FRIEDRICH HÖLDERLIN
Am 20. März 1770 wird Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. Gleichzeitig mit Hegel zieht er 1788 ins Tübinger Stift ein und verkehrt in republikanischen Kreisen. Hölderlin besucht Schiller in Ludwigsburg, der ihn der Familie von Kalb in Waltershausen als Hofmeister und Erzieher des Sohnes empfiehlt. In Jena, der damaligen intellektuellen Hauptstadt Europas, begegnet er Fichte und Goethe. Anfang 1796 tritt er eine Hofmeisterstelle in Frankfurt am Main an. Er verliebt sich in die verheiratete Susette Gontard. 1798 wird er entlassen und zieht nach Homburg vor der Höhe. Nach Zwischenstationen in Stuttgart und der Schweiz trifft er 1802 in zerrüttetem Geisteszustand in Nürtingen ein. Im September 1806 wird Hölderlin in das Autenriethsche Klinikum in Tübingen eingeliefert und im folgenden Jahr als unheilbar entlassen. Seine Pflege übernimmt der Schreinermeister Ernst Zimmer, in dessen Haus Hölderlin bis zu seinem Tode am 7. Juni 1843 das »Turmzimmer« bewohnt.
DER HERAUSGEBER
Hans-Joachim Simm, Dr. phil., geboren 1946, lebt als freier Publizist bei Frankfurt am Main. Er war bis 2009 Leiter des Insel Verlags, des Verlags der Weltreligionen und der Buchreihe »edition unseld«. Er gab zahlreiche Werkausgaben deutscher Dichter und Schriftsteller und diverse Anthologien heraus.
Erst im 20. Jahrhundert wurde die Bedeutung Hölderlins und seiner Dichtung verstanden. Das 19. Jahrhundert wusste vom Verfasser des Romans Hyperion; die meisten seiner Gedichte waren nicht präsent. Nur wenige, wie Clemens Brentano und Achim von Arnim, Joseph von Görres oder Friedrich Nietzsche, hatten erahnt, welch dichterisches Genie sich hier Ausdruck verschaffte. Längst gehören viele von Hölderlins Gedichten zu den berühmtesten der deutschen Literatur, sie sind Bestandteil der Weltliteratur.
Die breitere Rezeption Hölderlins setzte mit der Generation von Rilke, Trakl, George in den frühen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts ein, sie erkannten den literarischen Rang des Dichters, waren fasziniert von der Kraft seiner Oden, Hymnen und Elegien. Die Wirkung der Lyrik Hölderlins beruht in erster Linie auf seiner Fähigkeit, in die Tiefen der Sprache einzudringen; Symbolismus und absolute Poesie finden sich bei ihm vorgeprägt. Hölderlins Werk reicht über die Epoche der Weimarer Klassik ebenso wie über die Romantik hinaus. Es steht einzigartig in der Geschichte der deutschen Literatur.
Ins weite Blau
Gedichte
Herausgegeben von Hans-Joachim Simm
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MENSCHEN, MENSCHEN! WAS IST EUER LEBEN
Gedichte 1784–1789
UNERSCHÖPFLICH IST DER SCHÖNHEIT FÜLLE
Gedichte 1790–1795
UND VERSTEHE DIE FREIHEIT, AUFZUBRECHEN, WOHIN ER WILL
Gedichte 1796–1800
WO ABER GEFAHR IST, WÄCHST DAS RETTENDE AUCH
Gedichte 1801–1805
DAS ANGENEHME DIESER WELT HAB’ ICH GENOSSEN
Gedichte 1806–1843
Zu dieser Ausgabe
Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtüberschriften und -anfänge
Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben,
Siehst du das Eine recht, siehst du das andere auch.
Viele versuchten umsonst das Freudigste freudig zu sagen
Hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.
Fürchtet den Dichter nicht, wenn er edel zürnet, sein Buchstab
Tötet, aber es macht Geister lebendig der Geist.
