Inhalt
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Die alten Quantensprünge
Acht Pioniere
1 Max Planck (1858-1947)
2 Arnold Sommerfeld (1868-1951)
3 Ernest Rutherford (1871-1937)
4 Lise Meitner (1878-1968)
5 Albert Einstein (1879-1955)
6 James Franck (1882-1964)
7 Max Born (1882-1970)
8 Niels Bohr (1885-1962)
Acht Revolutionäre
1 Erwin Schrödinger (1887-1961)
2 Louis de Broglie (1892-1987)
3 Wolfgang Pauli (1900-1958)
4 Werner Heisenberg (1901-1976)
5 Enrico Fermi (1901-1954)
6 Paul A. M. Dirac (1902-1984)
7 George Gamow (1904-1968)
8 Lew D. Landau (1908-1968)
Acht Erben
1 John Bardeen (1908-1991)
2 John A. Wheeler (1911-2008)
3 Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007)
4 David Bohm (1917-1992)
5 Richard P. Feynman (1918-1988)
6 John S. Bell (1928-1990)
7 Murray Gell-Mann (*1929)
8 Anton Zeilinger (*1945)
Die kommenden Quantensprünge
Literatur
Eigene Titel
Titel anderer Autoren
Dank
Erklärungen
Lesetipps
Quantensprünge kennt inzwischen jeder. Gemeint ist das Wort. Denn wer Unternehmern, Managern, Politikern oder anderen Festrednern zuhört, kann darauf wetten, dass es nicht lange dauert, bis in den jeweiligen Reden angekündigt oder gar versprochen wird, dass demnächst Quantensprünge in der Entwicklung eintreten würden. Damit sind plötzlich in Erscheinung tretende und außerordentliche Dimensionen annehmende Fortschritte sowie damit verbundene Gewinne gemeint, die dem Wohle des Volkes oder zumindest dem der Aktionäre dienen und mit deren Hilfe die Redner hoffen, die Zukunft meistern oder gestalten zu können.
Der doppelte Unsinn
Quantensprünge erfreuen sich also großer Beliebtheit, und niemand bemerkt, dass bei dieser fröhlichen Beschwörung einer wissenschaftlichen Idee und ihrer Einbettung in den sozialen Alltag das tatsächlich damit Gemeinte in doppelter Hinsicht auf den Kopf gestellt und also ziemlich unsinnig wird.
Zum einen bezeichnet die Physik, der wir das Konzept eines Quantensprungs verdanken, mit diesem Ausdruck und der entsprechenden Tatsache die allerkleinste Veränderung, die einem gegebenen Etwas – einem Atom oder einem Molekül – passieren kann, und wenn die damit verbundene Bewegung einsetzt, geht es gewöhnlich bergab, also nach unten. Ein Atom etwa, das einen Quantensprung ausführt, landet dabei zumeist in seinem Grundzustand, wie die Wissenschaft es nennt, und in dieser Position möchte es dann so lange wie möglich untätig verweilen. Ein Quantensprung bewirkt also etwas, das die erwähnten Manager und Politiker für das von ihnen Verantwortete unter allen Umständen vermeiden möchten. Und das macht die Frage unvermeidlich: Warum reden sie überhaupt von Quantensprüngen? Für außenstehende Laien gilt auf jeden Fall die Regel: Wenn sie demnächst hören, dass Wirtschaftsbosse oder führende Politikerinnen, die etwas von Physik verstehen, Quantensprünge für ein Unternehmen oder die allgemeine Lage ankündigen, und wenn sie das Gesagte ernst nehmen, dann sollten sofort alle relevanten Aktien auf den Markt geworfen bzw. eine andere Partei gewählt werden.
Während diese erste öffentliche Verdrehung einer wissenschaftlichen Einsicht inzwischen vielen auffällt, bleibt die zweite bislang noch unbemerkt. Da sie aber tiefer geht, sollte sie von allen sorgfältig bedacht werden, die sich seriös darauf einlassen wollen, die physikalische Wirklichkeit, so wie sie sich nach der Entdeckung der Quantensprünge und mit deren Hilfe darstellt, zu verstehen. Denn im Gegensatz zu den publikumswirksamen Beschwörern von (fantasierten und zugleich fantastischen) Quantensprüngen – meist begrüßen und bejubeln sie die dazugehörigen Veränderungen freudig und können eigentlich gar nicht genug von ihnen bekommen – zeigten sich die wissenschaftlichen Entdecker des ruckhaften und unsteten Verhaltens der Natur erst erstaunt und dann schockiert. Sie reagierten entsetzt, verzweifelt, erschrocken und verwirrt, wie ihren Biografien zu entnehmen ist, und sie litten unter ihren eigenen Befunden. Einige Physiker fühlten sich von der Quantenhopserei gar angewidert und angeekelt, und viele von ihnen hatten nur eines im Sinn, nämlich die unstetigen Elemente unter allen Umständen und so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Paradox formuliert: Sie verstanden die Welt nicht mehr, obwohl sie sie gerade verstanden hatten (wie wir heute wissen und sagen können). Einer von ihnen, der Däne Niels Bohr, meinte, wer bei der Physik der Quantensprünge nicht verrückt werde, der habe sie überhaupt nicht begriffen, und seine jüngeren Kollegen zitierten als wiederkehrenden Orgelton den Satz, den Shakespeare seinem Hamlet in den Mund legt: »Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.« Wir werden diesem Hamlet-Prinzip des wissenschaftlichen Fortschritts noch häufiger im Buch begegnen. Das Besondere an ihm ist, dass es nahezu nichts mit der fiktiven Logik der Forschung zu tun hat, an der viele Wissenschaftstheoretiker bis heute festhalten.
Tatsächlich und zu unserem Glück kennt die Forschung Methoden und hält sich auch an diese, um nachvollziehbar argumentieren zu können. Gerade deshalb bedurfte es eines Akts der Verzweiflung, um die Quantensprünge überhaupt einzuführen, und es war der zwar große, aber stets bescheiden bleibende Max Planck, der ihn ziemlich pünktlich zum Beginn des 20. Jahrhunderts vollziehen konnte bzw. musste. Wenn ihn damals jemand gefragt hätte, ob ihm seine Theorie gefalle, hätte er sicher mit Nein geantwortet und hinzufügen können, »aber einer musste sie aufstellen«.
