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Thomas R. Köhler

Der programmierte Mensch

Thomas R. Köhler

Der programmierte Mensch

Wie uns Internet und Smartphone manipulieren

 

 

 

 

 

 

 

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  Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
  Thomas R. Köhler
  Der programmierte Mensch
  Wie uns Internet und Smartphone manipulieren
  F.A.Z.-Institut für Management-,
  Markt- und Medieninformationen GmbH
  Mainzer Landstraße 199
  60326 Frankfurt am Main
  Geschäftsführung: Volker Sach und Dr. André Hülsbömer
  Frankfurt am Main 2012
  ISBN 978-3-89981-522-1
  Bookshop und weitere Leseproben unter:
  www.fazbuch.de
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Copyright F.A.Z.-Institut für
  Management-,
  Markt- und Medieninformationen GmbH
  60326 Frankfurt am Main
Umschlag Anja Desch
Satz Wolfgang Barus
Titelbild © thinkstock
  Alle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

Einleitung

Immer online – Immer in Kontakt

Der „Supercomputer“ in der Tasche – Mein Smartphone

Tablets – Es kommt doch auf die Größe an

TV – Der vierte Schirm

I          Was bisher geschah – Die Neuerfindung unseres Lebens

1.   Lebenszeichen vom PC

2.   Die Arbeitswelt im Zeichen des Technologiewandels

3.   Unsere Lebenswelt im Zeichen des Technologiewandels

4.   Und die „Leiche im Keller“…

II         Wie uns Internet und Smartphone manipulieren

1.   Digitale Eingeborene – Gibt es sie?

2.   Die Do-it-yourself-Gesellschaft

3.   Das Märchen vom Multitasking

4.   Die Änderung der Lesegewohnheiten

5.   Die Verschriftlichung der Kommunikation und die Folgen

III        Unsichtbare Fesseln – Dem Manipulationspotential von Internet und Smartphone auf der Spur

1.   Was uns motiviert

2.   Mein innerer Schweinehund und ich

3.   Der Schubs in die „richtige“ Richtung?

4.   Permanente Kontrolle – Die Vermessung des Selbst

5.   Auf dem Weg zur Selbstvermessung

IV       Sich messen mit den Besten – Die Quantified-Self-Bewegung

1.   „Da gibt es eine App für …“ – Quantified Self vor dem Durchbruch

V         Das Leben ist ein Spiel

1.   Der Spieleboom: Gründe – Fakten – Folgen

2.   Warum Spielen gut ist

3.   Warum Spielen schlecht ist

VI       Gamification

1.   Die wesentlichen Elemente von Gamification

2.   Nichts ist perfekt – Kritik an Gamification

VII       Programmieren oder programmiert werden?

1.   Sie spielen nicht mit?

2.   Sie vermessen sich nicht?

3.   Mit guten Vorsätzen … in die Hölle

4.   Soll ich programmieren lernen?

5.   Risiken und Nebenwirkungen des neuen Zugangs zum „Ich“

6.   Auf dem Weg in die infantile Gesellschaft?

7.   Überwachungssoftware: Die elektronische Hundeleine

8.   Tendenziöse Systeme

9.   Die Macht der Standardeinstellungen

10.  Bösartige Nutzerschnittstellen

VIII     Die neuen Möglichkeiten positiv nutzen – Empfehlungen für das Onlinezeitalter

1.   Erkenne den Unterschied zum echten Leben

2.   Manipulationsstrategien erkennen und parieren

3.   Gefangen in der Endlosschleife – Ausbruchsmöglichkeiten finden

4.   Die Zukunft des „Ich“ im Onlinezeitalter

5.   Die Zukunft gehört den virtuellen Agenten

Anmerkungen

Glossar

Der Autor

Einleitung

Keine zwei Jahrzehnte nach Einführung des Mobilfunks für Privatkunden (1992) und der Verbreitung des Internets über die akademische Welt hinaus (circa 1995) hat sich unser Kommunikationsverhalten radikal gewandelt. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung sind online, längst gibt es mehr Mobilfunkanschlüsse als Staatsbürger.

Immer online, immer in Kontakt mit anderen zu sein ist längst selbstverständlich geworden. Dazu hat auch die massenhafte Verbreitung von Smartphones in den letzten Jahren beigetragen, die sich anschicken zum wichtigsten Internetzugangsgerät zu werden.

Die Folgen sind bereits heute unübersehbar: Lehrer und Dozenten beklagen verkürzte Aufmerksamkeitsspannen ihrer Schüler und Studenten, TV-Sender müssen sich damit abfinden, mit ihrem Programm immer mehr zum Hintergrundrauschen zu werden, weil die Zielgruppe parallel im Internet surft, den Facebook-Status updatet, sich per SMS oder Instant Messenger untereinander austauscht oder entzückende kleine Kälbchen auf einem virtuellen Bauernhof großzieht.

Beinahe alle Branchen sind von diesem Wandel betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Dass diese Veränderungen nicht ohne Rückwirkungen auf das menschliche Miteinander und jedes einzelne Individuum vonstattengehen, kann jeder Leser zumindest in ersten Ansätzen im eigenen Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis und vielleicht auch an sich selbst beobachten.

Kritik an dieser Entwicklung wurde und wird vielfach geäußert. Jedoch ist diese zumeist pauschalisierend und sieht eine allgemeine Verdummung als bevorstehend beziehungsweise bereits eingetreten an oder kreist um einzelne willkürlich herausgegriffene Aspekte. Sicher ist es richtig, dass die als „Auslagerung des Gedächtnisses“ erlebte Erkenntnis, dass man sich viele Dinge nicht mehr merken muss, wenn man diese online jederzeit nachschlagen kann, Veränderungen bringt. Aber letztendlich ist diese genauso müßig wie die vor Jahrzehnten eingeführte Debatte um die Auswirkungen der Einführungen des Taschenrechners auf die Kopfrechenfähigkeit.

Die derzeit geführte öffentliche Diskussion verkennt, dass die bereits absehbaren Entwicklungen noch viel weiter gehende Auswirkungen haben werden. Sie übersieht insbesondere das manipulative Potential, das in Internet und Smartphones sowie deren Anwendungen steckt.

Dabei lassen sich Ausgangslage und Rahmenbedingungen bereits heute klar erkennen. Das Problem ist dabei nicht, dass wir Dinge nachschlagen, sondern dass wir uns auf eben diese Dinge verlassen, als wäre etwa eine Suchmaschine eine neutrale Instanz mit dem Anspruch auf Objektivität der Ergebnisse. Je mehr sich neue Anwendungen zu persönlichen Assistenten entwickeln, für uns navigieren und den Alltag organisieren, umso größer wird die Gefahr, dass uns die Kontrolle über unser eigenes Leben entgleitet. Paradoxerweise gilt dies auch für diejenigen Anwender, die sich per Personal Analytics aktiv um die Vermessung der eigenen Aktivitäten kümmern, die sogenannte Quantified-Self-Bewegung. Und auch die bei Millionen Nutzern so beliebten Computerspiele sind nicht ohne Tücken, beinhalten sie doch Mechanismen, die – unter dem Schlagwort Gamification – an anderer Stelle eingesetzt, gefährliche Nebenwirkungen aufweisen können.