Immer spielt ihr und scherzt? Ihr müßt! o Freunde! mir geht dies
In die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur.
Einig zu sein, ist göttlich und gut; woher ist die Sucht denn
Unter den Menschen, daß nur Einer und Eines nur sei?
1An sich selbst.
Herr! was bist du, was Menschenkinder?
Jehova du, wir schwache Sünder,
Und Engel sinds die, Herr, dir dienen,
Wo ewger Lohn, wo Seligkeiten krönen.
Wir aber sind es, die gefallen,
Die sträflich deiner Güte Strahlen
In Grimm verwandelt, Heil verscherzet,
Durch das der Hölle Tod nicht schmerzet.
Und doch o Herr! erlaubst du Sündern,
Dein Heil zu sehn, wie Väter Kindern,
Erteilst du deine Himmelsgaben,
Die uns, nach Gnade dürstend, laben.
Ruft dein Kind Abba, ruft es Vater,
So bist du Helfer, du Berater,
Wann Tod und Hölle tobend krachen,
So eilst als Vater du zu wachen.
Menschen, Menschen! was ist euer Leben,
Eure Welt, die tränenvolle Welt,
Dieser Schauplatz, kann er Freuden geben,
Wo sich Trauern nicht dazu gesellt?
O! die Schatten, welche euch umschweben,
Die sind euer Freudenleben.
Tränen, fließet! o fließet, Mitleidstränen,
Taumel, Reue, Tugend, Spott der Welt,
Wiederkehr zu ihr, ein neues Sehnen,
Banges Seufzen, das die Leiden zählt,
Sind der armen Sterblichen Begleiter,
O, nur allzu wenig heiter!
Banger Schauer faßt die trübe Seele,
Wenn sie jene Torenfreuden sieht,
Welt, Verführung, manches Guten Hölle,
Flieht von mir, auf ewig immer flieht!
Ja gewiß, schon manche gute Seele hat, betrogen,
Euer tötend Gift gesogen.
Wann der Sünde dann ihr Urteil tönet,
Des Gewissens Schreckensreu sie lehrt,
Wie die Lasterbahn ihr Ende krönet,
Schmerz, der ihr Gebein versehrt!
Dann sieht das verirrte Herz zurücke;
Reue schluchzen seine Blicke.
Und die Tugend bietet ihre Freuden
Gerne Mitleid lächelnd an,
Doch die Welt – bald streut sie ihre Leiden
Auch auf die zufrieden heitre Bahn:
Weil sie dem, der Tugendfreuden kennet,
Sein zufrieden Herz nicht gönnet.
Tausend mißgunstvolle Lästerungen
Sucht sie dann, daß ihr die Tugend gleicht;
Beißend spotten dann des Neides Zungen,
Bis die arme Unschuld ihnen weicht;
Kaum verflossen etlich Freudentage,
Sieh, so sinkt der Tugend Waage.
Etlich’ Kämpfe – Tugend und Gewissen –
Nur noch schwach bewegen sie das Herz,
Wieder umgefallen! – und es fließen
Neue Tränen, neuer Schmerz!
O du Sünde, Dolch der edlen Seelen,
Muß denn jede dich erwählen?
Schwachheit, nur noch etlich’ Augenblicke,
So entfliehst du, und dann göttlich schön,
Wird der Geist verklärt, ein bess’res Glücke
Wird dann glänzender mein Auge sehn;
Bald umgibt dich, unvollkommne Hülle,
Dunkle Nacht, des Grabes Stille.
Dir flüstert’s leise – Nachtigall! dir allein,
Dir, süße Tränenweckerin! sagt es nur
Die Saite. – Stellas4 wehmutsvoller
Seufzer – er raubte mein Herz – dein Kehlchen –
Es klagte – o! es klagte – wie Stella ists.
Starr sah’ ich hin beim Seufzer, wie, als dein Lied
Am liebevollsten schlug, am schönsten
Aus der melodischen Kehle strömte.
