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Kinder- und Jugendliteratur im Unterricht

Hrsg. von Günter Lange

Band 7

James Krüss’

Erzählungen, Bilderbücher,
Gedichte in
Grundschule, Sekundarstufe I und
in der Vorschule

Von

Gudrun Schulz

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Umschlagfoto: Kirsten Rickmers-Liebau

Gedruckt auf umweltfreundlichem Papier (chlor- und säurefrei hergestellt).

Leider ist es uns nicht gelungen, die Rechteinhaber aller Texte und Abbildungen zu ermitteln bzw. mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ›http://dnb.d-nb.de‹ abrufbar.

ISBN 978-3-8340-0367-6

E-Book: 978-3-8340-3017-7 (2012)

Schneider Verlag Hohengehren, Wilhelmstr. 13, D-73666 Baltmannsweiler

Homepage: www.paedagogik.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Unterrichtszwecke!

© Schneider Verlag Hohengehren, 73666 Baltmannsweiler 2008

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

A Grundlagen

1       Biografisches

2       Einblicke in das Werk: James Krüss’ epische und lyrische Texte

2.1    Die Erzählungen Mein Urgroßvater und ich, Der Leuchtturm auf den Hummerklippen, Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen, Im Krug zum grünen Walfisch und andere

2.1.1 „Haltet die Uhren an, vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen.“ – Erzähler, Erzählraum, Erzählgestus

2.1.2 Ohr und Auge sollen „geschichtengierig“ sein – Vom Erzählen und Zuhören

2.2    Die Bilderbücher 3 × 3 an einem Tag, Henriette Bimmelbahn und andere

2.2.1 Bilderbücher produzieren innovative Seh- und Ausdrucksweisen

2.2.2 Krüss-Gedichte werden zu Bilderbüchern für Leseanfänger

2.3    Themen und Gestaltung in Krüss’ Lyrik

2.3.1 Eine lyrische Sprache „mit zwei Paar Augen“ (Erich Kästner)

2.3.2 EinAufklärer, der die Freundlichkeit der Welt sucht, sich der Mittel der Romantik bedient und der Schönheit der Sprache vertraut

2.3.3 Naivität und Kunstverstand im Kindergedicht

B Unterrichtsideen zu ausgewählten Texten von James Krüss – Erzählung, Bilderbuch und Gedichte

1       Die Erzählung Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen (6.–8. Klasse)

1.1    Besonderheiten der Erzählung

1.2    Der Vertrag zwischen Lefuet und Timm oder Der Pakt mit dem Teufel – Inszenieren, intertextuelle Beziehungen in Text und Bild suchen

1.2.1 Die ‘Vorbegegnungen’ zwischen Timm und seinen Widersachern inszenieren

1.2.2 Verführungsszenen in der bildenden Kunst betrachten und vergleichen

1.2.3 Ein Cover zum Buch Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen selbst gestalten

1.2.4 Der Intertextualität von James Krüss folgen und weitere Texte zur Verführbarkeit des Menschen suchen und zueinander in Beziehung setzen

1.3    „Nein, wir hätten den Vertrag nicht unterschrieben!“ – Schüler einer Hauptschule diskutieren und schreiben zu Timm Thalers Verhalten

2       Das Bilderbuch Die Weihnachtsmaus (Vorschulkinder, 1.–3. Klasse)

2.1    Besonderheiten des Bilderbuchs

2.2    Einüben in das verstehende Bild- und Text-‘Lesen’ – Zuhören beim Vorlesen und Betrachten lernen

2.3    Der Weihnachtsmaus eine Stimme verleihen – Musikalische Umsetzung des Textes durch Drittklässler

3       Ausgewählte Gedichte aus Der wohltemperierte Leierkasten und Mein Urgroßvater und ich

3.1    Krüss’ ‘lyrisch-didaktischem’ Stufenkonzept folgen – Mit der Sprache der Gedichte in die Welt hineinwachsen

3.2    Hundertzwei Gespensterchen (Vorschulkinder, 1.–3. Klasse)

3.2.1 Besonderheiten des Gedichts

3.2.2 Aneignung des Gedichts durch Vorlesen, Sprechen und Zuhören

3.3    Ich war einmal ein Eskimo (3.–4. Klasse)

3.3.1 Besonderheiten des Gedichts

3.3.2 Nachdenken über Traum und Wirklichkeit im Gedicht – Das Gedicht sprachsprecherisch gestalten

3.4    Heinrich Heine Ein Jüngling liebt ein Mädchen und James Krüss Der Garten des Herrn Ming – Eine vergleichende Betrachtung (5.–6. Klasse)

