Antonia
Draußen vor dem Haus hupte jemand zweimal kurz. Antonia schob die Gardinen zur Seite, um besser aus dem kleinen Fenster ihrer Gästetoilette sehen zu können.
Ein mattschwarzer Leichenwagen mit lilafarbenen Vorhängen parkte quer vor dem Carport ein. Der Wagen war ein älteres Modell, und er hatte ein paar Beulen. Außerdem waren die Vorhänge nicht zugezogen, und sie konnte sehen, dass kein Sarg auf der Ladefläche stand. Deshalb machte Antonia sich keine Gedanken über mögliche Todesfälle unter ihren Nachbarn.
Mit einem Seufzen verließ sie die Toilette, um die Haustür zu öffnen. Antonia wusste, wie es war, eine Mutter zu haben, die einem nichts anderes übrigließ, als gegen sie aufzubegehren. Deshalb hatte sie sich Mühe gegeben, ihre Töchter nicht auf dieselbe Weise in die Enge zu treiben.
An diesem Morgen zeigte sich wieder einmal, dass sie damit gescheitert war.
Ein weißblond gefärbter Igelhaarschnitt zu schwarz geschminkten Augen, Tüllröcke über zerrissenen Netzstrümpfen, Nasenring, schwarz lackierte Fingernägel und düstere Musik – das war alles nicht neu, und es war auszuhalten. Wegen solcher Kleinigkeiten fing sie keinen Streit mit ihrer Großen an. Auch hatte sie weder erwartet noch es sich gewünscht, dass Mickies erster Freund sich im fleckenlosen Poloshirt und mit höflichem Handschlag vorstellen würde. Dass er sich als fünf Jahre älter erwies und zwei Schuljahre wiederholt hatte, machte sie allerdings doch nervös.
Sie öffnete die Tür und verschärfte ihr Urteil noch einmal. Am ersten Morgen nach den Sommerferien nach Alkohol und Zigaretten stinkend an ihre Haustür zu kommen, um ihre Tochter mit einem ausrangierten Leichenwagen zur Schule abzuholen – das ging entschieden zu weit.
»Morg’n. Mickie schon fertig?« Das war alles, was der Typ herausbrachte, als er ihr gegenüberstand. Sein dunkelgraues T-Shirt hing traurig an seiner schlaksigen Gestalt, seine schwarzen Locken wirkten fettig. Durch die mit Nieselregen besprenkelten Gläser der Nickelbrille waren seine Augen nicht deutlich zu erkennen.
Ja, Mickie war schon fertig, und sie wäre wieselflink an Antonia vorbei aus dem Haus geschlüpft, wenn die nicht ihren eisenharten Arm hätte vorschnellen lassen, um ihr den Weg zu versperren. »Geh schon mal vor, Felix. Ich muss noch etwas mit Mickie besprechen.«
Antonias Tonfall ließ Felix nur übrig, einen Blick mit seiner Angebeteten zu tauschen und dann schulterzuckend zu gehorchen. Krampfhaft lächelnd schloss Antonia die Haustür von innen und wandte sich ihrer Tochter zu.
Mickie verengte die Augen und kniff den Mund zu einer Linie zusammen, die besagte, dass sie alles, was Antonia sagen wollte, bereits wusste und im Voraus genervt davon war. Also reduzierte Antonia den Wortschwall, der aus ihr hervordrängte, vorerst auf das Nötigste. »Ist er betrunken? Er riecht danach. Du hast mir versprochen, zu niemandem ins Auto zu steigen, der getrunken hat.«
Die eine Hand hatte Mickie in den Schultergurt ihres Rucksacks gehakt, den anderen Unterarm legte sie sich quer vor den Bauch. »Felix säuft sich doch keinen an, bevor er in die Schule geht.«
»Woher weißt du das so sicher? Du kennst ihn erst seit zwei Wochen näher, wenn ich es richtig verstanden habe.«
»Stell dir vor, er und ich reden miteinander. Kann ich jetzt los?«
Antonia biss die Zähne zusammen. Mickie hätte jeden Außerirdischen die Bedeutung des Wortes »schnippisch« an einem einzigen Beispiel lehren können. »Dass ihr miteinander redet, freut mich«, log sie in ihrem sanftesten Tonfall, obwohl sie sich weit mehr gefreut hätte, wenn ihre Tochter Felix weder gesprochen noch gesehen hätte. »Dann möchte ich dich bitten, ihn jetzt gleich zu fragen, ob er heute Morgen schon Alkohol getrunken hat oder nicht. Und wenn die Antwort ›Ja‹ ist, dann kommst du wieder her und lässt dich ausnahmsweise von deinem Vater zur Schule fahren, damit du nicht zu spät kommst.«
Mickie starrte sie mit fassungsloser Miene an, ihre Wangen wurden rosig. »Du kannst doch nicht im Ernst so peinlich sein.«
Antonia spürte, wie ihr eigenes Gesicht heiß wurde. Hatte sie in Mickies Alter irgendwann einmal denselben Satz zu ihrer Mutter gesagt? Und was hatte die geantwortet?