Je näher der Anwender mit Internetzugang und Smartphone an die digitale Welt heranrückt und je mehr er sein Leben auf Onlinedienste delegiert, umso größer sind die Risiken.

Dieses Buch schreibt – ausgehend vom Status quo – die Entwicklung fort und zeigt die Zusammenhänge sowie Wechselwirkungen zwischen den neuen Technologien und deren Rückwirkungen für das „Ich“ im Onlinezeitalter. Es identifiziert die Grenzen und beleuchtet die auf dieser Basis absehbaren Risiken und Nebenwirkungen der umfassenden Vernetzung – für heute und eine Zukunft, die näher ist, als wir es uns alle vorstellen können.

Der Leser erhält zudem eine detaillierte Anleitung für einen bewussteren Umgang mit dem eigenen „Selbst“ im Onlinezeitalter und erfährt, wie derartige Konzepte für die Steuerung und Manipulation von Dritten – etwa im Arbeitsumfeld, bei Kaufentscheidungen oder politischer Willensbildung – genutzt werden können, wie man diese Strategien erkennen und sich davor schützen kann.

image  Hier finden Sie sämtliche Links zum Buch.

Immer online – Immer in Kontakt

Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts schwappte die Internetwelle über den Rand der akademischen Welt hinaus und eroberte zunächst technikaffine Teile der Bevölkerung. „Sind Sie schon drin?“ – ein Satz aus der Werbung eines Onlinedienstes – wurde zum geflügelten Wort.

Aber das Internet ist längst keine reine Spielwiese von „Techies“ mehr: Eine Visitenkarte ohne E-Mail-Adresse ist inzwischen genauso wenig vorstellbar wie eine Firma ohne Website – das Internet ist zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft geworden. Dies beweisen inzwischen auch offizielle Statistiken: Für Deutschland liefert der „(N)Onliner Atlas“ der Initiative D21 zuverlässige Angaben über die Zahl der Onlinenutzer.1 Die repräsentative Untersuchung der Initiative D21 wurde von Infratest mit mehr als 30.000 Befragten durchgeführt: Gut drei Viertel der Bevölkerung (76,6 Prozent) sind demnach „online“. Das bedeutet jedoch auch, dass mehr als 14 Millionen Menschen hierzulande „offline“ sind und weder beruflich noch privat das Internet nutzen. Betrachtet man nur die nackten Zahlen, so muss man konstatieren, dass die Zeit der großen Reichweitezuwächse vorbei ist. Vergleicht man die Ergebnisse der Studie aus dem Jahr 2012 mit dem Vorjahr, beträgt der Zuwachs weniger als 1 Prozent. Die vielfach beklagte „Digitale Kluft“ schließt sich, wenn auch nur langsam.

Bemerkenswert ist auch, dass in der Altersklasse der 20- bis 29-Jährigen rund 3 Prozent offline bleiben. Diese Gruppe lehnt die neuen Technologien schlicht ab. Gehobene Altersklassen sind nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, wenngleich die Nutzung ansteigt: bei den über 70-Jährigen auf insgesamt 28,2 Prozent, ein Plus von 3,6 Prozent; bei den 60- bis 69-Jährigen sind demnach 60,4 Prozent online. Noch viel höher ist die Akzeptanz bei der Nutzung des Mobiltelefons. Hier hat – statistisch gesehen – jeder Deutsche längst mehr als ein Mobiltelefon. Die Bundesnetzagentur verzeichnete Ende 2011 für Deutschland 114,3 Millionen Mobilfunkanschlüsse.2

Etwas mehr als eineinhalb Jahrzehnte haben genügt, dass weite Teile der Bevölkerung ihr Kommunikationsverhalten signifikant verändert haben. Dank Internet und Mobilfunk sind wir heute immer online – immer in Kontakt.

Der „Supercomputer“ in der Tasche – Mein Smartphone

Einen wesentlichen Anteil an der Nutzung digitaler Medien hat das sogenannte Smartphone.

Im Sommer 1992, also vor etwas mehr als 20 Jahren, wurde der Mobilfunk auf Basis des weitverbreiteten GSM-Standards eingeführt. Seither hat das „Handy“, wie es im deutschsprachigen Raum genannt wird, eine beispiellose Erfolgsgeschichte erlebt. Bereits 2002 gab es weltweit mehr Mobiltelefone als Festnetzleitungen (Quelle: ITU), seit 2006 beobachtet die ITU sogar einen Rückgang bei den Anschlusszahlen im Festnetz.

Eine besondere Rolle spielt dabei die relativ junge Gattung der Smartphones. Ihre Verbreitung und Nutzung wächst rasant. Nach Angaben des IT-Branchenverbandes Bitkom (2012) wurden 2011 in Deutschland rund 12 Millionen Smartphones gekauft. Jenseits von Telefonfunktionen haben Smartphone-Nutzer die Möglichkeit, damit E-Mails zu senden und zu empfangen, weitere Internetdienste zu nutzen und – ähnlich wie am Computer – Applikationen zu installieren. Diese Programme – sogenannte Apps – erlauben die Nachrüstung aller möglichen und unmöglichen Funktionen: von der Wasserwage über Kalorienzähler oder einem Personal Fitness-Trainer bis hin zur Taschenlampe und zum Navigationssystem.

Erwähnt werden muss hier auch der Markterfolg von Apple mit dem 2007 eingeführten iPhone, von dem in den vergangenen fünf Jahren 250 Millionen Exemplare weltweit verkauft werden konnten. Seine einfache Bedienung verhalf dem Konzept des „Mobiltelefons mit Mehrwert“ und damit auch der mobilen Internetnutzung zum Durchbruch. In dessen Windschatten startete das von Google initiierte Android-Betriebssystem und wurde – dank der Unterstützung durch eine Vielzahl von Herstellern – zum Welterfolg. Rein nach Stückzahl hat es das iOS, das Betriebssystem von Apples iPhone, lange hinter sich gelassen. Weltweit wurden (nach Angaben der Marktforscher von Gartner, Mai 2012) allein in den ersten drei Monaten im Jahr 2012 mehr als 36 Millionen Geräte mit Android-Betriebssystem verkauft; das sind mehr als die Hälfte aller Smartphones. Zum Vergleich: Vom mit viel Marketingaufwand gestarteten „Windows Phone“-Betriebssystem verkauften sich im gleichen Zeitraum nur rund 1,495 Millionen Geräte – was nicht einmal 2 Prozent des Marktanteils entspricht.

