Frey, Ernst: Vietnam, mon amour. Ein Wiener Jude im Dienst von Hô Chi Minh /Hg. von Doris Sottopietra / Ernst Frey
Wien: Czernin Verlag 2013
ISBN: 978-3-7076-0440-5
© 2013 Czernin Verlags GmbH, Wien
ISBN E-book: 978-3-7076-0440-5
ISBN Print: 978-3-7076-0439-9
Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe
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Inhalt
Vorwort
Prolog
Wie alles begann
Die Erbschaft
Eine Jugend in Aufruhr
Unser Kampf gegen den Nationalsozialismus
Der Abschied
Der lange Weg ins Exil
Zwischenstation Paris
»Die Legion ist unser Vaterland«
Neue Heimat Indochina
In japanischer Kriegsgefangenschaft
Die Demokratische Republik Vietnam
Der Kampf um die Unabhängigkeit
Gefechte am Pass von An Khê
Oberst Nguyên Dân
Der 19. Dezember 1946
Der Krieg geht weiter
Im Fegefeuer
Ein ruhmloser Abschied
Nachwort
Namensindex
Vorwort
Als ich das erste Mal vom Manuskript Ernst Freys hörte, wusste ich nicht viel mehr, als dass es sich dabei um die Geschichte eines Überlebenden der NS-Verfolgungen handelte. Als ich es dann schließlich in den Händen hielt, war ich doch sehr erstaunt. Aus mehreren Gründen: Die Vorlage bestand aus drei Bänden mit über 1.200 eng beschriebenen Seiten. Die Erzählung selbst war in eine Rahmenhandlung eingebaut, was dem Ganzen den Charakter eines teils fiktiven, teils autobiographischen Romans verleihen sollte. Auch die Namen mancher Personen waren verfälscht, sicherlich deshalb, weil zu der Zeit, als der Autor die Arbeit an seinem Manuskript beendete, viele von ihnen noch lebten. Damit versuchte Ernst Frey wohl zu vermeiden, dass sich die Auseinandersetzung, die eine Veröffentlichung seines Buches Mitte der siebziger Jahre hervorgerufen hätte, auf einzelne Personen reduzierte.
Dem Autor ging es ums Ganze, um die Geschichte an sich. Das war die zweite Erkenntnis, zu der ich nach Durchsicht des Manuskripts gelangte. Die minutiöse Darstellung gewisser Ereignisse, die detaillierte Beschreibung von Gegebenheiten, Schauplätzen und Situationen waren nicht geeignet, das Publikum zu »fesseln«, doch sie waren geeignet, den Nachkommen – in diesem Fall vor allem den Töchtern – ein überaus ereignisreiches Leben nahezubringen. Im Vordergrund standen dabei die Erlebnisse und Empfindungen des Autors, den Hintergrund bildete die Weltgeschichte.
Eine Kurzfassung dieser Lebensgeschichte würde lauten: Ernst Frey, zeit seines Lebens nicht nur eine Kämpfernatur, sondern auch ein Suchender, war Zeuge der mörderischen dreißiger Jahre in Österreich, war als Jude und Kommunist doppelt stigmatisiert, wurde einige Male eingesperrt und konnte schließlich 1938 vor den Nazis flüchten. Über Umwege gelangte er nach Vietnam, wo er sich dem Viêt Minh anschloss und für die Unabhängigkeit des Landes kämpfte.
Diese wenigen Zeilen zeigen bereits die Fülle des Erlebten – und damit auch das Problem, das sich mir stellte: Um wie viele Geschichten handelte es sich hier eigentlich? Die Erlebnisse in Österreich, der politische Widerstand gegen das austrofaschistische Regime, das Erstarken der Nazis und schließlich die Flucht – das alles bot genug Stoff für ein eigenes Buch. Doch es ging weiter, es folgten unglaubliche und faszinierende Erzählungen vom Leben im ehemaligen Indochina, von der japanischen Kriegsgefangenschaft, dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Entschluss, sich dem Kampf der Vietnamesen für die Freiheit des Landes anzuschließen – auch das ausreichend Material für ein eigenes Werk. Es waren also nicht nur zwei eigenständige Bücher, die hier vorlagen, es waren, so schien es anfangs auch, zwei Erzählungen, die sich nur schwer vereinen ließen. Trotzdem: Schlussendlich war es ein Leben, und das gab den Ausschlag dafür, die Geschichte in ihrer Gesamtheit darzustellen.
Um dies in einem adäquaten und gleichwohl spannungsreichen Rahmen bewerkstelligen zu können, wurden viele Beschreibungen und Analysen, die der Autor über seine Zeit lieferte, nur zum Teil übernommen, wie auch die ausführlichen Darstellungen der weltpolitischen Ereignisse in den dreißiger bis fünfziger Jahren zu einem guten Teil vorausgesetzt werden müssen. Weiters wurden die Namen aller im Manuskript erwähnten Personen rekonstruiert, was dem vorliegenden Buch das Flair von Fiktion nimmt; mit anderen Worten: »Vietnam, mon amour« ist die Autobiographie des Österreichers Ernst Frey.
Es sind die »großen Geschichten«, die faszinieren und verzaubern, und es sind die »kleinen Ereignisse«, die weh tun. Wenn Ernst Frey erzählt, dass er, irgendwo im vietnamesischen Dschungel in japanischer Kriegsgefangenschaft, an den Brief der Eltern denkt, die in Wien eifrig Italienisch lernen, um in Abessinien Fuß fassen zu können, dann schmerzt das. Viele Menschen haben die nationalsozialistische Herrschaft nur unter abenteuerlichsten Umständen überlebt, andere wiederum, tausende und abertausende, wurden grausam ermordet. Ein Abessinien gab es nicht. Das ist ein Teil der Lebensgeschichte der Überlebenden des Nationalsozialismus, und es ist auch ein Teil der jüngeren österreichischen Geschichte.
Doris Sottopietra
Wien, im Januar 2001
Wie alles begann
Frey im Alter von drei Jahren, 1918
Begonnen hatte alles, als ich drei Jahre alt war. Ich lebte mit Mama in einer kleinen, düsteren Wohnung. Die jungen Männer waren im Krieg, auch mein Vater, und ich war froh darüber. Ich brauchte keinen Vater, mir genügte Mama.
Wenn meine Mutter arbeiten ging, musste ich bei Toni, dem Dienstmädchen, bleiben. Toni ging aber nicht mit mir im Park spazieren, sondern traf sich mit einem fremden Mann. Und während sie sich mit ihm in unserer Wohnung einsperrte, musste ich zum Fenster gehen und durfte mich nicht rühren. Tat ich es doch, schlug sie mich. Zwar nicht so hart, dass man Spuren sah, aber doch so fest, dass es weh tat.
Irgendwann bemerkte ich, dass meine Mutter von Tag zu Tag dicker und unruhiger wurde. Sie sagte mir, dass ich bald ein Schwesterchen oder Brüderchen haben würde. Hatte dieses Brüderchen – ich wollte nur einen Bruder – einen Papa? Ja, genau den gleichen wie ich, erklärte mir Mama. Unfassbar, wo ich dieses Wesen doch gar nicht kannte! Mama meinte aber, dass ich meinen Vater schon gesehen hätte, damals, als er auf Fronturlaub bei uns war. »Du kannst dich eben nicht erinnern, weil du noch zu klein warst«, sagte Mama. Wie groß musste man sein, um sich erinnern zu können?
