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STAR TREK

NEWimageFRONTIER

Finstere
Verbündete

PETER DAVID

Based on
Star Trek
created by Gene Roddenberry

Ins Deutsche übertragen von
Bernhard Kempen

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Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – NEW FRONTIER: FINSTERE VERBÜNDETE wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Bernhard Kempen; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei; Print-Ausgabe gedruckt von CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Original English language edition copyright © 1999 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

HISTORISCHE
ANMERKUNG

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Der Hauptteil des Romans spielt ein paar Tage nach den Ereignissen aus STAR TREK – NEW FRONTIER Band 5 »Ort der Stille« etwa zu Beginn des Jahres 2376 – wenige Monate nach dem Ende des Dominion-Krieges.

ZWANZIG JAHRE
ZUVOR …

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Rolisa war die großartigste Welt der gesamten bekannten Galaxis.

Die Entwicklung des Planeten war ein langsamer Prozess gewesen, und wenn man seine frühen Jahre betrachtete, hätte sie wohl niemand vorhersehen können. Auf den ersten Blick waren die Rolisaner ein eher uninteressantes Volk. Rolisa selbst war weder besonders lebensfreundlich noch reizvoll. Die Welt hatte keinerlei strategische Bedeutung. Sie verfügte über keine Rohstoffe, die für irgendjemanden interessant gewesen wären, und die Rolisaner waren in erster Linie für ihre Robustheit bekannt. Sonst gab es nichts, das der Erwähnung wert gewesen wäre.

Wer hätte es also ahnen können?

Ja, wer hätte ahnen können, dass es einmal eine Frau namens Tara geben würde (zumindest ließ sich die Reihe der Vorfahren bis zu ihr zurückverfolgen), die ein Kind namens Arango zur Welt bringen würde, das wiederum Izzo zeugen würde, die schließlich die Mutter von Faicco der Kleinen würde. Faicco die Kleine erwies sich nicht nur als eine der größten Denkerinnen in der Geschichte von Rolisa, sondern darüber hinaus als eine der größten Denkerinnen in der Geschichte des Quadranten. Sie hielt Vorträge über Philosophie und gab Anregungen, wie man ein gutes Leben führen sollte. Ihre Ideen waren so rein, so einzigartig in der gesamten überlieferten Geschichte, dass selbst die stärksten Männer weinten und Frauen sich in ekstatischen Anfällen wanden. Faiccos Ruhm verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und irgendwann hatte Faicco zwei Kinder. Milenko, einen Jungen, und Blaymore, ein Mädchen, das Faiccos Begabung geerbt hatte. Sie zogen durch ihren heimatlichen Sektor, und die Botschaft ihrer Lehren breitete sich unaufhaltsam aus, verteilte sich wie glitzernder Staub über die Weltraumrouten.

Bald strömten Völker aus der gesamten bekannten Galaxis herbei, um ihren Worten zu lauschen. Durch modernste Kommunikationsmittel drangen ihre Worte in Regionen vor, in denen solche Ideen und Konzepte andernfalls undenkbar gewesen wären.

Verschiedenste Völker überschlugen sich förmlich, um aus Dankbarkeit Pilgerreisen nach Rolisa zu unternehmen, der Geburtswelt der größten Weisen in der Geschichte des intelligenten Lebens. Die Bewohner von Rolisa wurden überschüttet mit Belohnungen, technischen Neuerungen und Geschenken. Und im Gegensatz zu anderen Fällen in der Vergangenheit, wo Völker unter einem derart rasanten Fortschritt zusammengebrochen waren, wuchs das robuste Volk der Rolisaner mit der Herausforderung. Sie bauten auf den Dingen auf, die sie erhalten hatten, und entwickelten sie in neue und überraschende Richtungen weiter. Rolisa wurde immer bedeutender, reicher und mächtiger – aber diese Macht wurde stets zum Allgemeinwohl genutzt, niemals zu zerstörerischen Zwecken. Rolisa wurde zu einer Modellzivilisation, vergleichbar mit uralten verlorenen Reichen wie Atlantis oder Ko’norr’k’aree. Aber Rolisa war keinesfalls eine Legende, sondern herrlich real.

Einmal in Bewegung gesetzt war die Welle des Ruhms, die die gesamte bekannte Galaxis überrollte, nicht mehr aufzuhalten. Wer hätte sie auch aufhalten wollen? Die zweihundert Jahre, in denen die Nachkommen von Faicco, Milenko und Blaymore die große Arbeit ihrer Vorfahren fortsetzten, waren eine beispiellose Zeit des Friedens und des Wohlstands. Es war kaum zu glauben, aber es gab keinen Krieg, nirgendwo. Alle Völker, von den am wenigsten entwickelten bis zu den fortschrittlichsten, hatten sich über eine solche Art der Konfliktlösung hinausentwickelt. Und niemand ahnte, dass all das erst der Anfang war. Niemand … vielleicht mit Ausnahme der Organier, denn sie wussten, dass alles Sterbliche schon bald (»bald« nach den Begriffen der Organier) ihre Entwicklungsstufe erreicht haben würde.

Und viele Jahrtausende später geschah es.

Und fortan herrschte die ewige Herrlichkeit.

In einem anderen Universum.

Allerdings ist »Universum« ein nicht ganz zutreffender Begriff, da die gesamte Schöpfung in Wirklichkeit aus einem gewaltigen und wunderbaren Multiversum besteht, in dem zahllose Möglichkeiten verwirklicht werden können. In einem jener Universen wurde die bescheidene Welt Rolisa zum Ausgangspunkt einer großartigen Entwicklung, die das Schicksal allen Lebens umfasste …

… weil aufgrund einer Laune der Evolution in diesem Universum die Schwarze Masse niemals existierte.

