Einführung
»Wenn ich noch eine Bestätigung gebraucht hätte, dann wusste ich nach dem 11. September mit Gewissheit, dass wir in einer neuen Welt leben: der Welt einer weltumspannenden kapitalistischen Wirtschaft, die flexibler, selbstorganisierter und wandlungsfähiger ist als noch vor einem Vierteljahrhundert.«
So beschreibt Alan Greenspan, der von 1987 bis 2006 der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve vorstand, seine Erkenntnis aus der gelungenen Rettung der Wirtschaft vor einer schweren Rezession infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001. Zum Zeitpunkt, an dem er diese Sätze in seinen Memoiren 2007 festhielt, ahnte er offenbar nicht, dass die Folgen dieser Rettungspolitik schon bald in die schwerste Weltwirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren führen würde.
Heute – rund ein Jahr nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers – sieht es jedoch so aus, als läge das Schlimmste bereits hinter uns. Die »Kernschmelze« des Finanzsystems wurde erfolgreich verhindert, das Vertrauen ist wiederhergestellt, und weil Wirtschaft zu weiten Teilen Psychologie ist, ist die Krise zu weiten Teilen gelöst, so die These der Optimisten aus Politik und Wirtschaft. Doch es ist ein trügerisches Gefühl, auf das wir uns da einlassen. Die Lehman-Pleite und der ihr folgende Vertrauensverlust waren nicht die Ursache für den weltweiten Wirtschaftseinbruch, sondern seine Folge. Ursache war eine Überschuldung von Verbrauchern, Unternehmen und Banken in vielen Teilen dieser Welt. Und diese Ursachen sind bisher in keiner Weise beseitigt worden. Im Gegenteil: In einem nie da gewesenen Umfang werden neue Schulden gemacht, um die Krise zu bekämpfen.
25 Jahre lang hatte sich die Weltwirtschaft fast ununterbrochen aufwärts entwickelt, bis im Sommer 2007 die Immobilienblase in den USA platzte. Diese in ihrer Länge beispiellose Wachstumsphase war begleitet von einem enormen Zuwachs des Wohlstandes in der Welt. Wir haben das in Deutschland nicht so wahrgenommen, weil wir aufgrund struktureller Probleme in dieser gesamten Zeit nie mehr Vollbeschäftigung erreichten. Doch es ist unbestreitbar, dass die mit dem Weltwirtschaftswachstum einhergehende Globalisierung enorme Wohlstandsgewinne brachte. Die Produktion in Billiglohnländern, gepaart mit dem technischen Fortschritt, sorgte dafür, dass viele Produkte günstiger oder zumindest nicht teurer wurden, während Qualität und Funktionalität rasant stiegen. Nichts macht diesen Umstand deutlicher als der Vergleich des Sony Walkman aus den 1980er-Jahren mit einem heutigen iPod von Apple. Doch wir nahmen diesen immer schnelleren Zuwachs an Lebensqualität nicht als außergewöhnlich wahr, sondern als den normalen Lauf der Dinge. Im Gegenteil, viele empfanden die Globalisierung eher als Bedrohung für unsere Umwelt oder für den eigenen Arbeitsplatz. Es kann auch nicht bestritten werden, dass die Reallöhne für Arbeiter, aber auch für die Mittelschicht aufgrund des weltweiten Wettbewerbs nicht mehr zulegten wie zu früheren Zeiten und dass die Anforderungen im Arbeitsleben immer höher wurden. Wer gut ausgebildet war und nicht zur wachsenden sozial schwachen Schicht gehörte, der fand aber auch hierzulande schnell wieder einen neuen Job, wenn er ihn überhaupt einmal verlor, und dem ging es objektiv betrachtet immer besser. Gerade meine Generation zog früher in das eigene Haus, fuhr größere und neuere Autos und flog zu immer weiter entfernten Zielen in den Urlaub als noch die Generationen davor.
Der zuvor beschriebene Aufschwung war jedoch begleitet von einem Umstand, für den in der Bevölkerung noch viel weniger Bewusstsein herrscht als für den in seiner Länge und Geschwindigkeit außergewöhnlichen Aufschwung selbst. Von Beginn an war das Wachstum begleitet von einem überproportionalen Anstieg der Verschuldung. Gemessen an der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt, den USA, stieg die Gesamtverschuldung von Staat, Unternehmen, Banken und Privathaushalten seit 1980 von 160 Prozent des Bruttoinlandproduktes auf mittlerweile 373 Prozent – ein nie da gewesener Rekord. Auch in Europa sieht es nicht anders aus. Die Geldmenge M3 als Spiegelbild der Verschuldung wuchs seit Einführung des Euro mehr als zweieinhalb Mal so schnell wie die Wirtschaftsleistung. Immer stärker teilte sich die Welt in Gläubiger und Schuldner. Grundsolide Unternehmen luden sich mit Milliardenschulden voll, um Konkurrenten zu schlucken, und in vielen Ländern konsumierten die Bürger auf Kredit. Auf der einen Seite die Amerikaner, die jahrelang mehr Werte verbrauchten und bis heute verbrauchen, als sie schufen, und auf der anderen Seite exemplarisch die Chinesen, die permanent mehr Werte produzieren, als sie konsumieren. Das funktionierte deshalb so gut, weil alle davon profitierten. Auch der chinesische Wanderarbeiter – mögen uns seine Arbeitsbedingungen auch als unwürdig erscheinen – entkam durch den auf Pump finanzierten Konsum der US-Bürger dem kargen Leben in der Landwirtschaft und steigerte seinen Wohlstand.
