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Inhaltsverzeichnis

Über den Autor
Einschlag
Das Geisterschiff
ERSTER TEIL - Im tiefsten Schoß der Hölle
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ZWEITER TEIL - In den Fußstapfen der Ahnen
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DRITTER TEIL - Eine Arche für das 21. Jahrhundert
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VIERTER TEIL - Eine Stadt unter dem ewigen Eis
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FÜNFTER TEIL - Asche zu Asche
SECHSTER TEIL - Letztes Glück
Nachwort
Danksagung
Copyright

Danksagung

Ich danke Major Joe Andrzejewski (i.R.) für seine umfassende und wertvolle Beratung in Sachen Special Forces.

Mein Dank gilt außerdem K. Eric Drexler und Christine Peterson, den führenden Experten auf dem Gebiet der Nanotechnologie, für ihren Beistand sowie John Stevens, der mich durch das Labyrinth der Pandora Mine geleitete. Des weiteren Colonel Howard A. Buechner, Donald Cyr, Graham Hancock, Charles Hapgood und Platon, deren Bücher und Worte von unschätzbarem Wert für mich waren, sowie Paul Mollar, der mir seinen unglaublichen Skycar auslieh.

Autor

 

Clive Cussler, Jahrgang 1931, zunächst Flugzeugingenieur bei der Air Force, hat sich seit er 1973 seinen mittlerweile legendären Helden Dirk Pitt erfand, einen der ersten Plätze unter den großen internationalen Bestseller-Autoren gesichert. Er lebt in Colorado, USA.

Nachwort

Im Jahr 1960 fanden Archäologen auf Santa Rosa, einer kleinen Insel im Channel Islands National Park vor der kalifornischen Küste, die uralten Gebeine einer Frau. Nachdem sie vierzig Jahre lang im Keller des Museums von Santa Barbara gelegen hatten, wurden sie von einem Forschungsteam mit modernsten Untersuchungsmethoden, darunter der DNA-Analyse und dem Radio-Karbon-Test, unter die Lupe genommen. Dabei stellte man fest, dass die Knochen rund dreizehntausend Jahre alt und somit die ältesten menschlichen Überreste waren, die man bislang in Nordamerika gefunden hatte.

Zu ihren Lebzeiten erstreckten sich Gletscher, so groß wie ganz Australien, über die Nordhälfte des Kontinents, streiften Mammuts und Säbelzahntiger umher, und sie konnte zu Fuß von Insel zu Insel gehen, da der Meeresspiegel damals etwa hundert Meter tiefer lag. Mit dieser Altersbestimmung wurden alle bisherigen Theorien in Frage gestellt, wonach die ersten Amerikaner über eine Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska, der heutigen Beringstraße, eingewandert waren.

Und es gab weitere Funde. Der Spirit Caveman, wie man die Überreste eines Menschen nennt, der vor rund neuntausendvierhundert Jahren im westlichen Nevada lebte, hat ein Schädelprofil, das auf eine japanische oder ostasiatische Abstammung hindeutet. Der Schädel des ebenfalls in Nevada gefundenen Menschen vom Wizard’s Beach wirkt teils nordisch, teils polynesisch. Andere Schädel, allesamt mindestens achttausend Jahre alt, die man in Nebraska und Minnesota fand, könnten sowohl von Europäern als auch von Südostasiaten stammen.

Neue Funde deuten darauf hin, dass die ersten Siedler auf dem amerikanischen Festland Polynesier und Asiaten gewesen sein könnten, die sich an den westlichen Küstenabschnitten des Doppelkontinents niederließen. Etwa zur gleichen Zeit dürften die ersten Europäer ihre Boote am Rande des Packeises entlang, das während der letzten Eiszeit den ganzen Nordatlantik bedeckte, gen Westen gesteuert haben, immer dem Zug der Vögel nach.

Man weiß mittlerweile, dass bereits vor mehr als vierzigtausend Jahren Menschen von Südostasien aus per Boot bis nach Australien gelangten. Die ersten Seefahrer stammten also keineswegs aus dem Mittelmeerraum. Das Meer hat den Menschen seit jeher gelockt, und womöglich sind die alten Seefahrervölker zu ferneren Gestaden gesegelt, als man gemeinhin annimmt. Ihre Geschichte muss erst noch geschrieben werden.

22. März 2001

Pandora, Colorado

1

Die Sterne verblassten allmählich, aber in dieser Höhe, rund zweitausendsiebenhundert Meter über dem Meeresspiegel, funkelten sie noch immer wie eine Leuchtreklame am frühmorgendlichen Himmel. Doch der Mond hatte etwas Gespenstisches an sich, als Luis Marquez aus seinem kleinen Holzhaus trat. Er hatte einen eigenartigen orangefarbenen Hof, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Er betrachtete die seltsame Erscheinung einen Moment lang, ehe er über den Hof zu seinem Pickup ging, einem 1973er Chevrolet Cheyenne mit Allradantrieb.

Er hatte seine Arbeitskleidung angezogen und sich leise aus dem Haus gestohlen, damit er seine Frau und die beiden Töchter nicht aufweckte. Lisa, seine Frau, wäre gern aufgestanden und hätte ihm das Frühstück zubereitet und ein paar Brote zum Mitnehmen geschmiert, doch er bestand darauf, dass sie liegen bleiben sollte, weil früh um vier, wenn es draußen noch stockdunkel war, kein normaler Mensch freiwillig auf den Beinen war.

Marquez und seine Familie führten ein einfaches Leben. Eigenhändig hatte er das 1882 gebaute Haus renoviert. Seine Kinder gingen im nahe gelegenen Telluride zur Schule, einem beliebten Wintersportort, in dem Lisa und er auch den Großteil ihrer Einkäufe erledigten. Alles Übrige besorgten sie sich einmal im Monat in Montrose, einer etwas größeren, aber dennoch ländlichen Stadt, die rund hundert Kilometer weiter nördlich lag.

Aus alter Gewohnheit gönnte er sich noch einen Schluck Kaffee und ließ den Blick einmal rundum schweifen, über die Ruinen der Geisterstadt. Im Schein dieses gespenstischen Mondes ragten die wenigen Gebäude, die stehen geblieben waren, wie Grabsteine auf.

Nachdem man 1874 Goldadern im Felsgestein entdeckt hatte, waren zahllose Bergleute ins San Miguel Valley geströmt und hatten eine Stadt namens Pandora gegründet, benannt nach einer schönen Jungfrau aus der griechischen Sagenwelt, die einst den Deckel eines geheimnisvollen Gefäßes gelupft hatte. Ein Bostoner Bankenkonsortium erwarb die Schürfrechte, finanzierte die Erschließung der Mine und errichtete nur zwei Meilen nördlich der weitaus bekannteren Bergbaustadt Telluride ein Hüttenwerk.

Die Mine taufte man auf den Namen Paradise, und binnen kurzer Zeit wurde Pandora zu einem kleinen Städtchen mit zweihundert Einwohnern und einem eigenen Postamt. Die Häuser waren ordentlich gestrichen und von gepflegten Gärten und weißen Zäunen umgeben. Pandora lag zwar in einem Cañon, der nur von einer Seite aus zugänglich war, dennoch war die Stadt keineswegs von der Außenwelt abgeschnitten. Die Straße nach Telluride war in gutem Zustand, außerdem führte ein einspuriger Schienenstrang der Rio Grande Southern Railroad in das Tal, über den Fahrgäste und Versorgungsgüter in die Stadt gebracht und das gewonnene Edelmetall nach Denver abtransportiert wurde, auf die andere Seite der Rocky Mountains.

