, so groß wie ein halbierter Fußball, die Rundung war weiß, die flache Seite schwarz, ich dachte, es wäre ein Radio. Das Ding interessierte mich, ich spielte daran herum und drückte zufällig auf einen weißen Knopf.
Es war ein Lautsprecher oder so etwas Ähnliches, denn ich hörte plötzlich, wie zwei Männer sich unterhielten. Ich erkannte die Stimmen, sie gehörten zwei Fahrern, die gerade von einer Nachttour zurückgekommen waren. Den Geräuschen nach mussten sie sich im Fahrerlager unterhalten.
Wie aber war das möglich? Jedes Wort der beiden, das sie in tausend Meter Entfernung sprachen, war klar zu verstehen. Das grenzte an Zauberei. Wie war das möglich?
Ich verstand jedes Wort so deutlich, als ob sie vor mir stünden. Sie redeten über ihre Fahrt, über das Wetter, über den Straßenzustand, dass sie dort und dort geparkt hatten über drei Stunden, und Franz Weigel sprach lang und breit darüber, wie man den Fahrtenschreiber so frisiert, dass keiner die Fahrt genau kontrollieren kann. Mein Gott, dachte ich, wenn das einem Unberufenen zu Ohren kommt. Nicht auszudenken, was mit Franz passieren könnte.
Plötzlich wurde mir klar: Im Werk musste etwas installiert sein, mit dem jedes Wort, das an irgendeiner Stelle im Werk gesprochen wird, mitgehört werden kann. Vielleicht nicht nur hier in diesem Büro. Sogar Flüstern war deutlich zu hören.
Die Sekretärin – an der Tür hatte ich den Namen Schindler gelesen – kam wieder und bat mich einzutreten. Das Gespräch mit dem Direktor war kurz, er sagte, dass mein Vorschlag gut sei, dass er fünf solcher Gestelle in Auftrag geben werde, und man habe ausgerechnet, dass das für einen Lastzug eine Arbeitsersparnis von fast einer halben Stunde bringe. Er habe schon Anweisung gegeben, mir die hundert Mark auszubezahlen, die jedem zustehen, der einen Verbesserungsvorschlag einreicht, der auch realisiert wird.
Ich dankte, die hundert Mark waren mir recht.
Ich ging über den Hof. Ich hielt meine Augen offen, ich sah mich genau um, denn irgendwo mussten Mikrofone versteckt sein. Ich war plötzlich überzeugt davon, dass irgendwo Mikrofone versteckt waren. Der Gedanke war zwar absurd, aber anders ließen sich die Stimmen aus dem kugelförmigen Gegenstand nicht erklären. Und wie kommt dieses halbrunde Ding auf den Schreibtisch der Sekretärin?
So sehr ich mich auch umsah, ich bemerkte nichts.
Franz Weigel und Willi Rahner, die ich im Vorzimmer auf geisterhafte Weise hatte sprechen hören, saßen vor ihren Spinden im Umkleideraum. Sie hörten in dem Moment mit der Unterhaltung auf, als sie mich eintreten sahen.
Warum sprecht ihr nicht weiter?, fragte ich.
Franz sagte verlegen: Seit einem Vierteljahr ist bei uns hier der Teufel los, alles wird hintertragen, man traut sich schon nicht mehr, das Maul aufzumachen.
Was? Seit einem Vierteljahr?, fragte ich.
So ungefähr, sagte Rahner. Sag bloß, du weißt nichts davon.
Er sah mich dabei eigenartig von der Seite an.
Ich folgte Franz über den Hof, und mitten auf dem Hof sagte ich: Franz, ich muss dir was sagen. Vor einer halben Stunde war ich im Direktionsvorzimmer, da habe ich zufällig deine Unterhaltung mit Willi gehört, aus einem halbrunden Ding hab ich es gehört, wie du gesagt hast, dass du den Fahrtenschreiber so frisieren kannst, dass die Kontrolleure nichts davon merken. Soll ich dir noch mehr von eurer Unterhaltung erzählen?
Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben, dass es nicht nur eine Redensart ist, wenn gesagt wird: Ihm fielen die Kinnladen herunter. Franz fielen sie herunter, seine Augen wurden größer.
Du spinnst, sagte er leise.
Es ist so, wie ich dir gesagt habe, Franz.