Planck wurde unfreiwillig auf den Weg zum Quantensprung geführt, als er versuchte, mit einem scheinbar schlichten Problem seiner Wissenschaft, der Physik, fertig zu werden. Es ging ihm um das Licht, das ein (möglichst schwarzer) Körper allein deshalb aussendet, weil ihm Wärme zugeführt wird. Ein Stück Eisen etwa, das in einem Ofen erhitzt wird, glüht erst rot, dann gelb und weiß, bevor es schmilzt, und die Aufgabe, die sich Planck gestellt hatte, klang harmlos genug. Er wollte herausfinden, wie die Farbe von der Temperatur abhängt – und vielleicht auch ableiten, welche Intensität das dazugehörige Licht aufweist. Er hoffte, dabei einen allgemeinen, universalen Zusammenhang zwischen dem Licht (genauer: seiner Farbe) und der Wärme entdecken zu können.
Nach langen und vergeblichen Mühen stellte Planck fest, dass er auf diese Fragestellung nur dann eine quantitativ zutreffende Antwort geben konnte, die mit den immer genauer werdenden Messungen vieler Physiker übereinstimmte und somit den Tatsachen bzw. den Phänomenen gerecht wurde, wenn er Folgendes annahm: Ein schwarzer Körper sendet dadurch Licht aus, dass seine Atome Quantensprünge ausführen. In diesem Fall kann das Licht in Form von unstetigen – manchmal sagt man auch diskontinuierlichen oder diskreten – Einheiten in Erscheinung treten, deren Existenz von den Messungen nahegelegt wurde. Diese für sich in Erscheinung tretenden und isoliert wirkenden Einheiten kann man als Lichtatome bezeichnen und sich als eigenständige Pakete vorstellen. Planck bezeichnete sie in seiner Fachsprache als Quanten, weil er noch Lateinisch konnte. Eine »quantitas« bezeichnet folglich eine Menge, für die man auch »quantus« sagen kann, woraus dann das Wort »quantum« entsteht, das ausdrückt, wie viel in einer Menge ist, wie viele Quanten also im Licht zu finden sind.
Ihre Quanten wirken und entstehen, wenn Atome von einem Zustand in einen anderen wechseln, was nur geht, wenn sie plötzlich springen. Bei diesen Quantensprüngen geben sie Energie ab, nämlich in Form von Licht, und genau dies konnte Planck berechnen, und zwar mit höchster Präzision. Wie sich zeigte, erklärte sich so die Intensität des Lichts und seiner Farben, die man seit dem 19. Jahrhundert mit großem Aufwand vermessen hatte, ohne bislang in der Lage zu sein, sie zufriedenstellend deuten zu können. Jetzt endlich war Planck dem bunten Leuchten der schwarzen Körper mit den geheimnisvollen Quantensprüngen auf die Spur gekommen, und dafür hat man ihn 1918 mit dem Nobelpreis für sein Fach ausgezeichnet.
Die Löcher in der Welt
Atome also können springen und dabei leuchten. Wenn man das so unvermittelt hört, versteht man nicht, was daran bemerkenswert oder gar schockierend sein soll. Viele Dinge können springen oder hüpfen: Mücken im Gras, Menschen in die Luft und über einen Graben, Schachfiguren auf ein anderes Feld und vieles mehr. Warum regt man sich dann über die Sprünge von Atomen auf? Die Antwort steckt in dem, was bei der diskreten Bewegung selbst zwischen den Zuständen passiert, zwischen denen gewechselt wird.
Ein Kind, das von einer Mauer auf eine Wiese hüpft, befindet sich zwischendurch im freien Fall, und zwar für alle sichtbar. In jedem Augenblick lässt sich erkennen, wo und wie sich das Kind befindet, und diese Tatsache drückt man durch das Wort »stetig« aus. Das Kind ändert seine Position beim Sprung von der Mauer somit ständig und stetig (und zwar schön nach den Gesetzen der Physik). Wenn man eine Zeichnung von dem Aufenthaltsort des Kindes während des Sprungs machen würde, bräuchte man den Bleistift nicht abzusetzen und könnte eine durchgehende Linie zu Papier bringen.
Genau das geht bei Atomen nicht mehr, die bekanntlich aus einem Kern bestehen, den Elektronen wolkenartig umhüllen. Wenn Atome Quantensprünge ausführen, bewegen sich zunächst deren Elektronen. Diese nehmen Energie auf oder geben sie ab, und zwar unstetig. Das heißt: Wenn diese elementaren Bausteine »schwuppdiwupp und mit Elan auf die nächste Quantenbahn« hopsen, dann wissen wir nur, wo sie sich vor dem Absprung befanden und wo sie nach der Landung angekommen sind. Ihr Springen selbst jedoch scheint es nicht zu geben. Atome bzw. ihre Elektronen können sich zwar in verschiedenen und getrennten Zuständen befinden, aber zwischen diesen Wirklichkeiten gibt es keine weitere Möglichkeit. Da klafft eine Lücke in der Natur, und die bleibt immer leer. Es gibt für Atome kein Dazwischen. Die Natur gesteht ihnen keinen kontinuierlichen Wandel – dadurch bedingt, dass sie durchgängig existieren – zu, und bei diesem Verbot bleibt sie unerbittlich. Sie verhält sich so aus gutem Grund, wie wir später noch sehen werden.
Bei einem Quantensprung muss man den Stift absetzen, wenn man ihn zeichnen will (links). Klassische Sprünge kann man als Strich zeichnen (rechts).
Anschaulich formuliert: Wer den Aufenthaltsort von atomaren Bausteinen zeichnen möchte, wenn sie einen Quantensprung ausführen, muss den Bleistift absetzen und eine durchbrochene – diskrete, lückenhafte, unstetige – Linie zu Papier bringen. Zwischen dem Ausgangspunkt und dem Endpunkt von Quantensprüngen klaffen Leerstellen, und es waren diese Löcher, deren Existenz Planck und seine Kollegen bis ins Mark erschüttert und erschrocken hat. Mit ihrem Vorhandensein konnte doch der schöne und beruhigende Satz nicht mehr stimmen, mit dem der Philosoph Leibniz rund zweihundert Jahre zuvor die ideale Überzeugung aller Forscher seit der Antike ausgesprochen und zusammengefasst hatte, als er – in lateinischer Sprache, wie es sich damals gehörte – festlegte, dass die Natur keine Sprünge macht: »Natura non facit saltus«. Und niemand hat vor Planck auch nur einen Moment an die Möglichkeit gedacht, dass an dieser Stelle eine andere Ansicht zutreffen und Vorrang haben könnte.
