1 Einführung:
Grundsätzliches zur Aktienanlage

 

Ob Börsen-Arbeitsgemeinschaften in der Schule, Börsenseminare an der Volkshochschule oder Universität, Vorträge bei Aktienclubs oder Beantwortung von Leserzuschriften: Oft stellt sich die Frage nach der richtigen Aktienstrategie. Und ich beobachte haarsträubende Strategiefehler. So ist es viel zu riskant, sein gesamtes Vermögen in einen einzigen DAX-Titel zu investieren, sich allein auf Autoaktien zu konzentrieren oder einseitig auf eine Turnaround-Story zu vertrauen. Es ist auch nicht hilfreich, sich nur am DAX zu orientieren oder lediglich bei bestimmten Kursständen zu kaufen oder zu verkaufen. Letztlich führen trotz Aufwärts- oder Abwärtstrends viele Aktien und Indizes ein Eigenleben, das es auszunutzen gilt.

Die einzig richtige, den Erfolg garantierende Aktienstrategie gibt es freilich nicht. Wäre es anders, bestände keine Börse. Sie speist sich aus Kauf und Verkauf, Angebot und Nachfrage. Selbst beste Börsenstrategien sind nicht in jeder Marktlage gleichermaßen erfolgreich. Wer in der Hausse die Rangliste anführt, ist in der Baisse vielleicht nur Mittelmaß. Markt und Börsengeschehen prägen zahlreiche Faktoren. Selbst renommierte Aktienexperten, Fondsmanager und Analysten irren sich in ihren Markteinschätzungen. Gäbe es die unfehlbare Strategie für den Bullen- und Bärenmarkt, wären viele Seminare, Börsenbriefe, Magazine und Fachbücher überflüssig. Eine Menge Arbeitsplätze ginge verloren.

Wir kennen berühmte Sieger, deren Erfolgsgeschichten um die Welt gehen und Anleger motivieren, es ihnen gleichzutun. Über das Heer der Verlierer wird selten berichtet. Die Opfer verkriechen sich. Schadenfreude für die Betroffenen ist schmerzhaft. Am Ende des dreijährigen Börsencrashs von 2000 bis 2003 zählte ich wegen meiner Vorliebe zum Neuen Markt zu den Verlierern. Aber längst konnte ich das Minus in ein mehrfaches Plus umwandeln. Oft werden Börsenerfolge durch psychologische Faktoren ausgebremst. Der Anleger spürt, dass er etwas falsch macht, kann sich aber von eingefahrenen Verhaltensmustern nicht lösen. So macht er die entscheidenden Fehler mehrmals – trotz vorhandenen Wissens und entgegen guter Vorsätze. Beherzigen Sie die Grundregeln, unterlaufen Ihnen nicht die großen Fehler wie mangelnde Streuung, verfrühte Gewinnmitnahmen und hinausgeschobene Verlustbegrenzungen bis zum bitteren Ende. Wichtig ist es, aus Fehlern zu lernen und nicht dem Herdentrieb oder Stammtischgeschwätz zu verfallen. Selbstreflexion hilft, mit Vernunft statt Bauchgefühl zu entscheiden.

Sie sollten sich über Ihre Beweggründe klar sein und sich von risikoscheu über chancenorientiert und risikobewusst bis spekulativ richtig einordnen. Seien Sie mutig! Langfristig eröffnen Aktien Chancen auf hohe Renditen. Üppige Dividenden gleichen Zinsen nahe 0% mehr als nur aus. Die Börse ist spannend, sorgt für Abwechslung, eröffnet Kontakte zu Gleichgesinnten. Es kann Spaß machen, mit im Boot zu sein und sich ein neues Wissens- und Anlagefeld zu erschließen. Die Börse hält geistig fit. Im Ruhestand eröffnen sich neue Perspektiven und Aktivitäten.

Vergleichen Sie Ihr Aktiendepot mit einem Fußballbundesligateam, das mit Kampfkraft, Elan, der richtigen Einstellung, Strategie und einer geschlossenen Mannschaftsleistung die drei Punkte einfahren will. Es ist nicht zu erwarten, dass jeder Mitspieler stets eine Topleistung erbringt. Selbst der Tabellenführer muss damit leben, Ausfälle im Team zu haben. Die Leistungsträger stellen die drei Punkte sicher und bügeln die Schwäche einzelner Mitspieler aus. Erfolgreich spielt eine Fußballmannschaft, wenn sie neben erfahrenen Spielern junge Akteure, die Stars von morgen, mit einsetzt. Ohne sichere Abwehr, kreatives Mittelfeld und torhungrige Stürmer geht wenig. Wer nur Defensivkräfte einsetzt, spielt oft null zu null. Wer zu offensiv ausgerichtet ist, schießt viele Tore, fängt dafür aber Gegentreffer ein.

Ähnlich verhält es sich mit Ihrem Aktienportfolio. Neben den in DAX, EURO STOXX und DOW JONES gelisteten Dickschiffen, den Aktien der internationalen Großkonzerne, brauchen Sie wendige, manövrierfähige Schnellboote. Diese sind vergleichbar mit den in margenstarken Nischen erfolgreich operierenden Mittelständlern, gelistet in den Nebenwerte-Indizes wie TecDAX, MDAX und SDAX. Diversifikation bringt Kursmusik in Ihr Depot! Drei Siegpunkte statt ein langweiliges null zu null, mit dem niemand auf Dauer Meister wird!

Fußball und Börse haben noch weitere Gemeinsamkeiten, z. B. bei der Sündenbocksuche. Geht ein Spiel verloren, sind Trainer oder Schiedsrichter die Schuldigen. Verspekuliert sich jemand, schiebt er die Eigenverantwortung beiseite und meldet gegenüber seiner Depotbank Schadensersatzansprüche wegen mangelnder Beratungsqualität an. Sie sollten nicht zu solchen Ausweichmanövern greifen und sich verantwortlich fühlen. Dafür einzustehen, was man tut, bedeutet, überlegt und weitsichtig statt leichtfertig zu entscheiden.

Warum Aktien für Vermögensaufbau und Altersvorsorge?

Mutige Aktionäre wurden 2013 belohnt, aber auf eine harte Probe gestellt, als der DAX Anfang Juli 2014 bei über 10.000 und vier Wochen später unter 9000 Punkten notierte. Dennoch verwundert es, dass es hierzulande zu wenig Anleger gibt, die aus den historisch niedrigen Zinsen nahe 0% die Konsequenz ziehen und vom Sparkonto auf die Aktie umsteigen. Angsthasenmentalität bewirkt übertriebene Vorsicht. Mit dem Sparkonto ist kein Vermögensaufbau mit dem Ziel finanzieller Freiheit möglich. Wer nur auf Sicherheit setzt, verliert. Wer sich ein breit gestreutes Aktiendepot mit attraktiver Dividende aufbaut, zählt zu den Siegern. Schauen Sie sich meine eigenen Depotkurslisten an: kein Hexenwerk!

