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Von Osterhasen und Frühlingsblumen

Vorbemerkung von Sylvia List

Der Tapferste legt eine Bonbonniere.

Er blickt dabei entschlossen ins Leere.

Bonbonnieren sind leichter gesagt als getan.

Erich Kästner, Der April

Ostern ist ein heiteres Familienfest. Den Erwachsenen macht es Spaß, den Osterhasen zu spielen und Eier zu verstecken, und die Kinder gehen mit Feuereifer und mit Begeisterung daran, die Verstecke aufzuspüren. Und wenn die Kinder größer geworden sind und der Osterhasenglaube sich verloren hat – wann und wie weiß man meist nicht –, dürfen sie mithelfen, Eier zu färben oder zu bemalen (»Ostereiermalen ist nämlich unser Schönstes!«), dürfen selber welche verstecken und trotzdem immer noch welche suchen.

Dieses Märchenhaft-Spielerische am Osterhasenglauben hat Erich Kästner offenbar geliebt, sonst hätte er es in dem Monatsgedicht Der April nicht so bezaubernd beschreiben können.

Umso mehr versteht man seinen nachhaltigen Groll auf Herrn Bremser, seinen ansonsten so geschätzten Klassenlehrer, der ihm jäh und allzu früh den Osterhasenglauben genommen und ihm damit »die ganze Kindheit hinterrücks erschossen« hat (Die Entlarvung des Osterhasen, Osterfestrede). Dem kleinen Erich ist es wohl ergangen wie dem kleinen Jungen in Ein nachdenklicher Festgesang, auch er ein Opfer verfrühter Aufklärung: »Mäxchen sitzt indes im Zimmer / und er weint und flüstert immer / mit dem ängstlichsten Gesicht: / ›Osterhasen gibt es nicht.‹«

Nimmt man einem Kind den Glauben an den Nikolaus oder den Weihnachtsmann, muss es keine Angst mehr vor den beiden haben, und die Weihnachtsfreude wird dadurch eher größer und unbeschwerter. Nimmt man einem kleinen Kind aber den Osterhasenglauben, ist es gestraft: Denn das mit den von Hasen gelegten und versteckten Eiern ist ja Erwachsenenhokuspokus, also muss es sich bockig dem verweigern. Womit auch den Erwachsenen das Ostervergnügen genommen ist.

In späteren Jahren, als Kästner schon in Berlin lebt, ändern sich altersgemäß die familiären Osterbräuche: Er schenkt seiner Mutter »Osterhasenschokoladenkästchen« – die »Bonbonnieren« aus Der April –, vorzugsweise aus der Berliner Edelconfiserie Hamann. Und seine Mutter schickt ihm Frühlingsblumen – Schneeglöckchen, Primel- und Krokusstöckchen, Vergissmeinnicht – und kann sich sicher sein, dass sie ihm damit große und anhaltende Freude macht.

Diese lebenslange Liebe zu den bescheidenen Blumen, die oft viel anmutiger sind als prachtvolle Züchtungen, und die Kennerschaft auf diesem Gebiet verdankt Kästner wahrscheinlich seiner Mutter, auch wenn er das nirgends explizit erwähnt. In seinem Münchner Garten gediehen »Rosen und Veilchen und Tulpen und Schneeglöckchen und Narzissen und Hahnenfuß und Männertreu und Glockenblumen und meterhohe blühende Gräser, die der Sommerwind streichelt«. An den Rändern des Bachs, der durch sein Grundstück floss, sollte Kresse wachsen. Ich wüsste aus den fünfziger Jahren keinen anderen Gartenplan, in dem der »Pool« – unverzichtbares Statussymbol jener Zeit – den gleichen Stellenwert hat wie die schlichte Kresse.

