Winfried Berner
Bleiben oder gehen?
Ihre persönliche Erfolgsstrategie bei Fusionen, Übernahmen und Umstrukturierungen
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1. Auflage 2011
© 2011 by Redline Verlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München,
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Redaktion: Jana Stahl, Heidelberg
Umschlaggestaltung: Thomas Uhlig, www.coverdesign.net
Umschlagabbildung: Bildcollage unter Verwendung eines Fotos von © Michaelfair/Dreamstime.com
Satz: HJR, Jürgen Echter, Landsberg am Lech
EPUB-Produktion: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN 978-3-86414-222-2
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Eine Gebrauchsanweisung
1. Eigene und fremde emotionale Turbulenzen – und wie Sie mit ihnen zurechtkommen
Der Sog der allgemeinen Stimmung – und weshalb Sie sich ihm entziehen sollten
Eine kleine Massenpsychologie der Fusion oder: Was kommt auf Sie zu?
Umgang mit eigenen emotionalen Turbulenzen
2. Haben Sie überhaupt ein Problem?
Wie stark ist Ihr Bereich betroffen?
Weshalb Sie die Business-Logik der Fusion verstehen müssen
Erkennen Sie die Fusionsstrategie
Die Spielregeln der Stellenbesetzung
Wie professionell ist das Fusionsmanagement?
3. Prüfen und wahren Sie Ihre Chancen
Fusionen als Chance zum erfolgreichen Absprung
Fusionen als Aufstiegschance
Entscheiden setzt Handlungsalternativen voraus
Sie haben keine Eile
4. Was ist Ihnen wichtig im (Berufs-)Leben?
Weshalb Sie Ihre Ziele kennen sollten
Wie Sie Ihre Ziele und Lebensprioritäten besser kennenlernen
Analysieren Sie Ihren Werdegang
Die »Negativ-Liste«: Klären Sie, was Sie nicht wollen
Analysieren Sie Stellenanzeigen
Finden Sie Ihre(n) Karriereanker
Entwickeln Sie eine Vision in eigener Sache
5. So managen Sie Ihren Marktwert
Eine Marketing-Strategie in eigener Sache
Weshalb Sie Ihren Marktwert kennen müssen
Welchen Nutzen haben Sie für das Unternehmen?
Entwickeln Sie eine Marketing-Strategie in eigener Sache
Wie Sie mit weiterem Klärungsbedarf umgehen
6. Die interne Option: Wie beeinflussen Sie Ihre Chancen zu bleiben?
Ihre zweite Chance
Verstehen Sie die Spielregeln der Stellenbesetzung!
So bereiten Sie sich auf ein Auswahlverfahren vor
Tipps für das Auswahlverfahren selbst
Management Audit/Management Appraisal
7. Wie Sie die externe Option optimal verfolgen
So entwickeln Sie eine Suchstrategie
Zusammenarbeit mit Personalberatern (»Headhuntern«)
Bewerbungen auf eigene Faust
Keine voreilige Entscheidung zur Selbstständigkeit
8. Die Entscheidung
Wenn Sie mehrere Optionen haben
Wenn Sie nur eine Wahl haben
Ein paar Entscheidungshilfen
9. Die Konditionen Ihres Ausscheidens
Rechtliche Regelungen, die Sie kennen sollten
So verhandeln Sie einen guten Aufhebungsvertrag
Outplacement – eine interessante Option?
Wenn Sie von sich aus gehen wollen
Einen guten Abgang machen
Literaturhinweise
Website
Gehören Sie zu den Menschen, die keine Gebrauchsanweisungen lesen? Machen Sie in diesem Fall eine Ausnahme – es hilft Ihnen, Zeit zu sparen und schnell zu den für Sie wichtigsten Abschnitten dieses Buchs vorzustoßen.
Je nachdem, in welcher Phase der Fusion, Übernahme oder Umstrukturierung Sie mit der Lektüre dieses Buchs begonnen haben, treffen wir uns in sehr unterschiedlichen Phasen Ihres Klärungs- und Entscheidungsprozesses:
Je nachdem, in welcher Situation Sie sind, stehen Sie vor völlig unterschiedlichen Fragen, Problemen und Handlungsnotwendigkeiten. Es ist nicht nur möglich, sondern ausgesprochen sinnvoll, dieses Buch ganz gezielt so zu nutzen, dass es Ihnen rasch bei der Beantwortung Ihrer dringendsten Fragen hilft.
