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Gerd Maximovic

Der Krieg gegen die Parmanteren

Cassiopeiapress Science Fiction/ Edition Bärenklau





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

DER KRIEG GEGEN DIE PARMANTEREN

4 klassische SF-Erzählungen

von Gerd Maximovic

 

In alter deutscher Rechtschreibung

 

© dieser lizensierten Digitalausgabe by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.alfredbekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

EDITION BÄRENKLAU, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius

© Der Krieg gegen die Parmanteren – 4 klassische SF-Erzählungen by Gerd Maximovic

und Edition Bärenklau 2015

© Editorische Notiz by Jörg Martin Munsonius

© Cover: XMALL/Shotshop, 2015

 

Der Umfang dieses E-Book entspricht 130 Taschenbuchseiten.

 

 

 

Dieses Buch enthält folgende Erzählungen:

Der Krieg gegen die Parmanteren

Die Erforschung ds Omega-Planeten

Die Reise in de roten Nebel

Omikron

 

 

Als ich mit dem Gefangenen sprach, verlor er mehr und mehr den Anschein eines Teufels, und, mein Gott, wenn die Methanwesen stinken, dann dürften wir für sie auch nicht gerade angenehm riechen. Ich glaube, während unserer Unterhaltung hat er sogar ein wenig die Scheu vor mir verloren. Da hatte er auf einmal leuchtende, schöne Augen. Der Ausdruck verschwand erst wieder aus seinen Augen, als die Tür geöffnet wurde und die Wachmannschaften kamen, um ihn zu verhören, also ihn zu foltern und ihn so zum Reden zu bringen, oder, wie in diesem Fall, was ich erst nachträglich erfahren habe, um ihn zu töten.“

Aus: Der Krieg gegen die Parmanteren – einer von vier Erzählungen, als Parabel angelegt, die stellvertretend für alle Kriege der Neuzeit und weit darüber hinaus, die Ungerechtigkeit und den verordneten Blickwinkel darauf, kongenial vom Autor herausgearbeitet.

Klassische SF-Erzählungen aus dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts.

 

 

 

Der Krieg gegen die Parmanteren

(Erzählung in einem Brief)


Dryg, am 20. Nov. im 17. Jahr der Befreiung


Liebste Elisa!

Während ich hier sitze und zum Fenster hinausschaue, um meine müden Gedanken für diesen, meinen letzten Brief an Dich zu ordnen, höre ich die Geräusche der explodierenden Wasserbomben. Sie klingen dumpf, wie aus weiter Ferne. Es ist die Methanatmosphäre, von der diese Wirkung hervorgerufen wird. In Wirklichkeit sind die Geräusche viel näher, als sie scheinen. Die Suchtrupps der Parmanteren sind uns seit Tagen auf den Fersen, und ich bin sicher, daß sie uns bald kriegen werden. Ich schreibe hier im Schein der Notbeleuchtung, die Hauptlichter sind beim letzten Treffer ausgefallen, und die Scheinwerfer haben wir schon vor längerer Zeit löschen müssen, um den Parmanteren keinen Hinweis auf unseren Standort zu geben. Wir verständigen uns flüsternd und haben die Maschinen gedrosselt, gelegentlich schießen wir eine Heulboje in die Methanfluten, um die Spürtrupps zu täuschen.

Auch unsere Oberen waren überzeugt, daß wir uns nicht lange halten werden. Vor etwa einer Stunde haben sie uns verlassen, mit der letzten Sonde, für die sich ein günstiges Magnetfeld über Dryg eröffnet hatte. Als sie in der Sonde aufgestiegen waren und Geräusche und Widerschein ihrer Antriebskräfte eine deutliche Spur hinterlassen hatten, wurden wir von einem Parmanterengeschoß schwer getroffen. Die Flucht unserer Oberen ermöglicht es mir, diesen Brief zu schreiben. Wir werden nun nicht mehr zu sinnlosem Widerstand angehalten, sondern beschränken uns nur noch auf Ausweichmanöver.

Die Methanfluten vor meinem Fenster sind trübe. Sie verbreiten ein schwaches Leuchten, nach dem sich die Parrnanteren orientieren. Wir hatten nie Gelegenheit, ihre Rasse gründlich zu erforschen, aber ich bezweifle auch, daß wir es damit eilig hatten. Sie kennen ihren Planeten, sind ihm entwachsen und sind, trotz unserer ursprünglich überlegenen Feuerkraft, uns gegenüber weit im Vorteil.


