INHALT

  1. Cover
  2. Inhalt
  3. Über dieses Buch
  4. Über den Autor
  5. Titel
  6. Impressum
  7. Widmung
  8. Motto
  9. Fakten
  10. Prolog
  11. Kapitel 1
  12. Kapitel 2
  13. Kapitel 3
  14. Kapitel 4
  15. Kapitel 5
  16. Kapitel 6
  17. Kapitel 7
  18. Kapitel 8
  19. Kapitel 9
  20. Kapitel 10
  21. Kapitel 11
  22. Kapitel 12
  23. Kapitel 13
  24. Kapitel 14
  25. Kapitel 15
  26. Kapitel 16
  27. Kapitel 17
  28. Kapitel 18
  29. Kapitel 19
  30. Kapitel 20
  31. Kapitel 21
  32. Kapitel 22
  33. Kapitel 23
  34. Kapitel 24
  35. Kapitel 25
  36. Kapitel 26
  37. Kapitel 27
  38. Kapitel 28
  39. Kapitel 29
  40. Kapitel 30
  41. Kapitel 31
  42. Kapitel 32
  43. Kapitel 33
  44. Kapitel 34
  45. Kapitel 35
  46. Kapitel 36
  47. Kapitel 37
  48. Kapitel 38
  49. Kapitel 39
  50. Kapitel 40
  51. Kapitel 41
  52. Kapitel 42
  53. Kapitel 43
  54. Kapitel 44
  55. Kapitel 45
  56. Kapitel 46
  57. Kapitel 47
  58. Kapitel 48
  59. Kapitel 49
  60. Kapitel 50
  61. Kapitel 51
  62. Kapitel 52
  63. Kapitel 53
  64. Kapitel 54
  65. Kapitel 55
  66. Kapitel 56
  67. Kapitel 57
  68. Kapitel 58
  69. Kapitel 59
  70. Kapitel 60
  71. Kapitel 61
  72. Kapitel 62
  73. Kapitel 63
  74. Kapitel 64
  75. Kapitel 65
  76. Kapitel 66
  77. Kapitel 67
  78. Kapitel 68
  79. Kapitel 69
  80. Kapitel 70
  81. Kapitel 71
  82. Kapitel 72
  83. Kapitel 73
  84. Kapitel 74
  85. Kapitel 75
  86. Kapitel 76
  87. Kapitel 77
  88. Kapitel 78
  89. Kapitel 79
  90. Kapitel 80
  91. Kapitel 81
  92. Kapitel 82
  93. Kapitel 83
  94. Kapitel 84
  95. Kapitel 85
  96. Kapitel 86
  97. Kapitel 87
  98. Kapitel 88
  99. Kapitel 89
  100. Kapitel 90
  101. Kapitel 91
  102. Kapitel 92
  103. Kapitel 93
  104. Kapitel 94
  105. Kapitel 95
  106. Kapitel 96
  107. Kapitel 97
  108. Kapitel 98
  109. Kapitel 99
  110. Kapitel 100
  111. Kapitel 101
  112. Kapitel 102
  113. Kapitel 103
  114. Kapitel 104
  115. Epilog
  116. Danksagung
  117. Leseprobe - Origin

Über dieses Buch

Mein Geschenk ist die Zukunft. Mein Geschenk ist die Erlösung. Mein Geschenk ist … Inferno

Robert Langdon, Harvard-Professor für Symbologie, erwacht mit einer Schusswunde in einem Krankenhaus in Florenz und kann sich nicht an die letzten zwei Tage erinnern. Doch viel Zeit zur Erholung bleibt ihm nicht, denn nach einem Anschlag muss er mit der jungen Ärztin Sienna Brooks in deren Wohnung flüchten. Dort stellt sich heraus, dass Langdon dabei war, die versteckte Botschaft in einem jahrhundertealten Gemälde zu Dantes »Inferno« zu entschlüsseln. Die Spur führt sie in den Palazzio Vecchio, wo sie sich von Dantes Totenmaske konkretere Hinweise erhoffen, doch diese ist gestohlen worden. Nun beginnt eine Jagd durch halb Europa, bei der Langdon die Maske wiederfinden und einen perfiden Plan vereiteln muss.

Über den Autor

Dan Brown unterrichtete Englisch, bevor er sich ganz seiner Tätigkeit als Schriftsteller widmete. Als Sohn eines mehrfach ausgezeichneten Mathematikprofessors und einer bekannten Kirchenmusikerin wuchs er in einem Umfeld auf, in dem Wissenschaft und Religion keine Gegensätze darstellen. Mit Robert Langdon schuf er einen Helden, der die Leser der Romane Illuminati, Sakrileg – The Da Vinci Code, Das Verlorene Symbol und Inferno im Sturm eroberte. Seitdem gehört Dan Brown zu den erfolgreichsten Autoren aller Zeiten. Dan Brown ist verheiratet und lebt mit seiner Frau, einer Kunsthistorikerin, in Neuengland.

Dan Brown, Inferno, Thriller

BASTEI ENTERTAINMENT

 

Für meine Eltern …

 

Die heißesten Orte der Hölle sind reserviert für jene,
die in Zeiten moralischer Krisen nicht Partei ergreifen.

FAKTEN

Alle Werke der Kunst und Literatur in diesem
Roman existieren wirklich.
Die wissenschaftlichen und historischen
Hintergründe sind wahr.

»Das Konsortium« ist eine private Organisation
mit Büros in sieben Nationen. Ihr Name
wurde aus Gründen der Sicherheit und des
Datenschutzes geändert.

Inferno ist die Unterwelt, wie in Dante Alighieris
Göttlicher Komödie beschrieben, ein kunstvoll
ausgearbeitetes Reich, bevölkert von als Schatten
bekannten Wesen – körperlosen Schemen,
gefangen zwischen Leben und Tod.

PROLOG

Ich bin der Schatten.

Ich fliehe durch die trauernde Stadt.

Durch das ewige Leid hindurch ergreife ich die Flucht.

Ich haste entlang am Ufer des Flusses Arno, atemlos … wende mich nach links in die Via di Castellani, suche meinen Weg nach Norden, drücke mich in die Schatten der Uffizien.

Und sie jagen mich immer weiter.

Ihre Schritte werden lauter, während sie mich mit unerbittlicher Entschlossenheit verfolgen.

Vier Jahre stellen sie mir schon nach. Ihre Beharrlichkeit hat mich in den Untergrund getrieben … mich gezwungen, im Fegefeuer zu leben … unter der Erde zu arbeiten wie ein chthonisches Monster.

Ich bin der Schatten.