Schon damals war manch einer davon überzeugt, dass die Mine verflucht sei. Allzu viele Menschen hatten in den vierzig Jahren, in denen hier Gold im Wert von etwa fünfzig Millionen Dollar gewonnen worden war, ihr Leben verloren. Insgesamt achtundzwanzig Bergleute waren in den düsteren, dumpfigen Stollen umgekommen  – vierzehn Mann bei einem einzigen Unglück –, an die hundert andere waren bei Stolleneinbrüchen und durch herabstürzendes Gestein so schwer verletzt worden, dass sie ihr Leben lang gezeichnet waren.

Die Alteingesessenen, die später nach Telluride zogen und inzwischen längst gestorben sind, behaupteten immer, man könnte die Geister der toten Kumpel in den verlassenen Stollen umgehen hören, die sich fünfzehn Kilometer weit durch das Gebirgsmassiv zogen – graue Felsen, die viereinhalbtausend Meter hoch in den tiefdunklen Himmel über Colorado aufragten.

Anfang der dreißiger Jahre waren die Goldvorkommen, die sich mithilfe von Chemikalien halbwegs rentabel aus dem Gestein gewinnen ließen, erschöpft. Die ausgebeutete Paradise-Mine wurde stillgelegt. Mehr als sechzig Jahre lang lebte sie nur mehr in der Erinnerung der Überlebenden fort, während die Natur die alten Narben im Antlitz der Erde allmählich überwucherte. Bis zum Jahr 1996 dauerte es, ehe wieder jemand mit schweren Arbeitsstiefeln durch diese Gänge schritt und der Klang einer Spitzhacke in den Stollen widerhallte.

Marquez blickte zu den Gipfeln der Berge hinauf. Letzte Woche hatte es vier Tage lang gestürmt, sodass da oben noch mehr Schnee lag als zuvor. Mittlerweile stiegen die Temperaturen, wodurch die weiße Pracht immer weicher und schwerer wurde. Jetzt herrschte höchste Lawinengefahr, vor allem droben in den Bergen, daher wurden die Skifahrer davor gewarnt, die ausgewiesenen Pisten zu verlassen. Soweit Marquez wusste, war bislang noch nie eine Lawine auf Pandora niedergegangen. Doch sosehr es ihn auch beruhigte, seine Familie in Sicherheit zu wissen – er selbst fuhr im Winter ungeachtet aller Gefahr den steilen, vereisten Weg hinauf und arbeitete tief im Berginneren. Dabei konnte bei einsetzendem Tauwetter jederzeit ein Schneebrett abbrechen.

Marquez hatte erst einmal eine Lawine niedergehen sehen. Die gewaltige Wucht und Schönheit dieser Schneemassen, die sich in einer weißen Wolke zu Tal wälzten und dabei Felsbrocken und Bäume mit sich rissen, hatte er niemals vergessen.

Zu guter Letzt setzte er den Schutzhelm auf, klemmte sich ans Steuer des Pickup, ließ den Motor an und wartete ein paar Minuten, bis er warm gelaufen war. Dann fuhr er vorsichtig die schmale, unbefestigte Straße hinauf, die zu der einstmals ergiebigsten Goldmine in ganz Colorado führte. Seine Reifen hinterließen tiefe Abdrücke im Neuschnee. Behutsam steuerte er höher und immer höher in die Berge hinauf. Schon nach kurzer Zeit ging es unmittelbar neben der Straße steil bergab, hunderte von Metern tief. Wenn er jetzt ins Schleudern geriet, konnten die Rettungsmannschaften nur mehr seine Überreste aus den zerschellten Trümmern des Pickups kratzen.

Die Leute hier in der Gegend meinten, er sei nicht recht bei Trost, als er die Schürfrechte an der alten Paradise-Mine erworben hatte. Schließlich waren sämtliche Goldadern, deren Abbau sich lohnte, längst erschöpft. Doch Marquez war damit reich geworden, auch wenn das außer einem Bankier in Telluride niemand ahnte. Er hatte den Gewinn in Grundstücke vor Ort gesteckt, die er später, als ringsum die Skisportanlagen nur so aus dem Boden schossen, für zwei Millionen Dollar veräußern konnte.

Marquez hatte es nicht auf Gold abgesehen. Seit zehn Jahren schon schürfte er weltweit nach Edelsteinen. Auf der Suche nach wertvollen Kristallen, die sich zu Schmucksteinen verarbeiten ließen, hatte er die alten, aufgelassenen Gold- und Silberminen von Montana, Nevada und Colorado erkundet. In einem Stollen der Paradise-Mine, dessen Wände nach Ansicht der alten Bergleute nur aus wertlosem Gestein bestanden, hatte er eine Ader aus rosaroten Kristallen entdeckt. Bei dem Fund, so hatte Marquez erkannt, handelte es sich um Rhodochrosit oder Manganspat, ein großartiges, rosa bis dunkelrote Kristalle bildendes Mineral, das man an diversen Stellen der Welt findet.

Geschliffenes oder poliertes Rhodochrosit bekam man nur selten zu Gesicht. Die großen Kristalle waren bei Sammlern begehrt, und die dachten nicht daran, sie zerstückeln zu lassen. Reine, durchscheinende Steine wie aus der Paradise-Mine, aus denen sich makellose Achtzehnkaräter schleifen ließen, waren sehr teuer. Marquez wusste, dass er sich zur Ruhe setzen und bis ans Ende seiner Tage ein angenehmes Leben führen konnte, doch solange die Ader noch etwas hergab, war er fest entschlossen, auch die letzten Kristalle aus dem Granit herauszuhacken.

Er hielt mit dem alten, verbeulten und zerschrammten Laster an und stieg vor einem mächtigen Eisentor aus, das mit vier verschiedenen Ketten und Vorhängeschlössern gesichert war. Er schob riesige Schlüssel in die Schlösser, ließ sie aufschnappen und löste die Ketten. Dann zog er mit beiden Händen die schwere Tür auf. Das Mondlicht fiel ein Stück weit in den abschüssigen Stollen, durch den ein Schienenpaar in die Dunkelheit führte.

Er warf den Motor eines großen, tragbaren Generators an und legte dann einen Hebel am Schaltkasten um. Mit einem Mal wurde der Schacht von einer Reihe nackter Glühbirnen erleuchtet, die sich gut hundert Meter weit an der Decke entlangzogen und in der Ferne verloren, bis man nur noch kleine, glimmende Punkte erkennen konnte. Eine Erzlore, die durch eine Trosse mit einer Seilwinde verbunden war, stand auf dem Gleis. Die Lore war für die Ewigkeit gebaut. Nur die Roststellen am Förderkorb wiesen darauf hin, dass sie einst hart herangenommen worden war.

