wurde 1887 in Salzburg geboren. Nach mehreren gescheiterten Versuchen brach er 1905 die Schule ab und wendete sich vermehrt seinem literarischen Schaffen zu. In diese Zeit fielen auch Trakls erste Experimente mit Drogen, von denen er sein Leben lang nicht mehr loskam. 1908 siedelte er zum Studium der Pharmazie nach Wien über und fand hier allmählich zu seinem eigenen poetischen Stil. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 pendelte Trakl in Probediensten und auf der Suche nach Anstellungen, die er meist schnell wieder aufgab, zwischen Salzburg, Wien und Innsbruck. Ab 1912 wurden seine Gedichte im »Brenner« erstveröffentlicht; außerdem kam eine Verbindung mit Karl Kraus zustande, in dessen »Fackel« er ebenfalls publizierte. Im August 1914 wurde Trakl als Militärapotheker zum Kriegsdienst eingezogen. Nach einem traumatischen Erlebnis während der Schlacht bei Grodek erlitt er zunächst einen Nervenzusammenbruch, kurze Zeit später starb er im Lazarett an einer Überdosis Kokain.
Georg Trakls lyrisches Werk besticht durch die sinnliche Kraft seiner Bilder und eine »Lyrik in Moll«. Er wird zu den bedeutendsten Frühexpressionisten deutscher Sprache gezählt. Sein hermetisches Schaffen weist jedoch weit darüber hinaus. Gebrandmarkt als Vertreter der »Décadence«, die den Verfall stilisiert anstatt eine soziale Utopie zu entwerfen, träumt er von einem neuen, »natürlichen« Menschen, von einer Erneuerung der paradiesischen Unschuld in der Gesellschaft. Charakteristisch für seine Gedichte sind Visionen von düsterer Farbenpracht und eine melodischrhythmische Sprache. Im vorliegenden Band sind die Gedichte aus den Jahren 1909 – 1914 nebst einer Einführung von Katharina Maier enthalten.
»Inzwischen habe ich den Sebastian im Traum bekommen und viel darin gelesen; ergriffen, staunend, ahnend und ratlos; denn man begreift bald, daß die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag. Ich denke mir, daß selbst der Nahestehende immer noch wie an Scheiben gepreßt diese Aussichten und Einblicke erfährt, als ein Ausgeschlossener: denn Trakl’s Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel. (Wer mag er gewesen sein?)« Rainer Maria Rilke, 1915
Rainer Maria Rilke bezieht sich hier auf Georg Trakls zweiten Gedichtband, dem posthum erschienenen Sebastian im Traum, den Trakl kurz vor seinem Tod noch selbst zusammengestellt hatte und dessen Gedichte auch im vorliegenden Band versammelt sind. ›Staunend und ergriffen‹ bleibt Rilke nach der Lektüre von Trakls Gedichten zurück, so geht es wohl auch manch anderem Leser.
»Sein Werk, aus reinster Lyrik bestehend, (...) ist von mythischer, magischer Schönheit.« Otto Basil
GEORG TRAKL
IN DEN NACHMITTAG GEFLÜSTERT
Mit einem Vorwort von
Katharina Maier
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„Der Raum im Spiegel“
Vorwort von Katharina Maier
Georg Trakl, Gedichte
1909-1911
Verfall
Melusine
St.-Peters-Friedhof
Musik im Mirabell
Das dunkle Tal
In einem alten Garten
Leuchtende Stunde
Sommersonate
Kindheitserinnerung
Jahreszeit
Im Weinland
Frauensegen
Die schöne Stadt
Der Gewitterabend
Zeitalter
Sommerdämmerung
Der Schatten
Abendlicher Reigen
Der Traum eines Nachmittags
In einem verlassenen Zimmer
Am Friedhof
Märchen
Im Mondschein
Melancholie des Abends
Heiterer Frühling
Romanze zur Nacht
Geistliches Lied
Westliche Dämmerung
Im roten Laubwerk voll Guitarren
Frühling der Seele
Seele des Lebens
1912
Die Kirche
Wintergang in a-Moll
Kleines Konzert
Träumerei am Abend
An Angela
Immer dunkler
Dezembersonett
Abendmuse
Verklärter Herbst
Im Park
De profundis
Beim jungen Wein
Beim jungen Wein
Im Winter
Die Bauern
Die Ratten
Im Herbst
Der Spaziergang
Winkel am Wald
Rondel
Winterdämmerung
Traum des Bösen
Melancholie
In den Nachmittag geflüstert
In ein altes Stammbuch
Vorstadt im Föhn
Menschliche Trauer
Psalm
Dämmerung
Verwandlung
Zu Abend mein Herz
Klagelied
1913
Delirium
Am Rand eines alten Wassers
Untergang
Helian
Ein Herbstabend
Abendlied
Nachtlied
Im Dorf
Die Raben
Die junge Magd
Allerseelen
Trübsinn
Trompeten
Menschheit
Rosenkranzlieder
An die Schwester
Nähe des Todes
Amen
In der Heimat
Drei Blicke in einen Opal
An den Knaben Elis
Elis
Die Verfluchten
Nachts
Stundenlied
Karl Kraus
