INHALT
» Über die Autoren
» Über das Buch
» Buch lesen
» Inhaltsverzeichnis
» Register, Impressum
» Weitere eBooks von Philipp Tingler
» www.keinundaber.ch
ÜBER DIE AUTOREN
Philipp Tingler wurde 1970 in Berlin (West) geboren. Studium der Wirtschaftswissenschaften und Philosophie in St. Gallen, London und Zürich. Hochbegabten-Stipendium, Doktorarbeit über Thomas Mann und den transzendentalen Idealismus Immanuel Kants. Diverse Beiträge für Anthologien sowie für Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen, u. a. für den Westdeutschen Rundfunk, Schweizer Radio DRS, Vogue, Stern, Neon und NZZ am Sonntag. Kolumnen u. a. in GQ und Welt am Sonntag. 2001 Ehrengabe des Kantons Zürich für Literatur, 2008 Kasseler Literaturpreis für komische Literatur.
Weitere Titel von Philipp Tingler bei Kein & Aber: Juwelen des Schicksals (2005), Leute von Welt (2006), Fischtal (2007), Doktor Phil (2010) und Leichter Reisen (2011) sowie die CD Das Abc des guten Benehmens (2008).
Der Autor lebt in Zürich.
www.philipptingler.com
Daniel Müller, geboren 1964 in Baden, studierte an der Kunstgewerbeschule Luzern und an der Schule für Gestaltung Zürich. Seit 1993 lebt und arbeitet er als freier Illustrator in Zürich. Seine Arbeiten sind in diversen Zeitschriften und Büchern zu finden.
www.illumueller.ch
ÜBER DAS BUCH
»Die Unterhaltung ist der Anfang von allem. Jedenfalls in Gesellschaft. Und wenn der Anfang getan ist, geht es darum, die Konversation am Leben zu erhalten – wenigstens für die gesellschaftlich sanktionierte Small-Talk-Länge von fünf Minuten. Lassen Sie sich nicht täuschen: Fünf Minuten können eine Ewigkeit sein. Die ganze Hindenburg ist abgebrannt in fünf Minuten.« Lesen Sie außerdem, wie man soziale Kontakte schonend beendet, wann Lügen erlaubt ist – und wann geboten. Wie man mit reichen Leuten umgeht. Und vieles mehr.
»Die liebevollen, witzigen Illustrationen Daniel Müllers und die ironischen, amüsanten Texte Tinglers rund um Konversation und gesellschaftliche Konventionen bilden die perfekte Symbiose. Ein elegantes, feines und unglaublich zauberhaftes Buch.«
Diva
Under pressure people admit to murder, setting fire to the village church, or robbing a bank, but never to being bores.
Elsa Maxwell
INHALTSVERZEICHNIS
zum Geleit
DER FORMENSCHATZ DES GUTEN TONS
Teil 1
DIE KUNST DER KONVERSATION
I. Wie beginnt man eine Konversation?
II. Zum Umgang mit Snobs
III. Die Kunst des Abwimmelns
IV. Wann ist Lügen erlaubt?
V. Humor und Diskretion
VI. Sprache und Klasse
VII. Zum Umgang mit reichen Leuten
Teil 2
DIE KUNST DER KONVENTION
I. Social Timing
II. Verbindlichkeit und Abstand
III. Zum Umgang mit Peinlichkeiten
IV. Wie hält man Gesellschaft ohne Alkohol aus?
V. Social Stalking
VI. Gym-Etikette
VII. Der gute Geschmack
Anhang
DIE TYPEN DES SOZIALEN
Register
»Es gibt nicht so was auf der Welt wie ein kostenloses Mittagessen!« So lautet die lapidare Übersetzung von »There ain’t no such thing as a free lunch« – einer Maxime, die auch als TANSTAAFL-Prinzip bekannt ist und zu den Grundweisheiten der Ökonomie gehört. Jeder Student der Wirtschaftswissenschaften kriegt sie im ersten Semester zu hören. Meistens mehrfach. Grob gesagt soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass für alles immer irgendjemand bezahlen muss, sogar für die Freebie Bags nach den Shows bei Agent Provocateur (aber da trifft es wenigstens keinen Armen). Im Hinblick auf Umgangsformen gewinnt der Satz von der Unmöglichkeit des kostenlosen Mittagessens allerdings noch eine übertragene Bedeutung, nämlich: Sie müssen nett und unterhaltsam sein, gerade wenn Sie eingeladen werden. Umgänglichkeit ist der Preis, den die Gesellschaft verlangt, und auch diese Weisheit klingt auf Englisch etwas schmissiger: You got to sing for your supper.
