Diabolo
von Dario Vandis
© Zaubermond Verlag 2014
© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur
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Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor.
Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit Asmodi, dem Oberhaupt der Schwarzen Familie, der ihm die Unsterblichkeit sicherte.
Um seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen, auf die de Conde es abgesehen hatte, blieben ungeschoren. Vielmehr wurde bald er selbst als Ketzer angeklagt und hingerichtet. Der Pakt galt, und de Condes Seele wanderte in den nächsten Körper. In vielen Inkarnationen verfolgte er seitdem rachsüchtig die Mitglieder der Schwarzen Familie, bis es ihm in der Gegenwart als Dorian Hunter endlich gelang, Asmodi zu vernichten.
Doch der dämonische Archivar Zakum, der das Amt des Oberhauptes kommissarisch übernimmt, plant bereits, die Schementochter Larissa zur neuen Fürstin zu machen. Eine Prophezeiung, nach der der nächste Fürst »ein zu früh herangereiftes Kind« sein werde, deutet nämlich auf Larissa als Thronfolgerin hin – aber auch Martin Zamis, der Sohn von Dorian und Coco, kommt in Betracht.
Als Martin entführt wird, glaubt Dorian an eine Verschwörung – aber die Wahrheit ist schlimmer ...
Eine neue Mannschaft
Elia Radescu war von Angst und Schmerzen zerfressen, und als der Tod an seine Tür trat, war es für ihn wie eine Erlösung.
Radescu war, was man hinter vorgehaltener Hand einen Krüppel nannte: kaum einen Meter zwanzig groß, mit einer krummen Nase und Augen, die sonderbar schräg zueinander standen und in denen es verschlagen glitzerte. Dazu lahmte er und sprach undeutlich. Er war ein Zwerg, dessen Leben erfüllt von Häme und Missachtung war.
Vor dreihundertfünfzig Jahren war er Freibeuter auf der DIABOLO gewesen. Ein angesehenes Mitglied der Schwarzen Familie, das zusammen mit anderen Dämonen unter dem Oberkaufmann Huygen van Vloten die Weltmeere befuhr. Sie kaperten ganze Schiffsflotten, töteten Tausende Menschen, obwohl sie im Grunde nur auf der Suche nach einem einzigen Mann waren: Felipe de Torqueda, dem Dämon, der Asmodi betrogen und das Kalifenauge unterschlagen hatte. Ihm hatte die DIABOLO gehört.
Elia Radescu seufzte. Die Geschichte war zu lang, um in einem Satz erzählt zu werden. Damals hatte er einen anderen Namen besessen. Er würde ihn noch heute führen, wenn die Jagd auf de Torqueda von Erfolg gekrönt gewesen wäre.
Langsam zog er die Vorhänge einen Spalt zur Seite. Mit der Linken klammerte er sich an seinen Gehstock. Es war ein trostloser, grauer Vormittag, wie er für Bukarest eher untypisch war. Regenschleier verdeckten die Sicht auf die angrenzenden Wohnhäuser. An Tagen wie diesem merkte Elia, dass er immer noch große Sehnsucht nach dem Ozean verspürte. Gern hätte er noch einmal die kalte Gischt auf seiner Haut gefühlt, das Salz in seinen Poren.
Er zuckte zusammen, als er vor dem Grundstück eine Bewegung wahrnahm. Der Regen färbte alles grau, doch er war sicher, eine Gestalt erblickt zu haben. Nur einen Schatten, der sofort wieder hinter einem dichten Busch verschwunden war.
Eine Gänsehaut kroch über Elias dürren Körper. Die Eintönigkeit war ihm lieb geworden in den Jahren; eine willkommene Droge, um den in ihm nistenden Schmerz zu lindern. Ein Besucher brachte Ungewissheit mit sich. Und Angst. Die Ereignisse von damals waren noch nicht ausgestanden.
Er schob die Gardine wieder vor und humpelte zurück zum Sessel. An den Wänden hingen keine Bilder. Die Einrichtung war karg. Es gab nichts, was Elia zum Leben brauchte außer der Erinnerung. Lange war er von der Hoffnung erfüllt gewesen, seinen Fehler wiedergutmachen zu können. Vielleicht würde Asmodi ihn rehabilitieren. Aber das Oberhaupt der Schwarzen Familie war seit Langem tot, und seine Nachfolger hatten Elia Radescu längst vergessen.
Er ließ sich auf dem Sessel nieder und dachte an den Winter 1660, als er mit der DIABOLO nach Ostindien gesegelt war. Sie hatten die Weihnachtsflotte der Niederländer überfallen und tausendfünfhundert Menschen in den Tod geschickt. Es war nicht schade um sie gewesen. Es war nie schade um irgendeinen Menschen. Darin hatte Elia seine Meinung nicht geändert.
Sie hatten mit der DIABOLO vor Kapstadt geankert, ohne dass man in der holländischen Festung unterhalb des Tafelberges Verdacht geschöpft hatte. Dann waren sie weiter in Richtung Ostindien gesegelt, das man heute als Indonesien bezeichnete. Van Vlotens Plan, das zweite Kalifenauge in seine Gewalt zu bringen, war unfehlbar – bis auf eine Kleinigkeit. Sie ahnten nicht, dass es in der eigenen Mannschaft einen Verräter gab, der Asmodis Auftrag sabotierte. So triumphierte de Torqueda, ohne etwas davon zu erfahren. Es war schon verrückt.
Das Telefon klingelte nervenzerreißend in der Stille. Elia erstarrte. Er dachte an die Gestalt vor dem Fenster. Er hatte seit dreißig Jahren keinen Anruf mehr bekommen.
Keuchend wuchtete er seinen missgestalteten Körper aus dem Sessel. Das konnte nur van Vloten sein. Er war der Einzige, der diese Nummer kannte. Sie hatten sich nicht mehr gesprochen, seit sie das letzte Mal ihre Identität gewechselt hatten.
Elia nahm den Hörer ab. Seine Stimme war nicht lauter als ein Flüstern.
»Wir müssen uns treffen«, antwortete van Vloten. »Heute noch.«
Elia versuchte die Worte zu begreifen. Versuchte zu begreifen, was geschehen war. Der Schatten vor dem Fenster, der Anruf, der die Eintönigkeit abrupt beendet hatte. Er ahnte, dass auf einmal nichts mehr war wie zuvor.
Es klingelte an der Tür. Elia ließ den Hörer sinken, Van Vlotens Stimme quäkte in der Muschel.
Hinter dem Türglas zeichnete sich ein Schatten ab. Ein großer Mann mit dunklen Haaren. Er ist es, dachte Elia. Er ist wahrhaftig zurückgekehrt.
»Du darfst nicht öffnen«, krächzte es aus dem Hörer. »Elia, du darfst die Tür nicht öffnen!«
Er runzelte die Stirn. Es klang lächerlich, wenn van Vloten ihn mit seinem neuen Namen anredete. Er versuchte verzweifelt, die Vergangenheit zu verdrängen. Aber das war nicht möglich. Sie war da. Sie war zurückgekehrt und stand hier vor Elias Tür.
