(On Through the Night; Def Leppard, 1980)
17. November 1987
Regen peitschte über den zunehmend dunkleren Himmel. Ein gleißend heller Blitz folgte auf einen gewaltigen Donnerschlag. Die brodelnde Erschütterung gabelte sich, bevor sie auf dem Boden aufschlug – zwei grellweiße Hiebe am stürmischen Horizont. Für Wayne Deveraux sah es aus, als führe Gott höchstpersönlich Krieg gegen die Erde. Das harte Trommeln des Regens auf das Dach seines Jeep Cherokee glich dem unbarmherzigen Popp-popp-popp von Schnellfeuerwaffen auf einem Schlachtfeld. Nicht dass er aus erster Hand gewusst hätte, wie sich so etwas anhörte. Es waren die späten 1980er. Groß angelegte, bewaffnete Auseinandersetzungen auf blutgetränkten Schlachtfeldern und Kontinenten gehörten der Vergangenheit an. Wenn tatsächlich noch einmal ein Krieg ausbrechen sollte, würden sich die Vereinigten Staaten und die Russen eher gegenseitig mit Atombomben aus dem Verkehr ziehen. Danach würde die menschliche Rasse Geschichte sein.
Aber er hatte sich Platoon und Full Metal Jacket viele Male angesehen. Und die Schusswechsel in diesen Filmen klangen auf unheimliche Weise so wie das, was er gerade hörte. Er stellte sich vor, wie er selbst als Militärpolizist durch die Straßen eines vom Krieg verwüsteten Saigon rauschte, während die Nordvietnamesen die Stadt in den letzten Tagen vor ihrem endgültigen Untergang abriegelten. Das Krachen und Brausen des Donners verschmolz in seinem Kopf mit dem Geräusch von schwerem Artilleriebeschuss.
Als Untermalung stellte er sich die klagende Spannung eines Hendrix-Songs vor. Massive Gitarrenriffs wie der Schrei eines Gottes. Alle guten Vietnamstreifen setzten auf eine Dosis Hendrix. Jimi oder die Doors. Waynes Musikgeschmack tendierte mehr zu modernerem Kram. Metal und Glamrock. Ein bisschen Punk. Guns N’ Roses und Faster Pussycat, Motörhead und die Sex Pistols. The Cult. Aber ja, so ein Groove von Hendrix erschien ihm jetzt gerade besonders passend. Dazu ein oder zwei Züge von dem veredelten Marihuana, das Steve Wade dabeihatte, und die Illusion wäre perfekt.
Dann schälten die Scheinwerfer des Cherokee auf der rechten Straßenseite ein großes Schild aus der Dunkelheit heraus.
Die Vietnam-Fantasie löste sich in ihre Einzelteile auf, als er sich hinter dem Steuer aufrichtete. Er versetzte Steve einen Schlag gegen den Arm und sagte: »Yo! Wach auf, Bruder. Wir sind da!«
Steve stöhnte und schüttelte den Kopf. Seine Augenlider flatterten und er lehnte sich nach vorne und schielte auf das Schild. »Yeah. Das ist es, Mann.« Er förderte ein kleines Fläschchen Southern Comfort aus einer Innentasche seiner Jeansjacke zutage und drehte den Verschluss ab. »Der verfickte Laden sieht verdammt gruselig aus. Wie zum Teufel sollen wir sie hier rausholen?«
Auf dem großen weißen Schild stand: MUSIKALISCHE UMERZIEHUNGSANSTALT SOUTHERN ILLINOIS.
Darunter stand eine Telefonnummer für Terminvereinbarungen.
Während er das Schild las, lief Wayne ein Schauer den Rücken hinab. Die Nachfrage war so immens, dass viele dieser Einrichtungen lange Wartelisten führten. Die MUSI nahm für sich in Anspruch, Teenager vom Metal zu heilen, sie zu »demetallisieren«. Den Kids wurde ihre Liebe für Metal aus dem Hirn getrieben und ihre Seele von dem vermeintlich bösen Anstrich der Musik gereinigt.
