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Deutsche Industrie- und Handelskammer, Tôkyô
www.japan.ahk.de
Japanische Botschaft in Österreich
www.de.emb-japan.go.jp
Japanische Botschaft in Deutschland
www.at.emb-japan.go.jp/
Der Verfasser dieses Buchs:
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Es roch intensiv nach Sake, dem heißen Reiswein, den ich gerade nachschenkte und der auch auf den Nachbartischen die Becher füllte. Der deutsche Wissenschaftler, der mir an diesem Abend in einem kleinen Restaurant in Ôsaka gegenübersaß, war sichtlich nervös. Seit über einer Woche verhandelte er schon mit japanischen Fachkollegen eines Instituts in der Region Kansai über die geplante Kooperation bei einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt. Weil er ursprünglich annahm, nach spätesten drei Tagen müsste alles geklärt sein, beschlich ihn das verzweifelte Gefühl, seine Mission wäre zum Scheitern verurteilt. Ein Bekannter, dem er telefonisch sein Leid nach Mannheim klagte, riet ihm, mit mir Kontakt aufzunehmen, um die Angelegenheit zu besprechen. Jetzt rutschte er am Boden auf der Strohmatte vor unserem niedrigen Tisch hin und her, warf gelegentlich einen missbilligenden Blick auf die vor ihm stehenden Speisen und machte dem Ärger über seine Gesprächspartner Luft:
„Diese Japaner führen etwas im Schilde. Ich glaube, die haben kein wirkliches Interesse, sondern wollen mich nur systematisch aushorchen. Immer, wenn ich zur Sache komme, weichen sie auf andere Themen aus. Sie fragen mich nie klar und deutlich, was sie wissen möchten, sondern stellen seltsame indirekte Fragen, bei denen ich doch oft merke, worauf sie hinauswollen. Vielleicht halten die mich ja für blöd. Aber es ist ganz klar, dass da etwas faul ist, denn die können mir nicht einmal offen in die Augen sehen.“
Anstatt auf seine Klagen einzugehen, sprach ich einige Minuten über die Vorspeisen auf unserem Tisch, die Goldpartikel, die den speziellen Sake in unseren Bechern veredelten, und über die Vorzüge des köstlichen Fischs, den wir später noch essen sollten. Mein Gegenüber, der den Gaumenfreuden im Land der aufgehenden Sonne offensichtlich wenig abgewann, sah mich befremdet an. Man spürte regelrecht, wie er wegen meiner Reaktion auf seine Verhandlungsnöte vermuten musste, das Leben in Asien wäre meinem Geist vielleicht nicht gut bekommen.
Schließlich wollte ich seine Geduld nicht allzu lange strapazieren und sagte in einem kurzen Satz, was mir zu den gerade von ihm gehörten Erzählungen einfiel: „Wir sind in Japan.“ – Natürlich trug diese Erklärung nicht unmittelbar dazu bei, dass sich der Mann in meiner Gegenwart wohler fühlte.
„Wir sind in Japan.“ Als ob ihm das nicht selber aufgefallen wäre! Nach zehnstündigem Flug mit folgendem Jetlag, seither täglichen und oft unüberbrückbaren Verständigungsschwierigkeiten sowie jenem Nattô, einer schleimigen Mahlzeit aus vergorenen Sojabohnen, mit der man seine Ekelschwelle bereits am ersten Tag bei einer Einladung zum Essen über Gebühr herausforderte, schien es ihm nur allzu klar, wo er sich befand.
Aber war es ihm tatsächlich klar? Er kam mit seinen europäischen Erwartungen im geistigen Gepäck, als ob diese überall und selbstverständlich Gültigkeit beanspruchen dürften. Darum setzte er zum Beispiel für Verhandlungen, die in der Heimat schätzungsweise zwei Tage beanspruchten, in Japan nicht viel mehr Zeit an. Weil die Dinge überhaupt nicht wunschgemäß funktionierten und nicht nur das Essen ganz anders schmeckte als in Umgebungen, die er gewohnt war, bemerkte er schmerzlich, wie er sich auf nicht vertrautem Terrain bewegte. Aber ganz offensichtlich nahm er immer noch nicht zur Kenntnis, dass er in Japan war. Hätte er das getan, wäre er auf das Nächstliegende gekommen, nämlich die simple Frage: Wie sind die Dinge hier?