Obgleich der DAX 2013 um ein gutes Viertel stieg und ab Mai 2014 den Kampf um die psychologisch wichtige 10.000er-Marke erfolgreich aufnahm, ging die Zahl der Aktionäre in Deutschland 2013 um 600.000 zurück. Nur 8,9 Mio. Bundesbürger legen in Aktien oder Aktienfonds an. Dies entspricht 13,8% der Bevölkerung. Direktaktionäre, also ohne Fonds, machen nur 7% aus. Ob Vermögensaufbau oder Altersvorsorge. Leichtfertig werden große Renditechancen vergeben. Deutschland zählt weltweit zu den größten Aktienmuffeln. Binnen zehn Jahren schaffte der DAX bis Ende 2013 ein Jahresplus von 9,2%. Dazu meint Dr. Christine Bortenlänger, Chefin des Deutschen Aktieninstituts (DAI): „Ohne Aktien verzichten Anleger auf langfristig stabile Renditen über der Inflationsrate.“

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1.1 Sich über seine Beweggründe klar sein

Warum interessieren Sie sich für Aktien? Was versprechen Sie sich davon? Nennen Sie Ihre hauptsächlichen Motive! Nach dem Börsencrash von 2000 bis 2003 – dem verlustreichsten Absturz seit Aufzeichnung des Aktienhandels ab 1870 in Deutschland – weichen Euphorie und Gier dem Streben nach Sicherheit und Kapitalerhalt. Im Fahrwasser der sich zum globalen Finanzdesaster ausgeweiteten Subprimekrise und dem dadurch ausgelösten Konjunktureinbruch führten Vertrauensverlust, Angst und Panik zum erneuten Crash im Herbst 2008 und Frühjahr 2009. Wie groß die Unsicherheit war, zeigt das Barometer des Goldpreises. Eine Unze Gold kostete damals 1900 US-Dollar gegenüber aktuell 1250 Dollar.

Gold gilt als sicherer Hafen bei Inflationsgefahr und im Crash. Die Pleiten von Hypothekenbanken und Hedgefonds sowie die Furcht vor Rezession trieben die Aktienkurse zunächst in den Keller. Danach folgte eine in dieser Größenordnung überraschende Hausse. Trotz Weltwirtschafts- und Überschuldungskrise bleibt über einen Zeitraum von Jahrzehnten die Vormachtstellung der Aktien als renditestärkste Anlageform unangetastet. Insbesondere deutsche Anleger verharren im Crash zu lange passiv an der Seitenlinie des Börsenfeldes und begnügen sich mit Gold, Sparbuch und Anleihen.

images Obwohl das Sparkonto trotz niedriger Inflationsrate eine schleichende Kapitalvernichtung wegen des Leitzinssatzes nahe 0% bedeutet, besitzen in Deutschland nur 8,9 Mio. Bundesbürger Aktien oder Aktienfonds. Dies sind nicht einmal 14% der Bevölkerung. Deutschland präsentiert sich als ein Volk der Aktienmuffel und Angsthasen.

images Das gegenwärtige Hauptmotiv, Aktien zu kaufen, ist die Aussicht auf üppige Kursgewinne und eine attraktive Dividende, die den Sparbuchzins mehrfach schlägt. Es geht um die Einhaltung des kaufmännischen Grundprinzips: Im billigen Einkauf und im teuren Verkauf liegt der Gewinn!

Bei Korrektur und Crash trennen sich furchtsame Anleger zum Tiefstpreis von ihren Papieren. Oft geschieht die Depotausräumung über computergesteuerte Verkaufsaufträge, Stop-Loss-Orders genannt. Eine Transaktion zur Verlustbegrenzung löst die nächste aus – der ideale Nährboden für einen Kursverfall mit Kettenreaktion. Seien Sie mutig, steigen Sie ein, wenn die Kurse niedrig, die Aktien günstig bewertet und die fundamentalen Daten überzeugend sind.

Am besten handeln Sie in der Bodenbildung antizyklisch, vertrauen auf Erholung, anziehende Kurse und gute Gewinnchancen. Wer Verluste stets aussitzt, wird oft für seine unschlüssige Haltung bestraft. Treue zum Unternehmen wird an der Börse nicht als moralisch anständiger Charakterzug geschätzt, der Belohnung verdient. Läuft es an der Börse wieder besser, sind – mit den richtigen Aktien und einer durchdachten Portfoliostruktur – jedoch hohe Kursgewinne möglich.

Einen weiteren Anreiz zum Aktienkauf bildet der Rat, breit zu streuen. Beschränken Sie sich nicht auf eine einzige Anlageform, seien es Immobilienerwerb, Staats- und Unternehmensanleihen, Geldmarktprodukte, Anlagezertifikate oder Derivate. Bildet sich in einem Sektor eine Spekulationsblase, ist der Verlust bei deren Platzen insgesamt weniger groß, als wenn Sie eine einzige Karte spielen.

Eine attraktive Dividende ist wichtig. Die AG beteiligt Sie in Deutschland einmal im Jahr, in den USA vierteljährlich mit der Ausschüttung am Gewinn, meist mit einer Quote von 30% bis 50%. Zudem sichert eine hohe Dividendenrendite den Kurs nach unten ab. Im Bullenmarkt liegt der Fokus bei den Kursgewinnen. In schwierigen Börsenzeiten ist die Dividende besonders wichtig, wenn sie weit über den Sparkontozinsen liegt.

Wer die Aktie am Tag der Hauptversammlung (HV) besitzt, erhält die gesamte Dividende am nächsten Werktag ausgezahlt, selbst wenn er das Papier erst am HV-Tag gekauft hat. Der Bankzinssatz bezieht sich dagegen auf ein Jahr (per annum). Trotzdem ist es unvernünftig, Aktien nur wegen einer hohen Ausschüttung zu kaufen. Läuft das operative Geschäft schlecht, sieht sich das Unternehmen vielleicht gezwungen, die Dividende empfindlich zu kürzen, wie 2014 um die Hälfte bei RWE, oder ganz zu streichen, wie 2010 bei DAIMLER oder LUFTHANSA geschehen.