Ostern und Frühling gehören untrennbar zusammen. Und so sind hier die Ostertexte von Frühlingsgeschichten und -gedichten gewissermaßen österlich umkränzt. Die Baumblüten-Philosophie ist eine vor Übermut sprudelnde Beschwerde des gerade 24-Jährigen über die entsetzlich umständliche Natur, Frühling in Berlin die liebevoll-ironische Schilderung großstädtischen Vorfrühlings zwischen Gänsehaut und Sonnenbrand. Und lässt sich die Hochstimmung, in die ein strahlend leuchtender Frühlingstag die Menschen versetzt, schöner sagen als mit »Die Seelen laufen Stelzen durch die Stadt« in Besagter Lenz ist da? »Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache«, heißt es weiter, »doch es ist immer wie zum ersten Mal«.

Die ganze in den schrecklichen Kriegsjahren angestaute Frühlingssehnsucht Kästners bricht sich Bahn im Anfang April 1946 entstandenen Text Frühling an der Bergstraße. Nirgendwo sonst äußert er sich so hingerissen und begeistert über das Ergrünen und Aufblühen der Natur. In Gespräch im Grünen von 1948 ist der Ton schon wesentlich verhaltener, aber es ist deutlich zu spüren, wie sehr der Frühling über den kargen Alltag hinwegzutrösten vermag.

Das so zaghaft blühende Mandelbäumchen könnte Kästner erstanden haben, um es in seinem damals noch unfertigen Garten in der Flemingstraße zu pflanzen.

Den Band beschließen die märchenhafte, aber auch etwas verstörende Geschichte Paula vorm Haus und das so überschwängliche wie sanft melancholische Gedicht vom Mai, dem »Mozart des Kalenders«, der lächelnd in seiner Kutsche vorüberrollt, um dem Sommer den Weg zu bereiten.

München, Januar 2013

Sylvia List

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Zeichnung Erich Kästner

Der April

Der Regen klimpert mit einem Finger

die grüne Ostermelodie.

Das Jahr wird älter und täglich jünger.

O Widerspruch voll Harmonie!

Der Mond in seiner goldenen Jacke

versteckt sich hinter dem Wolken-Store.

Der Ärmste hat links eine dicke Backe

und kommt sich ein bisschen lächerlich vor.

Auch diesmal ist es dem März geglückt:

Er hat ihn in den April geschickt.

Und schon hoppeln die Hasen,

mit Pinseln und Tuben

und schnuppernden Nasen,

aus Höhlen und Gruben

durch Gärten und Straßen

und über den Rasen

in Ställe und Stuben.

Dort legten sie Eier, als ob’s gar nichts wäre,

aus Nougat, Krokant und Marzipan.

Der Tapferste legt eine Bonbonniere.

Er blickt dabei entschlossen ins Leere.

Bonbonnieren sind leichter gesagt als getan.

Dann geht es ans Malen. Das dauert Stunden.

Dann werden noch seidene Schleifen gebunden.

Und Verstecke gesucht. Und Verstecke gefunden:

Hinterm Ofen, unterm Sofa,

in der Wanduhr, auf dem Gang,

hinterm Schuppen, unterm Birnbaum,

in der Standuhr, auf dem Schrank.

Da kräht der Hahn den Morgen an!

Schwupp, sind die Hasen verschwunden.

Ein Giebelfenster erglänzt im Gemäuer.

Am Gartentor lehnt und gähnt ein Mann.

Über die Hänge läuft grünes Feuer

die Büsche entlang und die Pappeln hinan.

Der Frühling, denkt er, kommt also auch heuer.

Er spürt nicht Wunder noch Abenteuer,

weil er sich nicht mehr wundern kann.

Liegt dort nicht ein kleiner Pinsel im Grase?

Auch das kommt dem Manne nicht seltsam vor.

Er merkt gar nicht, dass ihn ein Osterhase

auf dem Heimweg verlor.

Frühling in Berlin

Nun lässt der Frühling sein Blauband wieder flattern, und Berlin mag sich nicht ausschließen. Die in die Literatur eingegangenen Blumenfrauen vom Potsdamer Platz verbreiten bereits ihre Düfte. Und auch die andere blumige Ecke, der Tauentzien bei der Gedächtniskirche, riecht nach Lenz und Benzin.