Für Typ A sind vor allem die Kapitel 4 (»Was ist Ihnen wichtig im (Berufs-)Leben?«), 5 (»So managen Sie Ihren Marktwert«) und 7 (»Wie Sie die externe Option optimal verfolgen«) wichtig.
Typ B sollte schleunigst mit Kapitel 9 (»Die Konditionen Ihres Ausscheidens«) beginnen und danach die gleichen Abschnitte wie Typ A durcharbeiten.
Für Typ C sind die dringendsten Themen in Kapitel 6 (»Die interne Option: So beeinflussen Sie Ihre Chance zu bleiben«) abgehandelt. Wir wollen nicht hoffen, dass Sie danach mit Kapitel 9 weitermachen müssen. In jedem Fall ist es aber sinnvoll, dass Sie danach die Kapitel lesen, die wir auch Typ A empfohlen haben.
Nur für Typ D ist es sinnvoll, tatsächlich mit Kapitel 1 anzufangen und dann Kapitel für Kapitel das ganze Buch durchzulesen. Denn für Sie geht es nicht darum, sich ganz gezielt auf eine schwierige Situation vorzubereiten – für Sie, der Sie den ganzen Prozess der Post-Merger-Integration oder Restrukturierung noch vor sich haben, ist es wichtig, sich einen Überblick zu verschaffen und die Zusammenhänge zu verstehen.
Von der Stunde an, wo erste Gerüchte über eine bevorstehende Fusion, Übernahme oder Umstrukturierung durch das Haus wehen, ist nichts mehr, wie es war. Über allen Planungen, Entscheidungen und Aktivitäten schwebt ein großes Fragezeichen. Die Investition in die Entwicklung neuer Produkte liegt ebenso auf Eis wie Nachfolgeplanungen und Karrierezusagen. Was gestern noch sicher war, ist heute völlig ungewiss; die mittelfristige Planungssicherheit geht gegen null, sowohl im geschäftlichen Bereich als auch in Bezug auf die eigene Person.
Angesichts dieser plötzlichen Ungewissheit müssen Sie auf emotionale Turbulenzen gefasst sein, sowohl bei sich selbst als auch bei Ihren Mitarbeitern, Vorgesetzten (!) und Kollegen. Auch für Menschen, die normalerweise gute Nerven haben, ist schwer zu verkraften, dass auf einmal alles infrage gestellt ist. Bis hinauf in den Vorstand ist den meisten Führungskräften nicht klar, wie es weitergeht und was aus ihnen selbst wird. Am ehesten wissen es noch diejenigen, die an der Vorbereitung des Deals beteiligt waren, doch selbst da kann es Überraschungen geben.
Vermutlich werden von oben eher beruhigende Signale kommen, etwa in dieser Art: »Wir arbeiten erst einmal ganz normal und im Rahmen der bestehenden Planungen weiter wie bisher! Denn durch nichts können wir besser überzeugen als durch eine gute Performance!« Obwohl das im Prinzip richtig ist, gelten solche Aussagen nur »bis auf Weiteres«. Und sie lassen die für den einzelnen wichtigste Frage, nämlich, was aus ihm persönlich wird, unbeantwortet – nicht aus Boshaftigkeit, sondern in Ermangelung besseren Wissens. (Wobei es die Oberen ohne Zweifel leichter haben, zur Gelassenheit aufzurufen, wird ihnen doch im Zweifelsfall ein »goldener Fallschirm« eine weiche Landung bescheren.)
Emotionen sind ansteckend. Es ist nicht leicht, mitten in einem aufgeregten bis panischen Umfeld einen klaren Kopf zu bewahren. Versuchen Sie es trotzdem. Bemühen Sie sich, nachdem Sie den ersten Schreck verdaut haben, innerlich einen Schritt zurückzutreten und die Situation nüchtern zu analysieren.
