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1. Auflage 2013

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Redaktion: Jana Stahl, Heidelberg
Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München
Umschlagabbildung: iStockphoto.com
Satz und E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-86881-511-5
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-468-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-469-1
 
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  1. Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort vom Saurier-Syndrom

1. Entdecke die Zukunft!
2. Die Lottozahlen vorhersagen
3. So wird Zukunft gemacht
4. Kaufen Sie Gänse!
5. Wann werden Sie Millionär?
6. Sei dein eigenes Orakel!
7. Die große Zukunftslüge
8. Die Schlüssel zur Zukunft
9. Wir sind die Zukunft!
10. Mach die Zukunft: Future Tool Box

Nachwort von einer glänzenden Zukunft
Dank
Über den Autor 
  1. Vorwort vom Saurier-Syndrom

»Wer sich mit der Zukunft beschäftigt, wird eine gute haben.«

Laotse

»Flugzeuge sind interessante Spielzeuge, aber ohne jeden militärischen Wert.«

Marschall Foch, 1911

Was machen wir, wenn der Spritpreis auf 3,50 Euro steigt? Verschrotten wir unsere Autos? Gehen wir zu Fuß zur Arbeit? Unvorstellbar.

Noch unvorstellbarer: Wir laufen dann alle halbnackt herum. Weil es keine Jeans mehr gibt. Die bleiben nämlich in Chinas Nähsälen liegen, wenn der Spritpreis in die Stratosphäre schießt. Was ziehen wir dann an? Das sind Sorgen. Kleine Sorgen.

Denn im dann wohl angebrochenen Zeitalter der Großen Deglobalisierung wird die größte Sorge unser wie ein wütender Rottweiler dauerknurrender Magen sein: 95 Prozent aller Waren in den Supermärkten und Discountern werden unter Einsatz von Öl hergestellt; das gilt selbst für Lebensmittel. Kein Öl – nix zu beißen.

Der Traktor, der das Feld pflügt, fährt mit Öl. Der Dünger und die Pestizide, mit denen der Bauer die Saat sprießen lässt, werden unter Einsatz von Erdöl hergestellt. Das Plastikschälchen der knallroten, erntefrischen Erdbeeren im Supermarktregal wird mit Erdöl produziert. Und das Logistiknetz, das unser täglich Brot bringt, ist ohne Öl schlicht nicht existent. 90 Prozent aller Transportmittel, ob zu Lande, Luft oder Wasser, werden mit Erdöl angetrieben. Also, was essen wir, wenn das Öl knapp wird? Was transportiert der Logistiker, wenn der Güterstrom versiegt? Was kauft der Einkäufer ein, wenn es keinen Transport mehr für seine Einkäufe gibt? Gibt es diese Berufe und ihre Unternehmen dann überhaupt noch? Und wann wird das sein? In 30, in 20 oder angesichts horrender Benzinpreise bereits in fünf Jahren?

Fragen, die buchstäblich über das Schicksal der Menschheit entscheiden. Warum bleiben wir davon so seltsam unberührt? Das ist das wahrscheinlich Erstaunlichste am erstaunlichsten Thema, das die Menschheit kennt: Wir haben keine Furcht vor der Zukunft. Nicht einmal, wenn die Welt, wie wir sie kennen, drauf und dran ist, unterzugehen. Wenn die Deglobalisierung droht. Wenn das Öl, die Milch und der Stahl knapp werden. Wenn Südeuropa wegen der Erderwärmung unbewohnbar wird. Das alles macht uns keine Angst. Nicht, weil wir so mutig, unerschrocken, furchtlos und tapfer wären. Sondern weil wir ein Problem mit der Zukunft haben. Wir sind die Saurier der Neuzeit.

Niemand weiß sicher, warum unsere Saurier-Vorfahren vor Jahrmillionen ausgestorben sind. Die Wissenschaft ist sich nur in einem einig: Sie schafften es irgendwie nicht, sich rechtzeitig an wohl radikal veränderte Lebensbedingungen anzupassen. Dieses Sauriersterben begann vor Millionen Jahren. Heute wiederholt es sich. In unseren Städten und Einkaufszentren. Zum Beispiel die Videothek an der Ecke: Wo ist sie hin? Ausgestorben. Opfer von Video-on-Demand. Dito: der CD-Laden. Auf bestem Weg zum Aussterben: die Musikindustrie. Überrollt vom Internet. Als Nächstes sind die Buchverlage und die kleine Buchhandlung an der Ecke dran: Plattgemacht von Google, Kindle und dem E-Book. Die Saurier damals konnten es nicht formulieren. Wir können es (zumindest das haben wir ihnen voraus):

Wer die Zukunft verschläft, hat bald keine mehr.

 

Als wäre das nicht schon ärgerlich genug, müssen wir zu allem Überfluss auch noch entdecken: Aussterben ist kein demokratischer Prozess. Er wird eben nicht die ganze Menschheit, alle Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler hinwegraffen wie die Saurier. Nein, die Zukunft ist ein zutiefst undemokratisches, unfaires, launenhaftes, zickiges, divenhaftes, branchenverschlingendes, chancenreiches, umverteilendes, arbeitsplatzvernichtendes, wohlstandverheißendes Phänomen: Sie bestraft die Mehrheit und belohnt die Minderheit. Zum Beispiel Madonna. Oder die Rolling Stones.