Drei oder sechs Monate später – das hing ganz von Programm und Einrichtung ab – wurden sie zu »Absolventen« erklärt und durften in die normale Welt zurückkehren, in Erwartung, dass sie dort als verdienstvolles, produktives Mitglied der Gesellschaft ein langes und stinklangweiliges Leben führten. Ein paar von Waynes Freunden hatten solche Programme durchgemacht. Sie gingen als düstere, trotzige Rebellen hinein und kamen als geschniegelte, frisch lackierte kleine Roboter in adretter Montur wieder heraus. Verschwunden waren sämtliche Piercings und Tätowierungen, die langen Haare wurden rabiat geschoren. Und wenn sie redeten, plapperten sie wie ein Papagei die Inhalte ihres Umerziehungsprogramms nach. Es war, als würden Kassettenrekorder aus Fleisch und Blut ihre Platte abnudeln. Verdammt unheimlich.
Wayne hatte Glück. Bei seinen Eltern handelte es sich um Rock-and-Roll-hassende Fundamentalisten. Sie besaßen auch einige Macken und merkwürdige Angewohnheiten, die er nicht ganz verstand, aber sie waren so weit ganz erträglich. Religiös, aber keine Eiferer. Er dankte Gott jeden Tag dafür.
Seine Freundin hatte nicht so viel Glück gehabt.
Verdammt, das war eine Untertreibung von verfickt noch mal epischen Ausmaßen. Melissas Mutter war eine fleißige Kirchgängerin, zugleich aber eine dauerbesoffene Heuchlerin. Das eigentliche Problem war aber ihr Stiefvater. Er war ein widerlicher, cholerischer Bastard. Lucas Campbell zitierte gerne die Bibel und zog über die Liberalen her. Und natürlich verurteilte er so ziemlich alles an Melissas Lebensstil, insbesondere ihr Interesse an der »Musik des Teufels«.
Wayne war also kaum überrascht gewesen, als Lucas und Melissas allzu bereitwillige Schnapsarschmutter sie zu Beginn des Schuljahres in die MUSI abgeschoben hatte, die Ronnie Rayguns Administration als absolut akzeptable alternative Schulform einstufte. Wayne hatte rein gar nichts dagegen tun können.
Zumindest hatte er das gedacht.
Der Anruf war in der vergangenen Nacht gekommen und hatte ihn kurz nach Mitternacht aus dem Schlaf gerissen. Sein Vater klopfte an seine Tür und verkündete mit ziemlich wackeliger Stimme, dass Melissa am Telefon war und mit ihm reden wollte. Wayne sprang vom Bett auf, schlüpfte in seine Boxershorts, öffnete die Tür und rauschte an seinem verblüfften Vater vorbei. Er hob den Hörer am Zweittelefon in der Küche ab und sagte: »Melissa, mein Dad ...«
Und dann hörte er das Geräusch, das sein Herz beinahe zum Stehen brachte. Dieses Schniefen. Alle seelischen Qualen der Welt schienen darin widerzuklingen. Dann begann sie mit leiser und zitternder Stimme zu sprechen. »Wayne, bitte komm ... komm her und h-hol mich.« Sie weinte und Waynes Brust schien zu zerspringen. »Bitte ... ich liebe dich ... bitte ...«
Er warf seinem Vater einen finsteren Blick zu, der im Bogen zwischen Küche und Flur stand. Die Augen seines Alten blickten ihn übernächtigt an, seine Brauen schienen eine besorgte Frage zu formulieren.
Wayne zuckte die Achseln und drehte sich weg. »Melissa, was ist los mit dir? Bist du –«
»Ich bin i-immer noch an diesem v-verfickten Ort.« Noch mehr Tränen. Weiteres Schniefen. Dann riss sie sich zusammen und erklärte: »Ich sollte das nicht tun. Ich habe mich nach der Sperrstunde raus zum Telefon im Flur geschlichen. Wayne, es ist schrecklich hier. Viel schlimmer, als du dir das vorstellen kannst. Bitte komm und hol mich hier raus.«
»Was? Wie soll ich –«
Dann atmete sie erschreckt ein. »Oh nein. Ich muss gehen. Jemand kommt.«
Wayne öffnete den Mund, um weitere Fragen zu stellen, aber schlagartig war die Leitung tot.