Wer nur auf die Dividende schaut, muss auf die meisten Biotech- und Hightechwerte verzichten. Gerade hier wird die große Zukunftskarte gespielt. Anfangs geht es um Wachstum, Forschung, Entwicklung, Investitionen, Finanzierung klinischer Phasen im Gesundheitswesen bzw. neue Produkte und Markteroberung.

In extrem unruhigen Börsenzeiten wie Juli/August 2014 war zu beobachten, dass vor allem Biotechaktien auf Allzeithochniveau notierten, während es bei etlichen Titeln wie ADIDAS und VW (DAX), DRÄGERWERK, PFEIFFER VACUUM und FREENET (TecDAX) sowie BILFINGER, RHEINMETALL, WINCOR NIXDORF (MDAX) und C.A.T.Oil (SDAX) zweistellige Kurseinbrüche gab. In solchen Zeiten kaufe ich bei guten Chancen zu und finanziere dies mit Teilverkäufen von Siegern mit hohem Kursgewinn.

1.2 Das magische Dreieck klug nutzen

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Behalten Sie bei der Geldanlage immer die drei Sachverhalte des magischen Dreiecks im Auge. Sie stehen zueinander in enger Wechselwirkung und erleichtern Ihnen die Selbsteinschätzung: „Wer bin ich wirklich? Was will ich? Was erwarte ich? Was verkrafte ich?“ Es geht einerseits um die Höhe der Rendite, die Rentabilität bzw. Ertragsmarge. Andererseits erscheinen die Sicherheit, der Grad des Anlagerisikos und schließlich die Verfügbarkeit bzw. Liquidität wichtig.

Die Risikobereitschaft wird vom Anlagezeitraum mitbestimmt. Wer kurzfristig ein- und aussteigt, dessen Risikoneigung ist oft höher, als wenn er über einen langen Zeitraum anlegt und selten umschichtet. Möglicherweise plant jemand bei der Altersvorsorge langfristig und bevorzugt sichere Anlageformen. Kurzfristig setzt er vielleicht sein sogenanntes Spielgeld spekulativ ein. Hier akzeptiert er ein höheres Risiko, um die Chancen auf üppige Renditen wahrzunehmen.

Vielleicht zählen Sie selbst zu den Investoren, die für den Vermögensaufbau physisches Gold, Silber und Platin, Blue-Chips-Fonds, Indexfonds (ETFs) und bei Einzelaktien substanz- und dividendenstarke Standardwerte auswählen. Für risikoreichere Investments favorisieren Sie vielleicht in- und ausländische Nebenwerte, Themenfonds und Aktien aus dem Gesundheitswesen mit den besten Biotechaktien, Hightech mit Software (Big Data, Cloud Computing, Digitalisierung), große soziale Netzwerke und hoffen auf ein Comeback bei erneuerbaren Energien.

Das Dreieck heißt „magisch“, weil Sie zwar alle drei Ziele auf niedrigem, nie aber gleichzeitig auf höchstem Niveau erreichen können. Wer auf Sicherheit, also Kapitalerhalt, setzt, muss Einbußen bei der Rendite hinnehmen. Wem es um hohe Gewinne geht, wie sie eine kluge Auswahl in ausländische Titel, in den MDAX, TecDAX, SDAX und den Biotechnologiesektor bieten, muss mehr Risiko akzeptieren. Selbst die tägliche Verfügbarkeit hat ihren Preis. Günstig kaufen und verkaufen heißt also, das magische Dreieck miteinzubeziehen.

Spekulieren Sie auf die niedrigsten Kaufkurse innerhalb einer Talsohle, so verpassen Sie diese vielleicht, weil die Trendumkehr früher einsetzt als von Ihnen erwartet. Wollen Sie zum Höchstpreis verkaufen, klappt dies bei schlechten Nachrichten und einer sich anbahnenden Korrektur nicht. Setzen Sie beim Kauf das Limit zu eng, um billig zu ordern, kommt es möglicherweise zu keinem Abschluss. Dies passiert ebenso, wenn Sie das Limit bei einer Verkaufsorder zu hoch ansetzen. Limitieren Sie gar nicht, haben Sie mit der Liquidität gewöhnlich kein Problem. Verspüren Sie Spekulationsblut in den Adern, können Sie in unruhigen Zeiten hier und da auch sogenannte „Abstauberlimits“ für günstigen Kauf und Verkauf setzen. Dabei sollten Sie den Zeitraum für die Ausführung auf mehrere Monate ansetzen, nicht zuletzt schon deshalb, um den ungünstigen Teilausführungen zu entgehen. Es ist üblich, dass die Bank Sie dann nur einmal mit den Kosten belastet, wenn die Transaktion mangels Angebot aufgeteilt wird.

Blue-Chip-Orders aus DAX und DOW werden wegen hoher Handelsumsätze meist sekundenschnell ausgeführt. Sie können auf den Bildtafeln 215/216 des Nachrichtensenders n-tv die aktuellen DAX-Kurse live einsehen und auf den Folgeseiten ab 219 die Realtimekurse von TecDAX, MDAX und SDAX. Bei den von Analysten und Aktionären oft vernachlässigten, meist niedrig kapitalisierten Nebenwerten aus dem General oder Entry Standard mit geringem Streubesitz kann es länger als einen Tag dauern, bis eine Order ausgeführt wird. Ist die Rendite für Sie vordergründig und Sie limitieren zu hoch, fließt der Geldsegen durch den geplanten Verkauf erst später oder gar nicht.

1.3 Die Frage nach dem Anlegertyp beantworten

Ob Vermögensberatung oder eigenständiges Handeln. Wichtig ist, sich zur Groborientierung als Anlegertyp realistisch einzuordnen, und zwar:

images in den ausgewogenen, sicherheitsbewussten, vorsichtig agierenden, risikoscheuen Typ mit Schwerpunkt auf eine attraktive Dividendenrendite, Interesse an Gold und Ausrichtung auf langfristigen Anlagehorizont

images in den chancenorientierten, flexibel handelnden Typ mit breit gestreutem Portfolio bei entsprechender Vermögensdecke und ETF-Vorliebe, um wichtige Märkte abzudecken

images in den ausgeprägt risikobewussten bis spekulativen Anlegertyp mit Vorliebe für schnelles Rein und Raus sowie Interesse an Derivaten

