Möge Boron Eure Waren segnen

7  In der Gasse angekommen, drückte er sich hinter einen alten Sackkarren, dessen verwittertes und verfaultes Holz denen auf der Straße die Sicht auf ihn versperrte. Als Erstes nahm er die Maske ab, dann entledigte er sich rasch der Robe. Die hatte ihm gute Dienste geleistet, vielleicht würde sie dies auch wieder tun, doch sie war zu auffällig. Zwar mochte sich niemand einem Inquisitor in den Weg stellen – andererseits würde sich auch jeder daran erinnern, ihn gesehen zu haben. Wie lange es noch dauern würde, bis man Inquisitorin Kyra in der Zelle fand, konnte Wiesel nur vermuten, doch was er sicher wusste, war, dass sie es ihm übel nehmen würde.

Wie üblich waren die Soldaten gründlich gewesen, hatten all seine Besitztümer in einen großen Ledersack gepackt. Selbst sein Dolch aus Xiang befand sich in dem Beutel; nach dem Gerichtsverfahren hatte man ihn wieder zu seinen Sachen getan. Aber der Leuchtstein, den Desina ihm geschenkt hatte, fehlte.

»Verfluchtes Diebesgesindel«, flüsterte Wiesel erbost. Es mochte nur ein Stein sein, doch er war ein Geschenk von Desina und war ihm mehr wert als alles andere, das er besaß. Bis, vielleicht, auf seine Stiefel.

Die zumindest fand er in dem Beutel wieder, den einen zog er auch sofort an, beim anderen zögerte er. Zum einen, weil er erst jetzt Muße hatte, sich seine Verletzungen genauer zu besehen.

Für einen langen Moment befand er sich wieder an diesem dunklen Ort, als ihn die Kräfte verlassen hatten und er nicht anders konnte, als seine Füße hängen zu lassen. Wieder und wieder hatte er die Ratten von sich gestoßen … bis er nicht länger dazu in der Lage war.

Die Bisse waren deutlich, hier und dort hatten sie sogar ein Stück aus ihm herausgerissen, doch tatsächlich hatte ihm seine Phantasie einen Streich gespielt, jetzt, bei trübem Licht des nahenden Tages betrachtet, war es nicht halb so schlimm, wie er befürchtet hatte.

Nur dass es eben Rattenbisse waren und sie sich bereits entflammten. Bald würde er Hilfe brauchen, bevor es noch viel schlimmer wurde. Doch bevor er den Stiefel anzog, drückte er an eine Stelle des Schafts, und mit leisem Klicken löste sich der Absatz, heraus fiel der kleine Lederbeutel, den Refala ihm anvertraut hatte. Der verfluchte Verräter hatte von einer Münze gesprochen, davon, dass die Bardin ihn hereingelegt hätte, ihn dazu brachte, sie zu töten, bevor sie ihm noch verraten konnte, wo die Münze war.

Refala, erkannte Wiesel jetzt, hatte sich selbst geopfert, um ihr Geheimnis zu bewahren. Und damit auch Wiesels Leben. In dieser engen Gasse, zusammengekauert hinter einem alten Karren, erinnerte er sich daran, wie Refala ihn gefragt hatte, ob er es nicht auch bedauern würde, dass es nicht mehr zwischen ihnen gegeben hätte.

Ich hätte besser zuhören sollen, dachte Wiesel jetzt zerknirscht. In seinen schlimmsten Albträumen konnte er sich nicht vorstellen, was ein Verfluchter tat, um sein Opfer zu zwingen, Wille, Geist und Leben aufzugeben. Er hatte davon gehört, dass eine Berührung manchmal dazu reichen würde, dass es Talente gab, die wahrhaft den Schrecken in sich trugen. Für ein Geheimnis, egal wie wichtig, opferte man sich nicht selbst. Nicht auf diese Art.

Jetzt, da es zu spät für beide war, gestand sich Wiesel ein, dass er sie angelogen hatte. Es war nicht so, dass er sie nicht hätte lieben können, tatsächlich wäre es ihm leichtgefallen, nur hätte dies bedeutet, das freie Leben, das er führte, aufzugeben. Verantwortung zu tragen. Dazu war er nicht bereit gewesen … und hatte es nicht zugelassen.

Sie hatte gedacht, dass sie ihn kennen würde, doch tatsächlich war sie auf ihn hereingefallen. Wiesel besaß einen gewissen Ruf, auch bei den Seras, aber er ließ keine von ihnen wirklich nahe an sich heran.

Tatsächlich hatte er in seinem Leben nur mit zwei Seras gelegen. Zum einen mit Marla, die ihn verführt hatte, als sie selbst fast noch Kinder gewesen waren. Und noch mit einer anderen. Refala. Die Reue, dachte Wiesel zynisch, als er den kleinen Beutel aufzog, den sie ihm anvertraut hatte, kommt wie üblich viel zu spät. Für Refala konnte er nichts weiter tun, außer sie in ein Gebet einschließen, doch er konnte dafür sorgen, dass ihr Mörder nicht davonkam. Der Verfluchte hatte ihr Geheimnis von ihr haben wollen, vielleicht führte es also zu ihm.

Der Verfluchte hatte gewusst, was er bei Refala suchte, es war tatsächlich eine Goldmünze, die Wiesel jetzt schwer und glänzend in seinen Händen hielt. Noch war die Sonne nicht ganz aufgegangen, und in dieser engen Gasse war das Licht noch ungewiss, doch es reichte, um zu sehen. Was er in seinen Händen hielt, war ein kaiserliches Wagenrad, eine Handelsmünze, die man nur selten im Umlauf sah. Ein Fünfzig-Kronen-Stück, ein Vermögen, das mancher in seinem ganzen Leben nicht zusammenbringen würde. Ein Wagenrad, ein Fünfzig-Kronen-Stück … und es war noch prägefrisch.

Es musste mehr an dieser Münze sein, als er jetzt sehen konnte, sonst wäre sie dem Verfluchten nicht so wichtig gewesen. Hier aber, in dieser engen Gasse, würde er ihr Geheimnis kaum lüften können, vor allem nicht, da nun in der Ferne der Alarm gegeben wurde. Zugleich hörte er vom Tempelplatz her die Glocken läuten, es war die zweite Glocke, damit fing der Tag an, der just zu dieser Zeit ein Ende für ihn hätte finden sollen.

Von der Straße her hörte er Rufe und Befehle, hastig zog er seinen zweiten Stiefel an und unterdrückte nur mit Mühe ein lautes Stöhnen, als er seinen wunden Fuß in das Leder presste.


Ende der Leseprobe