Apples iOS und Googles Android dominieren auch bei den Zusatzanwendungen: den Apps. Für deren Entwickler ist die Sache klar: Je mehr Nutzer eine Plattform hat, umso besser sind die Geschäftschancen für die Vermarktung von Anwendungen. In Folge dessen entstehen mehr Apps für Apple und Android, während die anderen Plattformen darunter leiden, dass viele interessante Anwendungen nicht oder nur verspätet bereitstehen. Wenn man nun davon ausgeht, dass sich Anwender bei ihrer Kaufentscheidung auch von App-Verfügbarkeiten leiten lassen, dann wird klar, warum die beiden großen Plattformen zu Lasten der anderen weiter wachsen. Aus ökonomischer Sicht würde man von einem natürlichen Monopol (oder hier Duopol) sprechen. Ähnlich wie im Internetmarkt ziehen einige wenige große Plattformen die Mehrzahl der Nutzer an. Das beste Beispiel hierfür ist Ebay. Auktionen einstellen kann man fast überall günstiger, dennoch sind die meisten Käufer und Verkäufer auf Ebay des großen Angebots beziehungsweise der meisten Nachfrager wegen aktiv.

Die genannten Smartphone-Apps sind – neben dem mobilen Zugriff auf Internetseiten – der wesentliche Grund für die Nutzung der Geräte. Die Mehrzahl dieser Anwendungen benötigt eine Datenverbindung, um überhaupt sinnvoll funktionieren zu können. Die Folge dieser Entwicklung: Bereits Ende 2009 überholte das mobile Datenvolumen (nach „Ericsson Traffic and Market Data Report, November 2011) das Sprachvolumen. Ebenfalls bemerkenswert: 2010 war der mobile Daten-Traffic weltweit dreimal so hoch wie der gesamte Internet-Traffic im Jahr 2000 (ebenda). Im Mai 2012 waren rund 10 Prozent des globalen Internet-Traffics mobiler Traffic (Stat Counter Global Stats). In Indien ist mittlerweile mehr als die Hälfte des Internetverkehrs mobiler Traffic (ebenda).

Erstaunlich sind in diesem Zusammenhang auch die bereits feststellbaren Auswirkungen auf unser Verhalten: Fast 40 Prozent der Smartphone-Besitzer gehen online, bevor sie morgens aus dem Bett aufstehen (nach „Ericsson Traffic and Market Data Report“, November 2011). Selbst Begrenzungen im Datenvolumen, wie sie alle Mobilfunkprovider eingeführt haben, scheinen die Nutzer kaum zu schrecken. Denn auch die notorisch bandbreitenhungrige Videoplattform YouTube bekommt (nach Angaben von ABI Research) 200 Millionen Views durch mobile Endgeräte. Fest steht: Wir befinden uns mitten in einem Umbruch des Kommunikationsverhaltens. 2013 werden weltweit mehr Nutzer mobil ins Internet gehen als über fixe Leitungen (Morgan Stanley 2011). Nach Angaben von Google werden 2012 bereits 20 Prozent aller Suchanfragen von mobilen Geräten kommen (jeweils eine Verdopplung zu 2010 und 2011). Ähnlich wie es mit dem Mobiltelefon zur Gewohnheit geworden ist, überall und jederzeit telefonieren zu können, erlaubt das Smartphone Internetzugang und App-Nutzung jederzeit. Ohne – wie am PC – lange „booten“ zu müssen, kann man beinahe sofort ins Netz.

Obwohl dieser Zustand der Dauervernetzung bisher nicht mit Studien belegt werden kann, ändert sich durch diese ubiquitäre Verfügbarkeit nicht nur das Verhalten beim Aufwachen. Jede Zwangspause – etwa in Form einer Schlange an der Supermarktkasse – wird sofort zum Anlass genutzt, das Smartphone zu zücken und was – ja, was eigentlich? – damit zu machen.

Der Netzbetreiber O2 hat das Phänomen, wie die Kunden ihr Smartphone den Tag über nutzen, in einer Studie in Großbritannien untersucht:3

Aktivität Minuten
Internetsurfen 24,81
Nutzung sozialer Netzwerke 17,49
Spiele spielen 14,44
Musik hören 15,64
Telefonieren (!) 12,13
Emails schreiben/lesen 11,1
Kurznachrichten schreiben/lesen 10,2
Videos ansehen 9,39
E-Books lesen 9,3
Fotos machen 3,42
Gesamtnutzungsdauer pro Tag 128,00

Dieser „Immer-dabei“-Effekt ist eine der großen Stärken der Smartphones, legt aber gleichzeitig die Grundlage für das hohe manipulative Potential der Geräte.

Ein weiterer wesentlicher Faktor für die hohe Akzeptanz ist die überall anzutreffende bequeme und intuitiv verständliche Steuerung per Touchscreen. Von den ersten breit verfügbaren Anwendungen für intelligente Sprachsteuerung (Apple SIRI) ist dabei noch gar nicht die Rede. Aktuelle Mobiltelefone, ganz gleich ob auf Basis von Android, iOS oder Windows Phone, versprechen Hochleistung in jeder Disziplin. Sie ermöglichen Webbrowsing, Videos in HD-Qualität und bieten ganz nebenbei auch ein Navigationssystem.

Aber auch der reine Vergleich von Zahlen und Statistiken hält Erstaunliches bereit: Eine gebräuchliche Methode, um Rechnerleistungen auf Hochleistungssystemen festzustellen, ist der sogenannte „Linpack“ Benchmark. Er misst die Zahl einer pro Minute durchführbaren mathematischen Berechnung und eignet sich gut für den Vergleich von Systemen. Die Messgröße sind hier FLOPS (Floating Point Operations per Second = Gleitkommaoperationen pro Sekunde). Als das Testverfahren Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingeführt wurde war der Cray-1 mit 3,4 MFLOPS das leistungsfähigste System.4 Ein heutiges, für wenige hundert Euro erschwingliches Smartphone erreicht bereits über 200 MFLOPS5 und ist damit um ein Vielfaches leistungsfähiger als ein damals raumgroßer Rechner, der noch dazu eine Millionensumme kostete. Hinzu kommt die Speicher- und Rechenleistung im Rechenzentrum des Dienstanbieters, besser bekannt als Cloud, die als Ergänzung unseres tragbaren Superrechners fungiert. Besitzer eines iPhones der aktuellen Generation kennen zum Beispiel SIRI, den oben bereits kurz angesprochenen sprachgesteuerten Assistenten. Dessen Sprachbefehle werden zur Weiterverarbeitung in ein Apple-Rechenzentrum übertragen und dort in Echtzeit verarbeitet. Mit der simplen Frage „Was kannst Du?“ erreichen iPhone Nutzer beispielsweise das SIRI Hauptmenü, um dort gemeinsam mit SIRI Nachrichten zu versenden, Termine zu überprüfen, jemanden per Sprachbefehl anzurufen oder ganz einfach nach dem Wetter zu fragen. Fortschritte in der Spracherkennung können so laufend in das Produkt eingearbeitet werden, da eine Änderung jeweils nur im Rechenzentrum notwendig ist. Obwohl wir erst am Anfang der Entwicklung stehen, ist das Ergebnis verblüffend. SIRIs Antworten erfolgen unmittelbar, nachdem die Frage gestellt wurde.