In einem anderen Universum, wo sie existierte, ereignete sich Folgendes …

Tara stieß einen Schrei aus, als ihr Bauch anschwoll und zu platzen drohte. Der Arzt saß neben ihr, hielt ihre dunkelblaue Hand und sagte: »Jetzt gleichmäßig atmen … ja, so ist es gut … sehr gut …«

Sie stöhnte. »Für Sie ist es einfach, mir zu sagen, dass ich ruhig atmen soll. Sie haben auch nicht das Gefühl, dass eine Million Nadeln in jede Pore Ihres Körpers stechen. Sie mussten auch nicht die letzten elf Monate einen langsam wachsenden Fleischklumpen in ihrem Bauch herumtragen. Was zum Krod bilden Sie sich ein, mir zu sagen, dass ich gleichmäßig atmen soll?!« Sie versuchte, sich aufzusetzen, schaffte es aber nicht und fiel wie ein gestrandeter Wal zurück. »Ich versuche gerade, mich zu erinnern, wie ich darauf gekommen bin, dass das hier eine gute Idee sein könnte. Aber mir fällt nichts ein. Wo ist mein Partner? Wo steckt er?«, rief sie.

»Er wäre hier, wenn er hier sein könnte«, beruhigte der Arzt sie.

»Und warum ist er nicht hier?«

»Weil er anderswo sein wollte«, antwortete der Arzt, dann schrie er auf, als sie seine Finger so fest zusammenquetschte, dass die Knochen zu brechen drohten. Die Schlitze in seiner Kehle flatterten hektisch, als er Luft einsog, um zu verhindern, dass er ein weiteres Mal auf unprofessionelle Weise seinen Schmerz kundtat. Er zwang sich zu einer Grimasse. »Hilft Ihnen das?«, fragte er. »Ist es so weniger schmerzhaft?«

»Nein«, knurrte Tara. »Aber ich fühle mich besser, wenn ich Sie quälen kann.«

»Ganz wie Sie meinen«, sagte er tapfer. »Und wenn Sie mir einen Finger abbrechen … dann … geht das in Ordnung. Ich kann mir jederzeit … einen neuen wachsen lassen. Es ist ein langwieriger und … recht qualvoller Prozess … aber ich möchte, dass meine Patienten … ähhh … glücklich sind.«

»Im Augenblick geht es mir blendend – aahhhhh!«

Dieser schrille Schrei markierte den letzten Moment der Geburt. Er hallte bis in den Himmel, was nicht verwunderlich war, da sie sich im Freien befanden. Rolisanische Geburten fanden traditionell und bevorzugt unter freiem Himmel statt. Wenn ein Kind zur Welt kam, sollte es dieser Welt auch schnellstmöglich tatsächlich ausgesetzt werden. Tara hatte sich dazu eine recht nette Gegend ausgesucht, eine friedliche Waldlichtung nicht weit von ihrem Haus. Der Arzt hatte zum Glück keine Schwierigkeiten gehabt, die Stelle zu finden. Außerdem freute es ihn, dass bei dieser Geburt gutes Wetter herrschte, da Geburten bei Regen oder Schnee äußerst unangenehm und mühevoll waren. Tara hätte sich in der Tat keinen besseren Tag aussuchen können, nicht einmal einen besseren Augenblick dieses speziellen Tages. Die größte Hitze des Nachmittags hatte bereits nachgelassen, die Sonne näherte sich dem Horizont, aber es war noch hell genug, und die Schatten spendeten angenehme Kühle. Er musste ihr kaum Schweiß von der Stirn tupfen.

Der Schlitz in ihrem Bauch weitete sich für die letzte Wehe, und ihr Körper erzitterte unter der Anstrengung. Sie presste noch einmal, dann glitt das Kind schnell aus dem Geburtsbeutel. Fast wäre dem Arzt das Kind entglitten, da sich seine Hand immer noch in Taras Griff befand. Aber er konnte es gerade noch rechtzeitig auffangen. »Hab ihn!«, rief er. Es war der traditionelle Ruf eines Arztes, wenn ein Baby erfolgreich zur Welt gekommen war.

Der Ausruf drang durch den Nebel, der den Verstand der leidenden Tara einhüllte, während der Schmerz langsam nachließ. »Sie haben ihn …? Ihre … Ihre Hand! Mein Krod, es tut mir so leid! Ich habe Ihre Hand zerquetscht und … und Sie brauchten … und ich …«

»Schon gut. Alles ist gut. Daran bin ich gewöhnt. Berufsrisiko.« Er schüttelte die Hand, die Tara soeben losgelassen hatte, um die Blutzirkulation wieder anzuregen. »Eigentlich sollte ich sogar dankbar sein. Ich kann Ihnen versichern, dass mir schon wesentlich empfindlichere Stellen gequetscht wurden.«

»Und es ist ein Junge? Sind Sie sich ganz sicher?«

»Ich behaupte nicht, allwissend zu sein, aber meine medizinische Erfahrung ermöglicht mir durchaus, das Geschlecht eines Kindes zu erkennen.«

Sie lachte und wunderte sich, dass sie solche Laute von sich gab – angesichts der Schreie und lästerlichen Flüche, die sie noch vor wenigen Augenblicken ausgestoßen hatte. »Und seine Farbe? Hat er eine gute Farbe?«

»Es ist fraglos das blaueste Kind, das ich jemals gesehen habe. Der Junge ist kerngesund.«

»Ich will ihn sehen.« Sie streckte die Arme aus und bewegte die Finger. »Ich will ihn sehen … bitte …«

»Ja, schon gut.« Jetzt war es an ihm, zu lachen. »Hier.« Er überreichte der ungeduldigen Mutter das Kind, und sie schloss es besitzergreifend in die Arme. Es war ein wunderbarer Anblick, wie die Membranen in seinem Hals flatterten, und behutsam streckte sie einen Finger aus, um die Züge seines Gesichts nachzuzeichnen und die Augen zu berühren, die noch geschlossen waren (sich aber in den nächsten Minuten öffnen würden). Der Junge gab ein leises Wimmern von sich, das sie zusammenzucken ließ. Dann musste sie über ihre Reaktion lachen.

»Haben Sie sich schon einen Namen ausgesucht?«, erkundigte er sich.

»Arango«, antwortete sie ohne Zögern. »Ich werde ihn Arango nennen.«

»Ein sehr hübscher Name. Und ich glaube, in diesem Jahr obendrein recht beliebt.«

»Das stört mich nicht«, lautete ihre entschiedene Antwort. Sie hatte ihre Qualen bereits vergessen und versuchte, sich aufzusetzen. Er half ihr dabei und sie zog das Kind enger auf ihren Schoß. Ihr Bauchschlitz hatte sich schon wieder geschlossen, und der automatisch einsetzende Heilungsprozess würde ihn bald völlig versiegelt haben. »Ich hatte Visionen, Doktor.«

»Visionen?«, fragte er. »Was für Visionen?«

»Mein Junge wird einmal Großes leisten«, sagte sie. »Und nicht nur er. Auch seine Kinder und die Kinder seiner Kinder und … ach, ich weiß es einfach!«

»Natürlich werden sie das, Tara.«

»Sie machen sich über mich lustig«, schmollte sie.