Ich muß Dir gestehen, liebste Elisa, meine Nervenkraft ist bald am Ende. Meine Hände zittern, und ich kann kaum den Bleistift halten. Eben haben wir wieder einen Treffer erhalten, meine Kabine wurde durcheinandergeschüttelt, ich flog auf den Boden. Ich glaube, wenn wir uns ihnen vernünftig verständlich machen könnten, wäre es möglich, dieses sinnlose Schlachten zu beenden. Weißt Du, ich komme darauf, weil sich an Bord unserer Station, nachdem unsere Oberen sie verlassen haben, nur noch anständige Kameraden befinden, die sie genauso wie mich zum Militärdienst gepreßt haben. Ich glaube, daß sich auf der anderen Seite, auf der Seite der Parmanteren, ebenso anständige Menschen wie auf unserer Seite befinden. Es war meine Aufgabe, unseren letzten gefangenen Parrnanteren vor seinem Verhör zu bewachen. Sie geben ja nicht jedem Rekrutierten einen solchen Auftrag, aber von den Eliteeinheiten sind nur noch wenige übrig, die meisten haben es verstanden, sich mit den Oberen rechtzeitig in die Etappe im Orbit abzusetzen, und befinden sich jetzt bestimmt längst auf dem Weg zur Kolonie Wega. Weil es länger dauerte, hatte ich Gelegenheit, mich ein wenig mit dem Parmanteren bekanntzumachen. Ich war ganz überrascht, daß er Inlingua konnte. Man macht sich bei Euch zu Hause doch ein falsches Bild von den Parmanteren. Die Greuel, mit denen Ihr überschüttet werdet, sind größtenteils frei erfunden. Soweit ich Berichte über Kämpfe gelesen habe, an denen wir selbst beteiligt waren, kann ich das aus eigener Erfahrung bestätigen.


Du verstehst, daß ich jetzt frei schreiben kann, weil ja auch der allmächtige Arm des Zensors in den Himmel verschwunden ist. Die Propaganda unserer Leute gegen die Parmanteren wirkt wahrscheinlich deswegen so erfolgreich, weil man sich das Äußere der Parmanteren zunutze macht. Als ich mit dem Gefangenen sprach, verlor er mehr und mehr den Anschein eines Teufels, und, mein Gott, wenn die Methanwesen stinken, dann dürften wir für sie auch nicht gerade angenehm riechen. Ich glaube, während unserer Unterhaltung hat er sogar ein wenig die Scheu vor mir verloren. Da hatte er auf einmal leuchtende, schöne Augen. Der Ausdruck verschwand erst wieder aus seinen Augen, als die Tür geöffnet wurde und die Wachmannschaften kamen, um ihn zu verhören, also ihn zu foltern und ihn so zum Reden zu bringen, oder, wie in diesem Fall, was ich erst nachträglich erfahren habe, um ihn zu töten.


Diese Greueltaten am Ende eines verlorenen Feldzugs sind schwer zu begreifen. Ich denke mir, daß man; hat man einen Kampf verloren, eben aufgeben muß, daß das Leben weitergeht, daß man die Erde nicht verbrennen darf, daß auch die ungeborenen Generationen ein Recht auf Leben haben. Der Gefangene hat mir Dinge erzählt, die mir im Kopf herumgehen. Zuerst wollte er wissen, ob ich wirklich daran glaube, daß wir die Freiheit unseres Landes, unseres Reiches ausgerechnet auf ihrem Planeten verteidigen würden. Ich antwortete, es lüge in unserem Interesse, unsere Verteidigungskriege in größtmöglicher Entfernung vor unserer Haustür auszutragen. Ja, sagte er, aber dabei versteht Ihr es, euer Imperium immer weiter auszudehnen. Was ist das für eine Befreiung, bei der immer mehr Völker, Rassen und Bewußtseinsformen des Universums zu Sklaven werden. Ich mußte dabei an die Landkarte denken, die wir in der Messe hängen haben und auf der unsere Eroberungen mit Stecknadelköpfen eingetragen sind. Was sollte ich dazu sagen? Er hatte recht. Diese Überlegungen, von denen ich Dir nie schreiben durfte, sind mir schon oft heiß aufgegangen.


