Millie in Berlin

Lauter Schnäppchen

Gerade eben, in der vorletzten Schulstunde, haben sie einen Aufsatz schreiben müssen. Das können sie schon, obwohl sie noch in der ersten Klasse sind.

Millie hat einen prima Aufsatz geschrieben. Klein, aber oho. Sie sollten über sich selber schreiben.

Millie hat kein Blablabla geschrieben. Nicht so was Dummes wie: Ich bin ein Mädchen und sieben Jahre alt.

Nee. Sie hat über den Körper geschrieben. Das nennt man Sachkunde.

Der Körper kann vierzig Zentimeter groß sein oder ein Meter vierundachtzig. Bei einem Hund vierzig Zentimeter und bei Papa ein Meter vierundachtzig. Ich bin ein Meter zweiundzwanzig groß. Seit Samstag.

Der Körper hat Arme und Beine und einen Bauch. Am wichtigsten ist das Rückgrat. An einem Ende sitzt der Kopf und am anderen Ende sitze ich.

Gut, nicht?

Und nun haben sie Lesestunde. Die haben sie jeden Montag.

»Lesebücher aufschlagen!«, ruft Frau Heimchen. »Seite siebenunddreißig!«

Seite siebenunddreißig oder Seite dreiundfünfzig – das ist piepegal. Millie kennt nämlich schon alle Seiten im Lesebuch, obwohl das erste Schuljahr noch gar nicht zu Ende ist. Als sie kapiert hatte, wie Lesen geht, hat sie schnell alle Geschichten in dem Buch gelesen. Auch die Gedichte. Einige kann sie sogar auswendig. Die kann sie runterrattern wie nix:

ZwischenBergenliebeMutterweitdenWaldentlang

ReitendadreijungeJägeraufdreiRössleinblank

Was ein Rösslein ist, das weiß Millie. Das ist nämlich ein Pferd. Aber warum das Pferd blank sein soll, das versteht sie nicht. Ein Pferd glitzert doch nicht, es ist nicht aus Gold oder Silber.

Millie wird ihre Lehrerin fragen, wenn sie im Lesebuch auf Seite zweiundvierzig angekommen sind.

Nun sollen sie die Geschichte von Himmel, Erde und dem Licht lesen. Kucki, Millies Freundin, die neben ihr sitzt, braucht zum Lesen noch ihren Zeigefinger, als ob sie die Wörter damit unterstreichen will.

Kucki ist nicht nur einfach Millies Freundin. Sie ist Millies beste Freundin. Eigentlich sogar Millies einzige Freundin. Sonst hat Millie nur Freunde. Lauter Jungs: Gus und Wulle und Wölfchen und den Uhu und Jocko. Sie sind mal so und mal so. Manchmal nerven sie schrecklich.

Kucki ist mit Vorlesen dran: »Als der Himmel noch nicht geformt und die Erde noch nicht gebildet war und es weder Menschen noch Tiere gab, vor langer, langer Zeit also ...«

Huah. Bei so was muss Millie laut gähnen. Sie sperrt ihren Mund weit auf, ohne die Hand davorzuhalten. Frau Heimchen sieht Millie strafend an.

Schon gut, Frau Heimchen, Millie schaut wieder hinein in ihr Lesebuch.

Aber sie kennt die Geschichte doch schon! Das ganze Buch!

Da fällt ihr ein, dass ihr ja heute früh der Uhu die Geschichte vom alten Troll in die Hand gedrückt hat.

»Da!«, hat er gesagt. »Kannst du behalten. Hab ich vom Flohmarkt aus der Bücherei.«

»Kriegst du wieder«, hat Millie gemeint.

Sie lässt sich vom Uhu doch nichts schenken! Der ist sehr gerissen. Millie traut ihm zu, dass er für ein Geschenk etwas wiederhaben will. Ein Andenken an sie oder so was. Er ist nämlich heftig in sie verknallt. Das gibt er auch noch zu. Einmal wollte er schon einen Kuss von ihr haben. Nee, nee, nee, nee, nee, so was kann er sich von der Backe putzen.

