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Das Buch

Wenige Jahre, bevor in Deutschland und Frankreich Millionen junger Menschen demonstrierten und gegen die enge Welt ihrer Eltern rebellierten, waren die Straßen Indonesiens rot von Blut. Im Jahre 1965 hatte sich General Suharto an die Macht geputscht, viele verloren in gewaltsamen Unruhen ihr Leben, Tausende wurden ohne Prozess in Strafkolonien auf entlegenen Inseln verschleppt.

Jahrzehnte später, lange nach Suhartos Sturz im Jahre 1998, sucht eine Frau auf der Gefangeneninsel Buru nach den Spuren des Mannes, den sie in jenen Tagen geliebt und dann verloren hat. In den Wirren einer Straßenschlacht wurden Amba und Bhisma damals auseinandergerissen, und Amba wusste all die Jahre nichts über das Schicksal ihrer großen Liebe. Bis sie eines Tages eine anonyme Mail erhält, aus der hervorgeht, dass Bhisma damals nach Buru verschleppt wurde. Und so macht sich Amba auf, um endlich Antworten auf die Fragen zu finden, die sie schon so lange quälen.

Ein großer Roman über Liebe und Gewalt in Zeiten politischen Aufruhrs.

Die Autorin

LAKSMI PAMUNTJAK ist eine renomierte indonesische Essayistin, Lyrikerin und Journalistin. Seit 1994 schreibt sie regelmäßig über Politik, Film, Musik und Literatur, u.a. für das liberale indonesische Wochenmagazin Tempo, die Jakarta Post und den Jakarta Globe sowie für internationale Publikationen wie den Guardian Ihre Gedichte und Kurzprosa sind in diversen internationalen Literaturmagazinen erschienen, darunter Asia Literary Review und Not a Muse: World Poetry Anthology. Alle Farben Rot ist ihr Debütroman. Laksmi Pamuntjak lebt mit ihrer Familie in Jakarta.

Laksmi Pamuntjak

Alle Farben rot

Roman

Aus dem Indonesischen
von Martina Heinschke

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Ullstein

Die indonesische Originalausgabe erschien 2012 und in revidierter Fassung 2013 unter dem Titel Amba bei Gramedia Pustaka Utama, Jakarta. Die deutsche Ausgabe enthält zusätzlich Passagen aus der englischen Fassung des Romans, der in der Übersetzung der Autorin unter dem Titel The Question of Red ebenfalls im Jahre 2013 bei Gramedia Pustaka Utama erschienen ist. Ergänzungen und Veränderungen erfolgten in Abstimmung mit der Autorin.

Die Veröffentlichung dieses Buches wurde durch die Unterstützung des Übersetzungsförderungsprogramms des Ministeriums für Bildung und Kultur der Republik Indonesien ermöglicht.

Buch 2: Kapitel 2, Subagio Sastrowardoyo, Wirf dies Wort! Gedichte. Aus dem Indonesischen von Helga Blazy, Unkel/Rhein; Band Honnef: Horlemann, 1992, S. 8–9.

Buch 2: Kapitel 4, Iwan Turgenjew, Vorabend. Väter und Söhne. Deutsch von Harry Burck und Dieter Pommerenke, Berlin: Aufbau-Verlag, 1994, S. 37. Abdruck mit freundlicher Genehmigung © Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 1994 (für die Übersetzung)

Buch 2: Kapitel 4, Iwan Turgenjew, Vorabend. Väter und Söhne. Deutsch von Harry Burck und Dieter Pommerenke, Berlin: Aufbau-Verlag, 1994, S. 182.

Buch 6: Kapitel 2, Bertolt Brecht, Liebesgedichte. Herausgegeben von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt: Insel Verlag, 1976.

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Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

ISBN: 978-3-8437-1183-8

© 2013 by Laksmi Pamuntjak
© der deutschsprachigen Ausgabe
2015 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT, MÜNCHEN
Umschlagabbildung: © AKG Images / Werner Forman

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Für die in Buru Inhaftierten,
die mich mit anderen Augen zu schauen gelehrt haben

Für meine Eltern und meine Tochter Nadia

Inhalt

Über das Buch und die Autorin

Titelseite

Impressum

Widmung

Vorwort

Prolog

Buch 1

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Buch 2

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Buch 3

1. Kapitel

2. Kapitel

Buch 4

Buch 5

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Buch 6

X

2. Kapitel

3. Kapitel

Buch 7

1. Kapitel

Glossar

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Die Molukken, jahrhundertelang unter dem Namen »Gewürzinseln« bekannt, liegen im indonesischen Archipel, östlich von Sulawesi (Celebes) und westlich von Neuguinea.