Machen Sie sich dazu klar, dass allgemeine Aufregung durchaus kein Beweis dafür ist, dass etwas Furchtbares geschehen wird – ebenso wenig wie allgemeine Gelassenheit beweist, dass keine Gefahr besteht. Aufregung und Angst – gleich ob Ihre eigene oder die Ihrer Kollegen – sind eine Information darüber, ob sich Menschen Sorgen machen, aber kein Beweis dafür, dass diese Sorgen berechtigt sind. Es gibt unbegründete Sorgen ebenso wie unbegründete Sorglosigkeit. Beide bergen die Gefahr, Sie zu falschem Handeln zu veranlassen.
Trennen Sie deshalb scharf zwischen Stimmungen und Realität: Ob es tatsächlich Grund zur Beunruhigung – und damit zum Handeln – gibt, können Sie nicht an der Stimmung im Haus erkennen, sondern nur durch eine genaue Analyse der Situation und der verfügbaren Fakten, wie wir sie im zweiten Kapitel vornehmen werden.
Obwohl es Ihnen scheinen wird, als ob die emotionale Dynamik einer Fusion oder Übernahme völlig aus der aktuellen Situation entstanden und einmalig wäre, folgt sie festen Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Damit wird sie für erfahrene Beobachter in gewissen Grenzen vorhersehbar. Profitieren Sie von diesen Erkenntnissen. Zwar gilt der folgende Ablauf nicht mit der Strenge eines naturwissenschaftlichen Gesetzes; dennoch wird er Ihnen helfen, sich ein Bild davon zu machen, was auf Sie zukommt, und sich dem Sog der allgemeinen Stimmung wenigstens ein Stück weit zu entziehen.
Phase 1: Aufregung
Wie eingangs beschrieben, löst die Ankündigung beziehungsweise das Durchsickern einer bevorstehenden Fusion, Übernahme oder Umstrukturierung große Beunruhigung aus. Das gilt auch in Unternehmen, die schon Erfahrung mit solchen Vorgängen haben, einfach weil die persönliche und geschäftliche Ungewissheit von Neuem beginnt. Unter Umständen kommt hier ein Schuss Überdruss hinzu: »Bitte nicht schon wieder! Ist dem Vorstand denn nicht klar, dass das Unternehmen die letzte Fusion noch längst nicht verdaut hat?!«
Bei großen Fusionen fallen in diese Phase möglicherweise heftige Protestaktionen des Betriebsrats, der Gewerkschaften oder anderer Interessengruppen. Auch eine Abwehrschlacht im Falle einer drohenden feindlichen Übernahme kann die Situation weiter emotionalisieren. Unter Umständen so sehr, dass die folgende Phase übersprungen wird, weil ein Verdrängen oder Verleugnen dann kaum noch möglich ist.
Phase 2: Verdrängung/Verleugnung
Die Unruhe hält eine Weile an, doch wenn nichts Entscheidendes geschieht, flaut sie allmählich wieder ab. Vor allem bei Großfusionen vergeht zwischen der Ankündigung und den ersten Umsetzungsschritten oftmals viel Zeit, weil die Zustimmung von Aufsichtsgremien und Kartellbehörden abgewartet werden muss. Daher tritt nach einigen Wochen der Aufregung oftmals eine Ruhephase ein. Sie ist für das Management immer wieder irritierend: »Man hört überhaupt nichts«, wunderte sich eine Personalchefin. »Ich frage mich, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist!«
Für das Unternehmen ist es insofern eher eine gute Nachricht, als das Geschäft so noch für ein paar Wochen oder Monate ohne große Beeinträchtigungen weiterläuft. Zugleich ist es aber die Ruhe vor dem Sturm, der dann losbricht, wenn die ersten konkreten Umsetzungsschritte eingeleitet werden.
Die Mitarbeiter hingegen verlieren in dieser Phase, in der sie den Kopf entschlossen in den Sand stecken, wertvolle Zeit. Ein guter Teil der Panik und der zuweilen überstürzten Entscheidungen der »kritischen Wochen« (Phase 3 und 4) kommt zustande, weil selbst obere Führungskräfte in dieser Phase wertvolle Vorbereitungs- und Orientierungszeit vertrödeln.
Lassen Sie sich deshalb von der trügerischen Ruhe nach der ersten Aufregung nicht einlullen, sondern nutzen Sie die Zeit für Recherchen, eine saubere Analyse der Situation und die Entwicklung Ihrer eigenen Strategie, wie sie in den Kapiteln 2 bis 5 beschrieben wird.
