Anmerkungen

1. Siehe die Ausführungen Rudolf Steiners hierzu am 12. Dezember 1918 in: Die soziale Grundforderung unserer Zeit, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 186, 2. Auflage Dornach 1979.

2. Di Cesare, Donatella: Das heilende Wort der Philosophie, in: Günter Figel (Hrsg.), Begegnungen mit Hans-Georg Gadamer, Stuttgart 2001, S. 131.

3. Steiner, Rudolf: Vortrag vom 12. August 1916, in: Das Rätsel des Menschen, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 170, 3. Auflage, Dornach 1992.

4. Buber, Martin: Das Dialogische Prinzip, Gerlingen 1997.

5. Habermas, Jürgen: Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften, Frankfurt a. M. 1985, S. 202.

6. Siehe hierzu insb. die Ausführungen von Sergej O. Prokofieff in: Die esoterische Bedeutung gemeinsamer geisteswissenschaftlicher Arbeit und die Zukunft der Anthroposophischen Gesellschaft, Stuttgart 2008.

7. Steiner, Rudolf: Vortrag vom 13. Februar 1923, in: Anthroposophische Gemeinschaftsbildung, Gesamtausgabe Bibl.- Nr. 257, 4. Auflage, Dornach 1989.

Rudolf Steiner Impulse

Werde ein Mensch mit Initiative
12 Wege zum Schöpferischen im Menschen

Grundlagen

1. Werde ein Mensch mit Initiative

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2701-2

epub: ISBN 978-3-7725-4101-8

2. Idee und Wirklichkeit

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2702-9

epub: ISBN 978-3-7725-4102-5

3. Der positive und der negative Mensch

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2703-6

epub: ISBN 978-3-7725-4103-2

4. Anthroposophie als persönlicher Lebensweg

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2704-3

epub: ISBN 978-3-7725-4104-9

Ressourcen

5. Die Kunst des Wartens

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2705-0

epub: ISBN 978-3-7725-4105-6

6. Okkulte Wissenschaft und Einweihung

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2706-7

epub: ISBN 978-3-7725-4106-3

7. Freiheit und Liebe

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2707-4

epub: ISBN 978-3-7725-4107-0

8. Wirken mit den Engeln

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2708-1

epub: ISBN 978-3-7725-4108-7

Perspektiven

9. Zwei Wege zu Christus

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2709-8

epub: ISBN 978-3-7725-4109-4

10. Spirituelle Erkenntnis als wirkliche Kommunion

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2710-4

epub: ISBN 978-3-7725-4110-0

11. Erwachen am anderen Menschen

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2711-1

epub: ISBN 978-3-7725-4111-7

12. Die große Karma-Übung

64 Seiten, kartoniert

print: ISBN 978-3-7725-2712-8

epub: ISBN 978-3-7725-4112-4

Erwachen am anderen Menschen

Eine Einleitung von Martin Kollewijn

In seinem Vortrag vom 27. Februar 1923 beschreibt Rudolf Steiner das «Erwachen am anderen Menschen» als Quelle einer neuen Gemeinschaftsbildung. Gehalten wurde er vor Vertretern der Anthroposophischen Gesellschaft. Diese Gesellschaft befand sich damals in einer durchaus dramatischen Lage. Das während des Ersten Weltkrieges gebaute Goetheanum, in dem die Anthroposophie künstlerische Gestalt angenommen hatte, war in der Silvesternacht 1922/23 einer Brandstiftung zum Opfer gefallen. Mit der Schilderung dieses schmerzlichen Verlustes beginnt Rudolf Steiner seinen Vortrag. Die Brandruine ist zugleich Sinnbild der Situation, in der sich die Anthroposophische Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt befand, als sie in einzelne Bewegungen und Gruppierungen auseinander zu fallen drohte. Die anthroposophische Gemeinschaftsbildung war zu einer existentiellen Frage geworden.

Als Quelle einer neuen Gemeinschaftsbildung beschreibt Rudolf Steiner das Erwachen am Geistig-Seelischen des anderen Menschen. Gewöhnlich werden wir wach an der Sinneswahrnehmung. Wenn wir schlafen, können wir durch starke Geräusche, Licht, Gerüche oder andere Sinneseindrücke geweckt werden. Wenn alle Sinneswahrnehmungen schwinden, drohen wir einzuschlafen.

Über unsere Sinneseindrücke nehmen wir auch die Naturseite anderer Menschen wahr. Um allerdings das geistig-seelische Wesen des Anderen wahrnehmen zu können, braucht es ein höheres Erwachen. Durch geistige Tätigkeit und gesteigerte Aufmerksamkeit können wir an dem im anderen Menschen gegenwärtigen Geistig-Seelischen im höheren Sinne erwachen. Dies zu üben und zu ermöglichen, ist der tiefere Sinn und die Aufgabe gemeinsamer anthroposophischer Erkenntnisarbeit. Erst das durch geistiges Erwachen erschlossene Erleben geistiger Wirklichkeit ermöglicht, die geisteswissenschaftlichen Begriffe mit Erfahrung und Realität zu füllen.

Die Wahrnehmung des Anderen vollzieht sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Hingabe und Selbstbehauptung. Begegnen sich zwei Menschen, versucht der Eine, um sich selbst zu behaupten, den Anderen quasi einzuschläfern. Lauscht man den Worten des Anderen und nimmt sein Denken wahr, verschmilzt man einen Augenblick mit ihm. Da dann aber das sinnliche Gegenstandsbewusstsein verschwindet, schläft es ein. Sogleich wehrt man sich dagegen, distanziert sich von den Gedanken des Anderen und ist wieder wach. Da man in der Vereinigung mit dem Anderen sozial, im notwendigen sich Abstoßen anti-sozial ist, und dieses Verhältnis Voraussetzung allen sozialen Lebens in der Moderne ist, nennt Rudolf Steiner dieses Pendeln das soziale Urphänomen.1

«Nur wenn ich an etwas ganz anders ganz weggegeben bin, kann ich auf mich selbst zurückkommen, d. h. meinen eigenen Schwerpunkt wiedergewinnen. Doch das ganz andere ist das Anderssein des Du. Das Weggegebensein an das Anderssein des Du ist also die Bedingung des Sich-Wiederfindens des Ich. Und dieses paradoxe Ereignis findet im Gespräche statt, wo das eigene Gleichgewicht, wenn das Ich gegen die Fremdheit des Du stößt, stets wiederhergestellt wir.»2 So beschreibt die Philosophin und Sprachwissenschaftlerin Donatella di Cesare ihre Erfahrung, die sie im persönlichen Gespräch mit ihrem Lehrer Hans-Georg Gadamer gemacht hat. Das eine Ich kann sich im gelingenden Gespräch im Anderen in einem höheren Sinne selbst finden, so wie es das andere Ich in sich aufnehmen kann. Indem etwas, das im gewöhnlichen Gespräch unbewusst bleibt, bewusst vollzogen wird, beginnt ein Erwachen am Anderen.

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