Latifa und die schwarze Magie
Im Supermarkt
Ein Vater wird geboren
Kleine Beinchen, trippel-trapp
Babysitting und was man dafür tun muss
Ein Fläschchen fürs Kätzchen
Die Stimme des Blutes
Rote Haare sind Ansichtssache
Das Wunderkind
Verschlüsselt
Die Kraftprobe
Das Fernsehen als moralische Anstalt
Josepha, die Freie
Papi als Schwimmlehrer
So kleben wir alle Tage
Früh übt sich oder die Abschlussfeier
Gefahren des Wachstums
Wer nichts fragt, lernt nichts
Wie unser Sohn Amir das Schlafengehen erlernte
Ich kam, sah und durfte nicht siegen
Kleine Geschenke erhalten Vater und Sohn
Unterwegs mit der Familie
Ein Denkmal für den Spinat
Wozu der Lärm?
Kinderliebe
Festival im Ferienlager
Der Mann am Drücker
Lesetipp
Sollte der Leser glauben, dass wir es mit keinen weiteren Haushaltsproblemen zu tun bekommen hätten, so wäre er im Irrtum. Besonders seit der Ankunft unseres prächtigen kleinen Rafi, der vor etwa zweieinhalb Jahren geboren wurde, nehmen die Probleme kein Ende. Eine schier unübersehbare Reihe von Sarahs, Mirjams und Leas ist seither an uns vorübergezogen, denn Rafi ist ein ungemein begabter Hausmädchen-Entferner. Kaum tritt eine neue weibliche Hilfskraft über die Schwelle unseres Hauses, beginnt Rafi, vor irgendwelchen atavistischen Instinkten befeuert, seinen schrillen, langanhaltenden Kriegsgesang, der das aufzunehmende Mädchen unfehlbar zu folgender Bemerkung veranlasst: »Ich wusste nicht, dass Sie so weit vom Stadtzentrum wohnen. Leider …«
Und eine Sekunde später ist sie spurlos verschwunden.
Aber die Vorsehung ließ uns nicht im Stich. Ein sonniger, gnadenreicher Tag bescherte uns Latifa, die eine Empfehlung von ihrer Schwester Etroga mitbrachte. Etroga hatte vor drei oder vier Jahren in unserem Haushalt gearbeitet. Jetzt schickte sie uns zur Rache ihre Schwester. Aus irgendwelchen Gründen ließ Rafi die gewohnte proletarische Wachsamkeit vermissen: Während wir mit Latifa verhandelten – und das dauerte länger als eine halbe Stunde –, kam kein Laut über seine Lippen. Zu unserer grenzenlosen Freude nahm Latifa den Posten an.
Latifa war ein breitgesichtiges, kuhartiges Geschöpf. Ihr arabischer Dialekt bildete ein reizvolles Gegenstück zum fließenden Österreichisch meiner Schwiegermutter. Bald aber mussten wir entdecken, dass mit Latifa auch die schwarze Magie in unser Heim eingezogen war. Zunächst jedoch erfreute sich Latifa allgemeiner Beliebtheit, obwohl sie eher langsam war und mit jeder schläfrigen Bewegung bekundete, dass sie viel lieber in der Sonne oder im Kino gesessen hätte, statt sich mit Windeln und ähnlichem Zeug abzugeben.
Der erste schwere Zusammenstoß mit Latifa entstand wegen des venezianischen Spiegels. Wir nahmen gerade einige innenarchitektonische Veränderungen in unserer Wohnung vor. Während wir die Möbel hin und her schoben, beauftragte meine Gattin Latifa, den erwähnten Spiegel in die Zimmerecke zu hängen.
»Den Spiegel in die Ecke?«, stöhnte Latifa. »Hat man je gehört, dass jemand freiwillig einen Spiegel in die Zimmerecke hängt? Jedes Kind kann Ihnen sagen, dass ein Spiegel in der Ecke entsetzliches Unglück über das ganze Haus bringt!« Und ungewohnt lebhaft erzählte sie uns von einer ihrer Nachbarinnen, die allen Warnungen zum Trotz einen Spiegel in die Zimmerecke gehängt hatte. Was geschah? Eine Woche später gewann ihr Mann zehntausend Pfund in der Lotterie, erlitt vor Freude einen Schlaganfall und starb.
Wir waren tief betroffen. Und da wir uns keinem solchen Unheil aussetzen wollten, verkauften wir den Spiegel kurzerhand für zwanzig Piaster an einen Altwarenhändler, dem wir, um ihm die Transaktion schmackhaft zu machen, noch drei Paar Skier samt den dazugehörigen Stiefeln draufgaben.
