Willibald Spatz
Alpenwürstchen
Birnes fünfter Fall
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Besuchen Sie uns im Internet:
www.gmeiner-verlag.de
© 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
info@gmeiner-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung der Fotos von:
© Spiber / Fotolia.com
© dp3010 / Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-4654-2
And why do you women in this town
Let me look at you so bold
When you should have seen what I was
In the last town
You should have seen what I was
If I was a stranger
Smog – If I was a stranger
I had rather be a toad,
And live upon the vapour of a dungeon,
Than keep a corner in the thing I love
For others’ uses.
Shakespeare – Othello
Gegenüber sitzt ’n Typ wie’n Bär
Ich stell’ mir vor, wenn das Dein Neuer wär’
Matthias Reim – Verdammt ich lieb dich
Erstens: Fang bloß nicht mit dem Wetter an. Die Kratzgeräusche hatte er in schrecklicherer Erinnerung als den Schrei. Als er den hörte, war alles klar. Birne lag im Schein des Nachtlichts und wagte nicht, sich zu rühren oder die Decke weiter über sich zu ziehen, weil es ihn fror. Er erwachte und das Bett der Großtante war leer, sie hatte leise die Lampe angeschaltet, die Pantoffeln übergestreift und sich im Nachthemd aus dem Zimmer geschlichen, um den Buben nicht zu wecken. Trotzdem war er aufgewacht vom Scharren. Es befand sich was oder jemand im Haus. Birne, der Bub, meinte ein Flüstern zu hören und die Schritte der Großtante Dada. Sie bemühte sich, Geräusche zu vermeiden, doch jeder Schritt knarrte auf den alten Dielen. Man konnte sie nicht überhören. Wer auch immer da war, wusste, dass nach ihm gesucht wurde. Birne erlebte jedes Jahr vortreffliche Ferien. Er quartierte sich immer im August bei seiner Großtante Dada in Ödertshofen ein. Beide genossen sie die Zeit: Dada, weil so ihre Einsamkeit für ein paar Tage nicht mehr so schwer wog. Sie lebte allein, nachdem ihr Mann relativ plötzlich an einem Herzinfarkt und etwas anderem, über das man nur ungern oder in Andeutungen sprach, verstorben war. Es hieß, dem Onkel Tata hatte das Bier recht gut geschmeckt. Das lag in der Familie.
Birne mochte die Zeit bei Dada, weil er hier im Mittelpunkt stand; die Großtante kümmerte sich ausschließlich um ihn. Sie werkelten viel im Garten, Tante Dada hatte einen wilden Kräutergarten hinter dem Haus, den niemand einsehen konnte. Birne versteckte sich dort, er liebte den Dreck, liebte es, sich schmutzig zu machen und sich anschließend stundenlang badend wieder zu säubern. Zur Brotzeit gab es für den Buben einen von der Tante selbst hergestellten Tee aus dem Besten, was sie selbst zog. Birne wurde wohl und ganz anders davon, und Dada wurde müde. Sie schlief vor dem Fernseher ein und Birne konnte Programme schauen, die er nirgendwo sonst auf der Welt hätte sehen dürfen: Es flimmerten dort die verruchten Sendungen des jungen Privatfernsehens in Deutschland (von Hella von Sinnens Torten über Peter Steiners Theaterwahnsinn bis zu Hugo Egon Balders hüpfenden Busenmädchen). Die trauten sich dreckige Dinge vor den Millionen Fernsehzuschauern. Birne ging es gut, denn Dada verwöhnte ihn. Sie hatte selbst keine Kinder und demnach keine Enkel, deswegen stellte Birne den Ersatz dar.
In jenem Sommer war Birne schon ein klein wenig zu alt. Er hatte eben die vierte Klasse besucht und würde nach den Sommerferien aufs Gymnasium gehen. Damit stand er im Begriff, die Provinz hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Dies würde sowieso sein letzter Sommer auf dem Land sein; er langweilte sich gelegentlich schon ein bisschen.
Birne fragte sich. Hatte die Tante Geld im Haus? Schmuck oder dergleichen hatte er nie an ihr bemerkt. Bei ihr dürfte nichts zu holen sein. Was wollten die Einbrecher von einer alten Frau?
Das Schlafzimmer lag im ersten Stock. Birne teilte in aller Unschuld ein Ehebett mit seiner Großtante, über welches eine gemalte, verklärt blickende Madonna in seidenem Gewand wachte. Die Geräusche kamen von hier oben. Birne hörte seine Großtante die Treppe hinabgehen. Er hielt es für unmöglich, dass sie abhaute und ihn im Stich ließ, aber er musste wissen, was sich dort abspielte. Birne stand auf und ging zur Tür.
Er erkannte die weißen Umrisse des Großtantennachthemds deutlich auf der Treppe nach unten.
»Geh wieder ins Bett.«
»Was ist da?«
»Nichts.« Die Stimme der alten Frau zitterte, er wollte ihr dennoch glauben. »Geh wieder ins Bett. Schnell. Bitte.«
»Du musst die Polizei kommen lassen.«
»Du musst ins Bett. Da ist nichts.«
»Ich höre was.«
»Der Wind.«
»Es weht kein Wind.«
»Ein Tier, eine Katze. Geh wieder ins Bett.«
»Komm mit ins Bett.«
»Geh und schließ die Tür.« Sie kam einen Schritt die Treppe hoch auf Birne zu und hob ihre Hand.