Dann sah’ ich auf, sah’ bebend, ob Stellas Blick
Mir lächle – ach! ich suche dich, Nachtigall!
Und du verbirgst dich. – Wem, o Stella!
Seufztest du? Sangest du mir, du süße?
Doch nein! doch nein! ich will es ja nicht, dein Lied,
Von ferne will ich lauschen – o! singe dann!
Die Seele schläft – und plötzlich schlägt die
Brust mir empor zum erhabnen Lorbeer.
O Stella! sag’ es! sag’ es! – ich bebe nicht! –
Es tötete die Wonne, geliebt zu sein,
Den Schwärmer. – Aber tränend will ich
Deinen beglückten Geliebten segnen.
Freund! wo über das Tal schauerlich Wald und Fels
Herhängt, wo das Gefild leise die Erms durchschleicht,
Und das Reh des Gebürges
Stolz an ihrem Gestade geht –
Wo im Knabengelock heiter und unschuldsvoll
Wen’ge Stunden mir einst lächelnd vorüberflohn –
Dort sind Hütten des Segens,
Freund! – du kennest die Hütten auch;
Dort am schattichten Hain wandelt Amalia.
Segne, segne mein Lied, kränze die Harfe mir,
Denn sie nannte den Namen
Den, du weißts, des Getümmels Ohr
Nicht zu kennen verdient. Stille, der Tugend nur
Und der Freundschaft bekannt, wandelt die Gute dort.
Liebes Mädchen, es trübe
Nie dein himmlisches Auge sich.
Da steh’ ich auf dem Hügel, und schau’ umher,
Wie alles auflebt, alles empor sich dehnt,
Und Hain und Flur, und Tal, und Hügel
Jauchzet im herrlichen Morgenstrahle.
O diese Nacht – da bebtet ihr, Schöpfungen!
Da weckten nahe Donner die Schlummernde,
Da schreckten im Gefilde grause
Zackigte Blitze die stille Schatten.
Jetzt jauchzt die Erde, feiert im Perlenschmuck
Den Sieg des Tages über das Graun der Nacht –
Doch freut sich meine Seele schöner
Denn sie besiegt der Vernichtung Grauen.
Denn – o ihr Himmel! Adams Geschlechte sinds,
Die diese Erd’ im niedrigen Schoße trägt –
O betet an, Geschlechte Adams!
Jauchzet mit Engeln, Geschlechte Adams!
O ihr seid schön, ihr herrliche Schöpfungen!
Geschmückt mit Perlen blitzet das Blumenfeld;
Doch schöner ist des Menschen Seele,
Wenn sie von euch sich zu Gott erhebet.
O, dich zu denken, die du aus Gottes Hand
Erhaben über tausend Geschöpfe gingst,
In deiner Klarheit dich zu denken,
Wenn du zu Gott dich erhebst, o Seele!
Ha! diese Eiche – strecket die stolze nicht
Ihr Haupt empor, als stünde sie ewig so?
Und drohte nicht Jehovas Donner,
Niederzuschmettern die stolze Eiche?
Ha! diese Felsen – blicken die stolze nicht
Hinab ins Tal, als blieben sie ewig so?
Jahrhunderte – und an der Stelle
Malmet der Wandrer zu Staub das Sandkorn.
Und meine Seele – wo ist dein Stachel, Tod?
O beugt euch, Felsen! neiget euch ehrfurchtsvoll,
Ihr stolze Eichen! – hörts und beugt euch!
Ewig ist, ewig des Menschen Seele.
Mit grausem Zischen brauset der Sturm daher,
Ich komme, spricht er, und das Gehölze kracht
Und Türme wanken, Städte sinken,
Länder zerschmettern, wenn ich ergrimme.
Doch – wandelt nicht in Schweigen der Winde Dräun?
Macht nicht ein Tag die brausende atemlos?
Ein Tag, ein Tag, an dem ein andrer
Sturm der verwesten Gebeine sammelt.