Er zerstreute die Bedenken seines Vaters mit einer ausgedachten Geschichte und ging wieder ins Bett. Aber das bisschen Schlaf, das er noch bekam, war unruhig. Er verbrachte den Großteil der langen Nacht damit, an die dunkle Decke zu starren und Pläne zu schmieden. Am nächsten Morgen überredete er seinen besten Freund dazu, mit ihm gemeinsam Melissa aus der MUSI zu befreien.
Steve kippte sich einen kräftigen Schluck Southern Comfort hinter die Binde und hustete, während er fast an dem warmen Whiskey erstickt wäre. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und bot Wayne die Flasche an.
Wayne nahm sie entgegen und parkte am Randstreifen. Er schüttete sich Whiskey in den Mund und starrte das große weiße Schild an. Mit seiner Zunge goutierte er den beißenden Geschmack.
Er seufzte tief und gab die Flasche an Wayne zurück.
Dann beantwortete er endlich die Frage seines Freundes.
»Ich weiß nicht, wie wir sie da rausholen, Mann. Noch nicht. Aber ich schwör’s dir, wir werden diesen Laden nicht ohne Melissa verlassen, so oder so.«
(Gimme Gimme Shock Treatment; The Ramones, 1977)
Wayne war deutlich bewusst, dass sie den Fettsack wieder auf die Beine bringen mussten, bevor irgendein hilfsbereiter Autofahrer anhielt und seine Unterstützung anbot. Oder im schlimmsten Fall sogar ein Bulle. Eine Auseinandersetzung mit einem Ordnungshüter, wenn man selbst nur eine ungeladene Pistole dabeihatte, konnte kein gutes Ende nehmen.
Die Beifahrertür des Cherokee öffnete sich mit einem Quietschen und kurz darauf hörte er, wie Stiefel auf dem Schotter knirschten. Er sah auf, als Steve den bewusstlosen Mann betrachtete. Der Regen drückte auf seine wirr abstehenden Haare und ließ seine schlanke, hagere Gestalt wie eine verwitterte Vogelscheuche erscheinen.
»Ist der Kerl tot?«
Wayne beobachtete die Brust des Mannes, die sich fast unmerklich hob und senkte. »Nein, Gott sei Dank. Aber wir sollten ihn schnellstens wieder fit kriegen und in diesen verfluchten Caddy reinbugsieren.«
»Stimmt.« Steve hob den Kopf und scannte die Straße mit schnellen Blicken nach links und rechts auf herankommende Fahrzeuge ab. »Hast du schon versucht, ihm eine zu scheuern?«
»Yup.«
»Und?«
Wayne klang entnervt. »Nichts. Als würde man eine Bowlingkugel verprügeln.«
»Mann, Scheiße.«
Steve kniete auf der anderen Seite des Körpers und hob einen der dicken Arme. Er ließ eine Hand unter die durchnässten Achseln gleiten und bedeutete seinem Freund, es ihm mit dem anderen Arm gleichzutun. »Wir müssen ihn schleifen.«
Wayne stöhnte. »Fuck. Der Alte wiegt doch mindestens 130 Kilo.«
»Eben. Je früher wir loslegen, desto eher sind wir fertig.«
Wayne fand sich mit der Aufgabe ab. Über 100 Kilogramm leblosen Ballast über eine regennasse Straße zu schleifen, war ein Job, der ihm eher für Arnold Schwarzenegger oder einen anderen verfickten Bodybuilder passend erschien. Wayne war kein Schwarzenegger. Er war ein magerer Teenager aus der Vorstadt. Sein Fitnesstraining beschränkte sich auf das Malträtieren seines Atari-Joysticks. Aber es blieb ihm ja nichts anderes übrig. Er schob sich die leere 45er in den Bund seiner nassen Jeans und umklammerte den anderen Arm des Mannes.
Steve sah ihn an. »Bereit?«
Wayne nickte. »Jawoll.«
»Okay, dann auf drei. Eins, zwei –«
Wayne verschaffte sich mit den Füßen stabilen Halt und zog mit aller verfügbaren Kraft, als Steve den kurzen Countdown beendete. Der Körper glitt rund einen halben Meter über den Seitenstreifen. Der Anfang war immer am schwierigsten. Danach musste man sich nur noch konzentrieren und durchhalten. Seine Schultern schmerzten, als sie endlich die geöffnete Fahrertür des Cadillac erreichten. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand einen schweren Schraubenschlüssel ins Kreuz gedonnert. Aber sie kamen am Ziel an, während nach wie vor kein Scheinwerfer weit und breit die nächtliche Dunkelheit durchschnitt. Das war allerdings kein Grund, die Sache schleifen zu lassen – ewig würden sie nicht so ein Glück haben.