Birne gehorchte. Wieder im Bett ließ ein er ein Bein auf dem Boden, um gleich losrennen zu können. Er atmete kaum. Er wollte nichts verpassen von dem, was da draußen vor sich ging.
Dada kam unten an. »Ist da wer? Hallo? Hallo?«
Eine totale Stille zur Antwort. Da war wer. Birne sprang auf und lief auf den Gang. Dunkelheit.
»Dada?«
Schweigen.
»Dada? Ist da wer?« Birne wagte nicht, nach unten zu gehen. Er ging die Treppe zum Dachboden nach oben. Seine nackten Füße ließ er laut auf die Stufen patschen. Die Tür, die normalerweise verriegelt war, stand offen. Birne ging hindurch. Durch einen gläsernen Dachziegel fiel Mondlicht auf alte Schränke, in denen Unbrauchbares für die Ewigkeit konserviert lag. Birne bewegte sich langsam weiter in den Raum hinein. Tausend Möglichkeiten, sich hier zu verstecken, tausend Möglichkeiten, ihm von hinten zu packen und ihn zu überwältigen. Ihn am Hals zu packen, die Hand auf den Mund zu legen, zuerst den Schrei, dann den Menschen zu ersticken. Sein Atem dagegen bombastisch laut und sein Herzschlag ein Wummern in der Brust. Von unten kamen wieder Geräusche. Schritte auf den Dielen. Er wurde oben gesucht, nachdem unten der Großtante das Licht ausgeblasen worden war. Aber eben hatte er noch ein Kratzen von oben zu gehört. Hier konnte auch einer sein. Eine Katze. Ein Killer. Ein Nazi.
Hinter den Schränken in der Dachschräge breitete sich dunkler Raum aus, ein Platz zum Verstecken. Birne schlupfte zwischen zwei Möbeln durch und verkroch sich wie eine Fledermaus. Hier von der Decke hängen, bis alles vorbei war, bis die Polizei ihn rauszog und an der toten Großtante in ihrer Blutlache vorbei in Sicherheit brachte. Wenn sich hier nicht eh schon einer versteckte, konnte man ihn nicht finden. Dann ein fürchterliches Gepolter und ein Schrei, gedämpft durch die Wand und dennoch bis ins Mark. Birne schreckte hoch, rannte los, schürfte sich an den Schrankkanten blutig und stoppte unvermittelt. Ein Ausatmen wärmte seinen Unterarm. Hier stand einer neben ihm. Und der sagte kein Wort.
»Hilfe«, sagte Birne. Leise.
Langsam ging er weg. Und von unten schrie Dada nach ihm. »Birne, mein Bub, wo bist du? Birne.«
Auf dem Dachboden langte jemand nach ihm. Er wollte ihn packen und verfehlte in knapp in der Dunkelheit. Eine Männerhand hatte ihn gestreift. Birne zuckte zurück. »Hilfe.«
Er rannte los, stolperte und fiel der Länge nach hin. Und auf ihn drauf plumpste ein Männerkörper.
»Halt deinen Mund, Kleiner. Dann passiert nichts.«
Der über ihm stank nach Menthol-Schnupftabak und Schweiß. Birne musste würgen.
Die Großtante schrie unten noch: »Birne, bitte komm.«
Daraufhin drückte der Mann Birnes Kopf fest auf den staubigen Boden. Birne konnte es nicht mehr zurückhalten: Ein großer Schwall halb verdauter Erdbeermarmeladensemmel, die er zum Abendessen genossen hatte, brach aus ihm heraus auf den Dachbodenboden. Er kotzte und verschmutzte sein Gesicht, das immer noch nach unten gepresst wurde.
»Du Sau, du dreckige«, rief der Stinki-Mann und ließ Birne kurz los, nur um ihm volle Granate eine runter zu hauen. Birne zögerte kurz, benommen von der Watschen, dann raffte er sich schnell auf. Er floh durch seine Kotzlache hindurch zur Dachbodentür.
»Bleib!«, rief der Einbrechermann und stürzte hinter ihm drein. Er bekam Birne kurz am Kragen zu packen, bevor er ausrutschte in der frischen Speibe und sauber zu Boden krachte. Ein Schlag wie ein Gewitter.
Ja. Old Shatterhand griff niemand ungestraft an.
Das stinkende Kind befand sich schon auf der Treppe, an deren unteren Ende ihn seine glückliche Großtante erwartete.
»Da bist du.«
»Da oben ist ein Mann.«
Dada zog ihn ins Schlafzimmer und verschloss die Tür.
»Wie siehst denn du aus? Und wie riechst du?«
»Ich habe brechen müssen.«
»Bub, weniger Duplo.« Dada wirkte nun wieder gefasst. Sie wollte den Bub nicht verziehen, darum sollten sich andere kümmern.