3.4.1 Besonderheiten der Gedichte

3.4.2 Vergleichende Betrachtung der Gedichte von Heinrich Heine und James Krüss

3.5    Das Königreich von Nirgendwo (4.–6. Klasse)

3.5.1 Besonderheiten des Gedichts

3.5.2 Das „holde Ungefähre“ suchen und durch Erproben verschiedener Lesarten entdecken

3.6    Ein-, Eich- @ Mondhorn und andere Sagen vom „holden Ungefähren“ (3.–5. Klasse)

3.6.1 Besonderheiten des Gedichts

3.6.2 Dem „holden Ungefähren“ sprechend auf die Spur kommen

3.7    Wenn die Möpse Schnäpse trinken (4.–6. Klasse)

3.7.1 Besonderheiten des Gedichts

3.7.2 Verse selber drechseln lernen

3.8 Suchanzeige (5.–6. Klasse)

3.8.1 Besonderheiten des Gedichts

3.8.2 Lücken im Gedicht schließen und Kinderbücher entdecken

3.9    Der, die, das (Für Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, und für andere auch)

3.9.1 Besonderheiten des Gedichts

3.9.2 Das Schwierige mit Spaß erlernen

Danksagung

Literaturverzeichnis

Medien

Abbildungen

Und wer im Leben weiterkommen will,
muss immer einen Fanghaken vorauswerfen
– gradaus, vor sich her, in die Zukunft
hinein –, an dem man sich dann vorwärts ziehen kann.
(Krüss: Der Harmlos 1988, S. 359)

Vorwort

Krüss’ Werke zu betrachten, das heißt, auszuwählen aus einem umfangreichen dichterischen Schaffen. Auf der Blutenburg bei München, wo es für den Dichter einen extra Turm, den Krüss-Turm, gibt, lagern mehr als 700 Kinderbücher des Autors, übersetzt in viele Sprachen, davon 476 Bilderbücher, Kinderromane und Erzählungen, 106 Bände Anthologien und vieles mehr an Originalmanuskripten, darunter Reisebeschreibungen, Hörspiele und Bühnenfassungen eigener Texte (vgl. www.james-kruess.de/ijb.html). Die Deutsche Nationalbibliothek erfasst 640Titel, die von ihm selbst verfasst wurden oder mit dem Namen James Krüss in Verbindung stehen.

James Krüss ist einer der wichtigsten Dichter für Kinder nach dem 2. Weltkrieg im 20. Jh. Er gehört zu den Autoren,

die die bundesrepublikanische Kinderliteratur begründeten u. ihr internationales Ansehen verschafften. Er begann mit Funkbearbeitungen von Kinderbüchern u. mit Bilderbuchtexten, wie Hanselmann hat große Pläne (Illustrationen von Katharina Maillard. Oldenb. 1953), die er [...] meistens in humorvoll-didakt. Versen verfaßt. Wie in Mein Urgroßvater und ich [...] u. in den Hummerklippen-Bänden [...] bindet K. in die Rahmenhandlung variationsreich Geschichten, Rätsel, Fabeln u. Verse ein, die seine Fabulierkunst u. die Gabe zeigen, phantastisch-skurrile Situationen zu erfinden (Dankert 1998, S. 11637).

Krüss ist der Verfasser der Bücher Mein Urgroßvater und ich, Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen und des Gedichtes über den Zauberer Korinthe und vieler anderer Gedichte, d. h., er ist Erzähler und Lyriker, oft beides zusammen.