Drei Tage später kam es zu einer neuen Krise, als wir Latifa aufforderten, den Plafond zu säubern.
»Entschuldigen Sie«, sagte Latifa. »Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich auf eine Leiter hinaufsteige, solange der Kleine im Haus ist? Er braucht nur ein einziges Mal unter der Leiter durchzukriechen und bleibt sein Leben lang ein Zwerg. Dann können Sie ihn an einen Zirkus verkaufen.«
»Na, na«, sagte meine Frau besänftigend, und ich schloss mich an. »Na, na«, sagte ich besänftigend.
»Na, na? Was wollen Sie damit sagen? Der Tischler in unserem Haus hat einen Sohn, der ist jetzt fünfzehn Jahre alt und nur einen halben Meter groß, weil er als Kind immer unter den Leitern durchgekrochen ist. Wenn Sie aus Ihrem Sohn mit aller Gewalt einen Zwerg machen wollen, kann ich Sie nicht daran hindern. Aber ich möchte mich nicht dazu hergeben.«
Als Nächstes kam die Sache mit den Fensterscheiben. Latifa erklärte, nur ein Irrsinniger könne daran denken, die Fensterscheiben am Freitag zu putzen – wo doch jeder Mensch weiß, dass dann sofort ein Brand ausbricht. Vergeblich bemühten wir uns, Latifa umzustimmen. Sie blieb hart. Wenn wir ihr im weiten Umkreis – so verkündete sie – auch nur eine einzige normaldenkende Frauensperson zeigen könnten, die bereit wäre, am Freitag die Fenster zu putzen, dann würde sie für die nächsten drei Monate auf ihr Gehalt verzichten.
Wir gaben auf, gingen zum Fenster und blickten verzweifelt hinaus. Was sahen wir? In der Wohnung unseres Drogisten gegenüber war das Hausmädchen gerade damit beschäftigt, die Fenster zu putzen.
»So ein Gauner!«, rief Latifa empört. »Erst gestern hat er eine Feuerversicherung abgeschlossen!«
Donnerstagnachmittag ersuchten wir Latifa, die Vorhänge abzunehmen. Sie taumelte, als hätte sie der Blitz getroffen, und brachte nur noch ein Flüstern zustande. »Was?«, flüsterte sie. »Was? Die Vorhänge abnehmen? Im Kislew? Sind Sie verrückt? Damit der kleine Rafi krank wird?!«
Diesmal waren wir entschlossen, nicht nachzugeben. Außerdem gebe es um die Ecke einen Doktor. Latifa wiederholte, dass sie eine so verbrecherische Handlung wie das Abnehmen von Vorhängen im Monat Kislew nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könne. Wir versicherten, die volle Verantwortung für alle etwa eintretenden Folgen zu übernehmen.
»Schön«, sagte Latifa. »Kann ich das schriftlich haben?«
Ich setzte mich an den Schreibtisch und fertigte eine eidesstattliche Erklärung aus, dass uns Frau Latifa Kudurudi für den Fall einer Vorhangabnahme vor einer Erkrankung unseres Söhnchens gewarnt hätte, aber von uns gezwungen worden wäre, die Vorhänge auf unsere Verantwortung abzunehmen.
Latifa nahm die Vorhänge ab.
Am Abend klagte der kleine Rafi über Kopfschmerzen. In der Nacht bekam er Fieber. Am Morgen zeigte das Thermometer vierzig Grad. Latifa sah uns vorwurfsvoll an und zuckte die Schultern. Meine Frau lief zum Doktor, der bei Rafi eine Grippe feststellte.
»Aber wie ist das nur möglich?«, schluchzte meine Frau. »Wir passen doch so gut auf ihn auf. Warum bekommt er plötzlich eine Grippe?«
»Warum?«, kam Latifas Stimme aus dem Hintergrund des Zimmers. »Ich werde Ihnen sagen, warum! Weil ich die Vorhänge abnehmen musste.«
»Was?« Der Doktor wandte sich um. »Was sagen Sie?«
»Jawohl«, sagte Latifa. »Die Vorhänge. Hat schon jemals ein vernünftiger Mensch im Kislew die Vorhänge abgenommen, wenn ein kleines Kind im Haus ist?«
»Das Mädchen hat vollkommen recht«, sagte der Doktor. »Wie können Sie bei diesem unfreundlichen, nasskalten Wetter die Vorhänge abnehmen? Kein Wunder, dass der Kleine sich erkältet hat. Ich muss schon sagen, dass mich Ihr Vorgehen sehr überrascht.«
Latifa zeigte dem Arzt wortlos das von mir ausgestellte Zeugnis und begab sich ebenso wortlos in die Küche.