Das Telefon blökte seine aggressive Dreitonmelodie, der Geruch von verbranntem Toast stieg ihr in die Nase, ihre jüngere Tochter Annika stieß in der Küche ein lautes »Ach, verdammt!« aus. Das Telefon klingelte weiter. Mickie starrte Antonia an, den Mund verkniffen.
»Oh doch, ich kann«, brachte Antonia hervor und erkannte im selben Augenblick, dass sie damit die Worte ihrer eigenen Mutter genau wiedergegeben hatte.
Mickie riss die Tür auf und stampfte nach draußen, wo die Beifahrertür des schwarzen Mercedes für sie offen stand. Sie legte die Hand aufs Autodach und beugte sich hinunter. Ihre fransigen Ponyhaare fielen ihr vors Gesicht, schon nach Sekunden feucht vom stetigen Nieselregen. »Meine Mutter will wissen, warum du nach Alkohol stinkst«, fragte sie extra laut.
Antonia zuckte peinlich berührt zusammen. Aber was hatte sie erwartet? Diplomatie?
Aus dem Inneren des Autos kam eine Antwort in gedämpfter Lautstärke, die nicht bis an Antonias Ohr drang. Mickie machte eine schwungvolle Kehrtwende und marschierte mit undurchdringlicher Miene zurück zum Haus, auf Antonia zu. »Kannst Papi sagen, dass ich mit ihm fahre«, sagte sie.
Antonia blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen.
Mickies linker Mundwinkel verzog sich verächtlich. »War ’n Scherz. Felix hat die Autoscheiben geputzt und seine Hose mit Glasreiniger bekleckert. Der riecht so. Zufrieden? Darf ich jetzt endlich in die Schule?«
Womit ihre sechzehnjährige Kratzbürste sie entwaffnete. Antonia zog die widerstrebende Gothic Queen zu sich heran, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. »Pass auf dich auf.«
Mickie war schon wieder auf dem Weg zum Leichenwagen, als sie antwortete: »Klar doch. Übrigens sehen deine Haare scheiße aus, Muttchen. Dagegen solltest du mal was tun.«
Antonia holte Luft zu einer erbosten Antwort und schloss dann doch nur kopfschüttelnd die Tür. Über diese Frechheit und über ihr Verhältnis zu Felix würde sie später noch mit ihrer Tochter sprechen. Für den Moment war es wichtiger, dass Mickie pünktlich zur Schule kam.
Sie warf einen Blick in den Garderobenspiegel, vergaß das Ergebnis jedoch gleich wieder, denn ihre jüngere Tochter Annika kam aus der Küche auf den Flur. In der einen Hand hielt sie ein angebissenes Toastbrot mit Tofuwurst, mit der anderen streckte sie Antonia das Telefon entgegen. »Oma Inge.«
Wenn das nicht der passende Augenblick war! Stirnrunzelnd übernahm Antonia das Telefon. Was wollte ihre Mutter um diese ungewöhnliche Zeit? »Guten Morgen, Inge. Ist etwas nicht in Ordnung?«
Die Stimme ihrer Mutter klang gleichzeitig verschlafen und aufgeregt. »Nein, nein. Mir geht’s gut. Ich wollte nur fragen … Toni, wann war doch gleich euer Hochzeitstag? Nicht morgen, oder?«
So simpel die Frage schien, beschleunigte sie doch Antonias Puls. »Dasselbe hast du mich letzten Donnerstag schon gefragt. Er ist am Freitag in zwei Wochen. Am Sechzehnten. Und am Sonntag, dem achtzehnten August, feiern wir. Kannst du dir das nicht aufschreiben?«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung ließ sie ihre Ruppigkeit gleich wieder bereuen.