Er erzählt im ursprünglichen Sinn einer kommunikativen Situation, die sich zwischen Erzähler und Zuhörer einstellt, die einander bedürfen und bedingen, wie der Urgroßvater und sein Enkel, der kleine Boy, in dem Buch Mein Urgroßvater und ich. Hat er den Zuhörer nicht direkt als Gegenüber, erfindet er ihn als einen, dem man in Gedanken etwas erzählt, wie Mario, Dinko, Henry oder in direkter Ansprache die Familienmitglieder des ‘Jockel’ in seinem Roman Harmlos, bei denen er sich rückversichert oder die ihn zum Weitererzählen ermuntern (vgl. Krüss 1988).

Krüss schrieb Erzählungen und Gedichte für Kinder, deren Themen die Welt umfassen, eine Weitläufigkeit anstreben und

mehr Freiheit und Selbstverantwortung walten lassen [möchten] (Doderer 1998, S. 244).

Krüss’ literarische Formen reichen vom Roman für Kinder und Erwachsene bis zur Versprosa in Parabeln und Fabeln und vom Kinderreim bis zur Ballade und zum Erzählgedicht.

Krüss ist ein begnadeter Dichter, Sprach- und Sprachenkönner und ein Kenner der deutschen Literatur, darunter der Kinderpoesie.

Seine Auswahl an Gedichten, die er in der Anthologie So viele Tage wie das Jahr hat. 365 Gedichte für Kinder und Kenner (1959) herausgab, erfasst einen Zeitraum an Gedichten für Kinder, der mit der mittelalterlichen deutschen Dichtung beginnt, das Volkslied als frühe lyrische Form für Kinder einschließt, deren Entstehung – dem Märchen ähnlich – im Dunklen liegt, und bis zu Bertolt Brecht, Josef Guggenmos und den Freunden Erich Kästner und Peter Hacks reicht. Die Auswahl widerspiegelt die Breite und Tiefe der deutschen Kinderlyrik und die verschiedenen Handschriften und Spielarten der Dichtkunst Lyrik.

Diese Vielfalt an Themen und Gestaltung findet sich in James Krüss’ eigenen Texten wieder. Da nutzt er das Muster des einfachen Kinderreims, wie „Kori, Kora, Korinthe“, neben Fabeln, Parabeln, liedhaften Gedichten und Nonsensversen. Gedichte stehen selbstständig in eigens herausgegebenen Bänden, wie Das Wohltemperierte Klavier, und sie tauchen in seinen erzählten Kinderbüchern, ja selbst im Roman Harmlos und als eigenständige Bilderbücher auf.

James Krüss ist mehrfach verankert in der Literatur der Vergangenheit und greift literarische Tendenzen seiner Gegenwart auf bzw. bestimmt diese mit. Er bringt den Nonsens-Vers wieder in Kindergedichte ein und bestimmt den Ton der Kinder- und Jugendliteratur weit über die deutschen Grenzen hinaus.

Krüss konnte

einen Bilderreichtum verteilen, in dem die Freiheiten der Phantasie zu genießen waren

(Doderer 1998, S. 245).

James Krüss fühlt sich den Erziehungsromanen Goethes und den Dichtern der Romantik, wie Eichendorff und Chamisso, ebenso nahe wie den Ammenreimen. Er thematisiert direkt in seinen Texten das dichterische Werk Goethes und Heines und übernimmt manche Anregung von seinen Freunden Erich Kästner und Peter Hacks. Mit Hacks dichtete er gemeinsam 1954 an der jugoslawischen Adria Kindergedichte, die sie „später geteilt“ haben
(Krüss, in: www.james-kruess.de/biografisches.html).

Krüss besitzt Naivität und Kunstverstand, um dichten zu können, und die Fähigkeit, beides in seinen eigenen Texten umzusetzen.

Die Beschäftigung mit dem Dichter James Krüss und mit seinem Werk in dieser Darstellung kann aus der Fülle seines Schaffens nur Einzelnes, aber Wesentliches auswählen und versuchen, das in den Gesamtkontext der Literaturentwicklung zu stellen, die von James Krüss eingeschlossen.

James Krüss ist gegenwärtig in den Schullesebüchern der Grundschule und in denen der Sekundarstufe I vertreten. Das Buch wendet sich deshalb vornehmlich an Lehrerinnen und Lehrer, aber auch an Erzieher und an Studierende, die in der Vorschule, in der Grundschule und in der Sekundarstufe I unterrichten bzw. unterrichten wollen.