Während des Börsenbooms Ende der 1990er-Jahre bis zum Platzen der Spekulationsblase im Frühjahr 2003 war das Interesse deutscher Anleger an Aktien so groß wie sonst nie. Die meisten Börsianer waren risikobereit und kauften selbst dann noch Aktien, als sie extrem teuer waren. Eine Dividende erschien eher nebensächlich. Die Aktionäre investierten in den risikobehafteten Neuen Markt und zeichneten in grenzenlosem Optimismus alles, was an die Börse kam, darunter Garagenklitschen mit Wachstumsvisionen, aber quasi ohne Umsatz und mit tiefroten Zahlen. Gier bestimmte den Markt und Aktienkäufe florierten auch auf Pump. Seit dem Platzen der Spekulationsblase, als der DAX zwischen 2000 und 2003 von über 8100 auf unter 2200 Punkte und der NEMAX 50 von mehr als 9600 auf unter 300 Punkte fiel (Absturz um 97%), wandelte sich das Anlegerverhalten grundlegend. Viele Aktionäre verabschiedeten sich von der Börse oder stehen unschlüssig an der Börsenfeld-Seitenlinie. Sicherheit ist Trumpf. Physisches Gold und Silber, Sparbuch, Geldmarkt, Staats- und Firmenanleihen sowie Garantieprodukte sind weiterhin gefragt. Die Risikoneigung ist ein Spiegelbild der Marktlage und wird vom Massenphänomen Herdentrieb und der Börsenpsychologie mitbestimmt.

Es wäre vernünftiger, im Bereich der Höchststände den Aktienbestand herunterund im Crashszenario, während der Bodenbildung, hochzufahren (Kaufen bei Angst, Verkaufen bei Hoffnung). Doch wer tut das? Wer weiß schon, ob es nicht noch weiter hoch oder runter geht? Dies merkt man es erst hinterher. „Hätte ich“ hilft nicht weiter. 2003/2004 gab es glänzende Gelegenheiten, die hohen Verluste nach dem Platzen der Spekulationsblase wettzumachen. Auch der mutige Zugriff auf Qualitätstitel während der Finanzkrise im Herbst 2008 und Frühjahr 2009 wurde mit hohen Kursgewinnen belohnt. Doch viele Anleger denken, wie das Deutsche Aktieninstitut (DAI) recherchiert hat, heute eher an schnelle Gewinnmitnahmen als an ein langfristiges Aktienengagement.

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Selbst im Herbst 2008, als sich zu niedrigen Kursen ein steuerfreier Aktienaltbestand aufbauen ließ, wurde der Markt neben Derivaten mit Garantie-, Discount- und Bonuszertifikaten überschwemmt, mit denen der Kapitalerhalt außer bei Emittenteninsolvenz (siehe LEHMAN BROTHERS) ungefährdet erschien. Bald dürfte die Zwei-Millionen-Grenze erreicht sein. Bei dieser Vielfalt kennt sich niemand mehr aus. Die Zuordnung in Anlegertypen ist nicht zementiert, sondern hängt von Marktlage und Börsenklima ab. Sie wird beeinflusst durch Fondsmanager, Vermögensverwalter und Bankberater – gestützt auf das oft klägliche Börsenwissen im Privatkundengeschäft: Produktbezogenheit vor Kundenorientierung.

Deutschland – ein Angsthasenvolk? Das größte Risiko in den Zeiten der Null-Zins-Politik ist, jedes Risiko vermeiden zu wollen

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Im Idealfall reagiert der einzelne Anleger sicherheits- wie risikobewusst. Für die Altersvorsorge und andere größere Vorhaben werden internationale Blue Chips mit hoher Dividendenrendite bevorzugt, seien es Einzeltitel, ETFs oder Aktienfonds. Mit weniger Einsatz wird eher kurzfristig auch in riskantere Nebenwerte investiert. Dazu zählen chancenreiche, aber risikobehaftete Branchen wie erneuerbare Energien, Biotechnologie, Software, Internet, Netzwerke und Medien. Auch ein Investment in Schwellenländer in Ostasien, Südamerika und Afrika zählen dazu. Der indische Aktienmarkt dürfte dagegen schon heiß gelaufen sein.

Typische Verhaltensmuster bei Kursgewinn und Kursverlust

Dass die so einfach erscheinende Zuordnung in bestimmte Anlegertypen in der Praxis oft nicht richtig funktioniert, zeigen typische Verhaltensreaktionen im Bullen- und Bärenmarkt. Viele Privatanleger setzen widersprüchliche Strategien ein. Bei Gewinnen reagieren sie übervorsichtig und verkaufen meist viel zu früh, getreu dem Motto: An Gewinnmitnahmen ist noch niemand verarmt! Umgekehrt sitzen sie Kursstürze oft bis nahe dem Totalverlust aus. Da spricht man sich Mut zu mit der tröstlichen, aber trügerischen Prognose: Meine Aktien erholen sich schon wieder!

Professor Terrance Odean von der Universität Berkeley ermittelte bei einer Umfrage unter 163.000 US-Brokerkunden, dass Gewinne fast zweimal so oft wie Verluste realisiert würden. Börsenexperte und Buchautor Joachim Goldberg fand heraus, dass Investoren auf Verluste mit viel höherer Risikobereitschaft reagieren und berichtet: „Konnten Anleger zwischen einem sicheren Gewinn von 5000 € und einer 25-prozentigen Chance auf 25.000 € (75% gewinnen nichts) wählen, entschied sich der Großteil für 5000 €. Mussten sie entscheiden zwischen einem sicheren Verlust von 5000 € und einer Wahrscheinlichkeit von 25%, dass sie alles verlieren (nämlich 25.000 €), und zu 75%, dass sie verlustfrei blieben, dann geht die Mehrheit die zweite Wette ein.“

Daniel Kahneman und Amos Tversky untersuchten, dass Verluste die Emotionen zweieinhalbmal stärker berühren als die Freude über Gewinne. Die Unfähigkeit, Verluste abzuschreiben, statt sie zu verdrängen, führt dazu, den Einstandskurs als dauerhaften Orientierungspreis zu bewerten. Dreht die Aktie ins Minus, wird zugekauft, um den Einstiegskurs zu verbilligen. Bei hochwertigen Aktien kann dies funktionieren, nicht aber, wenn der Kahlschlag fundamental untermauert wird.

Dass von psychologisch geprägten Verhaltensmustern auch institutionelle Investoren nicht frei sind, zeigen die 1995 aufsehenerregenden Machenschaften des jungen Händlers Nicholas Leeson. Der Barings-Banker wollte anfangs mit seiner Spekulation Fehler von Kollegen ausbügeln, scheiterte aber und erhöhte das Risiko. Verzweifelt trieb er dieses Spiel so lange weiter, bis er 1995 mit 1,4 Mrd. USD in der Kreide stand und das 200 Jahre alte Traditionshaus zahlungsunfähig wurde.

