Buchinfo
Ben ist Indianer, Seilbahnfahrer und Schildkröten-Kenner. Und seit fünf Tagen in der Schule. Als Kleinster muss er sich hier erst mal gegen den Größten der Klasse behaupten. Zum Glück gibt es Ina, seine Indianerfrau, und seine beiden Schildkröten. Gemeinsam erobern sie die leere Schule, wundern sich beim Küssengucken und schlagen eine Geburtstagstorten-Schlacht. Alles ist neu und aufregend und die Schulwelt ein echtes Abenteuer.
Einen Trailer zum Buch gibt es auf: www.thienemann.de
Autorenvita
© privat
Oliver Scherz, geboren 1974 in Essen, ist Schauspieler, Cutter und Kinderbuchautor. Er möchte Kinder und Erwachsene gleichermaßen mit seinen Geschichten berühren. Das Vorlesen ist ein wichtiges Ereignis für die ganze Familie, findet er. Und ein gutes Kinderbuch kennt kein Höchstlesealter.
Oliver Scherz lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin.
www.oliverscherz-autor.de
Für meinen Bruder Daniel
Ich bin wieder daaaha!
»Ich bin wieder daaaha!«
Ich renne noch in Draußenschuhen die Treppe zu meinem Zimmer nach oben. Mit Riesenschritten.
Dann pfeffere ich die Jacke auf mein Bett und setze mich auf dem Schulranzen vors Glashaus.
Meine Schildkröten, Herr Sowa und Frau Lea, drücken schon ihre Köpfe an die Scheibe. Wenn ich mittags nach Hause komme, kriegen sie sofort was von der Schule zu hören.
»Heute hat Olaf fast jeden in den Schwitzkasten genommen.«
Olaf ist der Größte und Stärkste in unserer Klasse. Er kann seinen Tisch alleine hochheben. Vor Olaf hat jeder Angst. Selbst Herr Sowa und Frau Lea. Die ducken sich schon weg, wenn ich von ihm erzähle.
»Aber gegen die Zwillinge kommt Olaf nicht an. Die sind immer zu zweit. Die müsste er schon gleichzeitig in den Schwitzkasten nehmen. Geht aber nicht. Weil die Zwillinge unschlagbar sind. Die können zusammen doppelt so schnell rechnen wie ein Computer. Haben sie gesagt, glaub ich ihnen aber nicht.«
Ich schenke Herrn Sowa und Frau Lea die letzte Mohrrübe aus meinem Schulranzen. Die ist noch übrig. Die anderen haben wir in der Pause hinterm Gebüsch in die Erde gehauen. Außer Herrn Sowa und Frau Lea mag niemand Mohrrüben. Auch wenn mir meine Mutter das nicht glaubt. Und wer seine Rübe am schnellsten in den Boden haut, kriegt alle Süßigkeiten der anderen. Darum ist alles Leckere aus meiner Schultüte leider schon weg.
Ich bin übrigens Ben. Für alle, die mich noch nicht kennen. Wenn ich nicht Ben bin, dann bin ich Indianer. Außer den beiden Schildkröten habe ich auch einen großen Bruder. Der heißt Alex. Und seit fünf Tagen gehe ich zur Schule. Aber morgen und übermorgen nicht. Da ist Wochenende. Dabei will ich eigentlich, dass unsere Lehrerin die Tafel gleich morgen früh wieder aufklappt. Jetzt muss ich bis Montag darauf warten.
»Warten ist langweilig!«, sage ich zu Herrn Sowa.
Früher wäre ich mit ihm bei einem Wind wie heute nach draußen auf die Felder gefahren. Ich hätte ihn an meinen Drachen gebunden und er wäre mit offenem Mund durch die Luft gerauscht. Aber das geht eben nicht mehr. Seit seiner Lungenentzündung müssen wir ruhigere Sachen machen.
Ich hole mein Übungsheft aus dem Schulranzen und halte es aufgeklappt ans Glashaus: »Das ist das ›A‹. Den Buchstaben habt ihr beide in eurem Namen«, erkläre ich Herrn SowA und Frau LeA.