Ernst Frey mit seiner Mutter Irma und seiner Schwester Trude, 1919
Dann, eines Tages, war mein Vater da. Mama umarmte ihn, weinte, lachte und küsste ihn. Der Krieg war vorbei, und meine Welt stürzte ein, eine Welt, in der für immer Krieg war, damit der Vater nicht zu Hause störte und die Mutter in Beschlag nehmen konnte. Mama sah mich mit einem herzerweichenden Blick an und sagte zu dem großen fremden Mann: »Er wird sich schon an dich gewöhnen, alles braucht seine Zeit.«
Kurze Zeit später zogen wir um, in einen grüneren und nobleren Stadtteil von Wien. Mama und Papa freuten sich über die neue Wohnung und hörten nicht auf, die Vorteile zu rühmen. Auch meine kleine Schwester Trude fühlte sich dort wohl und machte bald ihre ersten Schritte. Ich aber vermisste mein altes Zuhause, die Aussicht vom Fenster auf den Klosterhof, die ich dank Toni so oft genossen hatte, und die Clementinerinnen, die manchmal geisterähnlich in ihren langen, schwarzen Gewändern im Hof aufgetaucht waren, um dann plötzlich wieder zu verschwinden.
Dieser Vater war nun für immer bei uns. Das war schlimm, vor allem, wenn er sonntags mit mir spazierengehen wollte. Ich trottete dann an seiner Hand dahin und musste Sprechübungen machen. Bei den Zischlauten stieß ich mit der Zunge an, und das passte dem »Stinkeriesen«, wie ich ihn insgeheim nannte, gar nicht. Hundertmal ließ er mich das Wort »Ziege« üben: »Sag Ziege, Ziege mit Z, so wie ich’s dir vormache.« »Tssiege«, wiederholte ich. Ich wusste genau, wie man es richtig aussprach, aber ich wollte nicht. Ich hasste diese Sonntagsspaziergänge.
Eines Tages beschloss mein Vater, mit mir auf den Kahlenberg zu wandern. Von Grinzing aus stiegen wir immer höher, durch Weinberge, Wiesen und Wälder. Weit unter uns lag die Stadt, die Häuser waren so klein wie Zündholzschachteln. Wäre der Stinkeriese nicht an meiner Seite gewesen, hätte ich versucht, einen Schmetterling mit der Hand zu fangen. So aber musste ich wieder einmal »Ziege« sagen, weil so ein blödes Vieh an einem Strick angebunden war. »Tssiege« – die Stimmung war dahin, und nicht einmal das knallrote, sacharingesüßte Kracherl, das mein Vater mir im Gasthaus bestellte, konnte daran etwas ändern.
Dann kam der Abstieg. Er ging voran und ich stapfte zwischen Baumstümpfen und Gras hinter ihm her. Ich hatte Angst, ihn aus den Augen zu verlieren, während sich meine Schuhe mehr und mehr mit Steinchen und Sand füllten. Um mich herum waren alle möglichen Käfer und unbekanntes Getier, das mich zwickte, und ein Ameisenhaufen, in den ich aus Versehen getreten war. Aber der Mann drehte sich nicht um, sondern ging einfach weiter. Da stand ich, einsam und verlassen, Tränen kullerten mir über Hemd und Lederhose, und plötzlich flog ich durch die Luft und landete auf den Schultern des Riesen. Ich klammerte mich an seinen Hals und berührte auch seine Wangen, die ich sonst nicht mochte, weil sie so viele stachlige Barthaare hatten. Meine Tränen versiegten, und auch der Tabakgeruch, der von dem Mann ausging, störte mich nicht mehr. Er sagte kein Wort, brachte mich aber sicher ins Tal. Unten angekommen suchte ich einen Ausweg und fand ihn schließlich auch. »Ziege«, sagte ich laut und vernehmlich, und der Mann gab mir einen Kuss. Von da an war er nicht mehr nur irgendein Mann, sondern mein Vater.
Vater Eugen Frey, Soldat der ungarischen Landwehr, 1916/17
Als ich sechs Jahre alt war, bekam die Welt wieder einen Riss. Ich lag vor unserem Hausarzt, Dr. Lederer, der mein Glied untersuchte. Er schüttelte den Kopf, machte einige Male »Tsss, tsss, tsss« und zog sich mit meiner Mutter zurück. Was sie beredeten, konnte ich nicht verstehen, doch abends kam mein Vater zu mir und erklärte mir, dass ich operiert werden müsste. An die Operation kann ich mich nicht mehr erinnern, nur daran, dass ich, als ich langsam aus der Narkose erwachte, in einem großen weißen Bett lag. Dr. Lederer war sehr zufrieden mit mir: »Ich hab’ das so gemacht, dass er doch kein Jud’ ist!«, erklärte er meiner Mutter. Damals wusste ich noch nicht, was er damit meinte, aber 18 Jahre später stand ich in St. Gallen vor einem Rebbe, der sich das gute Stück ansah, den Kopf schüttelte und, wie viele Jahre zuvor Dr. Lederer, meinte: »Tsss, Tsss, Tsss. Ich lass’ es durchgehen, aber rituelle Beschneidung war duus kaane!«
Dieses »Tsss, Tsss, Tsss« des Arztes hatte mich neugierig gemacht. Was war das, ein Jude? Mama wich meinen Fragen so lange aus, bis ich das Gefühl hatte, dass es etwas ganz Schlimmes sein musste. Wie selten sich Kinder täuschen! Ich kam dahinter, dass meine beiden Freundinnen, die im gleichen Haus im ersten Stock wohnten, auch jüdisch waren, und ich beschloss sie zu fragen. Aber, was mir im Leben noch öfter passieren sollte, ich verpasste den richtigen Zeitpunkt. Am Samstag, unserem Spieltag, stand ich allein in der Gartenecke, wo wir uns unter meiner Anleitung eine Höhle gegraben hatten. Frieda und Ria kamen nicht, weil sie, wie mir mein Vater erklärte, am Vortag mit einem Kindertransport nach Holland gefahren waren. Dort würden sie bei reichen Pflegeeltern wohnen, wo sie es gut hätten, denn dort herrschte kein Mangel. Mangel, das war, wenn man nicht genug zu essen hatte und nur wenig anzuziehen, also fast so wie bei uns. Wir gehörten allerdings zu den so genannten »reicheren« Leuten, denn wir konnten uns die Lebensmittel und Kleidung noch selbst kaufen. Ich war zwar der Meinung, dass meine Freundinnen nach Holland gefahren waren, weil sie Juden waren, doch mein Vater sagte, das wäre Unsinn. Die Holländer nähmen Kinder aus Österreich, weil sie Gutes tun wollten. Es scherte sie überhaupt nicht, ob das Juden oder Christen wären.