Das Buch vom alten Troll hat nur einen Euro gekostet, hat der Uhu erklärt. »Es war ein Schnäppchen.«

Schnäppchen hin, Schnäppchen her – der Uhu wird das Buch zurückbekommen, sobald Millie es gelesen hat.

Nun lässt sie ihre Hand runtergleiten und zieht das Trollbuch vorsichtig aus ihrem Ranzen heraus. Frau Heimchen darf um Himmels willen nichts merken!

Aha, das ist interessant. Trolle sind komische Wesen, knorrige alte Kerle, die in Erdlöchern hausen. Die nennt man auch Feenhügel, merkwürdige Erhebungen mit wild wachsendem Unkraut. Manchmal kommen die Trolle heraus und erschrecken die Menschen, die, lalalalala, fröhlich durch den Wald laufen.

Wie soll Millie sich den alten Troll vorstellen? Na, das werden sie ja wohl noch erzählen.

Die anderen Trolle haben Respekt vor ihm, wie vor einem König. So heißt es in dem Buch. Sie fürchten den alten Troll ein bisschen.

Soso. Da hat Millie wieder was gelernt. Respekt ist das Gefühl, das man hat, wenn man sich nicht mit jemandem anlegen möchte. Dann hat Millie sicherlich auch Respekt vor Frau Heimchen. Oder?

»Millie!«, ruft da die Lehrerin.

Erwischt! Zu blöd auch.

»Millie!«, ruft Frau Heimchen zum zweiten Mal. »Wenn ich dich noch einmal dabei ertappe, dass du nicht bei der Sache bist, dann kassiere ich das, womit du dich gerade beschäftigst.«

»Kassieren?« Millie hat keine Ahnung, was Frau Heimchen meint.

»Dann nehme ich dir das Buch weg«, erklärt die Lehrerin.

Mensch, das kann sie doch gar nicht. Es ist nicht Millies Buch. Es gehört dem Uhu. Und der hat garantiert keinen Respekt vor Frau Heimchen. Sie ist ja nicht seine, sondern Millies Lehrerin. Außerdem geht er schon in die vierte Klasse.

Frau Heimchen nimmt Millie das Trollbuch auch nicht weg. Dafür soll sie jetzt vorlesen. Denkt die Lehrerin etwa, dass Millie nicht weiß, an welcher Stelle sie weiterlesen muss? Da hat sie sich aber geschnitten. Millie kann nämlich zwei Sachen auf einmal machen. Sie hat zwei Augen. Mit einem hat sie das Trollbuch gelesen und mit dem anderen hat sie in die Himmel-Erde-und-Licht-Geschichte geschaut.

»Aus dem Ozean stieg ein Hügel empor und Wind kam auf und es fing gewaltig an zu regnen. Donner grollte und Blitze erhellten die ganze Welt.«

Huah.

Aber wenigstens ist die Vorlesestunde jetzt vorbei. Zwölf Uhr. Schule ist aus!

Stühle hochstellen. Ranzen auf den Buckel. Raus!

Zuerst die Treppe runter. Rechts neben Millie läuft Kucki und an ihre linke Seite hat sich schon der Uhu gedrängt. Gemeinsam latschen sie über den Pflasterweg durch den Schulgarten, zuerst dort, wo das Gemüse wächst und es merkwürdige Erhebungen mit wild wachsendem Unkraut gibt. Danach geht es vorbei am Beet mit den Rosen und den Ich-weiß-nicht-wie-die-heißen-Blumen. Da sind auch die Gartenzwerge. Hat eigentlich schon jemand gemerkt, dass die alle mit dem Rücken zur Schule stehen?

Millie hat es gemerkt. Den Zwergen geht es wohl so wie den Kindern: Am liebsten kehren sie der Schule den Rücken zu. Hahaha, das war doch nur ein Spaß!