Zum Himmel schäumt und woget der Ozean
In seinem Grimm, der Sonnen und Monde Heer
Herab aus ihren Höh’n die stolze
Niederzureißen in seine Tiefen.
Was bist du Erde? hadert der Ozean,
Was bist du? streck’ ich nicht, wie die Fittige
Aufs Reh der Adler, meine Arme
Über die Schwächliche aus? – Was bist du,
Wenn nicht zur Sonne segnend mein Hauch sich hebt,
Zu tränken dich mit Regen und Morgentau?
Und wann er sich erhebt zu nahn in
Mitternachtswolken, zu nah’n mit Donnern;
Ha! bebst du nicht, gebrechliche? bebst du nicht? –
Und doch! vor jenem Tage verkriechet sich
Das Meer, und seiner Wogen keine
Tönt in die Jubel der Auferstehung.
Wie herrlich, Sonne! wandelst du nicht daher!
Dein Kommen und dein Scheiden ist Widerschein
Vom Thron des Ewigen; wie göttlich
Blickst du herab auf die Menschenkinder.
Der Wilde gafft mit zitternden Wimpern dich
O Heldin an, von heiligen Ahndungen
Durchbebt, verhüllt er schnell sein Haupt und
Nennet dich Gott, und erbaut dir Tempel.
Und doch, o Sonne! endet dereinst dein Lauf,
Verlischt an jenem Tage dein hehres Licht.
Doch wirbelt sie an jenem Tage
Rauchend die Himmel hindurch, und schmettert.
O du Entzücken meiner Unsterblichkeit!
O kehre du Entzücken! du stärkest mich!
Daß ich nicht sinke, in dem Graun der
Großen Vernichtungen nicht versinke.
Wenn all dies anhebt – fühle dich ganz, o Mensch!
Da wirst du jauchzen, wo ist dein Stachel, Tod?
Dann ewig ist sie – tönt es nach ihr
Harfen des Himmels, des Menschen Seele.
O Seele! jetzt schon bist du so wundervoll!
Wer denkt dich aus? daß wann du zu Gott dich nahst
Erhabne, mir im Auge blinket
Deine Erhabenheit – daß du, Seele!
Wann auf die Flur das irdische Auge blickt,
So süß, so himmlisch dann dich in mir erhebst –
Wer sah, was Geist an Körper bindt, wer
Lauschte die Sprache der Seele mit den
Verwesungen? – O Seele schon jetzt bist du
So groß, so himmlisch, wann du von Erdentand
Und Menschendruck entlediget in
Großen Momenten zu deinem Urstoff
Empor dich schwingst. Wie Schimmer Eloas6 Haupt
Umschwebt der Umkreis deiner Gedanken dich
Wie Edens goldne Ströme, reihen
Deine Betrachtungen sich zusammen.
Und o! wie wirds einst werden, wann Erdentand
Und Menschendruck auf ewig verschwunden ist,
Wann ich an Gottes – Gottes Throne
Bin, und die Klarheit des Höchsten schaue.
Und weg ihr Zweifel! quälendes Seelengift!
Hinweg! der Seele Jubel ist Ewigkeit! –
Und ist ers nicht, so mag noch heute
Tod und Verderben des Lebens große
Gesetze niedertrümmern; so mag der Sohn
In seinem Elend Vater und Mutterherz
Durchbohren; mag ums Brot die Armut
Tempel bestehlen; so mag das Mitleid
Zu Tigern fliehn, zu Schlangen Gerechtigkeit,
Und Kannibalenrache des Kindes Brust
Entflammen, und Banditentrug im
Himmelsgewande der Unschuld wohnen.
Doch nein! der Seele Jubel ist Ewigkeit!
Jehovah sprachs! ihr Jubel ist Ewigkeit!
Sein Wort ist ewig, wie sein Name,
Ewig ist, ewig des Menschen Seele.
