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Das Buch

Irgendwann stellt sich jedem Paar mit Kinderwunsch die Frage: Wie machen wir’s? Wie teilen wir uns die Kinderbetreuung, den Haushalt und das Geldverdienen auf? Wer geht wie lange in Elternzeit? Opfert einer von uns seine Karriere? Meist sind es nach der Familiengründung die Männer, die ihrem Beruf wie bisher nachgehen, während die Frauen sich um die Kinder kümmern. Ein Reflex. Nach dem Motto: Er verdient halt mehr. Für manche Paare mag diese klassische Rollenverteilung gut funktionieren, für Stefanie Lohaus und Tobias Scholz jedoch stand von Anfang an fest, dass sie beide beides wollen: Kind und Beruf. Dass auch ihr Sohn davon profitiert, davon sind sie überzeugt.

Welche Herausforderungen – und Freuden – ihren Familienalltag mit dem 50/50-Prinzip bestimmen, davon erzählen Stefanie und Tobias humorvoll und voller Herz in diesem Buch.

Die Autoren

Stefanie Lohaus, geboren 1978, studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist Gründerin und Herausgeberin des Missy Magazine und arbeitet als freie Journalistin. Bei ZEIT ONLINE erscheint ihre Kolumne »Das Prinzip 50/50«.

Tobias Scholz, geboren 1976, arbeitet seit dem Studium der Publizistik, Nordamerikastudien und Soziologie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin. Seine Dissertation »Distanziertes Mitleid« erschien 2012 beim Campus Verlag. Seit Herbst letzten Jahres ist er in Elternzeit und beobachtet mit Freude und Ringen unter den Augen die Entwicklung des gemeinsamen Sohnes.

Stefanie Lohaus

& Tobias Scholz

Papa

kann auch stillen

Wie Paare Kind, Job & Abwasch

unter einen Hut bekommen

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1. Auflage

Originalausgabe Februar 2015

Copyright © 2014 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Gestaltung des Umschlags und der Umschlaginnenseiten:

UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung einer Illustration von Zsuzsanna Ilijin

Lektorat: Doreen Fröhlich

DF · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-14473-9

www.goldmann-verlag.de

Vorwort

Wir sind auf einer Geburtstagsparty in München eingeladen. Tobias’ Schwester Ina wird 40. Angereist sind wir aus Berlin, mit unserem Sohn Johann im Schlepptau. Ein pausbäckiges und fröhliches Kind, immer auf Entdeckungsreise. Wir haben ihn erfolgreich in seinem Reisebettchen zum Schlafen gebracht und treffen nun im Garten zum ersten Mal auf die anderen Gäste: Familie und alte Bekannte, aber auch ein paar neue Gesichter. Ina stellt uns einer Lehrerkollegin vor, Claudia, die ein Kind im Alter unseres Sohnes hat: »Das ist mein Bruder Tobias mit seiner Freundin Stefanie aus Berlin. Du musst dich mal mit ihnen unterhalten. Sie teilen sich die komplette Arbeit mit Kind und Haushalt. Und damit meine ich WIRKLICH teilen, nicht so, dass er ein bisschen im Haushalt hilft, wie das bei uns ist. Funktioniert offenbar ganz gut.« Ina zwinkert ihrer Kollegin zu, wir zwei grinsen verlegen. Dass sie das auch immer so herausstellen muss. Claudia schaut fragend, und Tobias beginnt zu erklären: »Na ja, wir versuchen halt, alle Lebensbereiche gerecht aufzuteilen: Kinderbetreuung, Haushalt und Erwerbsarbeit. Alles fifty-fifty. Bisher fahren wir damit ganz gut.«

Claudia zeigt sich interessiert. »Wann habt ihr das denn festgelegt? Kommt ihr finanziell klar? Ihr müsst euch ja bestimmt irre viel absprechen, ist das nicht anstrengend?« Die Fragen sprudeln aus ihr heraus. Nebenher lässt sie durchblicken, dass sie sich wünscht, ihr Mann wäre mehr zu Hause. Sie arbeite Teilzeit, habe mit Haushalt und Kinderbetreuung aber locker eine 70-Stunde-Woche. Inklusive Nachtschichten, denn ihr Mann sei viel unterwegs und brauche seinen Schlaf, damit er im Büro fit ist.

Seit Johanns Geburt haben wir genau diese Situation schon recht häufig erlebt. Sobald wir von unserer Vereinbarung erzählen, fragen die Leute uns ein Loch in den Bauch. Also haben wir beschlossen, einfach aufzuschreiben, wie unser Alltag mit ausgewogener Arbeitsteilung aussieht. Denn Begegnungen wie die mit Claudia haben uns gezeigt: Es gibt in unserer Gesellschaft ein seltsames Missverhältnis zwischen dem Wunsch nach einer gleichberechtigten Beziehung und dessen Umsetzung. Zumindest, sobald Kinder im Spiel sind.