Einen Lunch, ob free oder nicht, kann man heutzutage hinsichtlich der Tischmanieren immer noch tadellos mit einer beinahe zwei Jahrzehnte alten Ausgabe von Tiffany’s Table Manners for Teenagers überstehen – aber bei vielen anderen Phänomenen sozialer Interaktion scheint alles aus den Fugen geraten. Und das zeigt sich bereits, wenn nicht schon beim Lunch, so doch spätestens auf der Dinner Party. Denn während wir früher bei Dinner-Party-Tischnachbarn mit so altmodischen Qualitäten wie einem Sinn für Humor zufrieden waren, scheint es uns heute immer wichtiger zu werden, mit mehr oder weniger harten Fakten über gesellschaftliche Bekanntschaften versorgt zu sein: Einkommen, Beruf, Alter, Kontakte – all diese Daten, nach denen es sich nicht zu fragen gehört, weil sie für die gesellschaftliche Qualität einer Person vollkommen irrelevant sind, bestimmen offenbar in unseren Tagen mehr als je zuvor die soziale Relevanz.
Das wirkt sich natürlich auf die Konversationsthemen aus: Scheidungen und plastische Chirurgie sind heutzutage in jeder Gesellschaft ebenso Safe Conversation Topics (SCTs) wie früher das Wetter und Feriendestinationen (hingegen ist es nach wie vor unmanierlich, über Geld und Preise zu sprechen. Sowie länger als 30 Sekunden über Haustiere). Der Leser wird im vorliegenden Büchlein manche Hilfestellung und Handreichung zur Übung der Konversation finden: Wie man sie am besten anfängt, zum Beispiel, oder wie man am besten mit reichen Leuten redet, vor allem mit dem Segment der sogenannten New Social Rich, dessen Vertreter heutzutage überall auftauchen, nicht mehr bloß im Boujis oder im Le Cirque oder auf dem Rollfeld von Farnborough.
Wir werden hier, einem Wort von Francis Bacon folgend, davon ausgehen, dass die Umgangsform die Kleidung des Gemüts ist und also, wie die richtige Garderobe, nie zu modisch sein sollte. Selbstverständlich werden wir auf die gesellschaftlichen Neuerungen und technischen Errungenschaften der Gegenwart Bezug nehmen – aber ebenso darauf, dass diese höchst wenig bedeuten für klassische Tabus oder intuitiv gutes Benehmen, das sich immer daran ausrichten sollte, seinen Mitgeschöpfen so wenig Unannehmlichkeiten wie möglich zuzumuten. Die Gegenwart ist übrigens auch gar nicht so furchtbar innovativ, wie gerne behauptet wird. Wie die Kaste der New Social Rich zeigt, ist die Klassengesellschaft lebendiger denn je, und anstatt dies, wie das im deutschsprachigen Raum gerne getan wird, zu leugnen, widmen wir uns lieber mit angelsächsischem Pragmatismus den Formvorschriften, die sich daraus ergeben. In der Tradition der fabelhaften Nancy Mitford unternehmen wir einen kurzen Exkurs in die identifizierbaren Charakteristiken der deutschen bzw. deutschsprachigen Ober- und Unterschicht und weisen den Leser bei dieser Gelegenheit etwa auf diejenigen Vokabeln hin, die Sie lieber vermeiden sollten, wenn Sie nicht bildungsfernen Milieus zugerechnet werden wollen. Eine der schlimmsten dieser Vokabeln ist »Promi«.
