Kapitel 2

Edinburgh, Februar 2013

»… du gegen mein brachliegendes Herz. Von mir bekommst du kein Mitleid, mein Freund. Ich habe dich im seichten Gewässer verloren…«

Zwanzig Minuten lang hatte ich erfolgreich an meinem Referat gearbeitet. Der Laptop stand aufgeklappt vor mir auf dem Tisch, das Bier daneben. Um mich herum saßen meine Freunde und lauschten der Indie-Rockband The Stolen.

Wir waren im Milk. Die Bar befand sich an der Cowgate, einer Straße in jenem Stadtteil von Edinburgh, wo meine amerikanischen Kommilitonen und ich während unseres Auslandsjahrs an der Universität von Edinburgh wohnten.

Glücklicherweise war ich die Art Mädchen, die eine Live-Rockband und ein lärmendes Publikum ausblenden konnte, um die am nächsten Tag fällige Hausarbeit fertigzumachen. Diese hier hatte ich ganz vergessen. Natürlich hätte ich auch in unserem Apartment bleiben können, wo mich allerdings eine höchst unangenehme Aufgabe erwartete, also verbrachte ich dort so wenig Zeit wie möglich.

Sich in der Bar zu konzentrieren war kein Problem, bis mein Lowe, der Leadsänger der Band, meinen Lieblingssong »Lonely Boy« anstimmte. Als ich dieses Lied vor einigen Monaten bei ihrem ersten Auftritt in Schottland hörte, schlug es sofort eine Saite in mir an.

Ich löste den Blick vom Laptop und schaute hoch zu der kleinen Bühne. Lowe, ein cooler Musiker mit Tattoos, Lippenring und zerzaustem dunklem Haar, sah meine Reaktion und lächelte mich über die randlosen Brillengläser hinweg an.

Ich lächelte matt zurück, nahm mein Bier und hörte mir den Song an.

Lowe hatte uns erzählt, dass er nie ehrlicher war als beim Schreiben von Songs. Daraufhin hatte mein Freund Jake gescherzt, ich solle doch mal einen Song für ihn schreiben. Das fand ich gar nicht lustig, denn ich war ihm gegenüber tatsächlich nicht ganz ehrlich. Ich verbarg einen Teil von mir vor ihm. Der heutige Abend musste für uns ein Schritt nach vorn werden– für mich ein Riesenschritt, aber einer, den ich für nötig hielt, wenn unsere Beziehung eine Chance haben sollte.

Ich war zwar nervös, riss mich aber zusammen. Bis Lowe mit diesem verdammten Song anfing.

Als könne er meine Gedanken lesen, stützte Jake das Kinn auf meine Schulter. Dann legte er den Arm um meine Taille und zog mich an seine Brust. »Wo bist du gerade?«, fragte er, und seine Lippen kitzelten mein Ohr.

Ich erschauerte und drehte leicht den Kopf, so dass seine Lippen meine Wange berührten. »Ich bin hier.«

»Warum gefällt dieser Song dir so?«

Ich zuckte zusammen und sah überrascht in sein wunderschönes Gesicht.

Jake lächelte mit einem verstehenden Gesichtsausdruck. »Ich bin ein guter Beobachter.«

»Du bist ein Besserwisser.«

Seine weißen Zähne blitzten. »Nur, wenn es um dich geht. Wenn mich etwas wirklich interessiert, erhält es meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«

»Willst du etwa behaupten, du seist ein Experte, was mich betrifft?«

Er senkte den Blick, und sein Griff lockerte sich. »Ich werde es hoffentlich eines Tages sein.«

Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, blickte ich zur Bühne. In den letzten Tagen, seit wir miteinander schliefen, war diese Beklommenheit direkt unter der Oberfläche nur noch stärker geworden. Es lag nicht daran, dass wir einander nicht wollten. Ganz im Gegenteil. Aber ich versuchte, meine Gefühle nicht zu tief werden zu lassen, und Jake bemühte sich, geduldig zu sein, was nicht gerade seine Stärke war.

Dadurch entstand zwischen uns ein seltsames Gefühl von Zerbrechlichkeit.

Ich entspannte mich in seinem Arm, strich mit der Hand über seine Fingerknöchel.

