Ralf Kramp
Starker Abgang
Vom Autor bisher bei KBV erschienen:
Tief unterm Laub
Spinner
Rabenschwarz
Der neunte Tod
Still und starr
… denn sterben muss David!
Kurz vor Schluss
Malerische Morde
Hart an der Grenze
Ein Viertelpfund Mord
Ein kaltes Haus
Totentänzer
Nacht zusammen
Stimmen im Wald
Voll ins Schwarze
Ralf Kramp, geboren am 29. November 1963 in Euskirchen, lebt heute in Flesten in der Vulkaneifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er den Förderpreis des Eifel-Literaturfestivals. Seither erschienen mehrere Kriminalromane, unter anderem auch die Reihe um den kauzigen Helden Herbie Feldmann und seinen unsichtbaren Begleiter Julius, die mittlerweile deutschlandweit eine große Fangemeinde hat. Seit 1998 veranstaltet er mit großem Erfolg unter dem Titel »Blutspur« Krimiwochenenden in der Eifel, bei denen hartgesottene Krimifans ihr angelesenes »Fachwissen« endlich bei einer Live-Mördersuche in die Tat umsetzen können.
Im Jahr 2002 erhielt er den Kulturpreis des Kreises Euskirchen.
Seit 2007 führt er mit seiner Frau Monika in Hillesheim das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« mit 30.000 Bänden, dem »Café Sherlock« und der Buchhandlung »Lesezeichen«.
www.ralfkramp.de · www.kriminalhaus.de
Kriminelle Kurzgeschichten
Originalausgabe
© 2012 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlagillustration: Ralf Kramp
Print-ISBN 978-3-942446-59-4
E-Book-ISBN 978-3-95441-119-1
Für Tatjana.
Und bringense noch zwei Gin Tonic, bitte!
Das letzte Süppchen
Der Entenmann
Die Sache mit Gitte
Nachts im Museum
Wenn die Wellen schlagen …
Dumm gelaufen in Damme
Das Cover-Girl
Es fährt ein Zug nach Gerolstein
Es steht in den Sternen
Wildwechsel
Der totale Überblick
Ripper Doubleblade
Ganz harmlos
Null Null
Die Plörre
Der Warstein-Code
Bäuerinnen-Weisheiten
Weißes Gold
On the road to Bremen
Pink
Es werde Licht
Was ich sehe …
Der Küchenchef baute sich in voller Größe am Tisch auf, und seine Augen funkelten zu ihnen hinunter. Das Kerzenlicht ließ einen flackernden Schein über sein Gesicht tanzen.
»Und was, bitteschön, soll mit der Suppe nicht in Ordnung sein?« Seine dumpf drohende Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass Kritik an seinen Speisen bei ihm alles andere als Wohlgefallen auslöste.
»Meiner Freundin Margot ist schlecht davon geworden«, sagte die faltige kleine Frau mit dünner Stimme. »Sie hat nur den halben Teller gegessen, und jetzt ist ihr übel.« Ihr dürrer Finger wies zitternd über den Tisch. Ihr gegenüber saß eine ebenfalls verschrumpelte Greisin mit zitterndem Doppelkinn und tupfte sich fortwährend über die zerfurchte Stirn. »Irgendwas ist da drin gewesen«, krächzte sie. »Etwas, was da nicht hineingehört! Eugenie hat auch davon probiert und ist auch der Meinung, dass da was drin ist, was nicht reingehört.«
Eugenie nickte so heftig, dass die große Hornbrille auf ihrer Nase wippte. »Schmeckt ganz komisch. Ganz seltsam, so … bitter …«
»Auch ein bisschen sauer!«, maulte Margot. »Und scharf.«
Hinter den dicken Brillengläsern richtete Eugenie ihre wässrigen Augen nach oben auf das Antlitz des Kochs. »Sie wollen uns doch nicht vergiften, oder?«
Der schürzte einen Moment lang die Lippen, grinste dann breit und fischte einen Löffel aus dem neben ihm auf einer Kommode stehenden Besteckkasten. Dann tauchte er ihn in die Suppe, die zur Hälfte in Margots Teller geblieben war und führte ihn langsam zum Mund. Er schmatzte und schnalzte mit der Zunge und rollte nachdenklich die Augen gen Decke.