Klassengesellschaft hin oder her: Dieses Buch richtet sich an jeden, auch an Menschen, die kein Bankkonto bei Coutts und kein Kundenkonto bei Neiman Marcus haben und keinen Blackberry. Ich habe selbst keinen. (Dafür bin ich mal in Dallas bei Neiman Marcus im Aufzug stecken geblieben, aber das ist eine andere Geschichte.) Andererseits müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass wir in einer ökonomisierten Gesellschaft leben, in der auch soziale Kontakte vor allem als Investition und Kapital verstanden werden. Gerade die Leutchen, die dies vehement abstreiten, sind oft die berechnendsten Kriecher. In einigen Milieus gilt es im gesellschaftlichen Umgang als Ressourcenverschwendung, sich mit jemandem zu befassen, der nicht mindestens eine NetJets Card und ein kleines Anwesen auf St. Barths hat. Und die Eruierung solcher Daten ist heute so leicht wie nie. Wer kurz den Kontostand einer Bekanntschaft kontrollieren will, muss nicht mehr hastig in fremden Handtaschen stöbern oder nach veralteten Paparazzi-Techniken anderer Leute Müll durchwühlen (zumal viele Leute aus Vorsicht sowieso zum systematischen Shredden übergegangen sind). Man braucht auch keinen Privatdetektiv mehr anzuheuern oder mühsam mit Agentensets vom Schwarzmarkt Telefone anzuzapfen oder über Wasserdampf Briefumschläge aufzumachen. In Bezug auf Bonitätsanfragen zum Beispiel kann man sich einfach via World Wide Web an professionelle Auskunfteien wenden wie etwa den internationalen Finanzinformationsdienstleister Dun & Bradstreet. Falls es noch schneller gehen muss, weil man vielleicht gerade einen Heiratsantrag bekommen hat, schickt man flink eine SMS-Anfrage an einen Recherchedienst wie »Any Question Answered« – und kriegt, sofern der prospektive Lebenspartner einen einigermaßen bekannten Namen hat, schon wenige Minuten später dessen Kurzlebenslauf plus Vermögenshintergrund als Textnachricht aufs Mobiltelefon geschickt.
Was ich damit sagen will, ist: Man kann sich heutzutage billiger und mit weniger Aufwand indiskret und daneben benehmen als jemals zuvor in der Zivilisationsgeschichte. Und immer mehr Leute tun dies auch. Nicht zuletzt deshalb, also als Bremse gegen die allgemeine Rüpelei und zur Verteidigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, sind Lügen nach wie vor erlaubt. Unser Kompendium der guten Form nimmt zur Frage der Unwahrheit eine weniger prüde Position ein als andere Benimmratgeber. Statistisch gesehen lügt ein Bewohner der westlichen Welt durchschnittlich rund 200 Mal am Tag – und dies scheint nicht mehr auszureichen. Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass die Wahrheit per se eventuell eine moralische, aber gewiss keine gesellschaftliche Kategorie darstellt. Wahrheit ist überhaupt meistens eine relative Größe, mindestens die Hälfte aller zivilisatorischen Errungenschaften dienen im Grunde nur der Täuschung und damit der Lüge, von Push-up Bras bis zu Selbstbräunern, und die gesellschaftliche Etikette ist in ihrem Kern eine einzige Täuschung mit dem Zweck, den Beteiligten Zeit, Konflikte und Peinlichkeit zu ersparen. Wenn Sie diese Arbeit übernehmen, sollte Ihnen Ihr Gegenüber dankbar sein! Deshalb: Keine Scheu vor Lügen, auch nicht vor groben! Solange sie nicht plump sind. Oder, in den Worten von Veronica Chase, Königin der Romantik: »What’s convenient is not always what’s best. If it were, I’d just throw on a muumuu and eat out of a can.« Oder waren das die Worte von Kitty Foreman? Never mind. Entscheidend ist: Unter welchen Umständen Sie ohne jedes Schuldgefühl die Unwahrheit sagen dürfen, erfahren Sie in den folgenden Kapiteln.
Unser Leitsatz bei allem, was wir in Gesellschaft sagen oder nicht sagen, sollte immer das Dominick-Dunne-Paradox (DDP) sein, welches lautet: »Jedes Geheimnis wird stets mindestens einer Person weitererzählt.« Daraus leitet sich direkt The Golden Rule of Gossip (GRG) ab: It’s fine to pass it on, but never reveal who told you. Allerdings ist zu beachten, dass diese Goldene Regel noch überstimmt wird von der Kirnbauer-Doktrin: »Falls Ihnen jemand was unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, denken Sie daran, dass dieser Jemand besagtes Siegel selbst damit durchbrochen hat.«
Natürlich ist Neugierde ein uralter menschlicher Antrieb. Sie sollte einfach gewisse Grenzen nicht überschreiten, denn die dabei für alle Beteiligten zu Tage tretenden Peinlichkeiten können grenzenlos sein. Und die Vermeidung von Peinlichkeit ist, wie gesagt, immer noch das oberste Ziel für jeden Manierenkatalog. Wie man seinen Drang, Schubladen aufzuziehen, im Zaume halten kann, wird dem Leser in diesem Buch daher ebenso nahegelegt wie das empfehlenswerte Reaktionsmuster für den Fall, dass Sie im Badezimmerschränkchen von Martha und George tonnenweise Modasomil finden. Darüber hinaus empfehlen wir Ihnen, was Sie von sich selbst nicht preisgeben, sondern lieber in Ihre kleine Seele einsperren sollten, so wie das alle anständigen Leute machen. Zum Beispiel den Umstand, dass Sie eine Zeitlang nicht einschlafen konnten, ohne Ihr Bett mit »Lagerfeld« einzusprühen. Es sei denn, Sie sind Lagerfeld.
Außerdem zeigen wir Ihnen, was man in herkömmlichen Benimmbüchern praktisch nie lernt, obschon es von exorbitanter Wichtigkeit ist, nämlich: wie man soziale Kontakte schonend beendet. Damit meinen wir nicht ein herzliches »Auf Wiedersehen!« nach einer inspirierenden Unterhaltung, sondern: das wirksame Abwimmeln von Snobs und Langweilern. Es muss mit der Klimaveränderung zusammenhängen oder mit dem Zeug, das die da in Cape Canaveral veranstalten: Sowohl die Zahl der Snobs als auch der Langweiler nimmt ständig zu (ganz zu schweigen von der allerschlimmsten Gruppe, jener der snobistischen Langweiler – oder, wie das Unikum Sebastian Horsley über seine frühere Gefährtin, das Model Christina Estrada, zu sagen pflegte: »Her conversation was the nearest thing to eternal life we’ll ever see on this planet.«). Und während Snobs sich mit Promenadenmischungen vergleichen lassen, in dem Sinne, dass sie wie Hunde sind, die man auf den Rücken werfen muss, um ihnen klar zu machen, wer das Alphatier ist, so gleichen Langweiler einem grässlichen Fabelwesen: Wenn man so was den Kopf abschlägt, bewegt sich der Körper von ganz allein weiter. Und zwar länger als bei einem Huhn. (Natürlich meinen wir das alles nur im übertragenen Sinne. Wir unterstützen hier keine Form der Gewalt. Obschon es eigentlich vieles gibt, für das ich bereit wäre, zu morden: Juwelen, aus Rache, für einen All-Access-Badge bei der Rugby-Weltmeisterschaft, aus Rache, wenn sich jemand bei Starbucks vordrängelt … wo war ich?)
Wo war ich? Genau: Von Christopher Hitchens stammt die zeitlose Einsicht, das Schlimme an schlechten Eigenschaften sei, dass sie sich gegenseitig verstärkten – und diese Erkenntnis ist nach wie vor richtig. Obschon es also als Folge des technischen Fortschritts neue Formen des schlechten Benehmens gibt, werden sich doch manche Dinge niemals ändern, sofern zwei oder mehr Menschen irgendwo zusammenkommen und eine Gesellschaft bilden. Eine dieser Grundkonstanten des sozialen Daseins ist die Symbol- und Repräsentationswirkung, die mit Besitz verbunden ist. Welche Botschaft Sie mit welchen Dingen aussenden, was cool ist und was affig, verrät Ihnen das Kapitel »Der gute Geschmack« im zweiten Teil dieses Handbuchs. Dort finden Sie auch Hinweise zu einem weiteren Phänomen mit Symbol- und Repräsentationswirkung: Ihrem Körper (und seiner Bekleidung). Während in unseren herrlich beschleunigten Zeiten einerseits die Anzahl und die Ausprägungen von Körperwahrnehmungsstörungen exponentiell zunehmen, ergeben sich andererseits aus einer (vordergründig) ebenfalls exponentiell zunehmenden Lebensstil-Mobilität Fragen wie: »Wirke ich lächerlich, wenn ich als 40-jähriger weißer Mann, der aus Nürnberg oder Goslar kommt, die Gestik des Gangsta-Rap imitiere und mir Accessoires zulege, die man glaubwürdig nur tragen kann, wenn man in einem Einwandererviertel nordamerikanischer Großstädte aufgewachsen ist?« (Die Antwort lautet: ja.)