Phase 3: Angst und Auseinandersetzung
Die trügerische Ruhe der Verdrängung wird jäh durchbrochen durch den Start der Umsetzung. Die perplexen Mitarbeiter werden in kurzer Folge mit Informationen und Fakten zum weiteren Vorgehen und den nächsten Umsetzungsschritten überrascht. Typischerweise beruft der Betriebsrat dann eilends eine Versammlung ein, in der er mit beißender Polemik und kühnen Forderungen seine eigene Ratlosigkeit und Angst zu verbergen sucht.
Jetzt wachen auch diejenigen Mitarbeiter und Führungskräfte auf, die sich noch an die Hoffnung geklammert hatten, dass alles nur ein böser Traum war. Vielen wird mit Entsetzen klar, dass sie auf die bevorstehenden Veränderungen sehr schlecht vorbereitet sind. Sie bemerken, dass sie trotz aller Warnsignale gehandelt haben, als sei ihr Gehalt langfristig gesichert, und dass sie weder nennenswerte Rücklagen aufgebaut haben noch Einkommensalternativen. Damit sind sie der Situation auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Nachvollziehbar, wenn nun bei vielen Panik aufsteigt.
Je nach Naturell reagieren die einen darauf mit hektischer Betriebsamkeit, als könnten sie in ein paar Wochen das jahrelang Vernachlässigte gutmachen. Andere verfallen in völlige Lethargie und hoffen, dass das Schicksal sie vielleicht übersieht, wenn sie sich nur tief genug ducken.
Phase 4: Entscheidungen
In diesem hektischen Klima fallen Entscheidungen, sowohl vonseiten des Unternehmens wie vonseiten der Mitarbeiter. Das Unternehmen trifft Schritt für Schritt seine Festlegungen; die Mitarbeiter entscheiden jeweils einzeln über ihr eigenes Leben. (Wobei auch Abwarten und Hoffen eine Entscheidung ist, wenn auch keine besonders dynamische.)
Von Unternehmensseite werden zunächst die oberen Führungspositionen besetzt, dann die nachgeordneten Ebenen. Je nach Größe des Unternehmens und gewählter Fusionsstrategie (siehe Kapitel 2) kann das in ein paar Tagen erledigt sein, sich aber auch über mehrere Monate erstrecken. Sofern die Fusion mit Personalabbau verbunden ist, ist hier – wenigstens bei Fusionen, für die deutsches Recht gilt – der Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans mit dem Betriebsrat erforderlich. Was erheblichen Einfluss sowohl auf die Dauer des Verfahrens als auch auf dessen Ergebnisse hat. Denn dann entscheidet nicht das Unternehmen, welche Mitarbeiter entlassen werden, sondern dies richtet sich nach den festgelegten Kriterien der Sozialauswahl. Sie benachteiligt in aller Regel jüngere und alleinstehende Mitarbeiter mit relativ kurzer Unternehmenszugehörigkeit (siehe Abschnitt 9.1).
Während auf diese Weise Zeit verstreicht, sitzen die potenziell Betroffenen wie auf Kohlen. Das Gefühl, den Entscheidungen anderer ausgeliefert und nicht mehr Herr des eigenen Schicksals zu sein, ist schwer zu ertragen. Um wieder Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen, werden manche von sich aus aktiv; andere greifen kurz entschlossen zu, wenn sie Angebote von Headhuntern, privaten Arbeitsvermittlern, Zeitarbeitsfirmen oder sonst jemand erhalten – selbst wenn sie sich dabei unter Wert verkaufen oder nur ein Risiko gegen ein anderes tauschen.
Es liegt auf der Hand, dass individuelle und Unternehmensentscheidungen nicht immer zusammenpassen. Manche Mitarbeiter und Führungskräfte würden gerne bleiben, fallen aber durch das Sieb der Sozialauswahl oder werden nicht für eine obere Führungsposition nominiert. Andere entschließen sich zu gehen, obwohl das Unternehmen sie gerne gehalten hätte. Infolgedessen braucht es manchmal mehrere Runden, bis sich alles »zurechtgeruckelt« hat.