Hier über der Erde hebe ich den Blick nach Norden, doch ich finde keinen direkten Weg zur Erlösung … Die Berge des Apennin halten das erste Licht der Morgendämmerung zurück.

Ich renne hinter dem Palazzo vorbei mit seinem krenelierten Turm und der Stundenuhr … schleiche hindurch zwischen den Verkäufern auf der Piazza di San Firenze mit ihren heiseren Stimmen und ihrem Geruch nach lampredotto und gegrillten Oliven. Vor dem Bargello biege ich ab nach Westen, nähere mich der Badia und lande vor dem eisernen Tor am Fuß der Treppen.

Jetzt ist kein Zögern mehr erlaubt.

Ich drehe den Knauf und betrete die Passage, von der es kein Zurück mehr für mich gibt. Ich zwinge meine bleiernen Beine die schmale, gewundene Treppe hinauf mit ihren ausgetretenen, abgewetzten Stufen aus narbigem Marmor.

Die Stimmen hallen von unten herauf. Beschwörend.

Sie sind hinter mir, unerbittlich, schließen auf.

Sie begreifen nicht, was kommen wird … ebenso wenig wie das, was ich für sie getan habe!

Undankbare Welt!

Während ich emporsteige, überkommen mich die Visionen in schneller Folge … sündige Leiber, die sich in feurigem Regen winden, verfressene Seelen, die in Exkrementen treiben, verräterische Schurken, erstarrt in Satans eisigem Griff.

Ich ersteige die letzten Stufen und erreiche das Ende, stolpere hinaus in die feuchte Morgenluft, dem Tode nah. Ich renne zu der mannshohen Mauer, spähe durch die Scharten. Tief unter mir liegt die gesegnete Stadt, in der ich Zuflucht suche vor jenen, die mich ins Exil getrieben haben.

Die Stimmen rufen laut; sie sind jetzt dicht hinter mir. »Was du getan hast, ist Wahnsinn!«

Wahnsinn bringt Wahnsinn hervor.

»Um Gottes willen!«, rufen sie. »Sag uns, wo du es versteckt hast!«

Um unseres Gottes willen werde ich genau das nicht tun.

Ich stehe jetzt, in die Enge getrieben, mit dem Rücken zum kalten Stein. Sie starren mir tief in die klaren grünen Augen, und ihre Mienen verdunkeln sich, als sie mir nicht länger schmeicheln, sondern unverhüllt drohen. »Du weißt, dass wir unsere Methoden haben. Wir können dich zwingen, uns zu verraten, wo es ist!«

Aus genau diesem Grund bin ich den halben Weg zum Himmel hinaufgestiegen.

Unvermittelt drehe ich mich um und ziehe mich am Sims der hohen Mauer hinauf. Zuerst auf die Knie, dann stehe ich … unsicher wankend vor dem Abgrund. Führe mich, o Vergil, durch die Leere.

Ungläubig springen sie vor, wollen mich an den Füßen packen und fürchten zugleich, sie könnten mir das Gleichgewicht rauben und mich hinunterstoßen. Jetzt flehen sie in stiller Verzweiflung, doch ich habe ihnen den Rücken zugewandt. Ich weiß, was ich tun muss.

Unter mir, in schwindelerregender Tiefe, erstrahlt die Landschaft aus rot geziegelten Dächern wie ein feuriges Meer … erhellt das Land, das einst Giganten durchstreiften … Giotto, Donatello, Brunelleschi, Michelangelo, Botticelli.

Ich trete ganz langsam vor bis zur Kante.

»Komm runter!«, rufen sie mir zu. »Es ist noch nicht zu spät!«

Oh, ihr starrsinnigen Ignoranten. Seht ihr denn nicht die Zukunft? Begreift ihr denn nicht die Brillanz meiner Schöpfung? Die schiere Notwendigkeit?

Ich bin mehr als bereit, dieses größte aller Opfer zu bringen … Und mit ihm werde ich eure letzte Hoffnung zerstören, das zu finden, was ihr sucht.

Ihr werdet es niemals rechtzeitig entdecken.

Dutzende von Metern unter mir lockt der gepflasterte Platz wie eine stille Oase. Wie sehr es mich nach mehr Zeit dürstet … Doch Zeit ist die einzige Ware, die zu erkaufen selbst meine üppigen Reichtümer nicht genügen.

In diesen letzten Sekunden sehe ich hinunter auf die Piazza und halte verblüfft inne.

Ich sehe dein Gesicht.

Du starrst aus den Schatten zu mir herauf. Deine Augen sind voller Trauer, und doch verspüre ich Ehrfurcht in ihnen für das, was ich erreicht habe. Du verstehst, dass mir keine Wahl bleibt. Um der Menschheit willen – ich muss mein Meisterwerk schützen.

Es wächst selbst jetzt noch … wartend … schwelend in den blutroten Wassern der Lagune, in der sich nie spiegeln die Sterne.

Und so löse ich mich von deinem Anblick und betrachte den Horizont. Hoch über dieser schwer beladenen Welt spreche ich mein letztes Gebet.

Allmächtiger Gott, ich bete darum, dass die Welt mich nicht als einen ungeheuerlichen Sünder in Erinnerung behält, sondern als den glorreichen Erlöser, der ich, wie du weißt, in Wahrheit bin. Ich bete darum, dass die Menschheit begreift, welches Geschenk ich ihr hinterlassen habe.

Mein Geschenk ist die Zukunft.

Mein Geschenk ist die Erlösung.

Mein Geschenk ist … Inferno.

Ich flüstere ein leises Amen … und trete einen letzten Schritt vor, hinein in den Abgrund.

KAPITEL 1

Die Erinnerungen kehrten nur langsam zurück … wie Blasen, die aus den Tiefen eines bodenlosen Brunnens an die Oberfläche steigen.

Eine verschleierte Frau.

Robert Langdon starrte sie über einen Fluss hinweg an, dessen schäumende Fluten rot waren von Blut. Die Frau stand am anderen Ufer, ihm zugewandt, reglos und ernst, das Gesicht mit einem Schleier verhüllt. In der Hand hielt sie eine blaue Taenia, eine Kopfbinde, die sie nun hob, zu Ehren des Ozeans aus Leibern am Boden ringsum. Der Gestank nach Tod hing über allem.

Suche, flüsterte die Frau. Suche, und du wirst finden.

Langdon hörte die Worte, als hätte die Frau in seinem Kopf gesprochen. »Wer sind Sie?«, wollte er rufen, doch seine Kehle blieb stumm.

Die Zeit drängt, flüsterte die Frau. Suche und finde.

