James Fenimore Cooper


Der letzte Mohikaner



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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-83-5


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Dreiunddreißigstes Kapitel



Wie Tapfere sie fochten lang und gut.
Sie türmten leich' auf Leich' von Moslemin.
Sie siegten, doch Bozzaris fiel. Sein Blut
Aus jeder Ader rann.
Die kleine Schaar der Kameraden sah
Ihn lächeln, als ihr stolzes Siegshurrah
Durch's rote Blutfeld drang!
Dann sah'n sie, wie zum Tod sein Auge zu
Sich schloß, so milde, wie zur Nachtesruh,
Der Blume gleich, bei Sonnenuntergang.

Halleck


Die aufgehende Sonne fand die Lenapen als ein Volk von Trauernden. Die Töne der Schlacht waren verklungen. Ihr alter Hass war reichlich gesättigt und den letzten Strauß mit den Meng-We's hatten sie durch die Vernichtung einer ganzen Stammgemeinde gerächt. Trüb und düster lag die Atmosphäre über der Gegend, wo das Lager der Huronen gewesen war, und verkündete nur zu gut das Schicksal dieses wandernden Stammes, während Hunderte von Raben, über den bleichen Gipfeln der Berge durcheinander fliegend oder in krächzenden Schwärmen über den endlosen Waldräumen schwebend gräßliche Wegweiser zu dem Schauplatz des Kampfes abgaben. Kurz, jedes Auge, mit der Kriegführung an den Grenzen nur in etwas vertraut, hätte diese untrüglichen Spuren der Gräuel einer Indianerrache leicht erkennen müssen. Und doch fand die aufgehende Sonne das Volk der Lenapen in Trauer. Kein Jubellaut, kein Triumphgesang, den Sieg zu feiern, ward gehört. Der letzte Nachzügler war von seinem gräßlichen Geschäfte heimgekehrt, nur um die schrecklichen Abzeichen seines blutigen Berufes zu entfernen und in die Klagen seiner Landsleute, die sich ein geschlagenes Volk nennen durften, einzustimmen. Stolz und Frohlocken waren der Demütigung, und die wildesten menschlichen Leidenschaften den Äußerungen des tiefsten, unzweideutigsten Schmerzes gewichen.

Die Wohnungen waren verlassen: Alles, was Leben hatte, war nach einem Orte in der Nähe gezogen, wo jetzt alle in tiefem, feierlichem Stillschweigen versammelt waren, ein breiter Gürtel ernsthaft blickender Gesichter. Menschliche Wesen jedes Ranges und Alters, von beiden Geschlechtern und von den verschiedensten Berufsarten waren in dieser lebendigen Mauer versammelt, und doch belebte sie alle ein Gefühl. Aller Augen hefteten sich auf die Mitte des Kreises, wo sich die Gegenstände so lebhafter und so allgemeiner Teilnahme befanden.

Sechs delawarische Mädchen, deren lange, dunkle Haarflechten nachläßig über ihre Brust herabflossen, standen bei Seite und gaben kein anderes Zeichen ihrer Gegenwart, als daß sie von Zeit zu Zeit süßduftende Kräuter und Waldblumen auf eine Sänfte, von wohlriechenden Zweigen bereitet, streuten: sie enthielt unter einem Leichentuche aus indianischen Gewändern die irdischen Überreste der feurigen, hochsinnigen, edelmütigen Cora. Ihre Gestalt war unter vielen Hüllen aus demselben einfachen Stoffe verborgen, und ihr Gesicht für immer dem Anblick der Menschen entzogen. Zu ihren Füßen saß der trostlose Munro. Sein ehrwürdiges Haupt beugte sich beinahe zur Erde nieder, in schmerzlicher Unterwerfung unter die Schickung des Himmels; aber ein verborgener Gram kämpfte um die gefurchte Stirn, die nur teilweise durch graue, nachläßig über seine Schläfe fallende Locken bedeckt wurde. Gamut stand an seiner Seite, sein mildes Haupt war entblößt und den Strahlen der Sonne preisgegeben, während seine Augen, unstät und befangen, ihre Blicke zwischen dem kleinen Buche, das so spitzfindig ausgedrückte und doch so hochheilige Lehren enthielt, und zwischen dem Wesen teilten, dem sein Gemüt gerne Trost gespendet hätte. Heyward stand in der Nähe und lehnte sich an einen Baum, bemüht, die plötzlichen Ausbrüche des Schmerzes darniederzuhalten, zu deren Bekämpfung er seiner ganze Männlichkeit bedurfte.

So traurig und melancholisch man sich auch diese Gruppe denken mag, so war sie doch nicht so ergreifend als eine andere am entgegengesetzten Ende dieser Räume. Dort saß Uncas, wie wenn er noch am Leben wäre, Gestalt und Haltung voll Würde und Anstand, mit den glänzendsten Zierraten geschmückt, die der Reichtum des Stammes hatte auftreiben können. Reiche Federn rollten von seinem Haupte: Wampum, Hals- und Armgeschmeide, Denkmünzen waren an ihm verschwendet, aber sein erstorbenes Auge und seine leblosen Züge widersprachen zu sehr der stolzen Absicht eines so eitlen Schmuckes.

Gerade vor dem Toten saß Chingachgook, ohne Waffen, ohne Bemalung, ja ohne Verzierung irgend einer Art, das glänzend blaue Stammbild seines Geschlechtes ausgenommen, das der nackten Brust unvertilgbar eingegraben war. Während der langen Zeit, da der Stamm hier versammelt war, schaute der mohikanische Krieger fest und kummervoll auf das kalte, leblose Antlitz seines Sohnes. So unverwandt und innig war dieser Blick, seine Haltung so unverrückt, daß ein Fremder den Lebenden von dem Toten nur an dem gelegentlichen Spiel eines aufgeregten Geistes, das sich auf dem düsteren Antlitze des Vaters malte, und an der totenähnlichen Ruhe, die sich für immer auf den Zügen des Sohnes gelagert hatte, unterschieden haben würde.

Der Kundschafter stand dicht daneben, in nachdenklicher Stellung auf seine todbringende Rächerwaffe gelehnt, während Tamenund, von den Ältesten seiner Nation unterstützt, einen erhöhten Platz einnahm, von wo er die stumme, von Gram bewegte Versammlung überblicken konnte.

In dem inneren Rande des Kreises stand ein Offizier, in der Uniform einer fremden Nation; außerhalb war sein Schlachtroß, von einer Anzahl berittener Diener umgeben, die sich, wie es schien, auf eine ferne Reise bereitet hatten. Der Anzug des Fremden zeigte, daß er in der nächsten Umgebung des Statthalters von Canada eine angesehene Stellung inne habe. Wie es schien, war seine Absicht, Frieden zu stiften, durch das wilde Ungestüm seiner Verbündeten vereitelt worden, und er mußte sich nun begnügen, ein schweigsamer Zeuge der traurigen Früchte eines Streites zu sein, dem vorzubeugen er zu spät gekommen war.