Millie findet es aber auch seltsam, dass noch niemand die Gartenzwerge kassiert hat. Dass keiner sie geklaut hat, ist aber auch toll.

Bis zur Ecke können Millie, Kucki und der Uhu gemeinsam laufen, dann trennen sich ihre Wege, und Millie läuft, so schnell sie kann, nach Hause. Dann hat sie nachher mehr Zeit zum Lesen, bevor der Ernst des Lebens beginnt und sie sich an die Hausaufgaben setzen muss.

Mama wartet mit dem Essen auf sie. Mama und die kleine Schwester. Trudel geht aber gleich ins Bett, Mittagsschlaf halten. So ist das, wenn man erst zwei Jahre alt ist!

Wenn Trudel schläft, muss man leise sein. Kein Holterdipolter. Kein Hund darf bellen. Niemand darf klingeln. Selbst Papa ruft vom Büro aus vorher oder hinterher an.

Nur Jocko hat das noch nicht kapiert. Jetzt läutet nämlich das Telefon. Hoffentlich pennt Trudel noch nicht.

Millie rennt zum Telefon.

»Jaha?«

Hat sie doch gewusst! Es ist Jocko.

»Mensch, Trudel schläft doch!«

»Ach ja«, sagt Jocko. Das ist vielleicht einer! Millie kann ihn sich ohne sein Handy gar nicht vorstellen. Das braucht er, wie andere Leute eine Currywurst brauchen. Oder ein Buch. Oder einen Hund. Das Handy braucht Jocko zum Leben. Er ist nämlich meistens allein. Aber er ist ganz zufrieden, wenn er mit seinem Vater telefoniert. Oder mit Millie. Jocko ist oft allein, aber er ist nicht einsam. Deshalb ist das Handy gut.

»Tut mir leid«, sagt Jocko. »Aber ich wollte nur wissen, ob du gut nach Hause gekommen bist.«

»Na klar«, sagt Millie. »Was denkst du denn? Und bist du gut nach Hause gekommen?«

»Na klar«, sagt Jocko. »Was gibt es denn bei dir zu essen?«

»Ich hab schon gegessen«, sagt Millie. »Es gab Gulasch.«

»Lecker«, sagt Jocko: »Mit Reis oder mit Kartoffeln?«

»Mit Reis, du Blödmann. Gulasch mit Kartoffeln schmeckt mir nicht. Und was gab es bei dir?«

»Gemüsesuppe«, sagt Jocko.

»Aus der Dose?«, will Millie wissen.

»Klar.«

»Iii«, macht Millie.

»Sonst wäre es ja zu viel Arbeit«, erklärt Jocko. »Mein Papa und ich können nur Schnitzel und Bratwurst und Spiegelei.«

»Und Gemüsesuppe aus der Dose«, fügt Millie hinzu.

»War aber gut«, sagt Jocko. »Hab ich in der Mikrowelle warm gemacht.«

»Hmhm«, murmelt Millie. »Und willst du sonst noch was?«

»Nee«, sagt Jocko. »Sonst hab ich nichts mehr. Oder kommst du heute Nachmittag vielleicht noch in die Bücherei?«

»Nö, ich glaube nicht, ich hab vom Uhu heute ein Trollbuch bekommen, das reicht erst mal.«

Jocko seufzt einmal tief. Er kann den Uhu nicht leiden, das weiß Millie. Sie gehen in dieselbe Klasse.

Millie kann Jocko beruhigen. »Das Buch ist nur geliehen«, sagt sie. »Der Uhu bekommt es zurück.«

»Hab schon verstanden«, sagt Jocko.

Nix hat der verstanden!

»Du kannst mich ja nachher noch mal anrufen«, schlägt Millie vor. »Nach drei Uhr.«

»Mach ich«, sagt Jocko. »Bis dann.«

»Bis dann.«

Und was soll Millie jetzt tun?

Manchmal denkt sie einfach nach. Ihr kommen wichtige Fragen in den Kopf.

Kann man aus Honig Klebstoff machen?

Darf man Tannennadeln kochen?