Und während wir hier weder der Auffassung zuneigen, dass Schönheit den Charakter ruiniert, noch der zeitlosen Weisheit von Derek Zoolander widersprechen möchten, es könne im Leben nicht nur darum gehen, sehr, sehr, sehr, sehr gut auszusehen – so möchten wir doch anfügen: Man sollte es wenigstens versuchen. Deswegen laufen immer mehr Leute ins Gym, um dort Gewichte zu stemmen oder wenigstens ihren Beckenboden und die Lotusblüte in ihrem Anahata Chakra beim Hollywood-Yoga. Das Gym ist ein spezifisches Milieu, das seine eigene Etikette hat, über die Sie alles Wesentliche im entsprechend titulierten Kapitel dieses Buches nachlesen können. Ob Sie nun im Discountkettenfitnesscenter um die Ecke oder am Jubilee Place bei Stephen Price trainieren (lassen) – Sie werden zwischen Hanteln und Treppenstufensimulatoren, wie in jedem anderen Mikrokosmos, immer einen bestimmten Reigen von Typen antreffen. Und weil auch die gesellschaftliche Typenbildung sich in den letzten zwei Dekaden so dynamisiert hat, dass inzwischen selbst und gerade an Orten wie dem GreenGo in Gstaad oder an Tisch 7 im Le Caprice (oder, wie in London alle sagen: The Caprice) immer häufiger Gestalten vorkommen, die ein bisschen aussehen wie vom Planeten Koozebane, haben wir dies Büchlein, obschon wir hier in erster Linie anekdotisch arbeiten, um ein Brevier ergänzt, das enzyklopädischen Charakter hat: die Typen des Sozialen. Damit Sie die Leute leichter einordnen können und sich Ihre Irritation in Grenzen hält, wenn Ihnen der nächste Familienvater über den Weg läuft, der sich anzieht wie ein Teenager, oder der nächste Teenager, der unter 40 Kilo wiegt und eine riesengroße Handtasche in der Armbeuge trägt. Während andere Arten, zum Beispiel das Trophy Wife, mittlerweile ausgestorben sind. Wie damals die Saurier.
Sie merken schon: Besonders im abschließenden enzyklopädischen Teil (aber auch im Rest dieses Büchleins) werden wir häufig angelsächsische Begriffe und Akronyme benutzen. Nicht nur, weil unsere Perspektive eine globale ist (das sind wir den modernen Zeiten schuldig) und weil das Vereinigte Königreich das Mutterland der guten Form bleibt, sondern weil eben der englisch sprechende Teil der Welt dem Rest des Planeten in der Erkennung und Benennung gesellschaftlicher Phänomene immer einen Schritt voraus geht. Aus dieser Sphäre stammt auch ein Fachausdruck, dem wir uns bereits im zweiten Teil des Buches widmen, nämlich der des Social Timing, womit die Gesamtheit der Regeln über die korrekten Ankunfts- (und Abgangs-)Zeiten für alle möglichen Anlässe bezeichnet wird. Die Schule des Social Timing illustriert zugleich einen anderen Umstand im Hinblick auf Benimmregeln: Manche Fragen ändern sich nie – aber die Antworten. Damit der Leser die Antworten noch schneller findet, ist dieses Handbuch mit einem umfassenden Register ausgestattet – und trotzdem passt es auch in Taschen, die kleiner sind als die der Olsen Twins.
Und wenn doch mal ein Fauxpas passiert ist? Dann halten Sie sich am besten an die Regel, die Buckingham Palace bei Protokollverstößen vorschreibt: ignorieren – ignorieren – ignorieren. Der eigentliche Fehltritt des amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der Königin Elizabeth II. bei deren Besuch in den Vereinigten Staaten im Jahre 2007 durch einen Versprecher attestierte, dass sie bereits die Gründung der USA im Jahre 1776 mitgefeiert habe, bestand ja darin, dass er über diesen Ausrutscher nicht einfach hinwegging, wie es die Etikette verlangt hätte, sondern den Fauxpas noch verstärkte durch den Hinweis (nach einem Blick auf die Queen): »She gave me a look that only a mother could give a child.« Worauf die Queen offenbar murmelte: »Oh dear!« – und Oh dear! ist so ziemlich das Schlimmste, was die Queen jemals sagt. Dann hat ihr auch noch Mickey Rooney die Hand geküsst. Die Arme hat ganz schön was durchmachen müssen, so viel steht fest.