Der Tag nahte sich dem Ende seines ersten Viertels und immer noch verharrte die Menge in dem atemlosen Schweigen, welches seit dem vergangenen Abende unter ihr herrschte. Nichts hörte man, als etwa einen unterdrückten Seufzer, kein Glied hatte sich die lange Zeit über gerührt, außer um die einfachen und rührenden Opferdienste zu versehen, die von Zeit zu Zeit dem Andenken der Verstorbenen gebracht wurden. Nur die Geduld und Ausdauer indianischer Seelenstärke konnte solch einen Anschein lebendigen Todes ertragen, welcher die dunklen, bewegungslosen Gestalten in Stein verwandelt zu haben schien. Endlich reckte der Weise der Delawaren einen Arm aus, stützte sich auf die Schultern seiner Begleiter und erhob sich mit einem Ausdruck von Schwäche, als ob auf dem Manne, der gestern noch vor seinem Volke gestanden, heute, da er auf seinem erhabenen Sitze wankte, ein Menschenalter mehr lastete.

"Männer der Lenapen!" sprach er in hohlen Tönen, deren Klang eine Prophezeiung zu verkünden schien; "Manitto's Gesicht ist hinter einer Wolke! Sein Auge ist von euch gewandt; seine Ohren sind verschlossen; seine Zunge gibt keine Antwort. Ihr seht ihn nicht, und doch sind seine Gerichte vor euren Augen. Eure Herzen seien offen und eure Geister sprechen keine Lüge! Männer der Lenapen! Manitto's Antlitz ist hinter einer Wolke!"

Als diese einfache und doch furchtbare Ankündigung in die Ohren der Zuhörer drang, erfolgte eine so tiefe und schauerliche Stille, als ob das hohe Wesen, das sie anbeteten, die Worte ohne Hilfe menschlicher Organe gesprochen hätte: selbst der entseelte Uncas schien belebt im Vergleich mit der demütigen, unterwürfigen Menge, von der er umgeben war. Jedoch der unmittelbare Eindruck verschwand allmählich, und leise, murmelnde Stimmen begannen eine Art von Gesang zu Ehren der Toten. Es waren weibliche Laute, durchdringend, sanft und klagend. Die Worte hatten unter sich keine regelmäßige Folge: wenn Eine aufhörte, nahm eine Andere den Lobgesang oder die Trauerklage, wie man es nennen mochte, wieder auf und drückte ihre Empfindungen in einer Sprache aus, wie sie ihr das Gefühl und die Verhältnisse eingaben. Dazwischen wurden die Sprecherinnen von lauten und allgemeinen Ausbrüchen des Schmerzes unterbrochen, während welcher die Mädchen um Cora's Bahre die Pflanzen und Blumen auf ihrem Körper in wilder Hast zerpflückten, als wären sie vor Gram wahnsinnig. In milderen Augenblicken jedoch wurden diese Sinnbilder der Reinheit und süßer Anmut mit allen Zeichen zärtlicher Teilnahme wieder an ihre frühere Stelle gelegt. Obgleich ihre Worte durch die vielfachen, stärkeren Ausbrüche der Empfindung unzusammenhängend erschienen, so würde eine Übertragung derselben doch regelmäßig wiederkehrende Wechsel und in ihnen eine Reihenfolge von Gedanken zu Tage gebracht haben.

Ein Mädchen, durch ihren Rang und ihre Eigenschaften hiezu besonders auserlesen, begann mit bescheidenen Anspielungen auf die Verdienste des gefallenen Kriegers, und schmückte ihre Ausdrucksweise mit jenen morgenländischen Bildern, welche die Indianer ohne Zweifel von den äußersten Enden des andern Festlandes mit herübergebracht haben, und die an sich schon ein Gelenk in der Verbindungskette der Geschichte der zwei Welten bilden. Sie nannte ihn den Panther seines Stammes und schilderte ihn als Einen, dessen Moccasin keine Spur auf dem Taue zurücklasse; dessen Sprung dem des jungen Hirschkalbes gleiche; dessen Auge glänzender als ein Stern in finsterer Nacht sei, und dessen Stimme in der Schlacht so laut klinge, als der Donner des Manitto. Sie erinnerte ihn an die Mutter, die ihn geboren, und verweilte namentlich bei dem Glücke, das diese im Besitze eines solchen Sohnes empfinden müsse. Sie bat ihn, ihr zu sagen, wenn er sie in der Welt der Geister treffe, daß die Delawaren-Mädchen über dem Grabe ihres Kindes Tränen vergossen und sie eine Gesegnete genannt hätten.

Ihr folgten Andere, welche in einer noch milderen, innigeren Weise mit der ihrem Geschlechte eigenen zarten Empfindsamkeit das fremde Mädchen besangen. Sie sei so nahe an Uncas' Tode dieser Erde entrückt worden, daß der Wille des großen Manitto mit Beiden sich deutlich offenbare und nicht mißverstanden werden könne. Sie ermahnten ihn, freundlich gegen sie zu sehen und Nachsicht mit ihr zu haben, wenn sie die Fertigkeiten nicht besitze, die einem Krieger, wie er, für seine Bequemlichkeit so nötig sehen. Sie verweilten bei ihrer unvergleichlichen Schönheit und ihrem entschlossenen Edelsinn, ohne einen Gedanken von Neid, wie etwa Engel an noch höheren Wesen ihre Freude finden mögen. Sie fügten bei, daß diese reichen Gaben kleinere Mängel der Erziehung mehr als ersetzen würden.