Wenn man nämlich Kinder hat, stellt sich jedem Paar die Frage: Wie machen wir’s? Wie teilen wir uns die Kinderbetreuung, den Haushalt, das Geldverdienen? Wer übernimmt wie und wo die Verantwortung? Wer geht wie lange in Elternzeit? Und opfert einer von uns seine Karriere? Studien belegen, dass es nach der Familiengründung mehrheitlich die Männer sind, die ihrem Beruf wie bisher nachgehen, während Frauen sich der Kinderbetreuung widmen. Ein Reflex. Nach der einfachen Formel: Er verdient halt mehr. Für manche Paare mag diese klassische Aufteilung zwar gut funktionieren; in vielen Partnerschaften wird die Situation jedoch nach wenigen Monaten zur Belastung. Was vorher so richtig und naheliegend schien, macht jetzt unzufrieden. Die frischgebackene Mutter stellt fest, dass die Betreuung eines Babys weniger spannend und viel anstrengender ist, als sie es sich vorgestellt hat. Der Vater, der sich im Job erst einmal richtig reingehängt hat, um den Familienunterhalt zu sichern, stößt an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und fühlt sich zu Hause seltsam ausgeschlossen. Von Gemeinsamkeit keine Spur. Und wie man an dieser Situation dann etwas ändern soll, das weiß niemand. Schließlich hat man ja weitreichende Entscheidungen getroffen, die sich nicht mal eben rückgängig machen lassen.

Weil wir diese Probleme von Bekannten und Freunden kannten, sind wir das Thema schon während Stefanies Schwangerschaft ganz konsequent angegangen. Wir haben uns überlegt, wie Familie für uns praktisch ablaufen soll, und dabei gemerkt: Wir wollen beide beides. Kind und Beruf für jeden von uns. Auch für das Kind ist das am besten, davon sind wir überzeugt. Und so entdeckten wir das 50/50-Prinzip.

Allerdings nicht in Büchern. Die deutschsprachige Literatur über Schwangerschaft, Kindererziehung sowie Vater- oder Muttersein verliert kein Wort über die gemeinsame Elternschaft. Auch nicht über Strategien, die gewaltige Transformation des Elternwerdens gemeinsam zu bewältigen. Stattdessen klagen die Leute. »Junge Eltern scheitern an der Gleichberechtigung« titelt die Süddeutsche Zeitung am 23. April 2014 und schreibt, dass nur zwei Prozent aller Eltern es schaffen, ein wirklich gleichberechtigtes Familienmodell zu leben. Dass es nicht geht, dass die Paare es nicht wollen, dass die Gesellschaft nicht bereit ist. Natürlich erleben auch wir Probleme und Reibungen. Aber eben keine Unmöglichkeit, nichts, was sich nicht aus der Welt schaffen ließe. Und deswegen glauben wir: Dieses Buch ist überfällig.

Wir werden einfach erklären, wie wir es gemacht haben. Wie wir uns organisiert haben, als Johann noch klein war. Auf welche Probleme und an welche Grenzen wir gestoßen sind. Welche Konflikte sich aufgetan und welche Lösungen wir gefunden haben. Zusammen und jeder für sich.

Nicht jede unserer Erfahrungen wird sich auf andere Beziehungen übertragen lassen. Wir sind ein heterosexuelles Paar und wissen, dass sich die Frage der Arbeitsteilung in gleichgeschlechtlichen Beziehungen zwar auch stellt, aber dort häufiger gleichberechtigt ausgehandelt wird. Natürlich ist für jedes Paar vieles von äußeren Faktoren abhängig: davon zum Beispiel, wie der Chef tickt und wie viele Freiräume er oder sie gibt oder wie gut die Kinderbetreuungsmöglichkeiten vor Ort ausfallen. Und: Wir wollen niemanden umerziehen. Und glauben auch nicht, dass das möglich ist. Wie jeder von uns sein Leben und seine Beziehung gestalten möchte, ist schließlich individuell verschieden und hängt auch von persönlichen Prägungen und Sichtweisen ab. Wir können und wollen keine wasserdichte Anleitung geben, wie man sich nach der Geburt eines Kindes – einem Ereignis, das das ganze Leben durcheinanderwirbelt – als Paar verhalten soll. Auch ist dieses Buch kein Ratgeber. Mit keinem Wort werden wir Empfehlungen darüber abgeben, wie man am besten seine Kinder erzieht. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass es für ein Kind eine sehr gute Sache ist, wenn es beide Elternteile um sich hat und beide als verlässliche Bezugspersonen und Vorbilder mit ihren jeweils eigenen Erziehungsstilen erlebt.