Buru, die drittgrößte dieser Inseln, ist gebirgig mit einem schmalen Küstenstreifen und wenigen Tälern. Sie ist reich an Teak-, Sago- und Nelkenbäumen und Ursprungsort des Melaleuca- oder Cajeputöls.

1950 wurde die Insel Teil des unabhängigen Indonesien. Unter den hundertsechzigtausend Bewohnern sind Christen und Muslime der sunnitischen Glaubensrichtung etwa gleich stark vertreten – jeweils um die vierzig Prozent –, während die übrigen Einwohner traditionelle Glaubensformen praktizieren. Etwa ein Drittel der Einwohner gehören zu einheimischen ethnischen Gruppen, den Buru, Lisela, Ambelau und Kayeli. Die meisten Muslime stammen von Java, während die Christen indigene Bewohner der Insel oder Migranten aus anderen Teilen der Molukken sind.

Während der Regierungszeit Suhartos (19651998) bestand auf Buru eine große Strafkolonie, in der über zwölftausend Männer unter dem Vorwurf, Mitglieder oder Sympathisanten der kommunistischen Partei zu sein, mehr als zehn Jahre lang gefangen gehalten wurden, ohne dass jemals gegen sie eine formelle Anklage erhoben oder ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist. Hunderte Gefangene fanden den Tod durch Krankheiten, Unterernährung oder Gewalt.

Nach ihrer offiziellen Freilassung in den Jahren 1978 und 1979 entschieden sich einige Hundert der Gefangenen, auf Buru zu bleiben. Auch wenn heute kaum noch Spuren der Lager auf der Insel zu finden sind, bleibt Buru ein Symbol für die Unterdrückung während der »Neuen Ordnung« unter Präsident Suharto.

Prolog

Das Mahabharata erzählt von drei Königstöchtern, so strahlend und wertvoll wie Diamanten: Amba war die älteste, gefolgt von den Zwillingsschwestern Ambika und Ambalika. Amba war mit König Salwa verlobt, einem Mann, den sie weder hasste noch liebte – so wie es damals das Schicksal der meisten Frauen war.

Eines Tages war der Königshof plötzlich in blendendes Licht getaucht. Danach erzählten die Leute sich etwas von einem Räuber auf einem Streitwagen, von einem Mann übernatürlicher Gestalt. Sehr bald war klar: Amba und ihre Schwestern waren entführt worden. Der ganze Hof war in heller Aufregung; denn zu solch einer Tat war einzig der unvergleichliche Krieger Bhisma fähig. Das große Epos erzählt uns, dass das Schicksal zu Ambika und Ambalika freundlich war: Sie sorgten für das Fortleben des Bharata-Geschlechts mit Destarastra und Pandu, den Vätern der Kurawas und der Pandawas, als ihren Söhnen. Ambas Leben aber nahm einen anderen Verlauf.

König Salwa entsandte eine Armee, um seine Verlobte zurückzuerobern. Doch gegen Bhisma konnten seine Männer nichts ausrichten. Der nächste Morgen gab den Blick frei auf ein Leichenfeld: gebrochene Knochen, Blutlachen, die Häupter der halben königlichen Armee trieben auf dem Fluss. Währenddessen – und dies müssen wir uns ausmalen, da das große Epos hier nur eine zarte Andeutung macht – verliebte Amba sich in ihren Entführer und er sich in sie. Aber die Stärke dieses Gefühls ängstigte Amba. Es war stärker als alles, was sie jemals in ihrem Leben gespürt hatte. Überwältigt bat sie Bhisma, sie zu Salwa zurückzubringen. Bhisma sagte kein Wort zu ihrer tränenreichen Bitte, doch er zögerte keinen Augenblick und brachte sie zu dem von ihr auserkorenen Bräutigam.