Während Zehntausende ehemaliger Popstars heute am Hungertuch nagen, Häuser verkaufen oder ehrbaren Zivilberufen nachgehen, sind diese beiden Acts inzwischen nicht nur bei Plattenfirmen unter Vertrag, sondern jetzt auch bei Konzertveranstaltern. Mit diesem Schritt haben sie das Sauriersterben nicht nur überlebt. Nein, sie scheffeln wie zum Hohn für ihre aussterbenden, darbenden, klagenden Artgenossen auch noch Millionen. Der Grund dafür ist simpel: Die CD ist zwar tot – doch Events laufen wie Softeis in der Sahara.

Die Frage ist nicht: Warum sterben die Saurier aus? Die Frage ist: Wie schaffen es die Madonna- und die Stones-Saurier, nicht nur dem drohenden Aussterben von der Schippe zu springen, sondern wie zum Spott für die aussterbenden Artgenossen auch noch glänzende Geschäfte zu machen?

Die Antwort kommt mit einem einzigen Wort aus: Zukunftskompetenz. Manche Popstars, Manager, Unternehmer, Ehefrauen und Großväter hören das sprichwörtliche Gras wachsen. Sie können »in die Zukunft sehen«. Sie können sich ausrechnen, was die Zukunft bringt, lange bevor die Zukunft beginnt. Das hat nichts mit Kaffeesatzlesen zu tun. Denn Kaffee ist, wie umfangreiche wissenschaftliche Studien bewiesen haben, nur ein äußerst unzuverlässiges Prognostikum.

»Die Zukunft kann niemand vorhersagen«, sagen die Leute. Das steht auf dem Grabstein jedes ausgestorbenen Sauriers. Die Wahrheit ist: Wer überlebt, wer auch in der Zukunft noch glänzende Geschäfte macht, kann offensichtlich bis zu einem gewissen, erfolgsentscheidenden Grad in die Zukunft schauen. Zukunftskompetenz ist die Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert. Außerdem: Wenn es Madonna kann, dann kann es jede(r) im Business. Und im Privatleben. Wie das geht? Genau das erleben Sie auf den folgenden Seiten.

Damit nicht die Zukunft Sie überrascht, sondern damit Sie Ihren Mitbewerber überraschen. Damit Sie nicht nur morgen, sondern auch noch in fünf, zehn, zwanzig Jahren glänzende Geschäfte machen.

Damit Sie fit für die Zukunft werden.

  1. 1Entdecke die Zukunft!

»The Undiscovered Country.«

Shakespeare, Hamlet, 3. Akt, 1. Szene

»Der Bedarf an Computern wird weltweit nicht mehr als fünf Stück betragen.«

Thomas Watson, IBM-Gründer, 1945

Was machen Manager eigentlich?

Wenn wir hundert Unternehmer fragen, wie wichtig die Beschäftigung mit der Zukunft ist, sagen uns hundert Unternehmer, dass die Beschäftigung mit der Zukunft sehr wichtig ist. Und? Beschäftigen sie sich damit? Die meisten nicht wirklich.

So setzten bei unserer letzten Umfrage zum Beispiel nur acht der größten 50 deutschen Logistikunternehmen die Szenariotechnik ein – das Königsinstrument der Zukunftskompetenz schlechthin. Hat die Logistik mal wieder den Anschluss an andere Branchen verschlafen? Jein. Zwar planen Energiewirtschaft, Pharma und Automobilhersteller schon seit Jahrzehnten regelmäßig mit Szenarien. Doch das sind Vorzeigebranchen. Im großen Rest der Wirtschaft gilt das Hamel/Prahalad-Prinzip (benannt nach den beiden US-Strategieforschern, die es publizierten):

Nur 40 Prozent ihrer Zeit verwenden Senior Executives mit der Beobachtung ihres Unternehmensumfeldes (60 Prozent beschäftigen sich mit Interna). Von dieser Zeit werden nur 30 Prozent dafür eingesetzt, drei bis fünf Jahre in die Zukunft zu blicken. Und davon wiederum werden nur 20 Prozent auf die Beschäftigung mit der wirtschaftlichen Entwicklung verwendet.

 

Zusammengerechnet verbringen Senior Executives also nur irrwitzig spärliche 2,4 Prozent ihrer Zeit damit, sich mit dem zu beschäftigen, was das Allerwichtigste für ihre und die Zukunft ihres Unternehmens ist. Das ist ungefähr so, wie wenn ein Bundesligaprofi jeden Tag nur fünf Minuten mit dem Ball trainieren würde. Unvorstellbar. Das erklärt, warum selbst Giganten wie Microsoft Supermega-Geldscheffel-Trends wie das Internet verschlafen und es ehemaligen Zwergen wie Google und Yahoo überlassen haben:

You can’t manage what you can’t see!

 

Wer die Zukunft nicht sieht, kann sie nicht managen. Wer sich jeden Tag nur rund 15 Minuten ( = 2,4 % eines Zehnstundentages) um seine Zukunft kümmert, wird keine nennenswert erfolgreiche haben. Das gilt für Manager wie für Privatmenschen. Denn in 15 Minuten recherchiert und entwirft keiner ein Szenario. Umgekehrt gilt: Wer sich (zeitlich und methodisch) ausreichend mit der Zukunft beschäftigt, hat in Business und Privatleben die Nase vorn. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Das erklärt übrigens auch, warum von jenen acht deutschen Logistikunternehmen, die mit Szenarien planen, vier unter den Top Ten sind:

Zukunftskompetenz zahlt sich in harter Währung aus. Sie ist die beste Umsatzversicherung, Erfolgs- und Existenzgarantie.