Langdon trat einen Schritt auf den Fluss zu. Er wollte ihn durchqueren, doch das Wasser, das blutrote Wasser, war zu tief. Als er den Blick wieder zu der verschleierten Frau hob, hatte sich die Zahl der Körper zu ihren Füßen vervielfacht. Jetzt waren es Hunderte, vielleicht Tausende, manche noch am Leben, sich windend in entsetzlichen Qualen, unvorstellbare Tode sterbend … verzehrt vom Feuer, unter Fäkalien begraben, einander verschlingend. Die klagenden Schreie der Gepeinigten hallten über das Wasser.

Die Frau trat einen Schritt auf ihn zu. Sie hielt die zierlichen Hände ausgestreckt, als flehe sie um Hilfe.

»Wer sind Sie?«, wiederholte Langdon seine Frage, und diesmal gehorchte ihm seine Stimme.

Zur Antwort zog die Frau sich langsam den Schleier vom Gesicht. Sie war von atemberaubender Schönheit, doch viel älter, als Langdon vermutet hatte – bestimmt über sechzig, würdevoll, erhaben und zeitlos wie eine Statue. Ihre Miene zeigte Entschlossenheit, ihre Augen waren tief und voller Gefühl, und ihr langes, silbergraues Haar fiel ihr in gelockten Kaskaden über die Schultern. Um den Hals trug sie ein Amulett aus Lapislazuli – eine Schlange, die sich um einen Stab wand.

Langdon war sicher, dass er die Frau kannte … dass er ihr vertraute. Aber … woher? Warum?

Sie deutete auf ein sich windendes Paar Beine, das aus dem Erdreich ragte und anscheinend einer armen Seele gehörte, die mit dem Kopf voran bis zur Hüfte eingegraben worden war. Auf dem blassen Oberschenkel des Mannes war ein einzelner Buchstabe zu erkennen, geschrieben mit Schlamm, ein R.

R?, dachte Langdon unsicher. Wie in Robert? »Bin … Bin ich das?«

Das Gesicht der Frau war ausdruckslos. Suche und finde, wiederholte sie.

Unvermittelt erstrahlte sie in weißem Licht … schwach zuerst, dann heller und heller. Ihr gesamter Leib fing an zu vibrieren, bis sie unter ohrenbetäubendem Donnerhall in tausend splitternde Scherben aus Licht zerbarst.

Langdon fuhr schreiend hoch. Er war mit einem Schlag wach.

Das Zimmer war hell erleuchtet. Er war allein. Der scharfe Geruch nach medizinischem Alkohol hing in der Luft, und irgendwo pingte eine Maschine in leisem, rhythmischem Einklang mit seinem Herzschlag. Langdon hob den rechten Arm ein wenig, doch sogleich durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Er blickte an sich hinunter und sah einen intravenösen Tropf in seinem Unterarm.

Sein Puls ging schneller, und die Maschine hielt mit ihm mit. Das leise Pingen wurde drängender.

Wo bin ich? Was ist passiert?

Langdons Hinterkopf pochte – ein nagender, anhaltender Schmerz. Behutsam tastete er mit der linken Hand nach der Ursache für seine Kopfschmerzen. Unter dem verfilzten Haar fand er eine verkrustete Narbe: etwa ein Dutzend Stiche.

Er schloss die Augen und versuchte sich an einen Unfall zu erinnern.

Nichts. Völlige Leere.

Denk nach.

Nichts außer Dunkelheit.

Ein Mann in einem OP-Kittel stürmte herein, offensichtlich alarmiert durch Langdons rasenden Herzmonitor. Er hatte einen zottigen Bart mit buschigem Schnäuzer und freundliche Augen, die unter den dichten Brauen eine besonnene Ruhe ausstrahlten.

»Was … was ist passiert?«, stieß Langdon hervor. »Hatte ich einen Unfall?«

Der bärtige Mann legte den Zeigefinger an die Lippen, eilte auf den Korridor hinaus und rief nach einer zweiten Person.

Langdon drehte den Kopf, doch die Bewegung sandte einen brennenden Schmerz durch seinen Schädel. Er atmete tief durch und wartete, bis der Schmerz nachließ. Dann nahm er seine sterile Umgebung sehr, sehr vorsichtig und methodisch in Augenschein.

Das Krankenzimmer hatte nur ein einziges Bett. Keine Blumen, keine Karten. Langdon entdeckte seine Kleidung auf einem Tresen, ordentlich gefaltet und in einer transparenten Plastiktüte verstaut. Alles war voller Blut.

Mein Gott. Es muss schlimm gewesen sein.

Behutsam wandte Langdon den Kopf zum Fenster. Draußen war es dunkel. Nacht. Hinter der Scheibe war nichts zu erkennen, er sah nur sein Spiegelbild – das Bild eines aschfahlen Fremden, bleich und erschöpft, angeschlossen an Schläuche und Drähte und umgeben von medizinischen Apparaten.

Auf dem Gang näherten sich Stimmen, und Langdon richtete den Blick zur Tür. Der Arzt kehrte zurück, in Begleitung einer Frau.

Sie sah aus wie Anfang dreißig, trug den gleichen blauen Kittel wie ihr Kollege und hatte die blonden Haare zu einem dicken Pferdeschwanz zurückgebunden, der beim Gehen rhythmisch pendelte.

»Mein Name ist Dr. Sienna Brooks«, stellte sie sich vor und lächelte Langdon an. »Dr. Marconi und ich arbeiten heute Nacht zusammen.«

Langdon nickte schwach.

Sie war groß und schlank und bewegte sich energisch wie eine Athletin. Selbst in ihrem unförmigen Kittel strahlte sie eine geschmeidige Eleganz aus, und sie schien völlig ungeschminkt zu sein, was ihre ungewöhnlich glatte Haut zusätzlich betonte. Ihr einziger Makel war ein winziger Schönheitsfleck dicht über der Oberlippe. Die Augen der Ärztin waren von einem sanften Braun und wirkten ungewöhnlich ernst, als habe die junge Frau in mehr dunkle Abgründe geblickt als die meisten Menschen ihres Alters.

»Dr. Marconi spricht nicht so gut Englisch«, sagte sie und setzte sich neben ihn. »Er hat mich gebeten, Ihr Aufnahmeformular auszufüllen.« Sie schenkte ihm ein weiteres Lächeln.

»Danke«, krächzte Langdon.

»Okay, fangen wir an«, fuhr sie in geschäftsmäßigem Ton fort. »Wie heißen Sie?«

Er brauchte einen Augenblick. »Robert … Robert Langdon.«

Sie leuchtete ihm mit einer Stiftlampe in die Augen. »Beruf?«

Diese Information kam noch langsamer an die Oberfläche. »Wissenschaftler. Professor für Kunstgeschichte … und Symbolologie. Harvard University.«

Dr. Brooks senkte die Lampe und sah ihn verblüfft an. Der Arzt mit den buschigen Augenbrauen wirkte gleichermaßen überrascht.