Ein Ganzes ohne Teile
Heute wissen wir: Die Natur macht die Sprünge aber doch, und das Merkwürdige ist, dass wir ihr dafür dankbar sein sollten, ebenso wie den mutigen Forschern, die das Unstete der Natur entdeckt und erschlossen haben. Wie nämlich der Verlauf der Geschichte zutage gebracht hat und wie in diesem Buch erzählt wird, zeigen die kleinen Quantensprünge eine wahrlich große Wirkung mit enormer Bedeutung. So paradox es auch klingen mag, es sind gerade die sich als Quantensprünge bemerkbar machenden Löcher der Wirklichkeit, die dafür sorgen, dass die Welt erstens stabil bleibt und zweitens ein Ganzes ist, zu dem wir selbst auch gehören. Wir können beide Behauptungen beweisen bzw. verstehen und wollen dies in diesem Buch Schritt für Schritt – von einer Stufe der Hintertreppe zur nächsten – unternehmen.
Mit den Quantensprüngen erweist sich die uns zugängliche Welt als eine Einheit, die gar nicht aus den Teilen besteht, obwohl wir dauernd von diesen reden. Das heißt, natürlich lassen sich da draußen Einzelteile identifizieren – Atome, Elektronen, Moleküle und viele andere –, und wir können ihnen passende Namen geben und uns damit über sie verständigen. Aber wenn wir diese Benennungen aussprechen, dürfen wir nicht denken, dass wir die dabei sprachlich anvisierten Dinge faktisch vom Rest der Welt getrennt haben. Ein Elektron gehört stets in einen Zusammenhang, und selbst das Wort »Elektron« gehört in einen Kontext und bekommt nur da seine Bedeutung. Das bleibt auch dann so, wenn ich die unvermeidliche Einbettung nicht direkt anspreche, wenn sie ausgeblendet oder übergangen wird, was deshalb leicht passiert, weil uns die Sprache dazu verführt. Mit ihren isoliert stehenden oder getrennt aussprechbaren Wörtern entsteht der Eindruck, dass sich die bezeichneten Teile ebenso separiert betrachten lassen wie Wörter. Doch das geht nicht und bringt nichts, wie uns die Quantensprünge verdeutlichen, die zwar selbst nichts zu sein scheinen, dafür aber alles in Beziehung setzen und zusammenhalten.
Die Welt und jedes Ich – beide gehören zusammen und bleiben untrennbar. Die Quantensprünge zeigen es, wenn wir uns auf sie einlassen. Und wir können dies beruhigt tun. Der ursprüngliche Schrecken der Entdecker ist längst einem staunenden Stolz der Anwender gewichen. Die folgenden Geschichten wollen helfen, daran teilhaben zu können. Wenn der Aufstieg über die hier angebotene Hintertreppe gelingt, könnte man riskieren, von einem Quantensprung im öffentlichen Verstehen von Wissenschaft zu sprechen – aber nur dann, wenn man weiß, wie anders er in der Wirklichkeit abläuft.
Max Planck gehört zu den Menschen, vor denen man sich verneigen oder zumindest den Hut ziehen sollte. Er war ein aufrechter Mann, dem man nur mit Respekt begegnen kann. Als Physiker war Planck groß, sein Name ist durch das Planck'sche Quantum der Wirkung, das inzwischen als viel zitierter Quantensprung Eingang in die Populärkultur gefunden hat, unsterblich geworden. Sein untadeliger Ruf als vorbildlicher Wissenschaftspolitiker führte dazu, dass 1948 eine Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft nach ihm benannt wurde, die weltweite Anerkennung genießt. Und auch als Philosoph konnte Planck überzeugen, wobei sein Name hier für das stete Bemühen um ein einheitliches wissenschaftliches Weltbild steht, dessen Grenzen ihm so selbstverständlich waren wie die Qualität seiner Wissenschaft von der Natur und ihre Wirklichkeit. In einer Rede als Rektor der Berliner Universität erklärte Planck im Jahre 1913: »Auch für die Physik gilt der Satz, dass man nicht selig wird ohne Glauben, zum mindesten den Glauben an eine gewisse Realität außer uns.«
Lebensstufen
Plancks Leben lässt sich auf mannigfaltige Weise einteilen. Es findet zur einen Hälfte im 19. und zur anderen Hälfte im 20. Jahrhundert statt. Der am 23. April 1858 in Kiel geborene und in München aufgewachsene Planck ist zunächst vor allem mit dem Studium der Physik beschäftigt, obwohl ihm einer seiner Lehrer 1874 den immer wieder zitierten Rat gegeben hat, das Fach zu vermeiden, da »grundsätzlich Neues darin kaum mehr zu leisten sein wird«. Wir wollen an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, warum der damals 16-jährige Planck den Rat eines 60-jährigen Professors ausschlägt, doch bemerkenswert ist, dass die Zunft der Wissenschaftstheoretiker an dieser Stelle feige kneift, nach Gründen zu suchen, weil sie ohnehin nicht an der psychischen Beschaffenheit ihrer Helden interessiert ist. Es darf angenommen werden, dass ihm andere (tiefere) Quellen als das rationale Abwägen geholfen haben, sich trotz der Warnung für die Physik zu entscheiden – so jedenfalls deute ich den Mut, den der junge, fast noch knabenhafte Planck zum Beginn seines Studiums zeigt.
Planck schließt seine Studien zügig ab. Im Alter von 21 Jahren promoviert er mit einer Arbeit über die Frage, was neben der Energie noch bestimmt, auf welche Weise physikalische Prozesse ablaufen und welche Richtung sie dabei einschlagen. Zwar beklagt sich Planck, dass niemand seine Doktorarbeit gelesen hat, aber ein Rebell wird er nicht. Schon 1885 übernimmt er eine Professur für Physik in Kiel, bevor die Universität Berlin ihn 1889 in die Hauptstadt ruft. Hier in Berlin wird er lange bleiben und Karriere machen, erst als Physiker und dann als Organisator der Wissenschaft. Berühmt werden seine Vorlesungen zur Thermodynamik, die 1897 erscheinen und viele Auflagen erleben.
Berühmt wird auch Plancks Einführung in die Theoretische Physik, die zwischen 1916 und 1930 in fünf Bänden herauskommt und das Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit im engeren Sinne andeutet, für die er vielfach ausgezeichnet worden ist. 1918 erhält Planck den Nobelpreis für Physik, und zehn Jahre später – zu seinem 70. Geburtstag – stiftet die deutsche Wissenschaft die Max-Planck-Medaille, die er selbst als Erster entgegennehmen darf – und zwar aus den Händen von Albert Einstein, der dann als Zweiter durch den Namensgeber selbst ausgezeichnet wird.