Marquez stieg in den Förderkorb und drückte auf einen Knopf an der Fernbedienung. Mit einem Summen setzte die Winde ein und spulte die Trosse ab, sodass die Lore auf Grund der Schwerkraft die abschüssigen Gleise hinabrollte. Die Fahrt ins Innere der Erde war nichts für zaghafte oder klaustrophobisch veranlagte Menschen. Der enge Stollen bot kaum genügend Platz für die Lore. Ineinander gefügte Holzbohlen, die wie Türstürze aussahen, so genannte Verzimmerungen und Stempel, stützten alle paar Meter die Decke ab, damit sie nicht einbrach. Zahlreiche Hölzer waren morsch und brüchig, aber andere waren noch so tragfest und stabil wie an dem Tag, an dem sie von den längst verblichenen Bergleuten zurechtgezimmert worden waren. Rasch rollte die Erzlore die abschüssige Strecke hinab, bis sie nach rund dreihundertfünfzig Metern zum Stehen kam. In dieser Tiefe tröpfelte fortwährend Wasser von der Stollendecke.

Marquez nahm seinen Rucksack und die Brotzeitdose, kletterte von der Lore und ging zu einem senkrechten Schacht, der zur unteren Sohle der alten Paradise-Mine führte. Dort unten, in sechshundertfünfzig Metern Tiefe, zogen sich die Hauptförderstrecke und zahlreiche Querschläge wie die Speichen eines Rades durch das Granitgestein. Laut der alten Aufzeichnungen und der vorhandenen Karten erstreckten sich die Stollen, die man unter und um Pandora in den Berg getrieben hatte, über eine Länge von insgesamt hundertfünfzig Kilometern.

Marquez warf einen Steinbrocken in das gähnende schwarze Loch. Zwei Sekunden später hörte er ihn unten aufklatschen.

Kurz nachdem die Mine stillgelegt und die unter dem Fuß des Berges gelegene Pumpenstation abgeschaltet worden war, waren die tieferen Stollen überflutet worden. Im Laufe der Zeit war immer mehr Wasser eingedrungen, sodass es jetzt nur mehr knapp fünf Meter unter der in dreihundertfünfzig Metern Tiefe liegenden Sohle stand, in der Marquez die Rhodochrositader ausbeutete. Wenn das Wasser weiter so stetig anstieg wie nach den ungewöhnlich starken Regenfällen in diesem Herbst, konnte es nur noch ein paar Wochen dauern, bis es oben aus dem alten Förderschacht quoll, sich in den Hauptstollen ergoss und seinem Schmucksteinabbau ein Ende bereitete.

Marquez hatte sich vorgenommen, in der kurzen Zeit, die ihm noch verblieb, so viele Steine wie möglich zu gewinnen. Tagtäglich arbeitete er länger, schlug mühsam mit einer Spitzhacke die roten Kristalle los und beförderte sie in einer Schubkarre zu der Lore, mit der er sie zum Eingang der Mine schaffte.

Auf dem Weg durch den Stollen wich er alten, rostenden Erzloren und Bohrern aus, die die Bergmänner zurückgelassen hatten, als die Mine aufgegeben worden war. Seinerzeit hatte sich kein Abnehmer für das Gerät gefunden, da sämtliche Minen in der Gegend zur selben Zeit stillgelegt worden waren. Man hatte einfach alles an Ort und Stelle stehen und liegen lassen.

Nach etwa fünfundsiebzig Metern kam er zu einem schmalen Spalt im Fels, gerade breit genug, dass er hindurchschlüpfen konnte. Fünf Meter weiter befand sich das Rhodochrosit. Eine Glühbirne, die an einem Kabel von der Spaltdecke hing, war durchgebrannt. Er holte eine Ersatzbirne aus seinem Rucksack und tauschte sie aus, dann nahm er die Spitzhacke in die Hand und hieb auf das mit Schmucksteinen durchsetzte Gestein ein. Die mattroten Kristalle sahen aus wie getrocknete Kirschen.

Ein gefährlicher Felsüberhang ragte oberhalb des Spalts aus der Wand. Wenn Marquez hier weiter arbeiten wollte, ohne Gefahr zu laufen, dass er von herabfallendem Gestein zermalmt wurde, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn wegzusprengen. Mit einem tragbaren Presslufthammer bohrte er ein Loch in den Felsen. Dann schob er eine kleine Dynamitstange hinein und schloss den Draht an einen handlichen Zündkasten an. Nachdem er sich durch den Spalt gezwängt und ein Stück weit den Hauptstollen zurückgegangen war, drückte er den Auslöser herunter. Ein dumpfer Knall hallte durch die Mine, gefolgt vom Poltern des herabfallenden Gesteins und einer Staubwolke, die durch den Hauptstollen zog.

Marquez wartete ein paar Minuten, bis sich der Staub gelegt hatte, ehe er sich vorsichtig durch den natürlichen Felsspalt zwängte. Der Überhang war weg, nur ein Haufen Steine auf dem Boden des schmalen Gangs war von ihm übrig geblieben. Er holte die Schubkarre, beseitigte den Schutt und kippte ihn ein Stück weiter in den Stollen. Als der Durchgang frei geräumt war, blickte er nach oben, um sich zu überzeugen, dass kein loses Gestein hängen geblieben war.

Verwundert starrte er auf das Loch, das sich auf einmal in der Decke über der Kristallader auftat. Er richtete die Lampe an seinem Schutzhelm nach oben. Der Strahl fiel durch das Loch in eine Kammer, die sich offenbar dahinter befand. Plötzlich packte ihn die Neugier. Er rannte ein Stück weit durch den Stollen zurück und wühlte zwischen den herumliegenden Bergbaugeräten herum, bis er die rostigen Überreste einer einen Meter achtzig langen Leiter fand. Er stieg wieder durch den Spalt, lehnte die Leiter an die Wand, kletterte hinauf, stemmte sämtliche Steinbrocken am Rand des Loches los und erweiterte es, bis er sich hindurchzwängen konnte. Dann schob er sich mit dem Oberkörper in die Kammer, drehte den Kopf hin und her und ließ den Strahl der Helmlampe durch die Dunkelheit schweifen.

Marquez starrte in einen aus dem Fels gehauenen Raum. Allem Anschein nach war er vollkommen quadratisch, ungefähr viereinhalb Meter breit, mit der gleichen Kantenlänge und Höhe. Eigenartige Zeichen waren in die glatten blanken Wände geritzt. Das hier war eindeutig nicht das Werk von Bergmännern aus dem neunzehnten Jahrhundert. Dann fiel der Strahl seiner Helmlampe plötzlich auf ein steinernes Piedestal und blieb schimmernd an dem Gegenstand hängen, der darauf ruhte.

Marquez erstarrte vor Schreck, als er den schaurigen schwarzen Schädel erblickte, der ihn mit leeren Augenhöhlen anstierte.

2

Der Pilot zog die zweimotorige Beechcraft der United Airlines um ein Paar watteweiße Wolken herum und setzte zum Anflug auf die kurze Landebahn über dem San Miguel River an. Obwohl er den kleinen Flughafen von Telluride schon mindestens hundert Mal angeflogen hatte, kostete es ihn nach wie vor Mühe, sich auf die Landung zu konzentrieren, ohne sich von dem unglaublichen Anblick ablenken zu lassen, der sich ihm von hier oben aus auf die herrlichen, schneebedeckten San Juan Mountains bot. Die erhabene Schönheit der schroffen Gipfel und weißen Hänge unter einem strahlend blauen Himmel war atemberaubend.

Majestätisch ragten die Berge zu beiden Seiten auf, als das Flugzeug tiefer in das Tal hineintauchte. Sie wirkten so nah, dass es den Insassen vorkam, als streiften die Flügelspitzen der Maschine die Espen auf den Felsvorsprüngen. Dann fuhr der Pilot das Fahrwerk aus, und eine Minute später setzten die Räder mit einem kurzen Stoß und quietschenden Bremsen auf der schmalen Asphaltrollbahn auf.

Die Beechcraft beförderte nur neunzehn Passagiere, sodass sie im Nu entladen war. Patricia O’Connell stieg als Letzte aus. Sie hatte den Rat einer Freundin beherzigt, die einst zum Skifahren in diesen Wintersportort geflogen war, und um einen Platz im hinteren Teil der Kabine gebeten, damit sie den großartigen Ausblick genießen konnte, ohne dass ihr die Flügel die Sicht versperrten.

In dieser Höhe, etwa zweitausendsiebenhundert Meter über dem Meeresspiegel, war die Luft zwar dünn, aber unglaublich rein und erfrischend. Pat atmete tief durch, als sie von der Maschine zum Flughafengebäude ging. Als sie durch die Tür trat, kam ein kleiner, stämmiger Mann mit kahl rasiertem Kopf und einem dunkelbraunen Bart auf sie zu.

»Dr. O’Connell?«

»Nennen Sie mich bitte Pat«, erwiderte sie. »Sie müssen Dr. Ambrose sein.«

»Tom, bitte«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln. »Hatten Sie einen angenehmen Flug von Denver hierher?«

»Es war wunderbar. Ein bisschen unruhig, als wir über die Berge geflogen sind, aber die herrliche Landschaft hat alle Unannehmlichkeiten wettgemacht.«

»Telluride ist ein zauberhafter Flecken Erde«, sagte er leicht wehmütig. »Manchmal wünschte ich, ich könnte hier leben.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier viele Ausgrabungsstätten gibt, die ein Mann mit Ihrer Erfahrung erkunden könnte.«

»In dieser Höhe nicht«, sagte er. »Die alten indianischen Ruinen liegen viel tiefer.«

Dr. Thomas Ambrose mochte nicht dem Bild entsprechen, das man sich von einem berühmten Anthropologen machte, doch er war einer der angesehensten Männer seines Fachs. Als emeritierter Professor der Arizona State University war er nicht nur ein ausgezeichneter Forscher, sondern auch berühmt für die sorgfältigen Veröffentlichungen über seine Feldstudien. Jetzt, mit Ende fünfzig – Pat schätzte ihn allerdings zehn Jahre jünger –, konnte er auf dreißig Jahre Forschung auf den Spuren früher Menschen und ihrer Zivilisationen im gesamten Südwesten der Vereinigten Staaten zurückblicken.

»Dr. Kidd gab sich am Telefon sehr geheimnisvoll. Er ließ sich so gut wie keine Auskunft darüber entlocken, um was für eine Entdeckung es sich handelt.«

»Und ich halte es ebenso«, sagte Ambrose. »Warten Sie lieber, bis Sie es mit eigenen Augen sehen.«

»Wie sind Sie an diesen Fund geraten?«, fragte sie.

»Ich war zur rechten Zeit am richtigen Ort. Ich war gerade mit einer alten Freundin im Skiurlaub, als mich ein Kollege von der Universität von Colorado anrief und fragte, ob ich einen Blick auf einen Fund werfen möchte, den ein Bergmann gemeldet hatte. Nachdem ich mich vor Ort kurz umgesehen hatte, wurde mir klar, dass dies meinen Horizont übersteigt.«

»Bei einem Mann mit Ihrem Ruf kann ich das kaum glauben.«

»Leider fällt Inschriftenkunde nicht in mein Fachgebiet. Und deshalb sind Sie hier. Der einzige mir persönlich bekannte Spezialist im Entziffern alter Inschriften ist Dr. Jerry Kidd in Stanford. Er war nicht abkömmlich, doch er hat Sie in den höchsten Tönen empfohlen.«

Ambrose drehte sich um, als die äußeren Pforten der Gepäckausgabe geöffnet wurden und die Damen vom Abfertigungsschalter, die nebenbei auch für das Gepäck zuständig waren, Koffer und Taschen auf eine Metallrutsche warfen. »Die große grüne ist meine«, sagte Pat, die dankbar war, dass ein Mann da war, der ihre tonnenschwere Tasche voller Fachbücher tragen konnte.

Ambrose ächzte, sagte aber nichts, als er die schwere Tasche zu einem Jeep Cherokee schleppte, der draußen auf dem Parkplatz vor dem Flughafengebäude stand. Pat zögerte, ehe sie einstieg, und ließ den großartigen Anblick der Kiefern- und Espenwälder auf sich einwirken, die sich an den Hängen des Mount Wilson und des Sunshine Peak auf der anderen Seite des Tales hinaufzogen. Ambrose musterte sie, während sie begeistert die herrliche Landschaft betrachtete. Pat hatte leuchtend rote Haare, die bis zur Taille fielen. Ihre Augen waren graugrün. Sie stand da wie von einem Bildhauer geschaffen, das rechte Bein belastet und das linke Knie leicht nach innen gedreht. Die Schultern und Arme deuteten darauf hin, dass sie muskulöser war als die meisten Frauen, ohne Zweifel eine Folge stundenlangen Trainings in einem Fitnessstudio. Ambrose schätzte, dass sie etwa eins dreiundsiebzig groß war und um die sechzig Kilo wog. Sie war eine hübsche Frau, weder süß noch hinreißend schön, aber er konnte sich gut vorstellen, dass sie sehr begehrenswert aussah, wenn sie etwas reizvollere Kleidung trug als die Jeans und die eher männlich wirkende Lederjacke.

Dr. Kidd behauptete, dass es niemand Besseren gäbe als Patricia O’Connell, was das Entziffern alter Schriften anging. Er hatte ihm ihren Lebenslauf gefaxt, und Ambrose war beeindruckt. Fünfunddreißig Jahre alt, mit einem Doktortitel in alten Sprachen vom St. Andrews College in Schottland, lehrte an der University of Pennsylvania Linguistik. Pat hatte drei allgemein anerkannte Bücher über ihre Entzifferung alter Steininschriften verfasst, die man in verschiedenen Teilen der Welt gefunden hatte. Von ihrem Mann, einem Anwalt, geschieden und allein erziehende Mutter einer vierzehnjährigen Tochter. Als erklärte Anhängerin der Diffusionstheorie, wonach sich Kulturerscheinungen ausbreiten, statt unabhängig voneinander zu entstehen, war sie überzeugt davon, dass alte Seefahrervölker viele Jahrhunderte vor Kolumbus an den Gestaden Amerikas gelandet waren.

