Zeit für Rituale
Inspirierende Rituale für ein erfülltes Leben
Vom Wesen der Rituale
Was Rituale bewirken
Rituale schaffen Halt und Stabilität
Rituale schaffen Konzentration und Intensität
Rituale bringen uns in Verbindung
Wie Rituale wirken
Rituale wirken über alle Zugänge
Rituale wirken als Lebenstraining
Rituale wirken auf allen Ebenen
Rituale wirken über uraltes Wissen
Rituale wirken durch nachhaltiges Wiederholen
Rituale wirken über den unerklärbaren Zauber
Die grundlegenden Elemente eines Rituals
Die klare Absicht
Der geschützte Raum
Die innere Zentrierung
Der grundlegende Ablauf
Die Anbindung an eine höhere Ordnung
Die Teile des Ganzen
Die Elemente
Das Element Feuer
Das Element Wasser
Das Element Erde
Das Element Luft
Symbole
Der Kreis
Die Linie
Das Dreieck
Das Quadrat
Gesten
Das Verbinden
Das Trennen
Das Loslassen
Das Herbeiholen
Das Integrieren
Schritt für Schritt
Die Vorbereitung
Die klare Absicht
Der Ritualplatz
Die Reinigung
Die ordnende Vorbereitung
Die Gewandung
Das eigentliche Ritual
Den Raum betreten
Das Signal des Beginns
Zentrierung und Teilnahmeerklärung
Die Anrufung
Der Kernteil
Der Dank und die Verabschiedung der Kräfte
Die Zentrierung lösen
Das Signal des Endes
Den Raum verlassen
Die Nachbereitung
Würdigen, was da ist
Das Leben ist gut
Kreis des Lichts
Girlande der Lebensfülle
Das schöne Miteinander
Das unendliche Liebesfeuer
Aus ganzem Herzen geben und nehmen
Das Ende vollziehen
Loslassen, was vergangen ist
Feuerwandel
Das gekappte Band
Das Ablösen
Von der Last befreit
Das Reinemachen
Heilsames Verabschieden
Mit dem Fluss davon
Dem Himmel entgegen
Nach und nach
Kraftvolle Übergänge
Auf ins Neue
Die neue Lebensphase
Was danach kommt
Mit den Rhythmen des Jahres
Altes zurücklassen und Neues begrüßen
Frühlingsruf nach Veränderung
Blühende Wonnezeit voller Liebe und Lebensfreude
Konkret werden, wenn die Früchte reifen
Im Herbst ernten und reflektieren
In der Ruhe loslassen und bewahren
Die tägliche Kraftquelle
Den guten neuen Tag begrüßen
Der gestärkte Feierabend
Literaturempfehlungen
Danksagung
Zur Autorin
Register
Impressum
Nicht alles, was als Ritual bezeichnet wird, ist auch eins.
Kürzlich blätterte ich in einer Buchhandlung in einem Buch herum, in dem Prominente auf humorige Weise von ihren Macken und Ticks berichteten. Immer wieder gab es Stellen im Text, in denen sie diese als Ritual bezeichneten. Zunehmend finden sich auch Zeitungsnotizen darüber, dass etwas »als ein Ritual« ausgeführt wird. Der neue Showmaster besiegelt seinen Vertrag per »rituellem Handschlag«. Der erfolgreiche Manager beginnt den Tag regelmäßig mit seinem »Morgenritual« – und meint damit einfach, dass er jeden Morgen läuft. Man liest viel von Wochenendritualen und von Pflegeritualen. Vielfach fällt auch der Begriff vom Feierabendritual, bei dem es bei den meisten doch nur darum geht, die bequeme Schlabberhose anzuziehen und sich mit einem entspannenden Drink auf ihr Sofa sinken zu lassen. Sicher, ein Ritual hat etwas damit zu tun, dass eine Handlung auf gleichbleibende Weise wiederholt wird. Das macht es aber nicht allein aus.