Unterwegs
Kindheit
Der Herbst des Einsamen
Sonja
Entlang
Herbstseele
Afra
Sebastian im Traum
Landschaft
Ruh und Schweigen
Im Frühling
Abend in Lans
Am Mönchsberg
Hohenburg
Kaspar Hauser Lied
Winternacht
Der Wanderer
Verklärung
Die Sonne
An die Verstummten
Anif
Geburt
Geistliche Dämmerung
Ein Winterabend
Abendländisches Lied
An einen Frühverstorbenen
An Novalis
An Novalis 2a
An Novalis 2b
1914
Traum und Umnachtung
Siebengesang des Todes
Föhn
Verwandlung des Bösen
Am Moor
Frühling der Seele
Im Dunkel
Gesang des Abgeschiedenen
Passion
In Hellbrunn
In Venedig
Sommer
Jahr
Abendland
Gesang einer gefangenen Amsel
Offenbarung und Untergang
Das Gewitter
Vorhölle
Das Herz
Die Heimkehr
Die Schwermut
Sommersneige
Der Abend
Die Nacht
Der Schlaf
Klage
Nachtergebung
Im Osten
Klage
Grodek
Ein Vorwort zu Trakls Dichtung
„Inzwischen habe ich den Sebastian im Traum bekommen und viel darin gelesen; ergriffen, staunend, ahnend und ratlos; denn man begreift bald, daß die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag. Ich denke mir, daß selbst der Nahestehende immer noch wie an Scheiben gepreßt diese Aussichten und Einblicke erfährt, als ein Ausgeschlossener: denn Trakl’s Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel. (Wer mag er gewesen sein?)“ – So schreibt Rainer Maria Rilke 1915 nach seiner Lektüre von Georg Trakls zweitem Gedichtband, dem posthum erschienenen Sebastian im Traum, den Trakl nicht lange vor seinem Tod im Alter von 27 Jahren noch selbst zusammengestellt hatte. „Unbetretbar“ nennt Rilke den Raum dieser Dichtung und scheint so zu derselben Ansicht zu tendieren wie so viele nach ihm; immer noch heißt es von Trakls Werk, es sei ‚hermetisch‘, ‚dunkel‘, ‚unzugänglich‘. Aber Rilke spricht auch von Scheiben und von Spiegeln, gegen die sich der Leser presst, von der unwiderstehlichen Anziehungskraft getrieben, die diese Dichtung auf ihn ausübt; das impliziert, dass, so ‚abgeschlossen‘ Trakls Raum sein mag, doch ein Fenster existiert, durch das der Leser hineinblicken kann und aus dem ihm sowohl das Andere als auch das eigene Selbst entgegenschauen mag – ewig Getrennt, doch ewig Angesehen. Es ist eine Art Verbundenheit, die gerade durch dieses getrennte Anschauen entsteht, kein wahrhaftes Ausschließen: der Leser ahnt, staunt, wird ergriffen, so Rilke, wenn er auch letzten Endes „ratlos“ bleibt. Doch es ist eben eine ergriffene, eine staunende, eine ahnende Ratlosigkeit, welche den Blick in eine andere Wirklichkeit lenkt, die hinter dem Spiegel liegt – die wir vielleicht nicht betreten können, die uns aber etwas zeigt und erahnen lässt. Man fühlt sich fast an Paulus’ Wort vom „Spiegel in einem dunklen Wort“ erinnert, mit dem der späte Apostel die einzige Form der Erkenntnis beschreibt, die uns im diesseitigen Leben offensteht. Und Trakls Lyrik tut nicht zuletzt das: uns die Dunkelheit unserer eigenen Erkenntnisfähigkeit bewusst machen, dieses Schauen durch Spiegel über Spiegel, aus denen uns etwas grauenhaft Wunderbares und herrlich Fürchterliches entgegenblicken mag – oder, in Trakls Worten aus dem Nachtlied: „O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit. / An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe / Erscheint der Abglanz gefallener Engel.“
Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Sein Geburtsjahr fällt also in jenen engen Zeitraum, innerhalb dessen auch die Mehrheit der übrigen expressionistischen Dichter, zu denen Trakl gerechnet wird, das Licht der Welt erblickte: eine Generation von Gründervätersöhnen (und -töchtern), die zwanzig Jahre später als Bohemiens und Rebellendichter gegen literarische wie tatsächliche Väter aufbegehren, in grellen wie dunklen Farben und eruptivem Aufschrei den apokalyptischen Untergang und Neubeginn predigen und sich in den Wirren und Nachwehen des Ersten Weltkriegs hineindichten oder verlieren würden. Trakl, der schon 1914, zu Beginn des Großen Krieges und in der frühen Phase des Expressionismus, verstarb, ordnet sich in vieler Hinsicht in die Gruppe dieser Dichter ein, die in ihrer Lyrik Sprache, Selbst und Welt zerschlugen, um Neues erstehen zu lassen; und doch bleibt er eine Erscheinung für sich, die sich gegen jegliche Epochenzurechnung sperrt.