In den folgenden Jahren publiziert Planck mehr philosophisch orientierte Texte wie die Wege zur physikalischen Erkenntnis und engagiert sich immer stärker als Wissenschaftspolitiker. Seit 1912 schon fungierte er als ständiger Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften, und 1930 wird er im eigentlich schon hohen Alter von 72 Jahren Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die 1948 – ein Jahr nach Plancks Tod am 10. April 1947 in Göttingen – einen neuen Namen bekommen wird, nämlich seinen.
Tiefe Überzeugung und tiefes Leid
Planck verstand Physik als »Suche nach dem Absoluten«, und er glaubte fest und voller Vertrauen, diese Wissenschaft bringe Gesetze hervor, die unabhängig vom Menschen absolute Gültigkeit besitzen. Als Student nahm er unter dieser Vorgabe das Prinzip von der Erhaltung der Energie »wie eine Heilsbotschaft« in sich auf. Das Bemühen um solche Zusammenhänge erschien ihm als »die schönste wissenschaftliche Aufgabe«, wobei er es als selbstverständlich erachtete, dass man dabei nie an ein Ende kommen würde, war es doch die Sehnsucht nach dem Suchen der natürlichen Ordnung, »die das schönste Glück des denkenden Menschen bedeutete« und ihm das Bewusstsein verlieh, »das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren«.
Mit diesen Worten zitierte Planck Goethe, dem er sich sowohl gedanklich wie stilistisch verbunden fühlte. Plancks Aufsätze, die sich mit Themen wie Wissenschaft und Glaube oder Kausalität und Willensfreiheit befassten, machen bis in die Wortwahl hinein das klassische humanistische Erbe deutlich, das er vertreten und verteidigen wollte. Planck reicht auf diese Weise weit in die europäische Geistesgeschichte zurück, aber er dringt mit seinem wissenschaftlichen und persönlichen Leben auch weit mit ihr nach vorne. Dabei soll es zur Tragik seiner Biografie gehören, dass sein Land in Trümmern liegt und die deutsche Kultur umfassend vernichtet ist, als er im Alter von fast 90 Jahren in Göttingen stirbt. Die für den Ruin zuständigen Politiker konnte auch der sonst eher zurückhaltend formulierende Planck nur als »Mörderbande«, »Lumpen« und »infame Dunkelmänner« bezeichnen. Sie hatten ihm noch im Januar 1945 unsägliches Leid zugefügt, als sie seinen Sohn Erwin ermordeten, weil er zu den Widerstandskämpfern um Stauffenberg gehört hatte. Es ging Plancks Sohn darum, Pläne für den Aufbau eines Rechtsstaats auszuarbeiten, der nach der nationalsozialistischen Terrorherrschaft auf deutschem Boden errichtet werden sollte. Mit Erwins Hinrichtung verlor Planck das vierte Kind zu seinen Lebzeiten. Sein erster Sohn war bereits im Ersten Weltkrieg gefallen, und seine geliebten Zwillingstöchter sind beide zwischen 1917 und 1919 im Kindbett gestorben.
Wie hält jemand solch ein Schicksal aus? Wer diese Frage beantworten will, wird bei Planck vor allem den Hinweis geben müssen, dass er seine eigene Person stets hinter übergeordneten Ideen zurücktreten ließ. Für Planck gehörte das, was man oft hochnäsig bis abwertend als preußisches Pflichtgefühl bezeichnet, zu den bürgerlichen Selbstverständlichkeiten, und er bemühte sich darum bis zur Verleugnung der eigenen Person. Weder scheute er in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg den zweistündigen Fußmarsch zur Arbeit, noch zögerte er, bei Dienstreisen die Nacht auf der Bank eines Wartesaals zu verbringen, wenn durch die Inflation das Geld, das ihm zur Verfügung stand, nicht mehr für ein Hotelzimmer reichte. Dass Planck bei Eisenbahnfahrten niemals die erste Klasse benutzte, sondern sich in der damals noch angebotenen dritten Klasse mit den Holzbänken begnügte, sei hier nur am Rande vermerkt.
»In den vierzig Jahren, die ich Planck gekannt habe und in denen er mir allmählich sein Vertrauen und seine Freundschaft geschenkt hat, habe ich immer mit Bewunderung festgestellt, dass er nie etwas getan oder nicht getan hat, weil es ihm selbst nützlich oder schädlich sein könnte.« So hat Lise Meitner diese Qualität ihres Lehrers einmal beschrieben. Dabei stand die Verbindung zwischen beiden zunächst unter einem eher unglücklichen Stern, nachdem Planck sich früh im 20. Jahrhundert skeptisch gegenüber dem Frauenstudium ausgesprochen hatte. Doch 1912 stellte er Lise Meitner als Assistentin ein, weil er begriff, welche schöpferische Kraft in ihr zum Ausdruck kam. Planck half ihr nun, wo er konnte, wie er überhaupt sich für andere einsetzte, wenn er deren Talent erkannt hatte. Dazu gehörte auch Albert Einstein, der bis 1905 als völlig unbekannter Angestellter in Bern auf dem Patentamt arbeitete. Selbst nachdem er seine ersten Arbeiten zur Relativitäts- und Quantentheorie publiziert hatte, blieb Einstein ein obskurer Name im Reich der Physik. Erst Planck hat ihn für die Wissenschaft entdeckt, und zwar gleich doppelt: Zum einen hat sich Planck – als Freund – bereits 1906 darum bemüht, Einstein nach Berlin zu holen, und zum anderen hat er sich – als Wissenschaftler – gleich an die Arbeit gemacht und versucht, mithilfe von Einsteins Ideen die klassische Physik Newtons relativistisch zu erweitern (wie es in der Fachsprache heißt).
Doch trotz der offenkundigen wissenschaftlichen Beweglichkeit schätzte Einstein seinen frühen Förderer Planck leider als stur ein. Der liberale Einstein verstand Plancks konservative Grundhaltung nicht, die ihm weniger demokratisch und mehr aristokratisch zu sein schien. Tatsächlich stand Planck dem allgemeinen Wahlrecht (das es im Kaiserreich in Deutschland noch nicht gegeben hatte) skeptisch gegenüber, denn er sah nicht, wie ein Volk genügend Kenntnisse und Bildung erwerben konnte, um politische Fragen auf der Basis der Vernunft entscheiden zu können.