So singt ihn nach, ihr Menschengeschlechte! nach
Myriaden Seelen singet den Jubel nach –
Ich glaube meinem Gott, und schau’ in
Himmelsentzückungen meine Größe.
Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!
Die ihr vor keinem Dominiksgesicht
Euch krümmet, welchen keine Dirnenträne
Das winzige, geschwächte Herzchen bricht.
Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!
In welchen noch das Kleinod Freiheit pocht,
Die ihr euch keines reichen Ahnherrn Miene,
Und keiner Fürstenlaune unterjocht.
Geschlecht von oben! Vaterlandeskronen!
Nur euch bewahre Gott vor Übermut!
O! Brüder! der Gedanke soll uns lohnen,
In Hermann brauste kein Despotenblut.
Beweinenswürdig ist des Stolzen Ende
Wann er die Grube seiner Größe gräbt,
Doch fürchterlich sind seine Henkershände,
Wann er sich glücklich über andre hebt.
Viel sind und schön des stillen Mannes Freuden,
Und stürmten auch auf ihn der Leiden viel,
Er blickt gen Himmel unter seinen Leiden,
Beneidet nie des Lachers Possenspiel.
Sein feurigster, sein erster Wunsch auf Erden
Ist allen, allen Menschen nützlich sein,
Und wann sie froh durch seine Taten werden,
Dann will der edle ihres Danks sich freun.
O! Demut, Demut! laß uns all dich lieben,
Du bists, die uns zu einem Bund vereint,
In welchem gute Herzen nie sich trüben,
In welchem nie bedrängte Unschuld weint.
Drum größre, edlere der Schwabensöhne
Laßt Demut, Demut euer erstes sein,
Wie sehr das Herz nach Außenglanz sich sehne,
Laßt Demut, Demut euer erstes sein.
Vor allen, welchen Gott ein Herz gegeben
Das groß und königlich, und feurig ist
Die in Gefahren nur vor Freude beben,
Für Tugend selbst auf einem Blutgerüst,
Vor allen, allen, solche Schwabensöhne
O solche, Demut, solche führe du
Aus jeder bäurischstolzen Narrenbühne
Den stillen Reihen jenes Bundes zu.
Die du schon mein Knabenherz entzücktest,
Welcher schon die Knabenträne floß,
Die du früh dem Lärm der Toren mich entrücktest,
Besser mich zu bilden, nahmst in Mutterschoß,
Dein, du Sanfte! Freundin aller Lieben!
Dein, du Immertreue! sei mein Lied!
Treu bist du in Sturm und Sonnenschein geblieben,
Bleibst mir treu, wenn einst mich alles, alles flieht.
Jene Ruhe – jene Himmelswonne –
O ich wußte nicht, wie mir geschah,
Wann so oft in stiller Pracht die Abendsonne
Durch den dunklen Wald zu mir heruntersah –
Du, o du nur hattest ausgegossen
Jene Ruhe in des Knaben Sinn,
Jene Himmelswonne ist aus dir geflossen,
Hehre Stille! holde Freudengeberin!
Dein war sie, die Träne, die im Haine
Auf den abgepflückten Erdbeerstrauß
Mir entfiel – mit dir ging ich im Mondenscheine
Dann zurück ins liebe elterliche Haus.
Fernher sah ich schon die Kerzen flimmern,
Schon wars Suppenzeit – ich eilte nicht!
Spähte stillen Lächelns nach des Kirchhofs Wimmern
Nach dem dreigefüßten Roß am Hochgericht.
War ich endlich staubigt angekommen;
Teilt ich erst den welken Erdbeerstrauß,
Rühmend, wie mit saurer Müh ich ihn bekommen,
Unter meine dankende Geschwister aus;
Nahm dann eilig, was vom Abendessen
An Kartoffeln mir noch übrig war,
Schlich mich in der Stille, wann ich satt gegessen,
Weg von meinem lustigen Geschwisterpaar.