Dabei kommt es immer wieder zu Situationen, bei denen die Betroffenen nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen – etwa, wenn eine bereits ausgesprochene Kündigung wieder zurückgenommen wird, weil jemand den Platz eines Kollegen, der von sich aus gekündigt hat, übernehmen kann und soll. Solche Erfahrungen können ein tiefer Einschnitt für die Betroffenen sein, der ihre Einstellung zum Unternehmen dauerhaft prägt.
Phase 5: Neue Normalität
Aber irgendwann sind dann doch alle Entscheidungen getroffen und (fast) alle Positionen besetzt. Nun könnte das neue Unternehmen also endlich zu arbeiten beginnen. Könnte – wenn nicht erstens den Mitarbeitern die frischen Erfahrungen noch in den Knochen stecken würden und wenn nicht zweitens zwei mehr oder weniger unterschiedliche Kulturen aufeinanderträfen. In manchen Fällen gelingt dieses Zusammenwachsen – manchmal mit, manchmal ohne professionelle Unterstützung – erstaunlich reibungslos. In anderen Fällen sind noch Jahre nach der Fusion oder Übernahme tiefe Gräben zwischen den beiden Altunternehmen spürbar.
So im Falle eines Großunternehmens, in dem einem noch fünf Jahre nach der Fusion jeder Gesprächspartner innerhalb der ersten Viertelstunde unaufgefordert mitteilte, aus welchem der beiden Ursprungsunternehmen er stammte. Unter der Oberfläche des neuen Corporate Design bestand eine tiefe Spaltung in »Wir« und »Die«. Vor allem in den zahlreichen Abteilungen, die »unvermischt« geblieben waren, hatten sich die Altkulturen und ihre deutliche Abgrenzung gegenüber »den anderen« erhalten. Auch beim Reden über andere Personen war deren »Herkunft« oftmals ein wichtiges Bewertungskriterium.
Lange Nachwirkungen hat auch, wie fair und menschlich Personalabbau und Stellenbesetzungen realisiert wurden. Je mehr es dort zu Enttäuschungen und persönlichen Verletzungen kam, beispielsweise durch einen aus Sicht der Betroffenen unfairen Prozess oder auch nur durch nachlässige Kommunikation, desto angeknackster ist meist auch das Vertrauen in die Geschäftsleitung und die Loyalität zum Unternehmen.
Trotz alledem entsteht aus all diesen Einflüssen so etwas wie eine »neue Normalität«. Innerhalb einiger Monate stabilisieren sich die Verhältnisse und werden – mit allen Licht- und Schattenseiten – zur Grundlage der neuen Kultur des fusionierten Unternehmens.
Phase 6: Nachbeben
Bei größeren Fusionen gelingt es selten im ersten Anlauf, alle Strukturen und Stellenzahlen genau richtig zuzuschneiden. Fast immer kommt es daher in den Monaten und Jahren nach der Fusion zu vereinzelten »Nachbeben«, in denen Fehler korrigiert und Anpassungen vorgenommen werden. Diese Nachbeben fallen umso heftiger aus, je mehr bei der Fusionsstrategie auf Harmonie oder Konfliktvermeidung Wert gelegt wurde (siehe Kapitel 2.3 »Fusionsstrategie«). Insbesondere der Abbau weiterer Stellen und die Auflösung von Abteilungen werden zur Belastungsprobe.
Deshalb ist es zwar unangenehm, aber vergleichsweise harmlos, wenn bei der Stellenberechnung zu knapp kalkuliert wurde. Wenn am grünen Tisch mehr Synergien beschlossen wurden als die Realität einzuräumen bereit war, wird die Arbeit für eine Weile ziemlich stressig, weil die Kapazitäten hinten und vorne nicht ausreichen. Doch auf die Dauer bleibt der Geschäftsleitung, wenn sie das Geschäft nicht vor die Wand fahren will, kaum eine andere Wahl als zusätzliche Stellen zu genehmigen.
Sehr viel brisanter ist die Situation, wenn bei der Fusion zu sehr versucht wurde, Ärger und Konflikte zu vermeiden. Dann zeigt sich nach kurzer Zeit der Pferdefuß der anfänglichen Erleichterung: Die Synergieeffekte, um derentwillen die Fusion veranstaltet wurde, bleiben aus. Also ist abzusehen, dass früher oder später weitere Einschnitte kommen werden. Die Furcht vor einem großen »Nachbeben« wirkt auf die Betroffenen natürlich alles andere als beruhigend. Sie vergiftet das Klima und lähmt die Sacharbeit, weil jeder vor allem daran interessiert ist, sich in eine günstige Position für die bevorstehenden Umstrukturierungen zu bringen, und die anderen belauert, die das Gleiche tun.