Es ist nicht unser Krieg, den wir führen. Wir fechten diesen Krieg aus für andere Leute aus unserem Lager, die sich am Kriegsschauplatz niemals haben blicken lassen, die ihre Befehle von weither übermitteln lassen und die sich in der Etappe, auf den befriedeten Planeten amüsieren. Ich staune noch heute, wie rasch unsere Leute begonnen haben, den Planeten zu kolonisieren. Ich erinnere mich noch genau an die Anfangsphase des Krieges. Kaum hatten wir die ersten Brückenköpfe zu einem zusammenhängenden Gebiet vereinigt und in die Tiefe getrieben, da wurden bereits die ersten Geräte eingeflogen, um das Terrain nach Bodenschätzen zu sondieren. Ich weiß noch genau, wie einer der Oberen triumphierend verkündete, daß wir bald zu den Bodenschätzen, die sich rasch fanden, das »Parmanterenmaterial« liefern würden. Ich muß diese Bemerkung wieder vergessen haben, wie ich auch Dich, mein Liebling, vergessen hatte, doch weißt Du ja, daß sie uns mit dem Essen dopen.

Ich habe mich wieder an jene Dinge erinnert, die mir früher schon klar gewesen sind. Es sind nur wenige, die unsere Kriegsmaschine bewegen, die mit Feuer und Schwert über die Methanvölker regieren und die uns Landser ebensogut ins Joch gespannt haben. Es ist tatsächlich so, als würden sich meine Sinne klären, während ich schreibe. Da wir ohnehin zugrundegehen sollen, hielten sie es wohl nicht mehr für nötig, die Zusammensetzung unserer Speisen auf dem alten Stand zu halten, davon abgesehen, daß wir ohnehin bald nichts mehr zu essen haben werden. Ich bin ganz benommen. Soeben wurden wir wieder getroffen. Das Notlicht war einen Augenblick ausgefallen, und die Station ist in größere Tiefe gedriftet. Ich konnte es in den Wänden knacken hören, aber der Kreisel hat die Maschine wieder angehoben. Das Licht brennt jetzt wieder.

Ich glaube, liebste Elisa, daß wir Fehler gemacht haben. Du verzeihst mir, wenn ich darauf so abrupt zu sprechen komme, doch ich weiß nicht, wieviel Minuten mir noch verbleiben. Ich sehe deutlich in meiner Erinnerung, wie wir auf dem Callisto-Planeten spazieren gingen. Du weißt, wir waren verliebt, nicht mehr taufrisch, aber dafür etwas weise. Wir hatten die ersten Stürme mit anderen Partnern überstanden, und unser Blick für die Realitäten des Lebens war schärfer geworden. Ich glaube, das hat eine großartige Grundlage für unsere Liebe ergeben. Du weißt, wie wir uns über die vielen Deutungen dieses Wortes unterhalten haben, und ich glaube, die Bedeutung, die wir gefunden haben, war jenseits der Sensationen, die auch wir uns früher davon versprochen haben. Ich küsse Dich in Gedanken.

Weißt Du noch, wie wir uns überlegten, daß wir in eine schmutzige, zerrissene Welt geschleudert, daß wir ohnmächtig wären, es mit dieser Welt aufzunehmen, daß wir überlegten, ob es einen Ausweg gäbe, daß wir uns aufeinander verlassen könnten und daß wir uns immerhin so retten könnten, daß wir wenigstens in unsere private Beziehung, in unser Heim, die fremden und feindlichen Einflüsse nicht eindringen lassen würden; daß wir die Brutalitäten der Welt vor unserer Haustür lassen würden, um unser eigenes Leben zu führen. Absurder Gedanke! Es ist sehr schnell klar geworden, daß wir uns aus dem größeren Zusammenhang, in den wir geworfen, nicht lösen konnten. Der Ärger der Firma ließ sich nicht so einfach vor der Haustür abtreten. Die dumpfen Gedanken, die beim Fernsehen kamen, ließen sich nicht verscheuchen. Und wo uns materielle Not bedrängte, da haben wir je länger, um so vergeblicher gewartet, daß sich ein fröhliches Lächeln einstellen würde. Woher hätten wir auch die Kraft dazu nehmen sollen? Wenigstens unsere Seelen sollten nicht ausgeliefert werden. Welch untauglicher Versuch, auf einer einsamen Insel zu leben.