Unser Buch soll Paare dazu ermuntern, sich vor der Geburt eines Kindes, vielleicht sogar schon vor einer Schwangerschaft, zu fragen: Wie wollen wir leben? Was entspricht unseren Bedürfnissen und Ansprüchen? Welche Spielräume haben wir? Als Personen, als Individuen, nicht nur als Mann und Frau? Frauen sind im Beruf so gut qualifiziert wie Männer – zum Teil sogar besser –, während der »neue Mann« in aller Munde ist.

Wir haben eine andere Antwort gefunden als das klassische Rollenmodell. Eine Antwort, die uns beiden Möglichkeiten und Erfahrungen bietet, die uns und unserer Auffassung einer gleichberechtigten Beziehung entsprechen. Und sind glücklich damit.

Zwei Striche, die mein Leben verändern.

Stefanie

Kurz nach meinem dreißigsten Geburtstag, also vor ziemlich genau sieben Jahren, durchlebte ich eine turbulente Zeit. Ich hatte mich von meinem damaligen Freund getrennt. Oder er sich von mir? Daran kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern, und es ist auch egal. Auf jeden Fall war klar, mit mir und den Männern, das wird vorerst nichts. Zu kindisch, zu verantwortungslos, zu sehr um sich selbst kreisend kamen sie mir vor, alle miteinander und insbesondere die meiner Generation. Spaß haben war allgemein erwünscht, Kinder und Pflichten nicht. Doch genau die wollte ich.

Ich wusste schon immer, dass ich eine Familie haben und Kinder bekommen möchte. Allerdings ohne als Hausfrau und Mutter allein die Verantwortung für ihre Betreuung und Erziehung zu tragen. Ich konnte mir auch noch nie vorstellen, Geld auszugeben, das jemand anderes für mich verdient. In einer Partnerschaft hat ein solches Ungleichgewicht für mich nichts zu suchen. Es ist mir wichtig, so viel Geld auf dem Konto zu haben, dass ich mich auch im Fall einer Trennung oder anderer unvorhergesehener Ereignisse selbst finanziell versorgen kann. Und vor allem möchte ich auf keinen Fall mehr Hausarbeit verrichten als unbedingt nötig. Es gibt für mich einfach keine einzige plausible Erklärung dafür, warum Frauen für sämtliche Familienmitglieder kochen, spülen oder Wäsche waschen sollten. Das soll nicht heißen, dass ich keinen einzigen Finger rühren mag. Eine aufgeräumte Wohnung ohne Wollmäuse in den Ecken und vielleicht sogar frische Blumen in der Vase auf dem Küchentisch sorgen für eine gewisse Behaglichkeit, für die ich gerne bereit bin, ein paar Stunden Arbeit die Woche aufzubringen. Und Spülen oder Staubsaugen kann nach einem anstrengenden Arbeitstag sogar eine meditative Kraft entwickeln. Als alleinige Beschäftigung würde es mich nicht zufriedenstellen.

Ich stelle mir mein Leben ausgewogen vor. Für mich gehören eine Familie, meine Arbeit, Freunde und Freizeit, eine nette Wohnung, aber auch politisches Engagement einfach dazu. Warum sollte ich auf einen dieser Bereiche verzichten, wenn ich ein Kind in die Welt setze? Von Männern wird das doch auch nicht erwartet, wenn sie Vater werden, oder? Mir ist klar, dass das Verlangen nach einem ausgeglichenen Lebensmodell nicht unbedingt vereinbar ist, mit, sagen wir mal, dem Wunsch danach, sehr viel Geld zu verdienen. Denn dann müsste ich all meine Energie in den Job stecken und Karriere machen. Momentan habe ich die Möglichkeit, viel zu arbeiten, und es macht mir Spaß. Wie das in Zukunft sein wird, werden wir sehen.