»Beck, zeig uns deine Muckis!«, rief eine hübsche Brünette über die Musik hinweg. Ich grinste wegen des finsteren Blicks, den Claudia ihr zuwarf.

Beck war Jakes bester Freund. Und mittlerweile war er auch einer von Claudias besten Freunden. Als Leadgitarrist stand er mit Lowe vorn auf der Bühne. Er sah überirdisch gut aus, groß, blond, mit unwiderstehlichen grauen Augen und einem Lächeln, das einen umhaute. Beck hatte alles, was man von einem Rockmusiker erwartete, mit dem Tribal-Tattoo auf dem Arm und einer lässig coolen Art. Er verströmte mehr Sexappeal und Charisma als jeder andere, der mir in meinem Leben begegnet war. Aber ich wusste ganz genau, dass mehr in ihm steckte als nur dieses aufgesetzte Bad-Boy-Gehabe. Das wusste ich, weil er bei Claudia ganz anders war. Er schien sie echt zu lieben, was er aber leider nicht mal sich selbst eingestand. Vermutlich war das auch der Grund, warum er die Brünette am Nebentisch mit Blicken vögelte.

Als Claudia das sah, stürzte sie ihren Drink hinunter und wandte sich ab. Rowena, unsere schottische Freundin, die vermutlich mit dem Bassisten Denver schlief, strich sich das lilafarbene Haar aus dem Gesicht und wechselte einen besorgten Blick mit mir.

Claudias Stimmungen schwankten in Becks Anwesenheit stets beträchtlich.

Wie alle anderen in unserer Clique – außer Beck– vermutete auch ich, dass sie in ihn verliebt war. In der einen Sekunde behauptete sie, kein Problem damit zu haben, dass er die Frauen anbaggerte, und im nächsten Moment schien es, als würde sie sich am liebsten in einer Ecke verkriechen und heulen.

Ich knuffte aufmunternd ihren Arm, und sie sah mich mit traurigen Augen an. Erwähnte ich bereits, dass sie das hübscheste Mädchen ist, das ich kenne, und obendrein das coolste, humorvollste und netteste? Und habe ich schon erwähnt, dass Beck ein Idiot ist?

»Möchtest du gehen?«

Sie warf einen wütenden Blick zur Bühne– den ich ehrlich gesagt gegenüber dem traurigen Welpenblick bevorzugte. »Ja, wenn du mit deinem Referat fertig bist.«

»Du haust ab?« Jake beugte sich zu mir.

»Entweder das, oder ich haue deinem besten Freund ins Gesicht.«

Jake sah zu Beck und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Er muss es endlich auf die Reihe kriegen.«

»Jep. Aber bis dahin gehe ich mit Claud zurück zum Apartment.«

»Soll ich mitkommen?«

Ich seufzte zitternd. Höchste Zeit, zuzugeben, was ich für heute Abend noch geplant hatte. »Ehrlich gesagt habe ich etwas vor. Ich will Mom und Dad von uns erzählen…«

Jake zog die Brauen hoch. »Habe ich das bei der lauten Musik gerade richtig verstanden?«

Ich umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. Seine Bartstoppeln kribbelten an meiner Haut. Grinsend rieb ich meine Nase an seiner. »Du solltest dich besser in Acht nehmen, was du sagst. Ich bin so schon nervös. Ich könnte kneifen.«

Als Antwort spürte ich seinen Mund auf meinem. Meine Wimpern senkten sich zitternd, und meine Lippen teilten sich für seinen zärtlichen, süßen Kuss. Als er sich von mir löste, bebten sie.

»Ich erzähle ihnen auch von der Polizeiakademie.«

Dafür bekam ich noch einen Kuss, aber statt mich danach loszulassen, zog Jake mich fest an sich. Ich schmolz an seiner starken Brust dahin, spürte seine kräftigen Rückenmuskeln unter meinen Händen. Er roch so gut, und in seinen Armen fühlte ich mich sicher.

Plötzlich lösten sich all meine Ängste in Luft auf. Ich spürte den verräterischen Drang, den Mund zu öffnen und jene drei kleinen Worte zu flüstern.

»Bist du so weit?« Claudias laute Frage hielt mich in letzter Sekunde zurück.