Müssen Tomaten rote Farbe fressen, wenn sie rot werden sollen?

Wer hat Dosensuppen erfunden?

Hatte Mama früher auch Jungs als Freunde?

Oft findet man auf Fragen keine Antwort. Und manchmal nützen Fragen auch gar nichts. Man muss Zeit totschlagen, bis Trudel wach ist und man Lärm machen darf. Man muss warten können. Und dabei kommen einem schon wieder wichtige Fragen in den Sinn.

Kann man am Warten ersticken?

Ach, Millie kann doch lesen! Dabei geht die Zeit am schnellsten rum. Die Schwester schläft nun tief. Und Mama hat sich an den Computer gesetzt und surft im Internet. Sööörft. Man hört nur noch ein leises Ticketicketack. Und manchmal ein Rascheln, wenn Millie eine Seite umblättert.

Das Trollbuch!

Jetzt kann sich Millie den alten Troll gut vorstellen. Er sieht ein bisschen fies und ein bisschen gemütlich aus. Er hat listige Augen. Listig? Was genau ist das? Ach ja, vielleicht hat er Augen wie ein Fuchs. Schlaue Augen. So wird es sein.

Der alte Troll trägt ein scharlachrotes Wams mit aufgenähter goldener Litze, Samthosen bis zum Knie und schwarze Schnallenschuhe.

Was zum Teufel ist ein Wams? Millie muss Mama fragen.

Mama hört auf zu ticketicketackern. »Ein Wams ist eine Art Weste«, sagt sie. »Eine eng genähte Jacke, vielleicht aus Samt. Und dazu passen eine Kniebundhose und Wadenstrümpfe. So haben die Leute vor ungefähr zweihundertfünfzig Jahren ausgesehen.«

»Oder vor tausend Jahren«, sagt Millie. Der alte Troll ist doch mindestens tausend Jahre alt.

Mama sagt: »Wir können das Wort Wams ja mal in den Computer eintippen. Mal sehen, was die Kiste dazu sagt.«

Ach, ist nicht so wichtig. Millie kann sich jetzt schon vorstellen, was ein Wams ist.

Aber was hat Mama denn im Computer gesucht?

»Zuerst wollte ich ein schönes Schnäppchen finden«, sagt sie. »Eine billige Handtasche zum Beispiel.«

Mama hat einen Handtaschenfimmel. Manchmal hat sie auch einen Lederstiefelfimmel. Handtaschen und Lederstiefel sind im Internet oft für nur einen Euro zu finden. Ein Euro – das nennt man Schnäppchen!

»Und was noch?«

»Dann bin ich über ein Mitmach-Spiel gestolpert«, sagt Mama. »Schau mal. Hier suchen sie das schönste Wort, das es gibt. Willst du mitmachen?«

»Vielleicht«, sagt Millie und drückt sich eng an Mamas Seite. »Was haben die Leute denn so eingetippt?«

»Liebe«, sagt Mama. »Oder Glück

»Das sind aber piksige Wörter«, meint Millie. »Die sind nicht schön. Liebe quietscht und Glück hört sich an wie ein Schluckauf.«

»Hier hat einer Münzfernsprecher hingeschrieben«, fährt Mama fort.

»Das ist auch blöd. Was würdest du denn nehmen, Mama?«

»Hmhmhm.« Mama legt den Kopf in den Nacken.

»Hmhmhm?«

»Nee, Millie, ich denke doch nur nach. Wie findest du denn Krawumm

»Das haut so, das Wort, das ist auch nicht schön.«

»Ja, mein Schatz, da ist was dran. Was findest du denn gut?«

Zuerst fällt Millie Wams ein, das ist doch nicht schlecht. Im nächsten Moment muss sie jedoch an Mamilein denken, aber dann hat sie es. Jawohl!

»Bärlein«, sagt sie. »Das ist ein schönes, weiches, kuscheliges Wort. Das nehmen wir, Mami, tipp mal ein.«

Ticketicketack.