Auf einer Party in Berlin lernte ich vor etwa vier Jahren Tobias kennen, der schlau war, lustig und attraktiv, der die Filme und Bücher mochte, die mir auch gefielen, und der mich anscheinend auch ganz gut fand. Zumindest rief er mich wenig später an und täuschte einen Grund vor, warum er in Hamburg bei mir übernachten musste. Tobias ist Soziologe und arbeitete damals schon an der Universität. Spannend. Außerdem wusste er, dass ich als Journalistin tätig bin und das feministische Missy Magazine herausgebe, und er fand das richtig cool. Ich bin auch bereits Männern begegnet, die plötzlich extrem einsilbig wurden, wenn ich mich als »feministisch« bezeichnet habe. Trotz aller guten Vorzeichen war ich vorsichtig. Spaß ja, ernsthaft verlieben nein, lautete mein damaliges Mantra. Die Wochen nach unserem Kennenlernen nahmen irgendwann an Fahrt auf. Mal besuchte ich ihn in Berlin oder er mich in Hamburg. Die Gespräche, der Sex, alles war wunderbar. Sollte er vielleicht doch der »Richtige« sein? Falls es so etwas überhaupt gibt.

Eines Abends lagen wir im Bett, Tobias fuhr zärtlich mit der Hand durch meine Haare, und ich schmiegte mich an ihn. »Duu?«, fragte ich.

»Jaaa?«, antwortete er.

»Stell dir mal vor, wir wären im Urlaub. Meer und Sonne.« Pause. »Und die Kinder spielen am Strand.« Pause. »Sag mal. Willst du eigentlich Kinder?«

»Ja klar, schon lange«, sagte er. Perfekt, dachte ich in diesem Moment. Endlich mal nicht das Übliche: Kinder? Ach, ich weiß nicht, vielleicht später mal. Ich wagte einen weiteren Vorstoß: »Wenn wir die kriegen, dann kümmern wir uns aber gleich viel um sie, nicht wahr?«, fragte ich.

»Na klar«, antwortete er und gähnte. Ich war mir nicht sicher, ob er das nur so dahinsagte oder ob es ihm genauso ernst damit war wie mir. Egal. Bis zu den Kindern war es ja noch eine Weile hin. Zwei Jahre später zog ich von Hamburg nach Berlin. Und nach einem weiteren Jahr … war ich schwanger.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen

An einem kalten, aber sonnigen Februarmorgen wache ich wie immer gegen acht Uhr auf. Ich trinke meinen Morgenkaffee und schalte den Rechner an. Oft checke ich schon vor dem Frühstück die ersten Mails. Als ich auf das Datum schaue, erkenne ich, dass meine Periode seit einer Woche überfällig ist. In meiner Schublade liegen vier Schwangerschaftstests. Eine Freundin, die nach langem Kinderwunsch endlich ein Baby bekommen hat, hat sie mir geschenkt. »Da, die brauche ich nicht mehr, aber vielleicht du irgendwann?« Von denen nehme ich mir einen und gehe ins Bad. Ich lese die Anleitung: draufpinkeln und abwarten. Erscheint ein Strich, bin ich nicht schwanger, erscheinen zwei Striche, bin ich schwanger. Ganz einfach eigentlich.

Nach zwei Minuten kann ich klar und deutlich zwei Striche erkennen. Schwanger also. Ich werde innerlich ganz aufgeregt. Dabei merke ich eigentlich noch gar nichts. Mein Körper fühlt sich ganz und gar unschwanger an. Normal, so wie immer. Keine Übelkeit, nichts. Vielleicht ist der Test kaputt? Ich schaue auf das Haltbarkeitsdatum: abgelaufen. Ein zweiter Test muss her, um Sicherheit zu erhalten, und so wiederhole ich das Prozedere. Wieder zwei Striche. Sicherheitshalber pinkle ich ein drittes Mal auf ein Stäbchen. Zwei Striche! Ich bin total aus dem Häuschen und rufe in die Küche rüber: »Hey Tobi, ich glaube, ich bin schwanger!«

Ich bin noch ganz ungläubig und freue mich riesig. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass nicht alles perfekt ist – sind wir überhaupt schon so weit, Nachwuchs zu bekommen? Wir leben immer noch unser freies und ungebundenes Leben mitten in Berlin, haben keine großen Geldreserven und kein Häuschen mit Garten zum Toben. Braucht ein Kind nicht die Art von Stabilität, die sich aus solchen berechenbaren Faktoren ergibt? Auf der anderen Seite: Ein Kind kommt, wenn es kommt. Und zumindest am Anfang braucht es nicht Unmengen an Geld, sondern an Liebe. Außerdem soll man die Feste ja bekanntlich feiern, wie sie fallen, und das hier ist wirklich ein Fest. Tobias und ich sind nach einem kurzen Moment des Schocks über die unverhoffte Neuigkeit überglücklich.

