Meine Lyrik

 

Richard Dehmel

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

 

Richard Dehmel – Biografie und Bibliografie

 

Erlösungen - Eine Seelenwandlung in Gedichten und Sprüchen

 

Vorwort

 

Erste Stufe: Ringen und Trachten

 

In Kraft und Schönheit

Erste Sehnsucht

1.

2.

An die Krämerseelen

Fehdebrief

Bekenntnis

Eine gantz new Schelmenweys

Novemberfahrt

Fußnoten

Empfang

Wechselwirkung

Protest

Abschied

Ruhig Blut!

Im Regen

Nächtliche Frage

Zuflucht

Nur ein Hund

Trost

Im Nebenzimmer

Der Versucher

Erste Begierde

Meeraugen

Verführung

Das alte Lied

Totenrache

Gespenstische Sühne

Das Weib des Matrosen

Sommerabend

Abendnebel

Wollust

Und Wir?

Die Wahrheit

Sternzauber

Der Wunsch

Erscheinung

Weihnachtsglocken

Das Wunderblümlein

Der Vogel Wandelbar

Frühlingsahnung

Schneeglöckchen

Nebel und Schatten

Narzissen

Läuterung

Offenbarung

Erleuchtung

 

Zweite Stufe: Liebe

 

Verloren?

Des Traumes Ziel

Frühlingsgebet

1. Käfers Ende

2. Ende der Rose

Menschenthorheit

Zweifel

Hoffnung

Im Traume

Sehnsucht

Gewittersegen

An meine Königin

Jetzt und immer

Abendgang

Kahnfahrt

Am Krankenbett

Nach der Krankheit

Allgegenwart

Deine Nähe

Entweihung

Frieden der Nacht

Waldnacht

Käferlied

Jünglings Sehnsucht

Mädchens Sehnsucht

Natur und Sehnsucht

1.

2.

3.

4.

5.

Ballnacht

Tiefste Sehnsucht

Geständnis

Rückkehr

Sühne

Einst!

Gebet an die Geliebte

Du zürnest nicht

Sieg

Erkenntnis

Lied des Mädchens

Nachtgebet der Braut

Liebe und Leidenschaft

Eine Weihnachtsstunde

Mein Auge

Vision

Symbol

Lobgesang

Trauschwur

Es werde!

Glück

Kranzgedicht zur silbernen Hochzeit der Eltern

Zu einer Hochzeit

Die Begegnung

Erwachen

Grusz

Stromüber

Klage der Gattin

Schutzengel

Das Weib des Jägers

Wiegenlied

Liebe und Ehre

Frühlings Einzug

Morgenandacht

Im Wandern

Mondnacht

Letzter Wunsch

Kunst und Liebe

 

Zur dritten Stufe: Leben und Arbeit

 

An Friedrich Nietzsche

Selbstentäuszerung: Selbsterfüllung

Der Unterschied

An die Kleingläubigen

An eine Gütige

An die Charaktervollen

Vorsicht!

Wirkung der Zeit

Blick in das All

Das Ziel

Gottheit, Menschheit, Kunst

Erklärung

Das Heiligtum der Musen

Der rechte Ton

Scheinkunst

An die »Ibsenreifen«

Le roman expérimental

Sinnbild

Die gröszere Aufgabe

Der gröszere Meister

1. Für die Sudelköche

2. Für die Schmudelköche

Moderne Lyriker

Ein bengalisches Licht

Naturtrieb

Der Reim

An einen Kritokraten

Kunstgenusz

Im Goethehaus zu Frankfurt

Vor der sixtinischen Madonna

Jugendweisheit

Ums Brot

Zeitorakel

Dichterfreundschaft

Deutsches Thun

Kunst, Wahrheit, Volk

Bergpsalm

Der befreite Prometheus

Das Urteil des Paris

Jesus in Gethsemane

Glaube, Liebe, Glaube

Dahin ...

Vierter Klasse

Zu eng

Ein Märtyrer

Die Magd

Ein Dankopfer

Bismarck

Deutung

Schutz

 

Aber die Liebe  - Ein Ehemanns und Menschenbuch

 

Hieroglyphe

Meinem Freunde Detleb, dem Dichter Liliencron

Wendekreislauf

Ein Ewiger

»Grüße!!!«

Bastard

Das Ideal

Einsamkeiten

Die drei Schwestern

Jesus der Künstler

Das Gesicht

Liebe

Zur Beichte

Aufblick

Heimweh in die Welt

Es war einmal

Auf der Geise

Der Pirat

Gastgeschenk

Mädchenfrühling

Nicht doch!

Oben und Unten

Helle Nacht

Lebe wohl!

So im Wandern

1.

2.

Bann

Gieb mir!

Und dennoch!

Das Menschliche

Antwort

Nur

Büßende Liebe

Bitte

Dann

Die zweite Nacht

Der Brand

Ueber den Sümpfen

Hamburger Lästerbrief

Wiedergeburt

Gewissen

Der tote Ton

Zu Gott

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Drei Ringe

Rückkehr

Wiegenlied für meinen Jungen

Lied des vogelfreien Dichters

Lied der Gehenkten

Chinesisches Trinklied

Fromme Wünsche

Die beiden Schwestern

Das Urteil des Paris

Gebet der Sättigung

Loke der Lästerer

Die Illusion

An mein Volk

Machtsprüche

1.

2.

3.

Tragische Erscheinung

 

Weib und Welt

 

Gondelliedchen

Das Märchen vom Maulwurf

Maiwunder

Entladung

Begegnung

Ein Stelldichein

Ausblick

Am Ufer

Manche Nacht

Aus banger Brust

Heimat

Dann

Die stille Stadt

Der entzückende Krüppel

Die Reise

Das Kind

Ein Grab

Ruhe

Ernte

Stiller Gang

Die Harfe

Geheimnis

Drama

Klage

Zukunft

Enthüllung

Bewegte See

Der Sturm

Beschwichtigung

Mannesbangen

Jesus bettelt

Immer wieder

Alles

Hans im Glück

Verklärte Nacht

Das Schloß

Erfüllung

Morgenstunde

Schneeflocken

Orientalisches Potpourri

Der Schlangenkäfig

Warnung

Erwartung

Im Reich der Liebe

Drohung

Aufstieg

Störung

Furchtbar schlimm

Ein Ring

Wirrsal

Mit gedämpfter Stimme

Aus schwerer Stunde

Beschwörung

Zuversicht

Eva und der Tod

Verhör

Böser Traum

Mit heiligem Geist

Besuch

Gethsemane

Venus Consolatrix

Die Glücklichen

Der Arbeitsmann

Erhebung

Der Fluß

Morgen

Mittag

Abend

Nacht

Die gelbe Katze

Nacht für Nacht

 

Zwei Menschen

 

Erster Umkreis: Die Erkenntnis

 

Eingang

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

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24.