»Nein, auf gar keinen Fall.«

»Doch!«, protestierte sie. »Lassen Sie mich raten: Sie haben dasselbe schon unzählige Male von anderen Müttern gehört. Alle reden davon, wie wunderbar und unglaublich ihre Kinder sein werden, und wir reden alle Unsinn, weil wir so hohe Erwartungen in sie setzen, dass sie sie niemals erfüllen können.«

»Das … haben Sie gesagt, Tara.« Er blickte zum Himmel auf und war ein wenig überrascht. Es wurde früher als gewöhnlich dunkel.

»Sie hätten es auch gar nicht sagen müssen, Doktor. Ich gebe ja zu, dass Sie … wahrscheinlich meistens recht haben. Alle frischgebackenen Mütter sind unvernünftig. Sie wissen überhaupt nicht, was sie daherreden.«

»Aber Sie wissen es.«

»Ja, sicher! Der kleine Arango … nimmt einen wichtigen Platz in der Ordnung der Dinge ein. Es mag nur ein kleiner Platz sein, aber er ist alles andere als unwichtig. Und was er leistet, wird Auswirkungen haben, die weit über diese Welt hinausreichen. Glauben Sie mir!«

»Kommen Sie, Tara, wir wollen nicht noch einmal von vorn anfangen«, sagte er tadelnd. »Ich war seit Ihrer frühesten Kindheit Ihr Arzt, und wir hatten immer wieder solche Diskussionen.« Er versuchte, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen, als er erkannte, dass es keine Einbildung gewesen war, es wurde tatsächlich viel früher als sonst dunkel. Das war nicht normal. Vielleicht eine Sonnenfinsternis? Aber ein solches Ereignis wäre sicherlich in den Nachrichten angekündigt worden, und er hatte nichts dergleichen gehört. Er versuchte, nicht zu beunruhigt zu reagieren. Dazu bestand kein Anlass. Schließlich bedeutete es nicht das Ende der Welt, wenn die Sonne schneller als gewohnt unterging. »Ich würde mich liebend gerne Ihren Fantasien hingeben, dass wir eines Tages außerrolisanischen Lebensformen begegnen werden, aber ich muss zugeben, dass ich sehr skeptisch bin.«

»Es gibt Legenden …«

»Ja, sicher. Die Roten Götter. Die nach Belieben vom Himmel steigen und in den Himmel zurückkehren.« Er schüttelte den Kopf. »Wie Sie sagten … es sind Legenden.«

»Oder Besucher aus dem Weltall«, fuhr sie hartnäckig fort. Sie kitzelte Arangos Kinn, und sofort strampelte das Baby. »Vielleicht wird Arango mehr darüber erfahren. Er oder die Kinder seiner Kinder. Stimmt’s, mein Kleiner? Mein Süßer?« Dann schnappte sie entzückt nach Luft. »Doktor!«

»Was? Was gibt es?«

»Seine Augen! Sie haben sich geöffnet! Sind sie nicht wunderschön? Schnell – was sieht er? Man sagt, das Erste, was ein Kind sieht, hat einen nachhaltigen Einfluss auf sein ganzes Leben.«

»Es sind die Mütter, die so etwas sagen, und der Grund, warum sie es sagen, ist ziemlich offensichtlich. Finden Sie nicht auch?«

»Sie haben überhaupt keinen Sinn für Romantik«, gab sie pikiert zurück. »Kein Gefühl für die wunderbaren Dinge des Lebens, kein …« Sie verstummte mit enttäuschter Miene und sagte dann: »Ach … er sieht mich gar nicht an.«

»Wollen Sie immer noch behaupten, dieser Aberglaube wäre nicht von den Müttern selbst in die Welt gesetzt worden? Also, wo schaut er hin?«

»In den Himmel. Einfach nach oben, auf …«

Erneut verstummte sie, aber diesmal wurde ihre Stimme nicht allmählich leiser, diesmal schien sie abrupt erstickt zu werden. Verwirrt blickte der Arzt auf und versuchte herauszufinden, was das Kind sehen mochte.

»Der Himmel …«, flüsterte sie in fassungslosem Entsetzen. »Der Himmel … er … bewegt sich …«

Der Himmel wurde dunkler, und zwar immer schneller. Etwas Riesiges schob sich vor die Sonne … nein, es war noch viel größer. Es nahm den gesamten Horizont ein. Und Tara hatte recht … es bewegte sich tatsächlich.

Etwas Dunkles war am Himmel über Rolisa erschienen, etwas sehr Dunkles. Die Strahlen der Sonne versuchten sich hindurchzukämpfen, aber es gelang ihnen nicht. Und die wenigen Stellen, an denen das Sonnenlicht noch sichtbar war, schrumpften zusehends, als würde ein gigantischer Vorhang über Rolisa gezogen. Der Tag wurde zur Nacht, ohne die üblichen netten Effekte der Planetenrotation. Etwas … etwas Unvorstellbares … verschlang den Himmel.

Und es bewegte sich in der Tat. Nein, es bewegte sich nicht einfach … es wogte. Es war noch meilenweit entfernt, aber es kam unaufhaltsam näher. Selbst aus der Ferne sah es aus wie eine gewaltige Masse ineinander verwobener Fäden. Jetzt war das Licht vollständig erloschen. Jetzt gab es nur noch die Masse, die näher kam und immer schwärzer wurde, unheimlich und lautlos. Ein solches Ereignis hätte eigentlich von irgendeinem Geräusch begleitet sein sollen, aber da war nichts. Nur Stille.

Die Fäden schlängelten sich, wanden sich ineinander, glitschig und pulsierend …

»Mein Krod … es lebt!«, flüsterte sie. »Was immer das ist, es lebt!«

»Das ist unmöglich«, sagte der Arzt ohne Überzeugung. »Was immer das ist, es ist nicht natürlich. Es kann nicht leben. Es muss ein … es kann nur …«

»Was sein?«, wollte sie wissen. Die Frage schien nicht provokant gemeint zu sein, sondern eher, als würde sie verzweifelt nach einer Erklärung suchen, die auch nur ansatzweise vernünftig klang.