Abgesehen von dem einen Gespräch zu Beginn unserer Beziehung haben wir uns nicht mehr wirklich über eine gemeinsame Zukunft mit Kind unterhalten. Jetzt wird es ernst. Ich habe von vielen Freundinnen mitbekommen, wie bei denen die zuvor ganz selbstverständliche Gleichberechtigung in der Partnerschaft mit der Geburt des ersten Kindes abhandengekommen ist: Die Frauen sind nämlich in der Regel diejenigen, die im Beruf Abstriche machen und das Kind großziehen, während der Mann seiner Karriere nachgeht. Für mich ist das eine seltsame Vorstellung: Mein ganzes Leben soll sich ändern, während für Tobias alles einfach so weiterläuft wie bisher. Will ich das wirklich?

Susanne sagt: »Das macht man doch so.«

Das Beispiel meiner Freundin Susanne macht mir erst einmal keinen Mut. Nach ihrem exzellent abgeschlossenen BWL-Studium arbeitete sie mehrere Jahre Vollzeit in der Marketingabteilung einer IT-Firma in Berlin. Unbefristete Festanstellung mit Weihnachtsgeld, Zulagen, Aufstiegschancen, alles top. Eine Karriereleiter, auf der sie die ersten Sprossen bereits erklommen hatte. Klar ärgerte sie sich mal über die Chefin oder die Kollegen, und manche Tage waren frustrierend, aber im Großen und Ganzen hatte sie einen super Job und war glücklich. Ihr Mann Stephan arbeitet im selben Unternehmen, sie haben sich dort kennengelernt. Er plant und verkauft als IT-Berater Softwarelösungen für Firmen vor Ort und ist deswegen viel unterwegs. Als Susanne vor drei Jahren schwanger wurde, war die Verteilung ohne viel Aufhebens klar: Sie nimmt das Jahr Elternzeit – er die zwei Vätermonate. Jetzt ist Tochter Emma im Kindergarten, das zweite Kind unterwegs und Susanne jobbt dreimal die Woche vormittags in einem netten Lädchen mit Geschenkartikeln. Stephan wurde inzwischen zum Teamleiter befördert und reist mehr denn je. Ich weiß nicht, ob Susanne sich das so vorgestellt hat. Seit Emma auf der Welt ist, sehen wir uns nur noch selten. Aber als wir einige Wochen später unseren Freunden und Bekannten die freudige Botschaft mitteilen, ist Susanne eine der Ersten, die ich anrufe. Ein lang gezogenes »Jaaa?« antwortet mir.

»Hey Susanne, weißt du was? Ich bin schwanger.«

»Na herzlichen Glückwunsch, endlich! Darauf habe ich ja gewartet. Willkommen im Club!« Susanne freut sich ehrlich. Sie liebt ihre Tochter sehr und empfindet sie als große Bereicherung für ihr Leben. Wir sprechen über dies und das, ich bekomme Tipps gegen Morgenübelkeit und erfahre, auf welcher Webseite man die schicksten Schwangerschaftsklamotten bestellen kann. Ich bin neugierig, wie zufrieden Susanne mit ihrer Situation mit Kind und Job ist.

»Ach weißt du«, sagt sie. »Es ist schon o.k.« Sie erzählt mir, dass sie sich manchmal komisch fühlt, fast schon wie eine alleinerziehende Mutter, weil sie es ist, die die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt trägt. Dass Stephan eben oft spät nach Hause komme, vor allem wenn er unterwegs ist und Emma dann nur am Wochenende sieht. Dass sie sich häufig streiten, weil er im Job gestresst ist und sie die eintönige Hausarbeit anstrengt. Stephan helfe zwar, wo er kann, wenn er mal da sei, aber das sei einfach zu selten.

Nach der Elternzeit wollte sie eigentlich wieder in die Firma einsteigen, aber der Abteilungsleiter hatte ihr schon vor ihrem Mutterschutzurlaub erklärt, ihr alter Posten wäre mit Teilzeit eh nicht zu vereinbaren gewesen. Sie wäre also auf einer anderen Position in ihrer Abteilung eingesetzt worden. Die Vorstellung, nun als Halbtagsjobberin einfache Aufgaben zu übernehmen, während die kinderlose Kollegin Karriere machte, hinterließ ein mulmiges Gefühl bei ihr. Außerdem hatte Susanne den Eindruck, auch unter den Kollegen nicht mehr so richtig willkommen zu sein. Als sie während der Elternzeit anrief, um zu erfahren, was es Neues gäbe, hieß es nur, sie solle sich mal entspannen, die Vertretung wäre ganz prima und sehr beliebt. Als sie eines Tages eine Kollegin auf der Straße traf, die durchblicken ließ, dass in ihrer Abteilung nun schon genug Mütter wären, auf die sie als Kinderlose immer Rücksicht nehmen müsse und dass die jüngere und kinderlose Vertretung da einfach besser passen würde, hatte Susanne genug. Deswegen ist sie dann nach der Elternzeit gar nicht erst zurückgekehrt. Stephans Einkommen reichte auch für die ganze Familie, wenn alle ein bisschen sparsamer lebten. Außerdem stand bei ihm ja die Beförderung zum Teamleiter an. Einige Monate später fiel Susanne jedoch die Decke auf den Kopf. Deswegen hat sie dann, als Emma in den Kindergarten kam, den Job in dem Geschenkeladen angenommen. Damit sie wieder mit etwas beschäftigt ist, »das nicht mit Bauklötzen und Bilderbüchern zu tun hat«. Und jetzt sei ja auch erst mal das nächste Kind dran, es wird übrigens ein Junge, Achim soll er heißen. »Und dann, in ein paar Jahren, gehe ich wieder zurück in meinen Beruf und finde hoffentlich einen Chef, für den Kinder kein Problem sind.«