O! in meines kleinen Stübchens Stille
War mir dann so über alles wohl,
Wie im Tempel, war mirs in der Nächte Hülle,
Wann so einsam von dem Turm die Glocke scholl.
Alles schwieg, und schlief, ich wacht’ alleine;
Endlich wiegte mich die Stille ein,
Und von meinem dunklen Erdbeerhaine
Träumt’ ich, und vom Gang im stillen Mondenschein.
Als ich weggerissen von den Meinen
Aus dem lieben elterlichen Haus
Unter Fremde irrte, wo ich nimmer weinen
Durfte, in das bunte Weltgewirr’ hinaus;
O wie pflegtest du den armen Jungen,
Teure, so mit Mutterzärtlichkeit,
Wann er sich im Weltgewirre müdgerungen,
In der lieben, wehmutsvollen Einsamkeit.
Als mir nach dem wärmern, vollern Herzen
Feuriger itzt stürzte Jünglingsblut;
O! wie schweigtest du oft ungestüme Schmerzen,
Stärktest du den schwachen oft mit neuem Mut.
Jetzt belausch’ ich oft in deiner Hütte
Meinen Schlachtenstürmer Ossian7,
Schwebe oft in schimmernder Seraphen Mitte
Mit dem Sänger Gottes, Klopstock, himmelan.
Gott! und wann durch stille Schattenhecken
Mir mein Mädchen in die Arme fliegt,
Und die Hasel, ihre Liebenden zu decken,
Sorglich ihre grüne Zweige um uns schmiegt –
Wann im ganzen segensvollen Tale
Alles dann so stille, stille ist,
Und die Freudenträne, hell im Abendstrahle
Schweigend mir mein Mädchen von der Wange wischt –
Oder wann in friedlichen Gefilden
Mir mein Herzensfreund zur Seite geht,
Und mich ganz dem edlen Jüngling nachzubilden
Einzig vor der Seele der Gedanke steht –
Und wir bei den kleinen Kümmernissen
Uns so sorglich in die Augen sehn,
Wann so sparsam öfters, und so abgerissen
Uns die Worte von der ernsten Lippe gehn.
Schön, o schön sind sie! die stille Freuden,
Die der Toren wilder Lärm nicht kennt,
Schöner noch die stille gottergebne Leiden,
Wann die fromme Träne von dem Auge rinnt.
Drum, wenn Stürme einst den Mann umgeben,
Nimmer ihn der Jugendsinn belebt,
Schwarze Unglückswolken drohend ihn umschweben,
Ihm die Sorge Furchen in die Stirne gräbt;
O so reiße ihn aus dem Getümmel,
Hülle ihn in deine Schatten ein,
O! in deinen Schatten, Teure! wohnt der Himmel
Ruhig wirds bei ihnen unter Stürmen sein.
Und wann einst nach tausend trüben Stunden
Sich mein graues Haupt zur Erde neigt,
Und das Herz sich mattgekämpft an tausend Wunden
Und des Lebens Last den schwachen Nacken beugt:
O so leite mich mit deinem Stabe –
Harren will ich auf ihn hingebeugt,
Bis in dem willkommnen, ruhevollen Grabe
Aller Sturm, und aller Lärm der Toren schweigt.
Ras’ ich ewig? noch nicht ausgestritten
Ist der heiße Streit der Leidenschaft?
Hab’ ich armer nicht genug gelitten?
Sie ist hin – ist hin – des Kämpfers Kraft.
Engelsauge! immer um mich schweben –
O warum? warum? du liebe Grausame!
Schone! schone! sieh! dies schwache Beben!
Weibertränen weint der Überwundene.
Weibertränen weinen? Weibertränen?
Wirklich? wein’ ich wirklich, Zauberin?
Und dies Klopfen, dieses bange Sehnen
Ists um Luzias Umarmungen?
Nein! ich kann nicht! will nicht! diese Tränen
Stieß der Zorn ins Auge, sie vergoß der Grimm;
O! mich schmelzen keine Mädchenmienen,
Nur der Freiheit brauste dieses Ungestüm.