Was war der Unterschied zwischen einem Juden und einem Christen? Es gäbe keinen, behauptete mein Vater. Beides wären Menschen und Religionen, und beide glaubten, die Wahrheit gepachtet zu haben. Beide glaubten an einen Gott, den es nicht gäbe; dass es keinen gab, hatte mir mein Vater schon früher erklärt. War ich also ein Jude? Ja und nein, lautete die Antwort; wenn ich in die Schule käme, würde man es mir genau erklären. Ich war also wieder am Ausgangspunkt.
Um die Schule bzw. um meinen Schulbesuch gab es einige Streitigkeiten. Mama war unbedingt dafür, dass ich eine Privatschule besuchte, damit ich nicht mit dem »Proletengesindel« zusammenkäme. Ich wusste zwar nicht, was eine Privatschule war, beim »Proletengesindel« kannte ich mich aber aus. Das waren die Kinder, die immer dreckig und zerrissen herumliefen, sich balgten und im Dialekt sprachen. Das waren diejenigen, mit denen ich weder reden noch spielen durfte – und die übrigens mit mir gar nicht spielen und reden wollten. Dann und wann, wenn ich mich trotz Verbotes auf die Gasse wagte, riefen sie mir unschöne Worte nach, die ich großteils auch entschlüsseln konnte. Ich stand jedenfalls ganz auf Mamas Seite, Papa war aber dagegen. Doch in der großen Auseinandersetzung siegte meine Mutter.
Die Erklärung, was ein Jude war, kam von Mama. Sie erzählte mir zuerst eine biblische Geschichte, dann hörte ich mit Erstaunen das Abenteuer der Heirat meiner Eltern im Jahre 1913, als Österreich Ernst nicht so klein gewesen war wie jetzt, sondern eine gewaltige Doppelmonarchie. An der Spitze stand ein uralter Kaiser mit weißem Backenbart, den ich gut kannte, denn auf jeder Briefmarke auf den alten Ansichtskarten war er abgebildet, meistens in grün. Dieser grüne Kaiser herrschte damals über Österreich-Ungarn. Meine Mama war in Wien geboren, doch ihre Eltern stammten aus Ungarn, und mein Papa war erst mit sechs Jahren nach Wien gekommen. Damals, so erzählte Mama, konnte er kein Wort Deutsch. Als er im Krieg zur Honved, der ungarischen Landwehr, eingezogen wurde, hatte er seine ungarische Muttersprache völlig verlernt. Für den alten Kaiser Franz Joseph waren meine beiden Eltern Ungarn, und er war nicht ihr Kaiser, sondern ihr König.
Da der alte Kaiser gestorben war und der junge nur für kurze Zeit regiert hatte, war Österreich jetzt eine Republik. Wien war die Hauptstadt dieser Republik, und Ungarn gehörte nicht mehr dazu. Die Eltern waren keine Ungarn mehr, sondern Österreicher, und ich war auch Österreicher, einer mit jüdischem Geburtszeugnis, während meine Eltern konfessionslose Österreicher waren. Sie waren, sobald dies möglich wurde, aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten. Der alte Kaiser, aber auch der junge, hätte das nicht erlaubt, die Republik erlaubte es. Mit 14 Jahren konnte ich dann selbst entscheiden, was ich sein wollte. Dann, so erklärte mir meine Mutter, könnte ich mich für oder gegen das Judentum entscheiden, doch bis dahin wäre die Gesetzeslage eindeutig. Und es war noch ein langer Weg bis zu meinem 14. Geburtstag.
Ich war acht Jahre alt, als wir in die Steiermark auf Sommerfrische fuhren. Mein Vater und ich wollten den Reichenstein besteigen, den höchsten Berg, den ich bis dahin gesehen hatte. Stundenlang, so schien es, wanderten wir über taufeuchte Wiesen und durch würzig riechenden Wald. Es war herrlich, und der Zauber der Natur erfasste uns beide. Es ging flott voran, und bald erreichten wir den Gipfel. Wir hatten es geschafft, wir standen auf dem schneebedeckten Berg, mitten im Sommer. Unter uns, ganz klein, lag der stufenförmige Erzberg, über uns ein tiefblauer klarer Himmel. Gab es etwas Schöneres?
Ein paar Schritte weiter lag das Schutzhaus, und wir freuten uns schon auf ein Bier bzw. eine Limonade und ein Paar Würstel. An der Vorderfront der Hütte hing ein großes Holzschild, umrahmt von Edelweiß, mit der Aufschrift: »Deutscher Alpenverein – Juden und Hunden ist der Eintritt verboten!« Das Gesicht meines Vaters verfinsterte sich. Ich wollte gerne fragen, warum die etwas gegen Hunde und Juden hatten, wagte es aber nicht. Papa sah aus, als würde er jeden Augenblick explodieren. Ich schlug ihm vor, er sollte allein hineingehen, er war ja kein Jude. Er könnte mir ja etwas zu essen und zu trinken mitbringen. »Die machen keinen Unterschied zwischen dir und mir«, sagte er bitter, nahm mich bei der Hand und marschierte zur Tür rein. Wir blieben aber nicht lange, und vor dem Abstieg sah ich mir das Schild noch einmal genau an.
Die Privatschule, die ich besuchte, war im Schloss Schönbrunn untergebracht. Selbstverständlich nicht in den Prunksälen, sondern in einem Nebentrakt, der einst für die Dienerschaft bestimmt war, in einem dieser ebenerdigen Gebäude, die sich bis zum Meidlinger Tor erstreckten.
Ich ging gerne in die Schule, schon um des Weges willen. Er war zwar ein paar Kilometer lang, aber er gefiel mir. Er führte direkt durch die mit alten Kastanien bewachsene Schönbrunnerallee. Links und rechts lagen Getreidefelder, die ich liebte, wenn die junge Saat grünte oder das Korn reifte, aber auch, wenn die Stoppelfelder von hohem Schnee bedeckt waren. Sommers wie winters betrat ich den großen Park durch die kleine, grüne Pforte, die in die kaisergelbe Mauer eingelassen war, und stapfte durch die Allee. Meine Füße bewegten sich automatisch, und fast ebenso mechanisch die Gedanken. Sie kreisten um meine Lehrerin. In ihrer Nähe fühlte ich mich unruhig und aufgeregt zugleich. Sie roch wunderbar, und oft blieb ich nach Unterrichtsschluss noch in der Klasse, um ihren Duft, der noch im Raume haftete, zu spüren. Wenn ich erwachsen war, das wusste ich, würde ich sie heiraten.
So war jeder Schultag ein herrliches Erlebnis. Während des langen Schulweges dachte ich unablässig an sie, und in der Klasse musste ich nicht lange warten, bis sie kam. Die Schüler erhoben sich, sie stellte sich hin und sagte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.« Ich wusste nicht, im Namen welches Vaters, Sohnes und schon gar nicht welches Heiligen Geistes. Alle beteten, mit einer einzigen Ausnahme, das war ich. Ich brauchte nicht zu beten, ich gehörte nicht dazu. Mir machte das nichts aus, und neben meiner Leidenschaft für meine Lehrerin lernte ich Schrei-ben, Lesen und die vier Grundrechnungsarten. Selbstverständlich war ich ein guter Schüler, schon um ihr zu gefallen.