Draußen näherten sich Schritte. Ein Fuß wurde gegen die Tür gewuchtet. Birne schluchzte auf, Dada hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. »Alles wird gut.« Immer wenn jemand das sagte, wurde alles nur noch schlimmer. Dada riss den Finger wieder weg, weil sie selbst beim nächsten Tritt so erschrak.
»Lass gut sein«, rief eine brüchige Stimme von unten. »Hilf lieber mir.«
»Noch einer«, sagte Birne.
Dada wedelte mit den Händen, Birne solle endlich seinen Mund halten, nicht mehr reden, nicht mehr kotzen.
»Geht nicht«, sagte der vor der Tür.
»Warum nicht?«
»Der Kleine hat mich gesehen.«
Die Großtante lachte in sich hinein. »Ich sag nichts. Ich verspreche es.« Die fürchtete sich gar nicht, die war der echte Old Shatterhand.
Ein erneuter Schlag gegen die Tür, der Birne und Dada zusammenzucken ließ.
Der unten, der Vernünftige meldete sich. »Hilf mir endlich. Die ist gefährlich, die hat mich genauso die Treppe hinunter geschmissen wie ihren Alten. Ich kann nicht gehen, da ist was gebrochen oder so. Scheißdreck.«
Noch ein Tritt gegen das Holz. »Ein Wort, du alte Hexe, und ich bring dich wirklich um. Das ist kein Witz.«
Der Mann ging weg, klaubte den Kumpanen auf und schleifte ihn nach draußen. Wenig später hörte man ein Auto vom Hof fahren. Der Motor heulte auf und der Kies spritzte weg. Dada hob den Daumen, Birne und sie umarmten sich und ließen sich minutenlang nicht los. Der Bub musste noch mal baden und bekam zum Einschlafen einen Tee und ein Duplo unter der Bedingung, dass er es nicht wieder von sich gab. Er versprach es und konnte trotz der Aufregung einschlafen.
Am nächsten Tag ließ Dada die Polizei kommen; der Beamte erwies sich als alt, fett und überfordert. Er herrschte Dada böse an, was ihr einfalle, ihn um Hilfe zu bitten nach allem. Die Einbrecher hatten das Wohnzimmer im Erdgeschoss auf den Kopf gestellt.
»Fehlt was?«, fragte er.
»Nein, sie haben nichts gefunden, ich hab’s zu gut versteckt.«
»Geld?«
»Angst und Geld haben wir nie gehabt«, sagte Dada.
»Ich weiß. Angst hat man höchstens vor dir.«
»Die kommen nicht mehr, die haben Respekt. Der Bub weiß, wie man sich wehrt. Gell?« Sie strich ihm übers Haar.
»Dich kriegen sie schon noch, du alte Hexe«, drohte der Fett-Polizist, bevor er in seinem zu kleinen Polizeikarren verschwand. Fast schon ein Fall für Wetten, dass …? – Wetten, dass ich den fettesten Polizisten Deutschlands in ein winziges Auto packen kann?
Birne schwor sich, dieses Haus nie mehr zu betreten.
Einen Schwur 26 Jahre nicht brechen, ist nicht die Ewigkeit, aber auch nicht ganz schlecht.
Birne lag wieder hier, und wieder kamen nachts Geräusche vom Dachboden: ein Scharren und ein Kratzen. Diesmal stieg Birne ohne Furcht hoch, er hatte eine Taschenlampe und er war ein ausgewachsener Mann. Groß und ohne Hemmungen zuzuschlagen, wenn es sein musste. Sollte sich doch einer auf ihn schmeißen, gern, der bekäme dann einen Teil der Wut, die Birne gerade mit sich herumtrug, in die Fresse gedonnert.
Auf dem Dachboden fand er niemanden vor. Die Schränke standen noch in zwei Reihen, genauso wie in der Erinnerung. Die Luft stand. Die Hitze dieses und der vergangenen Tage staute sich. Der Strahl der Taschenlampe wanderte in alle Ecken und über den Boden. Spuren von einst: die Marmeladensemmel. Zumindest interpretierte er Flecken auf dem Boden so. Es betätigte einen Lichtschalter, die Glühbirne beleuchtete den Raum nur mager. Das Kratzen kam aus einer Ecke, sein Erscheinen hatte den Kratzer nur wenig beeindruckt. Birne untersuchte die Ecke. Eine Unordnung: Stofffetzen, Blätter, Dämmwolle. Es bewegte sich dort etwas. Birne näherte sich behutsam.
Er war spät angekommen heute. Er hatte sein Auto im Hof geparkt und war einige Minuten hinter dem Steuer sitzen geblieben, um durchzuatmen. Das Anwesen sah schäbig aus, aber bei Weitem nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Das Wohngebäude bildete mit einem Stadel am Ende des Hofs und einem alten Hühnerstall ein U. Neben Stall und Einfahrt standen Obstbäume. Der Kräutergarten der Großtante war mittlerweile komplett mit Büschen zugewuchert. So viel Arbeit so schnell zunichte. Die Vergänglichkeit. Hier hatte keiner mehr etwas angerührt seit Dadas Tod. Im Kies wucherte ungeniert Unkraut.