Prima. Nun ist Millie bei dem Mitmach-Spiel dabei und vielleicht gewinnt sie sogar den ersten Preis.

»Gibt nichts zu gewinnen«, sagt Mama. »Aber sollen wir mal nach einer Schnäppchenreise schauen? Nur für ein Wochenende oder so?«

»Für einen Euro?«, fragt Millie.

Mama lacht. »Das wäre schön, Schätzchen. Wohin soll die Reise denn gehen?«

Millie fällt nichts ein. Höchstens Mönchengladbach. Da wohnt Wölfchen. Den hat sie zwar erst vor wenigen Tagen gesehen, als er zu Besuch gekommen war, aber sie könnte ihn schon wieder vertragen. Wölfchen nervt nicht so wie der Uhu oder Jocko mit seiner Telefoniererei. Er ist auch nicht so frech wie Gus von gegenüber, der ihr schon mal eine reingehauen hat. Und so trottelig wie Wulle ist er auch nicht. Wölfchen ist nur ein wenig dumm, obwohl er in diesem Jahr schon in die Schule kommt. Er ist auch ein bisschen süß. Er ist so wie ein Bärlein eben.

»In Mönchengladbach ist nichts los«, sagt Mama.

»Außer Wölfchen«, sagt Millie.

»Außer Wölfchen«, bestätigt Mama.

»Gib doch mal Bärlein ein«, schlägt Millie vor. »Vielleicht gibt’s ein gutes Schnäppchen für mich. So einen kleinen, lieben, knutschigen Bär für einen Euro.«

Ticketicketack.

»Nee«, sagt Mama. »Bärlein kennt der Computer nicht. Aber Berlin. Schauen wir doch mal, ob es für Berlin eine Schnäppchenreise gibt. Ein Sonderangebot fürs Wochenende.«

»Oach«, sagt Millie. »Berlin, Berlin. Was soll denn da schon los sein?«

»Mal schauen«, sagt Mama und guckt angestrengt auf den Bildschirm. »Ist doch die deutsche Hauptstadt. Da müsste eigentlich was los sein.«

Hat sie was gefunden?

»Ist ja toll«, sagt Mama. »Hier gibt es tatsächlich ein sogenanntes Berliner Bärenschnäppchen.«

Sie liest vor: »Erleben Sie den Aufenthalt in einem Luxushotel mit modernsten Möbeln und Fußbodenbeleuchtung im Badezimmer. Lassen Sie sich bei einem Bärenmenü verwöhnen. Die ganze Familie für einen Bärenpreis. Sie zahlen nur für eine Person.«

»Einen Euro?«, fragt Millie und rückt näher heran.

»Nee, aber fast«, sagt Mama und ist ziemlich aufgeregt. »Diese Woche ist Fronleichnam. Feiertag. Wenn wir also den Donnerstag nehmen und den beweglichen Ferientag am Freitag dranhängen, dann könnten wir vier Tage in Berlin verbringen. Für den Preis von nur einer Person.«

»Einen Euro«, sagt Millie.

»Bei der Begrüßung erhalten Sie ein Berliner Bärenbier und ein Bärenleckerli und beim Frühstück viele Bärenüberraschungen extra.«

»Das steht da alles?«, will Millie wissen. So schnell wie Mama kann sie nicht lesen.

»Ist ja irre«, sagt Mama. »Ich rufe mal Papa an.«

Papa sagt sofort ja, als er von dem Bärenschnäppchen hört. Dann ist es wohl in Ordnung. Wenn beide, Mama und Papa, das gut finden! Millie ist jedenfalls noch ein bisschen skeptisch. Sie war ja schon mal in Paris und in London und in New York. Na, davon könnte sie was erzählen! Aber wo ist denn Berlin? Auf dem Globus liegt es gleich nebenan, nur grüne Wiesen drum herum, nix los.

Mama macht die Schnäppchenreise sofort fest. Das kann sie auf der Stelle mit dem Computer erledigen.

Ticketicketack.