»Ich habe Sie in einer hübschen Pension in der Stadt untergebracht«, sagte Ambrose. »Wenn Sie möchten, setze ich Sie dort ab, damit Sie sich frisch machen können.«

»Nein, danke«, sagte Pat lächelnd. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern sofort den Fundort aufsuchen.«

Ambrose nickte, zog ein Mobiltelefon aus der Jackentasche und wählte eine Nummer. »Ich sage Luis Marquez Bescheid, dass wir kommen. Das ist der Besitzer der Mine, der die Entdeckung gemacht hat.«

Schweigend fuhren sie durch das Zentrum von Telluride. Pat blickte zu den verschneiten Bergen des Mountain Village im Süden hinauf und sah Skifahrer die steilen Buckelpisten hinunterwedeln. Sie kamen an alten Häusern vorbei, die im Laufe des letzten Jahrzehnts renoviert worden waren und nun statt Saloons Einzelhandelsgeschäfte beherbergten. Ambrose deutete auf ein Gebäude zur Linken. »Dort hat Butch Cassidy seine erste Bank überfallen.«

»Telluride muss eine bewegte Geschichte haben.«

»Stimmt«, erwiderte Ambrose. »Genau da, vor dem Sheridan Hotel, hat William Jennings Bryan seine berühmte Rede vom ›Kreuz aus Gold‹ gehalten. Und weiter droben, im South Fork Valley, stand das erste Elektrizitätswerk der Welt. Man hat dort Wechselstrom für die Minen erzeugt. Die Generatoren und technischen Apparaturen wurden von Nikola Tesla entwickelt.«

Ambrose fuhr durch die Stadt Telluride, in der zur Wintersportsaison reges Treiben herrschte, und dann in den Cañon nach Pandora, wo die Asphaltstraße endete. Staunend blickte Pat zu den steilen Felsklippen rund um die alte Goldgräberstadt hinauf, zu den herrlichen Bridal Veil Falls, die nun, da mit den ersten warmen Vorboten des Frühlings die Schneeschmelze einsetzte, in hellen Kaskaden zu Tal stürzten.

Sie bogen auf eine Nebenstraße ab, die zu den Überresten etlicher alter Gebäude führte. Ein Kleinbus und ein Jeep, beide in hellem Türkis lackiert, standen davor. Zwei Männer in Tauchanzügen luden gerade ihre Atemgeräte aus. Jedenfalls kam es Pat so vor. »Was haben denn diese Taucher mitten in den Bergen von Colorado verloren?«, erkundigte sie sich.

»Ich habe mich gestern mit ihnen unterhalten«, versetzte Ambrose. »Die sind von irgendeiner Behörde für Meeres- und Unterwasserforschung.«

»Ziemlich weitab vom Meer, nicht wahr?«

»Mir haben sie gesagt, dass sie alte unterirdische Adern erkunden, über die einst das Wasser von der Westflanke der San Juan Mountains abgeflossen ist. Da drunten gibt es ein ganzes Höhlenlabyrinth, das die alten Minenstollen kreuz und quer miteinander verbindet.«

Eine halbe Meile weiter kamen sie an einem riesigen, stillgelegten Hüttenwerk am San Miguel River an, über dem sich ein anderer Minenschacht auftat. Davor stand ein Sattelzug. Rundum waren Zelte aufgestellt, zwischen denen allerlei Leute herumwuselten. Links und rechts auf dem langen Aufleger des Sattelzugs prangte die Aufschrift »Geo Subterranean Science Corporation«, dazu eine Firmenadresse in Phoenix, Arizona.

»Noch ein Forschungstrupp«, erklärte Ambrose ungefragt. »Lauter Geophysiker, die mit modernstem Bodenmessgerät die alten Minen erkunden wollen. Angeblich können sie damit jede Goldader feststellen, die den Bergleuten einst entgangen ist.«

»Glauben Sie, die werden fündig?«, fragte Pat.

Ambrose zuckte die Achseln. »Ich bezweifle es. Die Berge sind ziemlich tief durchlöchert.«

Kurz darauf steuerte Ambrose ein malerisches kleines Haus an und hielt neben einem Chevrolet-Pickup. Marquez und seine Frau, die sie bereits erwarteten, kamen heraus und begrüßten sie. Ambrose stellte Pat vor.

»Ich beneide Sie«, sagte Pat, »vor allem um die großartige Landschaft, in der Sie wohnen.«

»Stimmt schon«, sagte Lisa, »aber nach einem Jahr nimmt man das gar nicht mehr wahr.«

»Ich könnte mich an so was nie satt sehen.«

»Darf ich euch etwas anbieten? Kaffee? Ein Bier?«

»Nein, danke«, erwiderte Pat. »Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich so bald wie möglich zum Fundort.«

»Von mir aus«, sagte Marquez. »Wenn wir jetzt aufbrechen, haben wir noch fünf Stunden Zeit. Sie können sich die Kammer genau ansehen, und trotzdem sind wir vor Einbruch der Dunkelheit zurück.«

»Danach erwartet Sie nämlich das Abendessen«, sagte Lisa. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht Lust auf Hirschsteaks.«

»Hört sich wunderbar an«, sagte Pat, deren Magen jetzt schon knurrte.

Marquez deutete mit dem Kopf auf den alten Pickup. »Ich glaube, mit Ihrem Jeep kommen wir bequemer rauf zu der Mine, Doc.«

Eine Viertelstunde später saßen sie in der alten Erzlore und rollten hinab in die Paradise-Mine. Für Pat war das eine völlig neue Erfahrung. Sie war noch nie in einen Bergwerksschacht eingefahren.

»Es kommt mir so vor, als ob es immer wärmer würde«, stellte sie fest, »je tiefer wir vordringen.«

»Nach einer alten Faustregel«, erklärte Marquez, »steigt die Temperatur alle dreißig Meter, die man tiefer in die Erde eindringt, um etwa fünf Grad. Drunten auf der untersten Sohle, die jetzt überflutet ist, war es früher über vierzig Grad heiß.«

Die Erzlore blieb stehen. Marquez stieg aus und kramte in einer großen hölzernen Werkzeugkiste herum. Er reichte Pat und Ambrose Schutzhelme.

»Wegen der Steinschlaggefahr?«, fragte Pat.

Marquez lachte. »Hauptsächlich deshalb, damit Sie sich an den Stützhölzern nicht den Schädel zerschrammen.«

Im gelblich flackernden Schein der Glühbirnen folgten sie Marquez in den Stollen hinein. Hohl hallten ihre Stimmen von den Felsenwänden wider. Mehr als einmal geriet Pat auf den alten, verrosteten Schwellen und Schienen, über die einst die Erzloren gerollt waren, ins Straucheln, doch sie fing sich immer wieder. In weiser Voraussicht, auch wenn ihr das heute Morgen noch nicht klar gewesen war, hatte sie vor dem Abflug nach Telluride ein Paar bequeme Wanderschuhe angezogen. Nach einer halben Ewigkeit, so jedenfalls kam es ihr vor – tatsächlich waren nur zehn Minuten vergangen  –, gelangten sie zu dem Felsspalt, hinter dem die Kammer lag, und zwängten sich hinter Marquez hindurch.