»Und?«, zeterte Eugenie. »Schmecken Sie’s? Da ist irgendwas drin!«
Für einen Moment legte sich Stille über den kleinen, etwas abseits stehenden Restauranttisch. Dann beugte der Koch seinen massigen Oberkörper nach vorne, stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab, senkte den Kopf noch weiter nach unten, so dass der Speck in seinem ausrasierten Nacken sich zu Wülsten rollte. Mit gefährlich schnurrender Stimme sagte er so leise, dass es keiner der anderen Gäste hören konnte: »Da ist Sellerie drin. Und Karotten. Beides in feinen Juliennestreifen. Lauch und Petersilie sind drin. Da ist auch Knochenbrühe drin und der Sud einer gebräunten Zwiebel. Lorbeerblatt, Liebstöckel und köstlicher Eierstich, und … ja, genau, ihr habt’s erraten, ihr beiden Hübschen … ein bisschen Gift.«
Auf Eugenies und Margots knittrigen Gesichtern malte sich das schiere Entsetzen ab. »Sie meinen …« Margot schrak zusammen. Eugenie schnappte nach Luft.
Der Koch nickte bedächtig, und ein irres Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. »Ganz genau, Gift. In beiden Suppen. Noch ehe ihr beiden Schachteln heute Abend eure dritten Zähne ins Glas tauchen könnt, wird sich das Zeug durch eure ausgeleierten Organe fressen. Es wird euch aus den Stützstrümpfen hauen, das verspreche ich euch. Das war eure Henkersmahlzeit, Mädels, euer letztes Süppchen! Versprochen, spätesten in einer Stunde gebt ihr zwei endgültig den Löffel ab, dann zerfallt ihr zwei klapprigen Gestalten in eure rostigen Einzelteile!«
Er richtete sich langsam wieder auf und strahlte sie an. Seine beiden Daumen hängte er in die seinen feisten Körper umspannende Schürze ein.
Die beiden alten Damen vor ihm am Tisch zitterten am ganzen Leib.
Und schließlich raunzte er: »Kleiner Scherz, Mädels. Und jetzt zieht Leine. Solche wie euch kenne ich. Wollt euch ums Bezahlen drücken, weil angeblich was mit dem Essen nicht stimmt. Los, raus mit euch! Ich will euch hier nie mehr sehen!«
Während Eugenie und Margot eine knappe Viertelstunde später kichernd und prustend in ein Taxi stiegen, wurde derweil dem Koch, der sich gerade der Einkaufsliste für den nächsten Tag widmen wollte, übel. Als gerade Margot mit schriller Stimme rief: »Eugenie, das war ein solcher Spaß! Das machen wir nächste Woche gleich noch mal!«, taumelte er bereits röchelnd durch die Restaurantküche, und während viele Kilometer entfernt Eugenie ihr Giftfläschchen inspizierte, um zu prüfen, wie oft sie ihren kleinen Streich noch durchführen konnten, fiel er mit dem Gesicht in ein besonders köstliches Dessert und war tot.
»Love the ducks!«
(Carl Barks)
Käfer schüttelt matt den Kopf, seine Lider flackern hinter den Gläsern seiner zierlichen Brille. »Wir hätten damit rechnen müssen.«
Schremp wirft protestierend die Arme in die Luft. »Das konnten wir nicht. Mein Gott, das konnte doch niemand ahnen!«
Die beiden Männer sitzen zusammengesunken an dem Tisch mit der grauen Kunststoffoberfläche und haben den Blick gesenkt. Sie haben alles gestanden, es hat keinen Versuch gegeben, etwas zu vertuschen oder zu leugnen.
Schremp streicht sich mit der Hand über die hohe Stirn. Sein Mund ist verkniffen. »Es fing alles an wie immer. Wir waren schon so oft in Velen. Es hätte alles so ablaufen können wie immer.«
»Wie immer, wie immer … Nichts war wie immer.« Käfer fixiert seinen Kompagnon mit starrem Blick. »Von Anfang an war der Wurm drin.«
Schremp will etwas einwenden, zögert, und dann nickt er langsam. Er weiß, dass Käfer Recht hat. Von Anfang an war der Wurm drin gewesen.
Luc Torgau blickte an seinen Beinen hinunter. Dämlicher ging’s wohl kaum. Knickerbocker und karierte Strümpfe. Die wurden wirklich immer einfallsloser. Sie hatten ihm eine abgeschabte Tweedjacke verpasst und ein albernes Hütchen. Eine Enten-Lockpfeife und ein Fernglas. Das war ja so was von klischeehaft! Er hielt die beiden ohnehin nicht für große Leuchten, aber das hier …
Torgau bummelte vor der Brücke herum, die über den Wassergraben geradewegs auf das Schloss zu führte. Irgendwo dort im ersten Stock tagte eine vierzigköpfige Gruppe von Mitarbeitern einer Pharmafirma. Zumindest glaubten sie, dass sie bei einer Tagung zu Gast waren. Sie würden es vielleicht zehn Minuten lang glauben, und dann würde plötzlich der Schuss fallen. Ein Schuss durchs offene Fenster, und der angebliche Referent würde mit einem schlecht gespielten Stöhnen zusammenbrechen. Torgau guckte auf die Uhr. Viertel vor zehn. Noch eine halbe Stunde etwa. Ach, die Uhr sollte er ja ausziehen. Sie hatten ihm eine Taschenuhr gegeben. Taschenuhr! Zum Glück hatten sie nicht verlangt, dass er wieder die blöde Nickelbrille aufsetzte.
