Franz Grillparzer
Das Kloster bei Sendomir
(Erzählung)
Copyright © 2014 Der Drehbuchverlag, Wien
2. Auflage, 11. Februar 2016
Vermerk: auch als Hörbuch erhältlich!
Alle Rechte vorbehalten
eBook: Das Kloster bei Sendomir (Erzählung)
ISBN: 978-3-99042-970-9
Das Kloster bei Sendomir
Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Abhänge eines der reizendsten Täler der Woiwodschaft Sendomir. Wie zum Abschiedskuss ruhten sie auf den Mauern des an der Ostseite fensterreich und wohnlich prangenden Klosters, als eben zwei Reiter, von wenigen Dienern begleitet, den Saum der gegenüberliegenden Hügelkette erreichten, und, von der Vesperglocke gemahnt, nach kurzem, betrachtendem Verweilen, ihre Pferde in schärferen Trott setzten, taleinwärts, dem Kloster zu.
Die Kleidung der späten Gäste bezeichnete die Fremden. Breitgedrückte, befiederte Hüte, das Elenkoller vom dunklen Brustharnisch gedrückt, die straff anliegenden Unterkleider und hohen Stiefeln erlaubten nicht, sie für eingeborene Polen zu halten. Und so war es auch. Als Boten des deutschen Kaisers zogen sie, selbst Deutsche, an den Hof des kriegerischen Johann Sobiesky, und, vom Abend überrascht, suchten sie Nachtlager in dem vor ihnen liegenden Kloster.
Das bereits abendlich verschlossene Tor wurde den Einlassheischenden geöffnet, und der Pförtner hieß sie eintreten in die geräumige Gaststube, wo Erfrischung und Nachtruhe ihrer warte; obgleich, wie er entschuldigend hinzusetzte, der Abt und die Mönche, die bereits zur Vesper im Chor versammelt wären, sich für heute die Begrüßung so werter Gäste versagen müssten. Die Angabe des etwas misstrauisch blickenden Mannes wurde durch den eintönigen Zusammenklang halb sprechend, halb singend erhobener Stimmen bekräftigt, die, aus dämpfender Ferne durch die hallenden Gewölbe sich hin windend, den Chorgesang einer geistlichen Gemeinde deutlich genug bezeichneten.
Die beiden Fremden traten in das angewiesene Gemach, welches, obgleich, wie das ganze Kloster, offenbar erst seit kurzem erbaut, doch altertümliche Spitzformen mit absichtlicher Genauigkeit nachahmte. Weniges, doch anständiges Gerät war rings an den Wänden verteilt. Die hohen Bogenfenster gingen ins Freie, wo der im Osten aufsteigende Mond, mit der letzten Abendhelle kämpfend, nur sparsame Schimmer auf die Erhöhungen des hügeligen Bodens warf, während sich in den Falten der Täler und unter den Bäumen des Forstes allmählich die Nacht mit ihrem dunkeln Gefolge lagerte und in stiller Ruhe ihren Schleier über Belebtes und Unbelebtes ausbreitete.
Die eigenen Diener der Ritter trugen Wein und Abendkost auf. Ein derb gefügter Tisch, in die Brüstung des geöffneten Bogenfensters gerückt, empfing die ermüdeten Gäste, die, auf hohe Armstühle gelagert, sich bald am zauberischen Spiel des Mondlichtes ergötzten, bald, zu Wein und Speise zurückkehrend, den Körper für die Reise des nächsten Tages stärkten.
Eine Stunde mochte auf diese Art vergangen sein. Die Nacht war vollends eingebrochen, Glockenklang und Chorgesang waren längst verstummt. Die zur Ruhe gesendeten Diener hatten eine düster brennende Lampe, in der Mitte des Gemaches hängend, angezündet, und noch immer saßen die beiden Ritter am Fenster, im eifrigen Gespräch; vielleicht vom Zweck ihrer Reise, offenbar von Wichtigem. Da pochte es mit kräftigem Finger an die Tür des Gemaches, und ehe man noch, ungern die Rede unterbrechend, mit einem „Herein!“ geantwortet hatte, öffnete sich diese, und eine seltsame Menschengestalt trat ein, mit der Frage, ob sie Feuer bedürften.
Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an mehreren Stellen geflicktes Mönchskleid gehüllt, das sonderbar genug gegen den derben, gedrungenen Körperbau abstach. Obgleich vom Alter schon etwas gebeugt und mehr unter als über der Mittelgröße, war doch ein eigener Ausdruck von Entschlossenheit und Kraft über sein ganzes Wesen verbreitet, so dass, die Kleidung abgerechnet, der Beschauer den Mann eher für alles als für einen friedlichen Sohn der Kirche erkannt hätte. Haar und Bart, vormals augenscheinlich rabenschwarz, nun aber überwiegend mit Grau gemischt und, trotz ihrer Länge, stark gekräuselt, drängten sich in dichter Fülle um Stirn, Mund und Kinn. Das Auge, klösterlich gesenkt, hob sich nur selten; wenn es aber aufging, traf es wie ein Wetterschlag, so grauenhaft funkelten die schwarzen Sterne aus den aschfahlen Wangen, und man fühlte sich erleichtert, wenn die breiten Lider sie wieder bedeckten. So beschaffen und so angetan, trat der Mönch, ein Bündel Holz unter dem Arm, vor die Fremden hin, mit der Frage, ob sie Feuer bedürften.
Die beiden sahen sich an, erstaunt ob der seltsamen Erscheinung. Indessen kniete der Mönch am Kamin nieder und begann Feuer anzumachen, ließ sich auch durch die Bemerkung nicht stören, dass man gar nicht friere und seine Mühe überflüssig sei. Die Nächte würden schon rau, meinte er und fuhr in seiner Arbeit fort. Nachdem er sein Werk vollendet hatte und das Feuer lustig brannte, blieb er ein paar Augenblicke am Kamin stehen, die Hände wärmend, dann, scheinbar ohne sich um die Fremden zu kümmern, schritt er schweigend der Tür zu.
Schon stand er an dieser und hatte die Klinke in der Hand, da sprach einer der Fremden: „Nun, da Ihr einmal hier seid, ehrwürdiger Vater…“
„Bruder!“, fiel der Mönch unwillig ein, und, ohne sich umzusehen, blieb er, die Stirn gegen die Türe geneigt, am Eingang stehen.
„Nun denn also, ehrwürdiger Bruder“, fuhr der Fremde fort, „da Ihr schon einmal hier seid, so gebt uns Aufschluss über einiges, das wir zu wissen den Wunsch hegen.“
„Fragt!“, sprach der Mönch, indem er sich umdrehte.
„So wisst denn“, sagte der Fremde, „dass uns die herrliche Lage und Bauart Eures Klosters mit Bewunderung erfüllt hat, vor allem aber, dass es so neu ist und vor kurzem erst gebaut zu sein scheint.“
Die dunkeln Augen des Mönches hoben sich bei dieser Rede und hafteten mit einer Art grimmigen Ausdrucks auf dem Sprechenden.