25.

26.

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29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

 

Zweiter Umkreis: Die Seligkeit

 

Eingang

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

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32.

33.

34.

35.

36.

 

Dritter Umkreis: Die Klarheit

 

Eingang

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

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32.

33.

34.

35.

36.

Ausgang

 

Die Verwandlungen der Venus

 

Erotische Rhapsodie mit einer moralischen Ouvertüre

Ouvertüre:

Das entschleierte Schwesternpaar

Venus Anadyomene

Venus Primitiva!

Venus Pandemos

Venus Socia

Venus Excelsior:

Venus Creatrix

Venus Urania

Venus Religio

Venus Madonna

Venus Mater:

Venus Mamma

Venus Natura

Venus Bestia!

Amor Modernus Domesticus

Venus Adultera

Venus Maculata

Venus Perversa

Venus Mystica

Venus Idealis

Venus Metaphysica

Fußnoten

Venus Occulta

Venus Vita

Venus Mors

Venus Homo

Venus Sapiens

Venus Fantasia!

Venus Regina

Venus Consolatrix

Venus Universa

Venus Heroica:

Venus Mea

 

Der Kindergarten

 

Gärtnerspruch

Aussaat

Laufbahn

Vatergruss

Heimlich Geleit

Der Vogel Wandelbar

Triumphgeschrei

Schnurrige Predigt

Staatsereignis

Käuzchenspiel

Käferlied

Die Reise

Fitzebutze

Nochmals Fitzebutze

Das Maiwunder

Der Schatten

Der kleine Sünder

Fragefritze und die Plappertasche

Furchtbar schlimm

Zum Geburtstag

1. Mit zwei Lampen

2. Mit einer Handvoll Haselnüsse

An einem Hochzeitstag

Aurikelchen

Puhstemuhme

Das große Karussell

Die Schaukel

Das richtige Pferd

Die ganze Welt

Lazarus

Anfang

Ein Zimmermann

Ein Dachdecker

Ein Feuerwehrmann

Ein Schmied

Ein Maschinenbauer

Ein Eisenbahner

Ein Weltreisender

Ein König

Ein Tierbändiger

Ein Kunstreiter

Ein Jägersmann

Ein Gärtner

Ein Ackersmann

Ein Seemann

Ein Lotse

Ein Taucher

Ein Goldgräber

Ein Bergführer

Ein Luftschiffer

Ein Dichter

Ein Engel

Schluß

 

Schöne wilde Welt

 

Erste Hälfte

Zweite Hälfte

 

 

 

 

 

 

Meine Lyrik, R. Dehmel

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

 

ISBN: 9783849609221

 

www.jazzybee-verlag.de

admin@jazzybee-verlag.de


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Richard Dehmel – Biografie und Bibliografie

 

Lyriker, geb. 18. Nov. 1863 zu Wendisch-Hermsdorf in Brandenburg, verstorben am 8. Februar 1920 in Blankenese. Besuchte das Sophiengymnasium in Berlin, bestand sein Abiturium 1882 in Danzig, studierte erst Philosophie und Naturwissenschaften, dann Nationalökonomie, meist in Berlin, promovierte 1887 in Leipzig mit einer Schrift über Versicherungswesen, war hierauf acht Jahre Sekretär des Verbandes deutscher Privat-Feuerversicherungsgesellschaften und lebt jetzt als freier Schriftsteller in Blankenese bei Hamburg. Er veröffentlichte die durch eine starke Neigung zum Symbolismus charakterisierten Gedichtsammlungen: »Erlösungen« (Stuttg. 1891; 2. Aufl., Berl. 1898); »Aber die Liebe. Ein Ehemanns- und Menschenbuch« (das. 1893); »Lebensblätter« (das. 1895); »Weib und Welt« (das. 1897, 2. Aufl. 1901); ferner das Drama »Der Mitmensch« (das. 1895), das Tanzspiel »Luzifer« (das. 1899); »Ausgewählte Gedichte« (das. 1901) und mit seiner Gattin Paula: »Fitzebutze. Allerhand Schnickschnack für Kinder« (das. 1900). Vgl. Furcht, Richard D. (Mind. 1899); Moeller-Bruck, Richard D. (Berl. 1900); Bab, Richard D. (das. 1903).

 

 

 

Erlösungen - Eine Seelenwandlung in Gedichten und Sprüchen

 

  Leitspruch: Jugendsehnen, Jugendirren:

  ach, was mag sich draus entwirren?

  Nimmer ruht der Wünsche Spiel:

  jeder Tag entfernt das Ziel!

 Richard Dehmel.

 

Vorwort

 

 

Keine Furcht! ich will nicht etwa, nach Art der Kasperle-Poeten vor den Jahrmarktbuden, hier den Ausrufer machen und erklären, was der Sinn des Buches »nämlich« sein soll. Ueber sein Innerstes Nichts, höchstens die Eine Bitte: diese Seelenwandlung zu lesen als die Geschichte einer Jugend, eben nicht blos als ein Bändchen von Gedichten zu durchblättern! –

Ein mehr Aeußerliches ist es, worüber ich mich kurz erklären will: die Abweichung von dem alten widersinnigen Brauche, jede Verszeile mit großer Letter anzubrechen, und die mancherlei Stellen in Sperrschrift. Es herrschen Vorurteile gegen solche Auffälligkeiten; man wittert poetische Schwächen dahinter oder – poetische Eitelkeit. Aber man vergesse nicht: die Druckschrift hat doch nur den Zweck, die lebendige Sprache zu ersetzen. Je rascher das gelesene Wort die Vorstellung des gehörten erweckt, umso besser ist der Zweck erfüllt. Daher alle Regeln der Rechtschreibung, daher die Interpunktionen und all die andern Erleichterungen dieses Verkehrs zwischen Auge und innerem Ohr. Und grade der Versdichter, der seine bannenden Wirkungen eben den verborgenen Sinnlichkeiten der lebendigen Sprache ablauscht, sollte kein mögliches Mittel verschmähen, durch das er sein gedrucktes Wort so schnell, eindringlich und fließend, als wenn er selbst es sprechen würde, dem Leser zu Gemüte führen kann. Zumal Dem, der laut liest, wird damit gedient sein; und erst der laut gelesene Vers führt in die Tiefen des Urteils wie des Genusses! –

Freilich wird es immer Stellen geben, wo all das Mannigfaltige an Stimmung und Empfindung, das der Dichter in Einer Wendung, Einem Bilde, Einer lautlichen Verknüpfung durch seine Kunst zusammenklingen läßt, den Hörer je nach seiner Sonderart zu Widersprüchen gegen Vortrag und betonendes Gefühl des Künstlers reizen würde. Aber eben Da hat Dieser umso mehr das Recht und vielleicht ein wenig gar die Pflicht, gleichsam als ein treuer Eckart seiner eigenen, in Lust und Schmerzen geborenen Kinder zärtlich den Finger zu heben und der unholden Welt still seinen schützenden Willen zu weisen. Und dem Leser bleibt ja unbenommen, sich nicht daran zu kehren. Wo aber etwa Unzulänglichkeit zu solchen Mitteln greift als Krücken der rhythmischen Ohnmacht, wird sie grade durch die Krücken erst recht ins Auge springen.