»Wir sollten ins Haus zurückgehen«, drängte er sie, um einer direkten Antwort auszuweichen. Welchen Sinn hätte es, sich irgendeine Erklärung auszudenken? Er hatte keine Erklärung, nicht die leiseste Idee. Er wusste nur, dass sie sich nicht im Freien aufhalten sollten, wenn dieses Etwas sie erreichte. Und es würde sie erreichen, dessen war er sich ziemlich sicher. Er hatte keine Ahnung, was es tun würde, wenn es sie erreicht hatte, aber er wusste, dass er nicht hier draußen sein wollte, um es am eigenen Leib zu erfahren.

»Schnell, beeilen Sie sich!«, drängte er. Unter normalen Umständen hätte er nicht im Traum daran gedacht, so zu einer Frau zu sprechen, die vor wenigen Augenblicken Mutter geworden war. Oder sie zur Eile anzutreiben. Doch nun nahm er ihren Arm, legte ihn sich über die Schulter und half ihr auf die Beine, während sie ihr Baby fest im anderen Arm hielt. Er ließ ihr keine Erholungspause. Halb zerrte er sie, halb trug er sie zu ihrem bescheidenen Haus.

Die Masse kam immer näher. Es wurde immer deutlicher, dass sie aus einzelnen Teilen bestand. Es waren zweifellos irgendwelche Geschöpfe, individuelle Geschöpfe, die miteinander verbunden waren. Sein wissenschaftlicher Verstand sagte ihm, dass so etwas nicht möglich war. Es gab zu viele überzeugende wissenschaftliche Argumente, die gegen die Existenz von Lebewesen im Weltraum sprachen. Und wenn diese Wolke das war, was sie zu sein schien, dann stammte sie aus dem Weltraum. Etwas, das außerhalb des Weltbildes der alltäglichen Wissenschaft lag.

Die Vorstellung, dass es außerhalb des Gewohnten und Bekannten noch etwas gab, machte ihm schreckliche Angst.

Doch er wollte nicht, dass Tara etwas davon bemerkte. Ihretwegen wollte er tapfer und entschlossen sein und sich ganz dem nicht unbedeutenden Ziel widmen, sie in Sicherheit zu bringen.

Sie liefen zu ihrem Haus, und die Masse näherte sich immer schneller. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass etwas, das so weit entfernt war, sie so schnell einholen konnte. Das Haus lag jetzt direkt vor ihnen. Dort gab es Sicherheit und vernünftige Erklärungen. Dort würde er die Nachrichten einschalten, in denen man erklären würde, worum es sich bei diesem Phänomen handelte. Vielleicht war es eine kollektive Halluzination … ja, genau, das musste es sein. Oder eine optische Täuschung, vielleicht durch entweichendes Sumpfgas hervorgerufen. Man würde irgendeine rationale Erklärung liefern, und schon morgen würden alle darüber lachen und ihr gewohntes Leben fortsetzen.

Er drängte sie ins Haus und verriegelte die Tür, nur für den Fall, dass es nicht völlig harmlos und lächerlich war. »Sehen wir uns die Nachrichten an«, sagte er schnell. »Und finden raus, was hier vorgeht.«

Sie versuchte den Videobildschirm einzuschalten. Nichts geschah. Das Gerät blieb stumm. Es gab ein visuelles Signal, aber es verriet ihnen nur, dass es technische Probleme gab, die man so schnell wie möglich beheben würde.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Es muss eine vorübergehende Störung sein«, erklärte der Arzt mit beeindruckender Überzeugung. »Jedes Problem lässt sich irgendwann lösen.«

Plötzlich kam es zu einem heftigen Luftzug, und aus irgendeinem Grund, den der Arzt nicht verstand, hatte er das Gefühl, dass auf einmal eine Schwere auf ihnen lastete. Er drehte sich zu Tara um und wollte etwas sagen …

… dann war ein Rascheln und Knacken in den Bäumen, als würde etwas auf die Kronen drücken. Sie hörten, wie Äste brachen und Holz zersplitterte …

… und plötzlich stürzte das Dach ein. Um sie herum brach alles zusammen, und blitzartig wurde es stockdunkel.

In den Armen seiner Mutter blickte Arango auf. Er hörte ihren Schrei, als sich die Schwarze Masse über sie senkte, war jedoch nicht in der Lage, das laute Geräusch zu deuten. Die Schwarze Masse selbst hatte für ihn etwas Interessantes, sogar etwas Schönes. Es gefiel ihm, wie sie sich fließend bewegte. Arango blubberte fröhlich, kurz bevor die Schwarze Masse seine Mutter verschlang. Es ging so schnell, dass ihm kaum die Zeit blieb, erstaunt zu gurren oder zu begreifen, welches Schicksal ihn erwartete. Als er von der Schwarzen Masse aufgesogen wurde, schrien seine Nachkommen, die niemals zur Welt kommen würden, protestierend auf, und irgendwo weinten die Organier um die Zukunft des Lebens in der ganzen Galaxis.

Si Cwan wusste gar nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Er war so aufgeregt, dass er hektisch auf der Brücke des Kreuzers hin und her lief, bis schließlich sein Onkel, der Adlige Sedi Cwan, genug hatte, sein Handgelenk packte und ihn schüttelte. Si Cwan verlor den Boden unter den Füßen, und sein Körper flog wie eine Peitsche durch die Luft. »Hör auf! Hör auf!«, schrie Si Cwan. Doch sein schrilles Gezeter entlockte den anderen Anwesenden nur amüsierte Blicke. »Sedi! Lass mich los!«

»Erst wenn du dich zusammenreißt«, sagte Sedi Cwan ernst. Er war nicht besonders groß, aber kräftig und muskulös gebaut. Seine Stärke war beinahe genauso legendär wie sein Temperament. Es bereitete ihm überhaupt keine Mühe, Si Cwan hochzuheben. Trotzdem öffnete er nun die Hand und ließ seinen Neffen zu Boden fallen. »Du lässt dich zu sehr von deinen Gefühlen mitreißen. Von einem jungen Adligen wird ein größeres Maß an Disziplin erwartet, Si Cwan. Selbst in deinem zarten Alter.«

Si Cwan rappelte sich auf und rieb sich den Hintern, auf dem er gelandet war. »Ich war doch nur aufgeregt«, antwortete er so trotzig, wie es ihm unter den gegebenen Umständen möglich war. »Ich denke, das ist verständlich.«

»Grundsätzlich ist alles verständlich. Man kann sogar verstehen, warum sich ein Kind in die Hosen macht. Trotzdem rümpft jeder die Nase über den Gestank der Unreife. Du solltest dich nicht wie ein kleines Kind aufführen.«

»Aber ich bin ein kleines Kind!«, protestierte Si Cwan, immerhin war er nicht einmal acht Jahre alt.