Ich bin skeptisch. Wenn man sechs Jahre oder mehr aus so einem anspruchsvollen Job raus ist, kann man dann einfach wieder einsteigen? Wie ernst wird man dann überhaupt genommen? Susannes Erzählung, wie wenig willkommen sie nach der Geburt in ihrem Arbeitsumfeld war, klingt nicht vielversprechend.

Susannes Geschichte ist aber leider exemplarisch dafür, was im Normalfall passiert, wenn ein Doppelverdienerpaar ein Kind bekommt: Die Rollenverteilung verschiebt sich fast unbemerkt von gleichberechtigt zu traditionell. Obwohl es über 40 Jahre her ist, dass Frauen angefangen haben, gegen die drei Ks (Kinder, Küche, Kirche) zu demonstrieren, hat sich die Arbeitsteilung in Beziehungen mit Kindern letztlich kaum verändert.

Diese starren Geschlechterrollen bleiben sogar bestehen, nachdem die Frau – im Schnitt fünf Jahre nach der Geburt des ersten Kindes – wieder in den Beruf zurückkehrt. Während er seinen Job macht, ist sie für Job, Kinder und Haushalt zuständig. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Biografien von Frauen im letzten Jahrhundert revolutionär verändert haben, kommt mir diese Aufteilung wie ein Überbleibsel aus Omas Mottenkiste vor. Ich habe Angst davor, in einer solchen Spirale zu landen, an deren Ende ich wie Betty Draper in der Fernsehserie Mad Men in einem kleinen Haus in der Vorstadt sitze und mich nur um die Kinder und den Garten kümmere und um sonst nichts. Unausgelastet und unterfordert. Mit einem leckeren Cocktail vorm Lunch, damit das Leben wenigstens so ein bisschen bunter wird.

Ich frage Susanne, warum sie und Stephan sich so entschieden haben. Sie hat doch ähnlich gut verdient wie ihr Mann, ökonomische Gründe können also keine Rolle gespielt haben. »Ich habe das gar nicht entschieden, ehrlich gesagt. Wir haben einfach nicht langfristig geplant«, erklärt sie. »Die Entscheidung war eigentlich nur die, dass ich das erste Jahr zu Hause bleibe. Zwölf Monate nehme ich Elternzeit, zwei Monate Stephan. Und das macht man doch so! Das Kind wächst nun mal im Bauch der Frau heran. Sie hat die Geburt und die Schmerzen. Sie stillt. Das geht mit Job doch sowieso nicht.« Davon ausgehend, so erzählt sie weiter, hätten alle weiteren Schritte Sinn gemacht. Stephan hätte dann diese Beförderung bekommen, »da kann man dann doch nicht einfach auf Teilzeit gehen.« Sie hätte den Job geschmissen, »und nun kommt eben das nächste Kind«.

»Das macht man doch so«, hatte Susanne ihre Situation kurz und bündig zusammengefasst. Aber warum macht man das eigentlich so? Das Nationale Bildungspanel, die größte sozialwissenschaftliche Studie der Welt, liefert interessantes Datenmaterial zu Susannes und Stephans Dilemma. Die sind nämlich keine Ausnahme, sondern statistisch gesehen ziemlicher Durchschnitt. Obwohl Frauen im 20. Jahrhundert die Bildungsaufsteiger sind, werden sie nach der Geburt des Kindes wieder zu Vollzeitmüttern – während die Männer Karriere machen. Der Leiter des Panels, Hans-Peter Blossfeld, erläuterte die Daten 2012 im Interview mit der ZEIT und führt als Grund vor allem unser Wertesystem an: »Da wirken uralte normative Muster. Es gibt in unserer Gesellschaft immer noch feste Vorstellungen davon, was Frauenarbeit ist und was Männerarbeit. Wenn er das Auto repariert, macht er das nicht zwangsläufig, weil er das besser kann, sondern weil er zeigen kann: Ich bin ein Mann. Und wenn sie die Wäsche macht, dann auch, weil sie damit zeigen kann: Ich bin eine Frau.« Diese festen Vorstellungen durchziehen unsere gesamte Gesellschaft, sorgen dafür, dass Frauen in schlecht bezahlten Pflegeberufen arbeiten und Männer häufiger in Führungspositionen anzutreffen sind.