Natürlich ging der gebildete Mann vage davon aus, dass in Japan vieles anders sein müsste als in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika, die er gut kannte. Aber er fragte sich selbst und andere nicht konkret nach den Differenzen und ging lieber den bequemeren Weg, in der eigenen Kultur übliche Kommunikationsweisen für allgemein menschlich zu halten. Mit anderen Worten: Er begann zu agieren, bevor er überhaupt hingeschaut und zugehört hatte.
Doch wie sind die Dinge hier? Ich forderte meinen Begleiter auf, seinen Blick unauffällig zu den Nebentischen zu wenden. Der Großteil der Menschen, die hier zum Essen und Trinken beisammen saßen, waren augenscheinlich Arbeitskollegen und gute Bekannte. „Sie werden zwischen diesen Leuten, die täglich beruflich miteinander umgehen, keinen direkten Blickkontakt sehen. Japaner schauen bei Gesprächen anderen nie in die Augen. Das würde nicht als Ausdruck von Offenheit und Ehrlichkeit empfunden werden, sondern als ungebührliche Intimität. Wenn Ihnen die Verhandlungspartner nicht in die Augen sehen, hat das ganz sicher nichts mit Unredlichkeiten bei den Gesprächen zu tun.“
In ähnlicher Weise stimmten weitere Voraussetzungen nicht, von denen der deutsche Forscher ausging. Besser wäre er mit zumindest einem Kollegen oder Assistenten nach Japan gekommen. Das Team, das sich mit seinen Vorschlägen auseinandersetzte, hätte eine Gruppe als Gegenüber geschätzt, denn die Auseinandersetzung mit einer einzigen Person erleben viele Japaner, die in der Regel das Gegenteil von Einzelkämpfern sind, als äußerst zähe Aufgabe. Aber sogar wenn die Anwesenheit mehrerer Deutscher das Klima verbessert hätte, wäre mehr Zeit nötig gewesen. In zwei Tagen lässt sich in Japan sicher kein Konzept zur Zusammenarbeit verkaufen. Hier nimmt man sich für Entscheidungen grundsätzlich Zeit, und jede Kooperation bedarf längerer Vorgespräche in wiederholten Treffen.
Kommen dabei häufig Themen zur Sprache, die nach dem Eindruck der meisten Ausländer nicht den geringsten Bezug zur eigentlichen Sache haben, sind dies weder unnötige Umschweife, noch geht es darum, jemanden auszuhorchen. In Japan unterscheidet man bei Kontaktaufnahmen in der Regel nicht zwischen kurzfristigem Zusammenwirken und dauerhaften Beziehungen. Alles wird mit dem Ernst behandelt, der den meisten Europäern nur angebracht schiene, wenn man ein dauerhaftes Engagement anstrebte. In Japan gilt jedoch jede Beziehung als zumindest potenziell langfristig. Darum möchte man jene genau kennen, denen man Zusagen gibt. An diese fühlt man sich dann nämlich unter allen Umständen gebunden.
Nachdem ich diese Punkte kurz angesprochen hatte, empfahl ich meinem Gesprächspartner, für den Rest des Tages ganz zu vergessen, welches konkrete Ziel er eigentlich mit seinem Besuch in diesem Land erreichen wollte. Ich lenkte unsere Unterhaltung auf die Stimmung und die Vorgänge in diesem sehr traditionellen Lokal, in dem wir saßen. Auf diesem Treffpunkt bestand ich, nachdem er bei seinem Anruf vorgeschlagen hatte, mich in seinem Hotel in ein Restaurant mit französischer Küche einzuladen.
Der Mann sollte heute zum Abendessen am Boden sitzen, wie es seine Verhandlungspartner, denen er nicht nahegekommen war, jetzt in ihren Häusern taten. Er sollte ähnliche Dinge genießen wie diese – oder eben sehen, dass er zu deren Genuss noch nicht in der Lage war. Er sollte in diese ihm neue Situation eintauchen, in die ungewohnte Art zu sitzen, in eine akustische Kulisse, in der er viele Geräusche und die Aussagen der Worte, die den Raum erfüllten, nicht interpretieren konnte. Es ging um das Spüren jener atmosphärischen Kluft, die er würde überbrücken müssen, bevor er hier mit seinen Vorhaben erfolgreich sein dürfte.
Man muss für einige Zeit hinter sich lassen können, was man erreichen will, um einfach zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu riechen und zu fühlen, wie die Dinge dort sind, wo man ein Ziel anstrebt. Das schlichte Wahrnehmen ist in interkulturellen Kontexten oft bedeutsamer als intellektuelles Verstehen. Weitaus nicht alles, was beobachtend nachempfunden werden kann, lässt sich mit dem Kopf begreifen. Wichtiger als unbedingt immer verstehen zu wollen, ist es deshalb, sich Erlebnisse gefallen zu lassen. Innere Widerstände protestieren angesichts des Unvertrauten: „Das lasse ich mir nicht gefallen!“
Aber um langfristiger Erfolge willen sollte man annehmen, was der Gewohnheit als Zumutung erscheint, und darauf hinarbeiten, echten Gefallen daran zu finden. Interkulturelle Herausforderungen können zu anregenden und bereichernden Erfahrungen werden, sobald man sie wahr- und annimmt. Das gilt für undurchschaubares Verhandlungsgebaren genauso wie für Mahlzeiten, bei deren Anblick sich der Magen zusammenkrampfen will. Man muss sich ganz bewusst immer mehr gefallen lassen.
Dieses Buch bietet jenen Menschen Hintergrundinformation und Verständnishilfe, die sich Japan gefallen lassen wollen. „Business im Land der aufgehenden Sonne“ – wie der vom Verlag gewählte Titel lautet – richtet sich an solche, die kürzere oder längere Zeit in Japan verbringen, um dort zu handeln, auf dem japanischen Markt Produkte und Ideen anzubringen, oder die sich auf sonstige Weisen im Land und mit seinen Leuten beruflich engagieren möchten.
Wer derartige Pläne verfolgt, wird nicht nur – wie im Fall des deutschen Wissenschaftlers – von seiner mangelnden Informiertheit über örtliche Gepflogenheiten behindert. Mindestens ebenso gefährlich wie Unkenntnis ist Scheinkenntnis. Wer weiß, dass er nicht weiß, hat immerhin eine Chance, die Augen zu öffnen. Wer nur glaubt, dass er schon weiß, handelt unter falschen Voraussetzungen. Viele Menschen glauben sich im Besitz von Einsichten und sind doch nur Opfer beharrlicher Mythen, die sich aus lange gepflegten Vorurteilen speisen. Und was ist nicht alles schon über Japan behauptet worden!
Das Inselreich im äußersten Osten Asiens hatte sich ausländischen Einflüssen und Besuchern bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend gesperrt. Verschlossene Länder provozieren durch den Reiz des Geheimnisvollen die Fantasie, wie es auch lange beim unzugänglichen Tibet der Fall war.
Galt das verbotene Tibet in westlichen Vorstellungen als eine mystische Welt, erschien das von ritterlichen Samurai regierte japanische Kaiserreich im Kontrast als Sphäre der Klarheit, in der Disziplin, Ordnung und Ehre das Leben regelten. Wurzeln solche Mythen nicht zuletzt in Wunschträumen oder Ängsten jener, die sie erzählen, müssen doch reale Bezüge nicht völlig fehlen. Schon die Jesuiten, die im 16. Jahrhundert als Missionare Japan besuchten, rühmten die geordnete Sauberkeit eines straff und gut regierten Staates mit kultivierten und äußerst höflichen Einwohnern, denen zur letzten Vollkommenheit eigentlich bloß noch das Christentum fehlte.