Ja, aber … Karl … das würde bedeuten, dass …
Genau, Franz, das bedeutet, dass im Werk eine Anlage sein muss …
Aber Karl, das ist doch unmöglich, so was kann doch nicht verborgen bleiben, so was kann man nicht einbauen im Betrieb, ohne dass wenigstens einer was merkt. Und wenn es einer weiß, dann wissen es bald alle. Du weißt doch selber, wie das ist. Nein, Karl, unmöglich.
Es muss so was wie eine Abhöranlage sein, sagte ich. Ich werde es herausbekommen, das garantiere ich dir.
Ich ging ins Betriebsratsbüro. Fritz Kollmann empfing mich mit den Worten: Na, hast dir die hundert Mark abgeholt? Die können wir gleich versaufen.
Nein, antwortete ich, davon will ich mir ein Haus bauen … Sag mal, Fritz, eine dumme Frage: Haben wir im Werk versteckte Mikrofone?
Was haben wir? Er stand auf. Karl, du spinnst.
Ja, so kann man es auch nennen. Ich habe eben von Franz Weigel gehört, dass seit ungefähr einem Vierteljahr nach oben hin alles bekannt wird, was wir im Werk untereinander sprechen. Davon habe ich zum Beispiel überhaupt nichts gewusst.
Ja, Karl, es stimmt. Einige haben sogar dich in Verdacht.
Mich? Ja, um Gottes willen, was sollte ich denn für einen Grund haben. Ich komme alle zehn Jahre mal zum Direktor.
Man meinte, dass du dann vielleicht wieder Fahrten kriegst und besser verdienst.
Kollmann, das ist ja unglaublich. Ich? Schau an, die lieben Arbeitskollegen … so lernt man sie kennen. So Fritz, und jetzt pass auf, was ich dir erzähle. Setz dich erst mal, sonst haut dich das vielleicht um.
Kollmann setzte sich überrascht, sprang aber sofort wieder auf, als ich die Sache im Vorzimmer erzählt hatte. Er war erregt, lief durch das Büro, knetete seine Hände und blieb vor mir stehen.
Karl … das gibt es nicht … das ist einfach verrückt … Warte mal, vor einem Vierteljahr wurde doch die Gegensprechanlage bei uns eingebaut. Die wollten wir doch … oder?
Die Gegensprechanlage? Ja, dachte ich, die Gegensprechanlage.
Mensch, Fritz, das könnte die Lösung sein, muss es sein. In dem Büro hier ist keine Gegensprechanlage, aber im Sitzungszimmer, wo wir Betriebsräte unsere Sitzungen abhalten, da wurde eine eingebaut.
Kollmann sagte: Nein, Karl, das gibt es nicht, das darf es einfach nicht geben.
Fritz, es ist wahr, was ich dir erzählt habe, so wahr, wie ich hier vor dir stehe. Was die uns eingebaut haben, das ist keine Gegensprechanlage, das ist eine Abhöranlage. Verstehst du. Die können mithören, auch wenn keiner von uns den Knopf zum Mithören drückt. Fritz, das ist verboten. Das ist ungeheuerlich. Hast du das begriffen? So, jetzt sag du, was wir jetzt machen.
Wir können nichts beweisen, Karl. Was man nicht beweisen kann, das existiert nicht. Wir können doch über die Anlage gegensprechen. Beweis mal das Gegenteil.
Das können wir, ja. Aber Fritz, bin ich kein Beweis?
Deine Aussage? Ja. Willst du die Kündigung riskieren, wenn du das, was du sagst, nicht beweisen kannst?
Wieso denn das nun wieder. Wir sind doch im Recht, nicht die da oben, ganz gleich, wer das ist.
Karl, ich glaube dir ja, wenn du es sagst. Aber was ist, wenn sie die Anlage so schalten können, dass sie in dem Moment, wo wir den Beweis antreten wollen, wirklich eine Gegensprechanlage ist. Dann sitzt du in der Patsche, dann hast du Beschuldigungen ausgesprochen, die nicht beweisbar sind. Dafür können sie dich an die frische Luft setzen.
Fritz, fahr in die Stadt, such unseren Sachbearbeiter oder Rechtsberater bei der IG Chemie auf, erzähl ihm alles und erkundige dich, was da zu machen ist.
Was kann der mir schon sagen. Der sagt mir dasselbe, was ich dir eben auch gesagt habe: Ohne Beweis ist alles Scheiß.
Ich war wütend. Erregt stand ich einige Sekunden vor ihm, schließlich sagte ich: Dann nehme ich die Sache allein in die Hand. Fritz, ich habe sogar einen persönlichen Grund, denn ich werde verdächtigt, dass ich derjenige bin, der nach oben hinterträgt, was im Werk gesprochen wird.
Karl, mach keine Dummheiten, rief Kollmann und lief hinter mir her.
Bei Schichtende begegnete mir Franz, der noch mal ins Werk gekommen war, am Tor.
Karl, entschuldige, ich habe dich auch verdächtigt, entschuldige …
Schwamm drüber, sagte ich. Aber jetzt muss was unternommen werden.
Ja, wenn das stimmt, was du vermutest, dann muss was unternommen werden. Ich helfe dir.
Ich war bei Kollmann. Ich hab ihm alles erzählt, er will Beweise.
Karl, der Kollmann ist ein Arschloch, der riskiert nichts. Er will bis an sein Lebensende Betriebsratsvorsitzender bleiben.
Wir müssen eine Sitzung einberufen, sagte ich.
Hör auf, Karl, die anderen nicken doch nur dazu, was Kollmann für richtig hält. Du bist doch lange genug im Betrieb, du musst das doch wissen.
Ich weiß nur, Franz, dass ich heute deine Stimme aus dem weißen Ding gehört habe und dass was unternommen werden muss. Aber was? Wir waren auf dem Parkplatz angekommen.
Wir müssen es der Belegschaft sagen, was hier gespielt wird, sagte Franz.
Ja. Aber Kollmann hat schon Recht, mir fehlt der Beweis, und was ich weiß, das kann ich nicht beweisen.
Als ich in meine Straße einfuhr, sah ich vor dem Haus des Zahnarztes Borgmann einige Menschen stehen. Ich parkte meinen Wagen. Borgmann, der mich bemerkt hatte, überquerte die Straße und rief mir zu: Herr Maiwald, was sagen Sie dazu. Die Leute machen das mit Absicht. Die haben ihre Hunde so abgerichtet, dass sie nur auf meinem Rasen ihre Haufen ablegen.
Aber das ist doch keine Absicht, Herr Borgmann, das kann schon mal passieren.
Eine junge Frau rief: Es war mein Hund. Herr Borgmann hat doch selber einen Hund, der weiß doch, wie das ist. Herr Maiwald, Sie müssen da mal was unternehmen, dass die Leute auf der Waldseite sich nicht so aufführen, die denken, weil sie Geld haben, können sie sich alles erlauben. Sie sind doch in der Partei, Sie gelten doch was.
Aber, aber, versuchte ich zu beruhigen, hier tut doch keiner dem andern was.
Die Situation war mir peinlich geworden, ich ging ins Haus. Karin, die vom Fenster aus alles beobachtet hatte, sagte zu mir in der Küche: Halte dich da raus, die Leute sind nun mal so.
Karin, die Leute sind verrückt, wegen so einem Hundehaufen so ein Trara.
Schön ist es wirklich nicht, überall, wo man hintritt, tritt man in Hundescheiße.
Karin wärmte mir das Essen vom Vortag auf. Sie zog ihre Stiefel an.
Musst du noch weg?, fragte ich.
Ich hab noch Kursus … Was bin ich froh, wenn ich mein eigenes Geld verdiene.
Dir macht doch keiner einen Vorwurf.
Hättest heute Morgen Mutter mal hören sollen. Hat sich aufgeregt, weil ich mir neue Stiefel gekauft habe.
Musst das nicht so ernst nehmen … Kommt sie heute wieder später?
Natürlich, sie macht wieder Überstunden, weißt doch, wie das in den Wochen vor Weihnachten ist.
Hast du noch ein paar Minuten Zeit? Ich muss dir was erzählen.
Wenn du mir den Wagen gibst, Vater.
Kannst ihn haben.
Ich erzählte Karin, was ich im Werk durch Zufall entdeckt hatte. Ihr Staunen war wie das derjenigen, denen ich bisher davon erzählt hatte. Auch ihre Kinnladen rutschten tiefer.