Susanne und Stephan sind also schon mal kein Vorbild für mich. Ich liebe meinen Job als Journalistin. Ich möchte weiter arbeiten. Ich möchte mir die Chance auf einen beruflichen Aufstieg wenigstens nicht verbauen, auch wenn ich in den nächsten Jahren mit Kind vielleicht nur wenig Energie haben werde, um wirklich Karriere zu machen. Außerdem finde ich, es muss in der Welt gerecht zugehen. Bisher haben Tobias und ich alles gleichberechtigt geteilt – warum also nicht auch mit Kind? Wir spülen das Geschirr abwechselnd, und den Großputz in der Wohnung machen wir immer samstags, vor dem gemeinsamen Einkauf. Jeder von uns legt seine eigene Wäsche zusammen, und wer etwas gebügelt haben will, holt das Bügeleisen selbst heraus. Klar, in der Generation unserer Eltern ist auch das schon eher selten, da gibt es noch viele Männer, die sich höchstens mal ein Spiegelei in die Pfanne hauen, wenn die Frau beim Freundinnenabend ist. Auch meine Mutter war und ist letztendlich für den Haushalt verantwortlich, obwohl sie arbeitet und sechs Kinder großgezogen hat.

Immer mehr Punkte fallen mir ein, die ich mit Tobias besprechen möchte: Wie wollen wir die Elternzeit verteilen? Kann er sich vorstellen, im Job Abstriche zu machen? Wie lange soll das Kind gestillt werden? Wie viel Geld brauchen wir mindestens für unseren Alltag?

Keiner macht wirklich Karriere

In meinem Freundeskreis gibt es natürlich noch mehr Paare außer Susanne und Stephan. Amina und Tim zum Beispiel kenne ich noch aus der Uni. Amina leitet halbtags den Kunstverein einer brandenburgischen Kleinstadt, Tim ist Büromanager in einem Architekturbüro. Die beiden haben zwei Söhne, den fünfjährigen Paul und den dreijährigen Lukas.

Wir treffen uns an einem schönen Sonntagnachmittag auf einen Kaffee, um Neuigkeiten auszutauschen. »Wir leben tatsächlich ziemlich gleichberechtigt, bei uns funktioniert das ganz gut«, erzählt Amina. »Außer mit den Karrieren, die machen wir beide nicht. Wir wollen einfach so viel Zeit wie möglich mit unseren Kindern verbringen.«

»Wieso lässt sich das nicht miteinander vereinbaren?«, frage ich.

»Na ja«, antwortet sie. »Wir haben das mit der Arbeit erst mal so nicht geplant. Ich wollte eigentlich den nächsten Karriereschritt machen und einen Job in einem größeren, angeseheneren Museum anfangen, nicht mehr nur den kleinen Kunstverein leiten. Aber das wäre in Teilzeit nicht möglich gewesen.« Auch Tim hat seine Stelle nach der Geburt von Paul und Lukas auf 75 Prozent reduziert, um bei den Kindern zu sein.

»Aber fehlt euch das Geld nicht?«, frage ich.

»Ja klar«, sagt Amina, »unsere kleine Wohnung geht uns wirklich langsam auf die Nerven. Und an einen Umzug ist nicht zu denken, bei den explodierten Mietpreisen der letzten Jahre.«

Amina erklärt mir ihr Modell: Die Kinder sind montags bis freitags bis 15 Uhr in der Kindertagesstätte. Sie selbst fährt an drei Tagen die Woche ins Brandenburgische, um ihren Job im Kunstverein zu erledigen. An diesen Tagen holt Tim die Kinder von der Kita ab, sie an den anderen zwei. In der Regel ist ihre Arbeit aber nicht so stark getaktet. Vor einer Ausstellungseröffnung muss sie Vollzeit arbeiten, danach hat sie Ruhe. Sie hat als künstlerische Leiterin keine richtige Chefin; wie sie sich ihre Arbeit im Detail einteilt, ist also allein ihre Sache. Wenn viel los ist, kommen Aminas Eltern vorbei, die außerhalb der Stadt wohnen, um die Kinder zu hüten. »Wir würden gerne öfter auf Oma und Opa zurückgreifen, aber sie müssen immer anderthalb Stunden anreisen, was auf Dauer für sie zu anstrengend ist«, sagt Amina. »Sie sind ja auch nicht mehr die Jüngsten.«

Und Tims Eltern?