»He, Luc!« Schremp eilte über die Brücke auf ihn zu. »Hier, die Nickelbrille.«
»Nee, nicht die Nickel …«
»Muss sein. Du weißt, wo du hinmusst?«
Torgau nickte und setzte die Brille auf, deren metallene Bügel sich ihm in die Schläfen gruben. »Am Wassergraben hinterm Schloss.«
»Aber so, dass sie dich gleich sehen.«
»So, dass sie mich gleich sehen, klar. Hör mal, diese Brille muss ich die wirklich …«
»Muss sein.« Schremp schob ihn linkerhand in Richtung Orangerie. »Da vorne rechts und dann hinten rum.«
»Ich weiß.«
»Du weißt, was du zu sagen hast?«
»Ich beobachte Enten.«
»Und was noch?«
»Der tote Referent schuldete dem Mann vom Golfplatz Geld.«
»Wieviel Geld?«
»So um die zehntausend.«
»Zwölftausend!«, rief Schremp unbeherrscht. »Exakt zwölftausend, hörst du? Es muss genau diese Summe sein, da sie auf den Kontoauszügen auftaucht. Der Referent schuldete dem Golfplatzmann mit den Initialen J. F. S. zwölftausend Euro!«
Torgau nickte zögernd, wie ein Kind, dem man versucht, die Gesetze der Mengenlehre einzutrichtern. »Und was noch?«
»Nichts.«
»Nichts sonst? Kannte ich den Referenten? Wohne ich vielleicht Wand an Wand mit ihm im Hotel? Ich könnte vielleicht gestern Abend ein Bierchen mit ihm an der Bar getrunken haben, und dabei das ein oder andere ...«
»Nein!« Schremps Ton nahm an Schärfe zu. »Du bist der Entenmann. Du beobachtest Enten und sonst nichts.«
»Bin ich verdächtig?«
»Nein.«
»Kein kleines bisschen?«
»Nein! Geh jetzt Enten beobachten. Gleich fällt der Schuss, und dann muss ich oben sein.« In diesem Moment spielte Schremps Handy die Tatort-Melodie. »Bin gleich bei dir«, blaffte er in den Apparat. »Jaja, ich weiß, dass es jetzt gleich losgeht. Aber ich muss hier unbedingt noch mit einem gewissen Herrn seine Rolle diskutieren.«
»Es ist gar keine richtige Rolle«, maulte Torgau leise.
»Was?« Schremps Augen funkelten ihn an.
»Ich habe ja gar nichts zu sagen. Die Brille tut weh, und ich mag auch überhaupt keine Enten.«
Schremp hielt ihm die Lockpfeife vor die Nase, die an einer Schnur um seinen Hals baumelte. »Du sollst keinen Sex mit ihnen haben, du sollst sie beobachten. Be – o – bach – ten!« Der Stoß, den Schremp ihm in diesem Moment gab, war heftiger als vorhin. »Und jetzt zieh Leine und mach deinen Job!« Dann eilte er über die Brücke zurück zum Schloss, dessen efeubewachsene Mauern in der Morgensonne smaragdfarben strahlten.
Das Sportschloss Velen war schon häufig Schauplatz der Krimi-Events der »Agentur Heiße Spur« aus Köln gewesen. Im feudalen Ambiente des münsterländischen Wasserschlosses hatten Käfer und Schremp einen Schauplatz gefunden, der ausreichend viele Anknüpfungspunkte bot, um ihre kriminalistischen Schnitzeljagden zu inszenieren. Torgau hielt ihre Storys gelinde gesagt für ziemlichen Humbug, aber er war von Anfang an dabei gewesen. Begonnen hatte er damals als charismatischer Bösewicht. Ein gewissenloser Mörder war er gewesen, der kaltblütig den Referenten erschoss, weil er damit gedroht hatte, seine finsteren Machenschaften aufzudecken. Er hatte am Ende des Tages in der Orangerie ein Geständnis hingelegt, das Maßstäbe gesetzt hatte. Mit echten Tränen, markerschütterndem Gebrüll und einem gespielten Handgemenge, bei dem ein Stuhl und der Videobeamer zu Bruch gegangen waren, hatte er bei der Auflösung die Spannung zum Höhepunkt gepeitscht. Etwa ein Dutzend Mal hatte er im Laufe der Zeit diese glänzende Vorstellung gegeben und jedes Mal noch ein Pfund draufgelegt.