Den Schlüssel hatte er von seinem Bruder Jakob erhalten. Die Wohnzimmereinrichtung hatte man einfach stehen lassen. Birne zog die Plastikplanen, die man lieblos über das Mobiliar geschmissen hatte, zur Seite und testete den Fernseher. Funktionierte einwandfrei. Willkommen zu Hause. Im Küchenschrank fand er eingestaubte Gläser. Der Wasserhahn röchelte, bevor er rostiges Wasser hergab. Es klärte sich schnell. Birne trank. Auch der Kühlschrank schnurrte, als Birne ihn ansteckte. Jemand hatte ihn gesäubert. Birne hätte beinahe loswohnen können.
Dada wurde vergessen. Es hieß, sie halte sich gut für ihr Alter, sei rüstig, geistig voll in Schuss und könne sich ohne Probleme selbst versorgen. Kaum jemand aus der Familie besuchte sie. Für die Großtante war keine Zeit vorhanden. Jakob war immer zu beschäftigt, elendig beschäftigt war der immer. Und nichts kam dabei raus. Je mehr er sich beschäftigte, und Arbeit konnte man seine Beschäftigungen streng genommen kaum nennen, desto weniger kam dabei raus. Und Birne sah überhaupt keine Veranlassung, nach Ödertshofen zu fahren. Vergangenheit kommt von vergangen. Kann keine Nostalgie vertragen bei so einer Gegenwart.
Dann war sie gestorben. Birne brav zu Beerdigung und Leichenschmaus, längst vergessene Verwandte getroffen, von denen Auskunft über ihr Leben eingeholt, über den Durst getrunken und heim zurück in den Alltag. Wenig los, fiel Birne auf, Kirche keineswegs gefüllt. Oft sind diese Läden ja voll bei »schönen Leichten«, wie sie die Begräbnisfeiern nannten. Dada hatte nur wenigen etwas bedeutet, den wenigen aber viel. Das Haus ließ man unbewohnt stehen, verkauft wurde es nicht von der Erbengemeinschaft, weil es Aufwand bedeutet hätte, einen Käufer zu suchen und es letztlich zu wenig eingebracht hätte. Man fürchtete auch den Streit und die Entwurzelung. Herzblut hing ja noch dran und Erinnerungen. Außerdem war Immobilienbesitz gerade chic in einer Zeit, in der der Euro vom einen Tag auf den nächsten nichts mehr wert sein konnte. Am besten wäre es gewesen, jemand wäre rein. Doch wer will nach Ödertshofen? Nichts los, nicht mal ein Supermarkt, man musste immer mit dem Auto weg. Und in das Haus musste man erst mal ordentlich investieren, damit es den Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügte. Davor scheute sich jeder infrage Kommende.
Der Birne dankte dem Euro jetzt. Ihm kam das Haus gerade recht. Er suchte nach einem Ort zum Bleiben. Bei ihm war in letzter Zeit alles schief gelaufen, was dumm laufen kann: Ein Missverständnis war zu seinen Ungunsten ausgelegt worden. Deswegen hatte er den Job verloren. Nicht ganz – Birne war beurlaubt bis zur Klärung entscheidender Fragen. Birne, von Haus aus kein Pessimist, rechnete in diesem Fall nicht damit, dass sich seine Situation verbessern würde, wenn die Fragen erst mal geklärt wären. Nein, wahrscheinlich wäre die Kacke dann erst richtig am Dampfen. Wenn man die Angelegenheit unbedingt positiv betrachten wollte: Birne hatte unbegrenzt Urlaub. Doch Urlaub sah er als eine Art Krankheit an.
Mit dem Job hatte sich auch seine Frau verabschiedet, das heißt, noch war Katharina nicht seine Frau, sondern nur seine Verlobte oder auch Ex-Verlobte. Darauf geschissen. Sie hatten es trotz mehrerer Anläufe nicht geschafft zu heiraten. Dann sollte es halt nicht sein. Sie hatte ihn keineswegs rausgeschmissen, er war ihr zuvorgekommen und freiwillig gegangen. Dafür konnte er das Auto haben, das er tatsächlich dringend benötigte. Keine Schrottmühle, da übertrieb sie, es war nicht mehr das neueste, zugegeben, aber der kommende TÜV dürfte kein Problem werden und danach noch Jahre und Hunderttausende Kilometer, längst in den Händen eines neuen Besitzers. Hier auf dem Land konnte Birne nicht ohne, in der Stadt braucht kein Mensch ein Auto. Katharina bekäme demnächst ein paar Euro überwiesen. Birne brauchte für das, was er hier vorhatte, nicht viel Geld.
Er trinke ihr auch zu viel. Von wegen. Das Trinken ginge jetzt erst los, meine Liebe. Der Film mit Nicolas Cage in Las Vegas. Ganz genau so, nur ohne Prostituierte. Wirklich nicht. Er würde nur noch oben rum leben und unten nur wertlose Flüssigkeiten ausscheiden, die nicht schwanger machen konnten. Er würde umgekehrt nie wieder etwas trinken, was weder besoffen noch wach machte.