Auch andere Anbieter wie IBM arbeiten an einer sprachgesteuerten Schnittstelle zu ihren Superrechnersystemen – genannt Watson.6 Watson versteht Sprache nicht nur akustisch, sondern inhaltlich bereits so gut, dass er in der US-Quizshow Jeopardy! gleich mehrere der erfolgreichsten menschlichen Spieler schlug, darunter einen vormaligen 74-fachen Gewinner der Show.7

Ein Smartphone macht heute bereits das Wissen der Welt zugänglich und ist unser wesentliches Werkzeug für die Organisation von Berufs- und Privatleben. In Zukunft wird es uns darüber hinaus helfen, auch neue Fragen zu beantworten. SIRI und Watson zeigen, wohin die Reise gehen wird. Das Smartphone wird zum intelligenten Helfer.

So verwundert es kaum, dass das Universalgerät Smartphone als eine Art „Schweizer Messer“ der Kommunikation zunehmend auch andere Geräte ersetzt. Die oben zitierte Studie von O2 aus Großbritannien berichtet in diesem Zusammenhang von ganz erstaunlichen Substitutionseffekten:

Mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) geben an, ihr Smartphone anstelle eines Weckers einzusetzen.

Etwas weniger als die Hälfte (46 Prozent) geben an, ihre Uhr zugunsten des Smartphones aufgegeben zu haben.

39 Prozent verwenden nur noch ihr Telefon anstelle ihres bisherigen Fotoapparats.

Ein gutes Viertel (28 Prozent) setzen das Smartphone anstelle eines Laptops ein.

Mehr als jeder Zehnte (11 Prozent) verzichtet auf die eigene Spielkonsole zugunsten des Smartphones.

Jeweils 6 Prozent geben sogar an, dass das Smartphone ihren Fernseher und das Lesen von Büchern ersetzt.

Interessanterweise zeigt die Studie von O2 keinen Rückgang der Anzahl der Telefonate oder der Telefonminuten bei den Nutzern, auch wenn dieses Ergebnis im Widerspruch zu den Ergebnissen von anderen unter vergleichbaren Vorzeichen entstandenen Studien steht. Im Wesentlichen gilt: Die neuen Anwendungen sind praktisch durchgängig zusätzliche Beschäftigungen, die belegen, dass das Mobiltelefon in Form des Smartphones eine sehr viel größere Rolle im Leben eines Nutzers spielt als bisher angenommen. Es bildet dort möglicherweise die wesentliche Medienschnittstelle. Im Vergleich behält beispielsweise der TV-Konsum bei einer reinen Betrachtung der Zeitdauer der täglichen Nutzung zwar noch die Führung, wird aber zunehmend zum „Nebenbei“-Medium.

Tablets – Es kommt doch auf die Größe an

Es wäre falsch, in einem Zeitalter, in dem der durchschnittliche Nutzer mehrere Endgeräte unterschiedlicher Bauform besitzt, die Diskussion auf Smartphones zu verkürzen. Einen besonderen Boom haben in den letzten Jahren nämlich auch Tablet PCs erlebt. Wie überdimensionale Smartphones bedient man diese ebenfalls per Touchscreen. Telefonieren ist mit den meisten dieser Geräte aber nicht oder nur mit zusätzlichen Kopfhörern möglich.

Innerhalb der Gruppe der Tablets ist Apple mit dem iPad unangefochtener Marktführer. Sowohl die Marktforscher von IDC als auch die Spezialisten von NPD Displaysearch sehen das Unternehmen mit rund zwei Dritteln des Marktanteils als klaren Marktführer.8 Damit bestimmt Apple auch die Displaygröße. Im Falle des iPads sind das unverändert 9,7 Zoll Displaydurchmesser (also 24,6 Zentimeter). Daneben gibt es aber auch Tablets im 10-Zoll-Format (unter anderem von Samsung, Medion oder Lenovo), 7-Zoll-Format (Blackberry Playbook, Amazon Kindle Fire et cetera) und kleinere Formate im Bereich von 5-Zoll-Displaygröße (Samsung Galaxy Note). Interessant ist aber hier weniger der Marktanteil oder das Betriebssystem, sondern die Nutzung (mit Ausnahme des Blackberry Playbooks sind die meisten Geräte mit Android ausgerüstet). Hier ergeben sich erhebliche Unterschiede, wenn man etwa die Webnutzung nach Displaygröße aufgliedert, was der US-Marktforscher Comscore im Februar 2012 getan hat:9

310 Zoll: 125 Seitenaufrufe
39 Zoll: 116 Seitenaufrufe
37 Zoll: 90 Seitenaufrufe
35 Zoll: 79 Seitenaufrufe

Bei Smartphones, die typischerweise eine kleinere Bildschirmgröße als 5 Zoll haben, ist anzunehmen, dass die Seitenabrufzahl unter der von Tablets liegt, auch wenn diese nicht von der Studie erfasst wurden. Die von den Analysten ermittelten Zahlen bestätigen damit, dass der mit abnehmender Displaygröße gefühlt unangenehmer werdende Webbetrieb Auswirkungen auf die Nutzung hat. Je kleiner das Display, desto seltener die Nutzung.

In keiner bisher bekannt gewordenen Studie ist zudem die Substitution von Apps im Verhältnis zur Webnutzung berücksichtigt. Denn viele Apps ersetzen mittlerweile den Besuch einer Website: So wird ein Nutzer der Bahn-App auf seinem Smartphone wohl kaum zusätzlich die Homepage der Bahn besuchen.

Im Allgemeinen dürfte gelten: Je kleiner das Display und je kleiner entsprechend auch die Bedienelemente der Website, umso eher greift der Nutzer zur App.

Ein direkter Vergleich von Tablet oder Smartphone verbietet sich aber aus anderen Gründen. Es gibt zahlreiche Indizien, die darauf hindeuten, dass Tablets überwiegend im häuslichen Umfeld oder innerhalb des Unternehmens eingesetzt werden und nicht den gleichen Mobilitätsgrad aufweisen wie Smartphones, die vielen Besitzern sichtlich so ans Herz gewachsen sind, dass sie davon kaum ablassen können. Das US-Marktforschungsunternehmen Nielsen hat im Jahr 2011 für die Vereinigten Staaten Daten erhoben, die diese These stützen. Demnach erfolgen – zeitlich betrachtet – mehr als 50 Prozent der Nutzung von Tablets parallel zum Fernsehkonsum oder im Bett.