Die deutliche Rückbesinnung auf Rituale freut mich als Ritualmeisterin natürlich. Doch es existieren dabei große Anziehung und Unsicherheit zugleich. Viele möchten gern »echte« Rituale für sich durchführen, haben aber Angst, etwas falsch zu machen. Denn überliefert ist uns wenig, oder es besteht nur in speziellen spirituellen Zusammenhängen. So bleiben die meisten in einfachen, wiederkehrenden Handlungen stecken, ohne jemals die enorme Vielfalt und Wirkkraft der Rituale zu erfahren. Dieses Buch möchte das für Sie ändern, indem es Sie Schritt für Schritt auf den Weg zu wirkungsvollen, belebenden, individuellen Ritualen – zu »Ihren« Ritualen – führt.
Ein Ritual ist eine wiederkehrende, klar im Ablauf definierte Handlungsabfolge. Es ist aber viel mehr als das und vermag auch weitaus mehr. Ein Ritual bringt Ihnen insbesondere innere Ruhe, Halt und Stabilität. Es schafft einen geschützten Raum der Konzentration und Intensität, durch den Sie sich zentrieren und in tiefere Verbindung kommen können: zu sich selbst und zu den Sie umgebenden Kräften und Energien. Daraus können Sie neue Impulse und neue Kraft für sich gewinnen.
Rituale haben mehr Kraft und Wirksamkeit, als uns meist bewusst ist.
Deshalb werden Ihnen hier die Grundzüge von Ritualen beschrieben und erläutert. Damit werden Sie in die Lage versetzt, die wirkliche Kraft des Rituals für sich zu nutzen, ohne sich auf bestimmte Überzeugungen einlassen zu müssen. Denn Sie finden hier die wirkkräftige Essenz vor, den übereinstimmenden Kern von Ritualen unterschiedlicher Herkunft. So können Sie zu Ihrem persönlichen Wohl einfache und dabei doch sehr wirkungsvolle Rituale für sich kreieren und durchführen.
Wiederkehrende Handlungen geben Stabilität und Sicherheit. So macht es Kindern überhaupt nichts aus, dieselbe Geschichte immer wieder anzuhören, sie fordern es sogar ein. Bei Kindern geschieht ja auch jeden Tag so viel Unbekanntes und Neues, dass sie als Gegensatz dazu einen gleichbleibenden Halt brauchen. Deshalb gibt es auch die sogenannten Zu-Bett-bring-Rituale, die wir Erwachsene mit unseren Kindern durchführen. Eine gleichbleibende Handlungsroutine kann den turbulenten Tag abschließen, alle Aufregung beruhigen und die nötige Stabilität für die Nachtruhe schaffen.
Mein jüngster Sohn besteht allabendlich auf die von ihm so benannte »goldene Regel« beim Zubettgehen. Sie besteht darin, dass zuerst Mama ihn in genau definierter Art küssen muss und dann Papa. Anwesende Gäste werden nach Papas Einsatz ebenfalls zum Gute-Nacht-Sagen von ihm heranzitiert … Wenn wir ehrlich sind, verhalten wir uns ganz ähnlich. Auch wir begleiten unser Zubettgehen mit gleichbleibenden Handlungen. Solche Routinen wünschen und brauchen wir, weil sie uns das ersehnte Gefühl von Sicherheit geben.
So ist auch die Art und Weise, wie wir einander begrüßen, auf gleichbleibende Weise definiert. Wen begrüßen wir zuerst, wem geben wir die Hand, wen umarmen oder küssen wir – das bestimmt gleich zu Beginn die gesamte Begegnung. Das sagt gleich etwas aus über Herkunft, Rang, Zugehörigkeit, Alter und Grad der Intimität. Darüber ist sofort festgelegt, ob wir dazugehören oder nicht. Dabei alles so zu machen, wie es gebräuchlich ist, gibt Akzeptanz und Sicherheit. In solch einem Zusammenhang spricht man davon, dass etwas Brauch und Sitte ist, und man spricht von Tradition.