Dann hatte es Änderungen gegeben. Käfer oder Schremp, einer von beiden war bei einem neuen Fall auf die Idee gekommen, ihn nur als Zeugen einzusetzen. Das hatte ihn zwar um seinen Auftritt beim Schlussverhör gebracht, hatte ihm aber die Möglichkeit geboten, tagsüber als zwielichtiger Gärtner zu glänzen. Er hatte sich einen schleppenden Gang und einen Sprachfehler zugelegt und hatte den Tagungsteilnehmern, die als sogenannte Ermittler durch den kruden Kriminalfall stolperten und Indizien und Aussagen sammelten, regelrecht Angst eingeflößt, das hatte er gespürt.
Dann war er irgendwann in einer kleineren Rolle als polnischer Autodieb besetzt worden. Sein Akzent war besser gewesen als der eines echten Polen! Das hatten ihm alle bescheinigt! Seine Zeugenaussage hatte die Ermittler gefesselt, hatte sie verdorben für den Rest des mittelmäßigen Laienschauspielensembles.
Im letzten Jahr dann war er nur ein Postbote gewesen, der eine Paketbombe ablieferte und damit für große Aufregung sorgte. Aber auch aus seinem Kurzauftritt hatte er ein Kabinettstückchen gemacht, das den Teilnehmern mit Sicherheit noch lange im Gedächtnis haften geblieben war.
Und jetzt … der Entenmann. Ein simpler Tippgeber. Eine völlig unwichtige Randfigur. Was für ein Abstieg. Die hatten doch keine Ahnung.
Er stapfte missmutig an der Südseite des Schlosses entlang auf den Platz zu, den Schremp ihm zugewiesen hatte. Zur Linken lag der Golfplatz, da irgendwo war Katharina postiert worden. Als Nonne, die in Wirklichkeit eine Prostituierte namens Lola war. Aber das durfte er nicht wissen und auch nicht erzählen. Und dahinter lag der Tiergarten. Dort hatten sie diesmal Christian als Golfplatzwart in der Fasanerie an einen Tisch gesetzt. In einer Uniform des Schützenvereins Gescher! Da müsste ihm mal einer erklären, wozu das gut sein sollte.
Es knallte plötzlich laut, und ein paar Enten wurden aufgeschreckt. Heiner, der bei diesem Fall einen Kapitän mit Augenklappe auf Landgang spielte und außerdem der Mörder war, hatte geschossen, das Spiel ging endlich los.
Torgau bezog seufzend Stellung und atmete tief durch. Er betrachtete angewidert die Tiere, die den Schlossgraben bevölkerten. Entenmann … das war die reine Schikane. Trotzdem würde er sein Bestes geben.
Es dauerte nur etwa eine Viertelstunde, bis die erste Gruppe der Pharmatypen auftauchte. Sie kicherten enthemmt und zeigten sich gegenseitig ihre Polizeiausweise. Als sie ihn entdeckten, rief einer von ihnen: »Der da sieht aber sehr verdächtig aus!«
Tu ich gar nicht, dachte Torgau. Ich sehe doof aus. Ich bin der Entenmann.
»Wir sind die Gruppe Derrick. Da ist vorhin ein Mann erschossen worden«, sagte ein rothaariger Dicker mit wichtigem Tonfall. »Haben Sie irgendwas bemerkt?«
Falsche Frage, dachte Torgau. Ihr lausigen Ermittler. Wie soll ich dabei mit dem Geld rausrücken, das der Referent dem Golfplatzwart schuldete? »Nein, nichts mitgekriegt«, sagte Torgau knapp. »Ich beobachte nur die Enten.«
»Der Tote hatte einen Zettel in der Tasche, auf dem stand was von Geld.« Die kleine blonde Frau mit der dicken Brille hatte offenbar mehr drauf. »Und die Initialen J. F. S.«
Torgau legte die Stirn in Falten. »J. F. S., J. F. S., J. F. S., könnte Johannes-Friedrich Stehnmanns sein, der hiesige Golfplatzwart.« Torgau wollte nicht lange fackeln. Er hatte keine Lust. Je schneller das vorbei war, umso besser. »Der verlieh öfters Geld.« Er schickte gleich hinterher: »Meistens zwölftausend.« Völlig sinnfrei, aber zielgerichtet.