Sich mit dem Werk von James Krüss zu befassen, das heißt nicht zuletzt auch, sich mit einem auseinanderzusetzen, für den die Sprache das wichtigste Mittel ist, den Kindern die Welt zu erschließen. Gedichte, so Krüss z.B.,

sind dazu da, gesprochen und ständig wiederholt zu werden.

Während das Kind in die Sprache hineinwächst, wächst es zugleich in die Welt hinein
(Krüss 1969, S. 14).

Diese Art der Sprach- und Weltbetrachtung von einem, der sich u. a. in Serbokroatisch verständigen konnte und in Spanisch Vorträge hielt und viele Gedichte aus anderen Sprachen ins Deutsche übertragen hat (z.B. aus dem Italienischen: Gianni Rodari Kopfblumen 1972), zeigt zugleich einen Lehrer, der Krüss einmal werden wollte.

Das Lernen lehren spielt in seinen Texten eine große Rolle, so, wenn der Urgroßvater dem kleinen Boy etwas beibringt, aber auch von ihm lernt (Krüss Mein Urgroßvater und ich 2005) oder der Zauberer Korinthe als der Geist der Aufklärung zum Überdenken eigenen Verhaltens und Handelns anregt.

Die Analyse und Interpretation der ausgewählten Texte von James Krüss werden mit seinen Vorstellungen von dem, was Kinder brauchen, und seinen diesbezüglichen didaktischen Anregungen in Beziehung gesetzt. Diese Basisüberlegungen bilden den Ausgangs- und Zielpunkt der Unterrichtsideen, die Positionen der aktuellen Debatte um den Lese- und Literaturunterricht berücksichtigen.

Die hier vorgestellten Beispiele folgen dem Konzept des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts, weil das für unterschiedliche Zugangsweisen der Leser einen besonders erfolgreichen Umgang mit Texten ermöglicht und die Ausbildung der Lesekompetenz intensiv befördert.

Die in dieser Publikation unterbreiteten Ideenskizzen zum Umgang mit Texten von James Krüss erlauben dem Lehrenden den entsprechenden Freiraum, das Vorgegebene kreativ mit eigenen Vorstellungen und mit Sicht auf seine Schüler umzusetzen, zu erweitern, zu vertiefen, sich anzuverwandeln.

Die Unterrichtsideen sind so angelegt, dass zunächst von einer Interpretation des Textes ausgegangen wird (Besonderheiten des Textes) und sich dann der Vorschlag für den Umgang mit dem Text anschließt. Im Zentrum der Unterrichtsanregungen stehen jene Tätigkeiten, die dem Text und den Schülern angemessen sind und für die Ausbildung einer Lesekompetenz sowie einer literarischen Kompetenz notwendig sind, also: Lesen, Sprechen, Erzählen, Gestalten und Schreiben in ihren differenzierten Ausformungen und ihren wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Die vorliegende Publikation zu Krüss’ Erzählungen, Bilderbüchern und Gedichten für Kinder von der Vorschule über die Grundschule bis zur Sekundarstufe I möchte neue Ideen für den Umgang mit Texten in den Lese- und Literaturunterricht, in den Umgang mit Literatur einbringen und Spaß bereiten am Nach- und Mitdenken über Krüss’ Leierkasten-Heiterkeit und seine Menschengeschichten, denn, so Krüss, nichts

ist für eine Erziehung zum Geist mittelbar nützlicher und fördernder als Spaßmachen

(Krüss 1986a, S. 254).

A

Grundlagen

1 Biografisches

James Jacob Hinrich Krüss (Pseudonyme: Markus Polder, Felix Ritter) wurde am 31. Mai 1926,

einem Montag, vier Tage nach Vollmond, auf der Insel Helgoland geboren als erstes Kind des Elektrikers Ludwig Krüss und seiner Ehefrau, der Hummerfischertochter Margareta, geb. Friedrichs

http://www.james-kruess.de/biografisches.html

So beschreibt James Krüss seine Ankunft in der Welt und seine Herkunft und weist damit zugleich auf Fermente seines Dichtens hin.