Zögernd befreite ich mich aus Jakes Umarmung. »Wünsch mir Glück.«

»Das hast du nicht nötig.« Er strich mit dem Daumen über meine Wange. »Danke, dass du das für mich tust. Es bedeutet mir sehr viel.«

Vor Rührung musste ich schlucken und kaschierte das schnell mit einem frechen Grinsen. »Ich tue es für uns.« Ich stand auf und schob den Laptop samt Notizen in meinen Rucksack.

Jakes Hand legte sich auf meine Hüfte. Er sah mich an, unfähig, die Unsicherheit in seinen Augen zu verbergen. »Rufst du mich hinterher an?«

»Wenn es nicht zu spät ist.« Ich beugte mich vor und hauchte einen Kuss auf seinen Mund. »Wir sehen uns morgen.«

Ich verabschiedete mich von Rowena, während sich Claudia bereits durch die Menge in Richtung Ausgang kämpfte. Als ich mich umdrehte, um den Jungs zuzuwinken, nickte Lowe kurz. Beck reagierte gar nicht, er war zu sehr damit beschäftigt, mit zusammengezogenen Brauen Claudia nachzusehen.

Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich von ihm zu verabschieden, und ich konnte es ihr nicht verübeln.

Draußen vor der Bar schlang Claudia die Arme um sich, ihr langes dunkles Haar wehte im Wind. Dieser abwesende Gesichtsausdruck gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. Ich ignorierte meine angespannten Nerven wegen des bevorstehenden Telefonats mit meinen Eltern, eilte zu ihr und hakte mich bei ihr ein.

Sie lächelte schwach, und wir machten uns auf den Weg nach Hause.

»Also«, begann ich, »letztes Wochenende schien zwischen dir und Beck alles in Ordnung zu sein. Du bist mit dir ins Reine gekommen, was deine Beziehung zu ihm angeht, und hast dich darauf gefreut, ihn mit nach Barcelona zu nehmen, um deinen Vater kennenzulernen.«

Claudias Eltern waren reiche, genusssüchtige, gleichgültige Schickeriatypen aus Coronado, Kalifornien. Für ihre Tochter hatten sie keine Zeit. In den Weihnachtsferien hatte Claudia erfahren, warum sich ihr Dad so desinteressiert verhielt. Wie sich herausstellte, war er nämlich gar nicht ihr Erzeuger. Ihr richtiger Vater war ein britischer Künstler namens Dustin Tweedie. Als eine Art Wiedergutmachung hatte ihre Mom ihn aufgespürt. Er lebte in Barcelona, und Claudias Mom finanzierte für die Osterferien einen Trip nach Barcelona, nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für Jake, Beck und mich– wir sollten als moralische Unterstützung mitkommen.

Claudia umklammerte meinen Arm. »War ich auch. Aber das war letztes Wochenende.«

»Und was ist seither passiert?«

»Vor zwei Tagen habe ich Dustin eine E-Mail geschickt.« Ich sah, wie ihre Kehle im Kampf gegen die aufsteigenden Tränen zitterte, und das Blut in meinen Adern begann zu kochen. »Bisher hat er nicht reagiert.«

Ich schwieg, da ich keine Ahnung hatte, wie es sich anfühlte, nicht nur ein oder zwei, sondern sogar drei gleichgültige Elternteile zu haben.

Aus einiger Entfernung riefen uns zwei unserer Mitbewohnerinnen, und wir winkten zurück. Sobald sie weg waren, zuckte Claudia mit den Schultern. »Spielt es eine Rolle? Ich muss es einfach akzeptieren. Er will nicht, dass ich zu ihm komme und sein Leben störe.« Ihr Lachen klang hohl. Wie ich das hasste. Sie hatte diese Verbitterung nicht verdient. »Lass uns den Tatsachen ins Gesicht sehen, Charley. Was auch immer man haben muss, um jemand anderem etwas zu bedeuten, mir fehlt diese Sache jedenfalls.«

Fassungslos blieb ich vor unserem Hoftor stehen. »Das ist nicht wahr.«

Sie entzog mir ihren Arm. »Betrachte doch zum Vergleich nur mal dich: Du würdest nie zulassen, dass andere dich so behandeln.«

»Äh, hallo?« Ich wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Hast du etwa nicht mitbekommen, wie ich mich während der vergangenen Monate wegen eines attraktiven jungen Mannes mit Nachnamen Caplin in Selbstmitleid gesuhlt habe?«

Sie schnaubte, wich meinem Blick aber aus.