Wenn Sie Ihren Alltag besehen, finden Sie sicherlich Routinen, die Sie in stützende Rituale umwandeln können.
Immer gleich ausgeführte Handlungen werden allgemein auch als Routine bezeichnet. Der Begriff hat allerdings den unangenehmen Beigeschmack von festgefahrener Langeweile. Vielleicht um nicht als komplette Langweiler dazustehen, nennen wir sie lieber Rituale. Denn ein Ritual trägt immer auch das Wissen um eine unerklärliche tiefe Wirkung mit sich.
Wenn die Menschen eines Volkes regelmäßig jeden Morgen die aufgehende Sonne begrüßen und damit deren Leben spendende Kraft ehren und sich mit ihr verbinden, ist das ein kraftvolles Ritual, das eine solche unerklärliche tiefe Wirkung hat. Wenn Sie jeden Tag das gleiche morgendliche Pflegeprogramm absolvieren, ist das kein Ritual, sondern eine Routine. Selbst wenn alle Menschen um Sie herum morgens die gleichen Pflegeroutinen absolvieren, werden sie dadurch immer noch nicht zum Ritual.
Gerade in Krisenzeiten kann eine – am besten zuvor etablierte – Ritualpraxis den nötigen Halt geben.
Solange ein Empfinden dafür besteht, dass eine solche Routine Ihnen zu Stabilität verhilft, bringt sie tatsächlich die gewünschte Sicherheit. Sobald das Programm nur aus reiner Gewohnheit abgespult wird, verkommt die eigentlich funktionierende Abfolge zur begrenzenden Marotte. Von einem Ritual kann man erst sprechen, wenn eine Bewusstheit über die darin enthaltene stabilisierende Ordnung besteht. Denn ein Ritual ist durch seine festgelegte Abfolge in der Lage, Sicherheit zu vermitteln und Halt und Konstanz zu geben. Das vermag es auch in Zeiten, wenn alles scheinbar drunter und drüber geht. Gerade dann ist es auch besonders wichtig. Und darin liegt seine besondere Qualität. So bedankte sich nach einem kürzlich von mir ausgeführten öffentlichen Loslassritual eine Teilnehmerin glücklich dafür, dass ich ihr wieder den Zugang zu Ritualen ermöglicht habe. Durch ihre Arbeitslosigkeit hatte sie ihren äußeren und damit auch inneren Halt verloren. Das Ritual hat ihn ihr wiedergegeben.
Wir sollten in dem Zusammenhang noch einen Unterschied definieren, und zwar zwischen Zeremonie und Ritual. Eine Zeremonie ist ein feierlicher Akt, eine feierliche Handlung, die nach einer genau definierten Reihenfolge abläuft. Der Zeremonienmeister ist also derjenige, der darauf achtet, dass die Handlungen in der vorgesehenen Form und Reihenfolge durchgeführt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Festlichkeit des Ganzen und auf dem exakten Ablauf. Inhaltlich reicht es von Hochzeitszeremonien bei den Royals bis zu Begrüßungszeremonien bei Staatsempfängen. Wichtig sind die präzise Abfolge und die klare Ordnung, wohingegen im Ritual zudem die Wirkkraft entscheidend ist, wie Sie noch sehen werden.
Innere und äußere Stabilität
Durch das Zeremoniell bei Staatsbesuchen wie auch bei Geschäftsempfängen will man dem anwesenden Gast oder Verhandlungspartner signalisieren, dass man ein ordentlicher, starker und verlässlicher Vertragspartner ist. Ebenso soll ein strenges und starres Hofzeremoniell durch seine exakt festgelegte Statik die Stabilität des Königshauses repräsentieren. Da der König sein Land verkörpert, unterstützt das klar geregelte Zeremoniell somit weiterreichend die Stabilität des ganzen Landes. Durch eine Zeremonie wird nicht nur eine bestehende Ordnung vollzogen, sondern sie wird übergeordnet auch geschaffen und stabilisiert.
Ist Ihr Blick erst einmal für Rituale und Zeremonien geweckt, werden Sie überall auf solche Ereignisse stoßen.
In der regelhaften Struktur von Zeremonien und Ritualen liegt ein großer Teil von deren Qualität. Sie schafft große Sicherheit für die Beteiligten. Bei einer Zeremonie und noch mehr bei einem wiederkehrenden Ritual wissen wir: »Das läuft nach den und den Regeln ab, daran habe ich mich zu halten.« In dieser Hinsicht sind wir alle zur Einhaltung von Regeln und von Etiketten konditioniert, oftmals ohne uns bewusst darüber im Klaren zu sein. Genau diese Reguliertheit schafft den notwendigen geschützten Rahmen. Innerhalb dessen kann auch Notwendiges, was noch gesagt werden muss, wirklich ausgesprochen werden – beispielsweise in einem Trennungs- oder Versöhnungsritual. Jeder hält sich an die Regeln. Die Emotionen kochen nicht unnötig hoch, es gibt kein Untergehen in eventuell noch bestehenden Verletzungen. So kann das Ritual in der notwendigen Weise und Form ablaufen und dadurch seine Wirkkraft entfalten. Würde sich dabei jeder in seinen Emotionen verlieren, würde es nicht funktionieren. Es bedarf also einer gewissen klaren Struktur und Reihenfolge und der dazu gehörenden Disziplin, sich an diese auch zu halten.
Disziplin war auch eine der Basisfertigkeiten, die meine schamanische Lehrerin uns streng gelehrt hat. Wenngleich es manchmal hart war, bin ich ihr dafür sehr dankbar. Wehe, wir hatten uns bei Ritualen in Emotionen verloren!
Die klare Struktur hat neben der Sicherheit und Stabilität noch einen weiteren wichtigen Effekt. Eine regelhafte Struktur mit ihrem klaren Ablauf bewirkt auch die besondere konzentrierte Qualität eines Rituals. Durch den gleichbleibenden Ablauf wird nicht nur ein geschützter, sondern überhaupt ein besonderer Raum geschaffen. Sobald das Ritual beginnt, gilt ein Ausnahmezustand. Es gelten dann nur noch die Ritualregeln, alles andere ist außer Kraft gesetzt. Das wissen alle Ritualteilnehmer, und das spüren auch alle. Der klar definierte rituelle Raum lässt eine besondere Form von Konzentration und Intensität entstehen, in der so unvergleichlich mehr möglich sein kann als im Alltag.
Die Kraft eines gelungenen Rituals offenbart sich den Teilnehmenden unmittelbar, auch wenn sie oft nicht direkt benennen können, was mit ihnen geschieht.
Ich bin mitunter selbst noch überrascht, wie weit meine Teilnehmer mit mir mitgehen in einem Ritual. Es berührt mich sehr, wie tief gehend sie sich in diesem besonderen Rahmen auf das Geschehen einlassen. Und das innerhalb des formal recht kurzen Zeitraums, den ein Ritual meist beansprucht. Ich habe als Teilnehmerin manchmal innerhalb von mehrtägigen Selbsterfahrungsseminaren ähnliche Momente der Konzentration erlebt, aber in dem Ausnahme-Raum eines Rituals gelingt diese Intensität wirklich binnen Minuten und mit größter Kraft.
Und diese Intensität ist letztlich der Schlüsselpunkt. Bei königlichen Hochzeitszeremonien beschreiben die Fernsehkommentatoren gern endlos die genaue Abfolge des Eintretens in die Kirche, die Sitzordnung, die Kleiderordnung, die Titel. Als es bei einer dieser Hochzeiten dann schließlich inmitten der ganzen pompösen Zeremonie um die eigentliche Trauformel ging, also darum, vor höheren Kräften eine innige Verbindung einzugehen, sprach der Kommentator dann endlich von dem »uralten Ritual«, das seine Macht entfaltet.