Er nannte sich einen Insulaner (vgl. Der Harmlos 1988, S. 427), was einerseits auf den Geburtsort, die Insel Helgoland, zurückgeht, und andererseits auf seinen späteren Wohnsitz verweist, das kleine Dorf La Calzada auf der Insel Gran Canaria, wo er seit 1966 mit seinem Lebensgefährten lebte und wo er auch starb.

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Abb. 1 Reinhard Michl: Der Hummer (CD zu Krüss: Mein Urgroßvater, die Helden und ich, gelesen von Wiglaf Droste, 2006, Booklet o.S.)

Inselbewohner sind die Helden seiner berühmtesten Kinderbücher: der Urgroßvater, der kleine Boy und die Obergroßmutter. Und die Hummerfischertochter, seine Mutter, verweist auf die Hummerfischer, die den Hummer fangen und in seinem Longseller Der Leuchtturm auf den Hummerklippen (2006b) bereits im Titel auftauchen (vgl. dazu auch Krüss: Sommer auf den Hummerklippen 2004/Gäste auf den Hummerklippen 2003/Weihnachten auf den Hummerklippen 2001/Freunde von den Hummerklippen 1987/Abschied von den Hummerklippen 1989).1

Mit seinem Geburtsort Helgoland in der Nordsee hat der Dichter noch andere Spezifika für sein Dichten mitbekommen.

Er wächst im friesischen Sprachgebrauch auf und lernt das Deutsche nach eigener Aussage erst richtig auf dem Festland kennen. Aufgrund dieser ‘Zweisprachigkeit’ beginnt er früh, hinter die Bedeutung der Wörter zu schauen und beschäftigt sich ein Leben lang damit, den Kindern in seinen Texten die Sprache und das Sprechen nahe zu bringen.

Das Worte-Deuten nutzt er auch beim Übertragen und Übersetzen seiner und anderer Dichter Texte aus einer Sprache in die andere. Sprache und Sprechen thematisiert er in seiner Lyrik (denkt man an die unzähligen ABC-Gedichte) wie in seinen Erzählungen.

Die Themen seiner Erzählungen und vieler Gedichte widerspiegeln das Leben der Leute von der Insel, das Meer und die Meerestiere.

Aber Krüss’ Werke lassen sich bei aller Spezifik nicht auf eine enge Heimatliteratur festlegen, denn er ist welterfahren und ein weitgereister Mann, der von der Insel Helgoland über Locham und Gilching bei München, einen Aufenthalt auf der Insel Terschelling in Holland mehrere Reisen nach Jugoslawien und Italien, in das Elsass, die Schweiz und nach Österreich unternahm und letztendlich auf der Insel Gran Canaria landete, womit noch nicht alle Orte, die er kennen lernte, benannt sind.

Krüss hat in seinem schriftstellerischen Schaffen die Welt und ihre Probleme im Blick und die Hoffnung, dabei zu helfen, diese Welt ein wenig bewohnbarer machen zu können.

Er ist ein Weltliterat.

Seinen Sprung von der Inselwelt auf das Festland terminiert er selbst auf das Jahr 1942 mit dem Abschluss der Mittelschule und dem Besuch der nationalsozialistischen Lehrerbildungsanstalt in Lunden, Schleswig Holstein, ab 1943 in Ratzeburg und seit 1944 in Braunschweig. Im Spätsommer 1944 meldet sich Krüss freiwillig als Soldat zur Luftwaffe (vgl. Remmers 2006, S. 1).

Krüss beschreibt das in seinem Lebenslauf, wenn es heißt:

Musste mit Gewehr,

Noch ein Jahr ins Kriegesheer,

Ohne Pass – der Krieg war aus –

Pilgerte ich dann nach Haus.

(Krüss in: www.james-kruess.de/biografisches.html)

Die Kriegszeit prägt Krüss, der

zum Heldentum nicht tauge und auch für böse Zeiten nicht

(Krüss 1988, S. 218).

Krüss wird ein Streiter für eine friedliche Welt.

In dem Roman Der Harmlos, den man semiautobiografisch lesen kann und dessen Titel ein ganzes Programm seiner Weltsicht beinhaltet, beschreibt er auch seine Zeit als Soldat.