Sie hievten den bewusstlosen Mann in eine sitzende Haltung. Steve rannte zur anderen Seite des Wagens, öffnete dort die Tür und krabbelte hinter den Vordersitz. Er stocherte herum, fand einen Hebel und legte den Sitz nach hinten um. Dann schob er seine Hände unter beide Achseln des Mannes und sah Wayne an. »Ich ziehe, du drückst.«
Wayne zog eine Grimasse. »Verdammt. An seiner Stelle wäre ich bei dem ganzen Trubel längst wach geworden.«
»Oh, das wird er früher oder später schon. Also los jetzt.«
Wayne ging in die Knie, suchte mit den Füßen wieder festen Halt und griff dem Mann zwischen die Beine, um ihn an der Rückseite seiner gewaltigen Oberschenkel zu packen. Er signalisierte Bereitschaft und Steve zählte erneut den Countdown runter. Steve bekam ihn ein gutes Stück vom Boden hoch, sodass Wayne sich mächtig ins Zeug legen konnte. Der Körper des Bewusstlosen hob sich vom nassen Asphalt und kurze Zeit später hatten sie ihn hinter dem Steuerrad eingeklemmt. Sie beschäftigten sich noch einen Moment damit, seine Beine im Freiraum unterhalb der Fahrerkonsole zu verstauen. Dann ließ Steve die Tür zuschlagen, machte hinten auf und ließ sich auf den Rücksitz plumpsen.
Steve spähte über den Vordersitz zu ihm. »Bin gleich wieder zurück, Kumpel. Ich hol nur schnell meine Knarre und sorg dafür, dass dein fahrbarer Untersatz abgeschlossen ist.«
»Bring meine Schlüssel mit.«
»Okay.«
Dann war er weg und Wayne allein mit dem MUSI-Mann im Auto. Er zog die 45er aus der Jeans heraus und lehnte sich über den Vordersitz, um das aufgedunsene Gesicht des Mannes zu begutachten. Sein Kopf hing zur Seite, der Mund stand offen und er konnte eine kleine rosa Zungenspitze zwischen den Lippen erkennen. Wayne fragte sich, ob der Mann zur Verwaltung der Anstalt gehörte oder eine aktive Rolle bei der Gehirnwäsche der angeblich vom rechten Weg abgekommenen Kinder spielte. Nicht dass es von Bedeutung war. Er arbeitete auf jeden Fall dort. Das reichte, was Wayne betraf, um ihm eine Mitschuld an den schrecklichen Dingen zu geben, die Melissa aushalten musste.
Das Auto schwankte leicht, als sich die Tür auf der Beifahrerseite öffnete und Steve wieder auf den Sitz klatschte. Er drückte ihm seine Schlüssel in die Hand und schloss die Tür. Dann warf er Wayne einen ernsten Blick zu, wie der ihn an seinem Freund noch nie gesehen hatte.
»So, jetzt fängt der heftige Teil der Geschichte an, Kumpel.«
Er drückte den Zigarettenanzünder des Cadillacs hinein.
Steves Augen weiteten sich. »Oha. Ähm ... ich weiß nicht, ob wir das wirklich tun sollten.«
»Was meinst du?«
Wayne zwinkerte nervös. »Du willst ihm damit drohen, oder? Ihn foltern?«
Steve verdrehte die Augen. »Foltern? Ja, so kann man es natürlich auch nennen. Hast du eine bessere Idee? Du könntest ihm natürlich noch mal eine verpassen.«
Wayne versuchte es.
Der Mann rührte sich nicht.