Was Birne noch fehlte zum Loswohnen war Bier, mindestens eine Kiste. Hier im Ort gab es keinen offenen Laden, zum nächsten Supermarkt oder zur nächsten Tankstelle war es ihm zu weit. Dafür gab es in Ödertshofen in der Mitte neben der Kirche ein Wirtshaus. Zu Dadas Lebenszeiten war er nie drin gewesen, der Großtante ging es dort zu verrucht zu. Man hatte mangels Alternativen ihren Leichenschmaus dort abgehalten. Schnitzel mit Pommes, viel Bier, einwandfrei. Von außen wirkte es rustikal, man hatte darauf verzichtet, ein feines Ausflugs- und Speiselokal draus zu machen. Sehr gut, eine Dorfpinte.
Als Birne eintrat, roch er Zigarettenrauch. Es scherte sich hier keiner um das bayerische Rauchverbot, wie sympathisch – hier konnte man Mensch sein.
Im Gastraum waren zwei Tische belegt. Einer mit vier laut diskutierenden Männern, am anderen schlief einer, und ein weiterer blickte trübe in seine Halbe.
»Grüß Gott«, sagte Birne und brachte eine mittelalte, den Umständen entsprechend elegante Frau hinter dem Tresen dazu, ihre halb gerauchte Zigarette in den Aschenbecher zu legen und zurückzugrüßen. Sie hatte sich sauber zurecht gemacht, als ob sie in Kürze von ihrem Stecher abgeholt und zu einer Tanzveranstaltung entführt würde, mitsamt Höhepunkt auf dem Rücksitz. Was er wolle, müsse er bloß sagen, hier kriege er alles.
»Verkaufen Sie auch Bier außer Haus?«, fragte Birne.
Sie schaute ihn an, als hätte er vor ihr die Hose heruntergezogen und sie aufgefordert, Tango zu tanzen.
»Bier?«
»Ja. Ich habe Durst – eine Kiste dürfte genügen.«
»Durst?«
»Ja. Auf Bier.«
»Dann soll er sich hinsetzen, dann kriegt er, was er braucht.«
Birne setzte sich an den Tisch mit den zwei stillen Männern. Die Frau verschwand durch eine Tür hinter dem Tresen. Vom Nebentisch brüllte ein dicker Mann im Blaumann mit einem hochroten Kopf: »So.«
Birne nickte zurück. »Hallo.«
Die Runde brach in Gelächter aus: männlich, wild, betrunken.
Ein schmächtiger, etwas älterer Herr in einer Musikantentracht winkte ihn her. »Komm, hock dich zu uns. Wir beißen nicht. Ja, ich mein schon dich.« Er fuhr geschäftig mit seinen dünnen Fingern in der Luft herum, ein Übergestikulierer. Der fand bestimmt nie eine innere Ruhe, der musste immer irgendwas unternehmen, urteilte Birne, das Gegenteil von ihm.
An seinem Tisch schnarchte der eine kurz auf, der andere hob kurz seinen Kopf und nickte Birne zu, so als wollte er ausdrücken, das sei schon okay, er trinke auch allein weiter, vielleicht wär’s sogar besser, jetzt allein zu trinken.
Birne wechselte also den Tisch. Hier saß noch ein Jüngerer in einem Metallica-T-Shirt, am ganzen Körper tätowiert, und bohrte ununterbrochen in der Nase, schaute sich seine Popel an und steckte sie sich in den Mund. Ab und zu spülte er mit Bier nach. Er blickte müde, sein Gesicht gerötet vom Alkohol und der vielen Arbeit, die ihm allmählich zusetzte. Ein leichter Bauchansatz war wahrnehmbar. Der vierte rauchte mehr als dass er sprach. Er hörte zu und nickte ab und zu missfällig. Sein zarter Körper steckte in einem Karo-Hemd. Seine ölige Haut verunzierten im Gesicht alte Pickelnarben. Er war um die 30 und für sein Alter ziemlich ungelenk, ein schüchterner Knabe.
Birne wurde gefragt, wer er sei und was er wolle.
»Nur Birne, ich bin in dem alten Spegel-Hof eingezogen.«
Der Ältere, der ihn herbeigewunken hatte, fragte: »Was willst du denn da drin? Willst du es herrichten? Brauchst du ein paar gute Handwerker?«
Die Frau kam wieder und stellte Birne eine Kiste Bier hin. »Elf Euro.«
»Danke.«
Birne hatte nichts vor mit dem Hof. Er wollte sich verkriechen und am besten mit niemandem etwas zu tun haben.
»Ach, Babsi, bring ihm eine Halbe.«
Birne wurde bedient. Jetzt saß er mitten unter diesen Leuten, dabei, einer von ihnen zu werden.
»Guter Plan, hierher zu kommen. Ist ein guter Ort für junge Familien. Da kannst du locker vier, fünf Kinderzimmer ausbauen in dem Haus. Hier hast du alles, was du brauchst«, sagte der Ältere »Viele Familien ziehen hierher, ist wichtig, damit der Ort nicht ausstirbt.«
Der Metallica-Fan grunzte.
Der Dicke im Blaumann kam grinsend vom Klo zurück. Er stand in der Tür und winkte ihnen. »Kommt mit.«
Die Herren von Birnes Tisch inklusive Birne folgten ihm aufs Männerklo. Quer über die wunderschön meerblau gekachelte Pissrinne hatte einer drüber gespeit.