Fallbeispiel: Mit 53 wieder in einer Bewerbungssituation
Herr Dr. Ing war Anfang 50 und nicht in allerbester Verfassung. Vor einem guten Jahr hatte er sein 25-jähriges Betriebsjubiläum gefeiert; in dieser Zeit hatte er sich vom jungen Entwicklungsingenieur zum hoch geachteten Leiter einer Produktsparte mit 1.800 Beschäftigten an drei Standorten hochgearbeitet. Ebenso wie seine Kollegen hatte er damit gerechnet, dass er in dieser Funktion auch sein 35-jähriges Dienstjubiläum feiern und sich einige Jahre später zurückziehen werde. Doch seit vor ein paar Monaten die Fusion des Unternehmens mit einem ausländischen Wettbewerber angekündigt worden war und kürzlich der Management Appointment Process vorgestellt wurde, schien es, als habe man unter all dem, was er sich in seinem langen Berufsleben aufgebaut hatte, plötzlich den Teppich weggezogen.
Der Prozess sah vor, dass jeder Kandidat für eine obere Management-Position drei Interviews mit den bereits nominierten Mitgliedern des Top-Managements haben sollte. Auf dieser Basis sollten die Positionsbesetzungen vorgenommen werden. Eine Berücksichtigung der in der Vergangenheit erbrachten Leistungen war nicht vorgesehen, weil, so die offizielle Begründung, die Beurteilungssysteme zu unterschiedlich waren und keine Vergleichbarkeit der Daten herzustellen sei.
Herrn Dr. Ing wurde schlecht bei dieser Vorstellung. Was er in 26 Jahren für das Unternehmen geleistet hatte, war plötzlich nicht mal mehr so viel wert, dass man sich die Mühe machte, es in die Betrachtung einzubeziehen. Stattdessen sollte seine »Leistung« in drei läppischen Interviews über seine Zukunft entscheiden. Drei Stunden gegen 26 Jahre – was für eine Absurdität! Jeder mittelmäßige Blender würde in diesem Verfahren bessere Chancen haben als er, der nun mal kein Mann großer Worte, sondern ein Macher war. Auch in der Vergangenheit, so erzählte er mit unterdrückter Panik in der Stimme, hatte es oft einige Zeit gedauert, bis er Geschäftsleitung und Kollegen durch Leistung überzeugen konnte. Sein Problem sei eben, dass er sich nicht so gut verkaufen könne wie so mancher, der hinterher außer Wind nicht viel zustande brächte.
An drei Gesprächen zu je einer Stunde sollte nun sein ganzes weiteres Leben hängen! Noch dazu würden zwei davon auf Englisch stattfinden, was für ihn immer ein Auswärtsspiel geblieben war: »Da kann man doch die ganzen Zwischentöne und Feinheiten nicht rüberbringen«, meinte er, »da geht alles Wesentliche verloren!« Herr Dr. Ing sah sich schon zu Hause am Frühstückstisch sitzen und bis 11 Uhr Zeitung lesen, bevor er aufbrach, um am Wochenendhaus ein paar Reparaturen zu machen (und seiner Frau nicht zu sehr auf die Nerven zu fallen). Ausgemustert – und das mit Anfang 50!
Mit ein paar Kollegen, die ähnlich empfanden wie er, war er sich schnell einig, dass der ganze Auswahlprozess ungerecht, unwürdig und im Grunde nicht ernst zu nehmen sei. Gemeinsam redeten sie sich in eine halb trotzige, halb wurstige Abwehrhaltung hinein. Wenn der Vorstand solch eine läppische Vorgehensweise festgelegt habe, so spekulierten sie, seien die meisten Entscheidungen wohl in Wirklichkeit längst gefallen, und der Auswahlprozess finde nur noch pro forma statt. Hingehen müsse man wohl zu diesen Interviews, aber man werde sich weder herumschubsen lassen noch sich anbiedern wie ein Berufsanfänger.