»Toni, wie du weißt, halte ich die Ehe für ein schreckliches Konzept. Wäre es nicht so, stünde dein Hochzeitstag natürlich seit zwanzig Jahren rot in meinem Kalender, und ich hätte nie vergessen, dir zu gratulieren. Da es aber nicht so ist, hat sich mir das Datum eben nicht eingeprägt. Meinst du nicht, dass es nach zwanzig Jahren ein wenig zu spät ist, deshalb auf einmal beleidigt zu sein? Das warst du doch früher auch nicht.«
Während ihre Mutter sprach, war Antonia in die Küche zurückgekehrt und hatte den lauwarmen Kaffeerest aus ihrem Becher in den Ausguss gekippt. Ein Foto von ihren Töchtern im Alter von vier und sechs Jahren war auf den Becher aufgedruckt, vom häufigen Spülen so ausgeblichen, dass die beiden darauf geisterhaft durchscheinend wirkten. Entzückende kleine, in Blümchenshirts gekleidete Mädchen, die es nicht mehr gab. Bei aller Liebe zu den beinah ausgewachsenen Versionen ihrer Töchter bedauerte Antonia das manchmal. Ebenso, wie es sie bei aller Liebe zu der bald siebzigjährigen Frau am Telefon zunehmend beunruhigte, dass die patente Person zu verschwinden schien, die ihre Mutter einmal gewesen war.
»Inge –«, versuchte sie sie zu unterbrechen.
»Nein, lass mich ausreden! Ich habe mich immer bemüht, Toleranz für deine seltsam konservative Lebenseinstellung aufzubringen, auch wenn es mir nicht leichtfiel. Ich dachte –«
»Mutti! Darum geht es doch gar nicht. Ich bin nicht beleidigt. Hör zu, ich muss jetzt zur Arbeit. Wir sprechen später darüber. Notier dir einfach den Achtzehnten für die Feier, ja?«
Wenigstens was Zeitnot betraf, war ihre Mutter einsichtig.
Als Antonia auflegte, hörte Annika auf, angebrannte Krümel von einem zweiten Toast auf den Tisch zu schaben, und sah sie nachdenklich an.
Antonia setzte sich nicht wieder, sondern goss sich einen letzten frischen Schluck Kaffee ein. »Was ist?«, fragte sie.
Ihre Tochter fegte die schwarzen Krümel von ihrer rosa Jeans auf den Boden und strich sich dann auf irritierend langsame Art die Haare hinter das Ohr. Ihr ganzer Stolz auf die lange, blonde Pracht lag in der Geste. »Oma sagt, ich soll mich auf keinen Fall darauf einlassen, künstliche Vitaminpräparate zu nehmen, auch wenn du die über die Apotheke günstig bekommst. Es gäbe da ausgezeichnete natürliche Alternativen. Was meint sie denn damit? Muss ich als Vegetarierin irgendwelche Vitamine schlucken?«
Antonia hörte, wie ihr Ehegatte aus dem Fitnesskeller kam und direkt ins Bad verschwand. Einen Moment später rauschte schon die Dusche. Also wieder kein Abschiedskuss.
»Hast du mir zugehört, Mama?«, fragte ihre Tochter.
Antonia stellte ihren Becher in die Spülmaschine. »Aber ja. Und: nein. Du brauchst keine extra Vitamine, solange du isst, was Papi oder ich kochen. Wir sprechen später darüber. Ich muss los.«
Ihr riesiger weißer Regenschirm trug auf seinen Flächen abwechselnd das rote Apothekenlogo mit der um einen Kelch gewundenen Äskulapnatter und die grüne Werbung eines Pharmakonzerns. Sie hatte ihn von einem Vertreter geschenkt bekommen – das ideale Werbegeschenk für diesen Sommer.