Nicht nur weil Vorurteile zäh sind, sondern gerade weil sie sich oft auf echte Beobachtung stützen, die in jeder neuen Information Bestätigung sucht und findet, verschwinden die Mythen mit dem Zunehmen gesicherter Kenntnisse nicht zwangsläufig. Halbwahrheiten über zuvor wenig bekannte Territorien, pflegen beständig zu sein, da man sie schwerer als augenscheinliche Unwahrheiten widerlegen kann.
Von amerikanischen Kriegsschiffen 1853 zur Öffnung gezwungen, schaffte Japan in wenigen Jahrzehnten den Sprung aus quasi mittelalterlichen Sozialstrukturen und Wirtschaftsweisen ins Industriezeitalter. Dies gab dem Mythos vom Samurai, dessen ritterlicher Geist nun zielstrebig und gehorsam in der Ökonomie waltete, ebenso Nahrung wie die Kamikaze-Einsätze zum Tod bereiter Piloten im Zweiten Weltkrieg. Bezog Japan seine Kraft zur wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenz aus archaischen Vorstellungen, die es in die Moderne rettete, etwa einer zum fraglosen Opfer des eigenen Lebens bereiten Loyalität zum Kaiser?
Das Miteinander von Erbe und Moderne, das man in Japan wahrzunehmen glaubte, faszinierte und beunruhigte zugleich: Trotz raschen Anschlusses an wissenschaftliche und technische Standards Europas und Nordamerikas wirkte in Japan das Ältere offensichtlich weiter. Dies irritierte Angehörige der westlichen Zivilisation umso mehr, als in ihrer Geschichte genau das Gegenteil der Fall schien: Die Segnungen von Naturwissenschaften und Technik hatten sich im oft harten Konflikt mit den Vertretern der Tradition durchzusetzen. Galileo Galilei war das prominente Beispiel, wie die überlieferte Religion die revolutionären Erkenntnisse an der Schwelle zur Neuzeit behinderte. Konnten nicht erst mit dem Abnehmen traditioneller Einflüsse die industrielle Produktion, das elektrische Licht und wachsende Möglichkeiten des Konsums ihren Einzug halten?
Wich in Europa das Alte vor dem Neuen, glaubte man in Japan ganz anderes zu beobachten: Die Tradition hemmte den Fortschritt nicht, sondern behielt ihre Bedeutung sogar, als die Wolkenkratzer höher als jene Amerikas ragten und die Patente in ursprünglich abendländischen Technologien kaum mehr überblickbar waren. Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, ob Japan die Geschwindigkeit seines Aufstiegs am Ende gar seinen Traditionen verdankte.
Doch ließ sich bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts von vielen im fernen Westen noch ignorieren, was in Japan vor sich ging. Dann staunte man über die Berichte anlässlich der Olympischen Spiele 1964 in Tôkyô. Wie die Japaner knapp zwanzig Jahre nach dem verlorenen Krieg ihr Land auf Erfolgskurs brachten, gab dem Mythos vom Samurai Auftrieb. Zugleich wirkte es am Vorabend der Globalisierung wie eine Verheißung: Wer selbst ein derartiges Leistungsvermögen anstrebte, konnte sich mit den in Mode kommenden japanischen Kriegskünsten beschäftigen. In zahlreichen europäischen Städten entstanden Schulen und Vereine für Karate und Judô, das 1964 olympische Disziplin wurde. Japanisches war plötzlich ein Geheimtipp für jene, die auf Erfolg aus waren.
Tiefer Interessierte erfuhren aus dem verbreiteten Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens1 von Eugen Herrigel (1884 bis 1955), wie die Lebenshaltung einer spezifisch japanischen Art des Buddhismus die Kampfdisziplinen inspirierte. So wurde Zen seit den Fünfzigerjahren zum Zentrum der Japan-Mythen. Die gängigen Vorstellungen, die man aus den Schriften des Japaners Daisetz T. Suzuki und des Engländers Alan Watts bezog, blieben allerdings nebulös2. Der Stellenwert des Zen für Japan wurde gewaltig überschätzt. Auch reduzierte man es auf Aspekte, die sich mit gängigen Klischees vom Land der aufgehenden Sonne vertrugen, dem disziplinierten Stillsitzen und einem meditativen Ästhetizismus.