»Claud, man darf auch mal schlechte Tage haben, okay? Und heute ist dein schlechter Tag. Mehr nicht. Dieser Mist mit deinen Eltern macht aus dir keinen anderen Menschen. Lass das nicht zu.«

»Und Beck?«

Ich mochte Beck, wirklich. Und ich wusste, dass er Claudia mochte. Aber das genügte nicht, und wir hatten dieses Gespräch jetzt schon zu oft geführt. »Vielleicht war deine Idee letzte Woche doch richtig.«

»Ihn zu ignorieren?« Sie zuckte mit den Schultern. »Er war total mies drauf, und ich habe klein beigegeben.«

»Dieses Mal wirst du nicht nachgeben.«

Sie warf mir einen seltsamen Blick zu und ging zum Haus. »Ach wirklich? So einfach ist das also.«

»Also schön, dann nicht. Vielleicht brauchst du nur ein bisschen Ablenkung.«

»Ablenkung?«

»Ja.« Ich dachte daran, was mich auf andere Gedanken gebracht hatte, als Jake noch mit Melissa zusammen war. »Du brauchst Lowe.«

»Ähm, ich mag den Typen ja, aber ich werde nicht mit ihm schlafen.«

»Ich rede nicht von Sex.« Ich sah sie ernst an. »Glaub mir oder nicht, Lowe ist ein unheimlich einfühlsamer, geduldiger Kerl. Ein wirklich guter Freund.«

»Weiß Jake, dass du ein bisschen in seinen Freund verknallt bist?«

»Ich bin nicht in Lowe verknallt. Er war einfach nur für mich da, als ich es dringend brauchte. Triff dich mit ihm. Im Ernst. Ach, und rede bloß nicht solchen Mist, wenn Jake dabei ist.«

Sie grinste verschmitzt, und mein Unbehagen verschwand. Jetzt ähnelte sie schon wieder mehr der alten Claudia. »Neigt Mr Caplin etwa zur Eifersucht?«

»Ja. Fast so sehr wie ich«, brummte ich.

»Und du bist sicher, dass es nicht deine Eifersucht anstachelt, wenn ich mit Lowe abhänge?«

Während ich ihr ins Apartment folgte, dachte ich darüber nach. Es war noch nicht lange her, dass ich ein bisschen für Lowe geschwärmt hatte, aber mehr hätte es nie werden können. Was ich für Jake empfand … das brannte ganz tief in meinem Innern. Niemand hatte je auch nur annähernd das ausgelöst, was er mich fühlen ließ.

Er war mein fehlendes Puzzlestück.

»Nö«, antwortete ich nach reiflichem Überlegen. »Er ist sexy wie die Sünde und ich mag ihn, aber er ist eben nicht Jacob.«

»Ahhh, Jacob«, neckte sie mich.

»Hör auf, ihn so zu nennen.«

»Du hast damit angefangen.«

»Na toll. Er wird mich umbringen.«

Claudia lachte und blieb vor ihrer Zimmertür stehen. »Danke. Jetzt fühle ich mich schon besser.«

»Du bist Teil meiner Familie. Ich leide, wenn du leidest.«

Tränen schimmerten in ihren Augen. »Verdammt!« Sie schüttelte den Kopf und schloss ihr Zimmer auf. »Diese Wimperntusche ist nicht wasserfest.«

Die Tür wurde mir vor der Nase zugeschlagen, und ich brach in schallendes Gelächter aus. »Na dann, gute Nacht!«

Kaum war ich in meinem Zimmer, spürte ich, wie das mulmige Gefühl in meinem Magen zurückkehrte. Ich kämpfte gegen die Angst an und beeilte mich, meinen Laptop anzuschließen und die Internetverbindung herzustellen. Meine Skype-Seite öffnete sich, und ich setzte mich auf das schmale Bett vor meinen Schreibtisch, um zu warten.

