Titelseite

Was auch geschieht!

Was auch immer geschieht:

Nie dürft ihr so tief sinken,

von dem Kakao, durch den man euch zieht,

auch noch zu trinken!

Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,

behaart und mit böser Visage.

Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt

und die Welt asphaltiert und aufgestockt,

bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,

in zentralgeheizten Räumen.

Da sitzen sie nun am Telefon.

Und es herrscht noch genau derselbe Ton

wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.

Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.

Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.

Die Erde ist ein gebildeter Stern

mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.

Sie jagen und züchten Mikroben.

Sie versehn die Natur mit allem Komfort.

Sie fliegen steil in den Himmel empor

und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrig lässt,

das verarbeiten sie zu Watte.

Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.

Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,

dass Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund

den Fortschritt der Menschheit geschaffen.

Doch davon mal abgesehen und

bei Lichte betrachtet sind sie im Grund

noch immer die alten Affen.

Die Ballade vom Misstrauen

Plötzlich fühlte er: Ich muss hinüber.

Und er fuhr fünf Stunden und stieg aus.

Daraufhin lief er durch viele Straßen.

Denn er hatte Furcht vor ihrem Haus.

Gegen Abend nahm er sich zusammen.

Doch in ihren Fenstern war kein Licht.

Wartend stand er auf der dunklen Straße.

Und der Mond versank im Landgericht.

Später hielt ein Taxi vor der Türe.

Und er dachte sich: Das wird sie sein.

Und sie war’s! Mit irgendeinem Manne

trat sie hastig in das Haus hinein.

Wieder stand er auf der leeren Straße.

Und die Zimmer oben wurden hell.

Schatten bogen sich auf den Gardinen.

Aus entfernten Gärten klang Gebell.

Während sich die Stunden überholten,

rauchte er und saß auf einer Bank.

Gegen Morgen fing es an zu regnen.

Trotzdem wurde ihm die Zeit nicht lang.

Als es tagte, zerrte er die Briefe,

die sie ihm geschrieben hatte, vor.

Und er las, wie innig sie ihn liebe.

Und er nickte zu dem Haus empor.

Sechs Uhr früh trat der Herr Stellvertreter

aus der Tür und ging und pfiff ein Lied.

Und der Mann, der auf der Bank saß, dachte

tief beschämt: Wenn man mich nur nicht sieht.

Oben öffnete die Frau die Fenster,

trat auf den Balkon und gähnte sehr.

Da erhob er sich und ging zum Bahnhof.

Sie erschrak und starrte hinterher.

Brief an meinen Sohn

Ich möchte endlich einen Jungen haben,

so klug und stark, wie Kinder heute sind.

Nur etwas fehlt mir noch zu diesem Knaben.

Mir fehlt nur noch die Mutter zu dem Kind.

Nicht jedes Fräulein kommt dafür in Frage.

Seit vielen langen Jahren such’ ich schon.

Das Glück ist seltner als die Feiertage.

Und deine Mutter weiß noch nichts von uns, mein Sohn.

Doch eines schönen Tages wird’s dich geben.

Ich freue mich schon heute sehr darauf.

Dann lernst du laufen, und dann lernst du leben,

und was daraus entsteht, heißt Lebenslauf.

Zu Anfang schreist du bloß und machst Gebärden,

bis du zu andern Taten übergehst,

bis du und deine Augen größer werden

und bis du das, was man verstehen muss, verstehst.

Wer zu verstehn beginnt, versteht nichts mehr.

Er starrt entgeistert auf das Welttheater.

Zu Anfang braucht ein Kind die Mutter sehr.

Doch wenn du größer wirst, brauchst du den Vater.

Ich will mit dir durch Kohlengruben gehn.

Ich will dir Parks mit Marmorvillen zeigen.

Du wirst mich anschaun und es nicht verstehn.

Ich werde dich belehren, Kind, und schweigen.

Ich will mit dir nach Vaux und Ypern reisen

und auf das Meer von weißen Kreuzen blicken.

Ich werde still sein und dir nichts beweisen.

Doch wenn du weinen wirst, mein Kind, dann will ich nicken.

Ich will nicht reden, wie die Dinge liegen.

Ich will dir zeigen, wie die Sache steht.

Denn die Vernunft muss ganz von selber siegen.

Ich will dein Vater sein und kein Prophet.

Wenn du trotzdem ein Mensch wirst wie die meisten,

all dem, was ich dich schauen ließ, zum Hohn,

ein Kerl wie alle, über einen Leisten:

dann wirst du nie, was du sein sollst: mein Sohn!

Anmerkung: Da der Autor, nach dem Erscheinen des Gedichts in einer Zeitschrift, Briefe von Frauen und Mädchen erhielt, erklärt er, vorsichtig geworden, hiermit: Schriftliche Angebote dieser Art werden nicht berücksichtigt.

Nekrolog für den Maler E. H.

Ach, er war ein guter Maler,

doch ein schlechter Steuerzahler.

Denn sein Bilderstapel stand

still mit dem Gesicht zur Wand.

Einsam war der Mann und bald

fünfundvierzig Jahre alt.

Und er wagte nicht mehr, offen

auf sein bisschen Glück zu hoffen.

Schulden, die er nie bezahlte,

saßen rings im Atelier.

Sinnlos war es, dass er malte!

Und sein Leben tat ihm weh.

Als er keinen Mut mehr hatte,

stopfte er zerpflückte Watte

in die Tür- und Fensterspalten,

um das Zimmer dicht zu halten.

Danach schrieb er ein paar Briefe

zur Erklärung der Motive.

Und im weiteren Verlauf

drehte er den Gashahn auf.

Krank und müde vom Getue

um die goldne Gunst der Welt,

setzte er sich nun zur Ruhe,

wenn auch ohne Ruhegeld.

Eine Woche saß die Leiche

ungestört in ihrem Reiche.

Bis der Herr Portier erschien.

Denn nur der vermisste ihn.

Paar Bekannte standen stumm

später um das Grab herum.

Ohne Blechmusik und Predigt

wurde hier der Rest erledigt.

Alle Augen blieben trocken.

Hinterher im Stammcafé

fragte einer ganz erschrocken:

»Wer nimmt nun das Atelier?«

Sozusagen in der Fremde

Er saß in der großen Stadt Berlin

an einem kleinen Tisch.

Die Stadt war groß, auch ohne ihn.

Er war nicht nötig, wie es schien.

Und rund um ihn war Plüsch.

Die Leute saßen zum Greifen nah,

und er war doch allein.

Und in dem Spiegel, in den er sah,

saßen sie alle noch einmal da,

als müsse das so sein.