 

Wenn das so ist, warum planen dann nicht alle Manager mit Szenarien oder anderen Future Tools?

Die Angst vor dem Morgen

Schon immer haben Forscher zu ergründen versucht, warum der Mensch unbewusst den Dinosauriern nacheifert. Der große Nationalökonom Arthur Cecil Pigou nannte es die Defective Telescopic Faculty. Seiner Überzeugung nach wird der Mensch mit einer Wahrnehmungsverzerrung geboren. Selbst ein überragender Nutzen morgen ist ihm heute nicht viel wert. Also ist es für ihn rational, sich nicht wirklich um seine Zukunft zu kümmern. Wir erleben Pigous Defective Telescopic Faculty jeden Tag, wenn wir die Post aufmachen.

Ist eine Rechnung oder ein Steuerbescheid darunter – was machen wir tendenziell damit? Erst mal zur Seite legen, erst mal aufschieben. Obwohl wir wissen, dass sich das rächen kann. Denn irgendwann geraten wir mächtig unter Termindruck, oder es flattert eine Mahnung ins Haus. Die Zukunft hat uns eingeholt. Warum verdrängen wir sie trotzdem? Weil die Zukunft unter anderem eine Eigenschaft besitzt, die wirklich lästig ist: Die Zukunft ist unangenehm. So unangenehm, dass selbst Genies sich in der Verdrängung üben. Albert Einstein zum Beispiel sagte: »Ich denke nie an die Zukunft. Sie kommt früh genug.«

Diese Abneigung der Zukunft gegenüber erklärt, warum es zunächst wenig nützt, Managern die Szenariotechnik beizubringen, um sie zukunftsfit zu machen. Selbst wenn sie solche Techniken beherrschen, werden sie sie mehrheitlich nicht einsetzen (lassen). Weil das Thema Zukunft trotz neu erlernter Technik immer noch viel zu unangenehm ist. Technik ist zunächst etwas für den Kopf. Den Bauch lässt sie unberührt. Doch wenn der Bauch blockiert, nützt auch die tollste Technik im Kopf herzlich wenig. Deshalb ist die richtige Reihenfolge:

Erst der Bauch, dann der Kopf. Erst das Bewusstsein, und dann die Technik.

 

Wie machen Sie Ihren Bauch fit? Haben Sie eine Salami im Haus?

Die Zukunft ist eine Salami

Wenn Sie sich (zu) selten mit dem Gedanken beschäftigen, wo Sie und Ihr Unternehmen in fünf, in zehn Jahren stehen werden: keine Selbstvorwürfe! Es ist rational, sich nicht vor Freude trällernd mit seiner eigenen Zukunft zu beschäftigen.

Das ist ungefähr so, wie den Speicher oder den Keller aufräumen oder die Steuererklärung ausfüllen zu müssen: Kein vernünftiger Mensch macht das wirklich gerne. Oder kennen Sie einen, der seine Steuererklärung gerne macht? Ja? Glückwunsch: Es gibt wirklich welche, die das gerne tun. Sind die völlig verrückt?

Nein, sie verfügen lediglich über eine überragende, bewusstseinsbildende Taktik. Sie sind Genies darin, ihren Bauch »herumzukriegen«. Wie sie das machen? Eigentlich recht trivial: Sie »verschlucken« sich nicht. Sie sagen nicht: »Ich muss die Steuerklärung machen!« Denn die ganze, riesengroße Steuerklärung auf einmal angehen zu wollen, ist wie eine Salami am Stück schlucken zu wollen: too much. Das ist der Fehler, den zukunftsaverse Menschen unbewusst begehen: Sie gehen die Zukunft als Ganzes an. Das ist natürlich eine Spaßbremse. Die Zukunft macht scheibchenweise viel mehr Spaß. Das wissen Menschen, die gerne Steuererklärungen ausfüllen. Sie wenden die Salami-Taktik an: »Erst trage ich alle Belege zusammen, dann ordne ich sie, dann liste ich die Sonderausgaben auf und dann die Nebeneinnahmen.«

Niemand isst die Salami am Stück: Konsumieren Sie die Zukunft scheibchenweise. Dann spielt auch der Bauch mit.

 

Wie sehen diese zukunftsträchtigen Scheibchen aus?

Scheibchenweise in die Zukunft

Wenn ich zukunftswilligen Managern und Unternehmen dabei helfe, zukunftskompetent zu werden, mache ich das äußerst ungern auf strategischer Ebene: Wo wird ihr Unternehmen in zehn Jahren sein? An diesem Riesenstück Salami verschluckt sich das Management am Anfang eher.

Es sei denn, es hat, wie die Daimler AG übrigens schon seit 1979, eine eigene Abteilung mit Namen STRG (Society and Technology Research Group) in Palo Alto und Berlin, die mit Dutzenden von Forschern nichts anderes macht, als massenhaft Szenarien zu entwerfen. Für die STRG sind strategische Szenarien »Bread & Butter-Business«. Alle anderen sollten mit einem kleineren Salamistück weit unterhalb der Strategieebene beginnen. Für dieses Stückchen gilt:

Das erste Stück Salami kann gar nicht klein genug sein.