Seither richten wir uns widerspruchslos nach Latifas Entscheidungen. Soviel wir bisher feststellen konnten, darf am Sonntag keine Wäsche gewaschen werden, weil sonst eine Überschwemmung ansteht, und das Polieren von Türklinken vor Frühlingsbeginn hat unfehlbar eine Schlangenplage zur Folge.
Im Übrigen erklärte Latifa, dass die Wohnung siebenundzwanzig Tage lang nicht aufgeräumt werden dürfte, wenn Rafi gesund werden soll. Am nächsten Morgen betrat sie das Zimmer, setzte sich in den Lehnstuhl und verlangte nach den Zeitungen.
Die Misswirtschaft in unserer Wohnung nimmt katastrophale Ausmaße an. Aber ich muss zugeben, dass Rafi nicht mehr hustet.
Ich persönlich bin kein Freund von Supermärkten, vor allem deshalb, weil ich mir da drinnen immer vorkomme, als würde ich einen Kinderwagen schieben, eine Tätigkeit, die nicht unbedingt meiner Lebensphilosophie entspricht. Außerdem habe ich bis heute ein Trauma von der frenetischen Kaufhysterie, die in meiner Familie ausbrach, als der erste Supermarkt in unserer Gegend eröffnet wurde.
Gleich am Eingang herrschte lebensgefährliches Gedränge. Wir wurden zusammengepresst wie – tatsächlich, da waren sie auch schon: »Sardinen!«, rief meine Frau in schrillem Entzücken und machte einen sehenswerten Panthersatz direkt an den strategisch aufgestellten Verkaufstisch, rund um den sich bereits zahllose Hausfrauen mit Zähnen und Klauen rauften. Die aufgestapelten Sardinenbüchsen hätten zu einer kleinen Weltreise inspirieren können: Es gab französische, spanische, portugiesische, italienische, jugoslawische, albanische, zypriotische und heimische Sardinen, es gab Sardinen in Öl, in Tomatensauce, in Weinsauce und in Joghurt.
Meine Frau entschied sich für norwegische Sardinen und nahm noch zwei Dosen von ungewisser Herkunft dazu.
»Hier ist alles so viel billiger«, sagte sie.
»Aber wir haben doch kein Geld mitgenommen.«
»In meiner Handtasche war zufällig noch ein bisschen.«
Und damit ergriff sie eines dieser handlichen Einkaufsgestelle auf Rädern und legte die elf Sardinenbüchsen hinein. Nur aus Neugier, nur um zu sehen, was das eigentlich sei, legte sie eine Dose mit der Aufschrift »Gold-Syrup« dazu. Plötzlich wurde sie blass.
»Rafi! Um Himmels willen, wo ist Rafi?«
Wir fühlten uns ungefähr wie ein Elternpaar, dessen knapp achtzehn Monate altes Kind unter den Hufen einer einhertrampelnden Büffelherde verschwunden ist.
»Rafi!«, brüllten wir beide. »Rafael! Liebling!«
»Spielwarenabteilung, zweiter Block links«, half uns ein leidgeprüfter Verkäufer.
Im nächsten Augenblick zerriss ein explosionsartiger Knall unser Trommelfell. Der Supermarkt erzitterte bis in die Grundfesten und neigte sich seitwärts. Wir seufzten erleichtert auf. Rafi hatte sich an einer kunstvoll aufgerichteten Pyramide von etwa fünfhundert Obstkonserven zu schaffen gemacht und hatte mit dem untrüglichen Instinkt des Kleinkindes die zentrale Stützkonserve aus der untersten Reihe herausgezogen.
Um unseren kleinen Liebling für den erlittenen Schreck zu trösten, kauften wir ihm ein paar Süßigkeiten, Honig, Schweizer Schokolade, holländischen Kakao, etwas pulverisierten Kaffee und einen Beutel Pfeifentabak. Während ich die Kleinigkeiten in unserem Einkaufswägelchen verstaute, sah ich dort noch eine Flasche Parfüm, ein Dutzend Notizbücher und zehn Kilo rote Rüben liegen.
»Weib!«, rief ich aus. »Das ist nicht unser Wagen!«
»Nicht? Na wennschon!«
Diese Antwort hatte tatsächlich etwas für sich, denn es war kein schlechter Tausch, den wir da machten. Unser neuer Wagen enthielt nämlich bereits eine wohlsortierte Auswahl Käsesorten, Desserts in verschiedenen Farben, Badetücher und einen Besen.