Herr Sowa kneift seine weisen Augen zusammen und klettert auf Frau Lea, um die oberste A-Reihe besser sehen zu können.
Schildkröten lernen bestimmt gut. Weil sie so viel Geduld haben. Die habe ich gerade überhaupt nicht. Ich stecke das Übungsheft gleich wieder weg und lege meine Indianerfeder in die Seilbahngondel. Die Seilbahn führt von meinem Fenster aus hoch überm Gartenzaun zu unseren Nachbarn rüber. An Inas Fenster ist Endstation. Ina ist meine Indianerfrau. Sie hat Schürfwunden an Armen und Beinen wie ich. Und wir sind auch in der Klasse Nachbarn, weil wir am selben Tisch sitzen.
Ich lasse die Brotbox zu Inas Fenster rüberschweben. Die Brotbox ist unsere Gondel. Und eine Indianerfeder in der Brotbox bedeutet, dass wir uns im Zelt im Garten treffen. Und zwar sofort. Ich blinke mit der Hundert-Meter-Taschenlampe von Alex in Inas Zimmer hinein. Als Ina das Fenster aufmacht und in der Brotbox nachschaut, laufe ich schon los.
Das Indianerzelt gehört nur Ina und mir. Es ist sehr gemütlich, weil die Felldecke von Inas Vater auf dem Boden liegt. In der Mitte steht der Kaktus aus unserem Wohnzimmer. Der ist so groß, dass er oben ein kleines Loch ins Zelt gebohrt hat. Außerdem liegt meine Flöte als Friedenspfeife hier.
Ina setzt sich zu mir auf die Decke und steckt sich meine Indianerfeder in die Haare. Jetzt ist sie »Stampfende Büffelfrau«. Ich bin »Schleichender Donner«.
»Mein Bruder hat vorhin gesagt, dass wir um fünf Uhr zum Schulhof kommen sollen«, geb ich weiter.
»Was will er denn mit uns machen?«
»Das werden wir schon sehen. Hat er gesagt. Und Paul ist auch dabei.« Paul ist Alex’ Freund. Zusammen überfallen sie uns manchmal. Mit Alex’ Gewehr und Pauls Pistole.
»Sollen wir wirklich hin?«, fragt »Stampfende Büffelfrau«.
Und »Schleichender Donner« nickt. Weil das Wochenende so gleich ein bisschen kürzer wird. Obwohl ich mich auch schon die ganze Zeit frage, was Alex und Paul mit uns vorhaben …
Indianer oder i-Männchen
Um genau fünf stehen Ina und ich vor dem Schultor. Der Schulhof ist leer. Bis jetzt kennen wir ihn nur voll. Leer sieht er ganz verboten aus. Nicht einmal Alex und Paul sind zu sehen. Zur Sicherheit habe ich mein Holzmesser dabei. Bei Alex und Paul weiß man nie.
Plötzlich kommt Alex hinter dem Schulhaus hervor. Er pfeift kurz zu uns rüber. Dann ist er wieder verschwunden. Wenn mein Bruder so heimlichtut, bedeutet das meistens nichts Gutes.
Ina und ich laufen geduckt über den Schulhof. Dann gucken wir vorsichtig um die Ecke hinters Schulhaus: Alex und Paul hocken auf dem Boden und vor ihnen steht die große Süßigkeitendose. Die mit den fiesen Viechern. Da sind Ratten, Spinnen und Teufel aus Essgummi drin. Alex hat sie von meinen Eltern bekommen. Als Ausgleich für meine Schultüte. Die Dose ist in unserem Haus gerade der größte Schatz. Seitdem ich alles Leckere aus meiner Schultüte beim Rüben-in-den-Boden-Hauen verloren habe.
Jetzt hält Alex uns die offene Dose hin. Wir kommen sofort hinter der Ecke hervor. Aber als wir uns eine Handvoll Gummi nehmen wollen, zieht Alex die Dose wieder zurück.