LUISA FRANCIA
Tanzende Katzen,
singende Hunde, sprechende Pferde
Tiere als magische
Helferwesen
Mit 25 Zeichnungen
von Luisa Francia
Den wilden Hunden des Alentejo und meiner Katze Tiga, die mich seit vielen Jahren von der anderen Seite der Haaresbreite lehrt und begleitet, widme ich dieses Buch, das davon erzählt, wie Tiere in allen Kulturen Menschen begleiten, lehren, erfreuen und helfen – in allen Ebenen der Wirklichkeit.
Zudem widme ich dieses Buch der Göttin Artio/Artemis/Diana (Bärengöttin), Hüterin der Tiere.
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© für die Originalausgabe und das eBook:
2014 nymphenburger in der
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten.
Schutzumschlag: Wolfgang Heinzel
Schutzumschlagmotiv: picture alliance
Satz und eBook-Produktion:
Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
www.Buch-Werkstatt.de
ISBN 978-3-485-06114-8
Manchmal, wenn die Nacht im Alentejo besonders still und dunkel ist, wenn die Geräusche des Tages verklungen sind und die Menschen in ihren Träumen wandern, fangen die Hunde an zu singen. Einer stimmt das Lied an, die anderen fallen ein, nah und fern, ein großer, inniger Gesang. Sie singen von den anderen Welten, in denen sie frei und wild ein Leben ohne Menschen feiern. Und doch lieben sie die Menschen, sie suchen ihre Nähe und lassen sich füttern. In kalten Nächten werden sie ins Haus an die Feuerstelle geholt, wo sie den Erzählungen, Reibereien und Nöten der Menschen zuhören.
Die BewohnerInnen der Hundewelten nehmen das Leben durch die Nase wahr, sie riechen Angst, Ärger, Gewalt, Freude, Liebe. Sie riechen die Spuren des Lebens und machen sich gern auf, um in den vielfältigen Gerüchen Abenteuer zu finden.
INHALT
DIE WÖLFIN UND DER FISCHKÖNIG
Annäherung an die spirituelle Essenz
IN TRANCE ZUR TIERMUTTER
Reise durch die Ebenen der Wirklichkeit
DIE MÜNCHNER LÖWEN UND DIE BERLINER EISBÄREN
Von der Kraft der Tierverbündeten
KEIN MÜCKENZAUBER, KEINE SCHNECKENMAGIE
Vom Respekt für alle Wesen
GEISTERHUNDE UND KRÖNCHENNATTER
Mythische Tiere
HALB MENSCH, HALB TIER
Initiation in Tierenergie
MAGISCHE HELFERWESEN
Rituale und Tipps zur Kontaktaufnahme
Tierverbündete
VOGELFRAU – DIE ÄLTESTE VERBINDUNG
Lass nicht den Körper die Seele gefangen nehmen, nimm ihn mit in die Freiheit und den Flug der Seele.
BÄR
In Ruhe und Entschlossenheit die Lebenskraft regenerieren.
BIENE
Finde Heilung in dir selbst.
GANS
Sei wachsam, frech und lebensfroh.
SAU
Lass dich nicht täuschen. Das Unspektakuläre kann das Heilige sein.
SCHLANGE
Lerne, Altes und Verbrauchtes zurückzulassen und neu zu werden.
DELFIN
Den langen Atem finden!
WOLF/HUND
Finde neue Wege und pflege die alten.
FUCHS
Mach dich unsichtbar, indem du unauffällig und selbstverständlich wirst.
KUH
Überstürze nichts. Lass dir Zeit.
FROSCH/KRÖTE
Erkenne und hüte deinen größten Schatz.
KATZE/RAUBKATZE
Lerne Verantwortung zu übernehmen und keine Befehle zu befolgen.
RATTE
Traue niemandem. Mach dir die Grenze zwischen Leben und Tod bewusst.
ECHSE
Verbinde die verschiedenen Wirklichkeitsebenen und lerne, geschmeidig die Welten zu wechseln.
SPINNE
Lerne, deinen eigenen Faden so zu spinnen, dass er dich trägt, wenn du springst.
PFERD
Erkenne deine Kraft und lass sie dir nicht rauben.
HUHN
Lerne, Gefahren abzuwehren und in Balance zu kommen.
HIRSCHKUH
Mehr wird im Frieden geschaffen als im Krieg.
FISCH
Erkenne dein Element und suche es auf, um Kraft zu finden.
SCHILDKRÖTE
Bring Ruhe in dein Leben und schütze dich gut.
ZIEGE
Lerne, in der Kargheit zu überdauern und die Fülle nicht wichtig zu nehmen.
KRAKE
Es kann gefährlich werden, wahrgenommen, erforscht und erkannt zu sein.
DIE WÖLFIN UND DER FISCHKÖNIG
Annäherung an die spirituelle Essenz
Bei einem nächtlichen Ausflug in einen Bergwald hörte ich plötzlich Wolfsgeheul. »Hier gibt’s doch keine Wölfe!«, dachte ich. Als ich wieder diesen klagenden Wolfslaut hörte, wusste ich, dass es sich um ein schamanisches Ereignis handeln musste. Eine mythische Wölfin, die sich mit mir in Verbindung setzen will! Ich war bereit, atmete tief ein, hob die Arme, rief die mythische Wölfin und verwandelte mich …
»Was machst du denn da?«, knurrte die mythische Wölfin zornig.
»Ich verwandle mich in eine Wölfin«, antwortete ich unsicher.
»Wie das?«, fragte sie. »Du kannst keine Wölfin sein.«
»Doch, ich habe jetzt ein schamanisches Erlebnis, du bist mein Tier«, behauptete ich.
»Ich bin nicht dein Tier«, schnaubte sie. »Ich bin mein eigen.«
»Sei doch nicht so empfindlich«, sagte ich. »Nur für jetzt. Das ist für mich unheimlich wichtig. Ich brauche ein verbündetes Tier.«
»Dann hast du es jedenfalls falsch angefangen«, reagierte die Wölfin sauer. »Ich lass mich doch nicht einfach von dir einverleiben!«
»Ich wollte mir doch nur deine Kraft ausleihen«, erwiderte ich kleinlaut.
»Nur! Dann frag mich doch wenigstens!«, sagte sie.
Peinlich. Sie starrte mich an, wich meinem Blick nicht aus. Doch dann passierte es, unsere Energien verwoben sich, ich knurrte, sie lachte. Plötzlich riss sie mir drei Haare aus.
»Ich habe mich in eine Menschenfrau verwandelt«, rief sie. »Ich hab’s geschafft. Ich bin eine Wolfsschamanin.«
Mit anderen Tieren wurde ich vorsichtig. Eigentlich sah ich gar keine mehr, denn sobald sie merkten, dass ich eine schamanische Tiererfahrung suchte, wichen sie mir aus. Es kam so weit, dass nicht einmal mehr Hunde mich wahrnahmen. Dabei hatte ich zu der Zeit noch so eine Angst vor ihnen, dass sich kaum ein Hund diesen Spaß entgehen ließ.
Jedenfalls ging ich auf dem Höhepunkt meiner Tierkrise spazieren. Auf einem Hügel rechte ein Bauer das Heu zusammen. Sein Husky schoss auf mich zu – mit gefletschten Zähnen und eiskalten Augen. Kurz vor meinen Beinen blieb der Hund plötzlich stehen, fing an zu winseln und wedelte mit dem Schwanz. Völlig irritiert streichelte ich ihn, und er war, ebenso wie ich, offenbar überrascht, dass ich überhaupt keine Angst vor ihm empfunden hatte, als er so auf mich zugeschossen gekommen war.
Der Bauer schüttelte den Kopf: »Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass der Sie nicht beißt. Da hab ich dieses Jahr schon viermal die Versicherung gebraucht.«
Mein Glücksgefühl war nicht vollkommen. Was hatten die vier Versicherungsfälle, das ich nicht hatte? Warum verschmähte mich dieser Hund? Vielleicht lag es ja daran, dass diese anderen nicht SchamanInnen werden wollten?
Monatelang rief ich Tiere, las Tiergeschichten, legte mich auf die Lauer – nichts geschah. Die Einzigen, die mir treu blieben, waren die Mücken, die ich allerdings auch nicht wollte und mit einem Moskitonetz aussperrte. Ein bisschen neidisch war ich schon auf die tollen Tierbegegnungen, die meine Freundinnen zu haben schienen. Die schamanischen Durchstarterinnen präsentierten ihre Geschichten, ihre Federn, ihre Tierschädel – bei mir tat sich nichts.
Sehnsüchtig dachte ich an die Zeit, als mir in Afrika noch Geparden zum Picknick zuliefen, Elefanten ihre Rüssel an mir hoch und runter gleiten ließen und ein Adler doch tatsächlich mal einen Stein in meinen Schoß fallen ließ. Vorbei. Vorbei auch die Zeit, in der Echsen und Geckos so zutraulich waren, dass ich unbeweglich darauf warten konnte, dass sie mir über die Hand liefen. Vorbei der Traum, in dem ich eine Schlange gebar. Vorbei der Tag, an dem ich die dicke braune Erdkröte fand, die einen tiefen Ton quakte und sich tief ins Loch zurückzog. Vorbei die Nacht, in der eine Wildschweinfamilie in den italienischen Garten meiner Freundin kam und sich beim Pfirsichessen zuschauen ließ. Vorbei auch die Nacht, in der eine Eule ins Zimmer flog, sich von mir kraulen und wieder befreien ließ. Vorbei der Sommer, in dem ich den Habichtweg ging und elf Federn fand, bis mir schließlich der Habicht gegenübersaß, an einer Felswand, direkt über meinem Kopf, und ich fast abstürzte vor Schreck und Entzücken. Vorbei das Frühjahr, in dem ich in einer Bergschlucht ein Hirschgeweih mit acht Enden fand. Sogar meine Katze wich mir aus, streunte wochenlang draußen rum, ohne sich blicken zu lassen.
Mal das Bild von einem Tier, dem du begegnen willst, äffte meine Freundin mich nach. Ruf die Tiermutter, streu spirituelles Futter aus. Denk über dein Lieblingstier nach.
Nichts.
Dann fuhr ich mit meiner Tochter nach Sri Lanka. Auf einer Reise durch das Innere der Insel kamen wir auch an dem Park vorbei, in dem der uralte Elefant lebt, der bei der großen buddhistischen Zeremonie in Kandy die heiligsten Gegenstände trägt. Der Fahrer unseres Wagens drängte uns, den Elefanten zu besuchen. Wir stiegen aus und machten uns auf den Weg. Er war an einer Kette am rechten Vorderfuß angehängt und konnte nur wenige kleine Schritte tun. Gerade hatte ihm sein Wärter ein paar Baumstücke mit Blättern hingeworfen. Er hatte ein großes Holzstück mit dem Rüssel umfangen und fraß die Blätter ab. Ich stand vor ihm, nicht besonders nah und ganz sicher nicht bedrohlich und sah ihn an. Plötzlich schleuderte er das Holzstück nach mir und traf mich genau in der Magengegend, ich könnte auch sagen: am Solarplexus. Ein mir unbekannter Reflex spannte im Augenblick des Aufpralls meine Muskeln an, sodass ich mich nicht verletzte.
»Da hast du dein schamanisches Erlebnis«, sagte er und seine listigen Augen musterten mich. Er schien zu lächeln. Am Abend schaute ich den blauen Fleck auf der Haut über dem Magen an und freute mich.
Eine schamanische Reise führt mich zur spirituellen Essenz eines Tiers, einer Pflanze und vor allem auch zu meiner eigenen spirituellen Quelle. Es geht eben nicht darum, die Sensation zu erwarten, sondern achtsam wahrzunehmen, was sich mir zeigt – am besten ohne Wertung. Manchmal entsteht dadurch eine Verbindung, die vorher unmöglich schien.
Eine afrikanische Zauberin hatte mir mein »Totemtier« gesagt: die Echse. Ich hatte mich darüber gewundert, was so ein Tier denn sein soll und was ich jetzt damit anfange, da wanderte ich zum Meeresstrand, um meine Verwirrung in die frische Brise zu tragen. Es war sehr heiß in Ghana, und ich war ein wenig müde von all den Zauberformeln und Heilritualen.