»Können wir alles brauchen«, erklärte meine Frau. »Fragt sich nur, womit wir’s bezahlen sollen.«
»So ein Zufall.« Ich wunderte mich. »Eben habe ich in meiner Hosentasche die Pfundnoten entdeckt, die ich neulich so lange gesucht habe.«
Von Gier getrieben, zogen wir weiter, wurden Zeugen eines mitreißenden Handgemenges dreier Damen, deren Einkaufswagen in voller Fahrt kollidiert waren. Inzwischen war Rafi aufs Neue verschwunden. Wo war er nur? Wir fanden ihn beim ehemaligen Eierregal.
»Wem gehört dieser Wechselbalg?«, schnaubte der Obereierverkäufer, gelb vor Wut und Eidotter. »Wer ist für dieses Monstrum verantwortlich?«
Eilig schleppten wir unseren Sohn ab, kauften noch einige Chemikalien für Haushaltszwecke und kehrten zu unsrem Wagen zurück, in den inzwischen irgendjemand eine Auswahl griechischer Weine, eine Kiste Zucker und mehrere Kannen Öl geworfen hatte. Um Rafi bei Laune zu halten, setzten wir ihn auf die Bank und kauften ihm ein japanisches Schaukelpferd, dem wir zwei Paar reizende Hausschuhe für Rafis Eltern unter den Sattel schoben.
»Weiter!«, stöhnte meine Gattin mit glasigen Augen.
»Mehr!«
Wir angelten uns einen zweiten Wagen, stießen zur Abteilung »Fleisch und Geflügel« vor und ergriffen mehrere Hühner, Enten und Lämmer, verschiedene Wurstwaren, Frankfurter, geräucherte Zunge, geräucherte Gänsebrust, Rauchfleisch, Kalbsleberpastete, Gänseleberpastete, Dorschleberpastete, Karpfen, Krabben, Krebse, Lachs, einen halben Wal und etwas Lebertran. Nach und nach kamen verschiedene Eierkuchen hinzu, Paprika, Zwiebeln, Kapern, eine Fahrkarte nach Capri, Zimt, Vanille, Vaselin, vasomotorische Störungen, Bohnen, Odol, Spargel, Speisesoda, Äpfel, Nüsse, Pfefferkuchen, Feigen, Datteln, Langspielplatten, Wein, Weib, Gesang, Spinat, Hanf, Melonen, ein Carabinieri, Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Blaubeeren, Haselnüsse, Kokosnüsse, Erdnüsse, Walnüsse, Mandarinen, Mandolinen, Oliven, Birnen, auch elektrische, ein Aquarium, Brot, Schnittlauch, Leukoplast, ein Flohzirkus, ein Lippenstift, ein Mieder, Ersatzreifen, Stärke, Kalorien, Vitamine, Proteine, ein Satellit und noch ein paar kleinere Gebrauchsgegenstände.
Unseren aus sechs Wagen bestehenden Zug zur Kasse zu führen, war nicht ganz einfach, weil das Kalb, das ich an den letzten Wagen angebunden hatte, immer zu seiner Mutter zurückwollte. Schließlich waren wir so weit, und der Kassierer begann schwitzend die Rechnung zusammenzustellen. Ich nahm an, dass sie ungefähr dem Defizit der staatlichen Handelsbilanz entsprechen würde, aber zu meinem Erstaunen belief sie sich auf nicht viel mehr als 4000 Pfund. Was uns am meisten beeindruckte, war die Geschicklichkeit, mit der unsere Warenbestände in große, braune Papiersäcke verpackt wurden. Nach wenigen Minuten war alles fix und fertig. Nur unser Erstgeborener, Rafi, fehlte.
»Haben Sie nicht irgendwo einen ganz kleinen Buben gesehen?«, fragten wir die Umstehenden.
Einer der Packer kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
»Augenblick. Einen blonden Buben?«
»Ja. Er beißt.«
»Da haben Sie ihn.« Der Packer öffnete einen der großen Papiersäcke. Drinnen saß Rafi und kaute zufrieden an einer Tube Zahnpasta.
»Entschuldigen Sie«, sagte der Packer. »Ich dachte, Sie hätten den Kleinen hier gekauft.«
Wir bekamen für Rafi zwei Pfund dreißig heraus und verließen den Supermarkt. Draußen warteten schon die beiden Lastwagen.