Die Augen der Ermittler leuchteten. Die erste Information! Sie hatten Blut geleckt.
Als sie weiterzogen, quakte er ein paar Mal unmotiviert mit der Lockpfeife herum.
Keine zehn Minuten später kam das nächste Trüppchen. Käfer hatte acht Fünfergruppen angekündigt.
»Gruppe Großstadtrevier. Halt, Sie sind verhaftet«, rief eine stark geschminkte Schwarzhaarige und lachte meckernd. Torgau unterdrückte ein Gähnen. Er sagte: »J. F. S. könnte die Abkürzung von Johannes-Friedrich Stehnmanns sein. Golfplatzwart. Verleiht Geld. Raten Sie mal, wie viel.«
»Tausend?«, schätzte ein Schlechtrasierter im Polohemd aufs Geratewohl.
»Zwölftausend.« Torgau quakte mit der Lockpfeife. »Hat er dem Referenten übrigens auch geliehen, die Summe.«
»Der Referent? Der ist vor einer halben Stunde vor unseren Augen …«
»Erschossen worden. Hab ich gehört.«
Verwirrt notierten die Mitglieder der fünfköpfigen Gruppe Großstadtrevier die Ermittlungsergebnisse auf ihren Blöckchen und stolperten weiter.
Ein bunter Erpel watschelte auf Torgau zu und durchpflügte mit dem Schnabel das Gras zu seinen Füßen.
»Verzieh dich. Sonst mach ich Nummer einundzwanzig süßsauer aus dir!«
Eine weitere Gruppe trabte heran. Die Gruppe Matula.
»Halt! Sie sind umzingelt!«, witzelte ein kahlköpfiger Hüne.
Torgau versuchte es noch minimalistischer als vorhin: »Zwölftausend.«
Ratlose Gesichter.
»Zwölftausend schuldete euer Referent diesem Johannes-Friedrich Stehnmanns. J. F. S., Golfplatzwart.«
Sie hielten die neuen Fakten auf Papier fest und entfernten sich verunsichert. Ging doch zügig. Keine unnötigen Fragen, keine weitschweifigen Antworten.
»He!« Auf der Caféterrasse des Schlosses auf der anderen Seite des Wassergrabens saßen um diese Zeit nur ein paar vereinzelte Gäste. »He! He, Luc!« Käfer fuchtelte wie wild in der Luft rum.
Erwischt.
»Ich hab alles mit angehört! Was soll das, du Idiot? Nennst du das eine Zeugenaussage?« Er versuchte, nicht vor Wut laut loszuschreien.
Torgau biss sich auf die Unterlippe. Mist. Das würde ihm Käfer so schnell nicht verzeihen. Er rief beschwichtigend: »Ich hab alles gesagt. Referent … zwölftausend … Golfplatzwart. Mehr hab ich ja nicht.«
»Bist du völlig plemplem? Spiel jetzt gefälligst ordentlich, sonst … sonst …« Die Stimme am anderen Ufer überschlug sich.
Die nächste Gruppe rückte an, und Käfer stahl sich über die Terrasse davon. Nicht ohne Torgau vorher noch die geballte Faust zu zeigen.
»Stehen bleiben, oder wir schießen!« Ein Mann mit Basecap schwenkte den Polizeiausweis. Gruppe Bella Block.
Torgau linste verunsichert zur Terrasse. Käfer war nicht mehr zu sehen, aber wer konnte schon wissen, wo sich die beiden herumtrieben. Jetzt kontrollierten sie ihn also schon.
»Was machen Sie hier?«, fragte der Anführer der Gruppe.
»Ich beobachte Enten.« Torgau quakte ein bisschen. Ein paar der gefiederten Tiere betrachteten das offenbar als Aufforderung und näherten sich ihm leise rätschend.
»Darf ich mal Ihren Namen haben?«, forderte eine dicke Frau im Hosenanzug.
Ja, wie hieß er denn eigentlich? War das überhaupt besprochen worden? Er war der Entenmann. Wie hieß denn so ein Entenmann?
»Josef … Josef Franz Schm … Schm … Schmatzinsky«, entfuhr es ihm, ohne dass er darüber nachgedacht hatte.
»J. F. S.!«, jubelte die Frau. »Sie haben unseren Referenten gekannt, geben Sie’s zu.«
»Äh, nun …« Torgau ließ den Blick schweifen. War einer seiner Chefs zu sehen? »Nun ja, er hat sich Geld geliehen«, murmelte er unsicher.