Interessant ist auch die Frage nach den bevorzugten Anwendungen. Nielsen hat Tabletanwender nach deren Nutzungsgewohnheiten befragt.10 Die Befragten – allesamt iPad-Anwender – gaben an, dass das Gerät überwiegend für Medienkonsum genutzt würde, mit Ausnahme von gelegentlicher Nutzung für das Abrufen und selten auch für das Beantworten von E-Mails. Selbst für das Onlineshopping bevorzugten die meisten Befragten den PC, aufgrund der einfacheren Nutzbarkeit. Dieser Befund deckt sich mit Beobachtungen des Autors „in der freien Wildbahn“. Auch Anwender, die ein Tablet im Unternehmenseinsatz verwenden, nutzen es weniger als Ersatz für ein Notebook, sondern praktisch ausschließlich zu konsumtiven Zwecken. Diese These lässt sich jederzeit in einem beliebigen ICE oder einer Flughafenlounge eigener Wahl nachprüfen.

TV – Der vierte Schirm

Bisher spielt das TV-Gerät eine untergeordnete Rolle als Zugangsweg zum Internet. Nach dem Boom bei Flachbild-TV-Geräten der letzten Jahre und immer weniger wahrgenommenen Unterschieden in der Bildqualität forcieren die Hersteller nun vernetzte Geräte. Nicht wenige Anbieter ermöglichen es, Apps zu installieren, um auf bestimmte Informationen zugreifen zu können, andere erlauben Webbrowsing, das Ansehen von YouTube-Videos oder den Abruf von E-Mails. Aber wer liest schon E-Mails auf dem Fernseher im Wohnzimmer? Wer möchte schon mit der TV-Fernbedienung Webadressen mühsam eintippen?

Allen Beteuerungen der Hersteller zum Trotz sind Internet und Apps auf dem Fernsehgerät bisher ein Flop. Auch die Standardisierungsbemühungen der Industrie zur HbbTV-Plattform sehen bisher nicht nach Erfolg aus. Fraglich bleibt auch, ob etwa der GoogleTV-Ansatz, der in der ersten Runde gescheitert war, in der Neuauflage mit Industriepartnern wie Sony erfolgreicher wird.

Nicht vergessen werden sollte bei der Betrachtung, dass sich insbesondere Spielkonsolen für TV-Geräte wie die Xbox als Internetzugangsgerät eignen und zunehmend mit entsprechenden Funktionen ausgestattet werden. Neben der Vernetzung der Spieler, von der später noch die Rede sein wird, werden Spielkonsolen auch schon mal umgewidmet und dienen als PC-Ersatz zum Surfen im Netz und zum Zugang in Soziale Netzwerke und Co.

Eine Cisco-Studie (vgl. S. 22 ff.) sieht jedoch voraus, dass bis 2016 der Anteil des privaten Internetverkehrs, der von Fernsehgeräten verursacht wird, bei nur 6 Prozent liegen wird. Über den Datenverkehr von mit TV-Geräten verbunden Konsolen macht die Studie jedoch keine separaten Angaben.

Tatsächlich boomt aber – den schwachen Erwartungen zum Trotz – die Internetnutzung beim Fernsehen. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich beim Blick in ein Wohnzimmer technikaffiner Konsumenten schnell auf. TV wird immer mehr zum Begleitmedium, währenddessen man per Tablet-PC oder Notebook auf Webseiten surft, Onlinespiele spielt oder seinen Facebook-Status aktualisiert.

Wie weit diese Doppelnutzung bereits verbreitet ist, zeigt ein Bericht des E-Marketer aus 2012. Demnach konsumiert der durchschnittliche erwachsene US-Bürger mehr als 11 Stunden Medieninhalte jeden Tag – ein Drittel davon ist der Internet- und Smartphone-Nutzung zuzuschreiben. Besonders interessant erscheint dabei der hohe Anteil an simultaner Nutzung, wie etwa die Nutzung von Tablet-PC oder Notebook während des Fernsehens. Derartiges Multitasking macht beim Gesamtmedienkonsum rund 2,4 Stunden aus.

Für Deutschland hat der Branchenspezialist Goldmedia ermittelt, dass 77 Prozent der Fernsehzuschauer vor dem laufenden TV-Gerät noch anderweitige Medien nutzen.11 Das spannende Potential liegt daher weniger im Transport von Internetinhalten auf „den großen Schirm“, sondern mehr in der intelligenten Verknüpfung der unterschiedlichen Geräte.

Die großen Drei, diejenigen Unternehmen, die unsere PC-, Online- und Smartphone-Erfahrungen dominieren – Microsoft, Google und Apple –, haben diesen Zusammenhang längst erkannt. So bietet Apple – ausgehend vom iPhone und iPad – natürlich MAC Computer an, die auf intelligente Weise mittels Cloud Services mit allem gekoppelt und synchronisiert werden können, solange es im Apple-Universum vorgesehen ist. Mit mäßigem Erfolg bietet Apple außerdem ein Zusatzgerät für den heimischen Fernseher an, mit dem sich auch einzelne Videoinhalte aus dem Netz wiedergeben lassen. Auch von einem künftigen eigenen Apple-TV-Gerät ist in der Gerüchteküche der Online-Nachrichtendienste die Rede. Von einer engen Integration in das Apple-Universum ist jedoch in jedem Falle auszugehen.

Microsoft dominiert weiterhin die PC-Umwelt und baut seine Spielekonsole zur TV-Plattform aus, während Windows 8 das Tablet-PC-Geschäft starten und bei den Smartphones endlich Erfolg haben soll.

Google bietet natürlich keine PCs. Der Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens ist neben der Suchmaschine ein bunter Strauß von Onlinediensten, gerne betrieben mit dem hauseigenen Chrome-Browser, der auch Basis für das bisher kaum Verbreitung gefundene Chrom-OS Betriebssystem ist. Mit dem Betriebssystem Android dominiert Google zusätzlich den Smartphone-Markt rein nach Stückzahlen und schlägt sich wacker bei Tablet-PCs. Den Weg auf die Bildschirme im Wohnzimmer soll schließlich GoogleTV bringen – im zweiten Anlauf … ein erster war kläglich gescheitert.

Nicht vergessen werden sollte darüber hinaus, dass auch Google zunehmend auf eigene Hardware setzt. So hat das Unternehmen mit Motorola einen eigenen Hersteller für Mobiltelefone und im Sommer 2012 einen eigenen Tablet-PC vorgestellt.

Vierter im Bunde der Systemanbieter könnte mittelfristig Amazon werden. Unter gänzlich anderen Voraussetzungen als Buchhändler gestartet, bietet das Unternehmen inzwischen nicht nur Streaming-Videodienste (Lovefilm) an, sondern baut den bisherigen E-Book-Reader (Kindle) zur Tablet-Plattform (Kindle Fire) aus. Von einem Amazon-Smartphone hat jedoch noch niemand etwas gehört.