In Anlehnung an Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus (was soviel wie ‘Einfältiger’ bedeutet), dem Kriegsroman aus dem 30-jährigen Krieg, und an Eichendorffs Reise eines ‘Taugenichts’ (Aus dem Leben eines Taugenichts), deren Heldenfiguren in ihrem Verhalten eher Antihelden sind, erzählt Krüss im Harmlos, was er im Krieg sieht und wie er glücklicherweise unbeschadet an Leib, aber zum Nachdenken über Hitler und die Deutschen geschult, daraus hervorgeht. Sein Held ist der Harmlos, noch ohne Harm, also ohne Unglück.

Krüss übernimmt von Eichendorff auch die Art des Erzählens und das Einfügen von Liedern in den epischen Text, was bereits lange vor seinem Roman Der Harmlos für seine Kinderbücher typisch ist. Die Eichendorff-Lieder singt der Harmlos-Jaques, -Jockel, -Jäcki, wie sein Held, sich wandelnd, im Verlauf des Buches heißt, vor allem auf der Rückfahrt aus dem Krieg (Wem Gott will rechte Gunst erweisen).

Als der 2. Weltkrieg zu Ende ist, befindet sich James Krüss in Aussig (Böhmen), wirft zuerst sein Kriegsgerät ab und begibt sich zu Fuß und per Rad auf den Weg zurück nach Cuxhaven, wo seine Eltern leben (vgl. Remmers 2006, S. 1).

Helgoland war durch die Bombardierung während des Krieges unbewohnbar geworden.

In der Gestalt des ‘Jockel’ (der Name, der auch in seinem 2. Taufnamen Jacob steckt) schreibt er in dem Roman Harmlos:

Ich taugenichtste munter durch die Gegend, so wie der Müllerssohn im Buch (Krüss 1988, S. 181).

1946 setzt Krüss sein Lehrerstudium an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg fort und legt dort 1948 das Examen als Volksschullehrer ab. Er arbeitet aber nicht als Lehrer, sondern gründet eine Zeitschrift für die in verschiedene Gegenden versprengten Helgoländer. Die Zeitschrift erschien bis 1956 (vgl. Remmers 2006, S. 1).

1949 geht Krüss nach München und weilt von da an nur noch besuchsweise im Norden.

Es ist sein zweiter Sprung auf das Festland, der in den Süden, und zugleich der Beginn einer reichen literarischen Produktion.

Krüss lernt Erich Kästner kennen, dessen Konferenz der Tiere er für den Funk bearbeitet.

Seit 1951 erscheinen regelmäßig Gedichte für Kinder von James Krüss in Die Neue Zeitung und in der Süddeutschen Zeitung. Zudem schreibt und bearbeitet er Hörspiele und später Fernsehspiele zu eigenen Texten und solche von Dichterkollegen, vor allem von Erich Kästner.2

Zeitgleich mit seinen literarischen Veröffentlichungen beginnen seine Reisen in den weiteren Süden nach Italien, an die Adria nach Jugoslawien, nach Frankreich, Griechenland, Ungarn und bis Südafrika, Lateinamerika und die USA (1980 Empfang in New York durch den Verlag Athenäum).

Krüss ist nicht nur weit gereist, sondern er hatte vor allem auf Gran Canaria Besuch aus aller Herren Länder, darunter die Dichter Heinar Kipphardt, Janosch und in den 1970er Jahren spanische Oppositionelle. Er schrieb sich Briefe u. a. mit Janosch, Peter Hacks und mit Astrid Lindgren.

Krüss ist ein Autor, der in West und Ost gleichermaßen verlegt und gelesen wurde. Manchmal erschienen seine Bücher zuerst im Kinderbuchverlag Berlin der DDR.

1953 liegt sein erstes Bilderbuch Hanselmann reist um die Welt vor.

1956 und 1959 erscheinen die beiden, heute schon als Kinderbuchklassiker zu nennenden Bücher Der Leuchtturm auf den Hummerklippen und Mein Urgroßvater und ich.