Die Farben der schwarzen Körper
Es wird Zeit, sich der Physik Plancks zuzuwenden, und Einstein bietet dazu den Einstieg, denn eine seiner Arbeiten aus dem Jahre 1905 machte Gebrauch von einer Entdeckung, die Planck genau im Jahre 1900 gelungen war und die das herrliche Haus der Physik zum Einsturz bringen sollte, an dessen Errichtung Planck bis zu diesem Zeitpunkt höchstpersönlich kräftig mitgeholfen hatte. Planck war ganz zu Anfang des 20. Jahrhunderts zum Revolutionär wider Willen geworden. Dabei sah das Problem, mit dem er sich befasste, eher harmlos aus. Es ging um die Strahlung, die ein schwarzer Körper aussendet, dessen Temperatur erhöht wird. Wie jeder weiß (oder wissen sollte), wird zum Beispiel ein Stück Stahl bei Erhitzung erst rot-, dann gelb- und zuletzt weißglühend, und die Frage an die Wissenschaft lautete, ob und wie das Auftreten dieser Farben erklärt werden kann. Der Ausdruck »schwarzer Körper« meint dabei im Vokabular der Physik einen Gegenstand, der kein Licht reflektiert und dessen Farben somit allein aus seiner eigenen Beschaffenheit verstanden werden müssen.
Warum beschäftigte sich Planck mit den Farben eines schwarzen Körpers und der Frage, wie das, was er ausstrahlte, von seiner Temperatur abhing? Zum einen ging es um das Thema der Umwandlung und Erhaltung von Energie, das die Physik des 19. Jahrhunderts dominiert hatte, wobei in diesem Fall Wärmeenergie (Temperatur) die Form von Strahlungsenergie (Licht) annimmt. Zum anderen hatten vor allem die Arbeiten von Robert Kirchhoff in Heidelberg gezeigt, dass dieser Vorgang nicht von dem Körper abhängig war, den man betrachtete, sondern dass hier ein universelles physikalisches Gesetz seine Wirkung zeigte. Genau dies hoffte Planck zu finden, wobei der besondere Reiz der Aufgabe darin lag, dass berühmte Kollegen vor ihm etwas angeboten hatten, was man »halbe Gesetze« nennen könnte: Es gab eine Formel für die langen Wellenlängen der roten Farbe, die ein schwarzer Körper bei niedrigen Temperaturen zeigt; es gab eine Formel für die kurzen Wellenlängen der ultravioletten Strahlen, die ein schwarzer Körper bei hohen Temperaturen aussendet; es gab aber keinen Weg, die beiden Ansätze zu einer Einheit zu verbinden.
Die erwähnten Formeln waren unter der Annahme abgeleitet worden, dass das Licht des schwarzen Körpers von seinen Atomen stammte. Doch so selbstverständlich sich dieser Zusammenhang heute aussprechen lässt, so umstritten war die Idee eines atomaren Aufbaus der Materie vor 1900, als unter den Physikern noch heiße Debatten über die Frage stattfanden, ob es Atome wirklich gibt oder nicht. In einem Rückblick auf diese Auseinandersetzungen und in Hinblick auf die dickköpfige Haltung vieler Physiker, die sich durch nichts überzeugen lassen wollten, hat Planck einmal folgende bemerkenswerte Formulierung gebraucht, die man als Plancks Prinzip der Wissenschaftsgeschichte bezeichnen könnte: »Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben, und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.«
Für Planck selbst stand die Realität der (unsichtbaren) Atome außer Frage, und er versuchte ihre Existenz aus beobachtbaren (und damit sichtbaren) Eigenschaften der Dinge abzuleiten. Die für ihn grundlegende Qualität der materiellen Prozesse bestand in dem, was unter Experten als Irreversibilität bekannt ist. Damit sind Vorgänge und Abläufe gemeint, die sich nicht vollständig rückgängig machen lassen.
Doch mit dem festen Glauben an die Existenz der Atome war nur der Weg zu der Strahlenformel für schwarze Körper vorgezeichnet, ohne dass eines der Hindernisse überwunden war, die darauf lagen. Wie konnte man sich vorstellen, dass Atome Licht hervorbringen? Klar schien, dass die Aussendung der entsprechenden Strahlen erneut als Umwandlung von Energie zu verstehen war, aber wie wurde aus der Energie der Atome die Energie des Lichts?
Das Quantum der Wirkung
Als Planck im Jahre 1900 vor dieser physikalischen Frage stand, an der viele Physiker vor ihm gescheitert waren, kam ihm die Idee, es mit einem mathematischen Trick zu probieren. Planck sah nämlich, dass die beiden oben erwähnten halben Gesetze zu einem ganzen verbunden werden konnten, wenn er – zunächst als rein rechnerische Hilfestellung – annahm, dass die Energie, die Atome als Licht abgeben, nicht als kontinuierlicher Strom, sondern in Form von diskreten Einheiten entweicht. Konkret ausgedrückt: Planck führte eine Hilfsgröße in die Physik ein, die er – vielleicht deshalb – mit dem kleinen Buchstaben h bezeichnete und die er sobald wie möglich wieder aus den Gleichungen entfernen wollte, was nichts anderes hieß, dass Planck daran dachte, am Ende seiner Bemühungen das h langsam, aber sicher gegen Null gehen zu lassen, um so zu dem stetigen Strömen der Energie zurückzukehren, das der klassischen Physik selbstverständlich war. Das kleine h schien ihm so wenig Bedeutung zu haben wie der Buchstabe h in dem Wort »Wahn«. Er brauchte diese Hilfsgröße nur als ein vorübergehendes Mittel, um die beiden Halbgesetze zu der Formel zusammenzuschweißen, deren Vorhersagen perfekt mit den experimentellen Daten übereinstimmte. Übrigens lud Planck die mit diesen Messungen bestens vertrauten Physiker der Berliner Universität eigens zu sich nach Hause ein, um ihre Daten bei einer Tasse Tee aus erster Hand zu bekommen und sicher zu sein, hier auch nicht die kleinste Abweichung zu übersehen.