Herr Dr. Ing erschrak zutiefst, als er damit konfrontiert wurde, dass er und seine Kollegen gerade aktiv daran arbeiteten, sich selbst um ihre Chancen zu bringen. Sie waren dabei, eine extreme Negativ-Programmierung aufzubauen. Wenn sie mit dieser Mischung aus Wut, Wurstigkeit und unterdrückter Panik in die Interviews hineingehen würden, dann hätten sie beste Chancen, mit ihren Befürchtungen recht zu behalten.
Existenzielle Panik
Doch die Reaktionen von Herrn Dr. Ing sind durchaus typisch, gerade für ältere Führungskräfte[1] – und durchaus verständlich. Denn leider ist die Angst, dass das eigene Berufsleben ein ziemlich abruptes Ende nehmen könnte, nicht ganz unberechtigt. »50 ist die magische Grenze«, sagen viele Headhunter, außer für absolute Top-Positionen. Natürlich gibt es Ausnahmen, beispielsweise wenn in einem Familienunternehmen ein Interims-Manager für ein paar Jahre gesucht wird, bis ein Sprössling der Familie weit genug ist, um in diese Position aufrücken zu können. (Und in ein paar Jahren kann viel passieren.) Auch für Manager jenseits der magischen 50 gibt es Chancen und Strategien, eine neue Beschäftigung zu finden. Dennoch muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass der Markt für 55-Jährige enger ist als der für 45-Jährige. Was zwar nicht fair ist, aber wahr.
Gerade weil die Situation älterer Führungskräfte prekärer ist als die von Mittdreißigern oder Mittvierzigern, ist es wichtig, dass Sie Ihre Chancen in dem internen Auswahlverfahren nicht leichtfertig zunichtemachen. Auch dann nicht, wenn Sie die Prozedur als unfair, bedrohlich, kränkend oder gar als unwürdig empfinden.
Falls Sie zu den jüngeren Führungskräften (bis etwa Mitte 40) zählen, ist die Situation für Sie weniger kritisch. Dann werden Sie vermutlich leichter als Ihre älteren Kollegen eine annehmbare Alternative finden. Doch auch dann ist es sinnvoll, sich zur Vorbereitung auf das interne Stellenbesetzungsverfahren mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen.
Checkliste: Sich den eigenen Gefühlen stellen
Es wird Ihnen leichter fallen, das Beste aus Ihren internen Chancen zu machen, wenn Sie sich nicht nur inhaltlich vorbereiten, sondern sich auch ehrlich und ungeschminkt mit den Gedanken und Gefühlen auseinandersetzen, die Ihnen angesichts dieser Situation durch Kopf und Bauch gehen.
Auf Misserfolg programmiert
Durch solche negativen Gedanken bringen Sie sich selbst in eine Verfassung, in der Sie zwischen Rebellion und Wurstigkeit pendeln. Da es Ihren Kollegen vermutlich ähnlich ergeht, sind Sie sich in der Einschätzung der Situation schnell einig. Das wirkt beruhigend – und führt, wie im Falle von Herrn Dr. Ing, zu einem gegenseitigen Hochschaukeln. Denn Ihre Kollegen sind im Zweifelsfall ebensolche Helden wie Sie, die ihre berechtigte Angst verleugnen und hinter markigem Auftreten und heroischen Worten verbergen. Auf diese Weise redet man sich leicht in ein »Heldentum in Abwesenheit des Feindes« hinein, das keine reale Grundlage hat, sondern nur den gequälten Seelen einen vorübergehenden Trost spendet.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn es nicht ein falscher und potenziell verhängnisvoller Trost wäre. Sein Preis ist, dass Sie mit einer schlechten Vorbereitung und einer wenig hilfreichen inneren Einstellung in die Interviews gehen. Denn die Interviewer (bei denen es sich überwiegend um Führungskräfte der höheren Ebenen handeln wird) erwarten natürlich, dass Sie die Gespräche ernst nehmen und hohe Motivation und volles Engagement zeigen. Bei einem Kandidaten, bei dem Vorbehalte und Skepsis ebenso durchschimmern wie gekränkter Stolz und Zweifel an dem ganzen Verfahren, kommt man schnell zu dem Schluss, dass er, wie es dann üblicherweise heißt, »nicht die richtige Einstellung mitbringt«. Was, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen werden, selbst bei hervorragenden fachlichen Qualifikationen dem sicheren K.O. gleichkommt – verbunden mit der hilflosen Frage wohlwollender Interviewer: »Was war nur los mit Ihnen?«
Die Gefahr, mit Vollgas in die Sackgasse zu fahren, ist umso größer, je mehr man sich, um sich zu trösten und zu beruhigen, auf eine negative Bewertung des Prozesses versteift hat. Dazu werden Sie um so mehr neigen, je mehr Sorgen Sie sich machen – wozu wiederum aus den bekannten Gründen besonders die älteren Führungskräfte tendieren. Aus diesem Grund ist genau diese Gruppe in der Gefahr, sich durch eine selbst erfüllende Prophezeiung indirekt selbst zu eliminieren. Wenn Sie daher zu den Älteren (im obigen Sinne) zählen, passen Sie höllisch auf, dass Sie sich nicht durch eine zwar verständliche, aber dennoch schädliche Einstellung selbst um Ihre Chancen bringen!