R.D.

 

Erste Stufe: Ringen und Trachten

 

 

  Wenn du auch irrst

  auf den Pfaden des Strebens:

  Nichts ist vergebens,

  denn du wirst.

  Nur: bleibe Herr deines Strebens!

 

In Kraft und Schönheit

 

In Kraft und Schönheit will ich singen

mein freies Lied! um Wahrheit nicht

braucht zitternd meine Glut zu ringen:

ich selbst bin wahr! – Auf Sturmesschwingen

zur lichten Lohe will ich zwingen

die Flamme, die der Glut entbricht!

 

In Kraft und Schönheit will ich lieben,

was Fleisch und Seele heiß umarmt!

Ich bin dem Geist der Brunst verschrieben:

der Same, der die Glut getrieben,

der fruchtbar bis zu Mir geblieben,

nach frischem Blut er lechzt und barmt!

 

In Kraft und Schönheit will ich hassen

den Feind der Kraft, der schönen Lust:

die Eklen, die im Schlamm der Gassen

die reine Saat zu Kot verprassen, –

die Dumpfen, die verglimmen lassen

den heil'gen Funken ihrer Brust!

 

In Kraft und Schönheit all mein Leben,

mein Trachten all: Das sei mein Wort!

Dann mag sich wider mich erheben

der Qualm der Zeit: es wird mein Streben

auf lichter Lohe ihm entschweben

und Flammen zeugen fort und fort!

 

 

Erste Sehnsucht

 

Frühling im Lande! – Gärend quoll sein Blut,

des Körpers enge Last den Wesen rings

in schwellenden Wonnewogen schier zersprengend,

durch alle Thäler, über alle Höh'n;

die strotzenden Knospen schienen nur zu harren

auf den Erlösungshauch, der endlich sie

aus ihrer starren Hülle sollte reißen,

sich satt zu trinken an der jungen Luft

und lebensselig all ihr keusches Grün

dem flammenden Kuß des Lichtes zu vermählen.

 

Hinein ich lauschte in dies trunkne Werden,

ein einzig lauschend Aug' und Ohr und Herz,

erlauschte Alles – Nichts – o Alles all:

des Baums, der Gräser Durst, den schmetternden Vogel,

den Gießbach, der zur Ebne zischend sprang,

und in der tiefen Ferne, unentwirrbar

dem zitternden Duft, der Menschenstadt Gewimmel.

Und Menschen, Bach und Halm und Baum und Vogel,

von Einer Brunst umschlungen fühlt' ich Alles,

in Eine Inbrunst Alles untertauchen,

in Eines branden mit dem strömenden Glanz –

und eine Sehnsucht mir die Brust bestürmen,

mich hinzugeben in das All der Welt

und von mir all mein Eigen Sein zu werfen.

 

Doch klammernd hielt mich die Erinnrung fest;

und taumelnd, in zerknirschten Wonnen ahnt' ich,

daß Menschenkindern nur ein Menschenherz,

selbstloser Liebe voll, die Fluten birgt,

erlöst zu werden von des Leibes Schranken

und selbstvergessen in das All zu sinken:

ein Andres Herz, selbstloser Liebe voll.

Nach Liebe, Liebe schrie es laut in mir,

nach einem Herzen, das für Mich nur schlüge,

für mich, für mich, der – selber lieblos immer!

 

Da brach's empor, da sah ich nackt mein Weh

und sah's und schlug die Hände vors Gesicht

und warf zur Erde mich und weinte.

 

 

Zweierlei Treiben

 

1.

 

Dir selbst entrinnen:

wohin und wie?

kommst nie von Hinnen,

zum Ziele nie!

 

Laß dich doch gehen,

laß dich doch treiben!

nur: lerne sehen,

lerne – dich reiben!

 

 

2.

 

Treiben? – Gut!

nur: keine Gesetze!

Ich bin die Flut,

ihr – seid die Klötze.

 

 

An die Krämerseelen

 

Oh wie sie messen, wenn sie Liebe schenken,

daß nicht zuviel der liebe Nächste nehme!

wie sie gewissenhaft den Handel lenken,

daß man nur recht der Menge sich bequeme!

 

O wie sie schelten, wenn mit tausend Händen

aus meiner Brust mich selbst ich möchte streuen,

um tausendfach mein Lieben auszuspenden,

um tausendfach mein Lieben zu erneuen!

 

Nein, nein! ich kann mich nicht wie Ihr begnügen,

ich kann nicht tropfenweis mein Herz verschütten:

eh' wollt' ich, meiner Liebe Fluten schlügen

empört in Stücken eure Bettelhütten!

 

 

Fehdebrief

 

Ich hasse dieses Mittelstraßenleben,

ich will nicht eure wohlgemeinten Reden,

ich passe nicht in euer Alltagsstreben,

ich will das Glück nicht, das da feil für Jeden!

 

Ich habe eine Welt in meinen Sinnen,

die Ihr nicht ahnt mit euern Biedergeistern!

Drum lasset das Bedauern, laßt das Meistern –

ich fühl's: ich werde einst die Schlacht gewinnen!

 

Und habt ihr dennoch Recht mit euern Lehren

und sollt' ich zu entketten nicht vermögen,

was in mir stöhnt und schreit dem Licht entgegen:

so werd' ich dennoch euern Rat nicht ehren!

 

Ich lege eher nicht das Schwert von Händen,

bis Wunden – oder Kronen mich ermatten;

und eher nicht entgürt' ich meine Lenden,

bis im Olymp ich – oder bei den Schatten!

 

 

Bekenntnis

 

Ich will ergründen alle Lust,

so tief ich dürften kann;

ich will sie schlürfen ganz und gar,

und stürbe ich daran.

 

Ich will entlodern all die Glut,

die mir im Herzen brennt;

ich will nicht zähmen ihrer Wut

hinrasend Element.

 

Ward ich durch frommer Lippen Macht,

durch sanfter Küsse Tausch?

Ich ward erzeugt bei wilder Nacht

in tollem Wollustrausch!