Eines Tages zeigte mir meine Mutter eine Kristallvase und fragte mich, ob sie mir gefallen würde. Es war ein Geschenk für meine Lehrerin, die demnächst heiraten wollte. Mit ungeheurem Getöse stürzte die Welt meiner Träume in mir zusammen, aber kein Ton drang nach außen. Ich war sehr traurig, und der Schulweg verlor für einige Zeit seinen Reiz.
Einer unserer Nachbarn war ein pensionierter Major, mit dessen jüngster Tochter ich oft spielte. Grete hätte eigentlich ein Junge werden sollen, aber daraus war nichts geworden. Für den Offizier war es besonders bitter, nur Töchter zu haben; seine Säbel und Pistolen, wer sollte sie einmal benützen? Mich sah er als eine Art Ersatzsohn, für den er, obwohl sehr beschäftigt, immer Zeit fand.
Major Falk stand spät am Vormittag auf, malte oder ging seine Aufzeichnungen durch. Manchmal studierte er auch eine Theaterrolle ein, denn er spielte in einem Laienensemble mit. Er war Fachmann für das Artilleriewesen, und man hatte ihn gebeten, weiterhin für das Bundesheer zu dienen, was er aber entschieden abgelehnt hatte. Seinen Eid hatte er, wie er betonte, auf den Kaiser und auf die österreichisch-ungarische Monarchie abgelegt und nicht auf die Republik. »Aber die Pension nimmt er von der Republik, dafür ist sie ihm gut genug«, meinte mein Vater. Er war der Meinung, dass der Major nur zu faul wäre, eine Arbeit anzunehmen, womit er wahrscheinlich Recht hatte.
Stundenlang hörte ich den Erzählungen meines Vaters und des Majors zu. Dabei ging es meist um den verlorenen Krieg. Der Major erzählte gerne, meistens lustige Geschichten und Erlebnisse, aber auch von seinen vielen Bemühungen, durch eine Modernisierung der Artillerie und eine Verbesserung der Geschosse und Kanonen einen Sieg herbeizuführen. Papa wiederum war stolz darauf, dass es ihm gelungen war, vier Jahre dabei zu sein, ohne jemals direkt an die Front zu kommen. Immer wieder musste ich den Einfallsreichtum meines Vaters bewundern, der imstande gewesen war, dem ganzen Apparat von bösen Stabsärzten und aufsässigen Kompaniekommandanten erfolgreich Widerstand zu leisten.
Nicht nur hinsichtlich ihrer militärischen Pflicht, auch im Falle Bosnien-Herzegowinas vertraten mein Vater und der Major unterschiedliche Ansichten. Papa war der Meinung, dass die Annexion ein immenser Blödsinn gewesen sei. Er unterlegte das mit seinem Lieblingswitz: Als der alte Kaiser im Jahre 1915, meinem Geburtsjahr, in Schönbrunn am Fenster gestanden und einen Zug von Rotkreuzwagen vorbeiziehen gesehen hatte, fragte er seinen Kammerdiener: »Sagn’S, Ketterl, was sind das für komische Wagen mit den roten Kreuzen, die da so endlos dahinrollen?« »Majestät, das sind Verwundetentransporte.« »Verwundetentransporte? War scho wieder ein Eisenbahnunglück? Diese neumodischen Sachen sind scho gefährlich.« »Aber nein, Majestät, kein Eisenbahnunglück, Krieg ist, Majestät!« »Ach so, Krieg is. Ja, ja, ich sag’s ja immer, die verfluchten Preußen!«
Aber trotz der Verschiedenheit ihrer Ansichten ging der Major bei uns aus und ein. Ich mochte ihn, denn er behandelte mich immer wie einen Erwachsenen. Und er war stets fröhlich, obwohl er große Sorgen hatte. Die Inflation hatte ihn ruiniert. Ich erinnere mich, dass die roten Ein-Kronenscheine, mit denen ich mir früher Süßigkeiten gekauft hatte, nichts mehr wert waren. Für ein schäbiges Bonbon brauchte ich nun plötzlich 100 Kronen, und wenn wir am Samstagabend ins Gasthaus gingen, gab mein Vater für ein Bier und ein Nachtmahl 50.000 Kronen aus. Papa hatte sehr viel Geld, diese großen blauen Scheine, auf denen »1 Million Kronen« stand. Der Major hatte das nicht, und auch das kleine Landgut in Niederösterreich hatte er verkaufen müssen.
Der Major war ein interessanter und an vielem interessierter Mensch, doch seinen Kameraden muss er damals seltsam erschienen sein. Nicht nur, dass dieser k.u.k. Offizier literaturbegeistert war, er zeichnete und malte auch selbst und spielte Theater. Zu all dem kam noch der höchst merkwürdige Umstand, dass er es zustande gebracht hatte, sich – als er als junger Offizier jahrelang in galizischen Garnisonen stationiert gewesen war – bei den dort ansässigen polnischen Juden Anerkennung zu verschaffen. Er hatte ihre Sprache, das Jiddische, erlernt und kannte ihre Sitten und Gebräuche. Meine Mutter konnte nicht Jiddisch, mein Vater vielleicht ein paar Ausdrücke, die er aber nie verwendete; erst der Major lehrte mich »jiddeln«, genauer gesagt »mammeluschn«, d.h. »sprechen«. Ihn als Philosemiten zu bezeichnen, war allerdings unzutreffend. Philosemiten waren Humanisten, die glaubten, dass Juden Menschen mit außergewöhnlichen Eigenschaften und Begabungen seien, was sie für die Kultur ihrer Gastvölker zu einem Gewinn machte. Der Major war kein Philosemit in diesem Sinne, er war schlicht und einfach das, was die Nazis später als »total verjudet« bezeichneten.
Uns ging es also nach wie vor gut, dem Major aber nicht. Er hing noch immer sehr an der Kaiserfamilie, und seine Wohnung war vollgestopft mit Bildern von Franz Joseph in jungen Jahren, Franz Joseph schon etwas älter mit Bart und dann als alter Mann. Elisabeth und Rudolf konnte ich ebenfalls bewundern, jedes Bild wurde mir genau erklärt. Auch Karl hing da und sah genauso aus wie auf den Briefmarken.
Eines Tages im Frühjahr bot sich mir ein erschreckendes Bild. Die gesamte Familie Falk saß, in Tränen aufgelöst, um den Tisch, schluchzte und klagte herzerweichend. Die Frau des Major weinte sowieso leicht, doch nun schluchzte der Major mit ihr um die Wette, und auch Grete bemühte sich redlich mitzuhalten. Was mich über alle Maßen erstaunte, war die Anwesenheit von Frau von Feifalik, der Schwester des Majors, einst Kammerzofe von Kaiserin Elisabeth, von der mein Vater behauptete, dass sie seit dem Tag, an dem die Kaiserin erstochen worden war, nicht mehr gelacht noch gelächelt hätte. Und das war schon sehr, sehr lange her. Mit ihrem Bruder stand sie zwar nicht in offener Feindschaft, aber nahe daran. Meine Eltern vermuteten, dass das etwas mit der Heirat des Majors zu tun hatte, die in den Augen derer von Feifalik nicht standesgemäß gewesen war.