»Elia, hörst du mich?«
»Ja. Wir sollen uns treffen … warum?«
»Weil er in der Stadt ist. Wir sind hier nicht mehr sicher. Du erinnerst dich doch an ihn, nicht wahr? Er hat uns alle hintergangen.«
»Ja.«
»Wir müssen sofort die Stadt verlassen!«
Elia holte tief Luft. »Ich … Ich glaube, er ist bereits hier.«
Es klingelte ein zweites Mal. Die Scheiben waren gemustert, sodass Elia das Gesicht des Mannes nicht erkennen konnte. Dennoch zweifelte er keine Sekunde, dass er es war. Es gab keine Zufälle mehr in seinem Leben.
»Du musst fliehen«, rief van Vloten. »Nimm die Kellertür.«
»Ich bin zu langsam. Er würde mich bemerken.«
»Aber …«
Elia legte den Hörer neben die Gabel und wandte sich zur Tür. Im Grunde war er froh, dass es zu Ende war. Nach so vielen Jahren endlich die Erlösung. Er zählte die Sekunden, die er brauchte, um den Schlüssel im Schloss zu drehen. Der Besucher wartete geduldig. Elia zog den Messingriegel zurück und öffnete die Tür.
Der Mann sah fast genauso aus wie damals. Die Narbe unter dem Auge glänzte dunkelrot. Seine Haare waren länger gewesen und gelockt. Natürlich, es war die Hochzeit des Barock gewesen.
Elia blickte auf den Stein, der an einer Kette um seinen Hals befestigt war. Das also war der Grund, weshalb er zurückgekehrt war. Er hatte das Kalifenauge in seine Gewalt gebracht. Das einzige Kalifenauge. Van Vloten war einem verhängnisvollen Irrtum aufgesessen, als er geglaubt hatte, dass es ein Duplikat gab. Dieser Irrtum hatte ihn und Elia damals die Zukunft in der Schwarzen Familie gekostet. Und jetzt endlich kostete er sie das Leben.
»Es freut mich, dich wiederzusehen«, sagte der Fremde spöttisch. Er war fast zwei Meter groß und trug einen langen, schwarzen Mantel. In seiner rechten Hand blitzte ein Messer.
Elia konnte seinen Blick nicht von dem faustgroßen Stein lösen. Wie lange hatten van Vloten und er nach ihm gesucht! Vor seinen Augen entstanden die Geschehnisse der Reise nach Ostindien. Die abenteuerliche Fahrt durch den Stillen Ozean, der Aufenthalt in Sumatra und Batavia. Die Bilder waren voller Farbe, und Elia wurde sich schmerzlich bewusst, wie lange diese Zeit zurücklag.
Er wird uns töten, Elia. Wir sind hier nicht mehr sicher.
Er schüttelte den Kopf. Das war nicht mehr wichtig. Er sah das Amulett vor sich, das sein Leben ruiniert hatte. Damals hätte er seine linke Hand gegeben, um es zu bekommen.
Er reagierte nicht, als der Fremde die Hand mit dem Messer hob. Dann spürte er den Stich in seiner Brust. Er schmerzte nicht – jedenfalls nicht, wenn man wirkliche, dauerhafte Schmerzen kannte. Das Herz setzte aus, und Elia spürte einen leichten Schwindel. Er stürzte zu Boden, und es wurde schwarz um ihn. Sein Tod war sanfter als sein langes Leben.
Der Fremde stieg über die Leiche hinweg in das Haus und nahm den Telefonhörer auf. Am anderen Ende erklang ein unterdrücktes Keuchen.
»Ich weiß, dass du da bist«, sagte der Mann. »Dich werde ich auch noch holen.«
Van Vloten antwortete nicht. Der Fremde legte den Hörer auf die Gabel und verließ das Haus.
Um zehn Uhr am nächsten Morgen stoppte ein Taxi vor der Fassade eines mehrstöckigen Hotels in der Innenstadt von Bukarest. Der Fahrer öffnete zuvorkommend den Schlag, und eine schlanke, schwarzhaarige Frau stieg aus. Sie war atemberaubend schön und trug einen dunklen Mantel, der an einigen Stellen verschmutzt und eingerissen war. Ihr Gesicht wurde von hoch angesetzten Wangenknochen beherrscht. Unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Trotz ihrer Schönheit machte sie einen erschöpften Eindruck.
Nach ihr verließ ein Mann den Wagen. Er war schlaksig und trug sein schwarzes Haar ebenfalls nackenlang, aber seine scharf geschnittenen Züge hatten nichts Anmutiges. Ein hässlicher, an beiden Enden nach unten gezwirbelter Schnauzbart verunstaltete das Gesicht. Die stechend blickenden Augen verliehen ihm etwas Dämonisches.
»Das ist für Sie«, sagte er und nahm einige Scheine aus seinem Portemonnaie. »Behalten Sie den Rest.«
Der Fahrer bedankte sich und holte das Gepäck der beiden aus dem Kofferraum. Dorian Hunter wartete, bis das Taxi abgefahren war, dann betrat er zusammen mit Coco Zamis das Hotel. Ein Page nahm ihnen die Koffer ab. Dorian ließ Coco, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, in einem der großzügigen Foyersessel zurück und ging zur Rezeption. Als er seinen Namen nannte, nickte der Portier und übergab ihm einen Schlüssel.
»Nummer 13. Ein Doppelzimmer im ersten Stock. Es wurde vor einer Stunde auf Ihren Namen reserviert.«
Dorian bedankte sich und kehrte zu Coco zurück. Der Page trug bereits die Koffer zum Lift.
Zimmer 13 – Olivaros Scherze kamen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Dorian half Coco auf und legte sich ihren Arm um die Schultern.
»Mr. Hunter?«
»Ja?«
Der Portier hatte die Rezeption verlassen und war Dorian gefolgt. Die Augen quollen ihm fast aus dem Kopf, als er Coco von oben bis unten musterte. Trotz ihrer schlechten Verfassung konnte sie immer noch jedem Mann den Kopf verdrehen.
»Mr. Olivaro hat sich für 10 Uhr 15 angemeldet. Er wird zu Ihnen aufs Zimmer kommen.« Er blickte noch einmal sorgenvoll zu Coco. »Soll ich vielleicht einen Arzt rufen lassen, Miss Zamis?«
»Das ist nicht nötig. Vielen Dank«, sagte Dorian.
Der Portier zögerte, woraufhin Coco ihn mit der letzten ihr zur Verfügung stehenden Kraft hypnotisierte. Seine Gestalt straffte sich, und er eilte zurück an seinen Platz.
Als sie das Zimmer betreten hatten, ließ Coco sich keuchend auf das Bett fallen. Sie hielt die Augen geschlossen und verschwendete keinen Blick an die luxuriöse Ausstattung des Raumes. Dorian hatte sich an den Massivholztisch gesetzt und sah ungeduldig auf die Uhr. Es war zehn Minuten nach zehn. Immer wieder glitt sein Blick sorgenvoll zu Coco, die sich in die hellblaue Seidendecke gekuschelt hatte. Dieses Treffen passte ihm überhaupt nicht. Am liebsten wäre er mit der nächsten Maschine zurück nach London geflogen. In der Jugendstilvilla hoffte er in seiner magischen Reliquien- und Schriftensammlung ein Mittel zu finden, mit dem er Coco von dem Vampirkeim heilen konnte. Drei Tage nach dem Biss, den sie auf der Burg der Vampirin Rebecca von einem untoten Blutsauger erhalten hatte, befand sie sich in einem steten Zustand der Dämmerung. Sie konnte weder wachen noch schlafen.