»Sie … Sie sind Amerikaner?«

Langdon blickte verlegen drein.

»Es ist so …« Sie zögerte. »Sie hatten keine Papiere bei sich, als Sie heute Nacht hergekommen sind. Sie trugen Harris-Tweed und Somerset-Slipper, deswegen dachten wir, Sie seien Brite.«

»Ich bin Amerikaner«, versicherte Langdon ihr. Er war zu erschöpft, um seine Vorliebe für gut sitzende Maßkleidung zu erklären.

»Schmerzen?«

»Mein Kopf«, antwortete Langdon. Das Pochen war von dem grellen Licht der Stiftlampe noch schlimmer geworden. Er war heilfroh, als sie die Lampe einsteckte und ihm den Puls fühlte.

»Sie sind schreiend aufgewacht«, sagte die Ärztin. »Erinnern Sie sich an den Grund?«

Langdon dachte an die merkwürdige Vision von der verschleierten Frau in dem Meer aus sich windenden Leibern. Suche, und du wirst finden. »Ich hatte einen Alptraum.«

»Worum ging es?«

Langdon erzählte ihr alles.

Dr. Brooks’ Gesichtsausdruck blieb neutral, während sie sich auf einem Klemmbrett Notizen machte. »Irgendeine Idee, was die Ursache sein könnte für einen derartigen Angsttraum?«

Langdon dachte nach, dann schüttelte er den Kopf, der protestierend hämmerte.

»Okay, Mr. Langdon«, sagte die Ärztin, ohne mit dem Schreiben innezuhalten. »Noch ein paar Routinefragen. Welcher Wochentag ist heute?«

Langdon überlegte einen Moment. »Samstag. Ich erinnere mich, dass ich am Nachmittag über den Campus gelaufen bin … auf dem Weg zu einer Vorlesungsreihe, und dann … Das ist mehr oder weniger das Letzte, woran ich mich erinnere. Bin ich gestürzt?«

»Dazu kommen wir gleich. Wissen Sie, wo Sie sind?«

Langdon konnte nur spekulieren. »Im Massachusetts General Hospital?«

Dr. Brooks schrieb eine weitere Notiz nieder. »Gibt es jemanden, den wir anrufen und informieren sollten? Ihre Frau? Kinder?«

»Niemanden«, antwortete Langdon prompt. Er hatte die Einsamkeit und Unabhängigkeit stets geschätzt, die ihm sein Leben als Junggeselle verschaffte, doch leider ging damit auch einher, dass er in seiner gegenwärtigen Situation auf ein vertrautes Gesicht an seiner Seite verzichten musste. »Es gibt ein paar Kollegen, die ich anrufen könnte, aber das muss nicht unbedingt sein.«

Dr. Brooks steckte den Stift weg, und der andere Arzt trat hinzu. Er strich sich über die buschigen Augenbrauen, dann zog er einen kleinen Rekorder aus der Tasche und zeigte ihn Dr. Brooks. Sie nickte und wandte sich ihrem Patienten zu.

»Mr. Langdon, als Sie heute Nacht hier ankamen, murmelten Sie immer wieder die gleichen Worte.« Sie sah Dr. Marconi an, der den digitalen Rekorder einschaltete und eine Aufzeichnung abspielte.

Dann hörte Langdon seine eigene Stimme, die wieder und wieder die gleiche Phrase murmelte. »Ve… sorry. Ve… sorry.«

»Das klingt für mich«, sagte die Frau, »als hätten Sie immer wieder ›Very sorry‹ gesagt, ›Es tut mir sehr leid‹. Könnte das sein?«

Langdon pflichtete ihr bei, auch wenn er sich nicht erinnern konnte.

Dr. Brooks musterte ihn mit beunruhigender Intensität. »Haben Sie eine Idee, warum Sie das gesagt haben? Bereuen Sie irgendetwas?«

Während Langdon die dunklen Nischen seiner Erinnerung durchforstete, tauchte wieder die verschleierte Frau vor seinem geistigen Auge auf. Sie stand am Ufer des blutroten Flusses, umgeben von Körpern. Der Gestank nach Tod kehrte zurück.

Langdon wurde übermannt von einem unmittelbaren, instinktiven Gefühl von Gefahr … nicht nur für sich selbst … sondern für jeden Menschen auf der Welt. Das Pingen seines Herzfrequenzmonitors beschleunigte sich rapide. Seine Muskeln verkrampften, und er versuchte, sich aufzusetzen.

Schnell legte Dr. Brooks ihm die Hand auf die Brust und drückte ihn zurück. Sie warf einen Blick auf den bärtigen Arzt, der zu einer Theke ging und sich dort zu schaffen machte.

Dr. Brooks beugte sich über Langdon und redete leise auf ihn ein. »Mr. Langdon, Nervosität und Angstzustände sind ganz normal bei Hirnverletzungen, aber Sie müssen Ihren Puls niedrig halten. Keine Bewegung, keine Aufregung. Liegen Sie ruhig und ruhen Sie sich aus. Sie werden wieder gesund. Ihre Erinnerung wird langsam zurückkehren.«

Der andere Arzt kam mit einer Spritze zurück, die er Dr. Brooks reichte. Sie injizierte den Inhalt in Langdons intravenösen Tropf.

»Nur ein schwaches Sedativum, um Sie zu beruhigen«, erklärte sie ihm. »Und um Ihre Schmerzen zu lindern.« Sie erhob sich zum Gehen. »Sie werden wieder gesund, Mr. Langdon. Schlafen Sie. Wenn Sie irgendetwas brauchen, drücken Sie einfach den Knopf neben Ihrem Bett.«

Sie schaltete das Licht aus und verließ zusammen mit dem bärtigen Arzt den Raum.

In der Dunkelheit spürte Langdon beinahe sofort, wie die Medikamente ihre Wirkung entfalteten und seinen Körper in jenen tiefen Brunnen hinunterzogen, aus dem er kurz zuvor aufgetaucht war. Er kämpfte gegen das Gefühl an und zwang sich, die Augen in der Dunkelheit zu öffnen. Er versuchte, sich aufzusetzen, doch sein Körper fühlte sich an wie Zement.

Langdon drehte sich zur Seite und blickte zum Fenster. Weil das Licht ausgeschaltet war, sah er nun auch kein Spiegelbild mehr im dunklen Glas. Es war der erleuchteten Silhouette einer Stadt gewichen.