Das Quantum der Wirkung |
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Das Quantum der Wirkung legt fest, wie groß Quantensprünge sind. Plancks Konstante h – der Quantensprung der Wirkung – kann heute extrem genau vermessen werden. Ihr Zahlenwert ist extrem winzig. Er liegt bei ungefähr 6 · 10-27 (zehn hoch minus siebenundzwanzig) erg·sec, wobei die zuletzt genannte Einheit das Produkt aus der Maßeinheit für eine Energie (erg) und der Sekunde (sec) ist. Die Planck'sche Konstante wirkt jedoch noch viel winziger in der Einheit Joulesekunde (Js), in der sie in den Lehrbüchern und Lexika verzeichnet wird. Dann handelt es sich um den Wert von (ziemlich genau) 6,626 · 10-34 (zehn hoch minus vierunddreißig) – was auch beim besten Willen unvorstellbar klein bleibt. |
Tatsächlich zeigte sich, dass Planck mithilfe seines Parameters h die Farben des schwarzen Körpers so präzise vorhersagen konnte, wie es sich die Physiker des 19. Jahrhunderts erträumt hatten. Doch ein Gefühl des Triumphes wollte sich bei ihm nicht einstellen, denn der Preis für diesen Erfolg war eine Unstetigkeit in der Natur, die durch das kleine h ausgedrückt wurde, das heute als Planck'sches Quantum der Wirkung zu den fundamentalen Konstanten der Natur gerechnet wird. Das h tat Planck nämlich nicht den Gefallen, am Ende zu verschwinden. Es drängte sich vielmehr nach und nach in die Mitte der Atomphysik. Es nahm immer offenkundiger physikalische Realität an, es verlangte immer mehr Aufmerksamkeit, und zuletzt zwang es die Physiker, eine völlig neue Physik, die Quantenmechanik, aufzustellen.
Es ist übrigens wichtig, sich klarzumachen, dass es nicht die Energie selbst ist, in der sich das Sprunghafte (Quantenhafte) der Natur unmittelbar ausdrückt. »Quantisiert« ist primär das, was die Physiker »Wirkung« nennen, und damit meinen sie das Produkt aus Energie und Zeit. Wenn man eine so definierte Wirkung mit einer Frequenz multipliziert, hebt sich die Zeit auf, und man erhält eine Energie, und an dieser Stelle bekommt Plancks scheinbar oberflächlicher mathematischer Trick seine tiefe physikalische Bedeutung. Die Energie von Licht lässt sich jetzt nämlich berechnen, wenn man seine Frequenz mit dem Wirkungsquantum h multipliziert. Doch so selbstverständlich dieser Zusammenhang heute benutzt wird, so schockierend war er für die Physiker im frühen 20. Jahrhundert. Denn da sich eine Frequenz schlecht für einen Zeitpunkt festlegen lässt – man benötigt ein Intervall, um zu zählen –, musste man annehmen, dass die Energie selbst nicht zu allen Zeitpunkten definiert ist. Diese Einsicht war aber nur schwer mit dem Satz von der Konstanz der Energie zu vereinbaren, der damals zu den Grundpfeilern der Physik zählte.
Planck kannte diese Schwierigkeiten ganz genau, und er litt darunter, wobei es ihn auch nicht tröstete, dass man ihm dafür den Nobelpreis für Physik verlieh. Als er 18 Jahre nach der Entdeckung des Wirkungsquantums am Ende des Ersten Weltkriegs die Einladung aus Stockholm erhielt, war zwar die physikalische Bedeutung des Quantums deutlicher geworden, doch eine Theorie, die als neue Mechanik die alte von Newton ersetzen konnte, zeichnete sich noch nicht ab. Sie kam erst in der Mitte der 1920er-Jahre zustande, und zwar durch Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger. Bis es so weit war, mussten sich die Physiker mit dem begnügen, was heute die alte Quantentheorie heißt. Sie ist durch die Tatsache charakterisiert, dass man verstanden hatte, dem Wirkungsquantum einen physikalischen Sinn zu verleihen, und dass man alle Versuche aufgegeben hatte, das Wirkungsquantum in die klassische Physik einzubauen (um es so an den Rand zu drängen).
Als Meister der alten Quantentheorie ist vor allem Bohr zu nennen, dem wir bald auf den nächsten Stufen der Hintertreppe begegnen werden. Bohr hatte Plancks Quantum nutzen können, um die wichtigste Sache der Welt zu erklären: die Stabilität der Atome und damit die Stabilität aller Materie.
Die experimentellen Befunden wiesen nach 1910 darauf hin, dass Atome einen positiv geladenen Kern hatten, um den negativ geladene Elektronen kreisten, und die Frage war, wie die Natur verhinderte, dass die Elektronen in den Kern stürzten. Denn eine Ladung, die sich in einem elektrischen Feld bewegt, strahlt nach den Gesetzen der klassischen Physik kontinuierlich Energie ab, und wenn ein Elektron im elektrischen Feld des Atomkerns sich daran hält, konnte es nur dasselbe tun und in den Kern stürzen. Mit anderen Worten: Die Physik konnte nicht erklären, wieso Atome festbleiben und nicht kollabieren. Das heißt genauer, die Physik konnte es nicht ohne die Hilfe des Quantums erklären, das Planck ihr zur Verfügung stellte. Es legte als Bedingung fest, dass die Energie des Elektrons einen Sprung – den heute sprichwörtlichen Quantensprung – tun musste, um seine Lage bzw. seinen Zustand zu ändern. Wenn ein Elektron angeregt war, konnte dieser Sprung spontan in den Grundzustand gelingen. In dem saß es aber fest. Für eine weitere Änderung – etwa eine Bewegung auf den Kern zu – brauchte es einen Anstoß von außen, und solange der ausblieb, passierte dem Elektron nichts. Dann blieb es auf seiner Bahn um den Kern, das Atom konnte stabil sein – und die Welt mit ihm.
Planck und die Feinde der Wissenschaft
Das eben geschilderte Atommodell geht auf Bohr zurück, und es charakterisiert die alte Quantenversion der Atome, die noch mit anschaulichen Begriffen wie »Umlaufbahn« operiert. All dies musste bald aufgegeben werden, was Planck nicht glücklicher machte, aber hinnahm, weil die neuen Theorien der wissenschaftlichen Nachprüfung standhielten und er nicht seinem eigenen Prinzip zum Opfer fallen wollte. Aktiv hat er sich an den Entwicklungen der neuen Physik aber nicht mehr beteiligt, denn zum einen ging er auf die siebzig zu, und zum anderen hielten ihn immer mehr politische Verpflichtungen von seiner geliebten theoretischen Physik fern. Man brauchte Planck zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg, um die deutsche Forschung wieder in die internationale Gemeinschaft der Wissenschaftler zurückzubringen; von ihm wurde erwartet, dass er Gelder für die 1920 ins Leben gerufene Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft erst sammelte und dann fair und zukunftsweisend zugleich verteilte. Planck diente seinem Land, wie man es von ihm erwarten konnte. Er wirkte im sogenannten Elektrophysik-Ausschuss mit, der unter seinem Einfluss die theoretische Physik förderte und dabei die große Qualität ermöglichte, die diese Forschungsrichtung in den kommenden Jahren in Deutschland bekommen sollte. Zu den geförderten Physikern gehörte unter anderem Werner Heisenberg, dessen Leben und Leistung in diesem Buch noch zur Debatte steht.
Plancks exponierte Stellung verlangte oftmals deutliche Stellungnahmen von seiner Seite, wobei vor allem seine deutliche Warnung vor dem auffällt, was er das »spirituelle Element« nannte. Er hielt Autoren wie Oswald Spengler und Rudolf Steiner für »Feinde der Wissenschaft«, die er als seine geistigen Gegner betrachtete, weil sie die Schwierigkeiten der Gesellschaft – von ihnen »Krankheiten« genannt – auf die Hinwendung zu technischen Entwicklungen und die Abkehr von spirituellen Praktiken zurückführten. Planck sah in derartigen Verkündigungen ebensolche Gefahren für die abendländische Kultur wie im aufkommenden Nationalsozialismus. In diesem Fall hoffte er zuerst, die ganze Bewegung unter Hitler sei nur ein Spuk, der rasch verfliegen würde, doch spätestens im Mai 1933 merkte er, dass konkret etwas geschehen musste. Er bat als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft um ein Gespräch mit Hitler, dem Reichskanzler, um ihn auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die von den Nazis erzwungene Emigration der Menschen jüdischen Glaubens die Wissenschaft in Deutschland ruinieren würde. Tatsächlich gelang es ihm, ein Treffen mit dem Führer für den 16. Mai 1933 zu vereinbaren, über das er erst zwölf Jahre später – 1947 als fast 90-Jähriger – etwas zu Papier bringt. Er erzählt dabei von einem Führer, der ignorant, realitätsfern und borniert wirkt und etwas der Art sagt wie: »Unsere völkische Politik wird weder rückgängig gemacht noch abgeändert werden, auch nicht für die Wissenschaftler. Wenn die Entlassung jüdischer Wissenschaftler die Vernichtung der zeitgenössischen deutschen Wissenschaft bedeutet, dann werden wir eben einige Jahre lang ohne Wissenschaft auskommen.« Doch inzwischen zweifelt die Geschichtsschreibung an der Zuverlässigkeit des Berichtes, den Planck von seinem Besuch gegeben hat, und wir müssen wohl an dieser Stelle wenigstens ein klein wenig Abschied von dem heroisierten Bild nehmen, das sich die Nachwelt von der Rolle Plancks im Nationalsozialismus machte bzw. allzu gerne machen wollte.
Wir wissen, wie traditionsbewusst Planck dachte, und als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft befürwortete er sicher den Satz, den sein Vorgänger Adolf von Harnack 1909 – also in der heilen Welt der Monarchie – formuliert hatte und der behauptete, dass die deutsche Wehrkraft und die Wissenschaft die beiden starken Pfeiler der Größe Deutschlands seien. Planck wird versucht haben, die von ihm vertretene Forschung vor »unsachlichen Beunruhigungen durch Ereignisse der Tagespolitik« zu schützen, um so ihre »im höchsten Sinne nationale Arbeit erfüllen« zu können. Und so erreichte er in dem Gespräch die Zusage Hitlers, über die bis dahin erlassenen Beamtengesetze hinaus nichts zu unternehmen, was »unsere Wissenschaft« erschweren würde. Mit anderen Worten, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft konnte in dem gerade gezogenen engen Rahmen weiterhin eigenständig bleiben und funktionieren, was für Planck – und nicht nur für ihn – beruhigend sein musste.
Planck hielt auch wenig davon, dass Professoren gegen die nationalsozialistische Politik an den Universitäten und Forschungsinstituten protestierten. Er riet vielmehr mit der Bemerkung ab, dass solche Demonstrationen nicht helfen würden, denn »was jetzt geschieht, ist wie eine Lawine, die den Berg herunterrast; da kann sich kein Einzelner dagegenstellen; man muss warten, bis die Lawine unten angekommen ist, und dann retten, was zu retten ist. Dem Einzelnen bleibt im Augenblick nur die Wahl auszuwandern oder das Unglück mitzuerleiden.« Und er bat seine Kollegen, »trotz aller Misslichkeiten in Deutschland zu bleiben«. Planck fühlte sich seinem Vaterland und seiner Kultur sehr verbunden, und wollte seinen Platz in ihr nicht räumen. Ihn hätte sonst ein anderer eingenommen, was erst recht Unheil über und durch die Wissenschaft gebracht hätte.
Im Ausland wurde seine Haltung verstanden. Als die Royal Society in London ihre ursprünglich für das Jahre 1942 geplanten Feiern zum 300sten Geburtstag von Isaac Newton endlich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchführen konnten, war Planck der einzige Deutsche, den die Engländer eingeladen hatten. Man schickte eigens eine Militärmaschine nach Niedersachsen, um ihn abzuholen und in die britische Hauptstadt zu bringen. Planck wurde von der Festversammlung voller Bewunderung empfangen – trotz der zeitlichen Nähe des von den Deutschen begonnenen und verlorenen Krieges, der Zahl der Toten und des Ausmaßes der Zerstörungen, die die Völkerschlacht gekostet und mit sich gebracht hat.
Doch ungeachtet des überwältigenden Empfangs, der Planck in London zuteil wurde, muss es ihm wenigstens einen leichten Stich versetzt haben, als der Zeremonienmeister, der jeden Gast vor dessen Betreten des Festsaals durch Angabe des Namens und des Heimatlands einführte, bei Planck kurz zögerte, bevor er schließlich in den Saal rief: »Professor Planck, representing no country.« Das stimmte sogar für den Augenblick. Denn tatsächlich – das Deutschland, das Planck vertreten konnte, gab es nicht mehr. Aber seine Wissenschaft blühte nach wie vor. Er konnte weiter hoffen, dass sie durch »die wertvollen Schätze ästhetischer und ethischer Art«, die sie zutage fördert, ihren Einfluss auf die Geschichte der Menschen stärken wird.