Dorian schrak zusammen, als es an der Tür klopfte. Olivaro war drei Minuten zu früh.
»Es freut mich, euch zu sehen«, sagte der Januskopf und trat ein. Er trug einen beigen Anzug und in der Hand einen ledernen Dokumentenkoffer, den er mit einer abrupten Bewegung auf dem Tisch absetzte.
»Kann ich nicht behaupten. Warum dieses Treffen, Olivaro? Coco geht es nicht gut, wie du siehst. Sie ist von einem Vampir gebissen worden. Wir müssen so schnell wie möglich nach London zurück.«
»London ist weit«, sagte Olivaro ruhig. Er war klein gewachsen und besaß ein Allerweltsgesicht. Niemand vermutete in ihm eines der mächtigsten magischen Geschöpfe, die diese Welt je gesehen hatte. Er stammte von der Januswelt Malkuth und befand sich seit über tausend Jahren auf der Erde. Daher verfügte er über ein immenses Wissen, was Dorians Gegner, die Schwarze Familie der Dämonen, betraf. »Vielleicht ist es möglich, Coco schon hier in Bukarest zu helfen.«
»Du weißt von ihrer Verletzung?«
»Ich habe über Umwege davon erfahren.« Olivaros Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Quelle nicht verraten würde. »Zuerst einmal werde ich ihr ein Mittel zur Kreislaufstabilisierung geben. Dann muss sie auf schnellstem Wege zu einem Arzt.«
»Coco kann kein Arzt der Welt helfen!«, sagte Dorian ungeduldig.
»Es gibt in der Stadt einen Heilpraktiker. Sein Name ist Julius Grimmorius. Er verfolgt alternative Heilungsmethoden und steht in engem Kontakt zur Schwarzen Familie. Er wird einen Weg finden, den Keim zu beseitigen.«
»Ein Handlanger der Dämonen – niemals!«
»Er ist mir einen Gefallen schuldig«, sagte Olivaro. »Grimmorius weiß, dass ich ihn in der Hand habe, deshalb wird er keine Schwierigkeiten machen. Er ist ein Experte auf dem Gebiet der Theriakbehandlung. Theriak ist das einzige Mittel, das Coco jetzt noch helfen kann.«
Dorian wollte zu einer Erwiderung ansetzen, aber Olivaro winkte ab und öffnete seinen Koffer. Er nahm eine Spritze heraus, deren Inhalt er Coco verabreichte. Dorian wollte lieber nicht wissen, worum es sich bei der Flüssigkeit handelte.
»Es dauert einige Minuten, bis die Wirkung einsetzt. Coco wird in einen tiefen Schlaf fallen. In dieser Zeit kannst du sie zur Praxis bringen.«
»Das Theriak wird sie süchtig machen.«
»Es gibt genügend Gegenmittel.« Olivaro blickte ihn ernst an. »Es gibt keine andere Möglichkeit. Andernfalls ist ihr Leben verwirkt.« Er setzte sich auf einen Stuhl. »Und nun würde es mich interessieren zu erfahren, was ihr in Siebenbürgen erlebt habt.«
Dorian begann von ihren Erlebnissen auf der Vampirburg zu berichten. Dabei blickte er ständig zu Coco hinüber, die bereits eingeschlafen war.
»Rebecca ist tot. Sie starb zusammen mit dem letzten ihrer Diener. Coco wird ihr Tod sehr nahe gegangen sein, genauso wie ihre vorherige Wiederauferstehung, aber wenn du mich fragst, ist es nur gut, dass sie endlich erledigt ist. Sie führte von Anfang an nichts Gutes im Schilde. Ihre Diener fielen über die Menschen in Tirgostevi her und verursachten eine Vampirpest. Wichtig aber ist vor allem diese Steintafel, die ich im Keller des Schlosses gefunden habe.« Dorian öffnete seinen Koffer und holte eine buchgroße Steinplatte heraus, auf deren Oberläufe zahllose, scheinbar wirr durcheinanderlaufende Linien eingeritzt waren. »D'Arcy barg sie aus deinem Archiv, bevor er von dem Wächter getötet wurde. Ich habe ihre Botschaft noch nicht vollständig entziffern können.«
Olivaro betrachtete die Platte schweigend. Dorian hätte zu gern gewusst, was jetzt in seinem Kopf vorging. Als Olivaro ihm vor einigen Tagen Informationen über Cocos Aufenthaltsort verschafft hatte, hatte der Dämonenkiller gleich das Gefühl gehabt, dass er damit einen geheimen Zweck verfolgte. Im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass sich im Innern der Vampirburg ein Teil des Archivs befand, das Olivaro einst als Fürst der Finsternis an sich gebracht und dann über die ganze Welt verteilt in sicheren Verstecken untergebracht hatte. Es wäre ihm wohl lieber gewesen, wenn der Wächter seine Aufgabe erfüllt und auch diese Steinplatte vor dem Zugriff der Eindringlinge bewahrt hätte.
»Wenn man sich stark genug auf die Linien konzentriert, erscheint dahinter ein Bild. Gleichzeitig klingt eine Stimme im Kopf des Betrachters auf – ein Gedanke, der aber kaum fassbar ist. Es muss sich um eine magische Botschaft handeln.«
»Was sagt diese Stimme?« Olivaros Stimme klang uninteressiert, als kenne er bereits die Antwort.
»Dass ein Kind den Thron der Finsternis einnehmen wird. Diese Platte birgt eine Prophezeiung über den neuen Fürsten der Finsternis!«
»Das ist nicht mehr als eine Vermutung«, sagte Olivaro verächtlich.