Fein und weich fielen die Regentropfen, als Antonia aus der Tür trat. Später am Tag sollte es trotz des Regens warm werden, hatte der Wetterbericht angekündigt. Antonia klebte ihre weiße Bluse schon nach den zehn Minuten Fußmarsch zur Arbeit am Rücken, obwohl der Riesenschirm den Regen nicht durchgelassen hatte.
Als sie ihr Ziel erreichte, hielt sie inne und warf einen Blick auf Fassade und Schaufenster ihres Arbeitsplatzes. Das Hübscheste an der Weinberg-Apotheke waren die alte Weinrebe und die rote Kletterrose, die sich links und rechts vom Schaufenster und von der davor stehenden Sitzbank an der cremefarben verputzten Wand festhielten. Sie wuchsen unbeirrt seit der Erbauung des Hauses. Die Rose blühte jedes Jahr, obwohl sie wechselnd unter allen erdenklichen Rosenkrankheiten litt, und die Rebe trug gelegentlich kleine, blaue Trauben. Als Kind hatte Antonia sie manchmal gepflückt und sich vorgestellt, dass sie eine besondere Art von Medizin wären – lange bevor sie geahnt hatte, dass die Apotheke einmal ihr gehören würde. Sie lächelte wehmütig, als sie vor dem Seiteneingang ihren nassen Schirm ausschüttelte. Nicht ganz zwei Jahre führte sie die Apotheke jetzt. Eine lächerliche Zeit im Vergleich zu den vierzig Jahren, die der Vorbesitzer geschafft hatte.
Das Lächeln verging ihr schlagartig, als Dr. Elke Kosewitz ihr im Vorübergehen kühl einen guten Morgen wünschte. Die Allgemeinmedizinerin stolzierte mit zackigen Bewegungen, die zu ihrer kantigen Körperform passten, über die zur Straße hin gelegenen Parkplätze zu ihrem Praxiseingang auf der anderen Seite des Hauses.
Für Doktor Kosewitz stand Antonia mit ihren Mitarbeiterinnen nur knapp auf der Stufe über Analphabeten. Ihre Arroganz wäre vielleicht dennoch zu ertragen gewesen, wenn sie nicht außerdem noch die Eigentümerin des Apothekengebäudes gewesen wäre. Antonia hatte reichlich Grund, sich über sie zu ärgern, beschloss aber, sich nicht gleich ihren ersten Arbeitstag nach dem Urlaub davon verderben zu lassen.
Genießerisch sog sie den Duft ihrer Apotheke ein. An diesem Morgen hatte das Aroma von Menthol, Kamille, Fenchel, Desinfektionsmittel, Alkohol und Salbengrundlagen eine starke Note von Süßholz. Offenbar hatte jemand Lakritztaler abgepackt.
Ihre Mitarbeiterinnen Beate und Ulrike, die während ihrer Urlaubswoche für sie eingesprungen waren, hatten ihr im Büro eine Liste von Dingen hinterlassen, die sie persönlich erledigen musste. Außerdem stapelte sich die Post von den Krankenkassen, die oft für unangenehme Überraschungen sorgte. Von den Rechnungen ganz zu schweigen.
Nur der letzte Punkt auf der Liste war ungewöhnlich. Der Enkelsohn einer ihrer Stammkundinnen bat um ein Gespräch. Sie war gespannt, was er von ihr wollte.
Noch ehe Antonia die üblichen morgendlichen Handgriffe erledigt hatte, hörte sie jemanden zur Vordertür hereinkommen. Der Türgong war ein Geschenk ihrer Mutter zu ihrem Eröffnungstag gewesen. Er sollte klingen wie eine sanft angeschlagene tibetische Klangschale, war jedoch defekt und unterbrach seinen Wohlklang häufig mit dem knarzenden Störgeräusch eines schlecht eingestellten Radiosenders. Antonia hätte ihn gern ersetzt, konnte sich aber noch nicht dazu durchringen.
An diesem Morgen bedeutete der knarzende Gong, dass der erste Kunde wieder einmal vor ihrer neuen Mitarbeiterin Carolin eintraf. Zwei Monate lang sah sie das schon mit an und ließ Entschuldigungen gelten. So gern sie die junge PTA hatte – nun wurde es doch Zeit, dass sie ein ernstes Wort mit ihr sprach.