 

Ich war mal bei einem Logistikunternehmen zu Gast, dessen Management besonders zukunftsavers war. Für die meisten Manager war die fernere Zukunft der reinste Horror. Kein Wunder, bei verfallenden Margen, steigendem Spritpreis, zunehmendem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern und kollabierenden Autobahnen. Ganz klar, dass in so einer Situation keiner gern oder gar systematisch und szenariengeleitet an die Zukunft denkt. Deshalb schnitt der Geschäftsführer ein besonders kleines Stück von der Salami ab.

Damals lief zufällig die Fußball-EM. Deshalb »zwang« der Geschäftsführer seine Manager dazu, vor jedem Spiel einen Tipp über dessen Ausgang mit mindestens zwei Begründungen abzugeben. Der Effekt stellte sich umgehend ein: Plötzlich hatten seine Führungskräfte Spaß an der Zukunft, Spaß an der Prognostik. Manche schlossen sogar (private) Wetten auf die Zukunft ab und verdienten sich ein Taschengeld. Danach übertrug der Geschäftsführer das Spiel auf die Prognose der Geschäftsentwicklung bei Kunden, auf den Auftragseingang und diverse Problemchen im Netzwerk. Auch hier entwickelten die Mitarbeiter binnen kürzester Zeit Geschmack für die Prognostik – und eine erstaunliche Treffergenauigkeit. Schon bald darauf führte der Geschäftsführer einen Zukunftsworkshop mit einigen externen Experten durch, die das Instrumentarium des Szenario-Managements vorstellten. Alle waren begeistert: Jetzt waren sie bereit dafür. Der Bauch sagte Ja.

Entwickeln Sie das nötige Zukunftsbewusstsein bei sich und Ihrem Team scheibchenweise. Die Zukunft ist nichts für Hauruck-Methoden. Wer zu schnell zu viel will, scheitert und versaut sich damit nichts weniger als die Zukunft.

 

Auf diesem Workshop schnitten die teilnehmenden Manager die nächsten Salamischeibchen: drei kleine Pilotprojekte. Bei einem ging es darum, die Marktchancen für einen neuen Value Added Service (eine Dienstleistung mit Mehrwert) zu ergründen. Beim Zweiten wurde der optimale Standort für ein neues, aber nicht in nächster Zukunft benötigtes Lagerhaus unter verschiedenen Szenarien beleuchtet. Und beim Dritten sollten alternative Transportrouten durch verschiedene Szenarien (wie Spritpreisentwicklung) geführt werden.

Am Ende der (teilweise extern gecoachten) Pilotprojekte hatte die Zukunft ihren Schrecken verloren. Das Zukunftsbewusstsein im Management war erstarkt und nun stabil. Einige Abteilungen führten von da an eigenständige Szenarioplanungen durch. Der Geschäftsführer institutionalisierte das Zukunftsmanagement, indem er einen funktionsübergreifenden, fünfköpfigen Zukunftszirkel einrichtete. Dieser trifft sich einmal im Monat, um neue Szenarien zu entwerfen, alte zu modifizieren und weiter zu rechnen. Die Mitbewerber haben inzwischen schon bemerkt, dass sich etwas bei diesem Unternehmen geändert hat.

Jedenfalls zeigt sich die gesteigerte Wettbewerbsstärke bereits. Wobei das noch nicht einmal als größter Benefit empfunden wird. Der Geschäftsführer sagt:

»Manchmal ändert sich durch die Szenarioplanung noch nicht einmal so viel an unseren Entscheidungen. Doch wir treffen die Entscheidungen heute mit sehr viel größerer Sicherheit und innerer Gelassenheit als früher. Wir schlafen alle besser. Und wir sind der Konkurrenz regelmäßig die berühmte Nasenlänge voraus, weil wir an Situationen denken, lange bevor diese akut werden. Egal, was kommt: Wir sind darauf vorbereitet und können schneller reagieren als die, die von der Entwicklung überrascht werden.«

Das 20/80-Prinzip

An dieser Stelle wenden viele Führungskräfte ein: »Aber ich kann doch nicht in die Zukunft schauen. Ich bin doch kein Zukunftsforscher, und ich will auch keinen einkaufen, weil mir das zu teuer ist.«

Die Zukunft ist viel zu wichtig, um sie allein den Experten zu überlassen.

 

Die Menschen denken gerne, dass weiß Gott was nötig ist, um die Zukunft zu prognostizieren: ein Uni-Abschluss, ein Doktorgrad, ein Zweitstudium, ein IQ über 130 (sogenannte Genie-Schwelle) oder mindestens 70 Jahre Lebenserfahrung. Frage: Kennen Sie einen zukunftskompetenten 70-Jährigen? Die haben meist andere Sorgen (zum Beispiel: Wie komme ich ins Internet?).

Die Zukunft ist einfacher, als man denkt.