Acht Jahre zuvor hatte mir meine gesamte Heimatstadt den Spitznamen »Supergirl« verliehen. Wenn die Einwohner von Lanton, Indiana, heute den Namen Charlotte Redford hörten, war es immer noch das erste Wort, das ihnen einfiel. Allerdings war ich nie so mutig, wie die Leute glaubten. Und ich war ganz sicher nicht mutig, als ich auf die Konfrontation mit meinem Kryptonit wartete– meine Eltern.

Nichts hasste ich mehr, als Jim und Delia Redford zu enttäuschen. Meine Eltern hatten mich stets geliebt und unterstützt. Und meine Schwester Andie und ich glaubten, ihnen schuldig zu sein, dass wir gute, gehorsame Kinder waren. Aber meine Eltern fanden die Idee, dass ich Cop werden wollte, vom ersten Moment an schrecklich. Vielleicht wären sie damit klargekommen, wenn ich vorgehabt hätte, Hilfssheriff in Lanton zu werden. In meiner Heimatstadt passieren nicht viele Verbrechen– aber sie wussten, dass ich auf die Polizeiakademie von Chicago verduften wollte, in der Hoffnung, eines Tages in die glorreichen Reihen des Chicago Police Departments aufgenommen zu werden. Der Verlobte meiner Schwester, Rick, war zufällig Detective in Chicago. Und ich wollte mich spezialisieren, möglichst bei der Mordkommission arbeiten, deshalb konnte ich ihre Bedenken ebenso nachvollziehen wie ihren Wunsch, dass ich stattdessen Jura studieren sollte.

Aber Jake hatte mich dazu gebracht, endlich einzusehen, dass mich die Kompromisse, die ich meinen Eltern zuliebe eingehen wollte, fertigmachten…

Vier Tage zuvor

»Kann man beim Sex vor Erschöpfung sterben?«, keuchte ich und ließ mich ausgestreckt auf Jakes schweißfeuchte Brust sinken. Träge strich er über meine Wirbelsäule. »Ich denke schon.«

»Das war …« Ich stöhnte, weil ich ihn in mir spürte.

»Wahnsinn?«, schlug er mit einem verdächtigen Maß an Selbstgefälligkeit vor. »Habe ich dir schon vorher gesagt.«

Zärtlich biss ich ihm in die Schulter. »Kleiner Angeber.«

»Du traust dich ja doch nicht, Bissspuren zu hinterlassen.« Jake umfasste mit beiden Händen meinen Hintern. »Ich würde sie den Leuten zu gern erklären.«

»Welchen Leuten?«, murmelte ich. »Du steckst gerade in dem einzigen Menschen, der dich ohne Hemd sehen sollte, Mister.«

Er lachte leise, und ich schloss bei diesem kehligen Ton verzückt die Augen. »Die Jungs und ich haben kein Problem damit, ohne Hemd durch die Wohnung zu laufen.«

Trotz meiner Erschöpfung brachte ich die Energie auf, mich mit den Händen auf seiner Brust hochzudrücken und ihn finster anzusehen. »Mit anderen Worten, du würdest Lowe zu gern diese Male erklären.«

An meine finsteren Blicke gewöhnt, strich mir Jake mein langes Haar hinters Ohr und folgte dann einer platinblonden Strähne bis zur Brust hinunter. »Das wäre eine klare Ansage.«

»Eine überflüssige Ansage. Schließlich hat mich der Verräter letzte Nacht in deine Arme getrieben.«

Jake grinste ohne eine Spur von Reue. »Das stimmt.«

Bevor ich antworten konnte, schlang er seine Arme um mich und setzte sich auf. Unsere Lippen berührten sich fast, als wir Brust an Brust saßen. Mir wurde klar, dass ich so schnell nirgendwohin gehen würde. Ich verlagerte das Gewicht von den Knien auf den Po und schlang Jake meine Beine um die Hüften. Bei der Bewegung verdunkelten sich seine Augen.

»Auf keinen Fall«, sagte ich. »Du kannst unmöglich…«

»Nein, noch nicht.« Er drückte mich an sich, flüsterte die Worte auf meinen Mund. »Außerdem müssen wir reden.«

Instinktiv wollte ich flüchten, aber Jake umfasste meinen Nacken und zwang mich, ihn anzusehen. Ich zerrte an seiner Hand.

