Richter Onsgard
4 Stabsmajor Onsgard war eine Feder, einer der Schriftgelehrten der Legion, und er hatte seit über zwanzig Jahren im Namen des Kaisers dessen Recht gesprochen. Nach all den Jahren konnte er mit Fug und Recht von sich sagen, dass er jede Zeile der Gesetzestexte kannte, und nach dieser langen Zeit, hätte er bis zu jenem Tag behauptet, würde es wenig geben, das ihn noch überraschte.
In den letzten Jahren hatte er sich vorgenommen, eine Abhandlung über seinen Dienst am Gericht in Askir zu schreiben, so kam ihm die Nachtschicht in der Hochstadt sehr gelegen, meist verbrachte er die ganze Zeit in seiner Amtsstube, ohne auch nur einen einzigen Delinquenten vor sich zu sehen.
Dieser hier, der vor ihm stand, war umso weniger das, was er erwartet hatte. Halb nackt und nur mit einer grob gewirkten Gefängnishose bekleidet, stand er aufrecht da und schien den Ausführungen des Korporals, der ihn verhaftet hatte, mit hohem Interesse zu lauschen.
»Kurz vor Mitternacht«, erstattete der Korporal Bericht, »wurden wir zur Bardenhalle gerufen. Wir fanden dort die Magd Nennis vor, die uns von einem Blutbad in den Zimmern der Bardin Refala berichtete.«
»Was hat diese Magd gesagt?«, fragte der Mann, und überrascht hielt der Korporal in seinem Bericht inne.
»Darf er Fragen stellen?«, fragte der Soldat verdutzt.
Dies, dachte Richter Onsgard, versprach interessant zu werden. »Warum nicht?«, meinte er gelassen. »Immerhin geht es hier um seinen Hals. Was hat die Magd gesagt?«
»Dass sie knapp vor Mitternacht neuen Wein zu Bardin Refala bringen wollte. Sie klopfte und fand die Tür nicht verschlossen vor, also ging sie hinein … und fand das Opfer und den Mörder im Bett der Bardin liegend vor. Ihre Schreie hatten auch andere herbeigerufen, und alsbald schickte man nach uns, da der Mörder ja noch immer zugegen war.«
»Warum brachte die Magd neuen Wein?«, fragte der Gefangene.
Der Korporal sah zu Onsgard hinüber, und dieser nickte.
»Jemand schickte sie«, antwortete der Korporal.
»Wer?«
Jetzt sah der Soldat unbehaglich drein. »Das habe ich sie nicht gefragt.«
»Habt Ihr sie gefragt, warum sie den Wein nicht auf die Anrichte im großen Zimmer stellte, sondern ins Schlafzimmer gegangen ist?«
»Sie sagte, die Tür stand offen, die Kerzen brannten, und sie sah von dem anderen Zimmer aus die Tote … zuerst dachte sie, auch Ihr würdet tot in diesem Bett liegen, bei all dem Blut war dies kein Wunder, zuerst habe ich das auch gedacht. Doch dann habt Ihr Euch bewegt, sie wusste daraufhin, dass Ihr der Mörder wart, und ist schreiend geflohen.«
»Die Kerzen auf dem Nachttisch brannten?«
»Ja, Ser«, sagte der Korporal mit einem verwirrten Blick zum Richter hin. »Auch noch als wir dort ankamen.«
»Danke«, sagte der Mann höflich. »Fahrt bitte fort.«
»Ich fand die Bardin Refala und diesen Mann zusammen in ihrem Bett liegend vor. Sie … sie wurde mit einem Dolch erstochen.«
»Wie?«, fragte der Mann.
»Ihr wisst es doch«, beschwerte sich der Soldat. »Schließlich habt Ihr es selbst getan.«
»Tut so, als wüsste ich es nicht«, bat der Mann.
»Ihr habt sie vom Bauch bis zum Hals aufgeschlitzt«, sagte der Soldat grob. »Tut nicht so, als wüsstet Ihr es nicht!«
»Der Schnitt ging durch das Brustbein bis zum Hals?«
»Ja«, knirschte der Soldat. »Ihr habt sie ausgeweidet! Seid Ihr auch noch stolz darauf, weil Ihr es noch einmal hören wollt?«
»Ich lag neben ihr im Bett?«, fragte der Gefangene ungerührt.