Aber wie? dein Stolz hat sich betrogen,
Siehe! Lügen straft die Liebe mich;
Männergröße hat dein Herz gelogen,
Und im schwachen Kampf verkennst du dich.
Stolz verschmähst du alle Mädchenherzen,
Weil dir Luzia ihr großes Herz nicht gibt,
Kindisch heuchelst du verbißne Schmerzen
Armer Heuchler! weil dich Luzia nicht liebt.
Weh! sie kann, sie kann mich nimmer lieben,
Mir geraubt durch ein tyrannisch Joch,
Nur die Wunde noch ist mir geblieben,
Fühlst dus? Fühlst dus? Weib! die Wunde noch.
Ha! ein Abgrund droht vor meinen Sinnen –
Laß mich! laß mich! todesvolle Leidenschaft!
Höllenflamme? wilt du ewig brennen?
Schone! schone! sie ist hin, des Kämpfers Kraft.
Ihr Freunde! mein Wunsch ist Helden zu singen,
Meiner Harfe erster Laut,
Glaubt es, ihr Freunde!
Durchschleich’ ich schon so stille mein Tal,
Flammt schon mein Auge nicht feuriger,
Meiner Harfe erster Laut
War Kriegergeschrei und Schlachtengetümmel.
Ich sah, Brüder! ich sah
Im Schlachtengetümmel das Roß
Auf röchelnden Leichnamen stolpern,
Und zucken am sprudelnden Rumpf
Den grausen gespaltenen Schädel,
Und blitzen und treffen das rauchende Schwert,
Und dampfen und schmettern die Donnergeschütze,
Und Reuter hin auf Lanzen gebeugt
Mit grimmiger Miene Reuter sich stürzen
Und unbeweglich, wie eherne Mauren
Mit furchtbarer Stille
Und Todverhöhnender Ruhe
Den Reutern entgegen sich strecken die Lanzen.
Ich sah, Brüder! ich sah
Des kriegrischen Suezias8 eiserne Söhne
Geschlagen von Pultawas9 wütender Schlacht.
Kein wehe! sprachen die Krieger,
Von den blutiggebißnen Lippen
Ertönte kein Lebewohl –
Verstummet standen sie da
In wilder Verzweiflung da
Und blickten es an das rauchende Schwert
Und schwangen es höher das rauchende Schwert,
Und zielten – und zielten –
Und stießen es sich bitterlächelnd
In die wilde brausende Brust.
Noch vieles will ich sehen,
Ha! vieles noch! vieles noch!
Noch sehen Gustavs10 Schwertschlag
Noch sehen Eugenius’11 Siegerfaust.
Doch möcht ich, Brüder! zuvor
In euren Armen ausruh’n,
Dann schweb’ ich wieder mutiger auf,
Zu sehen Gustavs Schwertschlag,
Zu sehen Eugenius’ Siegerfaust.
Willkommen, du! –
Und du! – Willkommen!
Wir drei sinds?
Nun! so schließet die Halle.
Ihr staunt, mit Rosen bestreut
Die Tische zu sehen, und Weihrauch
Am Fenster dampfend,
Und meine Laren –
Den Schatten meiner Stella,
Und Klopstocks Bild und Wielands, –
Mit Blumen umhängt zu sehen.
Ich wollt’ in meiner Halle Chöre versammeln
Von singenden rosichten Mädchen
Und kränzetragenden blühenden Knaben,
Und euch empfangen mit Saitenspiel,
Und Flötenklang, und Hörnern, und Hoboën.
Doch – schwur ich nicht, ihr Freunde
Am Mahle bei unsers Fürsten Fest,
Nur Einen Tag mit Saitenspiel
Und Flötenklang, und Hörnern und Hoboën,
Mit Chören von singenden rosichten Mädchen,
Und kränzetragenden blühenden Knaben
Nur Einen Tag zu feiren?