Beim Anblick der weinenden Familie nun war ich sehr verlegen; ich wusste ja nicht, was passiert war. Der Major erklärte mir, von heftigem Weinen geschüttelt: »Unser Kaiser ist auf Madeira gestorben«. Darum ging es also, doch so sehr ich den Major liebte und mich bemühte, seine Trauer und sein Leid zu teilen, es ging einfach nicht. Außer bei Briefmarken hatte ich keine Beziehung zu Karl, und nach dem Ende der Monarchie wurden auch keine Marken mehr mit seinem Konterfei gedruckt. Philatelistisch betrachtet – und anders konnte ich es nicht – war er für mich also schon seit Jahren tot. Ich murmelte einige Worte des Bedauerns, dann sauste ich, drei Stufen auf einmal nehmend, die zwei Stockwerke hinunter und berichtete atemlos meinem Vater vom Elend, das die Familie Falk ergriffen hatte. Aber auch dort stieß ich auf kein Mitgefühl: »So, so, er ist also gestorben, mein ehemaliger oberster Kriegsherr. Das trifft mich ungefähr so, wie es den Karl getroffen hätte, wenn ich auf dem Feld der Ehre für Kaiser und Vaterland verreckt wäre!« Trotzdem konnte er die Trauer des Majors und seiner Schwester verstehen. Sie hatten nie aufgehört zu hoffen, dass der Kaiser einmal zurückkehren würde und alles wieder so wäre, wie es früher gewesen war. Mit Karls Tod begruben sie nun auch ihre Hoffnungen.
Zu dieser Zeit hatte mein Vater große Sorgen, die sich alle auf Tante Jetti bezogen. Dass meine Tante irgendjemandem Probleme bereiten könnte, erschien mir unmöglich. Schuld daran war Dr. Engel, ein unsympathischer kleiner Advokat, der mich aus meinem Paradies, dem Haus von Tante Jetti, vertreiben wollte. Ihre große Villa in Rodaun hatte einen riesigen Garten mit Kirschen-, Zwetschken-, Marillen-, Ringlotten- und Kaiserbirnenbäumen. Ich erinnere mich an die Zeit, als die Vorfreude auf Rodaun schon bei der Anreise begann. Von Mauer aus ging’s mit der aus zwei uralten Straßenbahnwagen mit offenen Plattformen bestehenden Tram weiter. Das Ganze war eine Mischung aus Straßen- und Eisenbahn und wurde von einer kleinen Dampflokomotive mit einem trichterförmigen, ungeheuer großen Rauchfang gezogen. Vor jedem Straßenübergang pfiff die Lok laut und schrill, keuchte mühsam über kleine Steigungen und rastete oft und gerne vor geschlossenen Signalen. Streckenweise fuhr man durch kleine Wäldchen, und die Bäume waren so nah, dass man, auf den offenen Plattform stehend, die Blätter abreißen konnte. Ich war fast schon neun Jahre alt, als es damit für immer vorbei sein sollte. Die Strecke wurde elektrifiziert, bald würde die Reise nach Rodaun genauso schnell gehen wie mit der Stadtbahn, die auf der Strecke Wiental-Donaukanal-Heiligenstadt-Hütteldorf mit 40 Stundenkilometern dahinraste.
Von der Station Rodaun aus waren es zu Fuß noch gut zehn Minuten, bis man bei der Villa von Tante Jetti ankam. Der Eingang lag auf der Hinterseite, sodass man die ganze gewaltige Länge des Gartens abschreiten musste, um zur Tür zu kommen. Diesen Garten hatte ich tief ins Herz geschlossen, seine Obstbäume, das saftige Gras, die Verstecke hinter den Büschen und Stauden und ganz besonders die Ringlotten und Ribisel, die ich mir frisch herunterpflücken konnte.
Aber es war nicht nur der Garten, sondern auch das Haus, das meine Phantasie beschäftigte. Im ersten Stock wohnte Tante Jetti ganz allein, in einer viel zu großen Wohnung. Auf Schritt und Tritt stieß man auf Andenken an ihren verstorbenen Mann, Onkel Philipp: sein aus Korbweiden geflochtener Schaukelstuhl, Fotografien und Porträts. Ich hatte keine Erinnerung mehr an diesen Onkel, kannte ihn aber aus den zahlreichen Erzählungen Tante Jettis, meiner Eltern und ganz besonders meiner Großmutter Fanny, deren Bruder dieser sagenhafte Onkel Philipp gewesen war. So um 1890 kamen meine Großmutter mit ihren beiden Kindern und besagter Onkel aus Budapest nach Wien. Sie waren nicht in Budapest beheimatet gewesen; ihre Verwandten saßen irgendwo in der Puszta und waren arme jüdische Bauern, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel hatten. Sie folgten dem Gerücht, dass tüchtige Handwerker in der Stadt innerhalb kürzester Zeit nicht nur alle Sorgen los, sondern überdies steinreich würden. Mein Großvater war Schneider, mein Onkel – genau genommen mein Großonkel – Tischler; was konnte also in Budapest schief gehen? Alles! Aber die Familie gab nicht auf. In Wien, so hörten sie, gäbe es ungeahnte Möglichkeiten und das binnen weniger Jahre, also machten sie sich auf nach Westen. Leicht war es nicht; mein Großvater war zwar Schneider, aber ein sehr schlechter, dem die Donaumetropole keine der versprochenen Tauben ins Maul flattern ließ.
Nur besagter Onkel Philipp, der Bruder meiner Großmutter, startete durch, ein geschätzter und fleißiger Tischlergeselle, der gut verdiente und daneben so ehrgeizig war, dass er sich selbst das Lesen und Schreiben beibrachte. Auch meine Großmutter unterwies er in diesen Künsten, damals bei armen ungarischen Juden noch immer ein Privileg der gehobenen Schichten. Onkel Philipp machte sich bald selbständig, gründete eine Leisten- und Rahmenfabrik, heiratete Tante Jetti, die Tante meiner Mutter, und wurde jeden Tag reicher. Er kaufte das Grundstück in Rodaun und ließ sich dort eine Villa bauen. Dem Staat, der ihn groß werden ließ, dankte er auf seine Weise – und wurde zu einem vehementen Patrioten. Anlässlich meiner Geburt im Jahre 1915 machte er meinen Eltern ein fürstliches Geschenk – 300.000 Kronen Kriegsanleihe, deren Verkauf bis Kriegsende gesperrt war. Mein Vater sagte, dass das damals ein Vermögen gewesen war; jetzt allerdings war diese Anleihe nichts mehr wert.