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I     Was bisher geschah – Die Neuerfindung unseres Lebens

Der tägliche Umgang mit Internet und Smartphone ist für die meisten Menschen hierzulande längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Nicht nur Vertreter der sogenannten Internetgeneration können sich ein Leben ohne Internet und Smartphone nicht mehr vorstellen. Wir werden Zeugen und sind gleichzeitig Beteiligte einer Revolution, die eine Vielzahl von Lebensbereichen umfasst – vom täglichen Einkauf über den Alltag bis hin zur medizinischen Versorgung im Krankheitsfall. Grund genug, kurz wesentliche Entwicklungen zu skizzieren.

1.   Lebenszeichen vom PC

Die Verkäufe von Tablets versus PCs und Notebooks sprechen eine deutliche Sprache: Die Zukunft ist flach und lässt sich per Fingerberührung bedienen – nach Einschätzung der Marktforscher von IDC12 werden 2016 gut 220 Millionen Tablets verkauft werden (2011 lag die Verkaufszahl bei knapp 70 Millionen).

Sicher ist der PC damit kein Auslaufmodell – wer jemals versucht hat, einen längeren Text per Touchscreen einzugeben, weiß eine physische Tastatur mit spürbarer Rückmeldung erst richtig zu schätzen. Speziell auf Tablets abgestimmte Zusatztastaturen, die per Bluetooth angebunden werden und im Idealfall wie bei Windows 8 gleich Bestandteil einer Tablet-Hülle sind, befinden sich jedoch bereits auf dem Vormarsch. In jedem Fall gilt: Insbesondere der Medienkonsum verlagert sich zunehmend weg vom PC und hin zu Tablet oder Smartphone – nicht selten unter dem Motto „da gibt es doch eine App für …“. Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit der mobilen Endgeräte kosten den PC eindeutig die Gefolgschaft.

Die daraus resultierenden Folgen zeichnen sich bereits ab: Der Anteil des Internetdatenverkehrs, der durch PCs verursacht wird, geht zurück. Noch 2011 waren PCs für 94 Prozent des gesamten privaten Internetdatenverkehrs verantwortlich.13 Bis 2016 – so ist man sich bei Cisco sicher – wird dieser Anteil auf nur rund 18 Prozent zurückgegangen sein. Diese Entwicklung lässt sich jedoch nicht nur an der Verschiebung der Nutzung hin zu Tablet-PC und Smartphone dingfest machen, sondern wird ebenfalls dadurch getrieben, dass man erwartet, dass bis dahin (2015) rund 18,9 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sind, zu einem nicht unerheblichen Teil mit einer reinen Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M).

Das Ende des PCs oder vielleicht eher seine Reduktion auf eine kleine Nische werden wir am ehesten mit der Weiterentwicklung und breiten Akzeptanz von Sprach- und Gestensteuerung bis hin zu Gedankensteuerung sehen. Erst wenn die Tastatur nicht mehr benötigt wird, ist der PC, wie wir ihn kennen, am Ende.

2.   Die Arbeitswelt im Zeichen des Technologiewandels

Die Entwicklung der neuen Technologien beeinflusst aber nicht nur die junge Generation. Auch die Arbeitswelt als Ganzes steht unter dem Anpassungsdruck, eine Vielzahl von Kommunikationskanälen bedienen zu müssen. Nach Brief, Telefon und Fax sind heute E-Mail und Webanwendungen selbstverständlich. Je nach Unternehmen werden diese ergänzt von Audio- und Videokonferenzen, Mobile E-Mail, Social Media und Instant Messaging.

Eine Zusammenfassung der Computerwoche mit den wichtigsten Typen der neuen Arbeitswelt offenbart zumindest teilweise auch den Bezug zur Informationstechnologie:

Knowledge Workers sind ‚das pulsierende Herz der Wissensökonomie‘. Sie tragen, verbreiten und vermehren Wissen und fungieren als Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie arbeiten in großen Unternehmen im Angestelltenstatus, als Selbständige oder als Gründer. Sie suchen kreativ-kognitive Herausforderungen und motivieren sich stärker über intrinsische Werte, weniger über Geld.

Corporate High Flyers sind die klassischen Karrieristen, die in großen Firmen aufsteigen und sich in ihrer ganzen Identität dem Unternehmen verschreiben. Typischerweise handelt es sich um Männer mit klassischem Lebens-/Arbeitsentwurf: leistungsbereit, statushungrig, aggressiv, machtorientiert. Damit sind sie allerdings auch typische Burnout-Kandidaten. Wesentliches Merkmal ist ihre kommunikative Kompetenz: Sie ‚halten den Laden zusammen‘ und vermitteln zwischen Firmenspitze und Belegschaft. Wenn Intermediäre ihre Arbeit verweigern – das heißt in ihrem Fall: sie machen ‚Dienst nach Vorschrift‘ –, geht es mit dem Unternehmen bergab.

Kreative Downshifter fühlen sich als die gebrannten Kinder der heutigen Erwerbswelt – oft haben sie Burnout oder Boreout hinter sich. Daher legen sie großen Wert auf ihre privaten Lebenswelten. Nichtsdestoweniger sind kreative Downshifter engagiert und verlässlich, allerdings weichen sie anspruchsvollen und absorbierenden Herausforderungen gerne aus.

Loyale Störer. Als gemäßigte Revoluzzer bilden loyale Störer in jedem Unternehmen das kreative Potential innerhalb des Firmenorganismus. Typischerweise handelt es sich um soziale Menschen mit kreativen, optimistischen Ambitionen, die interne Abläufe verbessern wollen. Sie bringen neue Ideen ein, ohne damit Karriere-Ansprüche zu verbinden.

Job Hopper finden es oft schwierig, Beruf und Privatleben zu synchronisieren. Sie können ihre Talente und Neigungen schwer priorisieren. Erfolg erzielen sie eher jenseits der Arbeitswelt, oft in intensiv gelebten Hobbys, die sich nur schwer mit den Zwängen des Jobs verbinden lassen. Daher sind sie permanent auf dem Absprung.

Working Middle. Etwa 20 bis 30 Prozent aller Mitarbeiter verkörpern auch in Zukunft den Durchschnitt: Sie ‚erledigen‘ ihren Job ordentlich, sind meistens fleißig, freundlich und meckern nur wenig. Sie wollen Sicherheit, leben meistens in traditionellen Rollenmodellen und gehen gern früh in Rente.

Passivisten fungieren als Befehlsempfänger, Dulder und Status-quo-Verteidiger. Sie haben keinerlei intrinsische Motivation zu kreativen Leistungen. Sie wollen gesagt bekommen, was sie zu tun haben.

Neue Spezialisten. Vor allem im technischen Sektor und in der Forschung, aber auch bei physischen „Hardcore“-Tätigkeiten wie der Arbeit auf Ölbohr-Plattformen entwickelt sich derzeit eine neue Fraktion von Hyperspezialisten. Typischerweise sind sie projektgebundene Arbeiter, die nach Auftragserfüllung gutes Geld kassieren und serienweise mit verschiedenen Auftraggebern arbeiten.