Der wirkkräftige Kern, wenn also die Verbindung zu den wirkenden Kräften geschaffen und eingegangen wird, ist das eigentliche Ritual mit seiner zwar ein Stück weit erklärbaren, aber letztlich doch unerklärlichen Intensität und Kraft.
Mit Ritualen sind auch häufig irgendwelche Vorstellungen von manipulativer Magie verbunden und von dubiosem Beschwörungszauber, der den Angebeteten aus den Klauen einer Widersacherin befreien oder einen Lottogewinn herbeizaubern soll. Aber darum geht in ihrem Kern gar nicht.
Der Schwerpunkt eines Rituals liegt also nicht einfach nur in der Wiederholung, sondern in der besonderen Form der Ordnung. Vom Lateinischen her heißt Ritus auch einfach »Zeremonie«. Geht man noch weiter zurück, so lässt es sich aus dem Sanskrit von Rita herleiten, was so viel wie »Wahrheit« oder »Ordnung« heißt. Gemeint ist damit die kosmische Ordnung, die Ordnung des Universums und alle natürlichen Rhythmen, bis hin zum Wechsel von Tag und Nacht und zur Abfolge der Jahreszeiten. Ein Ritual bringt uns also in Kontakt mit der übergeordneten, der kosmischen Ordnung, es lässt uns diese in ihrer Transzendenz erfahren. Es bringt uns in die Verbindung zu uns selbst ebenso wie zu all dem, was uns umgibt, und zu den Energien und Kräften um uns herum.
Einfach nur räuchern und beten
In unseren damaligen Lehrlingskreis hatte einst unsere schamanische Lehrerin als Gast Großmutter Elsie nach Deutschland mitgebracht, eine Navajo-Älteste und damit die Halterin der Traditionen. Alle Teilnehmer dieses besonderen Zusammentreffens mit ihr waren ganz gespannt auf ihre gewiss beeindruckende Erscheinung und ihre Ausführungen. Wer erschien, war eine nach außen hin ganz unspektakuläre ältere Dame, die zu unserer leichten Enttäuschung geradezu mantrahaft einfach wiederholte, wir sollten räuchern und beten – oder auch beten und räuchern. Für sie waren Rituale so selbstverständlicher Teil ihres Lebens, dass sie gar keine große Magie, keinen großen Auftritt brauchte. Wichtig war ihr demnach: Praktiziert ein regelmäßiges Ritual zum Reinigen und Klären. Und verbindet euch darüber mit den Energien um euch herum und mit den höheren Kräften. Genau das ist es, wozu die weise Navajo-Großmutter das »Räuchern und Beten« empfohlen hat. Es geht einfach um ein zentriertes und sinnerfülltes Leben, wie sie es uns vorlebte.
Es sind meist die einfachen, unkomplizierten Dinge, die uns Halt zu geben vermögen.
Wir leben in einer linearen und zunehmend übergangslosen Zeit. Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben, Arbeit und Freizeit, zwischen den Lebensabschnitten und sogar den Jahreszeiten verschwimmen zunehmend. Damit verlieren wir die Fähigkeit, uns auf die jeweilige Lebenssituation ganz einzulassen. Und wir verlieren so den Sinn dessen, was wir tun, und auch die Verbindung zu uns selbst und zu dem, was uns umgibt. An dieser Beliebigkeit unseres Seins krankt unsere Ausgeglichenheit, unsere Zufriedenheit und Lebensfreude. Wir fragen uns verstohlen, wo denn unser Leben eigentlich geblieben ist. Ohne uns gleich monatelang therapieren lassen zu wollen, suchen wir nach einem einfachen alltagstauglichen Weg zum Innehalten und inneren Loslassen. Wir haben Sehnsucht nach Möglichkeiten, das Bestehende wahrzunehmen und zu würdigen und darüber unser Leben freudvoll und intensiv zu erleben.