Er blieb vor der Leiter stehen und deutete nach oben, zu einem Loch in der Stollendecke, aus dem helles Licht fiel. »Nach Ihrem Besuch gestern habe ich da drin eine Birne angebracht, Dr. Ambrose. Die blanken Wände wirken wie Spiegel, sodass Sie die Inschrift mühelos erkennen können.« Dann trat er zur Seite und half Pat die Leiter hinauf.

Nachdem niemand sie darauf vorbereitet hatte, was sie erwartete, war sie wie vom Donner gerührt. So wie seinerzeit Howard Carter zu Mute gewesen sein musste, als er den ersten Blick in Tutanchamuns Grab geworfen hatte. Dann bemerkte sie den schwarzen Schädel und vorsichtig begab sie sich zu dem Piedestal und betrachtete den blanken schimmernden Stein.

»Herrlich«, murmelte sie bewundernd, als Ambrose sich durch die schmale Öffnung schob und neben sie trat.

»Ein Meisterwerk«, stimmte er zu. »Aus Obsidian.«

»Ich habe Schädel aus Bergkristall gesehen, die man in Belize gefunden hat, von den Mayas hergestellt. Aber im Vergleich zu dem hier sind die geradezu ungeschlacht.«

»Angeblich sollen Kristallschädel einen Strahlenkranz absondern und eigenartige Töne von sich geben.«

»Dann muss der, mit dem ich mich damals befasst habe, ziemlich lethargisch gewesen sein«, sagte Pat lächelnd. »Er stand nur da und hat geglotzt.«

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viele Jahre es gedauert hat – um nicht zu sagen Generationen, denn man hatte ja keinerlei modernes Werkzeug –, bis etwas derart Schönes fertig gestellt war. Zumal aus einem so spröden Material, das man nur schmirgeln und abschleifen kann, das beim geringsten Hammerschlag in tausend Stücke zerspringt.«

»Vollkommen glatt«, sagte Pat leise. »Wie poliert.«

Ambrose wies rundum. »Diese ganze Kammer ist das reinste Wunder. Allein mit den Inschriften im Gestein muss mindestens eine Hand voll Männer ein Leben lang beschäftigt gewesen sein. Aber zuvor mussten sie diese ebenmäßigen Wände aus dem Fels herausmeißeln. Aus hartem Granit, in dieser Tiefe. Ich habe sie vermessen. Boden, Wände und Decke bilden einen Kubus. Sie sind bis auf den Millimeter genau im Lot. Aber es gibt keinerlei Aus- oder Eingang – ein Rätsel wie aus einem klassischen Krimi.«

»Was ist mit dem Loch in der Decke?«, fragte Pat.

»Das hat Luis Marquez bei der Suche nach Schmucksteinen frei gesprengt«, erwiderte Ambrose.

»Und wie ist dann diese Kammer entstanden, wenn es keinen Ausgang gibt?«

Ambrose deutete zur Decke. »Ich habe nur einen einzigen Hinweis gefunden – einen kaum wahrnehmbaren Spalt rund um die Oberkante. Meiner Meinung nach haben die Baumeister damals erst die Kammer gegraben und dann eine Steinplatte darüber gebettet, die genau passte.«

»Aber wozu?«

Ambrose grinste. »Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe.«

Pat holte einen Notizblock, einen kleinen Pinsel und eine Lupe aus einer Tasche, die sie am Gürtel trug. Sie trat unmittelbar vor eine Wand, fegte den Staub weg, der sich im Lauf der Jahrhunderte abgesetzt hatte, und musterte die Inschrift. Eingehend betrachtete sie die Zeichen, ehe sie zur Decke emporblickte. Dann wandte sie sich mit verständnisloser Miene an Ambrose. »Die Decke stellt allem Anschein nach eine Sternenkarte dar. Die Zeichen deuten darauf hin …« Sie zögerte, schaute ein weiteres Mal verdutzt zu Ambrose. »Es muss sich um eine Art Jux handeln, den sich die Bergmänner erlaubt haben, die den Stollen gruben.«

»Wie kommen Sie zu diesem Schluss?«, wollte Ambrose wissen.

»Die Zeichen an der Wand haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit irgendeiner Inschrift, die ich bislang untersuchen durfte.«

»Können Sie sie entziffern?«

»Ich kann Ihnen bloß sagen, dass es sich weder um Piktogramme noch um Hieroglyphen, noch um Logogramme handelt, die einzelne Wörter wiedergeben. Auch deuten die Zeichen nicht auf Wort- oder Silbensymbole hin. Allem Anschein nach ist es eine Art Alphabet.«

»Dann stellen sie also einzelne Lautzeichen dar«, warf Ambrose ein.

Pat nickte zustimmend. »Entweder handelt es sich um eine Art Code oder um ein geniales Schreibsystem.«

Ambrose schaute sie forschend an. »Wie kommen Sie darauf, dass das Ganze ein Jux sein könnte?«

»Die Zeichen weisen keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen bekannten Schrift auf, die der Mensch im Laufe der Geschichte entwickelt hat«, sagte Pat leise, aber bestimmt.

»Sie haben sie als genial bezeichnet.«

Pat reichte Ambrose das Vergrößerungsglas. »Sehen Sie selbst. Die Symbole sind bemerkenswert einfach. Die Verwendung geometrischer Figuren in Verbindung mit einzelnen Linien stellt eine überaus zweckmäßige Methode der schriftlichen Mitteilung dar. Deswegen kann ich ja nicht glauben, dass diese Inschriften hier von einer alten Zivilisation stammen.«

»Lassen sich die Symbole entziffern?«

»Das weiß ich erst, wenn ich sie kopiert habe und auf der Universität durch den Computer laufen lasse. Die meisten alten Inschriften sind nicht annähernd so klar und eindeutig wie diese hier. Allem Anschein nach sind diese Zeichen nach einer genau festgelegten Systematik aufgebaut. Das große Problem dabei ist, dass es nirgendwo auf der Welt eine entsprechende Inschrift gibt, an der wir uns orientieren könnten. Ich tappe hier im Dunkeln, bis mir der Computer einen Anhaltspunkt liefert.«

»Wie weit seid ihr da oben?«, rief Marquez unten aus dem Stollen.

»Vorerst sind wir fertig«, antwortete Pat. »Gibt es in der Stadt einen Schreibwarenladen?«

»Zwei sogar.«

»Gut. Ich brauche nämlich einen Packen Pauspapier und Tesafilm, damit ich es zu großen Bögen zusammenkleben kann…« Sie verstummte, als ein leises Grollen aus dem Stollen drang und der Boden des viereckigen Gelasses unter ihren Füßen erzitterte.

»Ein Erdbeben?«, rief Pat zu Marquez hinab.

»Nein«, erwiderte er. »Ich nehme an, dass irgendwo in den Bergen eine Lawine niedergegangen ist. Machen Sie und Dr. Ambrose ruhig weiter, ich laufe kurz nach oben und schau mich um.«

Ein weiterer Erdstoß, diesmal deutlich stärker, erschütterte die Kammer.

»Vielleicht sollten wir mitkommen«, sagte Pat bang.