Inmitten von Kuppeln und Türmen dominierte eine prachtvolle Fassade den Ausblick. Das Gebäude war eine imposante Festung aus Stein mit einer Zinnenmauer und einem hundert Meter hohen Turm, dessen oberes Ende zu einer massiven auskragenden Brustwehr anschwoll.

Langdon richtete sich kerzengerade im Bett auf. Schmerz explodierte in seinem Kopf. Er kämpfte gegen das sengende Pochen an und starrte auf den Turm.

Langdon kannte das mittelalterliche Gebäude gut.

Es war einzigartig auf der Welt.

Unglücklicherweise stand es sechseinhalbtausend Kilometer von Massachusetts entfernt.

Draußen vor seinem Fenster, verborgen in den Schatten der Via Torregalli, stieg eine athletisch gebaute Frau mit spielerischer Leichtigkeit von ihrer BMW. Sie näherte sich dem Gebäude mit der Konzentration eines Panthers, der seine Beute beschleicht. Ihr Blick war scharf. Ihr kurzgeschnittenes Haar, mit Gel zu spitzen Borsten geformt, drückte im Nacken gegen den hochgeschlagenen Kragen ihrer schwarzen Motorradkluft. Sie überprüfte ihre schallgedämpfte Pistole und starrte hinauf zu Robert Langdons Fenster, hinter dem soeben die Lichter ausgegangen waren.

Früher an diesem Abend war ihre ursprüngliche Mission total schiefgegangen.

Das Gurren einer einzigen Taube hat alles geändert.

Sie war hier, um ihren Fehler zu korrigieren.

KAPITEL 2

Ich bin in Florenz?

Robert Langdons Kopf pochte. Er saß aufrecht in seinem Krankenbett und drückte erneut den Rufknopf. Trotz der Beruhigungsmittel in seinem Kreislauf raste sein Herzschlag.

Dr. Brooks eilte mit pendelndem Pferdeschwanz in das Zimmer. »Ist alles in Ordnung?«

Langdon schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich bin in … in Italien

»Gut«, sagte sie. »Ihre Erinnerung kehrt zurück.«

»Nein!« Langdon blickte zum Fenster und zeigte auf das eindrucksvolle Bauwerk in der Ferne. »Ich kenne dieses Gebäude. Das ist der Palazzo Vecchio.«

Dr. Brooks schaltete die Zimmerbeleuchtung ein, und die Skyline von Florenz verschwand. »Mr. Langdon, machen Sie sich keine Sorgen.« Die junge Ärztin trat zu ihm ans Bett. »Sie leiden an einer leichten Amnesie, aber Dr. Marconi hat mir bestätigt, dass Ihre Hirnfunktionen völlig in Ordnung sind.«

Der bärtige Arzt stürzte in diesem Moment ebenfalls ins Zimmer. Er überprüfte Langdons Herzfrequenzmonitor, während Dr. Brooks in schnellem, flüssigen Italienisch auf ihn einredete – Langdon sei agitato, weil er festgestellt habe, dass er sich in Italien befinde.

Aufgebracht?, dachte Langdon verärgert. Eher schockiert! Das Adrenalin in seinem Kreislauf kämpfte gegen die Beruhigungsmittel an. »Was ist mit mir passiert? Welchen Tag haben wir heute?«

»Alles ist bestens«, sagte sie. »Bleiben Sie ruhig. Es ist früher Morgen, und heute ist Montag, der achtzehnte März.«

Montag. Trotz der Schmerzen versuchte Langdon, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie er hierhergelangt war. Die Bilder, die vor seinem geistigen Auge erschienen, waren kalt und dunkel. Er lief über den Campus von Harvard zu einer samstagabendlichen Vorlesungsreihe. Aber das ist zwei Tage her! Panik drohte in ihm aufzusteigen, als er versuchte, sich an die Vorlesung oder irgendetwas danach zu erinnern. Nichts. Das Pingen des Herzfrequenzmonitors beschleunigte sich.

Der ältere Arzt kratzte sich den Bart und machte sich an den Apparaten zu schaffen, während Dr. Brooks sich zu Langdon auf das Bett setzte.

»Sie werden wieder gesund«, versicherte sie ihm in ruhigem, sanftem Tonfall. »Wir haben bei Ihnen eine rückläufige Amnesie diagnostiziert, was bei Schädeltraumata sehr häufig vorkommt. Ihre Erinnerungen an die letzten Tage sind verschwommen oder fehlen ganz, aber Sie werden keine bleibenden Schäden davontragen.« Sie zögerte. »Erinnern Sie sich an meinen Vornamen? Ich habe mich vorgestellt, als ich hereingekommen bin.«

Langdon überlegte kurz. »Sienna«, sagte er dann. Dr. Sienna Brooks.

»Sehen Sie?« Die Ärztin lächelte. »Sie bilden bereits neue Erinnerungen.«

Langdons Kopfschmerzen waren beinahe unerträglich, und er nahm seine Umgebung nur verschwommen wahr. »Was … was ist passiert? Wie bin ich hergekommen?«

»Ich denke, Sie sollten sich ausruhen, und vielleicht …«

»Wie bin ich hergekommen?«, beharrte er, und der Herzfrequenzmonitor pingte noch schneller.

»Okay, okay, atmen Sie ganz ruhig«, sagte Dr. Brooks und wechselte einen nervösen Blick mit ihrem Kollegen. »Ich erzähle es Ihnen.« Ihre Stimme wurde merklich ernster. »Mr. Langdon, vor drei Stunden sind Sie in unsere Notaufnahme gestolpert. Sie haben aus einer Kopfwunde geblutet und das Bewusstsein verloren. Wir wussten nicht, wer Sie sind oder wie Sie zu uns gefunden haben. Sie murmelten etwas auf Englisch vor sich hin, also hat mich Dr. Marconi gebeten, ihm zu helfen. Ich bin Ärztin, komme aus England und habe ein Sabbatjahr eingelegt.«

Langdon fühlte sich, als wäre er in einem Gemälde von Max Ernst aufgewacht. Was in drei Teufels Namen mache ich in Italien? Normalerweise war er jedes zweite Jahr im Juni zu einer internationalen Kunstkonferenz in Italien, aber jetzt war es erst März.

Die Wirkung der Schmerz- und Beruhigungsmittel wurde stärker, und er hatte das Gefühl, als nähme die Schwerkraft von Sekunde zu Sekunde zu und wolle ihn durch die Matratze zerren. Langdon kämpfte dagegen an, schüttelte den Kopf und versuchte wach zu bleiben.

Dr. Brooks beugte sich vor. Sie schien über ihm zu schweben wie ein Engel. »Bitte, Mr. Langdon«, flüsterte sie. »So ein Schädeltrauma ist sehr heikel in den ersten vierundzwanzig Stunden. Sie müssen sich ausruhen, oder Sie könnten ernsthafte Schäden davontragen.«

Plötzlich knackte die Gegensprechanlage. »Dottore Marconi?«, fragte eine Stimme.