»Gut, dann fangen wir damit an«, murmelte er mit düsterer Miene. »Warum weichst du ständig vor mir zurück?«

»Ich habe dir gesagt, ich mag es nicht, wenn du mich am Nacken packst. Das ist doch nichts Weltbewegendes.« Und ob es das war. Und Jake wusste das. Er kannte nur nicht den Grund.

Genauso hielt er mich nämlich, wenn er meine ganze Aufmerksamkeit haben wollte. Es war intensiv und mehr als nur irgendwie sexuell. Und ich hatte gedacht, er würde das nur bei mir tun. Dann hatte ich jedoch beobachtet, dass er seine Exfreundin Melissa auf die gleiche Weise hielt, und blöd, wie ich nun mal bin, machte es mir etwas aus. Viel sogar.

»Das glaube ich dir nicht.«

»Nächste Frage.« Ich seufzte und zog seine Hand von meinem Nacken weg.

Jake wirkte darüber nicht glücklich, gab jedoch nach. »Wirst du deinen Eltern von uns erzählen?«

»Nun ja …« Ich grinste frech, wand mich jedoch. »Ich dachte, dass wir vorher erst die Machenschaften eines teuflischen Superhirns aufdecken und du die Welt rettest. Danach müssen sie sich einfach für uns freuen. Sonst wären sie kleinlich.«

Jake massierte mit seinen Fingern meinen Rücken und sagte: »Ich bemühe mich, ernst zu sein, aber das funktioniert nicht, wenn du nackt auf mir sitzt und die Naive spielst.«

»Dann gehe ich mal davon aus, dass mein Job hier beendet ist.« Ich küsste ihn intensiv. Jakes Arme wurden hart wie Stahl. Er zog mich erneut an sich und vertiefte den Kuss mit einem Stöhnen, das köstlich in mir widerhallte…

Ich schlang die Arme um ihn. Jake löste seine Lippen von meinen, packte meine Oberarme und schob mich fort.

Dann sah er mich böse an. »Spiel fair.«

Ich ließ den Kopf hängen. »Warum sollte ich? Du tust es ja auch nicht.«

»Was ist daran unfair, dass ich versuche, mit meiner Freundin zu reden?« Er kniff die Augen zusammen. »Wieso spiele ich in dieser Szene plötzlich die Frauenrolle?«

Lachend fuhr ich ihm mit den Fingern durchs Haar. Ich liebte es, wie er bei meiner Berührung genießerisch die Wimpern senkte. »Das hast du ganz allein geschafft.«

»Ich meine es ernst.« Er drehte den Kopf und küsste mein Handgelenk. »Ich verlange nicht von dir, es deinen Eltern sofort zu sagen. Ich will lediglich wissen, ob du vorhast, irgendwann mit ihnen darüber zu reden. Wir können keine …« Er atmete kraftvoll aus und sah mir in die Augen. »Wir können keine Beziehung aufbauen, bevor du es ihnen gesagt hast.«

»Ich weiß. Und ich werde es ihnen sagen. Es ist nur … so schwierig. Lass mir Zeit.«

»Und wenn du einmal dabei bist, dann erzähle ihnen auch von der Polizeiakademie.« Wieder zog er mich an sich, sein heißer Atem strich über meine Lippen. »Bitte. Es ist dein Leben, Charley. Leb es so, wie du willst. Als wir uns kennenlernten, warst du fest entschlossen, Cop zu werden. Ich weiß nicht, ob ich diese Selbstzweifel verursacht habe. Ob ich schuld bin, dass du plötzlich nicht mehr glaubst, die richtige Entscheidung für dich treffen zu können …« Er neigte den Kopf zurück, sah mich so voller Vertrauen und Liebe an, dass ich hätte dahinschmelzen können. »Hör auf, dir mit Kompromissen Gewalt anzutun. Sie werden es verstehen. Sie lieben dich.«

Als die Sprechblase auf dem Bildschirm meines Laptops erschien, holte ich tief Luft, dachte an Jakes Worte und drückte die Antworttaste.

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