Mein Vater hatte, als er nach Wien gekommen war, in verblüffend kurzer Zeit Deutsch gelernt. Er war ein überdurchschnittlich guter Schüler, und Onkel Philipp bot ihm an, ein Studium zu finanzieren. Mein Vater lehnte dankend, aber doch ab und machte stattdessen eine Lehre als Buchdrucker. Es war dies die Zeit eines Ernst Petzold, in der sich die Wiener Arbeiterschaft kulturell, politisch und gewerkschaftlich in rasantem Tempo formierte. Dass mein Vater Gewerkschaftsmitglied und Sozialdemokrat wurde, verstand sich von selbst. Religiöse Bindungen hatte er schon vom Elternhaus her keine, und so war es nicht verwunderlich, dass er in dieser Hinsicht ganz mit Marx übereinstimmte. Das war übrigens der einzige Punkt, in dem er mit Onkel Philipp einer Meinung war. Auch der war ein strikter Gegner jedes religiösen Bekenntnisses, befand sich politisch aber auf der anderen Seite der Barrikaden – ein Unternehmer, der sich selbst als liberal und antiklerikal definierte und der festen Überzeugung war, der Kapitalismus sei die beste aller Wirtschaftsformen. Für Onkel Philipp konnte es jeder, der tüchtig und sparsam war, zu etwas bringen, so wie er selbst; die Faulen, Unfähigen und Verschwender hingegen würden Proleten bleiben, so wie mein Großvater eben.
Nach glänzend bestandener Gesellenprüfung trat mein Vater als Schriftsetzer in die renommierte Wiener Buchdruckerei Rollinger ein. Der Beruf machte ihm große Freude; er setzte nicht nur – selbstverständlich im Handsatz –, sondern las und verstand auch alles, was er druckte. Das enzyklopädische Wissen, das er sich in dieser Zeit erwarb, beeindruckte mich stets wieder aufs Neue. Es gab einfach kein Wissensgebiet, auf dem er nicht beschlagen war, und es gab kein Wort, dessen Bedeutung er nicht kannte. In der Druckerei stand ihm das neueste Konversationslexikon zur Verfügung, und dort schlug er die ihm fremden Worte nach, so lange, bis er selbst zum lebenden Lexikon wurde.
Bei der Firma Rollinger war mein Vater eine gefragte und gut bezahlte Arbeitskraft. Mit seinem Verdienst versorgte er mehr oder weniger die gesamte Familie, das heißt meine Großmutter, meinen Großvater und Tante Rosa, seine um zwei Jahre ältere Schwester. Mein Großvater war schon seit jeher kein Freund körperlicher Betätigung gewesen, auch nicht zum Zwecke des Nahrungserwerbs; daher begrüßte er den Geldsegen, den sein männlicher Sprössling in die Familie brachte, von ganzem Herzen. Onkel Philipp hatte es damals nicht leicht, meinen Vater zu überreden, seine gut bezahlte Stellung aufzugeben und als Prokurist in sein Unternehmen einzutreten. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich aber gut eingearbeitet, und der alte Mann übergab ihm mehr und mehr Aufgaben. Nur eine blutjunge, zierliche, rothaarige Kontoristin konnte ihm nichts recht machen, Tante Jettis Nichte Irma. Es war ganz klar, dass Onkel Philipp und Tante Jetti planten, aus den beiden ein Paar zu machen, doch mein Vater und meine Mutter wehrten sich gegen die Kuppelei. Schlussendlich allerdings erfolglos, denn sie verliebten sich wirklich ineinander, und damit war auch der Grundstein für meine zukünftige Existenz gelegt.
Onkel Philipp hatte diese Villa in Rodaun sowie den Grund und Boden erworben. Aber nicht nur das Haus, auch die Bewohner waren für mich Anlass zum Staunen. Mit Tante Jetti wohnten noch zwei Familien dort, die eine hieß Heinl, die andere, mit der ersten verschwägert, Holzschuh. Herr Heinl war ein Hüne, noch größer als mein Vater und um einiges dicker. Er war Handelsminister; zwar wusste ich nicht, womit er handelte, aber alle versicherten mir, dass er ein sehr bedeutsamer Mann sei. Ich glaubte das auch, denn er wurde täglich von einem großen, schwarzen Auto mit Chauffeur in schmucker Uniform abgeholt. Minister Heinl hatte einen Sohn, Paul, etwas älter als ich und so schlimm, dass ich nicht mit ihm spielen durfte. Wenn wir einander begegneten, streckte er mir die Zunge nach und beschimpfte mich. Manchmal drohte er mir auch, und ich musste bei Tante Jetti Zuflucht suchen.
Und erst die Familie Holzschuh! Herr Holzschuh war sehr beliebt, hatte ein dunkelrotes Gesicht – vom vielen Trinken, sagte mein Papa – und eine wunderschöne Tochter. Sie war das hübscheste Mädchen, das mir je begegnet war, noch viel hübscher als meine Lehrerin. Wann immer ich sie sah, schlug mein Herz lauter. Über sie und ihren Beruf wurde viel Schlechtes gesagt, denn sie wollte Schauspielerin werden, was sie dann auch verwirklichte.
Aber, wie gesagt, schuld an allem war Dr. Engel. Tante Jetti hatte die Villa nach Onkel Philipps Tod nicht mehr halten können und meinem Vater das Angebot gemacht, ihm das Haus und den Garten zu einem erschwinglichen Betrag zu überlassen. Er müsste sich im Gegenzug verpflichten, sie bis zu ihrem Lebensende zu erhalten. Mein Vater konnte das Geld nicht aufbringen – er hatte gerade seine gesamte Barschaft an der Börse angelegt –, deshalb verkaufte Tante Jetti ihr Anwesen um sechs Millionen Kronen inklusive der Zusicherung, dass sie ihre Wohnung und den Garten auf Lebzeit benutzen durfte, an Dr. Engel. Die Hälfte des Geldes hatte sie in Anleihen und Aktien angelegt, die nun nichts mehr wert waren, die zweite Rate, die mitten in der Inflationszeit fällig wurde, hatte Dr. Engel ihr bar bezahlt. Diese drei Millionen Kronen, die sie in den Händen hielt, waren genau 300 Schilling wert. Tante Jetti war also arm, und irgendwer musste sie erhalten, in diesem Fall mein Vater. Das Haus und der Garten allerdings gehörten Dr. Engel.
Tante Jetti wurde mehr und mehr zum festen Bestandteil unseres Familienlebens, kam oft zu Besuch und schlief dann auch bei uns. Eines Tages, während der Osterferien, saßen wir alle um den großen Speisezimmertisch und spielten Tarock. Es war kurz nach dem Nachtmahl, und Trude wollte wieder einmal nicht zu Bett gehen. Sie sah nicht ein, dass ich mit den Erwachsenen tarockieren durfte und sie nicht, doch ich war elf Jahre alt und ging bereits in die Mittelschule. Trude begann mit dem allabendlichen Geplänkel, das wir schon gewöhnt waren. Tante Jetti war gerade dran zu geben, nahm dann ihr eigenes Blatt auf, ordnete die Karten und stammelte plötzlich, dass ihr nicht gut wäre. Wir legten sie behutsam auf die Ottomane. Ihr Zustand wurde immer schlimmer; bald konnte sie nicht mehr sprechen, lallte unverständliches Zeug und verdrehte die Augen. Papa lief aus dem Haus, um den Arzt zu holen, der in der Nähe wohnte. Plötzlich warf Tante Jetti den Kopf zurück und ihre Kinnlade klappte herunter. Da wusste ich, dass sie tot war.