Ein Ritual mit seiner schützenden und bestärkenden Struktur vermag eben den konzentrierten Raum zu schaffen, in dem diese intensive Verbindung zu etwas Größerem möglich ist. Einen ähnlichen Raum können wir manchmal eher zufällig für kurze Momente erreichen. Am ehesten gelingt uns das im Urlaub oder an einem entspannten Wochenende, wenn wir uns ganz bei uns fühlen und mit scheinbar allem auf angenehme Weise verbunden. Mit dem Ritual können wir diese Intensität, diese Verbindung zu den Energien gezielt herbeiführen.
Kulturübergreifend wirksam
Rituale funktionieren über die Kulturen hinweg im Kern ganz vergleichbar und arbeiten mit ähnlichen wirkkräftigen Bestandteilen – wie beispielsweise dem Räuchern. In den Kirchen gibt es den Weihrauch. In älteren schamanischen Traditionen wurde und wird ebenfalls geräuchert, meist mit Kräutern wie Salbei, Lavendel oder Wacholder. In asiatischen Kulturen nimmt man Räucherstäbchen. Im Kern geht es um das Gleiche, nämlich um Reinigung der Energien, um damit den notwendigen energetisch wirkkräftigen Raum zu schaffen. Denn ein Ritual ist immer auch Energiearbeit. Unabhängig davon, ob diese Energie Lebensodem, Prana, Ki oder Qi genannt wird oder ob von Matrix gesprochen wird. Die Verbindung kommt über die Energie zustande, aus der wir und alles um uns bestehen. In der Bibel erschafft die Energie des gesprochenen Wortes die Welt. Jesus lenkt heilende Energie über seine Hände. In den asiatischen Traditionen wird Energie harmonisierend ausgeglichen und auch gezielt gelenkt. Diese Energiearbeit ist in Form von beispielsweise Feng Shui, Qi Gong und Tai Chi ganz präzise überliefert. Deshalb werden Sie im Folgenden auch wiederholt auf erklärende Beispiele aus diesen Bereichen treffen.
Rituale gehören zu den Schätzen, die die Menschen weltweit verbinden.
Rituale geben uns Stabilität, Schutz und Halt. Sie wirken auf uns auf tiefer Ebene bereinigend und heilend. Rituale können uns dabei helfen, zur Ruhe zu kommen und wieder bei uns anzukommen. Sie unterstützen uns dabei, unser Leben klarer zu rhythmisieren und bewusste, klare und bejahende Übergänge zu vollziehen. Sie sind eine intensive und konzentrierte Möglichkeit für uns, um Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Freude in unserem Alltag zu finden und zu schaffen. Da die in diesem Buch beschriebenen Rituale so einfach zu praktizieren sind, können Sie ganz leicht davon profitieren.
Gerade bei Hochzeiten wird spürbar, wie sehr sich die Menschen nach Ritualen sehnen. Hier entwickeln Brautpaar und Gäste meist viel Kreativität im Ausschmücken solcher Elemente der Feier.
Die Wirkung von Ritualen klärt sich am besten, wenn wir uns an eine Hochzeit erinnern. Die haben wir sicher alle schon zumindest als Gast erlebt. Bei einer standesamtlichen Eheschließung bemüht sich der Beamte um eine möglichst sinnstiftende Rede, und anschließend werden schlicht die Hochzeitspapiere unterzeichnet. Bei einer kirchlichen Trauungszeremonie geschieht bereits mehr. Es werden auch Reden gehalten, es wird Musik gespielt, das Brautpaar spricht Worte nach, es werden die Ringe gewechselt, und es wird ein Segen erteilt.