Die Konsequenz: Konsequenz
Um das Beste aus Ihren Chancen zu machen, müssen Sie zunächst einmal die Tatsachen akzeptieren. Das Verfahren ist, wie es ist, und weder Ihre Verärgerung noch die Ihrer Kollegen werden daran etwas ändern. Also treffen Sie eine klare Entscheidung: Entweder steigen Sie aus, und zwar mit allen Konsequenzen, oder akzeptieren Sie, was Sie nicht ändern können, und konzentrieren sich konsequent auf Ihre Chancen!
Bitte verstehen Sie dies nicht als Aufforderung zu krampfhaft-positivem Denken. Natürlich ist die Situation unschön, und es wäre albern, sie zum Glücksfall oder zur großartigen Chance umzudeuten. Nein, es geht ganz einfach darum, einen klaren Kopf zu bewahren und das Bestmögliche aus einer vertrackten Situation zu machen.
Und das beginnt, wie so oft, mit der eigenen Einstellung. In schwierigen Situationen ist jede Halbherzigkeit fatal. Eine klare Entscheidung ist deshalb der erste und wichtigste Schritt. Ihre Alternativen sind, entweder mit vollem Einsatz um Ihren Job zu kämpfen oder die Segel zu streichen und nur noch zu versuchen, eine möglichst hohe Abfindung auszuhandeln. Beide Wege sind gangbar – was hingegen wenig Sinn macht, ist dazwischen hin und her zu pendeln.
Machen Sie sich klar, dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist – nämlich die, Ihr Schicksal dem Lauf der Ereignisse zu überlassen. Wenn Ihnen erst mitten in den Interviews bewusst wird, dass Sie auf einem gefährlichen Trip sind und dass ein bisschen Vorbereitung vielleicht doch zweckmäßig gewesen wäre, dann wird es knapp. Doch selbst dann gilt: Eine späte Entscheidung ist immer noch besser als gar keine. Selbst dann ist es noch möglich, mitten in der Situation umzuschalten und alles zu tun, um zu retten, was noch zu retten ist. Aber natürlich sind Ihre Chancen unter diesen Voraussetzungen schlechter, als wenn Sie die Entscheidung früher getroffen und konsequent danach gehandelt hätten.
Also: Überdenken Sie die Lage. Prüfen Sie, was Sie wollen und was Ihnen am meisten hilft, dieses Ziel zu erreichen. Und dann entscheiden Sie sich.
Übrigens: Wie Sie sich entschieden haben, erkennen Sie nicht an dem, was Sie denken oder sagen, sondern an dem, was Sie tun. Wenn Sie konsequent an Ihrer Vorbereitung auf die Interviews arbeiten, dann haben Sie sich entschieden. Wenn Sie die Höhe möglicher Abfindungen recherchieren und beginnen, für die Zeit danach zu planen, haben Sie sich ebenfalls entschieden. Solange Sie sich auf der Ebene von »müsste ich eigentlich« und »sollte ich vielleicht« bewegen, überlassen Sie Ihre Entscheidung anderen. Was, wie gesagt, auch erlaubt und mit dem Grundgesetz vereinbar ist, aber ein gewagtes Spiel ...