»Und? Wer war’s ?«, fragte der Blaumann. Die Experten beugten sich über die Hinterlassenschaft.
»Schnitzel. Eindeutig Schnitzel.«
»Schnitzel hatten wir alle.«
»Das sind keine Pommes. Nie im Leben sind das Pommes.«
»Spätzle, eindeutig Spätzle.«
»Dazu Salat. Hier Gelbe Rüben, da Blattsalat, Gurken, alles da. Praktisch ohne Kauen.«
»Eindeutig ein Beilagensalat.«
»Und Soße. Spätzle mit Soße.«
Und jetzt alle: »Der Paul. Die alte Sau.«
Birne war beeindruckt.
Man kehrte zurück und gratulierte Paul, der sich nur zurückhaltend freuen konnte: Es handelte sich um den Schläfer vom Nebentisch.
Endlich stellte sich die Runde Birne vor. Ignaz, im Anzug unterwegs, war der zweite Bürgermeister, Freie Wähler, worauf er so stolz war, als hätte er persönlich ein erfolgreiches Attentat auf Adolf Hitler verübt. »Bei uns haben die Schwarzen nicht für einen Pfennig was zu sagen. Es gibt sie, aber du kannst sie vergessen. Hier und jetzt auf der Stelle.«
»Freut mich«, freute sich Birne.
»Ich heiß zwar Ignaz, aber alle sagen Gigi zu mir.«
Der Mann im Blaumann war Anton oder Toto, wie seine Freunde zu ihm sagten. Ihm gehörte eine Autowerkstatt. Er kam direkt vom Schaffen auf ein, zwei, sieben Halbe kurz vorbei, die Hände würde er sich waschen, sobald er daheim wäre.
Der nasebohrende Metallica-Fan war Didi. Mehr sagte er erst mal nicht.
Im Karo-Hemd steckte ein gewisser Kroko. Er bot Birne eine Stuyvesant aus seiner Packung an. »Magst?«
Ja, und wie. Die behandelten ihn so nett hier, Birne wurde mittlerweile seine dritte Halbe bestellt, obwohl er leise protestierte – er hatte noch ein Auto heimzufahren.
»Gutes Anwesen«, sagte Ignaz beziehungsweise Gigi.
»Gut.«
»Du bist kein Handwerker«, bemerkte Ignaz-Gigi. Keiner von den anderen hörte ihm zu, weil sie lautstark über die Tische hinweg mit dem wieder erwachten Paul über den FC Augsburg diskutierten.
»Die haben scheiße gespielt«, meinte Paul lallend.
»Die haben nicht scheiße gespielt«, widersprach Anton, der Toto.
»Die haben schon scheiße gespielt.«
»Die haben einen Scheißdreck scheiße gespielt.«
»Wieso schießen sie dann keine Tore, wenn sie nicht scheiße spielen?«
»Dir schieß ich gleich ein paar Tore in dein Maul, wenn du nicht gleich eine Ruhe gibst.«
»Du schießt auch scheiße, aber nicht aus deinem Maul.«
Et cetera, et cetera.
Und im Schatten dieser Diskussion fuhr Ignaz fort: »Was willst du denn mit dem alten Glump? Das Beste wäre es doch, das Ganze zusammenzuschieben und was Neues hinzubauen. Oder?«
»Weiß nicht,« sagte Birne.
»Du hast kein Pulver, das seh ich. Woher kommst du? Aus der Stadt? Das seh ich auch. Was will so einer wie du hier? Als Fremder hat man es nicht leicht, die meisten haben nach spätestens zwei Monaten irgendeinen Streit, sodass sie am liebsten gleich wieder weggehen. Glaub’s mir. Lass gut sein.«
»Wenn die fünf Mark kriegen würden für jedes Tor, das sie nicht schießen, dann könnten sie auf dem Geld heimsurfen.«
»Und wenn du so groß wie blöd wärst, dann könntest du auf den Mann im Mond scheißen.«
»Ich kaufe es dir ab. Sag einen Preis, ich zahle alles.« Ignaz schob Birnes Bierdeckel, auf dem in Form einer Strichliste Birnes Bierkonsum verzeichnet war, unter seinen.
»Was machst du dann damit, Gigi?«, fragte Birne.
»Ich reiß es ab und bau was Neues hin.«
»Das hat Konsequenzen«, schrie Paul, den gerade beinahe ein Schnapsglas getroffen hätte, das aus Antons Richtung geflogen kam.
»Deswegen hast du immer noch eindeutig keine Ahnung.«
»Kein Respekt mehr, das büßt du, das schwör ich dir.« Paul schmiss den Aschenbecher auf Toto und verfehlte ihn nur knapp.
»Peace, Männer, Peace.« Gigi Ignaz schlichtete. Asche verteilte sich in der Luft. Toto Anton musste husten. »Es langt, Männer.« Gigi versuchte Toto zurückzuhalten. Zu langsam: Toto sprang auf und schüttete ein volles Weizenglas in Pauls Richtung. Der saß zu weit weg, den größten Teil bekam Birne über den Kopf. Er begann sofort, nach Bier zu stinken.
Gigi Ignaz empörte sich: »Braucht es das?«
Der andere Mann, der bisher stumm an Pauls Tisch gesessen hatte, schlug plötzlich wie von einer Spinne gebissen auf den Tisch ein und fluchte. »Blutsakra, Herrgottsakra, Sakrasakrament. Sakra, Sakra, Sakra Herrgott, Sakra, Sakrament.«
Es wäre bald Blut geflossen, hätte sich nicht Babsi dazwischengeworfen. Birne fiel ihr draller Hintern auf. Sie streckte ihn ihm entgegen, als sie die anderen zurechtstutzte. »Ruhe, ihr Sekkl, sonst müsst ihr heim und da weitersaufen.«
Birne hätte gerne an den Po gegriffen, aber seine gute Erziehung hielt ihn zurück. Er war nicht zum Rumvögeln hierher gekommen, er wollte sich zusammensaufen. Und je weniger aufrichtig an seinem Grab weinen würden, desto besser. Rücksicht auf die Hinterbliebenen nehmen, die das dürre Tal noch eine Weile zu durchschreiten hatten. Deswegen auch kein Zug, sondern die Leber.
Die Drohung mit dem Rausschmiss wirkte. Sofort kehrte Ruhe ein und Schnaps wurde bestellt für alle zu Versöhnung. »Sind wir wieder gut.«
Birne zog sich auf die Toilette zurück, um sich ein wenig frisch zu machen für das Finale dieses Abends. Neben ihm stand auf einmal Didi. Er versuchte, mit seinem Strahl ein Salatblatt aus Pauls Kotze, das an einer Kachel klebte, runterzuwaschen.
»Und? Taugt es dir?«, wollte er von Birne wissen.
»Prima.«
»Deppenhaufen. Wie alt bist du?«
»36.«
»Hätt dich ein bisschen älter geschätzt. Nix für ungut, ich bin 30.«
»Birne.«
»Ich weiß. Am besten, du lässt dich in nichts hineinziehen. Ein paar sind gefährlich, da wär’s besser, wenn du aufpasst. Die meisten sind okay, die werden bloß aggressiv, wenn sie gesoffen haben. Bei manchen musst du aber auch nüchtern vorsichtig sein.«
Das Salatblatt schwamm in der Pissbrühe dem Ausfluss entgegen. Didi versuchte sich nun an einem festgepappten Spätzle, das sich als bemerkenswert zäh erwies. Für ein Pissgespräch fielen außergewöhnlich viele Worte. Didi ließ sich nicht bremsen: »Hast du eine Alte?«
Birnes wunder Punkt. »Ach, leck mich doch am Arsch mit Alte.«
»Aber schwul bist du nicht?«
»Manchmal denk ich mir, es wäre gescheiter.«
Didi lachte auf. »Das hast du recht. Ich bin so fertig.« Er bot Birne eine Zigarette an, dann gingen sie ins Freie, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Frische Luft. »Den ganzen Tag Arbeit und morgen wieder, die pressen uns aus. Ich seh meine Alte kaum noch. Eigentlich schade, aber was soll’s? Die Hütte muss irgendjemand abbezahlen. Oder?«
»Habt ihr gebaut?«
»Ja klar. Was denkst du denn? Dass ich was miete?«
»Nö. Scheiße.«
»Kinder will sie jetzt wahrscheinlich auch noch. Da hat sie noch nicht genug davon.«
»Wieso?«
»Kindergarten, Jugendgruppe. Weiß der Teufel. Weiber, dass ihnen halt nicht langweilig ist. Was ist jetzt mit deiner?«
»Die ist beim Teufel. Da, wo der Pfeffer wächst.«
»Gute Entscheidung. Gratuliere.«
»Ach, ohne ist auch nichts.«
»Kann schon sein. Ich liebe die Freiheit halt so sehr. Aber ohne ist auch nichts. Man muss aufpassen, dass sie nicht die Überhand kriegen. Ein guter Kumpel von mir, der Dodo, Mann, ist der fertig. Seine Alte lässt ihn nicht mehr raus. Früher wäre er mit am Tisch gesessen, heute Abend sitzt er daheim vor der Glotze und schaut Bauer sucht Frau. Erbärmlich. Ich sollte auch daheim sein, das höre ich mir heute Nacht an, aber da ist es mir scheißegal. Ich liebe sie.«
»Metallica«, sagte Birne fachmännisch – Didis T-Shirt.
»Bis Master of Puppets. Danach nur noch Pop, zuletzt diese Scheiße mit Lou Reed. Hey, wenn mir da James Hetfield auf der Straße hier begegnet wäre, der hätte meine Faust in der Fresse gehabt.«
»Nach 86 waren Megadeth eh besser.«
»Nur kurz, Rust in Peace, danach war zum Thema Speed Metal alles gesagt. Leider.«
»Vergiss nicht Never Neverland.«
»Annihilator, klar. Der Mann kennt sich aus. So einen habe ich gesucht.«
»Kommt jetzt der Heiratsantrag?«
»Beinahe. Hast du am Freitag was vor?«
Ob Birne am Freitag schon was vorhabe? Witz geschissen, oder? Birne hatte nie mehr was vor.