Wer hätte damals gedacht, daß ich unter solchen Umständen· einen Brief an Dich schreiben würde und daß mich jedes Knacken der Spanten zu Tode erschrecken würde. Ich glaube, sogar die Luft ist mittlerweile schlecht geworden, obwohl die Kompressionszeiger normal vibrieren. Man hat Dich zwangsverpflichtet, Du bist genauso wie ich unter die Maschine geschleudert worden. Heute, wo ich diesen Brief schreibe, weiß ich nicht einmal, ob sie Dich schon ganz in die Maschine eingearbeitet haben oder ob sie wenigstens einen Teil der Person, die ich so sehr liebe, übriggelassen haben. Ich habe Dir nie geschrieben, daß mein rechtes Bein verstümmelt wurde. Aber irgend einen Grund mußte es ja haben, daß ich nicht auf die waghalsigen Exkursionen geschickt wurde, daher noch lebe. Es ist nicht nur der Druck der Methanmassen, die über unserer Station lasten, die mir den Eindruck vermitteln, eine Stahlfaust würde mich zusammendrücken, es ist vielmehr das Gefühl, daß mein Kopf verwüstet würde. Ich meine jetzt nicht das Essen. Daran gewöhnt man sich, das geht vorüber. Bei jeder Drogenorgie, die sich mit Verschlechterung der Frontlage lüftet, ergaben sich auch lichte Augenblicke, falsche Kosten in der Psyche, die sie nicht kalkulieren konnten. Es ist dieses schreckliche Gefühl, versagt zu haben, feige gewesen zu sein, wo man hätte kämpfen müssen.

Weiß Du, jetzt, wo ich am Boden liege, weiß ich die Kameradschaft unter den Dienstgraden am meisten zu schätzen. Ich weiß nicht, ob Du diese Empfindung je hattest, aber diese Kameradschaft unter uns einfachen Soldaten, diese Solidarität ist eine ungeheuer warme Sonne. Ich denke mir, daß alle Menschen - und auch die Parmanteren - so empfinden müssen, daß wir alle uns doch in den anderen wiedererkennen, daß wir uns nach ihnen richten, daß alles, was wertvoll ist, von Bewußtseinsformen geschaffen wurde. Daß also alles, was wir für das Gute und Schöne halten, von der Gemeinschaft der Menschen geschaffen wurde und daß darum die anderen vor allem anderen zählen. Nur wenn wir für die anderen kämpfen, kämpfen wir für uns selber.


Liebste Elisa, wir führten ein individuelles Leben, ich glaube, daß wir gerade deswegen unser Leben versäumten. Was bedeutet schon die kleine Sonne zwischen uns beiden im Vergleich mit dem großen Leuchten. Wenn man wie ich durch den Weltraum gefahren ist, durch die Leere und das eisige Schweigen, dann weiß man die Wärme anderer Lebensformen erst richtig zu schätzen. Mich friert bei dem Gedanken, daß uns die Oberen verführten, die Parmateren wie andere hochentwickelte Bewegungsformen zu vernichten.


Anstatt den Kampf nach außen zu tragen, hätten wir ihn im Inneren führen müssen. Wir zogen es beide vor, unsere Köpfe in den Sand zu stecken und zu denken, so schlimm wird es schon nicht werden. Aber sie drehten immer weiter an der Schraube, und es wurde immer schlimmer. Wir hätten vorausdenken und kämpfen müssen. Wir hätten den brutalen Privatinteressen widerstehen, ihren Mechanismus zerschmettern müssen. Das Privatinteresse an anderen Menschen ist eine immer weiterkriechende Schlange, man kann sie nicht beschwören, überreden, betäuben, man kann sie nur zertreten.


Du weißt, liebste Elisa, daß ich den Tod nicht fürchte. Aber wenn ich schon sterbe, liebste Elisa, möchte ich doch wissen, warum ich sterbe. Natürlich weiß ich, warum ich mein Leben verliere. Aber das ist es ja, was mich so sehr peinigt. Würde ich jetzt mein Leben für eine gerechte Sache opfern - das würde etwas anderes bedeuten. Aber für die brutalen, feigen Egoisten, für den Abschaum der Menschheit mein Leben hinzugeben - dieser Gedanke ist mir unerträglich.


Du weißt, daß ich Dich liebe. Sollte Dich dieser Brief erreichen, so bin ich sicher, Du wirst begreifen, daß diese Liebeserklärung an Dich größer ist als jede andere, die ich Dir jemals abgegeben habe. Ich schreibe jetzt im Dunkeln weiter, ich glaube, die letzte Bombe hat uns voll getroffen. Die Idioten schießen aus allen Rohren, ich würde hinüberkriechen, vielleicht hätten wir eine Chance, aber sie haben die Schotten abgedichtet und würden mich nicht passieren lassen, und jetzt ist auch der Strom ausgefallen. Liebste Elisa, ich umarme Dich.1


1 Anm.: Eine Kopie dieses Briefes befindet sich im Zentralarchiv der Menschen (Inlingua: Parmanteren), das Original wurde eingespeist in die intergalaktischen Informationskanäle, von der Zensur abgefangen und vernichtet.