Mit diesem unerfreulichen Gedanken im Sinn trat sie ihrem ersten Kunden entgegen. Walter Hartmann war fünfundsechzig, seit dem zwei Jahre zurückliegenden Tod seiner Frau Stammkunde in der Apotheke und seit vier Monaten in Rente. Mittlerweile kam er zwei-, manchmal dreimal in der Woche. Hätte Antonia nicht bereits geschlussfolgert, dass es ihm dabei nicht nur um die Teststreifen für sein Blutzuckermessgerät, ABC-Pflaster oder Hühneraugentinktur ging, hätte sie es spätestens an diesem Tag erkannt.
Herr Hartmann trug dasselbe graue Jackett, das er außer im kältesten Winter immer trug, hatte seine weißen Haare sorgfältig frisiert und hielt sich mit beiden Händen einen Strauß kleiner Sonnenblumen vor die Brust.
»Guten Morgen, Herr Hartmann.«
Bevor Antonia mehr sagen konnte, präsentierte er ihr mit einer eleganten Bewegung die Blumen. Seine Lippen lächelten nicht, doch in seinen Augen blitzte ein Funkeln auf, das sie davon abhielt, ihn allzu ernst zu nehmen.
»Liebe Frau Kronenberg, ich freue mich, dass Sie aus dem Urlaub zurück sind. Zwar beherrschen auch Ihre Mitarbeiterinnen zweifellos ihr Handwerk, aber diese besondere … Ich habe darüber nachgedacht, wie ich es nennen will: Diese besondere heilende Zuversicht, die verbreiten nur Sie. Wissen Sie, warum ich Ihnen diese Sonnenblumen schenken möchte? Weil Sonnenblumen ihre Blüten und Blätter der Sonne folgen lassen. Diese Blumen wenden sich bewusst dem Hellen und Schönen im Leben zu, so wie Sie es Ihren Kunden raten. Deshalb erinnern sie mich an Sie. Allerdings endet da der Vergleich, denn so schön wie Sie sind diese Pflanzen nicht.«
Nun lächelte er flüchtig und streckte ihr den Strauß so entgegen, dass sie ihn annehmen musste.
Obwohl sie überzeugt war, dass der Flirt mit ihr für den frischgebackenen Rentner nur ein Zeitvertreib war, fühlte sie sich berührt und geschmeichelt.
Sie verbarg ihre Verlegenheit hinter einem Lachen. »Na, Sie verstehen es ja, eine Frau glücklich zu machen. So etwas Nettes hat mir schon lange kein Mann mehr gesagt.«
»Was denn! Auch nicht Ihr Gatte?«
Antonia lachte wieder, dieses Mal weniger fröhlich. »Ach, Sie wissen doch, wie das ist. Wir feiern am Sechzehnten dieses Monats unser zwanzigjähriges Jubiläum. Da hat man die Liebesschwüre schon eine Weile hinter sich gelassen.«
Er zeigte ihr seinen warnend wackelnden Zeigefinger. »So sollte es aber nicht sein. Glauben Sie mir das. Ich weiß Bescheid. Aber je nun.«
Aber-je-nun bedeutete, dass er das Thema wechseln wollte – so gut kannte Antonia ihn. Und richtig: »Warum ich eigentlich komme … Ich habe da etwas in der Apotheken-Rundschau gelesen. Und zwar stand da, dass es ein Blutzuckermessgerät gibt, für das die Teststreifen viel billiger sind. Warten Sie, ich habe den Artikel mitgebracht. Hier …«
Die nächsten zehn Minuten diskutierte Antonia mit Herrn Hartmann über Blutzuckermessgeräte. Dann musste sie rasch seine Tube Handcreme abrechnen, um sich einer neuen Kundin widmen zu können.
Inzwischen war der Himmel dunkler geworden und der Sprühregen in einen Wolkenbruch übergegangen. Carolin hatte noch immer nichts von sich hören lassen. Doch trotz ihrer Verspätung hoffte Antonia nun, dass sie sich mit ihrem Fahrrad irgendwo untergestellt hatte und nicht völlig durchnässt wurde.