 

Nun will ich leben auch in Lust,

da mich die Lust erschuf; –

schreit nur den Himmel an um mich,

ihr Beter von Beruf!

 

 

Eine gantz new Schelmenweys

 

Wir Schelmbe sind ein feinen hauff,

da kann kein Herrgott wider auf!

Die Welt ist voll von Vnsern Preiß,

seit Adam stahl im Paradeys.

 

Uns bleibt kein geldt in unsern Sack,

Wir seyn ein fürnemb Lumpenpack,

Wir han das Allergrößt gefolg,

kein fuerst vnd Hertzog hat ein solch.

 

Zu nie keyn arbeitt taugen Wir

als für dem Edlen Malwesier.

Dem dienen wir und seyn nit faul:

ein jede Flaschen findt jr maul.

 

Wir han nit Weib, wir han nit Kind,

wir sind die rechten Sausewind.

Vnd läßt vns Eine Dirn nit ein:

die Ander wird so süsser seyn!

 

Wir schieren umb kein pfaff uns nit,

Wir han uns Eignen segen mit.

Vnd pfeiffen wir am letzten loch:

der Teuffel nimbt in Gnad vns doch!

 

Novemberfahrt

 

Ja, lacht nur, lacht! am Wege da

ihr pelzvermummten Gaffer!

Uns gab ein heißres Blut, hahah,

der Wein- und Weiberschaffer!

Und wenn wir etwas zittrig sind

und etwas rot die Nase,

so meint nur nicht, das sei vom Wind:

das Wetter liegt im Glase!

 

Wir fahren in die Welt hinein,

wenn Uns es will behagen;

wir fahren in dem Sonnenschein,

den wir im Herzen tragen!

Und wenn die olle Sonne sieht

so junge Dreistewichte,

dann wird sie gleich vor Angst verliebt

und macht ihr schönst Gesichte.

 

Hurrah, Novembersonnentag,

du Wunderwanderwetter:

derweil am Herd das Zimperpack

sich wärmt den Katterletter1!

Hurrah, so stark dein herber Duft,

so würzig seine Schwere!

Hurrrah – ich schlürfe deine Luft,

als ob es Rheinwein wäre!

 

 

Fußnoten

 

1 Anm. d. Setzers: Die Quatre Lettres?

 

 

Empfang

 

In den Kreis der Zechgenossen

bin ich wieder eingekehrt,

wo man mit den alten Possen

Bacchus und Gambrin noch ehrt.

 

An Comment und Schlägerhieben

hänget da der Freundschaft Band,

doch im Wappen steht geschrieben:

Freiheit, Ehre, Vaterland!

 

Zwar ertönt bei ihren Festen

manches große, volle Wort:

zugeschnitten aus den Resten

toten Ernstes – nun ein Sport!

 

Und sie haben mich empfangen,

wie man's Einst beim Willkomm hielt;

doch aus ihrer Worte Prangen

blassen Augs die Lüge schielt.

 

Und ich saß und saß und suchte

eines Blickes warmen Strahl, –

bis ich ihrem Anstand fluchte

und mich still vondannen stahl.

 

Wechselwirkung

 

Ich wüßte nicht mich nach der Form zu richten,

wird mir bedeutet von gestrengen Richtern.

Und freilich: leicht ereignet sich's an Dichtern,

daß sie formloser leben als sie dichten.

 

Denn leider müssen sie die Menschen sichten

dem Inhalt nach, der hinter den Gesichtern:

zwar Mancher hält's mit formgerechten Wichtern,

doch Mancher wägt nach schwereren Gewichten.

 

Und Mir ergeht es gar blos wie dem Trichter,

der von sich giebt, was man hineingetrichtert.

Gebt mir Gefühl – in echter Form, in schlichter:

und formvoll wird vonselbst sich alles schlichten!

 

doch wenn empfindungslos ihr splitterrichtert,

so werd' ich formlos nur nach Mir mich richten!

 

 

Protest

 

Zur Deutschheit wollet ihr bekehren,

lügt ihr der Menschheit ins Gesicht?

die Manneswürde wollt ihr lehren

und ehrt die Menschenwürde nicht?

 

Doch mögt ihr ruhig weitersingen

von eurer eignen Herrlichkeit:

nur laßt den armen Zöllner ringen,

wehrt Ihm das Ziel nicht, das so weit!

 

Verbannt ihn nicht aus euren Hallen,

darin auch seine Gottheit wohnt!

Noch läßt er's gerne sich gefallen,

daß Ihr als Pharisäer thront.

 

Ein Wahnbild gläubisch anzustarren,

steht eurer fetten Tugend gut;

nur laßt Den auf Erlösung harren,

der weiß, wie weh der Hunger thut!

 

 

Abschied

 

Ich habe Alles euch gegeben,

nun wollt ihr auch das Letzte noch:

nun soll ich knechten auch mein Streben,

zertreten mich für euer Joch?

 

Ich hab' in mir um euch gerungen,

für mein Herz wollt' ich eures auch,

Stolz, Liebe, Haß um euch bezwungen:

nun danket ihr nach altem Brauch!

 

Nun soll ich feige das Gefüge,

dran mitzurüsten ich geweiht,

verleugnen für die große Lüge,

an der sich jetzt berauscht die Zeit?!

 

Ja, eine Zeit gemacht zum Beten!

für jeden engsten Kreis ist heut

ein neuer Heiland uns von Nöten:

der alte starb, zu dem ihr schreit!

 

Doch nicht, daß man aus Luggeweben

die Dornenkrone selbst sich flicht:

ich habe Alles euch gegeben,

doch mein Gewissen geb' ich nicht!

 

Ruhig Blut!

 

Nur kein thörichtes Ereifern,

wenn die Wichte dich begeifern!

Diese Kautschukseelen fliegen

nur so höher vor Vergnügen,

um so mehr sie Hiebe kriegen.

 

 

Im Regen

 

In langen Tropfen rinnt es um mich nieder,

sie schlagen prasselnd durch die schlaffen Blätter,

die Vögel sträuben triefend das Gefieder:

es stimmt zu mir! es ist ein artig Wetter!

 

Trübsel'ger rauscht es in den Lüften immer,

der Himmel brütend scheint zu überlegen

das Loos der Erde – nirgend stört ein Schimmer:

versunken Laub und Licht, – nur Regen, Regen.

 

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:

kein Schein von Freude rings, kein Hauch von Trauer.

Und ziellos starr' ich, – schreit' ich, – fort, – ins Leere:

in mir und um mich grau – – und immer grauer.

 

 

Nächtliche Frage

 

Was will und wogt so wehe

mein Herz empor,

wenn ich dort oben sehe

der Sterne Chor?