Prekaristen: Mit Volatilität in der Arbeitsgesellschaft wächst auch der Anteil derer, die vom Absturz bedroht sind oder am Rand stehen. Bei ihnen mangelt es nicht zwingend an Ausbildung und Qualifikation, sondern nicht selten an einer „Ego-Strategie“.

Digital Bohème. Diese Avantgarde der Netzwerkwirtschaft lebt und arbeitet in bewusst offenen Netzwerken. Angestelltenverhältnisse akzeptiert sie nur selten und allenfalls vorübergehend. Die Digital Bohème arbeitet projektorientiert und organisiert sich in losen Zusammenhängen oder Bürogemeinschaften.“14

Praktisch alle aufgezeigten Typen sind mehr oder weniger direkt von der zunehmenden Vernetzung betroffen. Vergleicht man die Profile mit Beschreibungen der Vergangenheit so stellt man fest, dass eine umfassende Vernetzung zu neuen Vorstellungen von Arbeit geführt hat, in jedem Fall aber zumindest die „Knowledge Worker“ und „Digitale Bohéme“ ohne die technologischen Umwälzungen der vergangenen Jahre überhaupt nicht vorstellbar sind.

Ausbildung

Die Ausbildung – insbesondere an Universitäten – wirkt bei genauerer Betrachtung wie ein Anachronismus: Vorlesungen, Hörsäle, Textbücher, Wandtafeln. Im Prinzip hat sich seit Jahrhunderten nichts geändert, sieht man vom Einsatz von Tageslichtprojektor und Beamern einmal ab.

Seit Aufkommen des Personal Computers werden immer wieder Versuche unternommen, elektronische Werkzeuge in der Lehre zu etablieren. Allen Studien und Investitionsprogrammen zum Trotz hat sich E-Learning – jenseits von einigen Nischen – jedoch bisher nicht durchgesetzt. Angebote wie „Udacity“ stehen für eine neue Generation von interaktiven Lehrangeboten und rütteln mit bemerkenswerten Erkenntnissen die Branche auf. Udacity15 ist derzeit nicht mehr als eine offene Lernplattform mit einer Handvoll Kursen. Ins Leben gerufen wurde diese unter anderem von Prof. Sebastian Thrun, Stanford-Universität, der dem einen oder anderen Leser vielleicht als der Kopf hinter dem „selbstfahrenden“ Auto von Google bekannt ist. Die Idee hinter „Udacity“ besteht darin, akademische Top-Ausbildung allgemein zugänglich zu machen, denn diese sogenannten MOOCs (Massive Online Open Courses)16 machen es möglich, sechsstellige Studierendenzahlen je Kurs zu bedienen – verglichen mit den „wenigen“ hundert Studenten in einer Präsenzveranstaltung liegen dazwischen Welten. Interaktive Onlinekurse sollen die Ausbildung für jedermann jederzeit zugänglich machen, lediglich der Prüfungszeitraum findet im festen Zeitrahmen statt.

Dieses Ziel ist ehrenhaft, denn die Kosten für eine „herkömmliche“ Universitätsausbildung sind für viele Interessenten prohibitiv hoch. Kosten für Unterbringung, Verpflegung, Lernmaterialien und Studiengebühren summieren sich auf zigtausende Euro.

Noch problematischer ist die Situation jedoch in den USA: Selbst an staatlichen Hochschulen gehen die Studiengebühren dort in den deutlich fünfstelligen Bereich je Studienjahr.17

Besonders bemerkenswert sind deshalb nun erste Ergebnisse der Onlinekurse: Demnach gab es bei einem Kurs, der gleichzeitig an der Stanford-Universität für Präsenzstudenten angeboten wurde und auf der Lernplattform allgemein zugänglich war, überraschende Ergebnisse. Die – nach Auswertung der Prüfungsergebnisse – besten 400 Studenten stammten allesamt aus dem Onlinekurs. Der beste Studierende im Präsenzkurs in Stanford war auf Platz 411 des Bewertungsrankings.

Geht man nun von der Tatsache aus, dass Stanford als Elitehochschule mit aufwendigem Bewerbungsverfahren eine positive Selektion von Intelligenz und Leistungsbereitschaft bei seinen Studierenden erreicht hat, ist das Ergebnis umso erstaunlicher. Es zeigt, wie hoch das unausgeschöpfte Bildungspotential „da draußen“, jenseits des Campus von Stanford und anderen Elitebildungseinrichtungen ist. Allerdings muss man gar nicht in die Höhen akademischer Weihen hinaufsteigen, um von den neuen Möglichkeiten in der Ausbildung zu profitieren. Anbieter wie Codecademy, Coursera oder Khan Academy bieten eine Vielfalt interaktiver Lehr- und Lernprogramme, die allesamt die Kraft der Vernetzung nutzen. Erstaunlich oft greift dabei das Prinzip „Nutzer helfen Nutzern“. Lernen wird zur gemeinschaftlichen Erfahrung – die altbekannte Studien- oder Lerngruppe zur weltweiten Gemeinschaft.

Fraglich ist jedoch, ob sich die nun programmierten Fernstudienangebote für weite Teile der Studentenschaft tatsächlich eignen, da vermutlich nicht jeder Interessent die notwendige Selbstdisziplin aufbringen wird, ohne direkten Kontakt zu Mitstudierenden ein Studium erfolgreich zu bewältigen. Darüber hinaus fehlt bei Onlinekursen häufig die persönliche Betreuung durch einen Dozenten oder sogenannte Hiwis (Hilfswissenschaftler), die Studierenden an Universitäten in den realen Kursen beratend und unterstützend zur Seite stehen, Sprechstunden anbieten und nach den Kursen oft noch Zeit für Fragen bereitstellen.

Recruiting

Geht es um die Suche nach neuen Mitarbeitern, waren früher Zeitungsanzeigen die erste Wahl. Darin wurde zur Einreichung schriftlicher Bewerbungsunterlagen aufgefordert – samt frankiertem Rückumschlag versteht sich.

Der technologische Wandel ändert jedoch auch hier die Spielregeln: Onlineplattformen substituieren vielfach Zeitungsanzeigen. Gleichzeitig werden Bewerbungsverfahren häufig online abgewickelt. Ein einfacher Upload elektronischer Bewerbungsunterlagen genügt. Auch Assessment-Center, bei denen Bewerber auf Eignung geprüft werden, lassen sich – zumindest teilweise – online abwickeln. Geht es um die Jagd nach den „High Potentials“, welche die Führungskräfte von morgen werden sollen, oder gesuchten Fachkräften, bieten Onlinesysteme ebenfalls Chancen. Damit ist nicht nur gemeint, dass Headhunter und Recruiter bei Xing, LinkedIn und Co. aktiv auf die Suche nach geeigneten Kandidaten gehen und damit auch die erreichen können, die sich vermutlich nicht per Zeitungsanzeige ansprechen lassen, sondern es betrifft auch die Möglichkeit, mit interessanten Onlineangeboten auf das Radar potentieller Kandidaten zu kommen. So nutzt der deutsche Ingenieurdienstleister Ferchau Engineering regelmäßig Onlinewettbewerbe, in denen etwa Preise für die Entwicklung einer App ausgelobt werden, um mit möglichen Bewerbern in Kontakt zu kommen.