»Soll es etwa ein Zufall sein, dass Martin gerade zu dieser Zeit von Dämonen entführt wurde – jetzt wo die Wahl des neuen Fürsten unmittelbar bevorsteht?«
»Das ist doch absurd. Wie soll Martin – ein kleiner Junge – die Schwarze Familie lenken? Noch dazu, wo er selbst ihr nicht einmal angehört. Du verrennst dich da in etwas, Dorian!«
Der Dämonenkiller blieb stur. »Nach einem mächtigen Erzdämon aus der Vergangenheit wird ein zu früh herangereiftes Kind den Thron besteigen. Das ist unzweideutig! Mit dem Erzdämon ist Luguri gemeint, und als Nachfolger kommt demnach kein anderer als Martin infrage!«
Olivaro schüttelte den Kopf. »Das ist noch lange kein Beweis.«
»Ich muss wissen, woher diese Steinplatte stammt. Wer hat diese magische Botschaft verfasst?«
Der Januskopf zögerte einen Moment, dann gab er sich geschlagen: »Du würdest doch keine Ruhe geben, wie ich dich kenne. Die Platte stammt aus dem 17. Jahrhundert. Es gibt keine genauen Aufzeichnungen über ihren Entstehungsort, aber der Stein und die Art der Bearbeitung deuten darauf hin, dass sie in Südostasien gefertigt wurde, wahrscheinlich auf Java.«
»Im 17. Jahrhundert?«, fragte Dorian ungläubig. »Warum wurde die Nachricht nicht auf Papier verfasst?«
»Der Verfasser wollte offenbar den Eindruck erwecken, dass die Platte wesentlich älteren Datums ist. Eine plumpe Fälschung, wie sich mit den entsprechenden Mitteln leicht beweisen lässt. Sieh endlich ein, dass du einem Hirngespinst aufgesessen bist!«
»Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts – das ist genau die Zeit, in der ich mein siebtes Leben verbracht haben muss. Glaubst du immer noch, dass es sich nur um einen Zufall handelt?«
Olivaro breitete hilflos die Arme auf. »Deine Sturheit ist selbst unter Dämonen gefürchtet. Also habe ich bereits Nachforschungen angestellt. Es gibt einen Mann hier in Bukarest, der dir vielleicht mehr über diese Steinplatte sagen kann. Er nennt sich Krascu, aber sein richtiger Name ist van Vloten.« Olivaro nannte ihm die Adresse. »Am besten wird es sein, du stattest ihm einen Besuch ab, während Coco bei Grimmorius ist.«
Dorians Augen wurden schmal. »Ich habe das Gefühl, du weißt mehr über diese ganze Sache, als du zugeben willst.«
»Nein. Es ist nur so, dass ich nicht glaube, dass Martins Entführung etwas damit zu tun hat. Du bist ganz sicher auf der falschen Spur.«
»Dann sag mir, welche die richtige ist.«
»Tut mir leid, ich kann dir nicht helfen.« Olivaro stand auf und wandte sich zur Tür. »Ich würde dich gern unterstützen, aber es gibt da noch eine andere Sache, die mir sehr am Herzen liegt und der ich unbedingt nachgehen muss. Bring Coco zu Grimmorius! Das ist jetzt das Wichtigste.«
Dorian fand keine Zeit, etwas zu erwidern. Leise schlug die Tür hinter Olivaro ins Schloss.
Das Haus war zweistöckig und besaß eine alte, verwitterte Fassade. Auf einem Emailleschild am Eingang las Dorian in schwarzer Schrift die Bezeichnung Julius Grimmorius, Arzt für alle Leiden, Spezialist und Heilpraktiker, 1. Stock. Die Tür stand offen. Im Treppenhaus brannte eine nackte Glühbirne, und die Kacheln waren an vielen Stellen von den Wänden geplatzt. Alles in allem machte das Haus auf Dorian keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Er legte sich Cocos Arm um die Schultern und stieg mit ihr die Treppe hinauf. Während der Fahrt war sie aus ihrem Schlaf erwacht und in ihren leichten Dämmerzustand zurückgefallen. Die Wirkung von Olivaros Mittel schien bereits nachzulassen.
Eine dicke Sprechstundenhilfe empfing sie an der Anmeldung. Ihr resoluter Blick wurde durch eine große Hornbrille getrübt.
»Wir möchten zu Dr. Grimmorius«, sagte Dorian und stellte sich vor. »Mr. Olivaro hat heute Vormittag für mich angerufen. Das ist Miss Zamis.«
»Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Hunter. Der Doktor wird sie so bald wie möglich untersuchen.«
»Mr. Olivaro hat Ihnen sicherlich gesagt, dass es eilig ist.«
Sie blickte ihn böse an. »Wir haben noch mehr Patienten, Mr. Hunter. Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind.«
Dorian wollte aufbrausen, aber er bemerkte, wie Coco ihn am Arm fasste. Er schluckte seinen Ärger hinunter und betrat mit ihr das Wartezimmer, das fast bis auf den letzten Platz gefüllt war.
Coco setzte sich und lehnte sich erschöpft gegen Dorians Schulter. Dorian wusste, dass er nichts mehr für sie tun konnte. Alles hing von Julius Grimmorius ab. Sie konnten nur hoffen, dass er wirklich so gut war, wie Olivaro sagte.
Ungeduldig sah Dorian auf die Uhr. Er dachte an Krascu. Sofort nachdem Olivaro das Hotel verlassen hatte, hatte er ihn angerufen und ein Treffen arrangiert. Krascu schien ein menschenscheuer Typ zu sein, und nachdem Dorian ihm von seinem Anliegen berichtete, war er nicht bereit, ihm etwas über die Steinplatte zu erzählen. Dorian sprach volle zehn Minuten auf ihn ein; danach verabredeten sie sich für halb eins in Krascus Villa am anderen Ende der Stadt.
Je länger sich die Wartezeit dehnte, desto öfter dachte Dorian an Martin, seinen Sohn – und an Isbrant, den Dämon, der ihn aus der Vampirburg entführt hatte. Dieser Isbrant hatte sich zunächst als Cocos Freund ausgegeben, und es war ihm tatsächlich gelungen, die junge Hexe zu überzeugen. Im Nachhinein war es Dorian klar, dass er sie beeinflusst hatte. Sie hatte Martin in seine Obhut gegeben, und er war mit ihrem Sohn verschwunden. Bis jetzt gab es nicht den geringsten Hinweis auf seinen Aufenthaltsort.
Dorian machte Coco keine Vorwürfe. Nachdem sie der Schwarzen Familie den Rücken gekehrt hatte, waren ihre Fähigkeiten rapide zurückgegangen. Trotzdem musste Isbrant über starke magische Kräfte verfügen, um sie zu beeinflussen.
Um sich abzulenken, griff Dorian nach einer englischsprachigen Zeitung, die auf dem Wartezimmertisch lag. Er blätterte sie flüchtig durch. Im hinteren Teil fand er einen Bericht über einen brutalen Mord in Bukarest. Ein Behinderter war vor seiner Haustür erstochen worden. Dorian las den Artikel durch. Es gab keinen Hinweis, dass die Tat mit der Schwarzen Familie in Zusammenhang zu bringen war. Vielleicht ein politisch motivierter Mord. In der Wohnung war nichts gestohlen worden. Dorian faltete die Zeitung zusammen.
Coco hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Er streichelte sie hin und wieder, und sie lächelte geistesabwesend. Bestimmt machte auch sie sich Sorgen um Martin, selbst in ihrem Zustand. Dorian sah abermals auf die Uhr. Noch eine Stunde bis zu seiner Verabredung mit Krascu.
Endlich öffnete sich die Tür, und die dicke Sprechstundenhilfe erschien im Rahmen. Ihr Blick blieb an Coco und Dorian hängen. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Julius Grimmorius entpuppte sich als ein kleiner, hagerer Mann in mittlerem Alter. Er hatte hässliche, hervorquellende Froschaugen. Dorian fiel sofort der furchtsame Blick auf, mit dem er Coco musterte.