Ein so beschnittenes Zen entsprach dem Bedürfnis nach Kontrasten zur eigenen Welt. War Europas Aufschwung mit dem schmerzhaften Verlust an Beschaulichkeit erkauft, sollte in Japan das Gegenteil der Fall sein. Dort glich offenbar der Blick zum von Wolken umkleideten Mond beim regungslosen Sitzen im Steingarten die Hektik rastlos rasender Fließbänder aus. Wie Suzuki, Watts und andere von dem, was sie jeweils für Zen hielten, begeisterte Autoren darlegten, beherrschte – anders als im einseitigen Abendland – der Mensch in Japan die Kunst einer Balance der Gegensätze. Natur und Technik, Stille und Betriebsamkeit befanden sich für ihn angeblich in einer Harmonie, die es erlaubte, mit einem Fingerschnippen Passivität in Aktion oder Schwäche in Stärke zu verwandeln.
Lernte man nicht auch im Judô nachzugeben, um zu gewinnen? Dieses Prinzip wollte man als das Erfolgsrezept der japanischen Wirtschaft erkennen: Hinter deren schlagkräftiger Dynamik ließ sich die Unbewegtheit des Zen-Mönchs ahnen. Mit der Plausibilität, die nur beharrliche Vorurteile zu liefern vermögen, wurde die tiefe Stille, aus der unbändige Kraft floss, zur geheimnisvollen Mitte einer atemberaubenden Produktions- und Konsummaschine. Die Japaner schafften mutmaßlich, wovon das orientierungslose Europa nur träumen konnte: Ausnahmslos in Wachstumsbranchen tätige Menschen, arbeiteten mit Hingabe, weil sie nie ihre Wurzeln in Natur und Kultur verloren.
Diese Vorstellung knüpfte nahtlos an Ideen an, die schon bald nach der Öffnung aufkamen. Der britisch-griechische Journalist Lafcadio Hearn (1850 bis 1904), der seit 1890 im Land lebte, prägte mit einflussreichen Büchern1 ein wirksames Bild von Japan: Dort bewältigte eine Ästhetik, die der Naturverbundenheit und spirituellen Werten entsprang, fast problemlos den aufgezwungenen Sprung in die Neuzeit. Altes und Neues gingen dabei eine glückliche Synthese ein: „Diese Zeile der weißen, zierlichen Telegrafenstangen, die die Weltnachrichten den Zeitungen bringen, die in einem Gemisch von chinesischen und japanischen Schriftzeichen gedruckt sind, eine elektrische Klingel in irgendeinem Teehaus mit einem orientalischen Texträtsel über dem Elfenbeintaster, eine Niederlage von amerikanischen Nähmaschinen knapp neben dem Laden eines Buddhabildermachers, das Etablissement eines Fotografen neben dem eines Verfertigers von Strohsandalen – all dies bildet keine frappierende Unlogik, denn jede abendländische Neugestaltung ist in einen orientalischen Rahmen gefasst, der sich dem besonderen Bilde anzupassen scheint2.“
Solcher Einklang von Fortschritt und Tradition ließ sich mit der Fähigkeit zur stillen und meditativen Beobachtung verbinden. Hierin war das Land der aufgehenden Sonne dem hektischen Westen überlegen, der seinen Bezug zur Natur und deren Wahrnehmung verlor. Ganz auf dieser Linie lagen europäische Künstler, welche die Naturnähe und nüchterne Klarheit ihrer japanischen Kollegen priesen. Maler wie Claude Monet und Vincent van Gogh inspirierten sich ebenso an Japanischem wie die Architekten des Jugendstils.