»Als würde er in einem verdammten Koma schweben.«
»Vielleicht hatte er einen Schlaganfall oder irgendwas in der Art, als du mit deiner 45er vor ihm rumgefuchtelt hast.«
Waynes Gesicht wirkte verkniffen. »Scheiße, sag doch so was nicht.«
Der Zigarettenanzünder sprang heraus und Steve befreite den kleinen Zylinder aus der Konsole. Das aufgeheizte Ende glühte im Halbdunkel hellrot auf. Waynes Magen verkrampfte sich, als er zuschaute, wie sein Freund den Glutring auf den rechten Handrücken des Mannes presste. Übelkeit stieg in ihm hoch, als er das Geräusch von brutzelndem Fleisch vernahm und der verbrannte Geruch trieb ihm das Wasser in die Augen. Ein paar Sekunden verstrichen und er fand sich schon damit ab, dass Steve mit der Vermutung eines Schlaganfalls richtig lag. Dann schreckte der Mann mit einem schrillen Atemzug auf und riss seine Hand von der Hitzequelle weg. Er blubberte wie im Tran vor sich hin und hielt seine Hand in die Höhe, um mit dümmlichem Blick die versengte Haut zu betrachten. Obwohl er große Schmerzen hatte, blieb er weiterhin orientierungslos. Dann kehrte das Bewusstsein in seinen Blick zurück. Der Mann erkannte, dass er sich wieder in seinem eigenen Auto befand und die zwei Hooligans, die ihn von hinten gerammt hatten, neben ihm saßen.
Er tastete nach dem Türgriff.
Wayne richtete die 45er auf das Gesicht des Mannes und stieß ein inneres Stoßgebet aus, dass das Arschloch nicht wieder ohnmächtig wurde.
»Nein.«
Die knappe Silbe reichte aus, dass die Hand des Mannes in der Bewegung verharrte. Tränen traten in seine Augen und er begann wieder zu stammeln. »Oh bitte ... bitte ... ach, tötet mich nicht. Bitte, bitte!«
Steve winkte mit dem immer noch glühenden Anzünder in seine Richtung und der Mann kauerte sich vor der Tür zusammen. »Schluss mit dem Geflenne, du Riesenpussy. Konzentrier dich gefälligst und hör zu, was wir von dir wollen.«
Die Augen des Mannes tanzten in ihren Höhlen umher, schielten in alle Richtungen und konnten sich weder auf die 45er noch auf den Anzünder mehr als eine Sekunde konzentrieren. Das Fleischröllchen unter seinem Kinn wackelte. Sein Atem ging schnell und schnaufend und Wayne fürchtete, er würde gleich hyperventilieren. Aber dann schien er sich ein wenig zu entspannen. Der Mann war kein Idiot. Er fuhr einen schicken Caddy und trug einen Anzug. Er war ein Arschloch, dabei aber zumindest relativ erfolgreich. Also würde er früher oder später nicht mehr ausflippen, sondern sich darauf konzentrieren, was er tun konnte, um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien.
Das hoffte Wayne zumindest.
Sonst mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen. Vielleicht einen auf harte Militärfolter machen. Den Kerl bewusstlos schlagen und in den Kofferraum stecken. Dann mit dem Caddy das Eingangstor der Anstalt aufsprengen und die nicht geladenen Waffen benutzen, um sich am Sicherheitspersonal vorbeizubluffen. Er hoffte wirklich, dass es dazu nicht kommen würde. Jedes Mal, wenn er über diese Option nachdachte, begann sich sein Magen zu verknoten. Er versuchte sich die Situation auszumalen und endete immer wieder bei dem Bild, dass ihn die Security-Leute auslachten und ihm dann die Pistole abnahmen.
Aber ihrem Gefangenen gelang es schließlich, sich zusammenzureißen, nachdem er noch ein paarmal tief Luft geholt hatte.
Wayne kämpfte gegen einen erleichterten Seufzer an. Sie mussten die toughe Fassade aufrechterhalten. Er wollte nicht, dass der Kerl merkte, dass sich unter der vermeintlich harten Oberfläche ein ungeheuer weicher Kern verbarg.
»Was wollt ihr Spinner von mir?«
Wayne sagte es ihm.