 

Wie ferner Größe Glänzen

bestrickt ihr Licht

und läßt in meinen Grenzen

mich ruhen nicht, –

 

es bannt ihr zitternd Blinken

den bangen Blick

wie fernen Glückes Winken:

hinan – – zurück!

 

Und immer doch dies Beben,

und immer mehr!

Oh Stäubchen, Menschenleben,

und doch zu schwer?

 

 

Zuflucht

 

Hinterm kleinen Haus am kleinen Weiher,

dicht umdunkelt rings von Weidenruten,

breitet nickend eine junge Pappel

ihre Zweige zu den tiefen Fluten.

 

Seltsam heimlich ist's an diesem Orte;

schon als Knabe hab' ich hier gesessen

und umschwiegen von den hohen Binsen

weinend so mein junges Leid vergessen.

 

Wieder starr' ich in das schwarze Wasser,

aber keine Thräne kann ich finden;

nur die Pappelzweige seh' ich winkend

dort sich spiegeln in den stillen Gründen.

 

 

Nur ein Hund

 

Ja, Dir wird's schwer, mich zu verlassen!

dein Auge bricht, als ob du weinst,

und warst doch blos ein Kind der Gassen!

Ja, damals ahnt' ich nicht, daß einst

als letzter Freund ein Hund mir bliebe:

da sucht' ich noch bei Menschen Liebe.

 

Mein Hund, in deine treuen Augen

hab' manche Frage ich versenkt,

für die nicht Menschenblicke taugen,

wo man ein Tier braucht, das nicht denkt,

die Ohnmacht auch in Ihm zu sehen,

mit der wir selbst durchs Leben gehen.

 

Du hast mir nie ein Leid bereitet:

Das kann kein Mensch, der liebste nicht!

Nun liegt dein Leib vom Tod gebreitet,

verlöscht dein tröstend Augenlicht ...

Was will mir denn wie Glück noch scheinen?

mein Hund, mein Freund: ich kann noch weinen!

 

 

Trost

 

Es ist nicht gütig, in ein Auge schauen,

in dessen Schooß ein schweigend Weh sich windet:

das Rätsel lockt, die Scham des Mitleids schwindet,

denn eine tiefe Wollust schläft im Grauen.

 

Ihr Eitlen! wollt ihr Den mit Trost erbauen,

der selbst kein Wort für seine Schwermut findet?

Die Kränze, die der Schmerz um Särge bindet:

die echte Thräne wird sie stumm betauen!

 

Und meint ihr denn, wer Einsam sich befragte

mit seinem Leid, er hätt' es nicht bezwungen?

Wer mühsam sich in dunkler Tiefe plagte,

der weiß auch, wann zum Gipfel er gedrungen;

 

doch wer an seinem Leben nie verzagte,

hat um des Lebens Deutung nie gerungen!

 

 

Im Nebenzimmer

 

Schweigen auf Einmal

drinnen? – Horch!

Quellende Laute,

schmeichelnd raunende,

flüsternd berückende,

perlen daher;

quellende Klänge,

jauchzend wallende,

rauschend stürmende,

drängen, umwogen, erwühlen mich.

Weib, dich schauen!

Glühender Lippen schwellende Knospe,

schwellender glüht sie, erblüht zum Lied.

Schauen –! lauschen –!

Weib, die Laute,

Weib, die Laute:

fühlt sie dein Herz?!

 

 

Der Versucher

 

Da steht, da steht sie im Gewimmel!

an ihrem Busen in der Rechten,

wie Nachtgewölke ruhn am Himmel,

die aufgerafften dunklen Flechten, –

 

umstricken meinen Blick wie Schlangen,

mir träumt von Paradiesesnächten ...

Was schlägst du plötzlich so voll Bangen

den Mantel, Weib, um deine Flechten?!

 

 

Erste Begierde

 

O daß der Kuß doch Ewig dauern möchte,

den taumelnd auf die Lippen dir ich preßte,

als Du zum Abschied botest mir die Rechte,

daß starr wie Binsen stand der Schwarm der Gäste!

 

Nein, länger duld' ich nicht dies stumme Sehnen,

ich will nicht länger in verzücktem Harme

die liebekranken Glieder nächtens dehnen;

»O komm, du Weib! entbreit' ich meine Arme..

 

Oh, komm! noch fühlt dich zitternd jeder Sinn,

vom heißen Duft berauscht aus deinem Kleide,

sieht wogend glühn, du Flammenkönigin,

im Aschenflor um dich die Kupferseide.

 

Gieß aus in mich die Schale deiner Glut!

ich dürste nach der Sünde: nach dem Grauen

vor dieses Feuerregens wilder Brut,

vor diesen Weh'n, die wühlend in mir brauen.

 

Es schießt die Saat aus ihrem dunklen Schooß,

die lange schmachtend lag in spröder Hülle:

ich will mich lauter blühn, empor und los

aus meiner leeren Brunst zu Frucht und Fülle!

 

Matt werden will ich meiner schwülen Lust:

oh komm, du Weib! nimm auf in deine Schale

die Furcht, die Sehnsucht dieser jungen Brust:

noch trank ich nie aus euerm Rauschpokale ...

 

Auf Nelkendüften kommt die Nacht gezogen,

o kämst auch Du so süß und so verstohlen!

so mondesweiß dich in die Sammetwogen,

den Purpurflaum der schwärzlichen Violen,

 

die streun ich will, an diese Brust zu betten:

daß alle meine Mächte an des Weibes

enthüllten Göttlichkeiten sich entketten,

versink' ich – in den Teppich – Deines – Leibes!«

 

 

Meeraugen

 

Was will in deinen Augen doch

dies trauervolle dunkle Weh,

so tief und sehr?

so still und schwer

wie die Stürme, die schlafen gingen

im Schooß der grauen See.

 

Versinken will, versinken stumm

in dieser Augen müden Schooß

mein Herz – und will

wie Du so still

und schwer in Dein Herz tauchen

und reißen die Stürme los!

 

und will sich wiegen so mit dir

in rasender lachender Seligkeit

auf freiem Meer, – –

bis tief und sehr

die Wogen wieder ruhen,

verstürmt dein dunkles Leid.

 

 

Verführung

 

Ich weiß es wol, wie's keimt von Trieben

und quillt in dir und aufwärts bricht;

doch Mich, mich liebst du dennoch nicht,

sonst – müßte ich dich wiederlieben.

 

Sonst kämst du jauchzend hergeflogen

und fragtest nicht nach Ruf und Pflicht

und tauchtest schauernd mein Gesicht

in deines Busens heiße Wogen.

 

Sonst würdest du dich um mich flechten,

so wie die Winde zärtlich dicht

im Busch den Blütenzweig umflicht,

in heimlich bangen süßen Nächten.