Am Strand leerte ein Fischer seine Netze aus. Da lagen viele kleine Fische, die um ihr Leben zappelten. Der Fischer interessierte sich nicht für sie. Er holte sich die großen Fische heraus und wandte sich zum Gehen.
»Was ist mit den kleinen Fischen?«, fragte ich.
»Nichts«, antwortete er und ging.
Da lagen sie, silbrig und zappelnd. Verdammt. Das waren bestimmt hundert Fischlein. Ich habe zu Fischen kein besonderes Verhältnis. Weder fühle ich mich ihnen magisch verbunden, noch mag ich sie besonders gern essen. Man könnte sogar sagen, dass ich allergisch bin, denn wenn ich Fisch esse, der nicht absolut frisch ist, bekomme ich Bauchkrämpfe und muss mich übergeben.
Ich stand also ein wenig blöd rum und wusste, es musste sein, ich musste diese Fische zurück ins Meer bringen. Nur wie? Es waren bestimmt etwa hundert Meter bis zum Wasserrand und ich hatte kein Gefäß. Also zog ich meine lange Hose aus, verknotete die Hosenbeine, zupfte den Sand von jedem Fischlein und legte es ins verknotete Hosenbein.
Kinder liefen herbei und schrien vor Lachen. Ich bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, still zu sein und wegzubleiben. Dann lief ich mit der ersten Ladung zum Meer, watete hinein, schüttete die Hosenbeine aus, die Kinder liefen mir kreischend und lachend nach, schlugen Räder und so weiter. Für sie war ich offenbar eine Irre, eine Weiße, wahrscheinlich schon ein Geist. Sie blieben jedenfalls auf Abstand.
Als ich die letzte Ladung Fischlein knurrend und schwitzend ins Meer geworfen hatte und zusah, wie sie sich schüttelten und wanden und fortschwammen, berührte mich eins der Kinder, ein eher schüchternes Mädchen, und deutete auf ein Fischlein, das da noch lag. Schon näherten sich andere Kinder und wollten es töten, da stürzte ich mich zu ihrem großen Vergnügen zwischen sie und das Fischlein, hob es vorsichtig auf, wusch es im Wasser ab und warf es weit ins Meer hinein.
Es kam zurückgeschwommen und tauchte einmal kurz auf. Unsere Blicke trafen sich. Ich hatte das Gefühl, dass es sich um eine Art Fischkönig handelte, wie im Märchen. Ich winkte ihm. Dann drehte es ab und verschwand. Ich vergaß den Fischkönig bald.
Viele Jahre später reiste ich mit meiner Tochter und ihrer Freundin nach Malta. An dem Morgen, als wir von Gozo auf die Hauptinsel fahren sollten, weil unser Flug von Valetta abging, tobte ein schlimmer Sturm. Die Fähren durften nicht fahren. Statt ihrer boten Fischer ihre Boote für die Reisenden an, die Flüge erreichen mussten. Noch heute ist es mir ein Rätsel, warum ich mit den beiden Kindern in so ein Boot gestiegen bin. Das Boot war so voll, dass der Bootsrand mit der Wasserfläche auf einer Ebene war. Wir fuhren los. Jede Welle schwappte einmal über die ganze Bootsfläche – immerhin hatte ich mit den Kindern einen Platz am Rand des Bootes ergattert. Falls es sinken würde, hätten wir wenigstens die Möglichkeit zu schwimmen, was allerdings angesichts der hohen Wellen keine wirkliche Alternative war. Ich sang Lieder für die Göttin Tiamat. Als ich aufhörte, sagte ein Mann neben mir: »Singen Sie weiter, ich glaube es hilft.«
Er war Ingenieur bei Siemens.
Plötzlich tauchte ein Fisch auf. Ich dachte an das Fischlein, den Fischkönig vom Strand in Ghana. »Alles ist gut«, sagte der Fischkönig.
Und alles war gut. Tropfnass und weiß wie Leintücher standen wir bibbernd am Kai, ich warf den Rest meines Frühstücks für die Fische ins Meer und bedankte mich.
Was das mit Echsen zu tun hat? Gar nichts. Kontakte und Verbindungen sind eben auch möglich, wenn keine Zauberinnen und Schamanen sie verordnet haben.