Wie viele der dem Expressionismus zugerechneten Dichter stammte auch Trakl aus einem gutbürgerlichen Milieu: Der Vater war Eisenhändler, der sich vom Kleinzum Großbürgertum hochgearbeitet hatte, ein sanfter oder vielleicht auch harter Patriarch; die Mutter sammelte kunstbegeistert Antiquitäten und überließ, mit Ausnahme der musischen Bildung, die Erziehung ihrer sechs Kinder der Gouvernante. In Trakls Lyrik, in der gewisse Bilder und Begriffe immer wieder aufgegriffen und in immer neuen Verbindungen wiederholt werden, so dass sie sich mit ihren ganz eigenen Bedeutungen aufladen, ist das Wort „Kindheit“ stets von einer Aura der Düsternis umgeben, wohl am deutlichsten in dem Prosagedicht Traum und Umnachtung: „Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt von Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im Sternengarten, oder daß er die Ratten fütterte im dämmernden Hof.“ Die Kindheit erscheint als etwas unwiederbringlich Verlorenes, aber zugleich als etwas, das nie wirklich besessen wurde. Dieses Gefühl des Verloren-Habens eines Nie-Besessenen durchwirkt Trakls Lyrik von Anfang bis zum Ende. Es bleibt keineswegs auf das Besondere der Kindheit beschränkt, sondern steigert sich zu einem Allgemeinen, das die gesamte menschliche Existenz umfasst und sowohl auf die Vergangenheit („Kindheit“) als auch auf die Zukunft („Ungeborenes“) gerichtet ist. Besonders erschütternd geschieht dies in Trakls letztem Gedicht Grodek, das die Perspektive vor dem Hintergrund des unmittelbar erfahrenen Ersten Weltkriegs von innerem Leiden hin auf die Menschheitspein lenkt: „O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre, / Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, / Die ungeborenen Enkel.“
„Der Einsame“ ist eine häufig auftretende Gestalt in Trakls Lyrik, und auch die Kindheit und Jugend des Dichters war von Einsamkeit geprägt. Innerhalb der Familie scheint er isoliert gewesen zu sein, unter seinen Schulkameraden galt der junge Trakl, der sich schon früh in existentielle, philosophische Fragen in der Nachfolge Nietzsches versenkte und Gedichte von verstörender Bildlichkeit verfasste, als Sonderling und ‚Spinner‘. Bereits zu jener Zeit erwarb sich der adoleszente Trakl in gewisser Weise den Ruf eines poète maudit, eines ‚Dichters des Bösen‘ ganz im Geiste seiner Vorbilder Baudelaire und später Verlaine und Rimbaud; wie jene experimentierte er mit Alkohol und Drogen, besuchte regelmäßig Bordelle und gab sich dem Lebensgenuss hin, um sich so im Baudelaire’schen Sinne paradis artificiels (künstliche Paradiese) zu kreieren – und letzten Endes daran zu scheitern.
Trakl scheint sich abwechselnd seiner Drogensucht selbstvergessen und lustvoll ergeben und sie verbittert verflucht zu haben; immer wieder erwähnt er in Briefen an Freunde Selbstmordabsichten, die jedoch möglicherweise ebenso Hilfeschrei wie Teil seiner Selbstinszenierung als poète maudit