»Setzen Sie sich doch bitte«, sagte Grimmorius mit erzwungener Höflichkeit.
Sie folgten der Aufforderung. Coco überließ Dorian das Sprechen.
»Mr. Olivaro hat Sie uns empfohlen, Doktor. Miss Zamis leidet an einer schleichenden Krankheit. Ich fürchte, Sie sind unsere einzige Hoffnung.«
Grimmorius nickte. »Ich wurde bereits informiert. Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten.« Er räusperte sich verlegen. »Offen gestanden, es ist mir sehr unlieb, dass man Ihnen meine Adresse genannt hat. Sie sind bekannte Gegner der Schwarzen Familie, und ich habe einen Ruf bei meinen Patienten zu verteidigen. Ich bin Olivaro einen Gefallen schuldig. Das ist der einzige Grund, weshalb ich mich um Miss Zamis kümmern werde.« Er betrachtete sie aufmerksam. »Wie ich hörte, ist sie von einem Vampir gebissen worden.«
»So ist es. Ihr Zustand verschlimmert sich ständig.«
»Hat sie Schmerzen?«
Coco schüttelte müde den Kopf.
»Verspürt sie Müdigkeit, Erschöpfung? Hat sie Kopfweh?«
»Was soll das?«, entgegnete Dorian barsch. »Man hat mir gesagt, dass Sie sich in der Sache auskennen würden.«
Grimmorius musterte ihn kalt. »Bitte beantworten Sie nur die Fragen.«
»Meine Kräfte schwinden«, sagte Coco. »Manchmal fühle ich mich einer Ohnmacht nahe.«
»Wann wurden Sie gebissen?«
»Vor drei Tagen. Ein Biss in die Kniekehle.« Sie schob den Mantel zur Seite und drehte das Bein nach innen, sodass Grimmorius die Stelle sehen konnte. Die Haut um die Wunde war blutunterlaufen.
Dorian stellte verärgert fest, dass der Arzt die Verletzung nur beiläufig musterte. Sein Blick wanderte lüstern Cocos Oberschenkel hinauf.
»Haben Sie Fieber oder Halluzinationen, Miss Zamis?«
»Nein.«
Grimmorius deutete auf eine Liege, die an der Fensterseite des Behandlungszimmers stand. »Wenn Sie sich bitte ausziehen und dort niederlegen würden.« Er ging zum Schreibtisch und drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Ich möchte für den Rest des Tages nicht gestört werden. Sie können die anderen Patienten nach Hause schicken.« An Dorian gewandt, fuhr er fort: »Sie können draußen warten, Mr. Hunter. Ich habe jetzt alle Informationen, die ich brauche.«
Coco erhob sich schwerfällig aus dem Stuhl und entkleidete sich. Mit einem Seufzer ließ sie sich auf der Liege nieder.
»Wie lange wird die Behandlung dauern?«, fragte Dorian.
»Vier Stunden, vielleicht auch fünf. Das lässt sich nicht genau sagen. Ich weiß nicht einmal, ob sie erfolgreich sein wird.«
Dorian drückte Coco einen Kuss auf die Stirn. Dann drehte er sich um und blickte Grimmorius fest an. »Ich komme in genau fünf Stunden wieder.«
Coco nahm die Welt um sich herum nur noch verschwommen wahr. Sie hatte versucht, ihre Schwäche nicht offenbar werden zu lassen, aber ohne Dorians Hilfe hätte sie nicht einmal mehr die Stufen zur Praxis herauf geschafft. Jetzt lag sie erschöpft auf der Liege und bekam nur am Rande mit, wie der Dämonenkiller sich von ihr verabschiedete.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der Arzt einen Schrank öffnete und einige Phiolen und Gläser herausnahm, deren Inhalt er sorgsam abwog und zu einem grünlichen Gebräu vermischte. Sicherlich rührte er Theriak an, jene magische Droge, die von den Alchimisten früherer Tage als Universalheilmittel gepriesen worden war. In Wirklichkeit erzeugte diese Substanz eine verhängnisvolle Abhängigkeit, die jeden Menschen nach kurzer Zeit grausamster Entzugserscheinungen zugrunde richtete. Bereits nach der ersten Einnahme war man süchtig und konnte nur mithilfe des Gegenmittels Taxin-Theriak gerettet werden.
Theriak besaß jedoch auch einige positive Wirkungen. So machte es immun gegen viele magische Gifte, unter anderem Vampirbisse.
Sobald Grimmorius mit der Zubereitung des Giftes fertig war, machte er sich an die Herstellung des Gegenmittels. Coco hatte ein ungutes Gefühl. Aber sie war zu schwach, jede seiner Handbewegungen zu kontrollieren.
Sie versuchte, die Augen offen zu halten, aber schließlich wurde der Drang zu schlafen stärker. Sie fiel in einen leichten Schlummer. Sie träumte von den Geschehnissen in Siebenbürgen, die erst wenige Tage zurücklagen. Im matten Schein der Abendsonne erblickte sie die Konturen der mittelalterlichen Trutzburg – die Heimat der Vampirin Rebecca, die sich vor einigen Monaten dort niedergelassen hatte. Rebecca stand oben auf den Zinnen, und ihre langen, schwarzen Haare flatterten im Wind. Neben ihr stand ihr letzter Diener Eric, dem sie in diesem Augenblick einen Pflock ins Herz stieß. Dann stürzten die beiden Gestalten von der Mauer. Der Todesschrei Rebeccas hallte Coco in den Ohren.
Schweißgebadet schlug die Hexe die Augen auf. Genauso hatte es sich abgespielt. Coco spürte keine Trauer, obgleich sie und Rebecca früher einmal gute Freundinnen gewesen waren. Sie war lediglich wütend – wütend auf sich selbst, dass sie sich von Isbrant hatte beeinflussen und auf das Schloss bringen lassen. Es war ihm von Anfang an nur darum gegangen, ihren Sohn zu entführen.
Coco schrak zusammen, als Grimmorius' Schatten über sie fiel. Das Gesicht des hageren Mannes erschien ihr plötzlich riesengroß. Seine Froschaugen glitzerten sie böse an.
»Ich werde Ihnen jetzt das Theriak einflößen. Vorher werde ich Sie auf der Liege festschnallen. Das ist nur zu Ihrer Sicherheit. In zwei, drei Stunden müsste der Vampirkeim vollständig neutralisiert sein. Dann verabreiche ich Ihnen das Gegenmittel, und Ihr Freund Hunter kann Sie unbeschadet wieder mit nach Hause nehmen.«
Sie hatte nur die Hälfte von dem verstanden, was er sagte. Willenlos ließ sie sich angurten. Als er den Becher an ihren Mund hob, öffnete sie bereitwillig die Lippen. Sie schluckte, bis der Becher leer war. Der eigenartige Geschmack des Theriak schien ihre Zunge auszutrocknen. Grimmorius trat von der Liege zurück und stellte den Becher auf den Tisch.