»Hast du jemals einen Betrunkenen beobachtet?«

Si Cwan blinzelte, da er den Sinn dieser Frage nicht verstand. »Ja.«

»Ich ebenfalls. Viel häufiger als du, würde ich meinen. Die meisten Betrunkenen besitzen den Anstand, zumindest vorzugeben, sie seien nüchtern. Es mag für jeden offensichtlich sein, in welchem Zustand sie sich tatsächlich befinden, aber wenigstens kann man ihnen für den Versuch Anerkennung zollen. Du bist ein junger Prinz und Edelmann, Si Cwan. Hältst du es für unvernünftig, dass man dich mit denselben Maßstäben wie einen Betrunken misst?«

Der junge Mann seufzte schwer. »Ich denke nicht.«

»Du denkst nicht?«

»Nein, ich halte es nicht für unvernünftig.«

Sedi Cwans Mundwinkel zuckten leicht, aber seine jahrelange Übung verhinderte, dass sich ein Lächeln daraus entwickeln konnte. »Du befindest dich an Bord meines Flaggschiffs, Si Cwan«, sagte er ernst. »Dein Benehmen fällt auf mich zurück. Bitte mach mir keine Schande.«

»Das werde ich nicht, Sedi Cwan.«

»Gut.« Er nickte zufrieden. »Das Thallonianische Imperium hat eine große und ruhmreiche Tradition. Wir haben niemals eine Schlacht verloren. Eine solche Tradition gründet sich auf eine entsprechend ausgeprägte Disziplin. Ich weiß, dass ich mich darauf verlassen kann, dass du diese Tradition fortsetzt.«

»Vielen Dank, Sedi Cwan.«

»Sedi Cwan!«, rief der Offizier, der an der taktischen Station Dienst tat. Sedi Cwan ging hinüber, und Si Cwan folgte ihm über die Brücke. Der Junge war sehr aufgewühlt. Einerseits war es ihm peinlich, dass er sich so sehr hatte gehen lassen. Andererseits war er ganz aus dem Häuschen, weil er sich zum ersten Mal auf einem Raumschiff befand – und obendrein auf dem Flaggschiff des großen Sedi Cwan! Für ihn war es also völlig verständlich, dass er die Selbstbeherrschung verloren hatte. Demnach müsste es eigentlich auch Sedi Cwan verstehen können. Aber dann wurde Si Cwan bewusst, dass sein Onkel vielleicht ganz andere Sorgen hatte.

Er versuchte, unauffällig einen Blick an Sedi Cwan vorbei auf die Anzeigen der taktischen Station zu werfen. Sedi bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sein Neffe neugierig den Hals reckte. Er griff nach Si Cwans Schulter und schob ihn nach vorne, damit er besser sehen konnte. Si Cwan bemühte sich, zu verstehen, was er sah, aber das meiste waren nur Zahlen und Zeichen, die für ihn keinen Sinn ergaben. Trotzdem bemühte er sich, eine ernste Miene aufzusetzen, und nickte, als wüsste er genau, um was es ging.

Sedi Cwan hingegen verstand wirklich, was er sah, und es gefiel ihm ganz und gar nicht. »Wie ist das möglich?«, wollte er wissen. »Wie konnte sie so schnell so weit vordringen? Was ist mit unseren Beobachtungsstationen? Unseren Frühwarneinrichtungen?«

»Unsere Systeme sind auf dem neuesten Stand der Technik, Lord Cwan«, erwiderte einer seiner Männer. »Und auf der Grundlage des letzten Angriffs haben sie uns rechtzeitig gewarnt, als sich die Masse in Bewegung setzte.«

»Und was ist dann schiefgelaufen …?«

»Die Masse … hat sich schneller bewegt …«

Sedi Cwan stieß ein verärgertes Knurren aus. Si Cwan wusste, dass er einfach hätte schweigen sollen, aber er konnte sich nicht zurückhalten. »Ist es die Schwarze Masse, Sedi? Wie es die Instrumente angezeigt haben?«

Der Junge hatte Glück, nicht von Sedi getadelt zu werden, weil er sich ungefragt zu Wort gemeldet hatte. Stattdessen erwiderte sein Onkel mit sehr ernster Miene: »Oh, ja. Ja, es ist unzweifelhaft die Schwarze Masse. Und die Lage ist schlimmer, als wir uns vorgestellt haben. Sind wir in visueller Reichweite?«

»Bei maximaler Vergrößerung, ja, Lord Cwan.«

Sedi Cwan drehte sich zum Sichtschirm um. »Dann wollen wir sie uns anschauen«, sagte er. Si Cwan hatte den Eindruck, dass sein Onkel sich für den Anblick wappnete, auf den er gerne hätte verzichten können.

Der Sichtschirm wechselte vom Bild der Sterne, die vor ihnen lagen, zu einem anderen, das eine Welt zeigte, die so schwarz war, dass sie mit einer Art zäher Flüssigkeit bedeckt zu sein schien. Si Cwan konnte es nicht glauben. Er hatte gedacht, dass eine Welt, die so dunkel war, so weit von der Sonne entfernt sein müsste, dass kein Licht mehr bis zu ihrer Oberfläche vordrang. Aber das hier war …

Dann keuchte er auf, als er erkannte, dass der Planet … pulsierte. Oder zumindest seine Oberfläche. Er pulsierte wie ein riesiges Herz, und das, was ihn bedeckte, wand sich wie im …

»… Fressrausch«, flüsterte er. Si Cwan hatte einmal an einer Jagd teilgenommen, vor weniger als einem Jahr, und dabei hatte er ein Rudel Raubtiere beobachtet. Eins der Tiere hatte eine Schussverletzung gehabt, und Si Cwan hatte erwartet, dass das Rudel es einfach zurücklassen würde. Doch als die anderen Tiere das Blut witterten, fielen sie über ihren verwundeten Artgenossen her und rissen ihn in Stücke. Infolgedessen hatten die Jäger viel größere Beute als sonst gemacht, weil die Angreifer so gierig fraßen, dass sie jede Vorsicht vergaßen. Si Cwan hatte erfahren, dass man dieses Verhalten als »Fressrausch« bezeichnete.

Nun nickte Sedi Cwan, als er die Bemerkung seines Neffen hörte. »Du hast recht«, sagte er. Normalerweise hätte Si Cwan den kleinen Brustkorb voller Stolz herausgestreckt, weil er etwas Kluges zu einem Erwachsenenthema gesagt hatte, doch in diesem Fall war ihm einfach nur übel. »Der einzige Unterschied«, fuhr Sedi Cwan fort, »besteht darin, dass andere Geschöpfe den Kopf verlieren und sich in einem solchen Zustand völlig ihren Instinkten überlassen. Mit der Schwarzen Masse jedoch … verhält es sich ganz anders.«

»Woher kommt sie, Sedi? Wo ist das Raumschiff dieser Geschöpfe? Sind es Tiere? Oder intelligente Wesen? Oder …?«

»Nicht jetzt, Si Cwan«, unterbrach ihn Sedi. In seiner Stimme lag keine Verärgerung, sondern nur höchste Konzentration. Dann wandte er sich seinen Männern zu. »Toth, machen Sie die Waffen feuerbereit.«

Der Mann namens Toth blickte seinen Vorgesetzten verwirrt an. »Worauf genau soll ich die Waffen ausrichten, Lord Cwan?«

»Das werde ich Ihnen in Kürze sagen. Sanf, stellen Sie eine Verbindung zu den anderen Schiffen her.«

Kurz darauf sprach Sedi Cwan mit den vier weiteren Schiffen, die sie zur Schwarzen Masse begleitet hatten. Mit schnellen, klaren Worten entwarf er einen Angriffsplan, der einen simultanen Vorstoß auf den Planeten, über den die Masse hergefallen war, aus verschiedenen Richtungen vorsah.

Als die Schiffe auf Position gingen, konnte Si Cwan den Blick nicht von der wabernden Hülle aus parasitischem Leben abwenden, die Rolisa einhüllte. »Die Bewohner«, bemerkte Si Cwan. »Die Bewohner von Rolisa … wo sind sie? Wo sind ihre Rettungsschiffe? Wo sind …?«

Er verstummte, als er den Blick in Sedi Cwans Augen bemerkte. »Nein«, flüsterte er.

»Sie leben nicht mehr«, sagte Sedi Cwan, ohne sich die Mühe zu machen, dem Jungen die Wahrheit schonender beizubringen. »Sie werden in diesem Moment von diesem … Ding … verschlungen.«

»Alle Bewohner … das gesamte Volk …« Si Cwan konnte das Ausmaß der Tragödie nicht fassen. Einen Toten konnte er sich vorstellen. Auch zwei oder drei Tote … mit solchen Zahlen konnte er umgehen. Aber die Rolisaner zählten mehrere hundert Millionen, wie sein Onkel kurz vor dem Start erwähnt hatte.

Sedi Cwans Stimme wurde hart. »Das ist ohne Bedeutung.«

»Ohne Bedeutung?« Si Cwan wusste nicht, ob sein Onkel wirklich aus Überzeugung sprach oder ob er der Ansicht war, den Jungen auf diese Weise abhärten zu müssen. »Es sind lebende und fühlende Wesen. Wie kannst du sagen, dass ihr Tod bedeutungslos ist …?«

»Du blamierst mich, junger Edelmann«, wies Sedi ihn zurecht, worauf Si Cwan sofort verstummte. »Im Thallonianischen Imperium ist das Einzige, das von Bedeutung ist, das Volk der Thallonianer. Nur wir. Sonst nichts. Dessen solltest du dir bewusst sein. Wenn deine Lehrer versäumt haben, dir diese Tatsache beizubringen, werde ich ein ernstes Wort mit ihnen reden müssen.«

»Nein, sie haben es mir beigebracht«, sagte Si Cwan. »Aber ich habe von ihnen auch gelernt, dass jeder Verlust eine schwere Sünde ist. Hier geht ein ganzes Volk verloren, deshalb muss es eine große Sünde sein.«

»Es hatte keine Bedeutung, Si Cwan. Rolisa war ein zurückgebliebener Planet mit einem unterentwickelten Volk, das niemals irgendeine Rolle außerhalb seiner eigenen Welt gespielt hätte. Ob die Rolisaner existieren oder nicht, macht für uns nicht den geringsten Unterschied. Die Schwarze Masse hingegen stellt eine Bedrohung dar. Eine Bedrohung, mit der wir uns jetzt auseinandersetzen werden. Toth …?«

»Alle Schiffe sind in Position, Lord Cwan«, meldete Toth.

»Ausgezeichnet. Achtung, an alle Schiffe: Wenn wir das Feuer auf die Schwarze Masse eröffnen, wird sie uns verfolgen. Mein Plan ist einfach, aber wirksam: Teile und siege. Die Masse wird sich nicht entscheiden können, welches Schiff sie zuerst angreifen soll. Also wird sie sich – zumindest in der Theorie – aufteilen und jeden von uns verfolgen. Und wenn das geschieht …« Seine Stimme senkte sich zu einem gefährlichen Flüstern. »… dann werden wir das Gewimmel rösten. Machen Sie sich bereit, auf mein Kommando zu feuern.«

Si Cwan beobachtete die hektischen Aktivitäten auf der Brücke, als sich die Besatzung auf den Kampf gegen einen unbekannten und unbegreiflichen Gegner vorbereitete. Er wünschte sich, er könnte irgendwie helfen, aber er wusste, dass es Zeiten gab, in denen man einfach danebenstehen und die Arbeit denen überlassen musste, die ihr Metier verstanden. Trotzdem konnte er es kaum abwarten, eines Tages alt genug zu sein, um sich an einer großen, ruhmreichen Schlacht gegen einen unglaublich bizarren Feind zu beteiligen.