Gegen Morgen setzte sich meine Frau, bekanntlich die beste Ehefrau von allen, im Bett auf, starrte eine Weile in die Luft, packte mich an der Schulter und sagte:
»Es geht los. Hol ein Taxi.«
Ruhig, ohne Hast, kleideten wir uns an. Dann und wann raunte ich ihr ein paar beruhigende Worte zu, aber das war eigentlich überflüssig. Wir beide sind hochentwickelte Persönlichkeiten von scharf ausgeprägter Intelligenz, und uns beiden ist klar, dass es sich bei der Geburt eines Kindes um einen ganz normalen biologischen Vorgang handelt, der sich seit Urzeiten immer wieder milliardenfach wiederholt und schon deshalb keinen Anspruch hat, als etwas Besonderes gewertet zu werden.
Während wir uns gemächlich zum Aufbruch anschickten, fielen mir allerlei alte Witze oder Witz-Zeichnungen ein, die sich über den Typ des werdenden Vaters auf billigste Weise lustig machen und ihn als kettenrauchendes, vor Nervosität halb wahnsinniges Wrack im Wartezimmer der Gebärklinik darzustellen lieben. Nun ja. Wir wollen diesen Scherzbolden das Vergnügen lassen. Im wirklichen Leben geht es anders zu.
»Möchtest du nicht ein paar Illustrierte mitnehmen, Liebling?«, fragte ich. »Du sollst dich nicht langweilen.«
Wir legten die Zeitschriften zuoberst in den kleinen Koffer, in dem sich auch etwas Schokolade und, natürlich, die Strickarbeit befand. Das Taxi fuhr vor. Nach bequemer Fahrt erreichten wir die Klinik. Der Portier notierte die Daten meiner Frau und führte sie zum Aufzug. Als ich ihr folgen wollte, zog er die Gittertür dicht vor meinem Gesicht zu.
»Sie bleiben hier, Herr. Oben stören Sie nur.«
Gewiss, er hätte sich etwas höflicher ausdrücken können. Trotzdem muss ich zugeben, dass er nicht ganz unrecht hatte. Wenn die Dinge einmal so weit sind, kann der Vater sich nicht mehr nützlich machen, das ist offenkundig. In diesem Sinne äußerte sich auch meine Frau.
»Geh ruhig nach Hause«, sagte sie, »und mach deine Arbeit wie immer. Wenn du Lust hast, geh am Nachmittag ins Kino. Warum auch nicht.«
Wir tauschten einen Händedruck, und ich entfernte mich federnden Schrittes. Mancher Leser wird mich jetzt für kühl oder teilnahmslos halten, aber das ist nun einmal meine Wesensart: nüchtern, ruhig, vernünftig – kurzum: ein Mann.
Ich sah mich noch einmal in der Halle der Klinik um. Auf einer niedrigen Bank in der Nähe der Portiersloge saßen dicht gedrängt ein paar bleiche Gesellen, kettenrauchend, lippennagend, schwitzend. Lächerliche Erscheinungen, diese »werdenden Väter«. Als ob ihre Anwesenheit irgendeinen Einfluss auf den vorgezeichneten Gang der Ereignisse hätte!
Manchmal geschah es, dass eine vor Aufregung zitternde Gestalt von draußen auf die Portiersloge zustürzte und atemlos hervorstieß: »Schon da?«
Dann ließ der Portier seinen schläfrigen Blick über die vor ihm liegenden Namenslisten wandern, stocherte in seinen Zähnen, gähnte und sagte gleichgültig: »Mädchen.«
»Gewicht?«
»Zweifünfundneunzig.«
Darauf sprang der neugebackene Vater auf meinen Schoß und wisperte mir mit heißer, irrsinniger Stimme immer wieder »zweifünfundneunzig, zweifünfundneunzig« ins Ohr, der lächerliche Tropf. Wen interessierte schon das Lebendgewicht seines Wechselbalgs? Kann meinetwegen auch zehn Kilo wiegen. Wie komisch wirkt doch ein erwachsener Mann, der die Kontrolle über sich verloren hat. Nein, nicht komisch. Mitleiderregend.
Ich beschloss, nach Hause zurückzukehren und mich meiner Arbeit zu widmen. Auch waren mir bereits die Zigaretten ausgegangen. Dann fiel mir ein, dass ich vielleicht doch besser noch ein paar Worte mit dem Arzt sprechen sollte. Vielleicht brauchte er irgendetwas. Eine Aufklärung, einen kleinen Ratschlag. Natürlich war das nur eine Formalität, aber auch Formalitäten wollen erledigt sein.
Ich durchquerte den Vorraum und versuchte den Aufgang zur Klinik zu passieren. Der Portier hielt mich zurück. Auch als ich ihn informierte, dass mein Fall ein besonderer Fall sei, zeigte er sich in keiner Weise beeindruckt. Zum Glück kam in diesem Augenblick der Arzt die Stiegen herunter. