image

Ephraim Kishon

Die netten Nachbarn

LangenMüller

Ins Deutsche übertragen von
Friedrich Torberg und Ephraim Kishon

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe: 2011 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
© für das eBook: 2011 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlag: www.atelier-sanna.com unter
Verwendung eines Motivs von © PeJo – fotolia.com
Satz: Birgit Veits
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7844-8037-4

Inhalt

Aus absolut sicherer Quelle

Freunde erwählt man, nahe Verwandte kann man entfernen, aber Nachbarn bleiben Nachbarn. so konnte ich es nicht verhindern, dass Manfred Stockler vor Sonnenaufgang an meine Tür klopfte. Ich muss, obwohl das nicht besonders rühmenswert ist, vorausschicken, dass ich in den frühen Morgenstunden, während die übrige Bevölkerung sich in den Produktionsprozess unseres emsigen Landes einschaltet, gerade noch die Energie aufbringe, mich von einer Seite auf die andere zu wälzen und weiterzuschnarchen.

Man wird somit ermessen können, welchen Schock es für mein labiles Innenleben bedeutete, als ich eines Nachts um sieben Uhr durch wildes, hemmungsloses Klopfen an der Tür aus meinem Schlaf geschreckt wurde. Ich tastete mich hinaus, da die beste Ehefrau von allen alarmsicheres Ohropax in den Ohren hatte. Aber da hatte Manfred die Tür bereits aufgebrochen und stand im Pyjama vor mir.

»Weißt du schon?«, fragte er atemlos.

»Nein«, antwortete ich mit halbgeschlossenen Augen. »Ich will schlafen.« Damit wandte ich mich ab und schlug, vor Müdigkeit torkelnd, den Weg zum ehelichen Schlafzimmer ein.

Mein Nachbar hielt mich an der Hose fest.

»Mensch!«, keuchte er. »Das Histadruthhaus ist in die Luft gegangen! Eine Katastrophe!« (Das Histadruth- oder Gewerkschaftshaus, im Volksmund auch »Kreml« genannt, ist ein pompöses Gebäude, das alles enthält, wovon ein Bürokrat nur irgend träumen kann.)

»Wie gut müssen wir geschlafen haben, wenn uns nicht mal diese Explosion geweckt hat«, brummte ich gähnend.

»Auch ich habe nichts gehört«, gestand Manfred. »Aber Guggelmann sagt, dass ihm davon beinahe das Trommelfell geplatzt wäre. Er war schon um fünf bei mir und ist dann zu den Nachbarhäusern weitergelaufen. Ich habe es übernommen, eure Gegend zu benachrichtigen, damit keine Panik entsteht. Guggelmann ist überzeugt, dass das Haus von Terroristen gesprengt wurde. Über den Ruinen liegen dicke Rauchschwaden. Manchmal sieht man noch kleine Stichflammen in die Höhe schießen.«

Es erschütterte mich, mir das einstmals so stolze Gebäude als rauchenden Trümmerhaufen vorstellen zu müssen. Doch fiel mir gleichzeitig auf, dass mein Freund Manfred von der Wirkung seiner Nachricht so stolzgebläht war, als hätte ihm sein Chef auf die Schulter geklopft. Darüber ärgerte ich mich sehr. Ich habe für die Histadruth als solche nicht viel übrig, weil ihre Funktionäre immer stundenlang reden, ohne dass man nachher wüsste, was sie gesagt haben – aber das ist noch lange kein Grund, über die Zerstörung des Gewerkschaftshauses vor Freude zu strahlen.

»Sag einmal, Manfred – was macht dich eigentlich so glücklich?«, fragte ich unwirsch. »Wozu soll es gut sein, dass dieses Haus in die Luft gegangen ist?«

Manfred sah mich verächtlich an.

»In den Blocks, in denen ich bisher war, hat mir kein Mensch so eine blöde Frage gestellt. Ich bin durchaus nicht glücklich. Ich bin nur nicht so borniert wie du. Als altes Mitglied der Histadruth sage ich dir: Es ist ganz gut, wenn wir von Zeit zu Zeit merken, dass es in diesem Land auch noch andere Kräfte gibt. Um das Haus ist es allerdings schade, das stimmt. Eine Katastrophe.«

Mittlerweile war ich so rettungslos wach geworden, dass ich die Fensterläden öffnete und in die Welt hinausblinzelte. Der neue Tag zog strahlend auf. Vom Mittelmeer wehte eine kühle Brise. Die Wäsche der Familie Kalaniot von nebenan trocknete auf unserem Rasen. Zwei junge Hunde jagten einander im Kreis. Von der Stadtmitte her grüßte das imposante Gebäude der Histadruth. Gerade kam der Zeitungsjunge auf seinem Fahrrad vorüber, verspätet wie immer.

»Verzeih, wenn ich störe – aber die Explosion des Histadruthhauses scheint sich erst im Stadium der Planung zu befinden. Das Haus steht noch.«

Manfred versuchte mit seinen Pantoffeln verschiedene ellipsoide Figuren auf den Teppich zu zeichnen und sah mich nicht an.

»Das Haus ist vollkommen unbeschädigt«, sagte ich mit Nachdruck. »Hast du gehört?«

»Natürlich hab ich gehört. Ich bin ja nicht taub.«

»Willst du es dir nicht anschauen?«

»Nein. Das hat keinen Zweck. Es ist ja heute Nacht in die Luft gesprengt worden. Eine Katastrophe.«

»Aber du kannst es doch hier vom Fenster mit deinen eigenen Augen sehen!«

»Genug!«, brauste Manfred auf. »Du bist wirklich störrisch wie ein Maulesel! Nimm gefälligst zur Kenntnis, dass ich meine Information aus absolut sicherer Quelle habe!« Er warf mir noch ein paar wütende Blikke zu, aber dann schien sich sein Zorn zu legen und freundschaftlichem Mitleid zu weichen. »Na, mach dir nichts draus, mein Alter. Kopf hoch. Man muss auch solche Schicksalsschläge ertragen können. Weiß Gott, wer ein Interesse an dieser Explosion hatte … eine Katastrophe … Rauchwolken … Stichflammen …«

Die Wolke, die mich jetzt umfing, war nicht rauchig, sondern rot, blutig rot.

»Zum Teufel!«, brüllte ich. »Was stehst du da und erzählst mir Märchen, wo du doch nur ein paar Schritte zum Fenster machen musst, um dich selbst zu überzeugen –«

»Ich brauch mich nicht zu überzeugen. Guggelmanns Wort genügt mir.«

»Und wenn Guggelmann hundertmal sagt, dass –«

»Einen Augenblick!« Empört fiel mir Manfred ins Wort. »Willst du damit vielleicht andeuten, dass Guggelmann ein Lügner ist? Ausgezeichnet. Ich werde mir erlauben, ihm das mitzuteilen. Du kannst dich auf etwas gefasst machen!«

»Wer – was – wieso? Wer ist dieser Guggelmann überhaupt?!«

»Also bitte. Da haben wir’s. Er weiß nicht einmal, wer Guggelmann ist – aber er nennt ihn vor der ganzen Welt einen Lügner. Gehst du da nicht ein wenig zu weit?«

Ich sackte zusammen und brach in Tränen aus. Manfred strich mir teilnahmsvoll übers Haar.

»Falls du Wert darauf legst«, sagte er begütigend, »kann ich dir Augenzeugen bringen, die mit ihren eigenen Ohren gehört haben, wie Guggelmann gesagt hat, dass vom ganzen Histadruthgebäude nur ein paar Stichflammen übriggeblieben sind. Eine Katastrophe.«

»Aber hier – von diesem Fenster –«, wimmerte ich.

»Auch das Radio hat es gebracht, wenn dich das beruhigt.«

»Welches Radio?«

»Guggelmanns Radio. Das neueste auf dem Markt. Mindestens neun Röhren.«

Ein paar wahnwitzige Sekunden lang war ich drauf und dran, ihm zu glauben. Das menschliche Auge kann irren, aber Guggelmann bleibt Guggelmann … Dann warf ich mich mit heiserem Röcheln auf Manfred Stockler und zerrte ihn ans Fenster:

»Da – schau!! Schauen sollst du!! Hinausschauen!!«

»Wozu?« Manfred schloss die Augen und krümmte sich in meinem eisernen Griff. »Wenn ich zum Fenster hinausschauen wollte, könnte ich ja zu meinem eigenen Fenster hinausschauen. Aber Guggelmann hat gesagt –«

»Schau – schau hinaus – schau – schau hinaus –«, ich hatte mich in seinen Haaren festgekrallt und schlug seine Stirn im Takt gegen den Fensterrahmen, »schau hinaus und sag mir, ob sie das Haus in die Luft gesprengt haben oder nicht. Ob das Haus dasteht oder nicht.«

»Jetzt steht es da«, sagte Manfred.

»Was heißt das – jetzt?«

»Es wurde heute Nacht in die Luft gesprengt und am Morgen wieder aufgebaut.«

Schlaff sanken meine Arme nieder. Manfred entwand sich mir unter hässlichen Flüchen und eilte in den klaren Morgen hinaus, um die noch nicht informierten Nachbarn über die Katastrophe zu informieren.

Ich schleppte mich mühsam ins Bett neben die friedlich schlummernde beste Ehefrau von allen zurück, schloss die Augen und verfiel in einen krampfigen, ungesunden Schlaf, der auch pünktlich einen Alptraum mit sich brachte: Sämtliche Atombombenvorräte sämtlicher Großmächte waren durch einen Irrtum gleichzeitig explodiert, und die ganze Welt lag in Trümmern. Nur das Histadruthgebäude stand unversehrt da.

Übrigens bin ich keineswegs sicher, ob so etwas nicht wirklich passieren kann. Ich muss Guggelmann fragen.

Die Früchte des Misstrauens

Vor einiger Zeit erklärte meine Gattin, dass sie ihre Haushaltspflichten nicht mehr allein bewältigen könne. Sie wüchsen ihr einfach über den Kopf, seit auch noch der Kanari hinzugekommen sei. Und es müsste sofort eine tüchtige Hilfskraft her.

Nach langen Prüfungen entschieden wir uns für Mazal, ein weibliches Wesen, das in der Nachbarschaft den besten Ruf genoss. Mazal war eine Orientalin von mittleren Jahren und gelehrtem Aussehen. Dieses verdankte sie ihrer randlosen Brille, die sie mit zwei Drähten auf der Nasenspitze balancierte.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir wussten sofort, dass Mazal die Richtige war, meine überarbeitete Ehegefährtin zu entlasten. Es ging auch alles ganz glatt – bis plötzlich unsere Nachbarin, Frau Schawuah Tow, das Misstrauen in unsere nur allzu empfänglichen Ohren träufelte. »Ihr Einfaltspinsel«, sagte Frau Schawuah Tow, als sie uns eines Morgens besuchte und unsere Hausgehilfin eifrig mit dem Besen hantieren sah. »Wenn eine Weibsperson wie Mazal für euch arbeitet, dann tut sie es ganz gewiss nicht um des schäbigen Gehaltes willen, das sie von euch bekommt.«

»Warum täte sie es sonst?«

»Um zu stehlen«, sagte Frau Schawuah Tow. Wir wiesen diese Verleumdung energisch zurück. Niemals, so sagten wir, würde Mazal so etwas tun.

Aber meiner Frau fiel bald auf, dass Mazal, wenn sie den Fußboden kehrte, uns nicht in die Augen sah. Irgendwie erinnerte sie uns an das Verhalten Raskolnikows in »Schuld und Sühne«. Und die Taschen ihres Arbeitskittels waren ganz ungewöhnlich groß.

Mit Raffinement begann ich sie zu beobachten, wobei ich so tat, als wäre ich in die Zeitungslektüre vertieft. Ich merkte, dass Mazal besonders unser Silberbesteck mit merkwürdig gieriger Freude säuberte. Auch andere Verdachtsmomente erhärteten sich. Die Spannung wuchs und wurde nach und nach so unerträglich, dass ich vorschlug, die Polizei zu verständigen.

Meine Frau jedoch, Leserin von Detektivgeschichten, meinte, dass es sich um mehr oder weniger anfechtbare Indizienbeweise handle und dass wir vielleicht besser unsere Nachbarin um Rat fragen sollten.

»Ihr müsst das Ungeheuer in flagranti erwischen«, erklärte Frau Schawuah Tow. »Zum Beispiel könntet ihr irgendwo Geld verstecken. Und wenn Mazal es findet, ohne es zurückzugeben, dann schleppt sie vor den Richter!«

Am nächsten Tag stellten wir die Falle. Wir entschieden uns für eine Fünfpfundnote, die wir unter die Badezimmermatte praktizierten. Vom frühen Morgen an war ich so aufgeregt, dass ich nicht arbeiten konnte. Auch meine Frau klagte über stechende Kopfschmerzen. Immerhin gelang es uns, einen detaillierten Operationsplan festzulegen: Meine Frau würde die Ertappte zurückhalten, während ich die Polizei alarmierte.

»Schalom«, grüßte Mazal, als sie ins Zimmer trat.

»Ich habe unter der Matte im Badezimmer zehn Pfund gefunden.«

Wir verbargen unsere Enttäuschung hinter unverbindlichem Gemurmel, zogen uns zurück und waren fassungslos. Minutenlang konnten wir einander überhaupt nicht in die Augen sehen. Dann sagte meine Ehegattin: »Ich habe nie begriffen, wie du diesem goldehrlichen Geschöpf zutrauen konntest, seine Arbeitgeber zu bestehlen.«

»Ich hätte gesagt, dass sie stiehlt? Ich?!« Meine Stimme überschlug sich in gerechtem Zorn. »Eine Unverschämtheit von dir, so etwas zu behaupten! Die ganzen letzten Tage hindurch habe ich mich vergebens bemüht, dieses Muster einer tugendhaften Person gegen deine infamen Verdächtigungen zu schützen!«

»Dass ich nicht lache«, sagte meine Frau und lachte. »Du bist wirklich komisch.«

»So? Ich bin komisch? Möchtest du mir vielleicht sagen, wer die zehn Pfund unter der Matte versteckt hat, obwohl wir doch nur fünf Pfund verstecken wollten? Hätte Mazal – wozu sie natürlich unfähig ist – das Geld wirklich gestohlen, dann wären wir um zehn Pfund ärmer geworden.« Bis zum Abend sprachen wir kein einziges Wort mehr. Als Mazal ihre Arbeit beendet hatte, kam sie sich verabschieden.

»Gute Nacht, Mazal«, sagte meine Frau betont herzlich. »Auf Wiedersehen morgen früh. Und seien Sie pünktlich.«

»Ja«, antwortete die brave Hausgehilfin. »Gewiss. Wünscht Madame mir jetzt noch etwas zu geben?«

»Ihnen etwas geben? Wie kommen Sie darauf, meine Liebe?«

Daraufhin entstand der größte Radau, den es in dieser Gegend seit zweitausend Jahren gegeben hat.

»Madame wünscht mir also nichts zu geben?!«, kreischte Mazal mit funkelnden Augen. »Und was ist mit meinem Geld? He?! Sie wissen doch ganz genau, dass Sie eine Fünfpfundnote unter die Matte gelegt haben, damit ich sie stehlen soll! Ihr wolltet mich wohl auf die Probe stellen, ihr Obergescheiten, was?!«

Meine Gattin verfärbte sich. Ich hoffte, dass die Erde sich auftun und mich verschlingen würde, aber ich hoffte vergebens.

»Na? Auf was warten Sie noch?« Mazal wurde ungeduldig. »Oder wollen Sie vielleicht mein Geld behalten?«

»Entschuldigen Sie, liebe Mazal«, sagte ich mit verlegenem Lächeln. »Hier, bitte, sind Ihre fünf Pfund, liebe Mazal.«

Mazal riss mir die Banknote unwirsch aus der Hand und stopfte sie in eine ihrer übergroßen Taschen.

»Es versteht sich von selbst«, erklärte sie kühl, »dass ich nicht länger in einem Haus arbeiten kann, in dem gestohlen wird. Zum Glück habe ich das noch rechtzeitig entdeckt. Man darf den Menschen heutzutage nicht trauen …«

Sie ging, und wir haben sie nie mehr wiedergesehen.

Frau Schawuah Tow jedoch erzählte in der ganzen Nachbarschaft herum, dass wir versucht hätten, eine arme, ehrliche Hausgehilfin auszunehmen.

Seligs atmosphärische Störungen

Ich spreche aus eigener Erfahrung. Wir haben seit langem Schwierigkeiten mit unseren Nachbarn, den Seligs. Was die mit ihrem Radio aufführen, ist einfach unerträglich. Jeden Abend um 18 Uhr kommt Felix Selig todmüde nach Hause, hat aber noch genug Kraft, zum Radio zu wanken und es auf volle Stärke einzustellen. Ob Nachrichten, Musik oder literarische Vorträge herauskommen, ist ihm gleichgültig. Wenn es nur Lärm macht. Und dieser Lärm dringt bis in die entlegensten Winkel unserer Wohnung.

Die Frage, wie wir uns dagegen wehren könnten, beschäftigt uns schon seit geraumer Zeit. Meine Frau, die den Seligs unter ungeheurer Selbstüberwindung einen Besuch abgestattet hat, behauptet, dass wir das Opfer eines akustischen Phänomens seien: Das Radio dröhnt bei uns noch lauter als bei den Seligs selbst. Jedenfalls ist die Trennwand zwischen den beiden Wohnungen so dünn, dass wir beim Ausziehen das Licht abdrehen, um keine lebenden Bilder an die Wand zu werfen. Dass durch diese Wand selbst das leiseste Flüstern zu hören ist, versteht sich von selbst.

Nur ein Wunder konnte uns retten.

Und das Wunder geschah.

Eines Abends, als Seligs Höllenmaschine wieder ihren ohrenbetäubenden Lärm entfaltete, musste ich mich wegen eines unvorhergesehenen Theaterbesuchs rasieren. Kaum hatte ich meinen elektrischen Rasierapparat eingeschaltet, als es in Seligs Radio laut zu knacksen begann. Ich zog den Steckkontakt heraus – und das Knacksen hörte auf. Ich schaltete ihn wieder ein – es knackste und knackste. Dann hörte ich Felix Seligs Stimme: »Erna! Was ist mit unserem Radio los? Dieses Knacksen macht mich verrückt!«

Ungeahnte Perspektiven eröffneten sich.

Der nächste Abend fand mich wohl vorbereitet. Als Felix Selig um 18 Uhr nach Hause kam, wartete ich bereits mit gezücktem Rasierapparat. Felix torkelte zum Radio und drehte es an. Eine Minute ließ ich verstreichen – dann suchte mein elektrischer Rasierapparat Kontakt und fand ihn. Augenblicklich verwandelte sich in der nachbarlichen Wohnung eine wunderschöne Pianopassage von Rachmaninow in ein Fortis simo-Krkrkrk. Felix nahm es zunächst noch hin, offenbar in der Hoffnung, dass die atmosphärische Störung bald vorüber sein würde. Endlich hatte er genug.

»Hör auf, um Himmels willen!«, brüllte er entnervt in den Kasten, und seine Stimme klang so beschwörend, dass ich unwillkürlich den Stecker aus der Wand zog.

Jetzt stellte Felix das Radio ab, rief mit heiserer Stimme nach seiner Frau und sagte, für unsere angespannten Ohren deutlich zu hören:

»Erna, es ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Der Apparat hat geknackst – ich habe ›Hör auf!‹ gebrüllt – und er hat aufgehört.«

»Felix«, antwortete Erna, »du bist schon länger überarbeitet. Heute wirst du früher schlafen gehen.«

»Du glaubst mir nicht?« brauste Felix auf. »Du misstraust den Worten deines Mannes? Höre selbst!«