»Sie müssen jetzt schlafen, Miss Zamis. Schließen Sie die Augen, damit das Theriak seine volle Wirkung entfalten kann.«
Eine Zeit lang ereignete sich gar nichts, aber das beunruhigte sie nicht. Dann spürte sie langsam, wie neue Kräfte sie erfüllten. Es war, als ströme frisches Blut durch ihren Körper. Sie bewegte ihre Finger, die eben noch bleischwer gewesen waren. Sie erschienen ihr jetzt federleicht. Als Coco die Augen öffnete, waren die weißen Wände des Behandlungszimmers verschwunden. Sie erblickte seltsame geometrische Gebilde, die in unzähligen Farben aufglühten und sofort wieder verloschen. Aus der Ferne vernahm sie eine Stimme, die ihr etwas zurief. Wahrscheinlich war es Dr. Grimmorius, auch wenn die Stimme sonderbar hell klang, fast wie die eines Kindes. Coco konzentrierte sich ganz auf die Formen und Figuren, die ihr neue Kraft zu geben schienen. Nichts anderes hatte in ihrem Kopf mehr Platz.
Hilfe, Mutter!
Der Schrei drang wie ein Nadelstich in ihr Gehirn.
Hilf mir!
Martin, schoss es ihr durch den Kopf. Das war die Stimme ihres Sohnes! Aber wie kam er hierher, in diesen bizarren Traum? Es musste das Theriak sein, das die latente Verbindung, die zwischen Coco und Martin bestand, für die Dauer eines Augenblicks verstärkt hatte. Coco versuchte, sich zu konzentrieren.
Ich höre dich. Wo bist du, Martin?
Auf einem Schiff. Es ist kalt und feucht. Ich möchte nach Hause, Mutter. Warum kommst du nicht?
Auf einem Schiff … Eine Welle aus gedanklichen Impulsen erreichte ihr Gehirn. Sie sah die Umrisse eines Raumes vor sich. Wände, die von dunklen Holzbrettern verkleidet waren. Durch ein winziges Fenster in der gegenüberliegenden Wand fiel mattes Tageslicht herein. Es reicht kaum aus, die Ecken des winzigen Raumes zu erleuchten.
Wie bist du dort hingekommen? Wo ist Isbrant?
Er ist fort. Aber manchmal kommt er wieder, um mich zu besuchen. Ich mag nicht mehr hier sein, Mutter. Wann kommst du mich holen?
Coco spürte einen schmerzhaften Kloß in ihrer Kehle. Die Leichtigkeit und Beschwingtheit, die sie eben noch empfunden hatte, war verschwunden. Sie versuchte, Martin einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort zu entlocken, aber der Junge war zutiefst verstört. Er konnte keine von Cocos Fragen beantworten. Immer wieder flehte er sie an, ihn endlich aus seinem Gefängnis zu befreien.
Hat man dich eingesperrt, Martin? Sind Fremde dort, die dir Böses wollen?
Sie sah die Umgebung durch Martins Augen. Die Wand mit dem Fenster darin war leicht gekrümmt, wie die Außenwand eines Schiffes.
Es ist alles so dunkel. Isbrant ist fort. Er hat mich allein gelassen. Ich …
Seine Stimme war plötzlich leiser geworden, sodass Coco ihn nicht mehr verstehen konnte. Die Verbindung drohte abzubrechen. Sie nahm all ihre Kraft zusammen, aber es gelang ihr nicht, den Kontakt noch einmal zu verstärken.
Martin, ich brauche einen Namen!, rief sie. Befindet sich das Schiff in einem Hafen?
Hafen … ja … Wie ein kaum wahrnehmbares Wispern drangen die Worte an ihr Ohr. Dann begann das Bild der Kajüte zu verschwimmen. Das Letzte, was sie durch Martins Augen sehen konnte, waren seine zarten Hände, die müde auf der schmutzigen Hose über seinen Oberschenkeln ruhten. Um seine Handgelenke spannten sich rostige Metallschellen, die durch eine schwere Eisenkette miteinander verbunden waren. Cocos Herzschlag setzte für einen Moment aus. Martin war an die Wand gekettet worden!
Das Bild verschwand, und auch der farbige Kosmos mit den seltsamen geometrischen Gebilden darin stürzte von einem Augenblick auf den nächsten in sich zusammen. Coco fand sich plötzlich auf der Liege im Behandlungszimmer wieder, die bösartig leuchtenden Augen von Dr. Grimmorius nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.
»Martin!« Sie bäumte sich auf. Der Theriakrausch verstärkte ihre Kräfte, aber gegen die Gurte kam sie nicht an.
»Nur die Ruhe, Miss Zamis. Die Behandlung ist fast vorüber.«
»Ich hatte Kontakt zu Martin! Ich muss zu ihm. Er ist in Gefahr!«
Der Arzt versuchte sie zu beruhigen. »Sie hatten eine Halluzination. Diese Wahrnehmungsstörungen sind bei der Behandlung durch eine theriakhaltige Substanz völlig normal.«
Coco schüttelte keuchend den Kopf. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Bitte, Grimmorius, geben Sie mir noch eine Dosis Theriak. Ich muss wissen, wo er sich befindet!«
»Das ist die Abhängigkeit, Miss Zamis. Sobald die Wirkung nachlässt, kommen die Entzugserscheinungen. Ich werde Ihnen gleich das Gegenmittel verabreichen.«
Coco warf sich auf der Liege hin und her. Ihr nackter Körper war von Schweißperlen bedeckt.
Grimmorius gab vor, von dem Anblick wenig beeindruckt zu sein, was ihm jedoch nur schlecht gelang. Coco Reaktion irritierte ihn. Starke Entzugserscheinungen waren nicht ungewöhnlich bei Theriaksüchtigen, aber sie kamen nicht so kurz nach der Einnahme des Giftes. Reagierte die Hexe vielleicht allergisch auf eine der anderen magischen Ingredienzien?
Grimmorius ging zum Tisch, um das Gegenmittel zu holen. Coco Zamis stand jetzt bereits seit über zwei Stunden unter dem Einfluss der Theriaksubstanz. Das war eigentlich ausreichend, um sie von dem Vampirgift zu befreien. Dennoch zeichnete sich ab, dass die Behandlung noch nicht zu Ende war. Die Hexe stellte einen Sonderfall dar, der alle bisherigen Erfahrungen in den Schatten stellte.
Grimmorius rieb sich die Hände. Als er mit dem Gegenmittel in der Hand zur Liege zurückkehrte, verzog er die Lippen zu einem Grinsen. Die Schreie der Hexe waren noch lauter, noch quälender geworden. Es war eine gute Entscheidung gewesen, die Praxis für den Nachmittag zu schließen.
Nachdem Dorian die Praxis verlassen hatte, war er in einen Bus gestiegen und in den Stadtteil gefahren, in dem sich Krascus Adresse befand. Je länger die Fahrt dauerte, desto ärmer und heruntergekommener erschienen die Häuser zu beiden Seiten. Die Räder des Busses rumpelten über Schlaglöcher und Kopfsteinpflaster, und an den wenigsten Kreuzungen gab es Ampeln. Schließlich erreichten sie einen Kreisverkehr, der jedoch nur dem Namen nach einer war. Autos, Radfahrer und die immer noch zahlreichen Eselskarren bewegten sich kreuz und quer über den Platz, sodass man Angst um die Menschen bekommen musste, die darauf saßen.