Geld war nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern wurde zum Selbstzweck. Nicht Maschinen und Fabriken waren die Produktionsmittel, wie Karl Marx es einst beschrieb, sondern Geld an sich. Weil die Geldmenge so viel schneller expandierte als die Realwirtschaft, wurde Geld vor allem mit Geld verdient und nicht mehr mit der Entwicklung und Produktion von Gebrauchs- oder Investitionsgütern, wo die weltweite Konkurrenz für permanenten Druck auf die Gewinnmargen sorgte. Auf Kredit kaufen und teurer wieder verkaufen war das Konzept, und weil das Geld durch die immer weiter sinkenden Zinsen immer günstiger wurde, fand sich auch immer ein noch Dümmerer, der bereit war, einen höheren Preis zu bezahlen. Wer im Geldgeschäft war, verdiente mehr als alle anderen. Eine ungute Werteverschiebung hin zu immer kurzfristigerem Profitdenken und gigantische Blasen an den Finanzmärkten waren die Folge.
Mittlerweile sind die Blasen an Aktien- und Immobilienmärkten geplatzt. Die mit den immer neuen Schulden hochgetriebenen Preise für Vermögenswerte haben sich zu großen Teilen verflüchtigt, die Schulden aber sind noch immer da. Die Privatwirtschaft und ihre Bürger sind dadurch zwangsläufig in den Entschuldungsprozess eingetreten. Die Staaten und ihre Notenbanken rund um den Globus versuchen, die wegfallende Nachfrage durch kreditfinanzierte Konjunkturprogramme in astronomischem Ausmaß zu kompensieren. Das Ergebnis ist fraglos eine Stabilisierung der Konjunktur, jedoch um den Preis einer noch schneller als bisher wachsenden Weltverschuldung. Die Angst vor einem Staatsbankrot der USA macht bereits die Runde. Doch diese ist gänzlich unberechtigt. Denn ein Staat, der sich in seiner eigenen Währung verschuldet, kann nicht pleitegehen. Er druckt schließlich das Geld, in dem er sich verschuldet. Selbst wenn aufgrund der aktuellen Kontraktion der Weltwirtschaft davon noch nichts zu sehen ist, Inflation wird irgendwann nicht nur unausweichliche Folge dieser Politik sein, sondern auch politische Notwendigkeit. Die Konjunkturprogramme lösen das Verschuldungsproblem nicht, sondern verschieben es in die Zukunft – um den Preis, dass es nur noch größer wird. Irgendwann aber werden diese Schulden wieder abgebaut werden müssen. Und da die Leitzinsen in den alten Industrieländern bei annähernd null angekommen sind und daher nicht mehr weiter gesenkt werden können, wird dieser Zeitpunkt nicht in allzu weiter Ferne liegen.
Grundsätzlich gibt es nur zwei Wege der Entschuldung. Der erste ist die große Pleitewelle mit einer Abschreibung der Kredite. Lang anhaltende Rezession, Deflation und Massenarbeitslosigkeit wären – wie in den 1930er-Jahren erlebt – die Folge. Der andere ist die Inflation, in der die Schulden zwar nominal erhalten bleiben und auch zurückgezahlt werden, sich real jedoch entwerten. Regierungen und Notenbanken rund um den Globus lassen mit ihrer aktuellen Politik keinerlei Zweifel daran, dass sie letzteren Weg beschreiten wollen. Für die Gläubiger, zu denen auch viele Millionen von Anlegern durch verschiedenste Sparformen gehören, bahnt sich eine Katastrophe an. Denn natürlich werden mit den Schulden auch die ihnen gegenüberstehenden Vermögen entwertet.
Doch um jegliche Missverständnisse zu vermeiden, verehrte Leserinnen und Leser, möchte ich eines von vornherein klarstellen. Sie halten nicht das Buch eines Globalisierungs- oder gar Kapitalismusgegners in den Händen und es ist auch keine Anklageschrift. Ich stoße nicht in das Horn jener, die den Ex-Notenbankchef Alan Greenspan für den Ursprung allen Übels halten. Auch spreche ich nicht von Hyperinflation oder Währungsreform – aber von einer Inflation, die ausreichen wird, die heutige Sparergeneration nachhaltig zu prägen und zu erschüttern. Diese erste Erbengeneration seit dem Krieg wird plötzlich erkennen, dass das Erbe einen großen Teil seines Wertes verloren hat. Und wer sich wohlweislich nicht allein auf die staatliche Rente verlassen, sondern auch in Riester- und Rürup-Rente angespart hat, wird sich doch mit Altersarmut konfrontiert sehen.
Doch es gibt – und das ist der Lichtblick im sonst sehr bedrückenden Zukunftsszenario – durchaus die Möglichkeit, sich vor der Inflation zu schützen, ja sogar davon zu profitieren. Die Entwicklung unseres eigenen Lebensstandards wird zukünftig nicht mehr nur von der beruflichen Karriere, sondern zu einem großen Teil von unserem Anlageverhalten bestimmt sein. Wer bereit ist, dieses zu ändern und sich um sein Vermögen zu kümmern, kann weiterhin ohne Angst in die Zukunft blicken.
Stefan Riße
Frankfurt im November 2009