Nach ihnen redeten Andere, in wohlbedachter Folge, in der Sprache der Zärtlichkeit und Liebe zu dem Mädchen selbst. Sie ermunterten sie, fröhlichen Sinnes zu sein und nichts für ihre künftige Wohlfahrt zu fürchten. Ein Jäger werde ihr Gefährte sein, der ihre kleinsten Bedürfnisse zu befriedigen wisse: ein Krieger ihr zur Seite stehen, der sie gegen jegliche Gefahr zu schützen vermöge. Ihr Pfad, verhießen sie, werde anmutig, und ihre Bürde leicht sein. Sie warnten sie vor vergeblicher Sehnsucht nach den Freunden ihrer Jugend, nach den Landen, wo ihre Väter geweilt hätten, mit der Versicherung, die gesegneten Jagdgefilde der Lenapen enthielten so anmutige Täler, so klare Ströme und so liebliche Blumen, als der Himmel der Blaßgesichter. Sie rieten ihr, aufmerksam für die Bedürfnisse ihres Gefährten zu sein und nie zu vergessen, welchen Unterschied Manitto so weislich zwischen ihnen festgestellt habe. Dann besangen sie, ihre Stimmen stärker erhebend, die Sinnesweise des Mohikaners. Sie nannten ihn edel, männlich, großmütig; Alles vereinige er, was einem Krieger zieme, was ein Mädchen lieben könne. Sie kleideten ihre Gedanken in die entferntesten, gesuchtesten Bilder und gaben zu verstehen, daß es ihnen in der kurzen Zeit ihres Zusammenseins gelungen sei, seine geheime Neigung mit der ihrem Geschlecht eigenen schnellen Auffassungsgabe richtig zu erspähen. Die Delawaren-Mädchen hätten in seinen Augen keine Gnade gefunden. Er sei von einem Stamme, dessen Glieder einst Herren der Gestade des Salzsees gewesen, und seine Wünsche hätten ihn zurück nach einem Volke geleitet, das um die Gräber seiner Väter wohne. Warum sollte ein solcher innerer Zug nicht begünstigt werden? Aber sie gehöre einem reineren und reicheren Mute an, als Andere ihrer Nation, wie jedes Auge leicht erkennen werde; daß sie den Gefahren und Wagnissen des Lebens in den Wäldern gewachsen sei, habe ihr Benehmen gezeigt. Und jetzt," fuhren sie fort, "habe ,der Weise der Erde sie an einen Ort versetzt, wo sie ebenbürtige Geister finden und für immer glücklich sein werde."

In einem zweiten Übergange wechselten sie abermals Ton und Gegenstand und gingen zu der Jungfrau über, die in der nahegelegenen Wohnung weinte. Sie verglichen sie mit den Flocken des Schnees: so rein, so weiß, so glänzend, so leicht schmelzbar in der heftigen Sommerhitze, so leicht dem Gefrieren ausgesetzt in dem Froste des Winters war sie. Sie zweifelten nicht an ihrer Liebenswürdigkeit in den Augen des jungen Häuptlings, dessen Farbe und dessen Schmerz dem ihrigen so ähnlich scheine, wenn sie auch weit entfernt blieben, einen solchen Vorzug deutlich auszusprechen. Doch war es klar, daß sie Alice nicht so hoch stellten, als das Mädchen, um welches sie trauerten. Sie versagten ihr jedoch keinen Ruhm, den ihre seltenen Reize ansprechen durften. Ihre Locken wurden mit den üppigen Ranken der Weinrebe, ihr Auge mit dem blauen Himmelsgewölbe verglichen, und das fleckenloseste Gewölk, von dem glühenden Hauche der Sonne gerötet, war nicht so reizend als die Blüte ihrer Wangen.

Während dieser und ähnlicher Klagelieder hörte man nichts als das Gemurmel des Gesangs, gehoben oder vielmehr furchtbar gemacht durch die gelegentlichen stärkeren Ausbrüche des Grams, die gleichsam ein Chor genannt werden konnten. Die Delaware horchten, wie von einem Zauber gefangen, und das wechselnde Spiel ihrer ausdrucksvollen Mienen gab kund, wie tief und innig ihr Mitleid war. Selbst David lieh willig sein Ohr den Tönen so lieblicher Stimmen, und lange bevor der Gesang zu Ende war, verkündete sein Blick, wie tief sein Gemüt im Hören gefesselt war.

Der Kundschafter, dem allein unter den anwesenden Weißen diese Worte verständlich waren, erhob sich etwas aus seiner nachdenklichen Stellung und neigte sein Haupt beiseite, um den fortlaufenden Sinn derselben aufzufassen. Als sie aber von den künftigen Aussichten Cora's und Uncas sangen, schüttelte er den Kopf, wie Einer, der die Irrtümer ihres schlichten Glaubens wohl erkannte, und nahm dann wieder seine zurückgelehnte Stellung an, in ihr verharrend, bis die Zeremonie zu Ende war, wenn man Zeremonie eine Handlung nennen darf, die von so tiefem Gefühl zeugte. Heyward und Munro verstanden, zum Glück für ihre Fassung, den Sinn der eben vernommenen wilden Laute nicht,

Chingachgook allein bildete eine Ausnahme unter den so tief ergriffenen übrigen Eingeborenen. Sein Blick wechselte nie während tes ganzen Auftrittes, selbst bei den wildesten oder feierlichsten Teilen der Wehklage bewegte sich keine Muskel auf seinem starren Antlitz. Die kalten, leblosen Überreste seines Sohnes waren ihm Alles, und jeder andere Sinn, außer dem Gesichtssinn, schien erstorben, während sein Auge zum Letztenmale nach den so lange geliebten Zügen schaute, deren Anblick ihm bald für immer entrissen werden sollte.

Jetzt trat ein Krieger, berühmt durch seine Waffentaten, besonders aber durch seine Leistungen in dem letzten Kampfe, ein Mann von ernster, würdevoller Haltung, langsam aus der Menge hervor und stellte sich vor den Toten.

"Warum hast du uns verlassen, Stolz der Wapanachki?" sprach er, sich an die tauben Ohren des jungen Mohikaners wendend, als ob die leere Hülle noch die Fähigkeiten des Lebenden besäße; "deine Zeit war die der Sonne, so lange sie hinter den Bäumen ist: dein Ruhm war glänzender als ihr Licht um die Mittagszeit, Du bist dahingegangen, junger Krieger, aber Hunderte von Wyandot's räumen die Brombeersträuche von deinem Pfade nach der Welt der Geister. Wer sah dich in der Schlacht und glaubte, daß du sterben könntest? Wer vor dir hat Uttawa den Weg in die Schlacht gezeigt? Deine Füße waren gleich Adlerschwingen; dein Arm schwerer als Äste, die von der Fichte fallen, und deine Stimme glich der Stimme Manitto's, wenn er in den Wolken spricht. Die Zunge Uttawa's ist schwach," fügte er hinzu, indem er mit traurigem Blicke um sich schaute, "und sein Herz wird ihm schwer. Stolz der Wapanachki, warum hast du uns verlassen?"

Ihm folgten der Reihe nach Andere, bis die meisten der hohen und begabten Männer der Nation sprechend oder im Gesang den Mannen des dahingeschiedenen Häuptlings das Opfer ihrer Lobpreisungen dargebracht hatten. Als sie zu Ende waren, herrschte abermals atemlose Stille über die ganze Versammlung,

Jetzt ließ sich ein leiser, tiefer Ton vernehmen, ähnlich der gedämpften Begleitung einer fernen Musik. Er war laut genug, um hörbar zu werden, blieb aber so unbestimmt, daß man so wenig wußte, woher er kam, als was er bedeutete. Er stieg jedoch höher und höher, bis er zuerst in lang ausgehaltenen oft wiederholten Ausrufungen und endlich in Worten deutlich in das Ohr der Hörer drang. Die Lippen Chingachgook's hatten sich nun so weit geöffnet, daß man erkannte, es sei des Vaters Trauergesang, für Uncas. Obgleich kein Auge sich nach ihm wandte, nicht das geringste Zeichen der Ungeduld laut wurde, so sah man doch an der Weise, wie die Versammelten ihre Häupter erhoben, daß sie die Töne mit einer Aufmerksamkeit verschlangen, so gespannt, wie sie bisher nur Tamemund zu Teil geworden war. Sie horchten aber vergeblich. Der Gesang wurde gerade so laut, um vernehmbar zu werden, dann immer schwächer und zitternder, bis er dem Ohre völlig entschwand, als würde er von einem flüchtigen Windhauch davongetragen. Die Lippen des Sagamoren schlossen sich und er blieb schweigend sitzen, mit seinem starrblickenden Auge und der regungslosen Gestalt einem Wesen gleich, das der Allmächtige nur mit dem Bilde, aber nicht mit dem Geiste eines Menschen begabt hatte. Die Delawaren, welche an diesem Zeichen erkannten, daß ihr Freund noch nicht zu einer so mächtigen Erhebung des Geistes fähig sei, ließen ihre Aufmerksamkeit sinken und schienen in angebornem Zartgefühl alle ihre Gedanken nur auf das Leichenbegängnis des fremden Mädchens zu richten.

Einer der älteren Häuptlinge gab den Frauen ein Zeichen, die in der Nähe von Cora's Leiche standen. Dem Winke gehorchend, erhoben die Mädchen die Bahre zu der Höhe ihrer Häupter und schritten langsam und regelmäßig vorwärts, einen zweiten Klaggesang zum Preise der Verstorbenen anstimmend. Gamut, welcher ihre ihm so heidnisch dünkenden Gebräuche beobachtet hatte, beugte jetzt sein Haupt über die Schulter des besinnungslosen Vaters und flüsterte:

"Sie nehmen die Überreste deines Kindes auf: wollen wir nicht ihnen folgen und auf ein christliches Begräbnis bedacht sein?"

Munro fuhr auf, als hätte die letzte Posaune in sein Ohr geklungen und warf einen hastigen, ängstlichen Blick um sich her; dann erhob er sich und folgte dem einfachen Zuge mit der Miene eines Soldaten, aber mit dem ganzen Gewichte des Vaterschmerzes. Seine Freunde drängten sich mit einem Ausdrucke des Kummers um ihn her, der zu stark war, um Mitgefühl genannt zu werden. Selbst der junge Franzose schloß sich an, offenbar lebhaft ergriffen von dem frühen und traurigen Ende eines so liebenswürdigen Wesens. Als aber die letzten und niedrigsten Weiber des Stammes dem anscheinend regellosen und doch geordneten Zuge sich angereiht hatten, schlossen die Männer der Lenapen den Kreis um Uncas' Leiche wieder so ernst, so würdevoll, so regungslos wie zuvor.

Die Stelle, welche sie zu Cora's Grab gewählt hatten, war ein kleiner Hügel, wo ein Kreis junger, gesunder Fichten Wurzel gefaßt hatte, deren Schatten nur ein melancholisches, so Wohl geeignetes Dämmerlicht gestattete. An dem Platze angekommen, setzten die Mädchen ihre Last nieder und warteten mit der ihnen eigentümlichen Geduld und mit angeborner Schüchternheit auf irgend ein Zeichen der Zustimmung von Denen, deren Gefühle bei diesen Anordnungen am meisten beteiligt waren. Endlich sprach der Kundschafter, welcher allein ihre Gebräuche verstand, in ihrer Mundart:

"Was meine Töchter getan haben, ist gut; die weißen Männer danken ihnen."

Zufrieden mit diesem Zeugnis, schickten sich die Mädchen an, die Leiche in eine Art Sarg, künstlich und nicht ohne Geschmack aus Birkenrinde gefertigt, zu legen, und senkten sie dann in die finstere, letzte Behausung hinab. In derselben schlichten Weise und ebenso stumm wurde die Leiche bedeckt, und die Spur der frischen Erde mit Blättern und anderen Hüllen, wie sie die Natur und die Gewohnheit an die Hand gaben, verborgen. Als die Arbeit dieser freundlichen Kinder der Natur, die eine so traurige Pflicht so liebevoll erfüllt hatten, vollendet war, zögerten sie, um zu zeigen, daß sie nicht wüßten, wie weiter fortzufahren. Jetzt wandte sich der Kundschafter wieder mit den Worten an sie:

"Meine jungen Weiber haben genug getan," sprach er, "der Geist eines Blaßgesichtes bedarf keiner Speise noch Kleidung. Sie haben, was sie in dem Himmel ihrer Farbe bedürfen. Ich sehe," fuhr er fort, einen Blick auf David werfend, der eben mit seinem Buche beschäftigt war und die Absicht verriet, einen heiligen Gesang einzuleiten; "daß Einer reden will, der die christlichen Gebräuche besser kennt, als ich!"

Die Mädchen, welche bisher eine Hauptrolle gespielt hatten, traten nun bescheiden bei Seite, ruhige und aufmerksame Zuschauerinnen bei dem, was folgte. Während David auf die angedeutete Weise die frommen Gefühle seines Herzens ergoß, entschlüpfte ihnen kein Zeichen der Überraschung, kein Blick der Ungeduld. Sie lauschten vielmehr gleich denen, welche den Sinn der fremden Worte verstanden, und es schien, als ob sie die gemischten Gefühle des Schmerzes, der Hoffnung und der Ergebung mit empfanden, die der Gesang hervorrufen sollte.

Aufgeregt von der Szene, deren Zeuge er gewesen war, und vielleicht in Folge der Bewegung seines Innern, leistete der Singmeister Ungewöhnliches. Seine volle, reiche Stimme litt nicht, verglichen mit den sanften Tönen der Mädchen, und seine kunstgerechten Weisen besaßen wenigstens für die Ohren derer, an welche sie sich vornehmlich wandten, das Übergewicht leichteren Verständnisses, Er endete das heilige Lied, wie er es angefangen hatte, mitten unter ernstem, feierlichem Schweigen.

Als jedoch der Schluß des Gesanges in den Ohren seiner Zuhörer verhallt war, verrieten die geheimen, schüchternen Blicke der Augen, und die allgemeine, wenn gleich unterdrückte Bewegung unter den Versammelten, daß man von dem Vater der Verstorbenen einige Worte erwartete. Munro schien zu fühlen, daß auch für ihn' die Zeit gekommen sei, vielleicht die größte Anstrengung zu machen, deren die Menschennatur fähig ist. Er entblößte sein graues Haupt und schaute fest und mit gefaßter Miene auf die ihn umgebende scheue und ruhige Volksmenge. Dann winkte er dem Kundschafter mit der Hand und sprach:

"Sagt diesen guten, liebreichen Mädchen, daß ein schwacher Greis, dessen Herz gebrochen, ihnen seinen Dank abstatte. Sagt ihnen, daß das Wesen, welches wir alle verehren, wenn auch unter verschiedenen Namen, ihrer Liebe gedenken wird: daß die Zeit nicht mehr ferne sein kann, wo wir alle ohne Unterschied des Geschlechts, des Ranges oder der Farbe, um seinen Thron versammelt sein werden."

Der Kundschafter hörte diese Worte, die der Veteran mit zitternder Stimme sprach, aufmerksam an, und schüttelte, als er zu Ende war, langsam das Haupt, als ob er an ihrer Wirksamkeit zweifelte.

"Ihnen dies mitzuteilen," sprach er, "hieße so viel, als wenn ich sagte, daß der Schnee nicht im Winter komme, oder die Sonne am wärmsten scheine, wenn die Bäume ihres Laubes baar sind."

Er wandte sich zu den Weibern und drückte ihnen Munro's Dankbarkeit aus, wie er es der Fassungskraft seiner Zuhörerinnen für am angemessensten hielt. Munro's Haupt war wieder auf seine Brust gesunken, und er war nahe daran, sich wieder der früheren Schwermut hinzugeben, da wagte der junge Franzose seinen Ellbogen leicht zu berühren. Sobald er die Aufmerksamkeit des trauernden alten Mannes gewonnen hatte, wies er auf einen Trupp junger Indianer, welche mit einer leichten, aber dicht verschlossenen Sänfte herannahten, und deutete dann aufwärts nach der Sonne.

"Ich verstehe Sie, mein Herr!" versetzte Munro im Tone erzwungener Festigkeit; "ich verstehe Sie. Es ist der Wille des Himmels, und ich unterwerfe mich. Cora, mein Kind! Wenn die Gebete eines Vaters, dessen Herz gebrochen ist, dir jetzt helfen könnten, wie selig solltest du sein! Kommen Sie, meine Herren!" fuhr er fort, mit einer Miene stolzer Fassung um sich blickend, obgleich der Gram, der in seinen gebleichten Zügen bebte, zu gewaltig war, um sich verbergen zu lassen. "Wir haben hier nichts mehr zu tun; laßt uns gehen!"

Heyward gehorchte gerne dem Rufe, der ihn von einem Orte entfernte, wo, wie er wohl fühlte, seine Selbstbeherrschung ihn jeden Augenblick verlassen konnte. Während seine Begleiter aber zu Pferde stiegen, fand er noch Zeit, dem Kundschafter die Hand zu drücken und ihm ihre Übereinkunft noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, sich wieder bei den Posten des britischen Heeres zu treffen. Dann warf er sich getrost in den Sattel und spornte sein Schlachtroß an die Seite der Sänfte, aus welcher ihm ein leichtes, halbunterdrücktes Schluchzen die Gegenwart Alicens verkündete. Munro senkte wieder das Haupt auf die Brust; Heyward und David folgten in düsterem Schweigen, von Montcalm's Adjutanten und seiner Bedeckung begleitet; so entschwanden alle Weißen, mit Ausnahme Hawk-eye's, den Augen der Delaware" und waren bald in den endlosen Wäldern des Landes begraben.

Das Band gemeinschaftlich erlittenen Unglücks aber, welches diese einfachen Waldbewohner mit den Fremden vereinte, die so vorübergehend unter ihnen verweilt hatten, konnte sich nicht so bald lösen. Jahre vergingen, ehe die sagenhafte Überlieferung von dem weißen Mädchen und dem jungen Krieger der Mohikaner aufhörte, den Delawaren lange Nächte und ermüdende Märsche zu verkürzen, oder ihre Jünglinge und ihre Tapferen mit dem Verlangen nach Rache zu erfüllen. Auch Diejenigen, welche in diesen bedeutenden Erlebnissen eine weniger hervorragende Rolle gehabt hatten, wurden nicht vergessen. Durch Vermittlung des Kundschafters, welcher noch Jahre nachher eine Art von Mittelglied zwischen ihnen und der zivilisierten Welt bildete, erfuhren sie als Antwort auf ihre Erkundigungen, daß das 'graue Haupt' bald zu seinen Vätern versammelt worden sei, darniedergedrückt, wie sie irrig glaubten, durch sein Unglück im Kriege: und daß die 'offene Hand' seine überlebende Tochter weit hinweg nach den Niederlassungen der Blaßgesichter geführt habe, wo ihre Tränen endlich aufgehört hätten zu fließen, dem lieblichen Lächeln weichend, das ihrer heiteren Natur besser ziemte.

Doch diese Begebenheiten fallen in eine Zeit, welche außer dem Bereiche unserer Erzählung liegt. Von allen Gefährten seiner Farbe verlassen, kehrte Hawk-eye an den Ort zurück, wohin ihn seine Neigungen mit einer Gewalt zogen, wie sie kein bloß eingebildetes Band der Einigung schaffen konnte. Er kam noch eben zur Zeit, einen Abschiedsblick auf Uncas' Züge zu werfen, den die Delawaren bereits in seine letzten Pelzgewänder hüllten. Sie hielten eine Weile inne, um dem beherzten Waidmann seinen zögernden Blick der Sehnsucht nicht zu verkümmern, und der Leib wurde eingehüllt, um nie mehr aufgedeckt zu werden. Dann folgte ein zweiter feierlicher Zug, und die ganze Nation versammelte sich um das vorläufig gewählte Grab des Häuptlings, vorläufig, denn seine Gebeine sollten einst in kommenden Tagen unter denen seines eigenen Volkes ruhen. Die allgemeine Übereinstimmung der Gefühle brachte auch hier eine Teilnahme hervor, von der sich Niemand ausschloß. Derselbe ernste Ausdruck des Grams, dasselbe strenge Stillschweigen, dieselbe Ehrfurcht gegen den Hauptleidtragenden, die wir bereits einmal zu schildern hatten, war auch um diese Begräbnisstätte zu bemerken. Die Leiche ward in ruhender Stellung niedergelassen, das Gesicht gegen die aufgehende Sonne gerichtet, neben ihm seine Kriegs- und Jagdgeräte, bereit für die letzte große Reise. In dem Sarge, durch welchen der Körper gegen die unmittelbare Berührung der Erde geschützt war, ließ man eine Öffnung, damit der Geist, sofern es nötig wäre, mit seiner irdischen Hülle verkehren könne. Das Ganze ward mit dem den Eingeborenen eigenen Scharfsinne gegen den Instinkt und die Verwüstungen der Raubtiere geschützt. Die Gebräuche, bei denen Mehrere tätig zu sein hatten, waren nun zu Ende, und Aller Sinn wandte sich wieder dem geistigeren Teile der Feierlichkeiten zu.