So ist das, sagte ich zum Schluss. Was soll ich machen? Karin, warum machen die das nur? Aus so was kann man doch keinen Profit schlagen, das ist doch idiotisch.
Ich sah meine Tochter zum ersten Mal rauchen, sie sagte: Wenn die nicht ein bestimmtes Interesse daran hätten, dann würden sie so was nicht machen. Je mehr sie von euch erfahren, desto fester haben sie euch in der Hand.
Als sie gehen wollte, fragte ich sie noch einmal: Was soll ich machen?
Ich weiß auch nichts, Vater … Denk mal über die im Vorzimmer nach … Wie heißt sie … ja … Schindler.
Wer im Vorzimmer sitzt, hält dicht.
An die würde ich mich halten, sagte Karin noch einmal.
Karin, du liest zu viel Kriminalromane.
Kriminell ist das auf jeden Fall, Vater. Tschüss, bis heute Abend.
Als ich mit dem Essen fertig war, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, spazieren zu gehen, ich war noch immer erregt über das, was ich im Betrieb entdeckt hatte.
Ich ging die Lange Straße hinunter zu den Feldern. Der Schnee, der über Nacht gefallen war, war abgetaut. Bauer müsste man sein, dachte ich. Als ich wieder ruhiger geworden war, ging ich in meine Straße zurück.
Das erste Haus auf der Waldseite gehört dem Schreinermeister Wölbert, das zweite einem Frauenarzt, der seine Praxis in der Innenstadt hat und sich über die Bordsteinschwalben entrüstet, obwohl sie seine besten Kunden sind. Im dritten Haus wohnt ein Rechtsanwalt, auch er hat seine Praxis in der Innenstadt, im vierten ein Bezirksdirektor der Allianz-Versicherungen, im fünften der Chefingenieur einer großen Maschinenfabrik, im sechsten … im siebenten … Die Häuser auf der Waldseite gehören denen, die drin wohnen, auf der schwarzen Seite bezahlt man Miete. Man kann schon unzufrieden werden, wenn man täglich diese Bungalows und Villen vor Augen hat und sich vorstellt, dass die auf der grünen Seite Zimmer haben, so groß wie unsere gesamte Wohnung, und Gärten, halb so groß wie ein Fußballplatz. Man könnte unzufrieden werden, wenn man nicht wüsste, dass es in anderen Vororten schlimmer ist, besonders in den Hochhäusern, wo sich die Menschen so fremd sind und erschrecken, wenn sie gegrüßt werden.
Vor der Haustüre fing mich Borgmann ab.
Ich wollte zur Klärung nur sagen, Herr Maiwald, ich habe mich nicht aufgeregt. Ich habe den Hund nur verjagt. Da fing die Frau gleich an zu kreischen.
Herr Borgmann, was soll’s.
Wollen Sie nicht auf einen Sprung reinkommen?, fragte er.
Ich war sprachlos, aber ich folgte ihm in sein Haus.
Sein Wohnzimmer war so groß wie unsere gesamte Wohnung.
Er schenkte mir Schnaps ein. Der Sessel, in dem ich saß, verschluckte mich.
Nach dem dritten Schnaps erzählte mir Borgmann, wie schwer er es früher gehabt habe.
Glauben Sie mir, Herr Maiwald, Erfolg fällt einem nicht in den Schoß, man muss schon was tun. Die Leute auf Ihrer Seite denken nicht daran, dass man auch hart arbeiten muss. Als ich meine Praxis aufmachte, habe ich mir fünfzigtausend Mark geliehen. Meine Frau machte Sprechstundenhilfe. Ich konnte mir niemanden leisten.
Fünfzehn Jahre habe ich geschuftet wie ein Müllkipper, bis ich aus dem Dreck war und mir das Haus hier bauen konnte. Ich habe es immer noch nicht ganz abbezahlt, liegt noch eine Hypothek drauf.
Dieser Borgmann war sympathischer, als ich dachte. Wissen Sie, Herr Maiwald, man muss sich durchschlagen. Ich habe mich durchgesetzt. Ich habe deswegen keinen umgebracht, aber ich habe es geschafft.
Nach dem siebenten oder achten Schnaps sagte ich: Ja, Sie haben es geschafft … Ich habe auch mein Auskommen, und meine Tochter wird Kindergärtnerin.