»Drei, zwei, eins …« Sedi Cwan hielt einen Moment inne – beinahe schien es, als wollte er die Dramatik steigern –, dann rief er: »Feuer!«

Und die Schiffe warfen alles in den Kampf, was sie hatten.

Sie setzten Disruptoren ein, Plasmakanonen, Fusionsbomben und Thermitgranaten … mit einem Wort, sie aktivierten alle Massenvernichtungswaffen, die sich in ihrem Arsenal befanden.

Und die Schwarze Masse saugte alles auf.

Si Cwan konnte nicht glauben, was er sah. Er war fest davon überzeugt, dass das, was da vor seinen Augen geschah, nicht real sein konnte. Es war einfach unmöglich, dass die Schwarze Masse die tödlichen Energien ihres Angriffs schlichtweg absorbierte. Doch genau das schien zu geschehen.

»Das ist unmöglich«, sagte Sedi Cwan. Dass er auf diesen Anblick mit maßloser Verblüffung reagierte, war vermutlich der beunruhigendste Aspekt für Si Cwan. Bisher hatte er gedacht, sein Onkel wäre ein unerschütterlicher Fels in der Brandung, der zahllose Kriegsabenteuer erzählen konnte, die er mit Selbstbewusstsein und Bravour gemeistert hatte, und der jeden beliebigen Gegner ohne besondere Mühe überwunden hatte. »Kann es sein, dass … dieses Ding … die Energien einfach absorbiert?«

»So scheint es, Sedi Cwan«, sagte Toth. Er starrte auf seine Instrumente und war offenbar genauso vom Donner gerührt wie sein Vorgesetzter. »Die Schwarze Masse ignoriert uns einfach. Wir haben … wir haben nicht einmal ihre Aufmerksamkeit erregt.«

Dieses Eingeständnis war beschämend, aber es entsprach den Tatsachen. Die Schwarze Masse zeigte nicht das leiseste Interesse, die Welt zu verlassen, die es verzehrte. Stattdessen fraß sie weiter …

… und fraß …

… und fraß.

Die thallonianische Flotte hörte nicht auf zu feuern. Sie setzte alles ein, was sie der Schwarzen Masse entgegenzusetzen hatte, jede Waffe und jede Taktik. Aber es war so gut wie unmöglich, einen wirksamen Angriff gegen einen Feind durchzuführen, der nicht einmal bereit war, die Existenz des Angreifers wahrzunehmen. So ging es mehr als eine Stunde lang weiter. Sedi Cwan beriet sich mit seinen Wissenschaftlern, den Befehlshabern der anderen Schiffe – und in seiner Verzweiflung sogar mit seinem privaten Wahrsager. Dieser verkündete, dass der heutige Tag in die Annalen der thallonianischen Militärgeschichte eingehen würde, aber er machte keine genaueren Angaben, ob man ihn als Tag des Sieges oder der Niederlage im Gedächtnis behalten würde. Damit konnte Sedi Cwan natürlich nicht sehr viel anfangen.

Unterdessen schrumpfte der Planet, der einmal Rolisa gewesen war, immer weiter, und die Schwarze Masse zog sich zusammen, während ihre Beute immer kleiner wurde.

Sedi Cwan trat direkt vor den Sichtschirm und starrte angestrengt auf die Bildübertragung. Si Cwan hielt sich in seiner Nähe und beobachtete ihn schweigend. Dann beugte sich Sedi Cwan vor, legte die Handflächen auf den Bildschirm, ließ den Kopf hängen und schüttelte ihn in erschreckender Verzweiflung.

»Sedi …?«, flüsterte Si Cwan. Während des gesamten Angriffs hatte er kein Wort gesprochen. »Sedi … was wirst du jetzt tun?«

Als sein Onkel sich zu ihm umdrehte, war der Ausdruck in seinen Augen düster und hoffnungslos. »Tun?«

»Es muss doch noch etwas geben … man muss doch etwas tun …«

Sedi Cwan stieß einen schweren Seufzer aus, dann rief er: »Feuer einstellen! Wir ziehen uns auf sicheren Abstand zurück!«

Die gesamte Brückenbesatzung atmete hörbar auf, doch schon im nächsten Moment hatten sich alle wieder zusammengerissen und beeilten sich, die Befehle auszuführen. Si Cwan stand wie erstarrt da, er konnte sich nicht von der Stelle rühren, nachdem er soeben gehört hatte, wie sein berühmter Onkel das Kommando zum Rückzug gab. »Zurückziehen? Du meinst … wir werden davonlaufen?«

»Nein, Si Cwan«, sagte Sedi Cwan leise. In seiner Stimme lag ein Unterton, den Si Cwan nie zuvor gehört hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, worum es sich handelte. Es war der Tonfall, in dem man eine Niederlage eingestand. »Nein … wir bleiben in der Nähe … und wir werden weiter beobachten. Damit sich die Erinnerung an diesen Tag unauslöschlich in unser Gedächtnis einbrennt. An den Tag, als die geballte Macht der Thallonianer … nicht das Geringste bewirken konnte.«

Si Cwan schüttelte ungläubig den Kopf, während er die fressende Masse beobachtete. »Was … ist das eigentlich?«, fragte er schließlich. Er hatte diese Frage schon einmal gestellt, aber die Antwort war sehr knapp und beiläufig gewesen, als wäre die Frage in Kürze sowieso hinfällig, da sich die Schwarze Masse niemals gegen die Überlegenheit der Thallonianer würde behaupten können.