Chingachgook wurde noch einmal der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. Er hatte noch nicht gesprochen, und doch erwartete man bei einem so wichtigen Anlasse von einem so berühmten Häuptling etwas Tröstliches und Belehrendes zu hören. Die Wünsche des Volkes erratend, erhob der Krieger, seinen Schmerz bezwingend, das ernste Antlitz, das er zuletzt in sein Gewand verhüllt gehalten hatte, und schaute mit festem Auge um sich. Seine festzusammengepreßten, ausdrucksvollen Lippen öffneten sich, und zum Erstenmale während der langen Zeremonie ließ sich seine Stimme deutlich vernehmen.

"Warum trauern meine Brüder?" sprach er, auf die dunklen Krieger schauend, die mit niedergeschlagener Miene um ihn standen: "warum weinen meine Töchter? weil ein junger Krieger nach den glücklichen Jagdgefilden gegangen ist, weil ein Häuptling seine Zeit mit Ehren erfüllt hat? Er war gut: er war pflichttreu; war tapfer. Wer kann es leugnen? Manitto hatte einen solchen Krieger nötig, und er hat ihn abgerufen. Was mich betrifft, den Sohn und den Vater eines Uncas, so bin ich eine abgeschälte Fichte in einer Lichtung der Blaßgesichter. Mein Geschlecht ist geschieden von den Gestaden des Salzsees und von den Bergen der Delawaren. Aber wer kann sagen, daß die Schlange seines Stammes ihrer Weisheit vergessen hat? Ich bin allein ..."

"Nein, nein," rief Hawk-eye, welcher bisher mit einem Ausdruck der hingebendsten Teilnahme auf die strengen Züge Chingachgook's geschaut hatte, und nun seine gewohnte, bisher nur mit Mühe behauptete Fassung sinken lassen mußte: "nein, Sagamore, nicht allein. Unsere Gaben und unsere Farbe mögen verschieden sein: aber Gott hieß uns auf demselben Pfade mit einander wandeln. Ich habe keinen Verwandten, und kann, gleich dir, sagen, ich habe auch kein Volk. Er war dein Sohn und eine Rothaut von Natur: und es mag sein, daß dein Blut näher, aber wenn ich je den Jungen vergesse, der im Kriege so oft neben mir gefochten, im Frieden an meiner Seite geruht hat, so soll Er, der uns alle erschuf, wie auch unsere Farbe oder unsere Natur sein mag, meiner vergessen! Der Junge hat uns für eine Weile verlassen; aber, Sagamore, du bist nicht allein!"

Chingachgook ergriff die Hand, welche der Kundschafter in der Wärme seines Gefühls ihm über die frische Erde hinüber streckte, und in dieser Stellung der Freundschaft neigten die beiden kräftigen, unerschrockenen Waidmänner ihre Häupter zusammen: heiße Tränen rollten auf das Grab nieder und befeuchteten Uncas' Ruhestätte, wie fallende Regentropfen.

Mitten in dem ehrfurchtsvollen Schweigen, mit welchem ein solcher Ausbruch der Empfindung von Seiten der zwei berühmtesten Krieger jener Regionen aufgenommen ward, erhob Tamenund seine Stimme, das Volk zu zerstreuen:

"Es ist genug!" rief er. "Geht, Kinder der Lenapen, der Zorn Manitto's hat sich noch nicht gelegt. Warum sollte Tamenund weilen? Die Blaßgesichter sind Herren der Erde, und die Zeit der Rothäute ist noch nicht wieder gekommen. Mein Tag ist zu lang gewesen. Am Morgen sah ich die Söhne des Unamis glücklich und mächtig, und jetzt, bevor die Nacht eingebrochen ist, mußte ich leben, um den letzten Krieger von dem weisen Geschlechte der Mohikaner zu schauen!"

 

 

Inhalt




Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

 

 

Erstes Kapitel



Mein Ohr ist offen und mein Herz bereit.
Nur weltlichen Verlust, nicht Schlimmeres kannst Du melden.
Sage, ist mein Reich verloren?

Shakespeare

Es war eine Eigentümlichkeit der Kriege, welche in den Kolonien Nordamerikas geführt wurden, daß die Mühseligkeiten und Gefahren der Wildnisse zu bestehen waren, ehe noch die feindlichen Heere sich begegnen konnten. Ein breiter Gürtel von scheinbar undurchdringlichen Wäldern trennte die Besitzungen der feindlichen Provinzen von Frankreich und England. Der kühne Pflanzer und der geübte Europäer, der an seiner Seite focht, kämpften oft Monate lang mit reißenden Waldströmen, oder suchten raue Gebirgspässe gangbar zu machen, um Gelegenheit zu finden, ihren Mut in mehr kriegerischem Kampfe zu zeigen. Aber wetteifernd mit der Ausdauer und Selbstverläugnung der erfahrenen eingeborenen Krieger lernten sie jede Schwierigkeit überwinden; und es wollte scheinen, daß mit der Zeit kein Winkel in den Waldungen so finster, kein Versteck so abgelegen wäre, in den sie nicht zu dringen wagten, die ihr Blut verpfändet hatten, ihre Rache zu sättigen, oder der kalten, selbstsüchtigen Politik entfernter Monarchen Europas Geltung zu verschaffen.

Vielleicht gibt kein Distrikt auf der ganzen Strecke der dazwischen liegenden Grenzen ein lebendigeres Bild von der Grausamkeit und Wildheit der barbarischen Kriege jener Zeiten, als das Land, welches zwischen den Quellen des Hudson und den anstoßenden Seen liegt. Die Vorteile, die hier die Natur für die Bewegungen der Kämpfenden bot, waren zu augenfällig, um nicht benützt zu werden. Der langgedehnte Wasserspiegel des Champlain erstreckte sich von den Grenzen Canadas bis tief in die benachbarte Provinz New-York hinein, und bildete eine natürliche Straße auf der Hälfte des Landstrichs, dessen die Franzosen Meister sein mußten, um an ihre Feinde gelangen zu können.