»Irgendwas mit Bier«, antwortete er.
»Trifft sich gut. Bier wird’s geben in rauen Mengen.«
»Bei was?«
»Wild Virgin Remember Night.«
»Wild Virgin?«
»Sag bloß, du hast noch nie vom Wild Virgin gehört. Sag mal, hast du die letzten 25 Jahre auf dem Mond verbracht? Das war die beste Disco weit und breit, die sind bis aus Ulm und Augsburg hierher gefahren. Metal ohne Ende, das Ziel für alle Headbanger und jetzt rat, wer damals der DJ war.«
»Du?«
»Der Kandidat erhält 100 Punkte, bei 101 hätte es einen Moulinette gegeben.«
»Da bin ich ja haarscharf vorbei. Und wieso gibt es den Laden nicht mehr?«
»Ärger mit den Bullen, Scheiß-Bullen, Arschloch-Bullen. Haben dem Gigi den Laden dicht gemacht.«
Birne hatte noch nicht über seine Profession gesprochen und nahm sich vor, der Frage ausweichend zu antworten, sollte sie in irgendeinem Zusammenhang noch fallen. »Der Ignaz war Disco-Besitzer?«
»Der Gigi hat schon fast alles gemacht. Jetzt gibt es auf jeden Fall einmal im Jahr die Remember Night und rat mal, was die beste Party weit und breit ist?«
Kroko torkelte vor die Tür. »Männer, ihr werdet vermisst. Oh – störe ich beim Knutschen?«
»Keine Sorge. Du, ich verstehe mich gerade gut mit unserem Birne, der legt mit mir auf am Freitag.«
»Und ich?«
»Weißt du, deinen Party Power Pack, den kannst du daheim lassen. Birne versteht was von der Musik und du bist ein Poser, das muss ich dir so sagen und du verstehst es, weil ich dich mindestens so liebe wie meine Frau.«
»Die legt auch nicht auf.«
»Die leckt mich«, sagte Didi. »Und sonst keinen.«
Kroko wurde sauer. Er warf einen Aschenbecher, den er unter der Jacke versteckt hatte, auf den Boden. Es klirrte.
Proud MaryI want to break free
»Fahr zu, Bub, fahr zu. Das Gesetz drückt die Augen zu.« Paul zwinkerte ungelenk.
Gigi legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dem kannst du mittlerweile vertrauen, den haben wir zahm gemacht.«
Beim Rausgehen stand Babsi am Tresen und winkte ihm mit einer Zigarette. »Komm bald wieder. Ich habe immer für dich auf.« Sie sah so geil aus, Birne musste sich so abartig beherrschen.
Birne hatte schon eine Menge Dinge mit Alkohol angestellt, auch Unfug. Aber betrunken zu fahren, hatte er vermieden, so weit es ging. Der Lappen war ihm zu viel wert, den sollten ihm die Kollegen nicht zwicken. Den Führerschein zu verlieren, wäre der Sache, die er gerade am Laufen hatte, nicht förderlich.
Es befand sich niemand auf der Straße, was gut war, denn die- oder derjenige hätte den nächsten Morgen wahrscheinlich nicht erlebt. Birne hatte nur verschwommene Erinnerungen an die Heimfahrt. Er wusste, dass er einen Außenspiegel eines zufällig am Weg parkenden Autos abgestreift oder abgefahren hatte. Und bei sich daheim in der Hofeinfahrt kam er noch ein bisschen an den Zaunpfosten, wodurch er mit dem rechten Hinterrad in einen kleinen Graben rutschte, der an seinem Anwesen vorbeiführte. Halb so schlimm, können wir uns morgen drum kümmern, dachte Birne, schnappte sich seine Kiste und schleppte sie ins Haus.
Weil er sich überhaupt noch gar nicht müde fühlte, öffnete er sich eine Flasche Bier und schaltete den Fernseher an. Auf Arte lief ein Film von Rainer Werner Fassbinder, da haute gerade ein Mann einem anderen voll in die Fresse. Birne lachte laut auf und schlief sofort ein. Das Bier lief ihm in den Schritt, sodass es aussah, als habe er eingenässt. Guter Start. Wovon man in der ersten Nacht in einer neuen Wohnung träumt, das wird wahr. Geräusche weckten ihn. Ein Scharren und Kratzen von oben. Birne schaltete den Fernseher aus, roch an seinem Geschlecht und freute sich, dass es nur Bier war. Er suchte nach seiner Taschenlampe. Er fühlte sich schon wieder erstaunlich nüchtern. Draußen dämmerte der neue Tag herauf. Birne hatte keine Angst.
Auf dem Dachboden war niemand. In der Ecke, hinter einem Stoffknäuel, bewegte sich was. Birne leuchtete dorthin. Tiere. Birne trat näher und hob ein Stück Stoff zur Seite. Kleine Tiere, unlängst geborene Tiere. Süß sozusagen. Keine Katzen, keine Ratten und keine Mäuse. Birne ging näher ran: Marder. Marder in seinem Haus. Vier kleine Stück. Birne zuckte zusammen. Süß, ja süß. Wo hatten sie die Mutter? Keine Mutter, nirgends.