 

Sonst wär' auch Ich nicht stumm geblieben,

wenn so dein Mund von Liebe spricht:

Ich nicht! – Nein, nein! du liebst mich nicht,

sonst müßte ich dich wiederlieben.

 

 

Das alte Lied

 

Die Rosenknospe gab sie mir,

als sie vondannen schied;

ich wollte lächeln, als ich ihr

versprach dafür ein Lied.

 

Sie sah mir weinend ins Gesicht,

sie wollte lächeln auch:

wir konnten Beide lächeln nicht,

Das ist so Abschiedsbrauch.

 

Nun lächelt sie in Einem fort,

die Ferne heilt das Weh;

die Rosenknospe ist verdorrt,

das Lied ist aus ... Juchheh!

 

 

Totenrache

 

Eine sehr betrübende Geschichte.

 

Durch die schlafende Lagune

seufzend zieht der lange Kahn

seine Bahn,

einsam zieht er durch der dunkeln

langen Wellen glattes Funkeln

wie ein großer schwarzer Schwan ...

 

Nun im Zelt der Barke flüsternd

regt sich eines Mundes Glut,

und die Flut

ebnet sich in weiten Kreisen:

heißer wird der Strom der leisen

Laute, – still! das Ruder ruht.

 

»Donna Anna, Deine Schwüre

sind viel dunkler als die Nacht!

Stolz verlacht

hab' ich all die Lästerzungen,

aber – wenn sie wahr gesungen:

hüte dich! mein Auge wacht!«

 

»Liebster, willst du mich betrüben?!

fühlst du nicht, daß nie von Lust

je gewußt

meine Küsse, bis sie Deinen

bang und süß sich durften einen?«

und sie sinkt ihm an die Brust.

 

»Schwöre –« will er prüfend wehren,

aber an ihm liegt sie dicht:

»Fühlst es nicht?

wie der Vogel in die Weiten,

sehn' ich mich nach Seligkeiten!«

hebt sie schmachtend ihr Gesicht.

 

Und er sieht und fühlt bezwungen

ihres Leibes weiche Pracht,

warme Macht;

seine jungen Wangen blühen,

rötlich schwankt der Ampel Glühen,

Küsse stöhnen durch die Nacht.

 

Und den Mund umzuckt von Schlangen

sieht sie, wie er trunken ist,

sich vergißt, –

doch ihr Spott ist kaum verflogen:

wütend über sie gebogen

fühlt er ihrer Seele List, –

 

und ein Ringen – und ein Keuchen, –

»Gott, Erbarmen –« stickt ein Schrei

dumpf entzwei, –

hohl ein Brodeln im Canale, –

stille wird's mit Einem Male, – –

fern vom Turme schüttert's: Drei ...

 

Wochen fliehen, – wachend, träumend

sehnt er sich nach ihrem Mund

müd und wund;

immer um die dritte Stunde

macht er nächtlich dort die Runde,

starrt er in den blauen Schlund.

 

In der dunklen Wasserschale

sieht er ruhn den bleichen Mond,

ruhn den Mond,

hört er seufzen die versunknen

bleichen Lippen und die trunknen

Küsse, die er so belohnt –!

 

und ihn lockt ein banges Rühren,

und von tiefer banger Macht

süß und sacht

fühlt er sich hinabgebogen,

sinkt er in die warmen Wogen,

schließt sich über ihm die Nacht ...

 

Auf der schlafenden Lagune

wie ein großer schwarzer Schwan

irrt ein Kahn;

wo die Uferwellen glimmen,

sieht man früh ein Ruder schwimmen

auf der leeren Wasserbahn.

 

 

Gespenstische Sühne

 

Graf Richard, was jagst du und jagst durchs Feld,

als fliehst du vor deinem Gewissen?! –

Es war deine Pflicht, es war dein Recht!

dein Weib beim Knecht:

das haben sie büßen müssen!

 

Graf Richard, was fliehst du und fliehst durch die Nacht:

die Tote liegt still auf der Bahre! –

wie damals so still, wie damals so kalt,

als mit Gewalt

sie zogst zum Traualtare! – –

 

Dahin, dahin am Eichenhain!

herunter vom Feld! die Straße hinein!

zurück, zurück zum Schlosse! –

Wie schleichen die Nebel herüber vom Moor,

wie schaun aus dem Walde die Schatten hervor!

Dem Reiter wird wirr und dem Rosse.

 

Dahin, dahin mit hängendem Zaum!

vorüber, vorüber an Baum und Baum!

will die Burg denn noch immer nicht ragen? –

Noch Einmal küssen in heimlicher Stund'

die blasse Wunde, den weißen Mund!

Ich – hab' sie – aus Liebe erschlagen! – –

 

Was taucht hervor aus Dunstes Wogen,

was schimmert so sanft, so bleich?

was kommt so lockend einhergezogen,

was breitet die Arme so weich! –

Allmächtiger Vater, sie lebt! sie verzeiht!

nun bin ich erlöst, nun bin ich befreit!

 

Was schwebt zurück, was schwebt entgegen

vorbei an Stamm und Stamm?

was wallt und winkt mit leisem Bewegen

herunter vom sichern Damm! –

Halt stille doch, Liebchen! ich nehm' dich aufs Pferd!

ich hab' dich so lange, so heiß begehrt! – –

 

Ich will dich haben – heut wirst du Mein –

nicht länger vergebens dein Ehemann sein! –

Und glühenden Blicks er sich vorwärts bengt,

und glühenden Auges der Rappe keucht ...

Die Nebel quellen vom Moore.

 

Willst wieder entweichen –? so stirb, Geduld!

will länger nicht betteln um Deine Huld!

jetzt fasse ich dich! jetzt halt' ich die Braut – –

Braut – gurgelt's, verröchelt's im Schlamm, im Kraut ...

Die Nebel rollen am Moore.

 

 

Das Weib des Matrosen

 

Nach einem französischen Volkslied.

 

Der Seemann kommt vom Krieg zurück,

so sacht!

verbrannt so sehr, verstaubt so sehr!

»Wo kommst du, armer Seemann, her?

so sacht, so sacht?«

 

Frau Wirtin, ich komme vom Krieg zurück,

so sacht.

»Schnell Wein! vom Weißen, der hinten steht!

schnell! eh' der Seemann weitergeht!

so sacht, so sacht!«

 

Der wackre Seemann sitzt und trinkt,

so sacht.

Er sitzt und trinkt und summt ein Lied;

die schöne Wirtin er weinen sieht –

so sacht, so sacht.

 

Was habt Ihr, schöne Frau Wirtin? sagt!

so sacht?

thut leid Euch Euer weißer Wein,

von dem sich schenkt der Seemann ein?

so sacht, so sacht?