Die Fahrt endete an einem Vorortmarktplatz, auf dem Händler an zahlreichen Tischen ihre Waren anboten. Als Dorian ausstieg, wurde er von zwei Jugendlichen bedrängt, die ihm einen Reisigbesen verkaufen wollten. Er drückte ihnen ein paar Lei in die Hand und fragte nach der Straße, in der van Vloten wohnte. Sie beschrieben ihm den Weg.
Dorian bedankte sich und ging zügig weiter. Er zündete sich eine Zigarette an. Für die Stände auf dem Marktplatz hatte er keinen Blick. Ein Händler mit einem Bauchladen drängte sich ihm in den Weg und versuchte ihm einige Glücksbringer zu verkaufen. Darunter waren auch mehrere angeblich magische Steine, die er in Wirklichkeit gerade vom Wegesrand aufgelesen haben mochte. Dorian schob sich an ihm vorüber und eilte weiter.
Fünf Minuten später hatte er die Villa erreicht. Sie befand sich in einem der früheren Edelviertel, deren Häuser und Grundstücke im Laufe der letzten Jahrzehnte entweder verrottet waren oder dem Modernisierungswahn des sozialistischen Regimes hatten weichen müssen. Ganze Teile der Innenstadt von Bukarest waren in den achtziger Jahren abgerissen und durch repräsentative Regierungsgebäude ersetzt worden.
Das Grundstück, auf dem Krascu wohnte, wirkte vernachlässigt. Der Rasen war ungepflegt, Unkraut wucherte zwischen mannshohen Sträuchern und Bäumen. Dorian öffnete die Gartenpforte, die protestierend quietschte. Ein moosüberwucherter Plattenweg führte zum Eingangsportal der Villa. Die Fassade war von Rissen durchzogen, hier und da blätterte Farbe ab. Obgleich es ein düsterer, wolkenverhangener Tag war, brannte kein Licht hinter den Fenstern.
Dorian fand ein altes, verwittertes Namensschild, jedoch keine Klingel. Er hob die Hand, um anzuklopfen – und stellte überrascht fest, dass die Tür nur angelehnt war. Ein sanfter Druck genügte, um das Türblatt knarrend nach innen schwingen zu lassen.
Dorian nahm die Kette mit der magischen Gemme vom Hals. Der Halbedelstein hatte sich leicht erwärmt. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass sich Krascu oder ein anderer Dämon in der Nähe befand. Vorsichtig trat Dorian ein. Es war kein Laut zu hören.
Ihm wurde klar, dass er so gut wie nichts über Krascu wusste. Olivaro hatte ihm weder etwas über seine Vergangenheit noch über seine Lebensverhältnisse verraten können.
Je weiter er in das Gebäude eindrang, desto muffiger wurde die Luft. Es roch nach Speiseabfällen und nach Schimmel, wie in einem feuchten Keller. Schummriges Licht erhellte einen Korridor mit brüchigen, vergilbten Tapeten an den Wänden. Dorian erblickte eine alte Kommode und einen von einem wurmstichigen Rahmen umgebenen Spiegel, der in Brusthöhe an der Wand hing. Im Hintergrund schälte sich die Silhouette einer steil angelegten Treppe aus dem Dunkel. Neben dem Treppenabsatz befanden sich zwei Türen.
Dorians Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Er fühlte, dass etwas nicht stimmte. War Krascu etwas zugestoßen? Er öffnete die linke der beiden Türen und fand sich in einem zweiten Flur wieder, einem schmalen, lang gestreckten Gang, von dem weitere Türen abgingen. Die meisten von ihnen waren geschlossen. Einen Lichtschalter suchte Dorian vergebens.
Er hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, nicht allein zu sein. Das Gemäuer strahlte etwas Bedrohliches aus; die Schatten in den Zimmerecken und Mauerritzen schienen ein Eigenleben zu besitzen und jedem Besucher auf Schritt und Tritt zu folgen. Aber es waren nicht die Mauersteine, die sich, sobald Dorian den Korridor betreten hatte, links von ihm aus dem Schatten des Türblatts lösten: Es waren zwei Arme, die sich blitzschnell wie ein eiserner Ring um seinen Brustkorb schlossen.
Dorian bekam keine Gelegenheit, einen Blick ins Gesicht seines Gegners zu werfen. Mit aller Kraft versuchte er den Griff zu sprengen. Das Ringen dauerte nur Sekunden, aber es erschien Dorian wie eine Ewigkeit. Er warf sich herum und stand mit dem Gesicht zur Tür. Darauf schien der andere gewartet zu haben, denn er ließ den Dämonenkiller los und sprang zur Seite. Dorian war so perplex, dass er eine Sekunde lang wie angewurzelt dastand. Zu spät bemerkte er den Schatten, der vor ihm aufwuchs. Ein dumpfer Schlag traf seine Stirn, und er ging bewusstlos zu Boden.
Zur gleichen Zeit,
über zweitausend Meilen weiter nordwestlich
Die Insel lag zwanzig Kilometer vor dem Golf von Morbihan vor der bretonischen Küste. Sie war nur wenige Quadratkilometer groß und fast in ihrer gesamten Fläche von zerklüfteten Felsen bedeckt. Nur im westlichen Teil fanden sich einige Ölbäume zwischen hohem Schilf, die auf dem sumpfig-feuchten Untergrund nahe dem Wasser gediehen.
Im Zentrum der Insel ragte ein erdiger Hügel aus der kärglichen, von wenigen Buschgruppen durchsetzten Landschaft auf. Er war von einem unterirdischen Korridor durchzogen, dessen brusthoher Eingang sich an der Südseite des Hügels fand. Vor dem Eingang standen drei Gestalten, zwei Männer und eine Frau, die in Schweigen versunken waren. Sie waren erst vor wenigen Sekunden wie aus dem Nichts an diesem Ort aufgetaucht. Die Frau, deren schwarzes, langes Haar im Wind flatterte, blickte sich neugierig um.
»Wir sind am Ziel«, sagte der ältere der beiden Männer mit fisteliger Stimme. Seine Gestalt war hager, und um seinen Körper hatte er eine altmodische, beigefarbene Toga geschlungen. Eine starke magische Ausstrahlung ging von ihm aus. Langsam trat er auf den Eingang der Höhle zu.
»Am Ziel?«, echote die schwarzhaarige Frau, die von einem unbeteiligten Beobachter auf etwa dreißig Jahre geschätzt worden wäre. Dennoch fand sich in ihrem Gebaren eine gewisse Naivität und Verspieltheit wieder, die ganz im Gegensatz zu ihren ernsten, fast edlen Gesichtszügen stand.
Der Alte erklärte feierlich: »Dies ist die Paradiesinsel – der Ort, an dem du deine Ausbildung zum Abschluss bringen wirst, Larissa. Danach wirst du vollkommen sein und wie geschaffen für die Aufgabe, die ich dir zugedacht habe.«
»Welche Aufgabe?«
Er ging nicht darauf ein. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Jong wird hier warten, bis wir zurück sind.«
Der zweite Mann, nicht minder alt und hässlich, aber von einer schwächeren Aura umgeben, nickte gehorsam. Mit unbewegter Miene sah er zu, wie Larissa und Zakum die Höhle betraten.