»Die hölzernen Stützstreben in den Stollen sind alt, und viele sind morsch«, warnte sie Marquez. »Bei heftigen Erschütterungen könnten sie zusammenbrechen, sodass es zu einem Einsturz kommt. Hier unten sind Sie beide besser aufgehoben.«

»Bleiben Sie nicht zu lange weg«, sagte Pat. »In diesen engen, dunklen Gängen ist es mir nicht ganz geheuer.«

»Bin in zehn Minuten wieder da«, beruhigte sie Marquez.

Sobald Marquez’ Schritte unten im Stollen verhallt waren, wandte sich Pat an Ambrose. »Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie von diesem Schädel halten. Glauben Sie, er ist alt, oder stammt er aus jüngerer Zeit?«

Ambrose betrachtete den Schädel mit versonnener Miene. »Nur in einem Laboratorium ließe sich feststellen, ob er von Hand oder mit modernen Werkzeugen geschliffen und poliert wurde. Wir wissen lediglich, dass dieser Raum ganz bestimmt nicht von den Bergleuten aus dem Fels gehauen wurde. Über eine derart aufwändige Arbeit müsste es irgendwo schriftliche Unterlagen geben. Marquez hat mir versichert, dass sich in den alten Akten und Stollenplänen der Paradise-Mine keinerlei Hinweis auf einen senkrechten Schacht befindet, der zu einer unterirdischen Kammer an dieser Stelle führt. Folglich muss sie vor 1850 entstanden sein.«

»Oder viel später.«

Ambrose zuckte mit den Schultern. »Der gesamte Bergwerksbetrieb wurde 1931 eingestellt. Ein derart großes Projekt hätte seither nicht unbemerkt vonstatten gehen können. Ich möchte meinen guten Ruf nicht aufs Spiel setzen, wage aber ohne jede Einschränkung zu behaupten, dass diese Kammer und der Schädel mehr als tausend Jahre alt sind, vermutlich viel älter.«

»Vielleicht stammen sie von Indianern«, hakte Pat nach.

Ambrose schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Die alten Amerikaner haben zwar zahlreiche komplexe Steinbauten errichtet, aber ein Unternehmen von dieser Größe und Genauigkeit überstieg ihre Fähigkeiten. Außerdem sind da noch die Inschriften. Und die dürften wohl kaum das Werk eines Volkes sein, das keine Schriftsprache kannte.«

»Allem Anschein nach handelt es sich hier um die Hinterlassenschaft hochintelligenter und hoch gebildeter Menschen«, sagte sie leise, während sie mit den Fingerspitzen über die in den Granit gehauenen Zeichen strich.

Ambrose blieb bei ihr, als sie die ungewöhnlichen Symbole in ein kleines Notizbuch übertrug, bis sie ingesamt zweiundvierzig Zeichen kopiert hatte. Dann vermass sie die Gravurtiefe und den Abstand zwischen den Linien und Symbolen. Je genauer sie den Text untersuchte, denn um einen solchen handelte es sich offenbar, desto verblüffter war sie. Diesen Inschriften wohnte eine rätselhafte Logik inne, deren Geheimnis sich nur durch eine sorgfältige Übersetzung erschließen würde. Sie machte gerade Blitzlichtaufnahmen von den Schriftzeichen und Sternensymbolen an der Decke, als Marquez durch das Loch im Boden der Kammer kletterte.

»Sieht so aus, als ob wir eine Weile hier aushalten müssten«, berichtete er. »Eine Lawine hat den Zugang zur Mine verschüttet.«

»Ach du liebe Güte«, stieß Pat aus.

»Nur keine Bange«, sagte Marquez mit einem verkniffenen Grinsen. »Meine Frau hat mit so was Erfahrung. Die bekommt garantiert mit, dass wir in der Klemme stecken, und holt Hilfe. In Kürze wird ein Rettungstrupp mit schwerem Gerät aus der Stadt anrücken und uns ausbuddeln.«

»Wie lange werden wir hier festsitzen?«, fragte Ambrose.

»Schwer zu sagen, da ich nicht weiß, wie viel Schnee vor dem Mineneingang liegt. Ein paar Stunden vermutlich. Könnte aber auch einen Tag dauern. Die werden rund um die Uhr arbeiten, bis sie den Schnee weggeräumt haben. Da können Sie sich drauf verlassen.«

Pat war erleichtert. »Nun denn, solange Ihre Beleuchtung funktioniert, sollten Dr. Ambrose und ich die Zeit nutzen und die Inschriften aufzeichnen.«

Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ein gewaltiges Grollen irgendwo tief unterhalb der Kammer ertönte. Danach hallte das markerschütternde Knacken berstender Stützhölzer, gefolgt vom lauten Poltern herabstürzender Steine aus dem Stollen. Eine heftige Druckwelle fegte durch den Felsspalt in die Kammer und schleuderte sie zu Boden.

Dann ging das Licht aus.

3

Das dumpfe Grollen im Innern des Berges hallte bedrohlich aus den verborgenen Tiefen des Stollens, erstarb allmählich und hinterließ eine beklemmende Stille. Zugleich wälzte sich eine dichte Staubwolke durch den dunklen Gang, drang durch den Felsspalt und in die Kammer. Sie husteten sich in der Dunkelheit schier die Seele aus dem Leib, als sich der Schmutz in Mund und Nase festsetzte.

Ambrose war der Erste, der wieder ein paar halbwegs verständliche Worte hervorbrachte. »Was, in Gottes Namen, ist da passiert?«

»Ein Einsturz«, krächzte Marquez. »Die Decke des Stollens muss eingebrochen sein.«

»Pat!«, rief Ambrose und tastete in der Dunkelheit umher. »Sind Sie verletzt?«

»Nein«, stieß sie aus, immer noch hustend. »Ich kriege keine Luft, aber sonst fehlt mir nichts.«

Er stieß auf ihre Hand und half ihr auf die Beine. »Hier, nehmen Sie mein Taschentuch und halten Sie es sich vor den Mund.«

Pat stand reglos und um Atem ringend da. »Ich hatte das Gefühl, als ob die Erde unter meinen Füßen explodiert.«

»Wieso ist der Fels plötzlich eingebrochen?«, fragte Ambrose Marquez.

»Ich weiß es nicht, aber meiner Meinung nach klang es wie eine Sprengung.«

»Könnte der Stollen nicht auch durch die Nachwirkungen der Lawine eingestürzt sein?«, fragte Ambrose.

»Ich schwöre bei Gott, dass es Dynamit war«, sagte Marquez. »Ich muss es schließlich wissen. Ich habe im Laufe der Jahre so viel davon verwendet, dass ich das Geräusch erkenne. Ich benutze immer Dynamit mit einer niedrigen Detonationsgeschwindigkeit, damit das Gestein so wenig wie möglich erschüttert wird. Irgendjemand hat in einem der Stollen unter uns eine brisante Ladung gezündet. Eine gewaltige, der Erschütterung nach zu urteilen.«

»Ich dachte, die Mine wäre verlassen.«

»Ist sie auch. Außer meiner Frau und mir hat sie seit Jahren niemand mehr betreten.«

»Aber wie …«

»Nicht wie, sondern warum.« Marquez streifte die Beine des Anthropologen, als er auf allen vieren herumkroch und seinen Schutzhelm suchte.

»Wollen Sie damit etwa sagen, dass jemand absichtlich Sprengstoff gezündet hat, um die Mine zum Einsturz zu bringen?«, fragte Pat verwirrt.