Der bärtige Arzt drückte auf einen Knopf an der Wand. »Si?«

Die Stimme sprach in schnellem Italienisch. Langdon verstand nicht, was sie sagte, doch ihm entging nicht, dass sich die Ärzte überrascht ansahen. Oder sind sie erschrocken?

»Un minuto«, antwortete Dr. Marconi und beendete das Gespräch.

»Was geht da vor?«, verlangte Langdon zu erfahren.

Dr. Brooks’ Augen schienen sich ein wenig zu verengen. »Das war der Empfang der Intensivstation. Jemand hat nach Ihnen gefragt. Er will Sie sehen.«

Ein Hoffnungsschimmer vertrieb Langdons Benommenheit. »Das sind gute Neuigkeiten! Vielleicht weiß dieser Jemand ja, was mir zugestoßen ist!«

Die Ärztin blickte unsicher drein. »Es ist sehr merkwürdig, dass jemand hergekommen ist. Wir kannten bis eben nicht einmal Ihren Namen, und Sie sind noch nicht in unserem System registriert.«

Langdon kämpfte gegen die Sedativa an und richtete sich mühsam in seinem Bett auf.

»Wenn diese Person weiß, dass ich hier bin, dann muss sie auch wissen, was passiert ist!«

Dr. Brooks blickte zu Dr. Marconi, der sofort den Kopf schüttelte und auf seine Uhr tippte. Sie wandte sich wieder an Langdon. »Das hier ist die Intensivstation«, erklärte sie. »Kein Besucher hat vor neun Uhr morgens Zutritt. Dr. Marconi wird nach vorn gehen und sich erkundigen, wer der Besucher ist und was er will.«

»Interessiert es vielleicht jemanden, was ich will?«, fragte Langdon.

Dr. Brooks lächelte geduldig, beugte sich dichter über Langdon und senkte die Stimme. »Mr. Langdon, es gibt ein paar Dinge, die Sie noch nicht wissen über gestern Abend … in Bezug auf das, was Ihnen widerfahren ist. Und ich denke, es ist nur fair, dass Sie alle Fakten erfahren, bevor Sie mit irgendjemandem reden. Allerdings glaube ich, dass Sie im Moment noch zu schwach sind, um …«

»Was für Fakten?«, rief Langdon aufgebracht und richtete sich noch mehr auf. Der intravenöse Eingang in seinem Unterarm zwickte, und sein Körper fühlte sich an, als wöge er mehrere hundert Kilo. »Ich weiß nur, dass ich in einem Krankenhaus in Florenz liege und dass ich bei meiner Ankunft immer wieder die Worte ›very sorry‹ wiederholt habe …!«

Ein erschreckender Gedanke schoss ihm durch den Kopf.

»Hatte ich einen Autounfall?«, fragte Langdon. »Habe ich jemanden verletzt?«

»Nein, nein!«, antwortete sie hastig. »Nein, das glaube ich nicht.«

»Aber was dann?«, hakte Langdon nach und sah beide Ärzte wütend an. »Ich habe ein Recht zu erfahren, was los ist!«

Ein längeres Schweigen folgte, und schließlich sah Dr. Marconi seine jüngere Kollegin an und nickte zögernd. Dr. Brooks seufzte. »Okay, ich sage Ihnen, was wir wissen … und Sie werden sich nicht aufregen, versprochen?«

Langdon nickte. Die Kopfbewegung sandte einen stechenden Schmerz durch seinen Schädel. Er ignorierte ihn, begierig auf Antworten.

»Als Erstes müssen Sie wissen … Ihre Kopfwunde rührt nicht von einem Unfall her.«

»Na, das erleichtert mich ungemein.«

»Bestimmt nicht, glauben Sie mir. Ihre Wunde wurde nämlich durch eine Kugel verursacht.«

Langdons Herzfrequenzmonitor pingte wieder schneller. »Wie bitte?«

Dr. Brooks sprach mit fester Stimme. »Ein Schuss hat Ihre Schädeldecke gestreift, und Sie haben aller Wahrscheinlichkeit nach eine Gehirnerschütterung erlitten. Sie haben Glück, dass Sie noch am Leben sind. Ein paar Zentimeter tiefer, und …« Sie schüttelte den Kopf.

Langdon starrte sie ungläubig an. Jemand hat auf mich geschossen?

Draußen vor der Intensivstation wurden ärgerliche Stimmen laut. Es klang, als wollte der ominöse Besucher nicht länger warten. Fast im gleichen Moment sah Langdon, wie die schwere Tür am anderen Ende des Ganges aufgestoßen wurde. Eine Frau näherte sich durch den Korridor.

Sie war von oben bis unten in schwarzes Leder gekleidet, wirkte stark und geschmeidig und hatte dunkle, kurz geschorene Haare, die mit Gel zu einer Stachelfrisur geformt waren. Sie bewegte sich so leichtfüßig, als berührte sie den Boden nicht, und hielt direkt auf Langdons Krankenzimmer zu.

Ohne zu zögern trat Dr. Marconi durch die offene Tür nach draußen, um die Besucherin aufzuhalten. »Ferma qui!«, sagte er in bestimmtem Ton und hob die Hand wie ein Polizist, der einen Autofahrer anhält.

Ohne innezuhalten zog die Fremde eine Pistole mit langem Schalldämpfer, zielte auf Dr. Marconis Brust und feuerte.

Ein Stakkato aus leisen Plopps folgte, und Langdon sah voller Entsetzen, wie Dr. Marconi rückwärts in den Raum stolperte und zu Boden ging. Ungläubig fasste sich der Arzt mit beiden Händen an die Brust. Sein weißer Laborkittel war blutdurchtränkt.

KAPITEL 3

Fünf Seemeilen vor der italienischen Küste steuerte die Siebzig-Meter-Luxusyacht Mendacium durch den frühmorgendlichen Dunst, der von der sanft rollenden Dünung der Adria aufstieg. Der Stealth-Rumpf der Yacht war in mattem Grau gestrichen und verlieh ihr die entschieden feindselige Aura eines Kriegsschiffs.

Bei einem Listenpreis von mehr als dreihundert Millionen Dollar war das Schiff ursprünglich mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten ausgestattet gewesen – Spa, Pool, Bordkino, Mini-U-Boot und Helikopterlandeplatz. Der Besitzer hatte allerdings wenig Interesse an diesem Komfort, als er die Yacht fünf Jahre zuvor in Empfang genommen hatte, und die meisten Räume gleich wieder ausgeschlachtet, um eine hochmoderne, mit Blei abgeschirmte elektronische Kommandozentrale zu installieren.

Gespeist durch drei dedizierte Satellitenlinks und ein redundantes Array von terrestrischen Relaisstationen, verfügte der Kontrollraum der Mendacium über einen Stab von nahezu zwei Dutzend Personen: Techniker, Analytiker und Missionskoordinatoren. Sie lebten an Bord und standen in ständigem Kontakt mit den verschiedenen landbasierten Operationszentralen der Organisation.

Die bordeigenen Sicherheitseinrichtungen des Schiffes schlossen eine kleine Einheit von militärisch ausgebildeten Söldnern ein sowie zwei Raketenabwehrsysteme und ein Arsenal der modernsten Waffen, die es auf dem Markt zu kaufen gab. Weiteres Personal – Küche, Reinigung, Service – erhöhte die Zahl der Menschen an Bord auf mehr als vierzig. Die Mendacium war im Endeffekt ein mobiles Bürogebäude, von dem aus der Eigner sein Imperium lenkte.

Bei seinen Angestellten nur als »der Provost« bekannt, war er ein kleiner, stämmiger Mann mit dunkler Haut und tiefliegenden Augen. Seine wenig imposante Erscheinung und seine direkte Art wirkten mehr als angemessen für jemanden, der sein riesiges Vermögen mit einem ganzen Spektrum verdeckter Dienstleistungen gemacht hatte, hart am Rande oder jenseits der Legalität.

Man hatte ihm schon viele Namen gegeben – Söldner ohne Seele, Vermittler der Sünde, Diener des Teufels –, doch er war nichts von alledem. Der Provost verschaffte seinen Klienten die Möglichkeit, ihren Angelegenheiten nachzugehen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, nicht mehr und nicht weniger – es war nicht sein Problem, dass die Menschheit zur Sünde neigte.

Trotz aller Verleumder und ihrer ethischen Einwände war der moralische Kompass des Provosts unverrückbar wie ein Fixstern. Er hatte sich seinen Ruf – und das Konsortium selbst – auf der Grundlage zweier goldener Regeln erarbeitet.

Versprich nie etwas, das du nicht halten kannst.

Belüge nie einen Klienten.

Niemals.

Im Lauf seiner Karriere hatte der Provost jedes Versprechen gehalten und nie gegen eine Vereinbarung verstoßen. Sein Wort war wie eine Bank – eine absolute Garantie. Sicher gab es Kontrakte, die abgeschlossen zu haben er im Nachhinein bedauerte, doch von ihnen zurückzutreten war für ihn nie eine Option gewesen.

An diesem Morgen betrat er den Balkon der Eignersuite seiner Yacht, blickte hinaus auf die schaumige See und versuchte die Unruhe zu vertreiben, die sich in seinen Eingeweiden breitgemacht hatte.

Die Entscheidungen, die wir in unserer Vergangenheit gefällt haben, sind die Architekten unserer Gegenwart.

Die Entscheidungen des Provosts hatten ihn in die Lage versetzt, durch beinahe jedes Minenfeld zu navigieren und am Ende als Sieger hervorzugehen. An diesem Tag jedoch verspürte er eine ganz und gar ungewöhnliche Nervosität, während er auf die fernen Lichter des italienischen Festlands starrte.

Ein Jahr zuvor hatte er an Bord ebendieser Yacht eine Entscheidung getroffen, deren Folgen nun alles bedrohten, was er je geschaffen hatte. Ich habe dem falschen Mann meine Dienste versprochen. Damals hatte der Provost nicht wissen können, worauf er sich einließ. Doch die Fehleinschätzung hatte einen Sturm unvorhersehbarer Herausforderungen ausgelöst und ihn gezwungen, einige seiner besten Agenten auszusenden mit dem Befehl, »alles nur Erdenkliche« zu tun, um sein schlingerndes Schiff am Kentern zu hindern.

Gegenwärtig wartete der Provost auf die Meldung eines ganz bestimmten Agenten.

Vayentha, dachte er, als er sich die athletische, stachelhaarige Spezialistin vorstellte. Vayentha, die ihm bis zu dieser Mission ohne Fehl und Tadel gedient hatte. Ihr war in der letzten Nacht ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen, der unabsehbare Konsequenzen nach sich zog. Die vergangenen sechs Stunden waren ein einziges hektisches Agieren gewesen, der verzweifelte Versuch, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.

Vayentha hatte behauptet, ihr Fehler sei einfach Pech gewesen – das Gurren einer Taube zur falschen Zeit.

Der Provost glaubte nicht an Pech. Alles, was er unternahm, war so orchestriert, dass Zufall und Willkür keine Chance hatten. Kontrolle war das absolute Fachgebiet des Provosts – für ihn galt nur, jede Möglichkeit und jede Reaktion vorherzusehen und die Realität zum gewünschten Ergebnis zu lenken. Er hatte eine makellose Erfolgsbilanz und führte seine Unternehmungen mit äußerster Diskretion durch. Mit der Zeit hatte ihm dies eine atemberaubende Klientel beschert – Milliardäre, Politiker, Scheichs, sogar ganze Regierungen.

Im Osten zeigte sich das erste schwache Licht des Tages und löschte die Sterne über dem Horizont. Reglos und geduldig stand der Provost an Deck und wartete auf die Nachricht, dass Vayentha ihre Mission wie geplant abgeschlossen hatte.

KAPITEL 4

Für einen Moment hatte Langdon das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben.

Dr. Marconi lag reglos auf dem Boden, und aus seiner Brust strömte Blut. Langdon kämpfte gegen die Beruhigungsmittel in seinem Kreislauf an und blickte zu der stachelhaarigen Attentäterin, die sich nach wie vor durch den Gang näherte, als wäre nichts geschehen. Sie war nur noch wenige Meter von der offenen Zimmertür entfernt. Als sie Langdon sah, hob sie erneut die Waffe … und zielte auf seinen Kopf.

Ich werde sterben!, dachte Langdon. Hier und jetzt, auf der Stelle.

Der Knall war ohrenbetäubend in dem kleinen Krankenzimmer der Intensivstation.

Langdon zuckte zusammen in dem Glauben, getroffen worden zu sein, doch der Knall war nicht aus der Pistole der Angreiferin gekommen. Dr. Brooks hatte geistesgegenwärtig die schwere Metalltür des Zimmers ins Schloss geworfen und den Schlüssel umgedreht.

Mit angstvoll geweiteten Augen fuhr die junge Ärztin herum, kauerte sich neben ihren blutüberströmten Kollegen und fühlte ihm den Puls. Dr. Marconi hustete Blut, das ihm schaumig über die Lippen troff und in den dichten Bart lief. Dann erschlaffte er.