 

Sie müssen nichts Neues hinzulernen. Alles, was Sie dazu brauchen, können und machen Sie schon. Zum Beispiel beim Kofferpacken für den nächsten Urlaub. Welche Kleidung nehmen Sie mit? Das hängt vom Wetter ab. Ist es vorwiegend schön? Was ziehe ich an, wenn es kalt wird oder regnet? Das sind schon mal drei Szenarien. Und die haben Sie noch vor jedem Urlaub ganz ohne Studium in Simulationslehre geschafft. Wenn Sie an einen neuen Urlaubsort reisen, werden Sie dafür möglicherweise die örtliche Wetterkarte im Internet angeschaut und/oder einen Reiseführer aufgeschlagen haben. Und genau diese Vorgehensweise übertragen Sie auf Ihre persönliche oder geschäftliche Szenario-Entwicklung:

Szenario-Entwicklung ist 20 Prozent Kreativität und Intuition (Welches Wetter/Szenario ist möglich?) und 80 Prozent Recherche (Internet-Wetterkarte).

 

Lassen Sie uns das Vorgehen an einer Zukunft durchspielen, die für viele Unternehmen das Ende bedeuten könnte.

Die Fabrik im Wohnzimmer

Neulich rief mich ein Unternehmer ganz aufgeregt an: »Die Fabrik im Wohnzimmer kommt! Wussten Sie das schon? Muss ich meinen Laden dann zumachen?« Er stellt Gebrauchsgüter für den Alltag her. Und genau jene soll künftig der »Personal Fabricator« im Wohnzimmer (oder in der Küche) herstellen können. Die Mama drückt auf den Knopf und – schwups – spuckt der Fabricator einen neuen Teller für den Mittagstisch aus. Und schwups geht die tellerproduzierende Industrie pleite, weil niemand mehr ihre Teller kauft.

Das Szenario ist nicht so Star-Trek-verdächtig, wie es klingt: Bereits heute wird der Fabricator im Modellbau der Industrie eingesetzt. Niemand schnitzt oder schraubt noch ein Modell, wenn er es »lasern« kann: Der Laser formt es aus einer Polymermasse. Das Verfahren ist unter dem Begriff »Rapid Prototyping« bekannt. Die Firma »Desktop Factory« verkauft dieses Wundergerät inzwischen auch für den Heimgebrauch an jeden Interessierten zum Preis von unter 10 000 Dollar (Preis fallend). Auf diese Weise kam der anrufende Unternehmer übrigens auf die Idee mit dem Fabricator: Während er auf der A4 im Stau stand, brachte das Radio einen Bericht über den 3-D-Druck für den Heimgebrauch. Als er das hörte, investierte er seine 20 Prozent Kreativität, indem er sich fragte: »Wenn das kommt, worüber das Radio gerade berichtet – wo bleibe dann ich?«

Was nicht auf der Autobahn zu leisten ist, sind die benötigten 80 Prozent Recherche: Was bedeutet der Fabricator für unser Business? Kann der Fabricator voraussichtlich auch meine Waren ersetzen oder nicht? Kaufen die Kunden deshalb meine Waren weniger? Welche Artikel gehen dann nicht mehr? Die Billigware? Geht wenigstens noch das Hochpreissegment? Werde ich vom Produzenten zum Dienstleister oder zum reinen Lizenzgeber? Können wir den Fabricator austricksen, indem wir im Feld seiner Schwächen neue Produkte kreieren? Gehen meine Preise marktseitig hoch oder runter? Und wie ist es beschaffungsseitig? Gehen meine Logistikosten runter, weil den Logistikern das Geschäft wegbricht? Oder gehen sie hoch, weil die meisten Logistiker pleite sind, wenn niemand mehr alltägliche Gebrauchsgüter kauft?

Um diese (und andere) Fragen zu beantworten, benötigt das fragende Unternehmen die besagten 80 Prozent Zeit, Energie und Kompetenz. Nämlich für deren Recherche.

Die Zukunft macht Arbeit in der Gegenwart.

 

Diese Arbeit muss irgendwer machen. Idealerweise kein Manager: Das kostet zu viel Geld. Die Szenario-Recherche ist voll delegierbar. »Sekretärinnenarbeit«, wie das ein Manager mal etwas despektierlich nannte. Denn Recherche ist keine eigentliche Managementaufgabe. Googeln kann immerhin jede(r) halbwegs Gebildete. Eine typische Stabs-, Assistenten-, Referenten- oder Berateraufgabe. Idealerweise geschieht sie in einem interfunktionalen, kleinen Team mit drei bis fünf Mitgliedern. So ein Team aufzustellen, ist nicht das Problem.

Das Problem ist vielmehr: Wer bringt dem Team bei, im Futur zu denken?

Wir lernen, im Futur zu denken

Der Manager im Autobahnstau ist ein Paradebeispiel für Zukunftskompetenz. Die meisten seiner Kollegen denken nicht zukunftsgerecht auf der Autobahn. Sie denken linear, also zu einfach: »Wenn wir letztes Jahr 100 Millionen Umsatz gemacht haben, wie schaffen wir dieses Jahr 110?«

Extrapolation ist nicht dasselbe wie Antizipation!

 

Zukunftskompetenz bedeutet nicht alleine lediglich lineare Fortschreibung der Gegenwart. Wenn die Zukunft überwiegend die lineare Extrapolation der Vergangenheit wäre, dann könnten Sie die Zukunft jetzt sofort vergessen. Es gäbe sie schlicht nicht. Sie wäre lediglich eine lineare Verlängerung des Status quo. Doch das ist sie nicht und wird sie in unserer dynamischen, chaotischen, anarchischen und an Struktursprüngen reichen Zeit immer seltener sein. Der Fabricator zum Beispiel ist eine Nichtlinearität wie Tschernobyl oder Fukushima.