 

»Mein weißer Wein thut mir nicht leid:

so sacht:

mein toter Mann kam mir in Sinn,

Ihr seht ihm gleich um Aug' und Kinn

so sacht, so sacht.«

 

O sagt mir, schöne Frau Wirtin, sagt!

so sacht!

zwei Kinder von ihm hattet Ihr –

hört' ich im Dorf – nun habt Ihr vier?

so sacht, so sacht?

 

»Man hat mir manchen Brief geschickt,

so sacht,

und zeigte seinen Tod mir an;

da nahm ich einen andern Mann –

so sacht, so sacht.«

 

Der wackre Seemann leert sein Glas,

so sacht.

Und ohne Dank, mit nassem Blick

ging er zu seinem Schiff zurück –

so sacht, so sacht.

 

 

Sommerabend

 

Klar ruhn die Lüfte auf der stillen Flur;

fern dampft der See; in Dünsten goldig flimmernd

verschwimmt der Sonne letzte rote Spur;

die zarten Wolken wallen hoch und schimmernd.

 

In laue Dämmrung hüllt sich das Gefild,

die Nebel wachsen aus der warmen Erde;

ein matter Duft vom feuchten Grase quillt,

heim zieht der Hirte mit der satten Herde.

 

Die letzte Biene summt zum Korbe dort,

und schweigend wird es auf der weiten Halde;

nur eine Grille singt noch einsam fort,

und sanft ein Rauschen wacht im nahen Walde.

 

Zu weicher Ruhe löst sich jede Kraft,

der Wind selbst schläft wie aus der Welt geschieden,

kaum regt die Aehre sich am schwanken Schaft ...

So sei doch froh, mein Herz, in all dem Frieden!

 

 

Abendnebel

 

So war's auch damals schon – so lautlos,

du tote Braut, so bleich die Luft,

und unterm Dach der Trauerbuche

am Gartensaum hing dumpf ein Duft

von Lindendolden und Hollundern

wie Weihrauch in der Leichengruft:

verstummt auch wir, doch – stumm vor Glück.

 

Begraben – erster Schwur und letzter Schwur!

Oh sinke, Nacht! Im blassen Dunstgeschwele

du einsam Licht, so fern und schwach,

lisch aus, du Mahnbild der verlornen Seele!

Lisch aus! was lockst du mich ins graue Feld?

was such' ich noch und irre – und bestehle

um seine Ruhe nur mein Weh?

 

Bang schweigt die Flur, kaum wagt die stille Nacht

zu nahen dieser Stille, – jeder Hauch

im feuchten Korne wie ertrunken, –

erdrückt vom Himmel, florumsunken

die dunkeln Weiden wie erstarrter Rauch, –

wie furchterstickt das Blatt am Strauch, – –

und dumpf aufschluchzend wünsch' ich mir den Tod.

 

Wollust

 

Nach Shakespeare's 129. Sonett.

 

In wüster Schmach Vergeudung heil'ger Glut

ist Wollust, wenn sie praßt, – und leergepraßt

bricht Schwüre sie, verleumdet, lästert, haßt,

buhlt mit dem Grauen, bangt und giert nach Blut, –

 

gesättigt kaum, von Ekel schon gehetzt, –

sinnlose Lüsternheit und, kaum verraucht,

sinnlose Düsterkeit, in Wut getaucht,

als hätt' ein Tollkraut die Vernunft zerfetzt, –

 

maßlos im Rausch, im Taumel, in der Wahl, –

im Wunsche Wahnsinn, Wahnsinn in der Brunst, –

erdürstet Ueppigkeit, genossen Dunst, –

verzückt vor Wonne, dann erdrückt von Qual ...

 

Ach, Jeder kennt und – Jeder geht den Weg:

zu dieser Hölle diesen Himmelssteg!

 

 

Und Wir?

 

Nach dem italiänischen Poëm eines Wahnsinnigen.

 

Vom Felsen her zum grünen Holze,

vom grünen Holze hin zum Hügel

eilt, Vögelchen, dein freier Flügel:

Ziel nicht, Weg nicht ist Dir bekannt.

 

Und Wir? wir Menschen mit unserm Stolze?

Wie Räder um eiserne Zapfen schwirren,

im ewig gleichen Kreis wir irren:

immer getrieben, immer gebannt.

 

 

Die Wahrheit

 

Ein Traum.

 

Ich rang in Zweifeln schon die ganze Nacht.

Mich treibt ein Geist, und folgen muß ich ihm;

doch darf ich folgen? ist's ein Geist der Wahrheit?

ist's Eitelmut? so zagte meine Seele.

Und Furcht ergriff mich vor dem unverstandnen

Gebet der Kindheit: Nicht wie Ich will, Vater –

in deine Hand befehl' ich meinen Geist!

Und heft'ger rang ich, wie einst Jesus rang ...

Da führte mich der Geist hinweg. Ich stand

an eines Weltmeers sturmgeworfner Fläche.

Sehr finster war's. Doch fernher sah ich ragen,

im düstern Graulicht düstrer noch getürmt,

ein starr Gebilde wie ein Felseneiland.

Die Wogen rollten und die Tiefe brüllte,

und ich erkannte: eine Sintflut war's,

die eine alte Welt hinunterschlang.

In grauenhafter Ohnmacht mit den Wellen

zwei letzte Menschen rangen, Mann und Weib.

Ich sah sie sinken. Doch noch einmal tauchten

des Weibes Glieder krampfig zuckend hoch,

noch einmal ächzte sie: und ihrem Schooß

entwand im Schaume sich ein blühend Kind.

Aus Wolken plötzlich quoll der volle Mond,

die Fluten schwiegen und die Wellen hüpften,

und wiegend trugen sie das neue Leben

auf sanften Armen an das Felsgestade.

Und nun gewahrt' ich auf dem schroffen Gipfel

ein andres Weibeswesen. Schwarzverhüllt

in regungsloser Starrheit thronte sie;

sie saß, als ob ihr Haupt den Himmel rührte,

und Scheu befiel mich vor der Wundersamen.

Doch lächelnd langte nach ihr auf das Kind.

Und nieder zu ihm neigte sich die Hohe

und nahm es mit gelassner Hand ans Herz

und säugte es – und küßte es – und schaute

ihm lang' ins Auge, und mit mildem Glanz

umfing ihr Blick des Kindes Angesicht;

es war, als wachte drin die Seele auf.

Und in dem Arm der Göttin wuchs das Kind

und wuchs und wuchs und – sprach das erste Wort.

Da nahm es von der Brust die Rätselhafte

und setzte mit gelassner Hand es wieder

hinab ans Ufer, wo ein neues Land

sich aus den Fluten hob, und – hieß es gehen;

mit stummem Wink wies in die Ferne sie,

dann saß sie ehern thronend wieder da.