Unweit seinem südlichen Ende empfängt er die Zuflüsse eines andern Sees, dessen Wasser so klar sind, daß die Missionäre der Jesuiten sie ausschließlich gewählt hatten, um die sinnbildliche Reinigung der Taufe zu vollziehen, was ihm den Namen des Sees du Saint Sacrement gegeben hat. Die minder eifrigen Engländer glaubten seinen klaren Quellen Ehre genug anzutun, wenn sie ihnen den Namen ihres regierenden Fürsten, des zweiten aus dem Hause Hannover, gaben. Beide Völker vereinigten sich aber, den schutzlosen Eigentümern dieser bewaldeten Räume ihr natürliches Recht auf Verewigung seines ursprünglichen Namens Horican. Der Georgssee, wie er gewöhnlich und jetzt von Rechtswegen heißt, bildet eine Art Schweif zu dem Champlain, wenn man ihn auf der Karte betrachtet. Daher sein Name. zu rauben.

Durch zahllose Eilande sich windend und in Gebirge eingebettet, dehnt sich der "heilige See" ein Dutzend Stunden weiter gegen Süden aus. Mit der hochgelegenen Fläche, welche hier dem Laufe des Wassers entgegen tritt, fängt ein Trageplatz von eben so vielen Meilen an, der an die Ufer des Hudson auf einen Punkt führt, wo der Fluß über die gewöhnlichen Hemmnisse reißender Strömungen oder Riffe, wie sie in der dortigen Landessprache heißen, siegt und zur Flutzeit schiffbar wird.

Da rastloser Unternehmungsgeist die Franzosen bei Verfolgung ihrer Eroberungspläne selbst in die entfernten, fast unzugänglichen Schluchten des Alleghanygebirges führte, so läßt sich leicht denken, daß ihr zum Sprichwort gewordener Scharfsinn die natürlichen Vorteile der so eben beschriebenen Landstrecke nicht übersehen konnte. Sie wurde auch wirklich der blutige Schauplatz, auf dem die meisten Schlachten um die Herrschaft in den Kolonien geschlagen wurden. Forts wurden angelegt auf den verschiedenen Punkten, welche die Heerstraßen beherrschten; wurden genommen und wieder genommen, geschleift und wieder hergestellt, so wie ein Sieg über feindliche Banner erfochten war. Während der Pflanzer sich von den gefährlichen Pässen in die sichereren Grenzen der älteren Niederlassungen zurückzog, sah man Heere, stärker als jene, die oft über die Throne der Mutterländer entschieden, in diese Waldungen sich vergraben, aus denen sie meist nur als Banden von Gerippen, von Sorgen abgemagert und durch Niederlagen entmutigt, wieder zum Vorschein kamen.

Wenn auch die Künste des Friedens in diesen unglücklichen Gegenden unbekannt waren, so wimmelten doch seine Wälder von Menschen; die lichten Punkte und Täler ertönten von kriegerischer Musik, und das Echo ihrer Gebirge warf das Gelächter oder das mutwillige Geschrei manches ritterlichen, sorglosen Jünglings zurück, der in der vollen Kraft seines jungen Mutes dahin eilte, um in die lange Nacht der Vergessenheit hinüber zu schlummern.

Auf diesem Schauplatze des Kampfes und des Blutvergießens trugen sich die Begebnisse zu, welche wir zu schildern versuchen, und zwar im dritten Jahre des Kriegs, welchen England und Frankreich um den Besitz eines Landes führten, das Keinem auf die Dauer zu Teil werden sollte.

Die Unfähigkeit seiner Heerführer draußen und der unglückliche Mangel an Energie in seinen Beratungen im Innern hatte Großbritannien von der stolzen Höhe, auf die es die Talente und der Unternehmungsgeist seiner früheren Kriegs- und Staatsmänner gebracht hatten, herabgestürzt. Nicht länger von seinen Feinden gefürchtet, verloren seine Diener bald auch das Vertrauen auf sich selbst. Bei diesem drückenden Zustand der Erniedrigung waren die Kolonisten, obgleich unschuldig an seiner Schwäche, und zu niedrig gestellt, um an solchen Mißgriffen Schuld zu haben, die natürlichen Opfer derselben. Sie hatten erst noch gesehen, wie ein auserlesenes Heer aus dem Lande, das sie bisher als Mutter verehrten und für unbesiegbar gehalten, unter den Befehlen eines Führers, der wegen seiner seltenen kriegerischen Verdienste aus einer Schaar erfahrener Kriegsmänner auserwählt worden, von einer Handvoll Franzosen und Indianer schimpflich zersprengt worden war, und vor völliger Vernichtung nur bewahrt wurde durch die kalte Besonnenheit eines virginischen Knaben, dessen Ruf, durch die Zeit gereift, sich seitdem, kraft des Eindruckes, dessen sittliche Größe nie verfehlt, bis an die äußersten Grenzen der christlichen Welt verbreitet hat. Washington, welcher den europäischen General erst vergeblich vor der Gefahr warnte, in die er sich unbesonnen stürmte, und dann die Reste des britischen Heers bei dieser Gelegenheit durch seine Entschlossenheit und Tapferkeit rettete. Der Ruhm, den Washington in dieser Schlacht ärntete, war der Hauptgrund, warum er später den Oberbefehl über die amerikanischen Heere erhielt. Merkwürdig ist, daß, während ganz Amerika von seinem wohlverdienten Ruhme wiedertönte, sein Name in keinem europäischen Schlachtberichte erscheint, wenigstens hat ihn der Verfasser vergeblich gesucht. So verschlingt der Mutterstaat bei solcher Regierungsweise selbst den gerechtesten Ruhm. So war durch diesen unerwarteten Unstern die Grenze weithin blosgegeben und wesentlicheren Übeln gingen tausend eingebildete und erträumte Gefahren voraus. Die bestürzten Kolonisten glaubten, das Geheul der Wilden mische sich in jeden Windstoß, der aus den endlosen Waldungen des Westens pfiff. Der furchtbare Charakter ihrer erbarmungslosen Feinde vermehrte noch die natürlichen Schrecken des Kriegs über alle Beschreibung. Zahllose neuere Gemetzel lebten noch in ihrer Erinnerung: auch war kein Ohr in den Provinzen so taub, das nicht begierig der Erzählung einer furchtbaren mitternächtlichen Mordszene gelauscht hätte, bei welcher die Eingeborenen der Wälder in ihrer Grausamkeit eine Hauptrolle spielen mußten. Wenn der leichtgläubige, aufgeregte Reisende von den Gefahren der Wildnis erzählte, gerann dem Furchtsamen vor Schrecken das Blut in den Adern, und Mütter warfen ängstliche Blicke selbst auf Kinder, die im sichern Schooße der größten Städte schlummerten. Kurz, die Alles vergrößernde Furcht machte die Berechnungen der Vernunft zu Nichte, und diejenigen, welche sich ihrer Mannheit hätten erinnern sollen, zu Sklaven der niedrigsten Leidenschaft. Selbst die Zuversichtlichsten und Standhaftesten begannen zu glauben, daß der Ausgang des Kampfes zweifelhaft werden könnte, und stündlich vermehrte sich die Zahl jener Verächtlichen, welche schon alle Besitzungen der englischen Krone in Amerika von ihren christlichen Feinden erobert oder durch die Einfälle ihrer fühllosen Verbündeten verödet sahen.