1962 bringt James Krüss sein Buch Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen heraus, das als Fernsehserie 1979 gesendet wird und in mehreren Fassungen vorliegt (die letzte Ausgabe als Sonderausgabe 2006 bei Oetinger). Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen ist ein gesellschaftskritisches Buch, in dem Krüss ähnlich Erich Kästner als Moralist die „Zustände der Zeit in Bildern“ (vgl. Naivität und Kunstverstand 1969, S. 122 ff.) veranschaulichen und mit Hilfe der fantastischen Literatur eine auf die Vernunft vertrauende Lösung von Problemen erreichen will (vgl. Kümmerling-Meibauer 2004, Bd. 2, S. 575).

James Krüss erhielt 1960 und 1964 den Deutschen Jugendliteraturpreis, die höchstdotierte Auszeichnung in der Bundesrepublik Deutschland, und 1968 den Internationalen Jugendbuchpreis für sein Gesamtwerk, die Hans-Christian-Andersen-Medaille, die höchste Auszeichnung weltweit für einen Kinderbuchautor, dem Nobelpreis für Literatur vergleichbar.

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach e.V. ehrte Krüss zu seinem 70. Geburtstag mit ihrem Großen Preis als Würdigung seines literarischen Gesamtwerkes. Aus demselben Anlass bekam er 1996 den Bundesverdienstorden 1. Klasse.

James Krüss starb 1997 auf Gran Canaria und wurde am 27. September desselben Jahres vor Helgoland auf See bestattet.

Die Erbengemeinschaft übergab 1998 den Nachlass des Dichters James Krüss der Internationalen Jugendbibliothek München.

Zu seinem 10. Todestag 2007 wurde ihm auf Helgoland, seinem Geburtsort, ein Museum eingerichtet.

James Krüss ist ein Dichter, der ausgezogen war,

[...] unsere Kinder

In bösen Zeiten

Freundliches zu lehren.

(Krüss, zit. nach Doderer 1998, S. 251)

1 Es wurde die Jahreszahl der derzeit zuletzt erschienenen Ausgabe angegeben.

2 Vgl. dazu Literaturportal.de des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, das die elektronisch verarbeiteten Medien von James Krüss ausweist.

2    Einblicke in das Werk: James Krüss’ epische und lyrische Texte

2.1  Die Erzählungen Mein Urgroßvater und ich, Der Leuchtturm auf den Hummerklippen, Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen, Im Krug zum grünen Walfisch und andere

2.1.1 „Haltet die Uhren an, vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen.“ – Erzähler, Erzählraum, Erzählgestus

Mit dem Zitat „Haltet die Uhren an, vergesst die Zeit“ wirbt die Erben-Gemeinschaft auf der Startseite ihrer Homepage um neue Leser der Bücher von James Krüss. (Vgl. www.james-kruess.de/biografisches.html)

James Krüss ist ein Geschichtenerzähler, der uns die Zeit vergessen lassen will und uns doch in Räume und Zeiten hineinzieht, die wir bisher so nicht kannten: das Meer, die Inseln, die Inselbewohner, die Hummerfischer und andere Leute, Tiere, die sprechen und erzählen können, und vieles mehr. Die Zeit ist manchmal die aus den Märchen, wenn es im Buch Gäste auf den Hummerklippen heißt: „In den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat [...]“ (Krüss 2003, S. 7). Ähnlich beginnt das Märchen Der Froschkönig, das die Brüder Grimm aufschrieben (vgl. 1997, S. 29). Dass der Ich-Erzähler zu dieser Zeit „noch nicht geboren“ war, das führt zugleich in eine andere Zeit.

Krüss’ Erzählungen spielen häufig am und auf dem Meer. Der Blick auf das Meer sucht den Horizont und entdeckt die Schiffe, die aus der weiten Welt kommen, in die manche Helden des James Krüss fahren möchten, fuhren oder aus der sie zurückkehren und von der sie erzählen können.

Manchmal geht es beim Erzählen auch um Leben und Tod wie bei Scheherezade, die in den Märchen aus Tausendundeiner Nacht dem Sultan ununterbrochen Geschichten erzählt, damit er sie am Leben lässt.

Ähnliches erlebt ein zwölfjähriger Junge Im Krug zum grünen Walfisch