Noch in derselben Nacht brachte Papa uns beide weg, Trude zur reichen Tante Ella, mich zur armen Großmutter. Ich war froh, aus dem Haus zu sein, meilenweit entfernt von unserem Speisezimmer, in dem die tote Tante Jetti lag, mit der ich noch vor ein paar Stunden Karten gespielt hatte. Bevor mich mein Vater bei Großmutter absetzte, meinte er noch, dass ich nicht an der Einäscherung teilnehmen müsste. Tante Jetti war konfessionslos gewesen, deshalb würde es auch keine Beerdigung geben. Ich war glücklich, nicht dabeisein zu müssen. Vom Tod wollte ich nichts mehr wissen. Ich wollte niemals mehr sehen, wie jemand starb.
Bei Großmutter Fanny war ich gerne, obwohl ihre Wohnung nicht besonders schön war. Sie bestand aus einem einzigen Zimmer und einer langen, dunklen Küche mit Fenster auf den Gang. Von dort musste man auch das Wasser holen. Die Toilette war ebenfalls auf dem Gang und wurde von zehn bis zwölf Parteien benutzt. Im dunklen Stiegenhaus roch es meist nach Kohl, Sauerkraut und Gulasch, sonntags auch nach Wiener Schnitzel. Hier lebte meine Großmutter mit Tante Rosa, der verwitweten Schwester meines Vaters. Tante Rosa war einst, genau wie meine Großmutter, eine strahlende Schönheit gewesen. Ich fand sie noch immer schön, und ihr makelloser weißer Teint und ihre großen Brüste beeindruckten mich sehr. Der »alte Frey«, mein Großvater, war vor einem Jahr gestorben. Ich hatte ihn sehr gern gehabt, obwohl seine Familie die herzliche Verachtung, die sie ihm – vielleicht nicht ganz zu Unrecht – angedeihen ließ, unverhüllt zum Ausdruck brachte. Daheim führte Großmama ein eisernes Regiment, und da mein Großvater der Arbeit nicht nachlief, schuf er sich ein Stammquartier im Eckcafé Weidinger am Lerchenfelder Gürtel-Gablenzgasse, wo er bald schon zum Inventar gehörte. Da er kein Geld hatte, um selbst zu spielen, betätigte er sich als Kiebitz und genoss dadurch auch eine Reihe von Privilegien. So brachte er zum Beispiel seinen schwarzen Kaffee immer von zu Hause mit; Zucker hatte er vorsorglich in der Tasche, und heißes Wasser zum Verdünnen des Kaffeeextrakts wurde ihm vom Haus spendiert.
Sobald mein Großvater allzu heftigen Hunger verspürte, musste er den Heimweg antreten. Er wusste, dass ihn dort ein eher unfreundlicher Empfang erwartete. Die Vorwürfe, die auf ihn niedergingen, kannte er seit Jahrzehnten, und es gelang ihm, eine wirksame Gegenstrategie zu entwickeln. Nachdem er die Schelte meiner Großmutter vorerst schweigend über sich ergehen ließ, begann er seinerseits, das Ganze lauthals zu replizieren. Das rief innerhalb kürzester Zeit die Nachbarschaft auf den Plan, die stürmisch nach Ruhe verlangte. So war meine Großmutter gezwungen, klein beizugeben und den Hunger des Heimkehrers zu stillen. Sobald dies aber erledigt war, kehrte mein Großvater ins Kaffeehaus zurück, ließ sich dort über die wichtigsten Partien, die in seiner Abwesenheit gespielt worden waren, informieren und setzte seine Kiebitzfunktion mit Ernst und Würde fort. Auch er erlitt während einer Kartenpartie, an der er selbst zwar nicht aktiv, aber immerhin in Gedanken teilgenommen hatte, einen Schlaganfall, doch dürfte dieses Lebensende die einzige Parallele zwischen ihm und Tante Jetti gewesen sein. Und es erübrigt sich auch zu sagen, dass sein Tod für das Kaffeehaus zwar ein ideeller, aber durchaus kein finanzieller Verlust war.
Weil mein Großvater gestorben war und Tante Jetti auch, saß ich nun also im zweiten Stock des Hauses Lerchenfelder Gürtel 1 und war mit der Entwicklung der Dinge nicht unzufrieden. Dass es kein Wasser und natürlich auch kein Klosett in der Wohnung gab, berührte mich nicht, auch nicht, dass man, da kein Badezimmer vorhanden war, keine Vollbäder nehmen konnte. Da Papa nach dem Tod des Schwagers seine Schwester Rosa und nach Großvaters Tod auch seine Mutter erhalten musste, schlug er ihnen vor, gemeinsam in der Wohnung von Tante Rosa zu leben. Anfänglich sträubte sich Großmama, gewöhnte sich dann aber daran. Ich liebte meine Großmutter; schon die Tatsache, dass sie nie eine Schule besucht hatte, wirkte auf mich, der im Gymnasium gerade zur Erkenntnis »Terra rotunda est« gekommen war, unbegreiflich. Aber diese Frau hatte sich selbst weitergebildet, las mir aus der Zeitung vor, kannte sich in Politik und Wirtschaft aus und prophezeite mit erhobenem Zeigefinger den Untergang von »Restösterreich«: »Was kann scho werdn aus an Staat, wo a Prälat Bundeskanzler is?«, fragte sie mich. Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass ich sie sehr bewunderte.
Hätte ich nicht Tante Jetti so sehr vergöttert, hätte ich mich gefreut, durch ihren Tod zu diesem Urlaub von daheim zu kommen. War ich von der Schule zurück, wurde ich fürstlich bedient, mit einem Menü, das ich am Vortag bestellt hatte, und die lobenden Worte, mit denen ich jedes Essen bedachte, wurden begeistert aufgenommen. Ich nahm huldvoll zur Kenntnis, dass die Gemüsesuppe von Tante Rosa, das Fleisch und die Zuspeise von Großmama und die Mehlspeise von beiden zubereitet worden war. Schamlos stellte ich fest, dass meine eigene Mutter niemals imstande wäre, ein Mittagessen dieser Qualität auf den Tisch zu bringen. »Beim Sacher könnt’s nicht besser sein«, versicherte ich, und da keiner von uns jemals beim Sacher gespeist hatte, blieb die Gültigkeit dieser Behauptung unbestritten. Aber für Großmama war das Sacher gar nicht entscheidend, viel wichtiger erschien ihr der Vergleich mit meiner Mutter: »Die Vata waass, e so wie iach kann se nix kochen die Mamme, aba dos du es ewadde waasst, no dos is ä große Fraad fia mich!«*
* »Dein Vater weiß, dass deine Mutter nicht so kochen kann wie ich, aber dass du es jetzt auch weißt, ist eine große Freude für mich.«
Die arme, arme Trude. Sie war nun bei Tante Ella, mitten im Küss-die-Hand-Reich. Wenn ich daran dachte, dass die Villa im XIX. Bezirk auf der Hohen Warte lag, war Latein plötzlich nicht mehr so trocken. »Nomen est omen«, das verstand ich schon. Auf der Hohen Warte waren unsere reichen Verwandten zu Hause, dort, wo die Luft gut und rein war und sich in grünen Gärten Villa neben Villa reihte. Sie schauten hinunter auf das gemeine Volk, das sie verachteten, und von dem sie lebten, wie mein Vater zu sagen pflegte. Er sagte es aber nicht gehässig, sondern im Gegenteil fast traurig. Tatsächlich war der Unterschied zwischen uns und diesen Verwandten eine ganze Welt.
Meine beiden Cousinen Liselotte und Hanna beneidete ich wahrlich nicht. Von ihrer Mutter hatten sie wenig, da sie ständig krank war, und ihr Vater, Onkel Alfred, ein so genannter Großindus-trieller, war ständig beschäftigt. Als Inhaber der Garvenswerke, der größten Pumpenfabrik im Lande, hatte er Geld wie Heu. Sein älterer Bruder Paul war, so wurde gemunkelt, noch reicher. Wir kannten ihn nicht, und er legte keinen Wert darauf, unsere Bekanntschaft zu machen. Onkel Philipp war auch reich gewesen, normal reich, und in der Villa in Rodaun fühlte ich mich wohl. Dieses Haus auf der Hohen Warte aber war nicht zum Wohnen da, sondern stellte nur seinen Reichtum zur Schau.
Jede Woche wartete ich sehnsüchtig auf den Samstagabend, nicht nur, weil meine Eltern dann viel Zeit für mich hatten, sondern vor allem wegen des Besuchs im Hetzendorfer Casino. Bei schönem Wetter konnte man durch den Garten tollen und Verstecken spielen, und war das Wetter nicht danach, saßen die Erwachsenen im Gastzimmer und spielten Karten, während wir Kinder einen Abstecher in den Festsaal machten, um auf der Bühne hinter den staubigen Kulissen herumzuturnen.
Die Gäste im Casino waren zum größten Teil Beamte, fast alle deutschnational und entsprechend antisemitisch. Uns gegenüber hielten sie sich aber zurück, und mein Freund aus dem Nebenhaus versicherte mir, dass es ihm ganz egal sei, ob ich Jude oder Christ wäre, er würde immer zu unserer Freundschaft stehen. Wir waren aber, das muss ich eingestehen, auch sonderbare Juden: die Eltern konfessionslos und Trude und ich dem Papier nach zwar jüdisch, aber ohne jede religiöse Schulung. Meine Mutter hatte seit jeher darauf geachtet Weihnachten zu feiern, mit einem Christbaum, Geschenken und allem, was sonst noch so dazugehörte. Trude und ich glaubten bis zum schulpflichtigen Alter ans Christkind, und erst, nachdem wir darüber aufgeklärt worden waren, durften wir helfen, den Baum zu schmücken. Meine Großmutter stand dann dabei, schüttelte den Kopf und meinte im Brustton der Überzeugung: »Wann doos ka Meschuggizität is! Aba scheen is es!«**
** »Wenn das keine Verrücktheit ist, aber schön ist es schon!«
Es war ein herrlicher Maitag, als ich im Hetzendorfer Casino folgendes Erlebnis hatte: Das Gartenlokal war zum Bersten voll, der alte Bognerwirt spazierte durch die Tischreihen, grüßte nach links und rechts: »De Ehre, Herr Hofrat, g’schamster Diener, Herr Direktor«, und wir Kinder spielten im Dickicht der Sträucher Räuber und Gendarm. Ich war einer der Räuber und versuchte, meinen Widersachern zu entkommen. Und während ich vorsichtig in eine Wildrosenhecke kroch, die im finstersten Teil des Gartens lag, hörte ich auch schon die Stimme des jungen Liebenberg, der nach mir suchte. Dieser Liebenberg war mir einer der unangenehmsten Hetzendorfer Spielkameraden. Sein Vater war Baron und stammte aus einem sehr alten Geschlecht. Jeder – vor allem jeder Schüler – wusste, dass einer seiner Vorfahren zur Zeit der Türkenbelagerung im Jahr 1683 Wiener Bürgermeister gewesen war. Was ich aber zudem von Vater Liebenberg wusste, war, dass er nicht nur fast so dick war wie der Bognerwirt, sondern dass er aus seiner Abneigung gegen Juden und alle Nichtdeutschen keinen Hehl machte, besonders dann nicht, wenn er einen über den Durst getrunken hatte.
»Da ist er ja!«, hörte ich Liebenberg-Sohn schreien, »komm raus, wenn du dich traust! Judenbub, feiger, dreckiger!« Mein Verfolger bahnte sich einen Weg durchs Gebüsch, nahm, als er mich sah, eine Gerte und schlug mir damit mitten ins Gesicht. Ich verspürte einen rasenden Schmerz und ein noch rasenderes Verlangen, den Jungen zu schlagen. Ich stürzte mich auf ihn, stieß ihn nieder und begann, auf ihn einzuschlagen. Liebenberg-Sohn brüllte wie am Spieß. Die anderen Kinder liefen weg, nur mein Freund stand da, schüttelte den Kopf und meinte in seiner bedächtigen Art: »Bist verrückt? Wir waren zwar die Schandis und du der Räuber, aber deswegen brauchst ja den Liebenberg net glei umbringen!« Das half, die Anspannung löste sich. Später sollte es zwar noch viele Straßenschlachten mit Liebenberg-Sohn geben, zum Zweikampf zwischen uns kam es allerdings nicht mehr.
Die Erbschaft
Eugen Frey vor der Parfümerie in der Wiedner Hauptstraße im IV. Wiener Gemeindebezirk
Tante Jetti hatte meinen Papa als Universalerben eingesetzt. Ich stellte mir darunter etwas ganz Großartiges vor, doch bald wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Der wahre Erbe war wieder einmal Dr. Engel, der nun auch über die Wohnung von Tante Jetti verfügte. Sie hatte ja nur zu Lebzeiten ein Anrecht darauf gehabt. Was Papa blieb, waren die Möbel. Aus meinem Kinderzimmer, dem ich zu entwachsen hoffte, wurde dadurch ein »Herrenzimmer«; der große Bibliothekskasten und der wuchtige Schreibtisch samt Lederfauteuil gingen in meinen Besitz über. Trude wurde ins Speisezimmer auf dieselbe Ottomane umquartiert, auf der Tante Jetti gestorben war. Sie ließ das kalt, vor allem deshalb, weil es die Chancen, das abendliche Zubettgehen zu verzögern, erheblich erhöhte. Von Papa erhielt ich die Erlaubnis, alle Papiere, die sich im Schreibtisch befanden, zu behalten oder wegzuwerfen, ganz wie es mir beliebte. Für mich begann ein monatelang dauerndes Fest, bei dem meine Briefmarkensammlung förmlich aufblühte. Onkel Philipp hatte seine Post fein säuberlich aufbewahrt, samt Umschlägen, und Tante Jetti hatte alles unverändert gelassen. So kam ich zu über tausend Ansichtskarten samt eindrucksvollem Markenschmuck.