»Sie schwärmt aus der Hungerzone aus, Si Cwan«, sagte sein Onkel zu ihm, »einem Raumsektor, in dem sich nie ein Thallonianer aufgehalten hat. Weil die Region für uns verboten ist. Sollte doch einmal jemand dort gewesen sein, kehrte er nicht zurück, um davon erzählen zu können.«

»Warum nennt man sie die Hungerzone?«

»Weil … weil sich die Schwarze Masse dort aufhält, bis ihr Hunger überwältigend geworden ist. Und dann beginnt sie ihre Wanderung.« Er schüttelte den Kopf, weil er selbst es offenbar immer noch nicht fassen konnte. »Die Masse kann die Hungerzone in jeder beliebigen Richtung verlassen, sodass niemand weiß, wann oder wohin sie ausschwärmen wird. Ich schätze, es hängt davon ab, wie viel sie konsumiert, wenn sie sich außerhalb der Zone befindet. Seit ihrem letzten Auftauchen sind über fünfzig Jahre vergangen, davor hatte es nur zehn Jahre gedauert … und davor neunzig. Es lässt sich einfach nicht vorhersagen. Die nächste Wiederkehr könnte noch zu deinen Lebzeiten kommen, Si Cwan. Aber ich hoffe für dich, dass es nicht geschehen wird.«

»Ist es ein einzelnes Geschöpf? Ein einzelnes Wesen? Oder besteht sie aus Millionen oder Milliarden von …«

»Ich weiß es nicht, Junge!« Sedi Cwan gab sich keine Mühe, seine Verzweiflung vor ihm zu verbergen. Angesichts seiner ansonsten beeindruckenden Fähigkeit zur Selbstbeherrschung war das ein deutliches Anzeichen, wie aufgewühlt er war. »Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Wenn wir etwas darüber wüssten, könnten wir es vielleicht besiegen. Sie ist ganz anders als ein herkömmlicher Feind … eigentlich ist sie gar kein Feind, sondern …« Er starrte mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen auf die Schwarze Masse. »Sie ist eher eine Naturgewalt.«

»Lord Cwan!«, rief Toth unvermittelt. »Sie setzt sich in Bewegung!«

»Sind Sie sicher?«

»Die Daten sind eindeutig, Mylord.«

Er hatte recht. Die Schwarze Masse entfernte sich von der Welt, über die sie hergefallen war. Und dort befand sich jetzt … nichts mehr. Nur noch ein paar verstreute Trümmerstücke, sonst war nichts übrig geblieben. Die Masse schien sich neu zu formieren und nahm wimmelnd eine Gestalt an, die Si Cwan entfernt an ein Raumschiff erinnerte. Das Gebilde war ungefähr symmetrisch und hatte so etwas wie Schwingen, die sich leicht bewegten, als es Fahrt aufnahm.

»Da … schau mal!«, sagte Si Cwan mit wachsender Aufregung. »Schau, wohin sie fliegt! Sie will Selbstmord begehen! Unser Problem ist gelöst!«

Im Gegensatz zu seinem begeisterten Neffen schien Sedi Cwan noch nicht glauben zu wollen, was er sah. »Überprüfen Sie den Kurs. Stellen Sie fest, ob sie wirklich dorthin fliegt … oder wir uns das nur einbilden«, befahl er mit einem Seitenblick auf Si Cwan.

»Es ist wirklich so, Mylord«, sagte Toth. Auch er konnte seine Begeisterung kaum noch zügeln. Auch er konnte nicht fassen, dass es wirklich so einfach sein sollte. »Die Masse fliegt direkt auf die Sonne von Rolisa zu!«

Da Rolisa nicht mehr existierte, war es eigentlich falsch, diesen Stern immer noch als die Sonne von Rolisa zu bezeichnen. Aber niemand legte gesteigerten Wert darauf, diese Formulierung zu korrigieren, denn im Augenblick zählte nur, dass die Schwarze Masse offenbar entschieden hatte, ihrer Existenz ein Ende zu setzen. Ihre Flugbahn führte direkt ins Zentrum der Sonne.

»Wir beobachten weiter, während alle Schiffe auf maximale Distanz gehen«, sagte Sedi Cwan. »Wenn es zu irgendwelchen Ausbrüchen kommt oder die Sonne zur Nova wird, will ich keine Opfer zu beklagen haben. Nicht so kurz vor dem Ende dieser Sache.«

Die Schiffe zogen sich gehorsam zurück und behielten die Schwarze Masse im Auge, die sich unbeirrt dem glühenden Stern näherte.

»Es kann nicht so einfach sein«, murmelte Sedi Cwan. »Unmöglich. Die Schwarze Masse wird kurz vorher abdrehen. Das ist die einzige Möglichkeit. Ja, sie wird abdrehen und …«

Aber sie drehte nicht ab. Stattdessen breitete sie sich aus und wurde immer größer, je näher sie der Sonne kam.

»Lord Cwan!«, rief Toth. »Unsere Sensoren können sie nicht mehr erfassen!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Es kommt zu irgendwelchen …« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Rund um die Masse entwickelt sich eine Art Verzerrung, als würde sie den Raum krümmen, wie ein Warpfeld.«

»Unmöglich. Das ist ein Lebewesen.«

»Wir empfangen keine eindeutigen Messdaten mehr.«

»Wir brauchen keine Messdaten«, sagte Sedi Cwan und zeigte auf den Schirm. »Schauen Sie selbst. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Augenblicken, bis …«

Dann verstummte er, genauso wie alle anderen.

Die Schwarze Masse umhüllte den Stern.

Es dauerte mehrere Minuten, bis die letzten Lichtstrahlen den Standort der thallonianischen Armada erreicht hatten, aber dann wurde es dunkel. Im gesamten Sonnensystem erlosch das Licht, und es wurde so finster wie die Schwarze Masse selbst.

Si Cwan hatte in seinem jungen Leben noch nie Furcht erlebt. Zumindest keine echte. Nicht die Art von Furcht, die einem die Kehle zuschnürt und einen nicht mehr loslassen will. Aber genau das erlebte er nun, und es war keine schöne Erfahrung.

»Auf Falschfarben umstellen«, sagte Sedi Cwan tonlos.

Auf dem Sichtschirm tat sich wieder etwas, als die technischen Systeme des thallonianischen Schiffs den Lichtmangel ausglichen und auf der Basis anderer Messdaten ein künstliches Bild erstellten. Was sie nun sahen, ließ alle Anwesenden schockiert verstummen. Man konnte beinahe hören, wie ihre Zuversicht entwich, als würde die Schwarze Masse wie ein Vampir ihre Seelen aussaugen.

Die Schwarze Masse verschlang die Sonne.

Es dauerte einige Zeit, doch je länger sie fraß, desto schneller schien der Vorgang abzulaufen. Es war, als würde sie daraus immer neue Kraft gewinnen, wodurch sie Energie und Materie noch gieriger absorbieren konnte. Gelegentlich zuckte die Masse, wenn etwas innerhalb der Sonne explodierte, als würde sich der Stern wehren oder im Todeskampf aufbäumen.