Auf stand der Knabe, Scheu befiel auch ihn,

der erste Schmerz schlich über seine Stirne;

doch still gehorchend ging er, schritt und wuchs,

und immer wachsend schritt er weiter immer,

bis ich im Nebeldunst des Horizonts

ihn einem Schatten gleich verschwinden sah.

Nicht achtete das Weib des Wandrers mehr;

aus weitem Auge schaute sie ins Dunkel,

als harrte immer neuer Menschen sie,

aus ihrer Brust die Schmachtenden zu tränken.

Da wallte heiß in mir ein Sehnen auf:

nur Einmal wollt' ich ihr ins Auge sehen,

dies Zauberauge, das dort über mir

aus seiner Höhe jen der tiefen Flut

so rein und mild im Mondlicht schimmerte.

Und flehend hob ich zu ihr auf die Hände:

Oh, komm! komm her zu mir und sieh mich an,

wie du den Säugling ansahst! Einmal nur

thu mir das Wunder deiner Seele auf!

oh gieb mir Frieden! gieb mir deine Ruhe!

Da stieg sie dröhnend von dem Felsen nieder,

vor ihren Schritten teilte sich die See,

und näher, näher, immer näher kam sie,

in trunknem Jubel wankt' ich in die Kniee:

Sie kommt! sie neigt sich mir! mir, Mir allein!

Verzückte Thränen schossen mir ins Auge,

in tausend Farben floß um mich das Licht, –

da stand sie vor mir, beugte sich herab,

mit bleierner Faust umspannte sie mein Haupt

und bog es hoch, aus meinen Thränen mußt' ich

ins Aug' ihr schauen und – und brach zusammen:

Stein war es! Stein! ein flimmernder Opal!

Laut schrie ich in die Nacht – und wachte auf;

da sah ich weinend in den vollen Mond.

 

 

Sternzauber

 

Wallst du nieder aus den Weiten,

Nacht, mit deinem Silberkranz?

zieht in deine Ewigkeiten

mich des Dunkels milder Glanz?

 

Als ob treue Augen winken:

alle Liebe sei enthüllt!

als ob sanfte Grüße sinken:

alle Sehnsucht sei erfüllt –

 

will ein Stern sich nun entbreiten,

in mein schwimmend Aug' er taucht,

seligste Versunkenheiten

in mein schwellend Herz er haucht.

 

Zu ihm heben mich Gewalten,

wie zu mir er sinkt und sinkt;

und ein Quellen, ein Entfalten

seines Scheines mich umschlingt

 

und entführt mich in die Zeiten,

da noch keine Menschen sahn

dieses Fühlen, dieses Gleiten,

dieses rätselvolle Nahn.

 

Der Wunsch

 

Ein Traum.

 

Und wieder saß ich spät mit mir allein,

der Geisterstimmen dumpfe Schlacht belauschend,

die wild im Hirn um meine Seele rangen,

und wußte nichts von mir: ein schwirrend Heer

von Wünschen, kreiste vor mir selber ich

und sah die Wunschgespenster sich verknäueln

in Wut und Gier, von Wut ich mit erwühlt,

von Qual und Wollust, wie die Flatternden

sich würgten und sich fraßen und sich lüstern

umwanden, neue Schaaren zu gebären.

Bis sich auf einmal, im verzückten Rausch

des Mitgefühls, mir in die Augenhöhlen

die Nägel meiner Finger krallend gruben,

daß ächzend ich emporfuhr aus dem Brüten.

Und taumelnd wankt' ich auf, zum Fenster hin,

inbrünstig langend nach der sanften Nacht ...

Da dehnte sich im Dunstlicht unter mir

Berlin – mit seinen Türmen, seinen Kuppeln,

mit seinen Schloten, seinen Ruhmessäulen

heraufgebaut ins fahle Blau, als langte

aus ihrem Grabe scheintot eine Riesin

und reckte alle Finger bettelnd hoch:

nur leben will ich – leben – atmen – essen!

Und rauschen hört' ich die Milliarden Wünsche,

die ungestillten, die das Mauerwerk

das nachtumarmte barg in seinem Schooß:

den Hunger, der mit dürrem Knöchel sich

das Grablied trommelte auf nackter Diele, –

die Not, die winselnd durch die Straßen kroch, –

das Elend, das in Träumen wüst sich narrte ...

Und ich erschrak ob meiner eitlen Qual;

und ein Erbarmen, graunvoll, grenzenlos,

stieß mich zurück in meine Einsamkeit.

Und trübe starrt' ich in die grelle Lampe

und trüber noch auf meinen Schatten, der

langwehend an der Wand hing, schwankend, nickend –

und starrte – – und entsetzte mich: der Schatten

bewegte, drehte sich, und winkte, nickte,

und wandelte vor mir, und trat zu mir, –

und eine Stimme tönte matt und hohl:

Komm! Wunsch ist Lust, Erfüllung Tod! Komm, schaue! –

Wir wandelten. Ein greller Mittag lag

schwül brütend auf dem gelben Sand der Wüste;

und um mich nur der schwarzvermummte Führer,

der stummen Mundes immer weiter wallte;

in seine Spuren trat ich wie gebannt.

Da gähnte jählings uns ein Abgrund an ...

Zurück ich wich; doch ruhig stand der Düstre

und wies zur Rechten, wo emporgetürmt

am Abhang ragte ein gewalt'ger Bau,

und aus dem Mantel klang es schwer und dumpf:

Der Tempel der Erfüllung! – und ich bebte,

von ungewissen Schauern angefaßt.

Da tönte wieder mir die Grabesstimme:

Drei Wünsche sind gewährt dir! wähle! sprich!

Und rasselnd sprangen droben auf die Pforten ...

Und grübelnd stiert' ich in des Tempels Schlund, –

mir war, als wogten die Milliarden Wünsche

des Erdrunds drin, die ungestillten alle, –

von Schmerz und Lust erglüht' ich, – durstgeschüttelt

mein ganz Gefühl, zu strafen den Versucher, –

und heiser schrak ich auf in Haß und Wonne:

So soll denn jeder höchste Wunsch auf Erden

erfüllt sein jedem Einzigen! – – Jedem Einzigen:

gleichgiltig scholl es wider im Gewand.

Und rückwärts deutete der Ungerührte

dem Saum der Wüste zu; der regte sich,

und aus dem Boden hob ein Tummeln sich,

als schwärmten Geier wimmelnd um ein Aas.

Und fort vom Rand her schob es schwärzlich sich

gleich Wolkenklumpen, ballte sich und schwoll,

erbrauste, schwoll und löste sich, und rollte

und wälzte tosend auseinander sich

heran zu uns, die Ebne überströmend