»Bei Ihnen?«
»Nein«, beeilte sich Torgau zu sagen. »Neinein!« Die Enten umrundeten ihn und die kleine Gruppe. Das machte ihn alles sehr nervös. »Nicht bei mir, sondern bei …« Er entdeckte in diesem Augenblick Schremp, der sich unauffällig von links näherte. »… bei der Nonne …«
»Bei der Nonne? Bei welcher Nonne denn?«
Schremps Kopf war vor Wut hochrot. Torgau fummelte nervös an seinem Fernglas herum. »Naja, sie ist keine richtige Nonne, sie ist … eine polnische Taxifahrerin.«
Die Teilnehmer notierten alles gewissenhaft. Das war ja mal ein auskunftsfreudiger Zeuge. Damit kamen sie sicher schnell zum Ziel. Sie bedankten sich artig und eilten weiter.
Schremp sprang auf ihn zu und holte mit der Hand aus, als wolle er ihn ohrfeigen. »Schmatzinsky? Haben sie dir ins Gehirn geschissen?«
»Ich bin durcheinander gekommen. Die Enten …«
»Lass mich mit deinen Enten in Ruhe! Du bist raus, Torgau! Raus! Verzieh dich!«
»Aber das kannst du doch nicht machen! Ich war nur ein bisschen neben der Spur. Das ist eine prima Rolle, dieser Entenmann. So facettenreich. Und die Tiere … Ich liebe sie!« Er versuchte hektisch, eines der umherwatschelnden Geschöpfe zu packen, drückte schließlich eine flatternde Ente an seine Brust, aber Schremp wurde nur noch wütender. »Schluss, Ende, Zappenduster! Hau ab, bevor ich mich vergesse!«
Er versetzte Torgau einen Stoß, der diesen beinahe ins Wasser befördert hätte.
»Die paar Sätze von dir kann auch mühelos einer von den anderen übernehmen.«
Torgau wandte sich mit hängenden Schultern um und schlich davon. Er blickte noch einmal zurück und sah Schremps fuchtelnde Handbewegungen, mit denen dieser ihn vertreiben wollte.
Torgau seufzte tief und entfernte sich.
Es machte den Eindruck als habe er aufgegeben.
Die Gruppe Knatterton umrundete das Schloss und hielt Ausschau nach Verdächtigen. Aber da war niemand.
»Pst!«, machte es plötzlich im Gebüsch neben ihnen. Zu ihrer Überraschung bogen sich die Zweige auseinander und der Kopf eines Mannes mit Tweedhütchen und Nickelbrille erschien. »Ich kann Ihnen helfen«, sagte er mit einem irren Grinsen.
Interessiert lauschten sie dem, was er zu sagen hatte und machten sich eifrig Notizen. Der Golfplatzwart hatte demnach die Nonne geschwängert, die mit zwölftausend Euro zum Schweigen gebracht werden sollte und mit dem Referenten ins Ausland gehen wollte. Der komplette Schützenverein von Gescher sollte von einem Kapitän schanghait werden, damit sie über den Seeweg fliehen können. Das klang nicht unbedingt schlüssig, aber waren das Krimis denn überhaupt?
Als Käfer mit hochrotem Gesicht angelaufen kam, flüchtete Torgau durch die Büsche. Dabei quakte er mit Inbrunst auf seiner Entenlockpfeife.
Der Gruppe Percy Stuart lauerte der Entenmann kurz vor der Fasanerie auf, wo sie den Golfplatzwart in Schützenuniform befragen wollten.
»Vergessen Sie alles, was die Nonne und der Kapitän Ihnen gesagt haben!«, rief Torgau. »Es geht um Enten!« Er quakte ein paar Mal laut. »Enten, in denen Rauschgift über die Grenze geschmuggelt wird. Eine Botenente, die mit einem Kilo Koks im Bauch unterwegs war, sollte hier beim Schloss vom Himmel geholt werden, wobei versehentlich die Kugel den Referenten traf. Die Nonne ist in Wirklichkeit vom Mossad, und der Kapitän war vor seiner Operation die Frauenbeauftragte der Stadt Münster!«
»Torgau!!!«, schrie Schremp, der über den Waldweg angerannt kam. Er schwenkte einen Golfschläger über seinem Kopf.