Der Mann starrte ihn einige Momente lang an, nachdem er geendet hatte. Seine Miene verriet nichts. Dann kräuselten sich seine wurmigen Lippen zu einem kriecherischen Lächeln. »Ihr Idioten. Glaubt ihr ernsthaft, das funktioniert?«
Steve grinste süffisant. »Das wollen wir für dich hoffen, du Hurensohn.«
Der Gesichtsausdruck des Mannes wirkte jetzt wie ein Spiegelbild von Steve, vielleicht mit einem Funken mehr Arroganz. »Sonst was?«
Steve hielt seinem Blick einen Moment lang stand und sagte zunächst gar nichts. Dann begegnete er ihm mit einem eiskalten Blick. Wayne wurde das Gefühl nicht los, dass in seinem Freund das Potenzial schlummerte, ein echter Drecksack zu sein. In diesem Moment erinnerte er ihn an Clint Eastwood in einem dieser Spaghettiwestern. Ein eiskalter Drecksack, mit dem man sich um nichts in der Welt anlegen wollte, nachdem man ihm ein einziges Mal in die Augen gesehen hatte. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, während er den Zigarettenanzünder wieder in der Öffnung an der Fahrerkonsole verschwinden ließ. Und er änderte sich auch dann nicht, als er die Pistole, die Wayne ihm vorher gegeben hatte, aus der Jackentasche zog.
Und er blieb auch gleich, als er dem Mann den Lauf der Waffe mit voller Wucht in den fetten Bauch rammte. »Du wirst es tun, Mann. Du wirst eine oscarreife Vorstellung abliefern. Das weiß ich, weil du die ganze Zeit den Druck dieser Knarre spüren wirst. Und sobald ich auch nur eine Sekunde lang das Gefühl habe, dass du uns linken willst, drücke ich ab und blas dir ein gewaltiges Loch in den Magen.« Seine Mundwinkel verzogen sich zu dem kleinsten und kühlsten Lächeln, das Wayne jemals gesehen hatte. »Haben wir uns verstanden?«
Der Mann keuchte wieder. Wayne nahm an, dass es nicht mehr viel brauchte, ehe er erneut völlig austickte. Aber er schluckte kräftig und schaffte es, ein einziges Wort hervorzukrächzen: »Okay.«
Steve ließ ihn kurz in Frieden, zog die Pistole von seinem Bauch zurück und plumpste wieder auf seinen Sitz. Sein Lächeln wurde ein wenig breiter, aber seine Augen blieben hart wie Stahl. »Cool.« Er sah Wayne an. »Siehst du? Man muss strikt zu ihnen sein, Mann. Wenn sie sich dann fast in die Hose pissen, können wir uns auch die blutige Sauerei ersparen wie damals, als wir die Bank in Cleveland ausgeraubt haben.«
Wayne biss sich auf die Zunge. Verdammt. Die Bank in Cleveland ausgeraubt?
Nein, ich darf nicht lachen, beschwor er sich selbst. Auf gar keinen Fall.
Irgendwie gelang es ihm, das irre Lachen zu unterdrücken, das sich seine Kehle hinaufkämpfte. Aber es war knapp. Zum Glück hatte sich der Mann die ganze Zeit voll auf Steve konzentriert. Falls er wusste oder auch nur vermutete, dass Steves Improvisation mit dem Banküberfall erstunken und erlogen war, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.
Der Mann räusperte sich und richtete sich noch ein Stück weiter in seinem Sitz auf. »Wir müssen uns einen glaubwürdigen Vorwand ausdenken, warum ihr Jungs bei mir im Auto sitzt.«
Wayne hatte sich darüber bereits Gedanken gemacht. »Wir sind Brüder. Ein unkontrollierbares Duo halbwüchsiger Krimineller. Du tust unseren Eltern, die alte Freunde von dir sind, einen persönlichen Gefallen, indem du uns heute Abend in die Anstalt bringst. Den notwendigen Papierkram wirst du gleich morgen erledigen. Unsere Eltern wollten uns so schnell wie möglich von der Straße runterbekommen, deshalb sperrst du uns nachts fürs Erste in ein Zimmer oder eine Zelle.«
Die Augenbrauen des Mannes kräuselten sich und seine fette Unterlippe schob sich nach vorne, während er darüber nachdachte. »Hmm.« Aus seiner Kehle drang ein merkwürdiges Geräusch und er wiegte seinen Kopf. »Mein Gott, das könnte tatsächlich klappen.«
Steve gackerte. »Du bist ein Genie, Bruderherz.«
Der Mann rieb sich das Kinn und nickte. »Ihr werdet aber Namen brauchen.«