Zukunftskompetenz benötigt Mut und Kreativität. Kreativität, um das Ungewöhnliche zu denken. Mut, um das Unverständnis seiner Umwelt zu bewältigen.

 

Als Kollegen vom Manager auf der Autobahn hörten, dass er ein Fabricator-Szenario simulieren lässt, lachten sie. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er »out of the box« denkt und die lieben Kollegen noch im Gedankengefängnis ihrer überkommenen Sichtweise festsitzen – was für Manager peinlich ist. Noch peinlicher ist, wenn sie noch nicht einmal bemerken, dass sie in der Box festsitzen. Dafür merkt es jeder Zukunftskompetente: Menschen in der Box lachen immer. Wenn der erste Gebrauchsgüterhersteller wegen des Fabricators pleite macht, lacht keiner mehr.

Out of the box: Haben Sie den Mut, das bislang Ungedachte zu denken. Haben Sie den Mut, zu fragen: Was passiert, wenn …?

 

Kein Szenario ist a priori zu verrückt, um nicht zumindest einmal angedacht zu werden. Denken Sie immer an Ken Olsen, Ex-CEO der Digital Equipment Corporation. Er sagte: »Es gibt keinen Grund, weshalb in jedem Haushalt ein Computer stehen sollte.« Das war 1977. Würden Sie sagen, dass der gute Mann etwas fahrlässig ein Szenario verworfen hat? Erkennen Sie die Box, in der er feststeckte?

Spielen Sie gerade auch jene Szenarien durch, die Ihnen heute (noch!) absurd erscheinen.

 

Die Logik dahinter ist evident: Wenn das Szenario nie akut wird, haben Sie zumindest Ihre Zukunftskompetenz geschärft. Wird es real, sind Sie womöglich der Einzige auf weitem Feld, der darauf vorbereitet ist.

Ein zukunftskompetenter Manager wird niemals ein Szenario abtun oder lächerlich machen. Er wird es durchspielen, daraus lernen und zum nächsten Szenario übergehen.

 

Bei einer Fachkonferenz präsentierte ich einmal das Szenario »Space Logistics«: Wenn die Rohstoffe der Erde erschöpft sind, werden die Bodenschätze der erdnahen Asteroiden abgebaut und zur Erde geflogen. Die Wissenschaft nennt das »Interplanetares Supply Chain Management«. Die versammelten Topmanager der teilnehmenden mittelständischen Logistikunternehmen, die brav Obst und Bierkisten transportieren, lachten herzlich darüber: »Science Fiction«, sagte einer. Ein anderer lachte nicht. Als ihn die immer noch grinsenden Kollegen fragten, warum nicht, sagte er: »Mein Sohn arbeitet bei einem englischen Logistiker, der Richard Bransons ›Virgin Galactic‹ neulich für dessen Weltraum-Programm ein logistisches Vorangebot gemacht hat.«

Totenstille im Saal.

So still wird es immer, wenn gestandene Manager zum ersten Mal hautnah den Hauch der Zukunft spüren. In diesem Moment macht es klick. Der Groschen fiel. Von einer Sekunde auf die andere wurde ein ganzer Saal plötzlich zukunftsbewusst.

Die Zukunft kann bedrohlich oder verheißungsvoll sein. Das hängt davon ab, ob wir sie sehen (wollen). Die Wahl liegt bei uns.

Missverständnis Zukunft

Die meisten Menschen und Manager würden sich liebend gerne intensiver mit ihrer Zukunft auseinandersetzen, bloß: »In unserem turbulenten Umfeld können wir ja nicht einmal die nächste Woche zuverlässig vorhersagen!«, klagen viele Führungskräfte. »Wie sollen wir dann erst zehn Jahre in die Zukunft schauen?« Guter Einwand.

Das Problem mit diesem Einwand: Er hat logisch ein Loch. Hinter diesem Einwand steht nämlich die Logik: »Ich kann nicht eine Woche in die Zukunft schauen – also lasse ich es auch für die nächsten zehn Jahre bleiben.« Das wäre so, als ob ein Übergewichtiger sagen würde: »Fünf Kilo runter schaffe ich nächste Woche nicht – also schaffe ich es auch nicht bis zum Jahresende.« Der Vergleich hinkt. Es gilt umgekehrt:

Wer mal zehn Jahre vorausgedacht hat, tut sich auch mit der nächsten Woche sehr viel leichter.

 

In beiden Fällen ist das Ausschlaggebende die Zukunftskompetenz, genauer: die Arbeitstechnik. Wenn ich ein Zehn-Jahres-Szenario aufstellen kann, kann ich auch ein Ein-Wochen-Szenario aufstellen. Der Unterschied ist rein technisch betrachtet marginal. Das müssen Sie nicht glauben.

Probieren Sie’s lieber mal aus. Sie brauchen dafür weder Notebook noch Bleistift. Verkürzen Sie den Szenario-Horizont auf den morgigen Tag: Wenn er super läuft, wie läuft er dann? Wenn er mies läuft, wie läuft er dann? Und was passiert, wenn er so läuft, wie Tage im Schnitt eben so laufen? Solche Ein-Tag-im-Voraus-Szenarien fahren alle erfahrenen Manager regelmäßig am Vorabend, insbesondere vor wichtigen Ereignissen. Das läuft fast intuitiv ab.