König Salwa aber wollte Amba nicht annehmen. Sein Stolz war wie ein mächtiger Berg, von dem aus er herrschte. Er erklärte ihr, dass sie ihn entehrt habe. Wie eine Maske trage sie ihre Liebe zu Bhisma vor ihrem Gesicht; ihre Züge seien für alle Welt sichtbar verändert. Öffentlich beschämt, blieb der verzweifelten Prinzessin keine andere Wahl als die Rückkehr zu Bhisma, auf ihn nun richtete sie die Hoffnung auf Rettung ihrer Ehre. Aber wie hätte sie ahnen sollen, dass dieser lange Jahre vor ihrer Begegnung ein Gelübde abgelegt hatte? Als treuer Sohn seines Vaters hatte er ewige Keuschheit geschworen, nur damit sein Vater die Frau ehelichen konnte, die er begehrte. Immer schnell bereit, Pflichterfüllung vor Eigennutz zu honorieren, hatten die Götter Bhisma mit dem außerordentlichen Privileg beschenkt, den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen zu können; bis dahin würde er unbesiegbar sein. Einem Mann, der liebte, bedeutete Unbesiegbarkeit natürlich nicht viel; doch mehr als jedem Mann war Bhisma bewusst, wann der Mensch endet und der Nachruhm beginnt. Als Amba zu ihm kam und ihn bat, ihr die Hand zur Ehe zu reichen, schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. Aber selbst die Bäume und Vögel konnten seine Trauer spüren.

Hin und her verbracht und allseits abgewiesen, wandelte sich Ambas Herz zu Stein.

In ihrem nächsten Leben kam sie als Srikandi zur Welt und wurde eine von Prinz Arjunas vielen Frauen. Die indische Version des Epos kennt Srikandi als Sikhandin, einen männlichen Krieger, der vormals eine Frau gewesen war. Kein Text erzählt, dass Srikandi wunderschön war, aber jeder ist davon überzeugt; für eine Prinzessin wie sie war das selbstverständlich. Ihre Schönheit herauszuheben würde aber den Blick auf etwas Falsches lenken: Denn Srikandi war dazu ausersehen, den unbezwingbaren Bhisma zu Fall zu bringen.

Während der Schlacht auf dem Feld der Kuru, als sich die beiden Zweige der Bharata-Familie, die Kurawas und die Pandawas, bekriegten, achtete Arjuna darauf, dass Srikandi an seiner Seite war; und in der Tat ließ Srikandi hinter Arjuna auf dem Streitwagen stehend einen Schwall an Pfeilen losschnellen, gleich einem Vogelschwarm, der auf eine Insel niedergeht. In der indonesischen und auch der indischen Version des Epos entwaffnete Srikandis Weiblichkeit den edelmütigen Bhisma: Er ließ es zu, dass sein Körper von Srikandis Pfeilen so bespickt wurde, dass kein einziger Fingerbreit mehr frei blieb. In beiden Versionen traf Srikandi die gleiche Wahl: Bhisma zu töten und Arjuna zu retten, so als sei es nie jemandem in den Sinn gekommen, dass es vielleicht auch eine andere Lösung hätte geben können, ein weniger brutales, ein weniger gnadenloses Ende, eine Lösung, in der ihrer beider Los nicht so unauflöslich miteinander verbunden wäre wie das Rot und Weiß der indonesischen Flagge – so schwer, so schicksalsbeladen.

***

Nun sollten Sie wissen, dass Javaner bei der Namensgebung für ihre Kinder große Vorsicht walten lassen. Sie haben ein feines Gespür für die große Last und die Geschichte eines Namens: Ein Leben sollte dem Namen gerecht werden; gelingt dies nicht, so ist etwas aus dem Lot. Unglück, Krankheiten oder Missgeschicke sind die Folge. Mit dem Ausdruck keberatan nama beschreibt man einen Menschen, der durch einen großen oder bedeutungsschweren Namen über Maß belastet ist.

Wenn Sie heutzutage nach Indonesien reisen, werden Ihnen viele Menschen, insbesondere Javaner und Javanerinnen, begegnen, deren Namen an Figuren aus den großen Hindu-Epen erinnern: Rama, Shinta, Laksmana, Krishna, Yudhistira, Larasati, Arjuna. Sie werden wahrscheinlich auch einige Bhismas finden; denn er zählt zu den edelsten unter den Kriegern, ein Mann, für den die Pflicht über allem steht. Und Sie werden immer wieder den Namen Srikandi hören, als Beispiel für eine starke, kühne Frau, die sich behaupten kann, eine Kriegerin unter den Frauen.