Behavioral Finance. Sie schlägt bezüglich Kapitalmarkteinschätzung eine Brücke zwischen Ökonomie und Psychologie. Es geht um den Einfluss irrationaler Verhaltensmuster auf Kauf- und Verkaufsentscheidungen des Anlegers. Eine begrenzte Sichtweise, Angst vor Gesichtsverlust, Selbstwertprobleme, Verdrängung und Herdentrieb führen zu dem Fehler, Gewinne verfrüht zu realisieren und auf Verlustaktien zu lange sitzen zu bleiben.

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Auch Alter und Geschlecht beeinflussen die Risikoneigung

Frauen erreichen eine um durchschnittlich 3% bessere Rendite, weil sie weniger zocken als Männer, Durststrecken länger aushalten und sich eher am nachhaltigen Erfolg orientieren. Die Formel 100 minus Lebensalter = Aktienanteil entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Junge Leute wollen, aber können oft nicht.

1.3.1 Der sicherheitsbewusste Investor

Jeder Anleger, der sich nach aufrichtiger Selbstanalyse als sicherheitsbewusst und risikoscheu einstuft, sollte bestimmte Anlageformen favorisieren und andere meiden. Eine Strategie, die der eigenen Persönlichkeit zuwiderläuft, lässt sich schon beim ersten Fehlschlag kaum durchhalten. Sollten Sie bei Kursverlusten Magenschmerzen bekommen, nachts nicht schlafen können, Ihre gute Laune und Lebensfreude verlieren, dann ist es besser, sich konsequent von riskanten Anlageformen zu trennen, auch wenn darunter die Rendite leidet.

Sofern dann noch Aktien infrage kommen, war es vor 2009 klug, Indexfonds (ETFs) bzw. substanzstarke internationale Standard- und deutsche Nebenwerte auszuwählen, um beim Aktienaltbestand steuerfreie Kursgewinne zu nutzen. Seit 2009 bieten sich weiterhin ETFs und erstklassige Einzeltitel, aber auch Discount- und Bonuszertifikate an, um das Risiko hoher Verluste in schlechten Börsenzeiten möglichst gering zu halten. Die Börse Stuttgart bietet allein rund eine halbe Million unterschiedlicher Anlagezertifikate an.

Diszipliniert in dividendenstarke Aktien und ETFs anlegen

Interessant ist wegen der niedrigen Kosten ein ETF-Engagement in den 2005 von der Deutschen Börse AG aufgelegten DivDAX. Er besteht aus den 15 DAX-Werten mit der höchsten Dividende und wird alljährlich den veränderten Ausschüttungen angepasst. Zu überlegen ist ebenso ein Div-EURO-STOXX-ETF oder ein guter Dividenden-Aktienfonds.

Beispiel: Allerdings – und dies wird gern verschwiegen – enttäuscht beim DivDAX oft die Kursentwicklung, weil ein steiler Kursanstieg der Siegeraktien selbst bei steigender Dividende die prozentuale Rendite schmälert. Hat sich der Aktienkurs in fünf Jahren von 10 auf 50 € verfünffacht, die Ausschüttung dagegen von 0,50 auf 1 € nur verdoppelt, beträgt die Dividendenrendite nicht mehr satte 5%, sondern magere 2% (Formel: Dividende multipliziert mit 100 dividiert durch den Kurs). Folglich sind Kurstreiber kaum im DivDAX vertreten. Hand aufs Herz: Wurden Sie jemals bei einer Beratung über diesen Sachverhalt informiert?

Oberstes Gebot für Risikoscheue: breit gestreut – nie bereut!

Vorrangiges Ziel bleibt der Kapitalerhalt, auch wenn wegen historisch niedriger Leitzinssätze, einer Inflationsrate von derzeit knapp 1% und der Abgeltungsteuer von 25% dieses Vorhaben bei Zinspapieren kaum erfüllbar erscheint.

Zwischen Flop und Top: Was Indizes und Zahlen verraten

Vertrauen Sie nicht blindlings Freunden, Bekannten und Verwandten bezüglich Kapitalanlage. Entscheiden Sie überlegt nach gründlicher Information. Orientieren Sie sich an den vorstehenden Übersichten. Wer 2013 auf den DAX setzte, schaffte mit dem Depot „Heimatliebe“ trotz unzureichender Streuung immerhin im Schnitt 25% Gewinn. Mit Beimischung in den TecDAX und MDAX waren es deutlich über 35%. Vertraute er dem NIKKEI in Japan, konnte er sich zum richtigen Einstiegszeitpunkt über 50% Kursgewinn freuen. Wer als Lohn für gute Marktkenntnis und mit einem glücklichen Händchen beste Biotechaktien einfing, konnte binnen 12 Monaten sogar seinen Einsatz verdoppeln.

Wer fast alles falsch machte und Pech hatte, erlitt mit Aktien oder Anleihen bei Insolvenz der Firma möglicherweise einen Totalverlust. Schlimm sieht es bei einer EinWert- oder Wenig-Werte-Strategie aus. Hier fehlen Spitzentitel zum Verlustausgleich.

Veränderte Einschätzungen durch demografischen Wandel und Fortschritte in Biotechnologie, Medizintechnik und Pharma

Die Lebenserwartung steigt weiter. Eine Obergrenze ist nicht in Sicht. Pro Jahr dürfen Sie im Schnitt mit einem längeren Leben von 3 Monaten rechnen. In einem Jahrzehnt sind dies 2,5 Jahre, in 40 Jahren eine ganze Dekade. Ein Mädchen, das jetzt geboren wird, dürfte seinen 100. Geburtstag feiern. Momentan liegt das Durchschnittsalter in Deutschland bei rund 80 Jahren. Das Ziel heißt, gesund und fit zu altern – mit Lebensqualität, finanzieller Freiheit und Unabhängigkeit. Dies stellt Gesundheitswesen, Rentenkassen, Volkswirtschaft, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, Angebots- und Nachfragemarkt vor immer neue Herausforderungen. Schwierig wird es, wenn Sie für Ihren Ruhestand nicht ausreichend vorsorgen. Sie müssen mit Rentenabschlägen rechnen. Mit den richtigen Einzeltiteln, Aktien-Themenfonds und ETFs können Sie sich langfristig einen Vermögensstock aufbauen, der Ihnen die Teilhabe an den erfreulichen Seiten des Ruhestands ermöglicht.