Der Korsett-Irrtum

Immer wieder sagen mir Manager: »Eine Strategie über zehn Jahre? Macht für uns keinen Sinn, weil es unsere Flexibilität und Kreativität unnötig einschränkt!« Das ist doch völlig logisch! Oder nicht?

Gegenfrage: Haben Sie noch nie einen Plan umgeworfen? Natürlich! Nur heißt das nicht so im Management. Das heißt »Aktualisierung« oder »Update«. Aus diesem Grunde sagte General Patton:

»Der Plan ist nichts. Die Planung ist alles!«

 

Der Panzergeneral sagte auch:

»Kein Plan hat jemals das Zusammentreffen mit dem Feind überlebt!«

 

Wer glaubt, dass Planung ihn wie ein Korsett einschränkt, hat ein gefährliches Planungsverständnis im Kopf: »Wir machen einmal einen Plan und halten uns sklavisch daran – auch wenn die Welt sich zwischendurch um 180 Grad ändert!« Das ist keine Planung. Das ist Altersstarrsinn! Kein Mensch plant so – wenigstens nicht lange.

Deshalb sagte Patton, dass der Plan nichts, die Planung aber alles sei: Wer weit in die Zukunft plant, ist selbst dann viel besser auf die Zukunft vorbereitet als seine planlosen Zeitgenossen, wenn er seinen Plan vollständig revidieren muss. Denn er hat eines den Planlosen voraus: Er hat überhaupt einen Plan, von dem er abweichen kann. Er hat sich schon mal systematisch über die Zukunft Gedanken gemacht. Wer das nicht tut, verkleidet seinen planlosen, hektischen Aktivismus dann als Kreativität oder Flexibilität.

Leute mit Plan fahren immer besser – egal, ob der Plan zutrifft oder nicht.

Der Annahmen-Lapsus

Wir sind es nicht gewohnt, in der Zukunft zu denken. Niemand hat es uns beigebracht. Im Management-Training wurde es jahrzehntelang sträflich vernachlässigt. Das ändert sich gerade. Das Problem dabei ist: Die meisten Manager wissen das nicht. Sie sehen die Wissenslücke nicht. Sie denken, sie dächten korrekt. Dabei passieren ihnen schon beim privaten Kofferpacken Fehler, die sich im Business katastrophal auswirken. Ein Beispiel.

Sie: »Schatz, pack doch auch ein Buch mit ein!«

Er: »Och, nö du. Wir haben doch so viel zusammen vor!«

Was halten Sie davon? Die Szenario-Entfaltung ist logisch stringent: Wenn er und sie so viel vorhaben, dann bleibt keine Zeit für Lektüre. Die Logik ist wasserdicht – leider ist es ihre implizite Annahme nicht: Dass keine Zeit für Lektüre bleibt, setzt implizit voraus, dass beide sich im Urlaub nicht verkrachen, was aber oft passiert – und dann wäre er möglicherweise froh über ein Buch, in das er sich flüchten kann, während sie schmollt oder Shoppen geht. Vor allem, da sie mit der Aufforderung »Pack doch ein Buch ein« offensichtlich schon damit rechnet, im Urlaub auch mal allein unterwegs zu sein. Zugegeben, für ihn nicht unbedingt eine attraktive Aussicht. Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer:

Wenn Führungskräfte simulieren, legen sie dabei meist ganz unabsichtlich und unbewusst attraktive Annahmen zugrunde, die sich später als unhaltbar erweisen.

 

Beispiel Low Cost Country Sourcing. Die Annahme, dass es per se »billige« Länder gibt, entpuppt sich derzeit als so grotesk falsch, dass die Management-Gurus bereits den Modebegriff verschämt in der Mottenkiste haben verschwinden lassen. Es heißt jetzt »Best Cost Country Sourcing« – denn »low« sind die Kosten in Asien schon dann nicht mehr, wenn man die Ausgaben für Training und Schulung vor Ort einrechnet.

Eine andere attraktive Fehlannahme ist der technische Fortschritt. Viele Manager zum Beispiel nehmen an, dass die Fortschritte bei der Antriebstechnik den steigenden Ölpreis kompensieren werden. Wer sagt das? Und haben Sie auch ein Szenario für den Fall durchgespielt, dass der Fortschritt das nicht schafft?

Wenn Sie zukunftskompetent sind, kann Ihnen egal sein, wie die Zukunft tatsächlich aussieht – weil Sie für jedes denkbare Aussehen ein Szenario durchspielen und sich optimal vorbereitet haben.

Der Faultier-Effekt

Bleiben wir noch ein wenig beim Öl, das uns derzeit so viel Ärger macht. Es kursieren bereits Szenarien, die sagen: Spätestens bei einem Barrelpreis von 300 Dollar bricht die globale Versorgung der Menschheit zusammen, und es rentieren sich nur noch regionale Transporte. Auf Wissenschaftschinesisch: Die komparativen Lohnkostenvorteile der sogenannten Billigländer werden von den Transportkosten überkompensiert. Keine israelischen Orangen mehr auf dem Wuppertaler Frühstückstisch? Das empört den braven Bürger.