Den Tag, an dem ein Weiser
Und biedere Jünglinge,
Und deutsche Mädchen
Zu meiner Harfe sprächen,
Du tönst uns Harfe lieblich ins Ohr,
Und hauchst uns Edelmut,
Und hauchst uns Sanftmut in die Seele.
Aber heute, Brüder!
O, kommt in meine Arme!
Wir feiern das Fest
Der Freundschaft heute.
Als jüngst zum erstenmal wieder
Der Mäher des Morgens die Wiese
Entkleidete, und der Heugeruch
Jetzt wieder zum erstenmal
Durchdüftete mein Tal:
Da war es Brüder!
O da war es!
Da schlossen wir unsern Bund
Den schönen, seligen, ewigen Bund.
Ihr hörtet so oft mich sprechen,
Wie lang’ es mir werde
Bei diesem Geschlechte zu wohnen,
Ihr sahet den Lebensmüden
In den Stunden seiner Klage so oft.
Da stürmt’ ich hinaus in den Sturm
Da sah’ ich aus der vorüberjagenden Wolke
Die Helden der eisernen Tage herunterschau’n.
Da rief’ ich den Namen der Helden
In des hohlen Felsen finstres Geklüft,
Und siehe! der Helden Namen
Rief ernster mir zurück
Des hohlen Felsen finstres Geklüft.
Da stolpert’ ich hin auf dornigten Trümmern
Und drang durchs Schlehengebüsch in den alternden Turm
Und lehnte mich hin an die schwärzliche Wände
Und sprach mit schwärmendem Auge an ihm hinauf:
Ihr Reste der Vorzeit!
Euch hat ein nervigter Arm gebaut,
Sonst hätte der Sturm die Wände gespalten
Der Winter den moosigten Wipfel gebeugt;
Da sollten Greise um sich
Die Knaben und Mädchen versammlen
Und küssen die moosigte Schwelle,
Und sprechen – seid wie eure Väter!
Aber an euren steinernen Wänden
Rauschet dorrendes Gras herab,
In euren Wölbungen hangt
Zerrißnes Spinnengewebe –
Warum, ihr Reste der Vorzeit
Den Fäusten des Sturmes trotzen, den Zähnen des Winters.
O Brüder! Brüder!
Da weinte der Schwärmer blutige Tränen,
Auf die Disteln des Turmes,
Daß er vielleicht noch lange
Verweilen müsse unter diesem Geschlechte,
Da sah’ er all’ die Schande
Der weichlichen Teutonssöhne12,
Und fluchte dem verderblichen Ausland,
Und fluchte den verdorbnen Affen des Auslands,
Und weinte blutige Tränen,
Daß er vielleicht noch lange
Verweilen müsse unter diesem Geschlechte.
Doch siehe es kam
Der selige Tag –
O Brüder in meine Arme! –
O Brüder, da schlossen wir unsern Bund,
Den schönen, seligen, ewigen Bund.
Da fand ich Herzen, –
Brüder in meine Arme! –
Da fand ich eure Herzen.
Jetzt wohn’ ich gerne
Unter diesem Geschlechte,
Jetzt werde der Toren
Immer mehr! immer mehr!
Ich habe eure Herzen.
Und nun – ich dachte bei mir
An jenem Tage,
Wann zum erstenmal wieder
Des Schnitters Sichel
Durch die goldene Ähren rauscht;
So feir’ ich ihn, den seligen Tag.
Und nun – es rauschet zum erstenmal wieder
Des Schnitters Sichel durch die goldene Saat,
Jetzt laßt uns feiren,
Laßt uns feiren
In meiner Halle den seligen Tag.
Es warten jetzt in euren Armen
Der Freuden so viel’ auf mich,
O Brüder! Brüder!
Der edlen Freuden so viel.
Und hab’ ich dann ausgeruht
In euren Armen,
So schweb’ ich mutiger auf,
Zu schauen Gustavs Schwertschlag
Zu schauen Eugenius’ Siegerfaust.