Übertriebenes Sicherheitsstreben: oft ein teures Ruhekissen

Erträge erzielen, ohne ein Risiko einzugehen! Davon träumen viele Anleger. Seit dem Ende des Aktienhypes zur Jahrtausendwende sollten Sie genau überprüfen, welche Fallstricke sich hinter vollmundigen Versprechungen verbergen. Selbst die Garantie für den Kapitalerhalt gibt es bei Anlagezertifikaten nicht gratis. Der Anleger bezahlt mit verringerten Ertragschancen und oft auch versteckten Gebühren. Dieses psychologisch erklärbare starke Bedürfnis nach Kapitalerhalt als Reaktion auf erlittene Verluste ist die Triebfeder für den Absatzerfolg von Nischenprodukten wie Garantiefonds und Garantiezertifikaten. Sie versprechen bei Rückzahlung des eingesetzten Kapitals mäßige Renditen. Abgeltungsteuer und Inflationsrate werden gern verschwiegen. Das Begriffswirrwarr, die Riesenauswahl und die unübersichtliche Struktur der Produkte bereiten Kopfzerbrechen. Das größte Risiko heute ist, kein Risiko eingehen zu wollen.

Der DAX notiert nicht wie im Frühjahr 2000 bei 2200 Punkten, sondern übersprang nach erneutem Crash während der Weltwirtschaftskrise 2008/09 im Juni 2014 erstmals die lang ersehnte Marke von 10.000 Punkten. Wer seit 2010 auf deutliche Korrekturen beim DAX-Stand von knapp 7000 Punkten, MDAX gut 10.000 Punkten, TexDAX 850 Punkten und DOW JONES rund 11.500 Punkten wartete und passiv verharrte, ärgert sich beim Blick auf die aktuellen Kursstände.

Wer sein Depot aus Crashangst komplett ausräumte, um Gewinne mitzunehmen, dürfte sein ängstliches Handeln ebenfalls bereuen. So mancher Aktionär fragte sich zum Neujahrsbeginn 2015: „Warum habe ich die Erholung der Aktienmärkte nicht genutzt? Warum ließ ich große Chancen aus und nutze sie auch momentan nicht? Warum nicht engagiert dabeibleiben, um alte Verluste zu bereinigen und den Vermögensaufbau voranzutreiben? Warum war mir beim Aktienboom um die Jahrtausendwende kein Risiko zu hoch, während ich jetzt untätig in der Warteschleife verharre? Warum kaufe ich nicht wenigstens hier und da bei niedrigen Kursen und verkaufe bestenfalls dann, wenn die Bullen das Börsengeschehen dominieren?“

1.3.2 Der chancenorientierte Investor

Wer sich hier seelenverwandt fühlt, macht sich – abhängig von Marktlage und Börsenklima – eine Fülle von Anlageformen zunutze. Er investiert z. B. in Bonuszertifikate und vermehrt in Aktienfonds, die führende in- und ausländische Indizes abbilden oder sich auf bestimmte Sektoren konzentrieren. Er greift zu bei Firmenanleihen und ordert ETFs, um komplette Märkte abzudecken. Er nutzt mutig Trends und setzt bei Einzeltiteln nicht nur auf das „Heimatliebedepot DAX“, sondern favorisiert dividendenstarke in- und ausländische Titel. Dem chancenorientierten Anleger reicht der Kapitalerhalt nicht. Er will ein Vermögen aufbauen, Anlageziele verwirklichen und mögliche Verluste aus früheren Börsencrashs wettmachen.

Hoffentlich hat Sie Ihr gebremstes Risikobewusstsein nicht daran gehindert, zwischen 2003 bis 2007 mutig einzusteigen, als sich der DAX vom Tiefstand bei 2200 Punkten bis auf 8000 Punkte fast vervierfachte. Schade wäre es, wenn Sie es bis Ende 2008 versäumten, sich ein steuerfreies Aktiendepot aufzubauen, und die imposante Kursrallye ab Sommer 2009 bis Jahresende 2013 verpassten. Da machte eine Perlensuche in den Nebenwerteindizes und im Biotechsektor richtig Freude. Deutsche Börsenbarometer erreichten neue Hochstände und haben sich seit Frühjahr 2009 mehr als verdoppelt. „Hätte ich nur“ hilft zwar nicht weiter. Aber auch künftig gibt es gute Chancen an der Aktienbörse. Langfristig entwickeln sich die Kurse bei den Qualitätstiteln nach oben. Selbst ein Crash zeigt im Langzeitchart über einen Zeitraum von Jahrzehnten nur eine tiefe Delle.

Bitte bedenken Sie, dass Ihre Bank oft produktbezogen statt kundenorientiert handelt. Eine maßgeschneiderte Anlageberatung gibt es meist nur bei größerem Vermögen. Höchste Zeit, eigenständig zu handeln. Beobachten Sie das Marktgeschehen. Vertrauen Sie nicht einer einzigen Empfehlung. Ignorieren Sie Stammtischgeschwätz und fallen Sie nicht auf ungebetene Telefonate und Online-Anpreisungen herein. Bilden Sie sich ein eigenes Urteil und fühlen Sie sich verantwortlich. Befassen Sie sich mit denjenigen Anlageformen gründlich, die für Sie interessant sind.

Nutzen Sie den Cost-Average-Effekt

Insbesondere in jüngeren Jahren sind Sparpläne interessant, die den Cost-Average-Effekt nutzen. Sie erhalten mit gleich hohem Einsatz bei fallenden Preisen mehr Wertpapiere und bei Kursanstieg weniger Anteile. Kaufen Sie in mehreren Tranchen Einzelaktien, so lässt sich der Cost-Average-Effekt auch hier nutzen. Chancenorientierte Aktionäre bevorzugen bei langem Anlagezeitraum vor allem konjunkturunabhängige Value-Titel (wie Industrie, Versorger, Konsum, Pharma) gegenüber den konjunkturabhängigen zyklischen Aktien, zu denen Autohersteller, Chemie, Maschinenbauer, IT-Dienstleister, Internet, Medien und Biotechnologie zählen.

1.3.3 Der risikobereite Investor

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Risikobereitschaft erfordert eine gründliche Selbstanalyse

Eine risikoreiche Ausrichtung setzt voraus, mit hohen Kursgewinnen wie mit Kurseinbrüchen vernünftig umzugehen. So wie es gute und schlechte Sieger und Verlierer gibt, ist nicht jeder Anleger in Extremsituationen fähig, sein inneres Gleichgewicht zu bewahren, cool und beherrscht zu handeln. Wer sich leichtsinnig verhält und anmaßt, Börsenerfolge seien einzig allein seiner Klugheit zu verdanken, ist gefährdet, alles zu verspielen. Erinnert sei an den Neuen Markt. Börse erfordert viel Disziplin, Demut und Einsicht, dass auch der Zufall eine Rolle spielt. Wer bei Verlusten Gesundheit, ruhigen nächtlichen Schlaf, Nervenstärke und Lebensfreude einbüßt, sollte nur mit Spielgeld seinen Spekulationshunger stillen. Dies gilt ebenso, wer bei Fehlentscheidungen die Ursachen verdrängt, nach Sündenböcken sucht und Klagen plant. Es gilt, aus Fehlern zu lernen und die Strategie zu überdenken. Spekulatives Handeln bevorzugt das schnelle Rein und Raus.

In Extremform wird Day-Trading betrieben. Die Anlageinstrumente ändern sich, zumal Nervenkitzel hinzukommt. Penny Stocks sind ebenso wenig tabu wie Derivate am Terminmarkt, Optionsscheine, Hebelzertifikate sowie *CFDs (Contract for Difference). Wer Rohstoffderivate ordert, muss die Finanztermingeschäftsfähigkeit nachweisen und bei der Depotbank die höchste Risikostufe wählen.

Der risikofreudige Anleger sollte zweigleisig handeln: Er investiert den Großteil seines Kapitals langfristig in Blue Chips mit hoher Dividendenrendite oder in ETFs, ist aber auch mutig genug, mit kleinem Einsatz mehr zu wagen. Möglicherweise ist die Risikofreude Ausdruck seiner Spielernatur, was er gern für sich behält. Wichtig sind Marktbeobachtung, Kompetenz in der Charttechnik und antizyklisches Handeln. Zeichnet sich eine Trendumkehr ab, wird im Bereich der Höchststände gern verkauft und bei Bodenbildung gekauft. Ohne Disziplin geht nichts.

*CFDs gehören zur Gruppe der Derivate. Die risikoreichen Finanzprodukte erlauben es, Aktien, Indizes und Rohstoffe wie Edelmetalle oder Erdöl auf einfache und preiswerte Art zu handeln. Der Anleger erwirbt keine Wertpapiere, sondern vereinbart mit dem Anbieter, dass die Differenz (geschätzter Gewinn oder Verlust, Long oder Short) bei der Transaktion auf seine Rechnung erfolgt. Hier sind selbst mit geringem Einsatz üppige Gewinne möglich, wegen der Hebelwirkung, aber auch hohe Verluste weit über dem Einstandspreis.

Auch Neuemissionen können interessant sein. Wie gestaltet sich die Kursentwicklung im außerbörslichen Handel? Wie chancen- und risikoreich erscheint das Geschäftsmodell? Wie sehen Umsatz und Ertrag, Bilanz und Prognose aus? Wie beurteilen die Analysten den Börsengang? Gut zu wissen, dass im Bullenmarkt bei einem IPO (Initial Public Offering) höhere Preisspannen durchsetzbar sind als im Bärenmarkt und dass in der Baisse nur erstklassige AGs mit einer gesunden Bilanzstruktur einen erfolgreichen Börsengang hinlegen können. Keineswegs darf der spekulative Anleger auf ein breit gestreutes Depot verzichten, zu dem nicht nur Aktien und Hebelzertifikate, sondern auch andere Anlageformen wie Firmenanleihen und Leerverkäufe zählen können. Hedgefonds bieten sich als Depotbeimischung und zur Risikominimierung an. Hier kann wie bei CFDs, Put-Optionsscheinen und Short-Zertifikaten auch im fallenden Markt Geld verdient werden.

Vermutlich haben es von den spekulativen Anlegern nur wenige geschafft, ihre in dem lang gezogenen Crash von 2000 bis 2003 sowie 2008/2009 erlittenen herben Verluste wettzumachen und in die Gewinnzone zu gelangen. Es gibt schon zu denken, dass von 2000 bis 2010 der MSCI WORLD, der Vergleichsindex für den weltweiten Aktienmarkt, ein Minus von 3,32% erzielte. Nur wenige Aktienfonds schafften es in diesem Zehn-Jahres-Zeitraum, den Vergleichsindex zu schlagen. Ganz anders sah es 2011 und erst recht 2012 und 2013 aus. 2013 jagte in den deutschen Indizes ein Allzeithoch das nächste. In den USA ging die Rallye 2014 weiter.

Interessant ist ein Blick auf die Musterdepots vom Handelsblatt, Stand 30. Dezember 2013. Nicht etwa das spekulative Depot mit den Schwerpunkten Anlage- und Hebelzertifikate, Richtung Long und Short, erzielte die beste Performance, sondern schnitt am schlechtesten ab. Der Zeitaufwand ist hoch und ohne Fachkompetenz geht gar nichts. Es gilt, eine kluge Auswahl aus rund 1,5 Mio. Anlage- und Hebelprodukten zu treffen. Beim ausgewogenen Depot, das mit seinen favorisierten Bonuszertifikaten und einigen Einzelaktien auf den zweiten Platz kam, ist der Zeitaufwand im Allgemeinen geringer. Am wenigsten Zeit, weil auf dividendenstarke Standardaktien und ETFs ausgerichtet, benötigte das siegreiche defensive Depot. Hier wird kein Expertenwissen verlangt und nicht dauernd umgeschichtet. Seit 2014 wählt das HANDELSBLATT eine andere Musterdepot-Struktur.

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1.4 Die Aufgaben der Börse kennenlernen

Die Wertpapierbörse entstand vor über 400 Jahren

Vor 412 Jahren, am 20. März 1602, verbündeten sich holländische Kaufleute. Sie organisierten den Pfefferhandel und gründeten die Vereinigte Ostindische Compagnie (VOC). So entstand die erste AG mit frei handelbaren Anteilen. Das „Kontor VOC“ entwickelte sich zur ersten Aktienbörse. Zur Eröffnung stieg der Kurs um 15%. Zwei Jahrzehnte später betrug der Kurszuwachs 300% und 100 Jahre danach 1200%. Ab dann ging es steil abwärts. 1799 kam durch Missmanagement das Aus. Vom Top zum Flop: Das gab es nicht nur am Neuen Markt.

Historiker leiten das Wort „Börse“ vom alten Patrizierhaus Beurse in Brügge aus dem 14. Jahrhundert ab. Die Fassade war mit dem Geschlechterwappen, drei Geldbeuteln, verziert. Das lateinische Wort „bursa“ und der griechische Begriff „byrsa“ bedeuten Leder- oder Geldtasche. In diesem Anwesen ließen sich reisende Kaufleute nieder und bildeten den Treffpunkt von Angebot und Nachfrage. Die heutige Börse als Ort des Kapitals präsentiert sich als hoch organisierter Handelsplatz für Wertpapiere. Dabei unterscheiden wir die Aktienbörse (Anteilscheine, Dividendenwerte) und die Rentenbörse (verzinsliche Wertpapiere, Schuldverschreibungen, Staats- und Unternehmensanleihen). Wie bei anderen Kaufverträgen sind die Transaktionen an der Wertpapierbörse zweiseitige Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäfte mit Einigung über Art, Menge und Preis. Der Anleger kauft oder verkauft seine Aktien persönlich über einen Bankberater bzw. telefonisch oder online über seine Depotbank. Beim Verkauf wird der Erlös abzüglich Gebühren dem Depotkonto gutgeschrieben. Beim Kauf erhält er die gewünschten Wertpapiere. Sein Konto wird mit dem Kaufpreis und den Transaktionskosten belastet.

Der Finanzmarkt Börse weist folgende wichtige Merkmale auf:

Die Wertpapiere liegen an der Börse nicht als Dokumente vor; denn die Geschäfte laufen standardisiert über elektronische Handelssysteme ab wie XETRA. Gewährleistet sind eine marktgerechte Preisbildung und Transparenz. Der Handel geschieht an der Deutschen Börse AG in Frankfurt und an sechs Regionalbörsen.

Regionalbörsen als Handelspartner nutzen

Die Leitbörse in Frankfurt behauptet ihre führende Marktposition und wendet sich mit ihrem Handelssystem XETRA bevorzugt an institutionelle Anleger. Die Skulpturen von Bulle und Bär als Markenzeichen präsentieren sich am Frankfurter Börsenplatz. Der grunderneuerte Börsensaal dient nur als Platz für die Medienpräsenz.

Sechs Regionalbörsen, Berlin-Bremen, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart, konzentrieren sich auf die Hauptzielgruppe Privatanleger. Sie stehen miteinander im harten Wettbewerb, besetzen Nischen, locken mit preiswertem Service und besserem Anlegerschutz. Während die Aktivitäten im elektronischen XETRA-System auf 09:00 bis 17:30 Uhr begrenzt sind, wird sonst ab 08:00 bis mindestens 20:00 Uhr gehandelt. Zum Angebot zählen verbindliche Kauf- und Verkaufskurse mit garantierten Stückzahlen und einem fairen Preis. Meine Testorders bei Regionalbörsen zeigen, dass Transaktionen mit Nebenwerten aus MDAX, TecDAX, SDAX sowie ausländischen Aktien bei regem Handel sekundenschnell ausgeführt werden.

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Die Stuttgarter Börse ist durch den Zusammenschluss mit der EUWAX AG marktführend bei Anlage- und Hebelzertifikaten, Optionsscheinen und Anleihen. EUWAX übernimmt die Skontroführung (Vermittlung von Börsengeschäften) und stellt gemeinsam mit der Stuttgarter Börse die Privatanleger mit den institutionellen Investoren bezüglich Transparenz, schneller Abwicklung und Preisgestaltung gleich.

Die Börse München bietet mit ihrem Qualitäts-Marktsegment m:access über 50 Mittelständlern einen transparenten Handelsplatz mit den Vorteilen des Freiverkehrs bei vernünftigen Folgepflichten. Die Börse München garantiert, dass bei Teilausführungen keine Zusatzkosten anfallen, und beeindruckt mit ihrer Spezialkompetenz bei Auslandsaktien, ETFs und Mittelstandsanleihen. Im viel gelesenen Magazin Südseiten erscheint kostenlos meine Internetserie „Gesunde Geldanlage“.

Die Hamburger Börse bietet einen besonderen Clou für die Plattform Investmentfonds. Wer hier ordert, zahlt statt des üblichen Fondsausgabeaufschlags von 5% nur einen geringen Spread (Preisspanne zwischen Kauf- und Verkaufspreis). Die Düsseldorfer Börse schließlich wirbt mit verbindlichen Kauf- und Verkaufskursen (Handelssystem QUOTRIX; Angebot = Briefkurs, Nachfrage = Geldkurs), sekundenschnellem Online-Handel und verlängerten Handelszeiten.

images Tipp: Die Aktien mittelständischer Unternehmen, z. B. aus München, Stuttgart oder Hamburg, sollten Sie am besten bei der dortigen Regionalbörse ordern, damit Ihr Auftrag rasch ausgeführt wird. Klicken Sie die Webseite der Regionalbörse Ihrer Wahl an, um sich über das aktuelle Angebot zu informieren.

2 Aus eigenen Fehlern lernen

 

2.1 Rückblick: Das Anlegerverhalten hinterfragen

Um zu begreifen, wie irrationale Übertreibungen dramatische Kursabstürze bewirken und ein Boom im Crashszenario endet, zeige ich Hintergründe auf. Es geht um die Erkenntnis: Nach der Blase ist vor der Blase – abgeleitet von einer alten Fußballweisheit. Dass ein Crash unvermeidbar ist, bestätigt der Rückblick und deckt sich mit Nobelpreisträger-Erkenntnissen.

Der Crash zu Beginn des neuen Jahrtausends war die Folge sich auftürmender Spekulationsblasen im Zuge der Dotcom-Euphorie, begleitet von riesiger Überbewertung vieler Titel. Der Crash im Herbst 2008 und Frühjahr 2009 entstand durch die sich zum größten Finanzdesaster seit 1929 ausweitende Subprime-Immobilienkrise. Hinzu kamen Verunsicherung, Herdentrieb, Angst und Panik.

Die Vorzeichen: Als 1995 der US-Browser NETSCAPE an die Börse ging, verdoppelte die Internetfirma bereits am ersten Handelstag ihren Wert. Die Gründer waren Millionäre, obgleich sie noch keinen Gewinn erwirtschafteten. NETSCAPE war der Funke, der den Ansturm auf das kalifornische Silicon Valley und die irrationalen Übertreibungen auslöste. Dies war die Geburtsstunde für die sich aufblähende Internetblase. Selbst als sie platzte, war die Besorgnis anfangs nicht groß. Die meisten Anleger gingen lediglich von einer überfälligen Korrektur aus. Heute erscheint die „Goldgräberstimmung“ des Internetbooms unwirklich, mögen auch Google und die Sozialnetzwerke Facebook, Twitter und Alibaba neue Fantasien schüren. Nach dem Gipfelsturm an der Börse und dem sich anschließenden „Salami“-Crash zogen sich viele Anleger im Schatten wirtschaftlicher Unsicherheit und Terrorängste von der Börse zurück.