»Ja«, knurrte der Soldat. »Habt geschlafen wie ein Stein … obwohl Ihr in ihrem Blut gelegen habt!« Er sah wieder zu dem Richter hin. »Ich habe ihn ein paar Mal heftig geschüttelt und dann, als er aufwachte, aus dem Bett gezerrt.« Er wies auf den Gefangenen. »Ihr seht ihn noch immer so, wie ich ihn gefunden habe.«
»Beschreibt, wie Ihr mich gefunden habt!«
»Im Bett?«, sagte der Korporal verwirrt.
»Auf dem Bett oder unter einer Decke.«
»Auf dem Bett.«
»Ich war mit Blut besudelt?«
»Ja. Das Blut ist bis hoch zur Wand und zur Decke gespritzt und auch über Euch.«
»Nachdem Ihr mich aus dem Bett gezerrt habt, wie viel Blut ist dort auf dem Bett gewesen, an der Stelle, wo ich lag?«
Der Soldat zögerte. »Ich …«
»Versucht Euch zu erinnern!« Der Gefangene lächelte höhnisch. »Es könnte wichtig für mich sein.«
»Auf einer Seite hat das Laken etwas Blut aufgesogen, doch dort, wo Ihr gelegen habt, war das Laken nicht vom Blut besudelt.«
»Danke«, sagte der Mann höflich. »Das wäre alles. Ihr dürft jetzt gehen.«
»Ob er gehen darf oder nicht, entscheide noch immer ich«, wies der Richter den Gefangenen mit einem scharfen Blick zurecht, dennoch zuckten seine Lippen verdächtig. »Danke«, sagte er zum Korporal. »Ihr dürft jetzt gehen.«
Er musterte den Gefangenen, als der Korporal zurücktrat. »Lanzensergeant Romeras sagt, dass Ihr bereit seid zu gestehen?«
»Ja. Mir bleibt nichts anderes übrig.«
Dem war wohl so, dachte der Richter, dennoch fielen ihm die Worte auf. »Dann gesteht. Fangt mit Eurem Namen an.«
»Mein Name ist … Fuchs«, sagte der Gefangene in einer monotonen Stimme. »Refala und ich waren gelegentliche Liebhaber, aber an diesem Abend erfuhr ich, dass sie ihre Gunst mit andern Männern teilte. Ich wurde krank vor Eifersucht, und nachdem sie eingeschlafen war, nahm ich meinen Dolch und schlitzte sie bis zum Halse auf. Nach der Tat verstand und bereute ich, was ich getan hatte, betrank mich und legte mich neben sie ins Bett, wodurch das Bett an dieser Stelle nicht wie ich vom Blut besudelt wurde.«
Onsgard wartete einen Moment, doch offenbar gab es nichts hinzuzufügen. Er musterte den Mann, der kerzengerade vor ihm stand.
»Das ist Euer Geständnis?«
»Wort für Wort«, antwortete der Mann.
»Das ergibt so keinen Sinn«, sagte der Richter und schaute hin zum Korporal. »Ihr seid sicher, dass unter ihm kein Blut auf dem Laken zu finden war?«
Der schaute jetzt etwas irritiert zu dem Mann hin. »Ja, Ser. Das Blut war auf ihm und links und rechts von ihm zu sehen, doch nicht auf dem Laken unter ihm, Ser.«
»Also könnt Ihr den Mord nicht begangen haben«, stellte Richter Onsgard fest. »Dennoch habt Ihr gestanden?«
»Ja, Ser. Ich bin gezwungen dazu.«
»Durch die peinliche Befragung?«
»Nein. Es hat keine stattgefunden. Eine Stimme zwingt mich«, erklärte Ser Fuchs im gleichen monotonen Tonfall wie zuvor.
»Eine Stimme?«, fragte Onsgard überrascht.