Dabei muss sie Trudel auf dem Schoß festhalten, denn inzwischen ist die kleine Schwester wach geworden und noch recht knatschig.

Jetzt klingelt das Telefon.

Schon wieder!

»Millie, geh mal ran.«

Es ist Jocko. Kann er die Uhr nicht lesen? Beinahe hätte er in Trudels Mittagsschlaf hineingeläutet.

»Es ist noch nicht drei!«, brüllt Millie ins Telefon.

»Na und?«, sagt Jocko. »Ich wollte nur wissen, was du jetzt machst.«

»Jetzt fahren wir nach Berlin«, sagt Millie.

»Du lügst doch.«

Ja, aber nur ein bisschen. Heute ist zwar erst Montag, doch der Donnerstag macht schon winke, winke.

»Es ist eine Schnäppchenreise«, sagt Millie. »Ein Sonderangebot.«

»Musst du das aller Welt erzählen?«, ruft Mama genervt.

Ja! Darf man das nicht?

Jocko würde sich ein Handy nehmen

Am Donnerstag wird das Auto mit einem großen und einem kleinen Koffer, einer Kühlbox, einer Schuhtasche, Millies kariertem Rucksäckchen und Trudels Hasenohrenbeutel vollgepackt.

Wie immer wird Frau Morgenroth auf das Haus aufpassen. Nee, nicht weil das Haus weglaufen könnte. Das geht ja gar nicht. Frau Morgenroth soll es nur den Räubern schwer machen einzubrechen. Rollläden morgens rauf- und abends runterziehen, damit die Räuber denken, Millie ist zu Hause. Ist sie aber nicht, ätschibätschi. Nur Frau Morgenroth ist da. Und King.

King ist der liebe Hund von Frau Morgenroth. Der kann bellen. Wenn er will. Meistens aber bellt er nicht.

Millie hat mal gelesen, dass Hunde so aussehen wie ihre Herrchen. Oder wie ihre Frauchen. Das stimmt aber nicht. King sieht nicht aus wie Frau Morgenroth. Er sieht aus wie Millie. Aber er ist ja auch ein bisschen Millies Hund. Also stimmt es doch manchmal.

Millie steht draußen am Gartenzaun und wartet, dass Papa und Mama mit der Packerei fertig werden. King hat sich zuerst neben Millie gehockt, dann voll auf den Boden geschmissen. Er liegt auf der Seite und schaut müde aus den Augen. Ihm ist wohl langweilig.

Millie ist nicht langweilig. Von gegenüber sind nämlich Gus und Wulle mit ihren Rädern auf die Straße gekommen. Sie kurven mitten auf der Fahrbahn herum. Das darf man hier. Alle Kinder machen das. Es fährt ja kaum ein Auto in die Sackgasse hinein.

Gus und Wulle wollen Millie etwas demonstrieren. Millie kennt das schon. Gus muss ihr immer zeigen, was er kann. Er ist der größte Angeber, den sie kennt.

Im Wendehammer zwischen den Häusern und neben der Mäusewiese fahren Gus und Wulle ihre Runden. Das reicht ihnen aber noch nicht. Gus hat sich was Neues ausgedacht. Er fährt die längere Strecke der Kurven mit extra viel Karacho. Dann bremst er abrupt mit den Felgenbremsen ab.

Schschschrrr.

Die Räder quietschen.

Iiiiiii.

Wie die Gummireifen jaulen!

Uuuuuuu.

Das Hinterrad rutscht vor und stellt sich quer.

Tschock.

Der Straßenstaub wirbelt hoch!

»Habt ihr das gesehen?«, schreit Gus.

Ja, sah toll aus. Muss Millie zugeben. Gus ist erste Klasse.

Wulle macht es Gus nach. Er ist aber längst nicht so mutig wie Gus. Wulle ist immer nur zweite Klasse. Obwohl – in der Schule sind sie beide in der dritten Klasse.

Nun hat Gus was anderes vor. Oha. Wenn das mal gut geht!