Larissa rümpfte sofort die Nase über den unheimlichen Gestank, der den Stollen erfüllte. »Pfui Teufel, was haben wir hier zu suchen, Zakum?«
Der Alte lächelte boshaft und deutete mit seinen spinnendürren Fingern nach vorn. »Dort liegt der Schlüssel begraben. Es hat mich Monate der Anstrengung gekostet, diesen Augenblick vorzubereiten.«
Sie gelangten an eine Steintreppe, die über mehrere Stufen in die Tiefe führte. An ihrem Absatz erstreckte sich ein fünfzehn Quadratmeter großer Raum, dessen Wände und Decke aus fugenlos aneinandergereihten Langsteinen bestand. An der Rückwand befand sich ein faustgroßes Loch, das früher, als der Dolmen noch nicht von einem Erdhügel umschlossen war, einmal ein Ausguck gewesen sein mochte. In der Mitte des Raumes stand ein steinerner Tisch, auf dem zwei Leichen aufgebahrt waren. Es gab keine Lichtquelle, und doch war der Raum von einem diffusen Leuchten erfüllt. Larissa trat an den Tisch heran. Eine der Leichen war eine Frau. Der Körper war fast bis zur Unkenntlichkeit verschmort. Der andere Leib war von einem dichten Fell überzogen. Obwohl seine Gliedmaßen menschlich waren, hatte er etwas Wölfisches an sich.
»Zwei einstmals bedeutende Gestalten der Schwarzen Familie.« Zakums Stimme hallte schaurig von den Innenwänden der Kammer wider. »Der Dämon auf deiner Seite der Bahre ist der Erzdämon Luguri, der ehemalige Herrscher der Schwarzen Familie. Er verlor sein Leben im Kampf gegen die Vampirin Rebecca. Die Frau an seiner Seite ist Angelina. Sie war Luguris Mätresse und fand den Tod im Kampf gegen den Schemen Nathaniel – deinen Vater.« Er fasste Larissa bei diesen Worten ins Auge und verzog enttäuscht das Gesicht, als sie keine Anzeichen einer Regung zeigte.
Larissa fuhr mit den Fingern sanft über das verkohlte Antlitz Angelinas. Insgeheim fühlte sie mehr als nur bloße Wut. Nicht wegen ihres Vaters, den sie nie kennengelernt hatte, sondern weil mit seinem Tod die letzte Verbindung zur Schemenwelt, zu ihrem Zuhause, abgerissen war. Von Nathaniel hätte sie erfahren können, warum sie sich in der Welt der Menschen genauso wie unter den Dämonen heimatlos fühlte.
Sie hielt inne, als sie mit den Fingern über den Mund des Leichnams strich. »Dieser Körper ist nicht tot.«
Zakum rieb sich die Hände. »Sehr gut. Du hast mich nicht enttäuscht, Larissa. Unter Jongs Fittichen hast du es zu einer großen Magierin gebracht. Du wirst eine großartige Fürstin der Finsternis werden.«
Sie blickte auf. »Ist es das, was du mit mir vorhast? Ich soll das Oberhaupt aller Dämonen werden?«
Er nickte. »Nun, bis dahin sind noch einige Schwierigkeiten zu meistern. Zwei davon liegen vor dir. Du wirst die magische Energie dieser Körper in dich aufnehmen und damit noch stärker werden.«
Larissa gab sich unbeeindruckt. Es machte sie nicht froh, von Zakum für eine solche Aufgabe auserwählt zu sein. Er war der Lordkanzler der Schwarzen Familie und zur Zeit ihre wichtigste Persönlichkeit. Warum machte er sich nicht selbst zum Fürsten?
Er musste einen Hintergedanken verfolgen, wenn er ihr den Posten zuschanzen wollte.
»Es ist nicht mehr viel Magie in diesen Körpern«, stellte sie vorwurfsvoll fest. »Bist du sicher, dass es mir helfen kann, ihre Kräfte in mich aufzunehmen?«
»Gewiss. Ihre Geister bergen das Wissen vieler Jahre. Du wirst es übernehmen und von da an mehr über die Schwarze Familie wissen als jeder andere Dämon.«
Außer dir natürlich, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Ich werde dich jetzt allein lassen. Sieh es als deine letzte Prüfung an. Du bist ein Schemen, denke immer daran.«
»Du weißt über unsere Rasse Bescheid?«, fragte sie überrascht.
»Natürlich. Aber es ist jetzt nicht an der Zeit, darüber zu sprechen. Ich gebe dir eine halbe Stunde. Jong wird draußen am Eingang auf dich warten.«
Als seine Schritte verhallt waren, blickte Larissa in das wölfische Gesicht des Erzdämons. Hoffentlich färbt deine Dummheit nicht auf mich ab, dachte sie sarkastisch. Gerüchten zufolge war Luguri nicht gerade mit Intelligenz gesegnet gewesen. Er hatte sich trotz seiner enormen Macht nicht lange auf dem Thron halten können. Von Jong hatte sie alles über die damaligen Machtkämpfe erfahren. Und Zakum hoffte allen Ernstes, dass er sie mit der Aussicht auf noch mehr Macht gefügig machen konnte. Er kann sich sein pathetisches Geschwätz sparen. Das funktioniert vielleicht bei einem Dämon, nicht aber bei einem Schemen.
Sie wollte nur eines: zurück in die Heimat ihrer Vorfahren. Nur deshalb würde sie Zakums Willen erfüllen.
Als Dorian wieder zu Bewusstsein kam, hatte er entsetzliche Kopfschmerzen. Man hatte ihn mit den Händen an die Lehne eines rustikalen Holzstuhls gefesselt. Direkt vor sich erblickte er einen Schreibtisch, auf dem eine grelle Lampe stand, die ihm ins Gesicht leuchtete. Geblendet kniff er die Augen zusammen.
Es herrschte Totenstille. Er versuchte, einen Teil der Umgebung zu erkennen, aber der Rest des Zimmers war in tiefe Finsternis gehüllt. Nicht einmal ein Fenster war zu sehen.
Der Schimmelgeruch und die feuchte Luft verrieten, dass er sich noch immer in van Vlotens Villa befand.
»Name?«
Die Stimme schnitt wie eine Schere durch die erdrückende Stille. Jemand saß hinter dem Schreibtisch und beobachtete ihn. Vorsichtig prüfte der Dämonenkiller den Sitz seiner Fesseln. Sie waren fest angezogen, aber die Riemen waren dehnbar. Mit etwas Glück würde es ihm vielleicht gelingen, sich zu befreien.
»Ihr Name!«, wiederholte die Stimme.
Der Schlag kam aus dem Nichts. Die Faust traf Dorians Schläfe, genau an der Stelle, die noch immer schmerzhaft pulsierte. Er fühlte die Erschütterung wie eine Erdbebenwelle durch seinen Kopf rollen.