»Na, Tim kommt doch aus Freiburg, 800 Kilometer für einmal Babysitten wäre ein bisschen heftig.«

Aminas und Tims Lebensweise gefällt mir besser als die von Susanne und Stephan, allerdings bringen die beiden auch ganz andere Voraussetzungen mit: Amina ist relativ frei in ihrer Arbeit, während Tim einen sicheren Job mit regelmäßigen Arbeitszeiten hat. Beide haben recht viel Zeit für die Kinder, aber weniger Geld. Lohnt sich der Tausch? Zeit gegen Kohle?

Um eine weitere Meinung zu dieser Frage einzufangen, greife ich abermals zum Hörer und rufe Franziska an, Tobias’ Patentante. Ihre Kinder sind heute erwachsen und aus dem Haus. Franziska selbst war in den 1980ern total frauenbewegt. Sie hat damals einen Kinderladen gegründet, in dem die Eltern sich mangels staatlicher Kinderbetreuung selbst organisiert haben. Sie und ihr Mann haben sich bewusst dafür entschieden, Kind, Haushalt und Job zu teilen. »Hat es sich denn gelohnt?«, ist die Frage, die mir auf der Seele brennt.

Franziska muss allerdings erst mal ihren Ärger loswerden. »Dass das heute immer noch Thema ist, hätte ich mir damals auch nicht träumen lassen.« Ich höre sie durchs Telefon schnauben. »Ich dachte ja, dass es viel schneller ginge mit dem gesellschaftlichen Wandel. Damals war es eine richtige Aufbruchsstimmung. Wir wollten es anders machen als unsere Eltern. Wenn ich mir die jungen Leute heute anschaue, scheint davon nicht mehr viel übrig zu sein. Als ob es uns nie gegeben hätte. Und jetzt müsst ihr schon wieder das Rad neu erfinden.«

»Aber bereust du denn eure Entscheidung?«, hake ich nach.

»Keine Sekunde«, sagt sie. »Es ist toll, so als Team zu funktionieren. Das Einzige, was uns nachdenklich stimmt, ist, dass keiner von uns wirklich Karriere gemacht hat. Die kinderlosen Kollegen oder diejenigen, die zu Hause eine Frau sitzen haben, sind an uns vorbeigezogen. Dafür trennen sich nun die Paare mit der klassischen Rollenverteilung reihenweise, weil die Frauen sich langweilen, da die Kinder aus dem Haus sind, und die Männer sich mit ihren jüngeren Kolleginnen amüsieren.«

Franziska klingt schon ein bisschen bitter, finde ich. Keine Ahnung, ob sich ihre Mutmaßung auch wirklich beweisen lässt. Zumindest kenne ich auch glückliche Paare mit klassischer Rollenverteilung und nehme an, dass über Glück oder Unglück in der Beziehung ganz offensichtlich nicht allein die Arbeitsteilung entscheidet. Franziska ist da anderer Meinung: »Ich denke, zwanzig Jahre in komplett unterschiedlichen Sphären hinterlassen ihre Spuren. Diese Paare haben sich nichts mehr zu sagen.«

Aber ihr?

»Wir schon. Das ganze Leben gemeinsam, Hand in Hand, das schweißt zusammen.«

Mir wird klar: Wenn Tobias und ich es wirklich anders machen wollen als unsere Eltern und Paare wie Susanne und Stephan, dann müssen wir uns ziemlich genau überlegen, wie wir das anstellen wollen. Und zwar von Anfang an. Wir müssen uns vor allem mit praktischen Fragen auseinandersetzen, zum Beispiel damit, wie viel Geld wir brauchen und wer es verdient. Was bedeutet das für meinen Job, wenn ich einen Teil der Verantwortung für das Familieneinkommen trage? Wenn ich ehrlich bin: Dieser Frage bin ich bisher ausgewichen. Ich habe mich beruflich bisher weniger an Einkommen und Karriere orientiert als vielmehr daran, das zu tun, was mir Spaß macht. Mein Status als freie Journalistin bietet mir viele Freiheiten, die habe ich aber gegen die Sicherheiten einer festen Anstellung eingetauscht. Und was ist mit Tobias? Können wir auf einen Teil seines Einkommens verzichten? Möchte er ein aktiver Vater sein?

Mein Kopf schwirrt. Wir müssen realistisch sein und möglichst langfristig planen. Tobias, ich glaube, wir sollten uns mal ernsthaft unterhalten!