Darin, dass dabei mehr geschieht und Vielfältigeres geschieht, liegt ein großer Teil der Wirkung von Ritualen begründet. Auch wenn wir bei verschiedenen Veranstaltungen sagen, dass es gefühlvolle Worte gibt und dass manche Worte auch das Herz berühren, ist es doch eher die rein mentale Ebene, die dabei angesprochen wird. Damit das Geschehen uns Menschen wirklich erreicht, muss es uns auch auf der Gefühlsebene berühren – wie es Rituale tatsächlich tun.
Meist sind wir bei üblichen Hochzeitszeremonien dennoch relativ passiv und der einzige aktive Sinneskanal ist das Hören. Auch wenn es nach außen hin unterschiedlich stark ausgeprägt scheint, ist es doch so, dass wir Veränderung und damit Unsicherheit nicht mögen. Grundsätzlich streben wir nach Sicherheit. Alles Neue, Unbekannte verunsichert, und wir versuchen es zu vermeiden. Das basiert auf den Erfahrungen, die wir gemacht haben, als wir noch ständig mit überraschenden Begegnungen mit Säbelzahntigern und ähnlich Lebensbedrohlichem rechnen mussten. Daher bedeutet Unbekanntes gleich Gefahr, und auf Gefahr reagiert unser internes System seit jeher mit Totstellen, Angreifen oder Weglaufen. Und weil uns Veränderungen so unlieb sind, müssen sie schon deutlich reizintensiv sein, damit wir sie anzunehmen bereit sind.
Allgemein heißt es, dass ein Reiz um ein Vielfaches wirkt, sobald damit mehr als ein Wahrnehmungskanal angesprochen wird.
Das mit der Reizintensität kennen wir noch von der Schule, und das hat auch die müdeste Pädagogik schon erkannt. Etwas, das ich nur höre, kann ich wenig annehmen, mir also schlecht merken. Deshalb wird das gesprochene Wort mit einem Tafelanschrieb oder mit animierten Illustrationen unterstützt. Nur still gelesene Vokabeln kann man sich auch kaum merken. Wenn man sie zudem abschreibt und noch laut vorliest, aktiviert das mehrere Gehirnareale, und man registriert dadurch vermehrt ihre Wichtigkeit. Untersuchungen aus dem Bereich der Hirnforschung haben noch bessere Lern- und Behaltens-Erfolge belegt, wenn das Erarbeiten des Inhalts durch symbolische Gesten unterstützt wurde. Demnach konnten die Testpersonen mit Hilfe von Gesten doppelt so viele Vokabeln lernen und sie auch deutlich länger behalten.
Zudem sind wir unterschiedlich strukturiert. Manch einer ist auditiv ausgerichtet, nimmt also Inhalte leicht über das Hören auf, viele sind eher visuelle Typen, bei ihnen geht alles überwiegend über das Sehen. Wieder andere haben ihren Schwerpunkt im Spüren und damit ihr Wahrnehmen im Tun und in der Bewegung.
Rituale nun wirken so intensiv, weil sie uns über alle Zugänge erreichen. Bei einem Ritual sehen Sie, was geschieht, Sie hören Worte und Klänge, Sie riechen Räucherwerk, manchmal schmecken Sie sogar etwas und – ganz wichtig – Sie kommen ins Handeln und Tun und damit ins Spüren.
Es macht einen Reiz der Rituale aus, dass wir sie als ganzheitliche Wesen erleben, mit allen Sinnen, mit Leib und Seele.
Im Tun liegt auch die weitere Wirkkraft von Ritualen begründet. In einem kraftvollen Ritual hören Sie sich nicht nur schöne Worte über die Ehe an, sondern Sie sichern Ihrem Partner verbal Ihre Absicht zu Ihrem Miteinander zu. Sie gehen diese Verbindung aktiv ein und verstärken das noch durch Gesten und gemeinsam ausgeführte Handlungen. Dadurch vollziehen Sie das Eingehen der Verbindung wirklich in dem Moment. Sie nehmen die Wirklichkeit vorweg. Sie simulieren die Zukunft und treten bereits in sie ein. Das nimmt die Angst vor dem