LISA RENEE JONES
Ins Deutsche übertragen
von Michaela Link
Zu diesem Buch
Die junge Assistentin Crystal berührt den Galeriebesitzer Mark Compton auf eine Weise, wie es noch keine Frau zuvor vermochte. Doch Marks Leben ist von Dunkelheit und Schmerz bestimmt – und von absoluter Kontrolle. Noch nie hat er eine andere Person an sich heran gelassen. Wird es Crystal gelingen, die Mauern, die er um sich herum errichtet hat, einzureißen? Oder wird der Versuch ihr Herz brechen?
San Francisco
Crystal
Ich starre auf den Schlüssel, der an der Rezeption des Hotels für mich abgegeben worden ist, und lese die dazugehörige Notiz.
Bei mir zu Hause wimmelt es von Reportern. Ich bin im Zimmer neben deinem. Wir müssen heute Abend die Galeriegeschäfte besprechen. Ich werde morgen den ganzen Tag in Meetings sein.
Die Notiz ist nicht unterzeichnet, aber ich weiß, dass sie von Mark ist. Ich frage mich, ob er nicht genau weiß, wie er sie unterschreiben soll. Mark. Mr Compton. Meister. Allein der Gedanke, dass er in diese Richtung denken könnte, lässt mich die Notiz in meiner feuchten Hand zerknüllen. Aber nein – das tut er nicht.
Er ist in einem Albtraum gefangen, gequält von Schuldgefühlen wegen Rebecca und in schrecklicher Sorge um seine Mutter. Im Moment denkt er an nichts anderes, und ich habe ihn einfach in einigen schwachen Momenten erwischt, in denen ich eine Art Flucht für ihn gewesen bin. Und das ist okay. Er ist heiß. Irre sexy. Und so verdammt arrogant, dass er einen Preis dafür gewinnen könnte. Einer der Männer, mit denen man schläft und dann weiterzieht.
Nur dass ich nicht weiterziehen kann. Seine Eltern sind zu meiner zweiten Familie geworden.
Ich kann nicht in sein Zimmer gehen. Ich kann nicht schon wieder mit ihm schlafen. Die Sache beginnt, Spuren bei mir zu hinterlassen, jenseits der feurigen Leidenschaft. Er geht mir langsam unter die Haut, und das ist gefährlich. Ich bin keine Sub, und bei ihm dreht sich alles um Macht und Kontrolle – wahrhaft ein Meister in allem, was er tut, in allem, was er befiehlt. Doch unter dieser harten Schale habe ich flüchtig einen zärtlichen, sensiblen Mann gesehen, der Sinn für Humor hat und seiner Familie, insbesondere seiner Mutter, in tiefer Liebe zugetan ist.
Also kann ich diese Notiz nicht ignorieren. Das hieße, jemandem, der mich braucht, den Rücken zuzukehren, um mich selbst zu schützen. Und so ein Mensch bin ich nicht. Außerdem geht es ohnehin nicht um mich. Es geht um die Polizei, die heute Abend am Strand nach der armen Rebecca sucht, und es geht um einen gebrochenen Mann, der nicht einmal weiß, dass er gebrochen ist. Und es geht um seine kranke Mutter, die ich von Herzen liebe und die ihn unbedingt an ihrer Seite braucht. So sehr sie will, dass Mark für das Auktionshaus Riptide arbeitet, wird sie es sich niemals verzeihen, wenn die Galerie Allure den Bach runtergeht, weil er durch seine Mutter abgelenkt wurde. Mark will, dass ich die Galerie schließe und alle losen Enden verknüpfe.
Aber ich muss mehr tun. Ich muss die Galerie retten. Und nicht nur für sie – auch für ihn. Für den Mann, in dessen Seele ich einige flüchtige Blicke werfen konnte, den Mann, der sich in mein Herz geschlichen hat. Den Mann, der mich die Wunden hat sehen lassen, die er aber leugnet, sodass er unmöglich genesen kann. Er ist allein in seiner eigenen, persönlichen Hölle und bildet sich ein, dass er ohne fremde Hilfe dagegen ankämpfen kann. Doch er kann es nicht. Ich weiß das mit Bestimmtheit. Ob richtig oder falsch, nachdem ich meinen Entschluss getroffen habe, verlasse ich das Zimmer und gehe zu ihm. Ich werde mit Mark streiten, und am Ende werde ich wahrscheinlich verletzt und allein sein. Aber das Leben ist zu kurz für Reue. Eine weitere Tatsache, die ich nur allzu gut kenne.
Ich hebe die Hand – und klopfe an.