Wenn Sie über die Figuren des Epos nachdenken, mögen Sie sich vielleicht fragen, warum Ihnen nie der Name Amba begegnet ist, weder auf Ihrer Reise noch in den Nachrichten oder den Familiengeschichten. Und dies, obwohl es doch letztlich Amba war, die Bhisma getötet hat und somit das Ende der Schlachten aller Schlachten ermöglicht hat. Hat ihre Geschichte überhaupt keinen Glanz? Amba ließe sich doch als eine mythische Heldin sehen – könnte sie nicht Vorbild und Inspiration für die Frauenbewegung sein?

Aber nein, der Name Amba erinnert die Menschen noch immer an das übelste Schicksal, das eine Frau ereilen kann: Amba ist die Frau, die zweimal verächtlich zurückgewiesen wurde, die nicht nur von einem, nein, von zwei edlen Männern im Stich gelassen wurde, und das Bild, das wir uns von ihr machen, wird nicht durch die Vorzüge ihres Verstandes, ihrer Fähigkeiten, ihres Herzens oder auch ihrer Schönheit bestimmt, nein – erinnert wird einzig ihr brennendes Begehren nach Rache. Und es gibt nichts Schändlicheres als eine Frau, die sich nicht würdevoll in ihr Schicksal fügt, sondern die stattdessen an den Männern, die aus welchen Gründen auch immer sie aus ihrem Leben ausgestoßen haben, Rache zu nehmen sucht.

In der Tat ist dieses Bild so übermächtig, dass die Leute vergessen, dass ohne Amba die große menschliche Tragödie der Schlacht auf dem Kurufeld nie ein Ende gefunden hätte; denn es war Amba in der Gestalt der Srikandi, die das Leben des großen Kriegers Bhisma beendete. Als Bhisma fiel, legten beide Kriegsparteien sofort die Waffen nieder und waren in Trauer vereint; der Verlust erinnerte sie schmerzlich an ihre gemeinsame Herkunft.

Anders als im Fall ihrer beiden Schwestern stand Ambas Sieg nicht am Anfang der Geschichte.

Vielleicht möchten Sie jetzt einwenden, dass diese Zeit doch wirklich unvorstellbar lange zurückliegt und sich das Bild von Heldinnen während der letzten Jahrhunderte sehr gewandelt hat. Aber hierin liegt die verstörende Kraft der Mythen: Sie schleichen sich auch jetzt noch an uns heran, um uns das Schicksal anzudeuten. Manchmal können sie die Wahl eines Menschen beeinflussen, lange bevor sich ihm der Zwang zur Entscheidung stellt. Das ist der Grund, warum Sie kaum eine Amba in Indonesien finden und ebenso selten eine Ambika oder Ambalika. Man will Unglück nicht herbeireden. Heißt es nicht auch mancherorts bei Ihnen: Wenn ma’ de Deifl nennt, kumd er grennt?

Einzelne aber wagen es, ihrem Nachwuchs kulturell unpopuläre Namen zu geben. Vielleicht treffen sie diese Wahl, weil sie den Mythos und seine Wirkung anders deuten; vielleicht wollen sie auch gerade die Ansicht, ein Name beeinflusse das Leben, herausfordern. Manchmal ist es auch nur das Gefühl, dass einzig dieser Name passt.

Und ist es nicht so, dass alle Geschichten da sind, um neu geschrieben zu werden?

Buch 1

Samuel & Amba

BURU, MÄRZ 2006

»Als sie dies hörte, trat Amba näher und fand das lodernde Feuer. Dann sah sie die Gestalt dieses Überdauernden, Rama aus dem Geschlecht der Bhrgu. Sie senkte ihr Haupt und erwies seinen strahlenden Füßen Ehre, und während sie sie berührte, glichen ihre Hände Lotosblüten. Stumm in ihrem Kummer saß sie vor Rama, diesem Ewigen, und über ihr Gesicht strömten Tränen.«

Udyoga Parva, CLXXIX