»Enrico! No! Ti prego!«, rief sie.

Draußen prasselte ein Kugelhagel gegen das Metall der Tür. Das Schrillen des Alarms hallte durch den Gang.

Irgendwie überwanden Panik und Instinkt die Beruhigungsmittel, und dann war Langdon in Bewegung. Er kletterte unbeholfen aus dem Bett, und ein sengend heißer Schmerz durchfuhr seinen rechten Unterarm. Im ersten Moment meinte er, eine Kugel hätte die Tür durchschlagen und ihn getroffen, doch als er an sich hinuntersah, stellte er fest, dass er sich den Infusionsschlauch herausgerissen hatte. In seinem Unterarm steckte noch der Katheter, aus dem warmes dunkelrotes Blut strömte.

Mit einem Schlag war Langdon hellwach.

Dr. Brooks kniete neben Marconis reglosem Körper. Sie fühlte ihm noch immer den Puls. Tränen stiegen ihr in die Augen. Plötzlich, als hätte jemand einen Schalter in ihr umgelegt, sprang sie auf und wandte sich Langdon zu. Ihre Miene zeigte die kühle Gefasstheit eines erfahrenen Notarztes mitten in einer Krise.

»Folgen Sie mir!«, befahl sie.

Sie packte Langdon am Arm und zerrte ihn durch das Zimmer. Das Prasseln von schallgedämpften Schüssen und der Lärm vom Chaos draußen auf dem Gang hielten an, während Langdon auf unsicheren Beinen voranstolperte. Sein Verstand war wach, doch sein Körper stand noch unter dem Einfluss starker Medikamente und reagierte nur widerwillig. Bewegung! Der geflieste Boden fühlte sich kalt an unter seinen Füßen. Sein dünnes Krankenhausnachthemd war kaum lang genug für ihn. Warmes Blut rann ihm den Unterarm hinab und sammelte sich in seiner Handfläche.

Kugeln prasselten gegen den massiven Türknauf, und Dr. Brooks stieß Langdon unsanft in ein kleines Bad. Sie stockte, wandte sich um, rannte zurück zum Tresen und packte sein blutiges Jackett.

Vergessen Sie die verdammte Jacke!

Sie kehrte mit der Tweedjacke zu ihm zurück und sperrte hastig die Tür von innen zu. Genau in diesem Augenblick flog die Tür zum Krankenzimmer auf.

Die junge Ärztin ergriff die Initiative. Sie trat durch das winzige Bad zu der zweiten Tür, die ins benachbarte Krankenzimmer führte. Dr. Brooks riss sie auf und zog Langdon quer durch den Raum bis zur nächsten Tür, hinter der sich wieder der Korridor befand. Erneut hörten sie gedämpfte Schüsse. Die Ärztin überzeugte sich rasch davon, dass der Gang leer war, dann zerrte sie Langdon den Flur entlang bis zum Treppenhaus. Die plötzliche Bewegung machte ihn schwindlig, und er spürte, dass er jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren drohte.

Die nächsten fünfzehn Sekunden waren verschwommen … Er stieg Treppen hinunter … stolperte … stürzte. Das Hämmern in seinem Kopf war nahezu unerträglich. Seine Sicht verschwamm immer mehr, und seine Muskeln waren träge. Jede Bewegung fühlte sich an wie eine verspätete Zeitlupe.

Und dann wurde es kalt.

Ich bin draußen.

Als Dr. Brooks ihn durch eine dunkle Gasse vom Gebäude wegführte, trat Langdon auf etwas Spitzes. Er stürzte hart auf das Pflaster. Sie bemühte sich, ihn auf die Beine zu ziehen, und schimpfte laut über das Betäubungsmittel, das sie ihm verabreicht hatte.

Als sie sich dem Ende der Gasse näherten, stolperte Langdon erneut. Diesmal ließ sie ihn liegen, rannte auf die Straße und rief laut nach jemandem, den Langdon nicht sehen konnte.

Dann sah er das Taxi. Es parkte vor dem Krankenhaus, und der Fahrer schien hinter dem Steuer zu schlafen. Dr. Brooks brüllte und wedelte wild mit den Armen. Endlich flammten die Scheinwerfer des Taxis auf, und es rollte gemächlich in ihre Richtung.

In der Gasse hinter Langdon flog eine Tür auf. Er blickte zurück und sah die dunkle Gestalt der Attentäterin, die sich in schnellem Lauf näherte. Langdon versuchte auf die Beine zu kommen, doch die Ärztin war bereits bei ihm, zerrte ihn hoch und schob ihn auf die Rücksitzbank des wartenden Fiat-Taxis. Er landete halb auf dem Sitz und halb auf dem Boden, während Dr. Brooks sich auf ihn warf und die Tür hinter sich ins Schloss zog.

Der Fahrer drehte sich um und starrte mit verschlafenen Augen das bizarre Paar an, das soeben in seinen Wagen gestolpert war – eine junge Frau mit Pferdeschwanz und OP-Kittel und ein Mann mit blutendem Unterarm und halb zerrissenem Nachthemd. Er wollte ihnen gerade sagen, dass sie sich zum Teufel scheren sollten, als der Außenspiegel auf der Fahrerseite explodierte. Die Frau in der schwarzen Ledermontur kam mit gezogener Waffe aus der Gasse gerannt. Sie feuerte erneut. Blitzschnell riss Dr. Brooks Langdon mit sich zu Boden. Keine Sekunde zu früh – das Heckfenster zerbarst und überschüttete sie mit einem Regen aus Glassplittern.

Der Fahrer benötigte keine weitere Aufforderung. Er rammte den Fuß auf das Gaspedal, und das Taxi raste mit quietschenden Reifen davon.

Langdon war am Rande der Bewusstlosigkeit. Jemand versucht mich umzubringen! Aber … warum?

Sie bogen um eine Ecke, und Dr. Brooks setzte sich wieder auf. Sie packte Langdons blutigen Arm. Der Katheter ragte in einem unnatürlichen Winkel aus der Wunde in seinem Arm.

»Sehen Sie aus dem Fenster!«, befahl sie ihm.

Langdon gehorchte. Draußen huschten in der Dunkelheit geisterhafte Grabsteine vorbei. Es schien irgendwie passend, dass sie an einem Friedhof vorbeifuhren. Langdon spürte, wie die Ärztin behutsam nach der Sonde tastete und sie dann ohne Vorwarnung mit einem Ruck herausriss.

Ein Blitz aus sengendem Schmerz durchfuhr Langdon. Er spürte noch, wie er die Augen verdrehte, dann wurde alles schwarz.