Foto: Ingrid von Kruse
Siegfried Lenz, 1926 im ostpreußischen Lyck geboren und 2014 in Hamburg gestorben, zählt zu den bedeutendsten und meistgelesenen Schriftstellern der Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Für seine Bücher wurde er mit vielen wichtigen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und mit dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2009. Seit 1951 veröffentlicht er alle seine Romane, Erzählungen, Essays und Bühnenwerke im Hoffmann und Campe Verlag.
Ein Höhepunkt während der Ostseewoche war noch jedesmal das Wettangeln. Der kleine Ort Thorshafen gab sich dann Mühe, festlich zu erscheinen; etliche der weinroten Häuser waren beflaggt, die beiden Kaffeestuben hatten ihren Ausschank nahe an den See verlegt, und von den kleinen Booten prahlten manche mit einem neuen Anstrich. Wettangeln: für viele von uns war es die Gelegenheit, Glück und Könnerschaft zu erproben, zu beweisen. Ich nahm durch Zufall daran teil.
Wenn Henry Weiß nicht mit seinem Rollstuhl verunglückt wäre, hätte ich nicht die nötige Teilnehmerkarte erhalten. Henry war Insasse unseres Pflegeheims; ein ehemaliger Sportlehrer, der bereits eine Meisterschaft im Turmspringen gewonnen hatte, seine Disziplin aber wegen eines Bänderrisses hatte aufgeben müssen. Jetzt war er Schiedsrichter.
An jenem Tag sah ich ihn in seinem Rollstuhl auf dem Deich näher kommen, sah auch, wie er den beschwerlichen Weg meisterte, bis er auf die Abfahrt zum See kam, eine schmale, löchrige Abfahrt, auf der er, wie es mir vorkam, nur ruckweise vorwärtskam, plötzlich aber, als hätte ihn eine stoßweise unerwartete Energie erfaßt, dem Gefälle nachgab und dicht vor dem See stürzte. Er lag unter dem Rollstuhl wie festgeklemmt. Er versuchte, sich hochzustemmen, griff und zerrte und wollte auf die Beine kommen, doch es wollte ihm nicht gleich gelingen.