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Abbildung 1: Ferchau Challenge

Büroarbeit

Den Gedanken „Nutzer helfen Nutzern“ kann man auch im Geschäftsumfeld verorten. Betrachtet man die Entwicklung dessen, was man früher als Telefonanlage für Unternehmen bezeichnet hat, hin zu einer umfassenden Kommunikationslösung, die verschiedene Kommunikationskanäle von Telefon, Fax und E-Mail bis hin zu Instant Messaging und Videokommunikation umfasst (Unified Communications & Collaboration oder kurz: UC & C oder UCC), so stellt man fest, dass Ideen aus dem Umfeld privater Kommunikation auch im Unternehmen Einzug halten. Eine Erleichterung der Zusammenarbeit mit anderen steht dabei ganz oben auf der Prioritätenliste, etwa per Telefon-, Web- oder Videokonferenz oder per Instant Messaging samt Filesharing. Dem Arbeitsplatztelefon selbst kommt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle zu. In manchen Anwendungsszenarien entwickelt es sich zurück zum bloßen Handhörer am PC, der natürlich wie eine PC-Applikation gesteuert wird … Oder das Smartphone übernimmt seine Funktion. Möglicherweise ist es auch das private Smartphone, was da plötzlich in Unternehmensdiensten steht. Unter dem Stichwort „BYOD“ (Bring Your Own Device) diskutieren Fachleute, unter anderem IT-Verantwortliche in Unternehmen, wie sich private Endgeräte dort sinnvoll und sicher einsetzen lassen.

Ergänzt werden die genannten UC&C-Systeme längst von sozialer Software, beispielsweise unternehmensinternen Plattformen wie „Yammer“, die eine Art „internes Facebook“ für Geschäftszwecke bereitstellen. Auch Tablet PCs werden vielfach bereits für Unternehmensanwendungen – etwa für den schnellen Zugriff auf Geschäftsdaten – eingesetzt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Büroarbeit zunehmend Mittel und Werkzeuge einsetzt, die zuerst im privaten Umfeld populär geworden sind. Man spricht auch von „Konsumerisierung“ der Informationsverarbeitung.

3.   Unsere Lebenswelt im Zeichen des Technologiewandels

Neuerfindung des Einkaufens

Ihr lokaler Supermarkt hat bis 20 oder 22 Uhr geöffnet? Das ist zweifellos ein Fortschritt gegenüber den Gepflogenheiten früherer Jahre, bei dem das Einkaufsvergnügen montags bis freitags spätestens um 18:30 Uhr zu seinem Ende kam. Immerhin galt diese Beschränkung von 1956 bis 2003 – bundesweit – mit nur wenigen Ausnahmen.

Allein das Internet und die Onlineshops scheren sich nicht um gesetzliche Auflagen und bieten Einkaufsvergnügen rund um die Uhr, auch wenn immer wieder einmal einzelne Politiker Ladenschlusszeiten fürs Internet fordern.

Tatsächlich ist seit Erfindung des Onlineshoppings vieles über die Veränderung im Handel geschrieben worden: Gerade zu rührend muten da etwa die Versuche früherer Studien zum Thema Onlineshopping an, die versuchen, den Trend kleinzureden. So beschäftigt sich etwa die Studie „Vorteile einer Multi-Channel-Strategie: Eine nüchterne Betrachtung“ des E-Commerce-Center Handel (ECC Handel) aus dem Jahr 2002 mit den Beweggründen der Wahl des Vertriebsweges und spielte in den Ergebnissen die mögliche Bedeutung von Onlineshopping herunter:

„Beim Einkauf über das Internet dominieren der rationale Suchkauf (72,8 %) und die Schnäppchenjagd (45,6 %). Der Suchkauf ist dabei durch den Wunsch gekennzeichnet, ein bestimmtes Produkt zu erwerben. Beide Motive spielen zwar auch im stationären Handel eine Rolle, sie sind dort aber weniger stark ausgeprägt als beim Internet-Shopping.“18

Auch verweisen die Forscher hier auf eine beinahe zeitgleich durchgeführte Untersuchung der Boston Consulting Group (BCG) in sechs europäischen Ländern, nach der sich 48 Prozent aller Internetnutzer im Internet über Produkte informieren, ohne die Produkte auch online zu kaufen.

Zehn Jahre später sieht die Realität anders aus: Online werden 2012 nach Schätzungen des Handelsverband Deutschland etwa 30 Milliarden Euro umgesetzt, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei Waren des sogenannten „Non-Food“-Bereichs gehen 2012 bereits rund 14 Prozent nicht über den stationären Einzelhandel, sondern über Onlineshops an den Kunden. Bei Büchern wandert bereits jedes fünfte Exemplar über die virtuelle Ladentheke. Nicht berücksichtigt sind dabei E-Books, bei denen beinahe alle Exemplare online bereitgestellt werden.

Prognosen des Statistischen Bundesamtes gehen für 2020 daher davon aus, dass 20 Prozent des Gesamtumsatzes im Einzelhandel auf Onlineshops entfallen – über alle Warengruppen hinweg. Die Traditionsversandhändler Quelle und Neckermann gelten bereits als die ersten Opfer des Onlineshopping-Booms.

Es zeigt sich, dass die vielgerühmte Preistransparenz im Internet auch aus vormals scheinbar unbedarften Konsumenten plötzlich knallhart vergleichende Smartshopper macht. Der harte Preiswettbewerb im Internet strahlt bereits auf den stationären Handel ab.

Zu den weiteren Faktoren, die den Erfolg des Internets im Handel begünstigen, zählt die breite Auswahl. Ladenfläche ist praktisch unbegrenzt vorhanden. Während der stationäre Handel sich stets auf eine Auswahl an Artikeln beschränken muss, gehen die zusätzlichen Kosten (Grenzkosten) für die Bereitstellung eines weiteren Artikels oder einer weiteren Variante in einem Onlineshop beinahe gegen „Null“. Gut zu beobachten sind die Folgen dieses auch „Long Tail“ genannten Effekts etwa in Onlinebuchläden. Beinahe überall finden sich alle lieferbaren Bücher, während traditionelle Buchläden – selbst in den größten Filialen – nur vergleichsweise wenig Titel führen oder diese auf Anfrage erst bestellen müssen.