Torgau machte auf dem Absatz kehrt und rief, während er flüchtete, der verdutzten Gruppe Percy Stuart über die Schulter hinweg zu: »Die Enten! Die Enten aufschlitzen! In irgendeiner werdet ihr den Stoff schon finden!«
Hinter der Orangerie fing er die Gruppe Cobra 11 ab und brachte sie auf eine neue heiße Spur: »Ich bin der Einzige, der es weiß: Schremp und Käfer sind verkleidete Nonnen! Sie haben mit Hilfe des Kapitäns, der eine Schamanenausbildung in Papua Neuguinea gemacht hat, zwölftausend Enten zu gewissenlosen Killerenten umgepolt, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die Nonne ist in Wirklichkeit der Schützenkönig von Gescher, und der Golfplatzmann hat damals die Hindenburg in die Luft gejagt.«
Während sich die Gruppe kopfschüttelnd entfernte, atmete Torgau tief durch. Jetzt war er richtig in Fahrt. Jetzt konnte er endlich zeigen, welch ein begnadeter Mime in ihm steckte. Er nahm Käfer und Schremp kaum wahr, die sich in diesem Augenblick von zwei Seiten langsam auf ihn zu bewegten. Der eine mit einem Golfschläger bewaffnet, der andere mit dem Kreuzschlüssel seines Volvos.
»Und?«, fragte Torgau mit stolz geschwellter Brust, als sie ihn erreicht hatten. »Wie war ich?«
»Er hat es nicht anders verdient«, murmelt Schremp. »Wir mussten die Notbremse ziehen, bevor uns der ganze Fall um die Ohren flog.«
Käfer nickt nachdrücklich. »Die Pharmaheinis waren kurz davor, völlig die Orientierung zu verlieren. Wir mussten handeln.« Er schaut auf und rückt sich die Brille zurecht. »Wir können uns doch von einem drittklassigen Knattermimen nicht das Geschäft kaputt machen lassen.«
»Fast sah es so aus, als wäre alles im Eimer.« Schremps Blick wird glasig. »Fast sah es so aus, als habe Torgau uns alles versaut.«
Käfer grinst plötzlich. »Aber da kommt plötzlich die Gruppe Schimanski um die Ecke und sieht uns. Alles ist voller Blut.«
Jetzt lächelt auch Schremp. Es ist ein unschuldiges, kindliches Lächeln. »Und ich sage geistesgegenwärtig: Achtung, Leute, wir haben eine weitere Leiche! Er hat eine Entenlockpfeife. Eine seltene Beinschnitzarbeit aus Asien, geschätzte zwölftausend Euro wert. Zwölftausend! Und ich sage auch noch: Er hat sich in den Schützenverein von Gescher eingeschmuggelt, weil er an den Golfplatzwart herankommen will, der als Baby der siamesische Zwilling von der Nonne war.«
Käfer jubelt. »Damit war auch schon alles wieder im Lot. Wir haben alles rasch umgestrickt, und kein Mensch hat was gemerkt. Sie wollen wissen, wie der Fall aufgelöst wurde? Nun, die Nonne, so stellte sich heraus, war die Tochter des Paten von der Chinapalast-Mafia, die sämtliche Nummer-21-Enten-süßsauer befreit hat, und den Seemann heiraten will, der hinter dem Attentat auf J. F. Kennedy steckt. Und was keiner weiß: Kennedy hieß in Wirklichkeit Schmatzinsky. J. F. S.!«
Käfer und Schremp brechen gleichzeitig in irres Gelächter aus.
Lieber Onkel Franz,
diesen Brief schreibe ich Dir, weil ich nicht so richtig weiter weiß. Vielleicht kannst Du mir ja helfen. Da war nämlich diese Sache mit der Melkmaschine, der Gitte und der Olga.
Die Olga, das ist unsere älteste Milchkuh. So eine schwarzweiße mit einem kleinen Fleck neben dem Maul, wie Marianne Koch. Und die Gitte, das muss ich ja nicht erst sagen, das ist meine Frau. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will Dich da in nichts reinziehen, wo Du Dir doch nie was hast zu Schulden kommen lassen, aber ich brauchte halt so dringend Deinen Rat. Schließlich warst Du immer wie ein Vater zu mir.
Schade, dass Du jetzt in Berlin bist. Hier in der Eifel ist die ganze Zeit ein richtiges Scheißwetter, und da bin ich jetzt natürlich viel daheim. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Gitte das recht ist, aber, was soll ich denn machen? Jedenfalls haben wir uns ganz schön oft in der Wolle gehabt in letzter Zeit.
Ich schlafe jetzt in der Kammer über der Toreinfahrt. Gemütlich ist das nicht. Geht aber nun mal nicht anders. Und dann kam, wie gesagt, diese Sache mit der Melkmaschine. Also eigentlich geht es darum, dass wir kein Isolierband mehr im Haus hatten, und die Geschäfte hatten auch schon zu. Die Gitte und ich, wir hatten einen Riesenkrach, weil ich ihr das falsche Shampoo aus dem Ort mitgebracht hatte. Gegen Spliss sollte ich kaufen, aber es war nur noch gegen Schuppen da. Und Schuppen hat sie doch eigentlich auch.
Als sie so mit mir rumgebrüllt hat, kam der Hans vorbei, um Milch abzuholen. Und die Gitte brüllte immer noch im Stall herum, wo sie gemolken hat. Dem Hans hab ich dann in der Küche einen Aufgesetzten ausgeschüttet, und der guckt mich an und sagt: »Der würde ich den Hals rumdrehen.« Und dann bin ich mit seiner Milchkanne in den Stall, weil er sich da selbst nicht rein traute, und als ich in den Stall komme, da knistert es plötzlich an der Melkmaschine, und es riecht verschmort, und die Olga guckt mit einem Mal so komisch und kippt um. Und die Gitte, die hat auch ganz weit die Augen aufgerissen, und dann ist sie auch vom Schemel gefallen. Da war sie endlich still. Und natürlich mausetot.
Ich habe dem Hans dann schnell die Kanne vollgemacht, und dann ist er gefahren. Ich habe ihm nichts gesagt, sonst hätte er am Ende noch gedacht, ich hätte die Gitte auf dem Gewissen. Und jetzt stehe ich da mit der toten Kuh, und mit der toten Gitte natürlich auch. Die habe ich erst mal in die Tiefkühltruhe gelegt. Seit Tagen esse ich aufgetauten Kuchen und die acht Plastikdosen mit Gemüsesuppe, die von meinem Vierzigsten im vorigen Jahr übrig waren. Kannst Du mir vielleicht helfen?
Viele Grüße aus der Eifel,
Dein Joachim
Mein lieber Neffe!
Ich habe mich so furchtbar über Deine lieben Zeilen gefreut, dass ich beinahe geweint hätte, aber hier in Berlin hat man ja meistens zu nix Zeit. Diese Stadt ist einfach wahnsinnig, und man braucht auch nicht für jedes Aspirin zwanzig Kilometer zu fahren, oder einen ganzen Tag auf den nächsten Bus zu warten. Ja, ich weiß: Wenn man die älteste Milchkuh verliert, ist man ganz unten. Sich davon zu erholen, ist sehr, sehr schwer.
Und als meine geliebte Frau Bärbel damals zu ihrem HERRN heimging, weil sie gedacht hat, die Leiter in der Scheune steht an ihrem gewohnten Platz, da habe ich auch sehr, sehr gelitten. Nu ja, später stand die Leiter dann ja auch wieder da. Jedenfalls bin ich froh, dass sich alles so gut hat abwickeln lassen mit dem Erbe und dem Verkauf des Hofs und so. Und wie wunderbar, dass ich tatsächlich die Stelle beim Landwirtschaftsminister gekriegt habe. Ich bin an jedem Tag, an dem ich die Post von Abteilung zu Abteilung anliefere, richtig zufrieden und rundum glücklich.
Das mit der Gefriertruhe, Du weißt schon, ist ja durchaus ganz in Ordnung, jedenfalls fürs Erste. Schlecht ist nur, dass die Dinger kaputtgehen, wenn zuviel Flüssigkeit reinkommt: Dann fangen sie an zu stottern, und es haut die Sicherungen raus.
Tja, da kann ich wenig helfen, denn die Truhe steht ja nicht in Berlin, oder? Aber du warst schon immer ein heller Kopf. Mach was draus.
Es grüßt Dich
Dein Dich liebender Onkel Franz
Lieber Onkel Franz,
Kühltruhe ... stottern ... Sicherungen raus ... hätte ich auch von selbst drauf kommen können.
Bin ich aber leider nicht. Im Moment bin ich ja auch dauernd auf dem Feld. Und spät abends sehe ich dann die Bescherung, als ich nach Hause komme. Jetzt ist endgültig alles aufgetaut. Auch die Backofenfritten und der Wirsing ... und die Gitte auch wieder.
Zuerst habe ich dann allen mal erzählt, sie wäre verreist. Nach Berlin, zu Dir. Und dann habe ich mich bei Nacht und Nebel daran gemacht, den alten Misthaufen umzuschichten.
Schöner Mist.
Jetzt sieht alles aus wie immer. Gitte und ihr Koffer sind erst mal von der Bildfläche verschwunden. Du hilfst mir doch oder?