»Das werde ich schon erfahren, wenn wir hier wieder rauskommen.« Marquez fand seinen Helm, stülpte ihn über seine eingestaubten Haare und schaltete die Lampe an. »So, schon besser.«

Die kleine Lampe warf lediglich einen matten Lichtschein durch die Kammer. Der sich langsam setzende Staub hatte etwas Unheimliches und Bedrohliches an sich, wie wabernde Nebelschwaden über dunklen Wassern, und sie selbst wirkten mit der pudrigen Schicht aus grauem Granit, die sich auf Haut und Kleidung abgelagert hatte, wie Statuen, die aus dem Gestein rundum gehauen waren.

»Mir will gar nicht gefallen, wie Sie dieses Wenn ausgesprochen haben.«

»Kommt ganz drauf an, auf welcher Seite des Spalts der Stollen eingebrochen ist. Wenn’s weiter unten war, ist alles klar. Aber wenn die Decke irgendwo zwischen hier und dem Hauptschacht runtergekommen ist, könnte es heikel werden. Ich geh mal nachschaun.«

Ehe Pat noch etwas sagen konnte, war der Bergmann durch das Loch geschlüpft, und in der Kammer herrschte wieder tiefste Dunkelheit. Schweigend standen Ambrose und Pat inmitten der drückenden Düsternis, beide zusehends beklommen und verängstigt. Knapp fünf Minuten verstrichen, bis Marquez wieder zurückkehrte. Sein Gesicht konnten sie nicht sehen, weil ihnen der Strahl seiner Helmlampe in die Augen schien, aber sie spürten geradezu, dass er dem Tod ins Antlitz geblickt hatte.

»Ich habe leider ganz schlechte Nachrichten«, sagte er bedächtig. »Die Decke ist ein Stück weiter droben im Stollen runtergekommen, in Richtung Hauptschacht. Meiner Schätzung nach ist der Stollen auf einer Länge von dreißig Metern eingefallen, wenn nicht noch mehr. Das kann Tage dauern, womöglich Wochen, bis die Rettungsmannschaften das Geröll beiseite geräumt haben, zumal sie das Ganze ja ständig wieder abstützen müssen.«

Ambrose wollte wissen, ob es noch Hoffnung gab. »Aber man wird uns doch hier herausholen, ehe wir verhungern«, sagte er.

»Verhungern müssen wir ja nicht«, sagte Marquez, unfähig, die Verzweiflung in seiner Stimme zu verbergen. »Das Wasser im Stollen steigt. Es steht schon fast einen Meter hoch.«

Jetzt sah Pat auch, dass Marquez’ Hosen bis zu den Knien klatschnass waren. »Dann sitzen wir also ausweglos in diesem verdammten Loch fest?«

»Das habe ich nicht gesagt! «, versetzte der Bergmann. »Es könnte gut sein, dass das Wasser über einen der Seitenstollen abläuft, bevor es bis zur Kammer hoch steigt.«

»Aber garantieren können Sie nicht dafür«, sagte Ambrose.

»In ein paar Stunden wissen wir’s«, entgegnete Marquez.

Pat war unter der Staubschicht kreidebleich geworden, konnte kaum atmen. Die nackte Angst packte sie, als sie zum ersten Mal das Wasser hörte, das draußen, unterhalb der Kammer in den Stollen sickerte. Zuerst war es nur ein leises Glucksen, doch dann, viel zu schnell, wurde es immer lauter. Sie schaute zu Ambrose, fing seinen Blick auf. Auch er konnte seine Angst nicht verhehlen.

»Wie mag es wohl sein«, flüsterte sie, »wenn man ertrinkt?«

 

Sie zählten jede einzelne endlose Minute, und die nächsten zwei Stunden kamen ihnen vor wie Jahrhunderte, während das Wasser immer höher stieg, bis es durch das Loch im Boden der Kammer drang und um ihre Füße leckte. Pat, die vor Grauen wie gelähmt war, drückte sich an die Wand, als könnte sie den unablässig steigenden Wassermassen dadurch eine Gnadenfrist abringen. Sie sprach ein stummes Stoßgebet, flehte um ein Wunder, damit die Flut nicht über ihre Schulter stieg.

Allzu grässlich war der Gedanke an diesen grauenhaften Tod, hunderte von Metern unter der Erde, in diesem finsteren, stickigen Loch, ein Albtraum, viel zu gespenstisch, als dass man sich damit abfinden könnte. Ihr fiel die Geschichte über die toten Taucher ein, die sie einst gelesen hatte, Taucher, die sich in einer unterirdischen Höhle verirrt hatten. Als man sie schließlich fand, hatten sie sich die Finger bis auf die blanken Knochen abgeschürft, so verzweifelt hatten sie sich auf der Suche nach einem Ausweg in den blanken Fels gekrallt.

Stumm und bedrückt standen die beiden Männer da. Marquez mochte einfach nicht glauben, dass irgendwelche geheimnisvollen Unbekannten sie ermorden wollten. Dazu gab es keinerlei Grund, nicht das geringste Motiv. Vor allem aber dachte er an seine Angehörigen, an seine Familie, die bald Trauer tragen würden.

»Was wollen Sie denn gesehen haben?«, fragte Ambrose leise.

»Einen Lichtschein«, murmelte sie.

»Ich sehe gar nichts«, sagte Marquez.

Ambrose und Marquez spähten in das Wasser, sahen aber nichts als abgrundtiefe Schwärze.

»Ich habe was gesehen. Ich schwöre bei Gott, da drunten in dem Felsspalt war ein Licht.«

Ambrose drückte sie an sich. »Hier ist niemand«, sagte er behutsam. »Wir sind allein.«

»Da!«, stieß sie aus. »Seht ihr das nicht?«

Marquez tauchte mit dem Kopf in die Fluten und sperrte die Augen auf. Und dann sah er es ebenfalls, einen schwachen Lichtschein, der aus dem Stollen drang. Er hielt die Luft an, starrte gespannt in die Richtung, sah, wie er heller wurde, als käme er näher. Er riss den Kopf aus dem Wasser. »Da unten ist irgendwas«, schrie er mit schriller, überschnappender Stimme. »Ein Gespenst. Das kann nur der Geist sein, der angeblich in der Mine umgeht. Kein Wesen von Fleisch und Blut kommt durch einen überfluteten Stollen.«

Sie verloren jeglichen Lebensmut, der ihnen noch geblieben war. Wie hypnotisiert starrten sie auf den Lichtschein, der offenbar genau auf das Loch im Boden der Kammer zuhielt. Dann schaltete Marquez die Lampe an seinem Helm wieder an, und sie blickten gebannt auf die schwarze Gestalt, die langsam aus dem Wasser stieg.

Dann hob das Gespenst die Hand aus den dunklen Fluten, nahm das Mundstück des Atemreglers heraus und schob die Taucherbrille auf die Stirn. Im Schein der Helmlampe funkelten ein Paar grüner Augen auf, dann eine Reihe ebenmäßiger weißer Zähne, als der Mann breit grinste.

»Sieht so aus«, ertönte eine freundliche Stimme, »als wäre ich buchstäblich auf den letzten Drücker gekommen.«