Als daher in dem Fort, welches das Südende des Trageplatzes zwischen dem Hudson und den Seen deckte, die Nachricht eintraf, daß Montcalm mit einem Heere, zahllos wie das Laub auf den Bäumen, den Champlain herauf komme, so wurde die Wahrheit derselben mehr mit dem verzagten Widerwillen der Furcht, als mit der ernsten Freude eingeräumt, die der Krieger fühlen sollte, wenn er den Feind in seinem Bereiche findet. Die Nachricht war an einem Sommerabend durch einen indianischen Läufer eingetroffen, durch den auch Munro, der Befehlshaber eines Festungswerkes an dem Ufer des "heiligen Sees," um schleunige und kräftige Verstärkung bitten ließ. Es wurde bereits erwähnt, daß die Entfernung zwischen diesen beiden Punkten weniger als fünf Stunden betrug. Der raue Pfad, welcher ursprünglich ihre Verbindungslinie bildete, war für Wagen erweitert worden, so daß der Weg, für welchen der Sohn des Waldes nur zwei Stunden bedurfte, von einem Corps mit seinem erforderlichen Gepäck leicht zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne an einem Sommertag zurückgelegt werden konnte. Die loyalen Diener der britischen Krone hatten die eine dieser Waldfesten William Henry und die andere Fort Edward, nach zwei beliebten Prinzen des regierenden Hauses, benannt. Der vorerwähnte schottische Veteran lag in der ersten mit einem Regiment regelmäßiger Truppen und einer Anzahl Provinzialen, einer Besatzung, die in der Tat zu schwach war, der furchtbaren Macht, mit welcher Montcalm seinen Verschanzungen nahte, die Spitze zu bieten. An letzterem stand jedoch General Webb, welcher die Heere des Königs in den Nordprovinzen befehligte, mit einem Corps von mehr denn fünftausend Mann. Durch Vereinigung der verschiedenen Detachements unter seinen Befehlen hätte dieser Offizier beinahe die doppelte Anzahl Kämpfer dem unternehmenden Franzosen, der sich mit einem nicht viel stärkern Heere so weit von seinen Reserven hervor gewagt hatte, entgegen zu stellen vermocht.

Von ihrem Mißgeschick niedergedrückt, schienen Offiziere und Soldaten mehr geneigt, die Annäherung ihres furchtbaren Feindes innerhalb ihrer Festungswerke zu erwarten, als sich ihrem Vorrücken zu widersetzen und nach dem glücklichen Vorgang der Franzosen bei dem Fort du Quesne einen kühnen Angriff auf die Heranrückenden zu wagen.

Nachdem sich die erste Bestürzung über diese Nachricht in etwas gelegt hatte, verbreitete sich durch das verschanzte Lager, das dem Rande des Hudson entlang eine Reihe von Außenwerken des Fortes selbst bildete, das Gerücht, ein auserlesenes Detachement von fünfzehnhundert Mann habe mit Tagesanbruch nach dem Fort William Henry, dem Posten auf dem nördlichen Ende des Bergrückens, abzugehen. Was anfangs bloß Gerücht war, wurde bald zur Gewißheit, da aus dem Quartier des Oberbefehlshabers an die verschiedenen von ihm zu diesem Dienste ausersehenen Corps die Ordre erging, sich zum schleunigen Abmarsch bereit zu halten. Aller Zweifel über Webbs Absicht verschwand, und die nächsten paar Stunden sah man nichts, denn eilige Fußtritte und bängliche Gesichter. Der Neuling in der Kriegskunst flog von Punkt zu Punkt, seine eigenen Zubereitungen durch das Übermaß eines ungestümen und etwas unordentlichen Eifers hemmend, während der erfahrenere Krieger seine Vorkehrungen mit einer Besonnenheit traf, die allen Anschein der Eile verschmähte, obwohl seine ernsten Züge und sein unruhiges Auge verrieten, daß er keine besondere Lust zu dem noch unversuchten, gefürchteten Krieg in der Wildnis in sich verspürte. Endlich sank die Sonne in einer Flut von Glorie hinter die entfernten westlichen Hügel, und als die Finsternis ihren Schleier um den abgeschiedenen Ort zog, verstummte allmählich das Geräusch der Zurüstung. Das letzte Licht verschwand endlich aus dem Blockhauszimmer eines Offiziers; die Bäume warfen tiefere Schatten auf die Wälle und den kräuselnden Strom, und bald herrschte in dem Lager so tiefe Stille, als in dem Walde umher.

Gemäß den Befehlen der vorigen Nacht unterbrach das Wirbeln der Lärmtrommeln, deren schallendes Echo in der feuchten Morgenluft aus jeder Richtung der Wälder wiedertönte, den tiefen Schlaf des Heeres, als eben der Tag die rohen Umrisse einiger hohen Fichten in der Nähe an den Glanz eines milden, wolkenlosen östlichen Himmels zu zeichnen begann. Im Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Selbst der niedrigste Soldat sprang von seinem Lager auf, um Zeuge von dem Abmarsche seiner Kameraden und den aufregenden Vorfällen des Augenblicks zu sein. Die kleine auserlesene Truppe hatte sich bald in Marschordnung aufgestellt. Während die regelmäßigen, geübteren Soldaten des Königs sich stolz auf den rechten Flügel zogen, nahmen minder anspruchsvolle Pflanzer ihre bescheidenere Stellung auf dem linken mit einer Gewandtheit ein, die lange Übung ihnen zu eigen gemacht hatte. Die Patrouillen brachen auf, starke Bedeckungen zogen vor und hinter den schwerfälligen Gepäckwagen, und ehe das graue Zwielicht den Strahlen der Sonne gewichen war, schwenkte sich das Hauptcorps der Streiter in eine Kolonne und verließ das Lager mit einem Anschein militärischen Stolzes, welcher die schlummernden Besorgnisse manches Neulings beschwichtigte, der seine erste Waffenprobe machen sollte. So lange sie im Angesichte ihrer sie bewundernden Kameraden waren, behielten sie dieselbe stolze Haltung, dieselbe Ordnung bei, bis die Töne ihrer Querpfeifen immer mehr verklangen und der Wald endlich die lebendige Masse zu verschlingen schien, welche er eben langsam in seinem Schoß aufgenommen hatte.