Die Empörung ist verfrüht, weil das Szenario schlampig recherchiert ist. Es gibt bereits jetzt Pkw kurz vor der Serienreife, die ganz ohne Benzin angetrieben werden und nicht die Welt kosten. Wenn diese sich durchsetzen, fällt der Ölpreis (bei gleichbleibender Produktion) an den Tankstellen ins Bodenlose – oder zumindest ins Vernünftige.

Das erste Gebot der Zukunftskompetenz: Immer gründlich recherchieren!

 

Wer gründlich recherchiert, begegnet nämlich oft dem

Bumerang-Effekt: Plötzlich kippt ein Sachverhalt ins Gegenteil.

 

Sie recherchieren zum Beispiel zehn Quellen lang, dass der steigende Ölpreis nur noch Regionalverkehr zulässt. Und dann entdecken Sie in der elften Quelle plötzlich einen fast serienreifen, ölfreien Antrieb – das Szenario kippt. Es kommt nur darauf an, lange genug zu recherchieren. »Wie lange ist lange genug?«, fragen die meisten Manager an dieser Stelle.

Normalfahrplan Recherche

Wenn Sie recherchieren lassen, führen Sie Ihre Rechercheure aktiv (damit diese Ihnen keine Recherchelöcher unterjubeln).

 

Stellen Sie Kontroll- und Plausibilitätsfragen: Was ist mit …? Haben Sie dafür auch eine gegenläufige Entwicklung gefunden? Existieren dafür mindestens zwei Quellen? Warum ist das so? Was sind die Ursache-­Wirkungszusammenhänge? Wie zwangsläufig ist das? Was spricht dagegen?

Wer so fragt, deckt Recherchelöcher recht schnell auf – und hilft seinen Rechercheuren damit.

Die Fische füttern

Übrigens: Wenn Sie auf diesen Seiten eine schematische Einführung in die Szenariotechnik erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Dies ist kein Lehrbuch. Führungskräfte lesen außerhalb von MBA-Kursen keine Lehrbücher. Sollten sie auch nicht. Dafür werden sie nicht bezahlt. Herr Müllermilch beherrscht sicher auch nicht alle Phasen des Pasteurisierungsprozesses bis hinunter in die Prozesssteuerung.

Kümmern Sie sich um die Millionen. Für die technischen Details haben Sie Ihre (in-/externen) Experten, Assistenten oder externen Dienstleister.

 

Es geht nicht darum, dass Sie die Szenariotechnik so gut beherrschen wie ein Szenarioexperte. Sie machen ihn damit arbeitslos und sich damit unglücklich – ganz zu schweigen von Ihrem Vorgesetzten. Das, was Sie hier lesen, reicht völlig aus für Ihre Führungsaufgabe und für das, worauf es ankommt. Es geht nämlich darum, was der Finanzvorstand eines Pharmaunternehmens mal »die Fische füttern« nannte:

Szenarien sollten so selbstverständlich zum Führungsalltag gehören wie das Fischefüttern für einen Aquarianer.

 

Ein Beispiel aus der Praxis. Auf einem Kongress lernte ich ein Vorstandsmitglied eines Industrieunternehmens kennen. 53 Jahre, gestandener Praktiker. Er hatte schon lange mit der Idee der Bildung einer »Future Group« in seinem Unternehmen gespielt. Jedoch: »Wir beherrschen die Technik nicht, und für intensive Beratung will ich kein Budget freimachen. Meine Leute sind doch alles Ingenieure! Szenariotechnik? Das kann ich denen nicht antun!« Ich gab ihm Auszüge aus dem Kapitel, das auch Sie vor Augen haben, in Rohfassung zum Querlesen. Danach rief er mich an: »Was? So einfach ist das? Warum hat mir das vorher keiner gesagt?« Weil viele Berater, Professoren und selbst ernannte Experten verständlicherweise wenig Interesse haben, ihr Fachgebiet, mit dem sie Geld verdienen wollen, als »einfach« zu bezeichnen.

Nachdem ich auf diese Weise seine Bedenken zerstreuen konnte, gründete er endlich seine Future Group. Er ließ sie erst mal Wetten auf bestimmte Entwicklungen abschließen. Die Leute gewannen Spaß an der strategischen Vorausschau. Natürlich begingen sie den einen oder anderen Anfängerfehler. Wir schickten ein kleines Team vorbei, um ihnen über diese Kinderkrankheiten hinwegzuhelfen. Heute werden die Fische regelmäßig gefüttert.

Der Vorstand erzählt: »Wann immer eine größere Entscheidung ansteht, entscheiden wir erst mal nicht. Wir sagen der Future Group: Spielt das einmal anhand verschiedener Szenarien durch. Für uns ist das so selbstverständlich geworden wie Fischefüttern: Das macht man einfach.

Ohne Simulation lassen wir bestimmte Vorlagen gar nicht mehr zur Entscheidung zu.«

Der Vorstand gibt manchmal einige Szenarien vor. Hat die Future Group die Szenarien durchgespielt, geht es erst an die Entscheidung. Die Aktion hat sich auch für den 53-Jährigen gelohnt. Er sagt: »Die Vorstandskollegen sind mir ja sowas von dankbar, dass wir endlich in Szenarien planen können.« So soll es sein.

Ärmel hoch: Packen Sie die Zukunft an!