Wie auf so vielen Feldern, sollte auch in Fragen der Umgangsform niemals der Anschein der Bemühtheit erweckt werden; statt Trying Too Hard sollte Lächelnd Über Leichen Ihre Attitüde werden, das heißt: wenn mal was schief gegangen ist (und wem passiert das nicht), nichts anmerken lassen und lächeln – lächeln – lächeln, wie eine Nonne mit Gehirnerschütterung. Oder, wie ich zu meinem Ehemann zu sagen pflege: »Wir leben einfach weiter – und essen!« Apropos Ehemann: Wenn Sie Glück haben, verfügen Sie über ein aufmerksames Umfeld, das bei Ausrutschern korrigierend eingreift. Ich selbst – wenn ich zum Ende dieses kurzen Geleitworts ausnahmsweise noch einmal auf mich selbst zurückkommen darf – habe Richie, meinen Ehemann, der – erwähnte ich das schon? – aus England kommt, dem Mutterland der guten Form, und mich gerne mit einem dicken Kind vergleicht, was in einer Schokoladenfabrik mit offenem Mund am Ende des Förderbands sitzt (so much for free lunches), und mich außerdem mit schöner Regelmäßigkeit rasch und relativ schmerzfrei vors Schienbein tritt, wenn er einen Fehltritt meinerseits befürchtet, und mich auch sonst in seiner dezenten Art auf kleine Ausrutscher hinweist. Zum Beispiel neulich, als ich mich wieder einmal von meinem verhältnismäßig starken Wettbewerbsinstinkt hinreißen ließ und mir auf der Neumünsterpost in Zürich ein Wettrennen mit einer Seniorin darum lieferte, wer zuerst den Automaten erreicht, der die Wartenummern ausgibt. »Stimmt was nicht?«, erkundigte ich mich keuchend bei meinem Ehemann, indem ich das Nummernzettelchen triumphierend in die Höhe reckte (mit dem anderen Arm hielt ich die heftigen Widerstand leistende Seniorin im Polizeigriff), »du wirkst ein wenig geistesabwesend, Dickie.«
»Ich brauche nur eben zwei Minuten«, erwiderte der beste Ehemann von allen, »um schnell deine schlechten Eigenschaften gegen deine guten abzuwägen und zu sehen, ob sich der Aufwand mit dir weiterhin lohnt.«
»Da wirst du zu keinem objektiven Ergebnis kommen, Kleines«, gab ich zu bedenken. »Deine extreme Zuneigung für mich macht dich blind.«
Damit will ich sagen: Hören Sie auf Menschen, die Ihnen nahe stehen. Ansonsten: Hören Sie auf dieses Buch. Und hämmern Sie sich ein: Es gibt keinen Free Lunch! Das gilt natürlich nur bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung. Auf der individuellen Ebene, welche, ob man dies nun beklagenswert findet oder nicht, den Menschen oft am meisten interessiert, sieht die Sache anders aus. Wenn ich ausnahmsweise meineigenes Leben als Referenz heranziehe, so ist, seitdem ich vor fast zwei Jahrzehnten die No-Free-Lunch-Maxime zum ersten Malim Auditorium Maximum der Hochschule St. Gallen hörte, die Anzahl von kostenfreien Mittagessen in meinem Dasein geradezu explodiert, so dass ich neulich über einem (kostenfreien) Crab Salad im Restaurant »Blvd« des Four Seasons Beverly Wilshire zu meinem Ehemann sagte: »Hmm, hoffentlich sind wir nicht auf der dunklen Seite der Macht gelandet … Richie, wenn du mich dabei ertappst, wie ich allmählich meine Gefühle auf eine fette Perserkatze projiziere und immer häufiger irre lachend einen Globus anstarre, sag Bescheid!«
Und damit schließe ich das Vorwort. Aber nicht, ohne mich für die fabelhaften und treffenden Illustrationen bei Daniel Müller zu bedanken, die aus diesem kleinen Vademecum viel mehr machen als einen Wegweiser durch die gesellschaftliche Wildnis der Gegenwart, nämlich: ein Juwel, ein Überlebenshandbuch und einen unentbehrlichen Begleiter – die perfekte Gabe für Jung und Alt, Freund und Feind, Damen und Herren, Bettler und Könige.