Die lange gepflegte Fantasie vom Japaner, der seine Stärke aus einer Ästhetik der Stille bezieht, fand spätestens seit den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts eine jähe Ernüchterung. Plötzlich erlebten Europäer, wie sie nach einem Blick auf die Seiko-Uhr mit ihrem Auto Marke Mitsubishi ins Büro fuhren, wo sie den Toshiba-Computer einschalteten. Nach Feierabend gönnten sie sich eine Tour auf dem Motorrad von Honda, bevor sie Musik und Filme aus Apparaten genossen, auf denen Namen wie Panasonic und Hitachi standen. Sogar das Kinderzimmer wusste man durch Sony und Nintendo wohl gerüstet.
Obwohl man dem Made in Japan im eigenen Kaufverhalten kaum widerstand, wurde es zunehmend als bedrohlich empfunden. Die Medien griffen pausenlos auf, wie japanische Konzerne mit dem von westlichen Konsumenten erwirtschafteten Geld, schließlich deutsche, französische oder amerikanische Betriebe übernahmen. Symbole des Westens gingen in japanischen Besitz über: Sony kaufte sich in Hollywood ein, Mitsubishi erwarb das Rockefeller Center in New York und japanische Industrielle ersteigerten in großem Stil für bislang beispiellose Summen viele Perlen europäischer Kunst. Alte Ängste vor der „gelben Gefahr“ erlebten im Hinblick auf Hirngespinste vom Wirtschaftskrieg um die Weltherrschaft eine Neuauflage.
Wenige wollten wahrhaben, dass die japanische Präsenz eine neue Weltordnung ankündigte, unter der zwangsläufig auch Vertreter aus China, Indien und weiteren Wirtschaftsräumen als Verkäufer und Investoren die Bühne der großen Ökonomie betreten würden. Japaner waren lediglich Vorboten eines unaufhaltsamen Prozesses, den der Westen durch sogenannte Entdeckungen anderer Erdteile, den Kolonialismus, die globale Suche nach Rohstoffen und Absatzmärkten ursprünglich selbst anstieß.
Der Japan-Schock saß tief und forderte, bislang gewachsene Mythen zu modifizieren. Vormals feinsinnige Ästheten, die Kraft aus der Stille zogen, mutierten zu gnadenlos auf Sieg programmierten Samurai, die nun den 1945 von den Streitkräften verlorenen Krieg mit den Waffen von Produktion und Handel für sich entscheiden wollten. Sah man Japaner zuvor gern geschmeidig wie Bambus im Wind, als edle Kämpfer, die bewusst einem Ehrenkodex folgten, um durch weise Nachgiebigkeit ihre Ziele zu erreichen, nahm man sie nun als seelenlose Roboter wahr. Sie opferten – wie einst die Kamikaze-Flieger dem Kaiser – ihre Existenz großen Konzernen, deren Herren nach der Weltherrschaft strebten.
Wieder drängten sich überall Bestätigungen auf: Traten Japaner im Ausland nicht prinzipiell in Herden auf, in denen sich keine Anzeichen von Individualität ausmachen ließen? Hoben sie nicht quasi synchron vor dem Kölner Dom, dem Louvre oder dem Schloss Schönbrunn die Kameras, um ganz offensichtlich statt persönlicher Erlebnisse nur blutleere Konserven als Erinnerung nach Hause zu tragen?
In der öffentlichen wie veröffentlichten Meinung schwelte zwischen politisch korrekten Zeilen die kaum verkennbare Verachtung. Viele sahen auf diese Menschen aus Fernost herab, die sich angeblich von Arbeitgebern ohne Murren rund um die Uhr ausbeuten und während weniger Urlaubstage in gelenkten Gruppenreisen gleichartig lächelnd von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten jagen ließen. Doch fiel der Blick von oben herab nicht leicht. Mindestens im gleichen Ausmaß fürchtete man Leute, die mit ihrem Kampfgeist europäische Arbeitsplätze gefährdeten und als Teile eines Mechanismus empfunden wurden, der sich anschickte, die Welt zu verschlingen.
In die Angst mischte sich heimliche und bisweilen ganz offene Bewunderung. Wer es schaffte, der Welt so das Fürchten zu lehren, hatte zumindest in der Führungsriege Außergewöhnliches zu bieten. Neben eine standardisierte Wahrnehmung, die alle Skurrilitäten der Erde ausgerechnet in Japan konzentriert wusste, trat eine Perspektive, die von diesem Land lernen wollte. „Den Japanern“ war gelungen, dem Westen abschreckendes Beispiel wie Vorbild zu sein, unterlegen und überlegen zugleich.
Diese Ambivalenz bestimmt das Bild bis heute. Eine Kategorie der Berichterstattung und Analyse liefert unablässig Beweise für Japans kranke Abseitigkeiten. Das Land erscheint als Tummelplatz in kollabierenden Ballungsräumen zusammengepferchter Zombies, die sich nach bis in die tiefe Nacht dauernder Arbeit in Alkohol und perverse Sexualpraktiken flüchten, bevor sie in winzige Schlafkojen fallen.
Als in den Neunzigerjahren nach Platzen der Spekulationsblase japanische Banken durch nicht tilgbare Kredite vor dem Ruin standen und Immobilienpreise wie Aktien abstürzten, erhielt dieses negative Bild besondere Nahrung. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel widmete 1998 dem unter der Wirtschaftskrise leidenden Land eine Titelgeschichte mit dem Tenor: „Aus dem Vorbild wurde eine verwirrte Nation.“ Hier war zu lesen, wie sich die japanische Jugend angeblich von der Wirklichkeit verabschiedete: „Realität ist out, virtuelle Welten sind in. Die Helden der Heranwachsenden sind computergesteuerte Popsänger und Videospielfiguren wie der künstliche Star ‚Kyoko Date‘. Ihre Pflegeinstinkte konzentrieren sich auf ‚Tamagotchi‘-Küken. Ihre Kämpfe führen sie über ihre interaktiven ‚Digital-Monster‘.1“
Als suchte man Rache für die Schmach der Übernahme von Firmen und Prestigeobjekten, diente jedes kleine Detail als Beweis für eine abseitige und von Zwangshandlungen bestimmte Gesellschaft. Sogar aus der Tatsache, dass man sich vor dem Eintritt in Wohnungen im ganzen Land gewohnheitsmäßig die Schuhe auszieht, was instinktiv auch der eilige Rettungssanitäter tut, sollte der „ungeschminkte Wahnsinn des japanischen Alltags“ offenbar werden.2
Günther Ederer, der von 1985 bis 1990 mit seiner Familie als ZDF-Korrespondent in Tôkyô lebte, wunderte sich nach seiner Rückkehr über das negative und weitgehend unzutreffende Japan-Bild, dem er in Europa begegnete:
„Wir trauten uns schon gar nicht mehr zu sagen, dass es uns in Japan gefallen hat. ‚Was, bei dem Stress? Die arbeiten doch alle nur Tag und Nacht!‘ – ‚Sich wie die Japaner ausbeuten lassen? Darüber sind wir schon lange hinweg!‘ – ‚In Tôkyô haben Sie gewohnt. Also ich war da auch einmal ganz kurz: schreckliche Stadt. Und die Japaner: Keine Miene verziehen die.‘
Außerdem beschlich mich heftiger Zweifel über mein eigenes Tun. Die Hälfte meiner Gesprächspartner behauptete, ihre Kenntnisse aus dem Fernsehen zu haben. Doch, doch, sie hätten gesehen, wie die Frauen unterdrückt werden, dass alle Politiker korrupt seien. Manchmal schilderten sie mir sogar Szenen aus meinen eigenen Filmen. Da ich in fast sechs Jahren über zweihundert Beiträge aus Japan gemacht hatte, war ich der Verzweiflung nahe. Alles umsonst gewesen, dachte ich, alles umsonst. Jeder sieht nur, was er sehen will, was in seine Welt der Vorurteile passte.“1
Die gegenläufige Tendenz, die von Japan lernen wollte, betonte Vorzüge wie die Kreativität in der Technologie und die überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung der Menschen. Man rühmte die Originalität und Effizienz von Unternehmensphilosophien im Land der aufgehenden Sonne. Japanische Architektur und Meditation im Stil des Zen, das Schlafen auf dem Futon und der Verzehr von Sushi wurden als Rezepte gegen Stress, Fettleibigkeit sowie zur Steigerung kollektiver und persönlicher Leistungsfähigkeit empfohlen. Überhaupt, so hieß es immer wieder, müsse Europa sich Japan zum Beispiel nehmen, wenn es wieder aufwärts gehen soll: Es gälte länger und mehr zu arbeiten, Ansprüche zurückzuschrauben und über dem Individualismus den Wert der Gruppe wiederzuentdecken.
Vorbild oder abschreckendes Beispiel, welches der Bilder trifft zu? Abgesehen von divergierenden Meinungen derer, die sich lediglich durch Zeitschriften und Fernsehen informieren, helfen auch die Kommentare jener nicht unbedingt, die durch persönliche Erfahrungen in Japan als Kenner gelten. Ihre Einschätzungen gehen weit auseinander, wenn sie die Japaner als nervende Neurotiker charakterisieren oder entschieden zur Nachahmung empfehlen. Japan polarisiert von fern und nah gleichermaßen. Irgendwo in der Mitte kann die Wahrheit kaum liegen. Wo sollte sich diese zwischen dem abseitig Pathologischen und strahlend Vorbildhaften finden?
Ein Grund für die gegensätzlichen Wertungen über Japan findet sich darin, dass es vielen Kommentaren gar nicht um Erkenntnisse über das Land und seine Menschen geht, sondern um eine Kritik am Westen oder dessen klarere Positionierung im Abgrenzen. Fraglos wären das Lernen aus Fehlern und Stärken anderer sowie die Erkenntnis des eigenen Standorts im kulturellen Vergleich und Kontrast nicht nur legitim, sondern heute geradezu Gebote der Vernunft. Entsprechend motivierte Versuche sind dem Verständnis anderer Kulturen auch nicht abträglich, solange die herangezogenen Details stimmen und man nicht dem Irrtum verfällt, mit den jeweils betrachteten Einzelheiten das Ganze zu erfassen.
Leider wird die Auswahl des als charakteristisch Betrachteten viel öfter von der Absicht des Abgrenzens oder der Vorbildsuche bestimmt als von jener, einfach zu sehen, was ist. Nicht immer entstehen Verzerrtes und Einseitiges aus Berechnung und Manipulation. Unsere Informationsgesellschaft widmet dem Spektakulären höchste Aufmerksamkeit. Wer von der Realität und Normalität Japans berichtet, darf sich weniger mediale Beachtung erhoffen als jene, die einsame Absonderlichkeiten aufspüren und als typisch verkaufen.
Um Japan zu verstehen und mit seinen Anliegen dort verstanden zu werden, löst man sich am besten von Fantasien, zu denen Aussagen von Journalisten, Politikern, Wissenschaftlern und Reisenden anregten. Man sollte Abstand nehmen von Erwartungen, etwas Bestimmtes zu lernen oder bekannten Verirrungen zu begegnen.
So geht es in diesem Buch um keine Kritik an Japan und nicht um dessen Herausstellen als Vorbild. Vielmehr tragen Koordinaten aus Kultur und Geschichte zum Begreifen der heutigen Situation bei. Was man auf diese Weise in seinen Bedingungen erkennt, bleibt keine Skurrilität, sondern darf als normal und berechtigt gelten. Konkrete Hinweise für Verhalten und Kommunikation liefern dabei keinen Generalschlüssel, der jede Tür öffnet. Letztlich gibt die eigene Offenheit zum Hören und Sehen den Ausschlag für den Erfolg aller Vorhaben. Doch wer sich vorbereitet auf den Weg macht, stolpert nicht gleich über die ersten Steine. Er weiß, dass er in Japan ist, wo gewohnte Selbstverständlichkeiten so wenig helfen wie vertraute Vorurteile.