»Am 26. April 1951 starb im 83. Lebensjahr in München an den Folgen eines etwa vier Wochen vorher erlittenen Verkehrsunfalls Arnold Sommerfeld, einer der bedeutendsten Physiker seiner Generation. (…) Sommerfeld vereinte in glücklicher Weise den Typus des Forschers und des Lehrers, wie es nur wenigen gelungen ist. Zahlreiche Professuren für theoretische Physik in den verschiedensten Ländern wurden mit Schülern Sommerfelds besetzt, die jetzt, um ihn trauernd, sein Werk fortsetzen werden.« Mit diesen Worten verabschiedet sich einer der berühmtesten Schüler von seinem hochverehrten Lehrer. Die Rede ist von Wolfgang Pauli, den wir später noch vorstellen und der stets mit allen Kollegen – selbst mit Einstein – respektlos bis frech umgegangen ist. Er hat nur bei einem eine Ausnahme gemacht: Arnold Sommerfeld. Dieser aus Königsberg stammende Physiker, der über Göttingen, Aachen und Clausthal nach München gekommen war, ist von all seinen Schülern verehrt und dabei vielfach mit Superlativen beschrieben worden, so etwa von Werner Heisenberg, der in seiner Autobiografie Der Teil und das Ganze beschreibt, wie Sommerfeld nicht nur als »einer der glänzendsten Lehrer der Hochschule«, sondern auch als ein Freund der Jugend seine Studenten für sich einnehmen konnte: »Der kleine, untersetzte Mann mit dem etwas martialisch anmutenden dunklen Schnurrbart machte zunächst einen strengen Eindruck«, wie Heisenberg das erste Zusammentreffen mit Sommerfeld noch vor Beginn des Studiums im Jahre 1920 schildert. »Aber schon aus den ersten Sätzen schien mir eine unmittelbare Güte zu sprechen, ein Wohlwollen für den jungen Menschen, der hier Führung und Rat suchte.«
Einer der Ratschläge Sommerfelds lautete, dass diejenigen, die sich vor allem mit der Theorie der Physik beschäftigen, darauf achten sollten, sich zunächst »mit großer Sorgfalt kleine und zunächst unwichtig scheinende Aufgaben« vorzunehmen. Denn »wenn solche großen bis in die Philosophie reichenden Probleme zur Diskussion stehen wie die Einstein'sche Relativitätstheorie oder die Planck'sche Quantentheorie, so gibt es auch für den, der über die Anfangsgründe hinaus ist, viele kleine Probleme, die gelöst werden müssen und die erst in ihrer Gesamtheit ein Bild des neu erschlossenen Gebiets vermitteln.« Sommerfeld versprach dem ehrgeizigen und unverzagt fragenden Schüler ferner, ihm »schon sehr bald ein kleines Problem vorzulegen, das mit Fragen der neuesten Atomtheorie zu tun hätte« – mit der Folge, dass sich Heisenberg begeistert und glücklich fühlte, und somit war über seine »Zugehörigkeit zur Sommerfeld'schen Schule für die nächsten Jahre entschieden.«
Theoretische Physik
Wenn Sommerfeld als Lehrer gelobt wird, dann meint man nicht nur den ehrlichen, zuvorkommenden, ermutigenden und offenherzigen Umgang eines Professors mit Studenten und seine Fähigkeit, ihre jeweilige Leistungsfähigkeit herauszufordern und anzustacheln, indem er sie vor Probleme stellte, die auf die jeweilige Person zugeschnitten waren. Man meint auch seine souveränen Vorlesungen und die populären Lehrbücher, die aus ihnen hervorgegangen sind. Sommerfeld hatte dabei das Glück des Tüchtigen gehabt, nämlich zur rechten Zeit am rechten Ort bzw. in der rechten Disziplin tätig zu sein. In den letzten Jahren des 19. und den ersten des 20. Jahrhunderts entstand nämlich eine neue Wissenschaft, in der sich das experimentelle Können und die praktisch erprobten Naturerfahrungen von Physikern mit dem analytischen Geschick und rechnerischen Vermögen von Mathematikern zusammenfand, um das eigenständige Gebiet der theoretischen Physik zu begründen. In diesem sollten bald die souveränen Gestalten der Wissenschaft ihren Platz finden und ihre Ideen präsentieren können: Max Planck, Albert Einstein und andere, die wir noch kennenlernen werden und denen es in großem Stil und mit höchster Eleganz gelungen ist, die theoretische Physik als eine Fortsetzung der Philosophie mit mathematischen Mitteln zu betreiben.
Sommerfeld begriff, dass er mit von der Partie war, als gerade etwas ganz Großes für unsere Kultur entstand, und er pflegte dabei voller Freude zu zitieren, was Friedrich Schiller einmal über Immanuel Kant und seine Interpreten gesagt hatte: »Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu tun.« Es war selbstverständlich, dass sich Sommerfeld für einen Kärrner hielt – also für einen, der unter körperlicher Anstrengung den mit mathematischen Lasten bepackten Wagen (Karren) durch den Dreck zu ziehen hatte, um das theoretische Material an den richtigen Ort zu schaffen, an dem das wissenschaftliche Werk der Könige im Reich der Physik zu vollbringen war. Aber Sommerfeld gab stets Obacht, ob nicht irgendwo jemand von seiner Arbeit profitieren und das begonnene Gebäude der Physik so besser oder verlässlicher vollenden konnte.
Schon als Student in Königsberg hatte sich Sommerfeld für geometrische Methoden in der Physik interessiert und nach und nach die Bedeutung der mathematischen Wissenschaften für die Ingenieure und ihre technischen Aufgaben kennen und schätzen gelernt. Er kümmerte sich bei seinen Forschungen um Probleme von Schwingungen, versuchte die raffinierten Bewegungen von Kreiseln genau zu berechnen und arbeitete als erster Physiker eine elegante Theorie der Reibung aus, die einem bei Schmiermitteln begegnet bzw. dabei gerne im Stich lässt und zum Ausrutschen und zu Stürzen führt.
Mit diesem mathematischen Rüstzeug aus der sinnlich zugänglichen Wirklichkeit wagte sich Sommerfeld an die submikroskopisch kleine Welt der Elektronen und Atome, wobei ihn vor allem die Frage beschäftigte, ob sich diese Partikel auf ähnliche Weise bewegen können wie Billardkugeln oder Tischtennisbälle. Seine entsprechenden Ergebnisse brachten ihm 1906 den Ruf auf den Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Universität München ein, und von hier aus entfaltete er seine legendäre Wirkung als Lehrer der neuen Physik, die zu dem führte, was seine Schüler gerne die Sommerfeld'sche Schule nannten. Dass darunter keine Institution, sondern eine Gemeinschaft des Geistes zu verstehen ist, versteht sich von selbst.
Umsturz im Weltbild