»Ja, Ser.«
»Der Dolch, mit dem Sera Refala ermordet wurde, er gehört Euch?«
»Ja, Ser.«
»Ihr seid mit ihr allein gewesen?«
»Ja, Ser.«
»Könnte jemand sie erstochen haben, während Ihr neben ihr geschlafen habt?«
»Ja, Ser.«
»Aber Ihr gesteht den Mord?«
»Ja, Ser.«
»Weil eine Stimme Euch dazu zwingt?«
»Ja, Ser.«
»Wessen Stimme?«
»Das kann ich nicht sagen.«
Der Korporal tat eine bezeichnende Geste zu seinem Kopf hin und rollte mit den Augen.
Der Richter musterte den Mann mit Namen Fuchs. »Ihr versteht, dass Euer Geständnis Fragen aufwirft, ich durch ebendieses Geständnis gezwungen bin, nach dem Gesetz zu urteilen?«
»Ja, Ser.«
Der Richter schüttelte den Kopf. Etwas war hier falsch … »Wollt Ihr Euer Geständnis widerrufen?«
»Ja, Ser.«
»Nun gut. Habt Ihr die Bardin Refala im Schlaf mit Eurem Dolch ermordet?«
Einen Moment schien der Gefangene einen inneren Kampf auszufechten, doch dann seufzte er. »Refala und ich waren gelegentliche Liebhaber, an diesem Abend aber erfuhr ich, dass sie ihre Gunst mit andern Männern teilte. Ich wurde krank vor Eifersucht, und nachdem sie eingeschlafen war, nahm ich meinen Dolch und schlitzte sie bis zum Halse auf. Nach der Tat verstand und bereute ich, was ich getan hatte, betrank mich und legte mich neben sie ins Bett, wodurch das Bett an dieser Stelle nicht wie ich vom Blut besudelt wurde.«
Onsgard schüttelte den Kopf. »Nicht noch einmal das Ganze. Antworte mit Ja oder mit Nein.«
Der Mann mit dem Namen Fuchs ließ den Kopf hängen. »Ja, Ser.«
Einen Moment saß Stabsmajor Onsgard still an seinem Tisch, schaute auf den Mann und dachte nach. Man hatte ihn am Ort des Mordes aufgegriffen, die Mordwaffe gehörte ihm, und er bestand darauf, zu gestehen. War die Sache mit dem Blut nur ein Versuch, ihn zu verwirren? So oder so, nach dem Gesetz gab es nur ein Urteil für ihn.
»Ser Fuchs.«
»Ser?«
»Im Namen der Kaiserin verhänge ich folgendes Urteil gegen Euch: Ihr werdet am Halse aufgehängt, bis Ihr zu den Göttern geht. Die Hinrichtung findet bei Sonnenaufgang statt, ein Priester Borons wird bereitstehen, um Euch zu segnen.«
Onsgard stand auf und nickte dem Sergeanten zu. »Bringt ihn zurück in seine Zelle.«
»Nun«, seufzte der Mann. »Einen Versuch ist es wert gewesen. Was ist mit meiner letzten Mahlzeit?«
»Was ist damit?«, fragte der Korporal. »Ich hoffe, sie hat Euch geschmeckt, oder denkst du, wir würden dir ein Frühstück zubereiten?« Er griff den Mann bei seinen Ketten und führte ihn aus dem Gericht hinaus, dicht gefolgt von Sergeant Romeras und zwei weiteren Soldaten.
Der Richter sah ihnen nach, bis die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, und sah dann auf seine Notizen herab, die er während des Verhörs gemacht hatte. Für ihn gab es keine Zweifel, dass hier etwas nicht stimmte, doch er hatte keine andere Wahl, er war an das Gesetz gebunden.
Er klappte seine Mappe zu und ging zurück zu seinem Amtsraum, vielleicht, mit etwas Glück, würde er noch eine Seite an seiner Abhandlung fertigbringen können. Aber selbst dort ließ ihn die Verhandlung noch nicht los. Bis er seufzte und den Rekruten der Federn herbeirief, der für ihn die Akten führte. »Hier«, sagte er und schrieb etwas auf einen Meldeblock. »Sieh zu, dass die Nachricht so schnell wie möglich gemeldet wird, doch auf eine Antwort brauchst du nicht zu warten.«
Er sah zu, wie die Feder mit dem Meldeblock davoneilte, und seufzte befriedigt. Jetzt lag es nicht mehr in seinen Händen … und jetzt konnte er auch weiterschreiben.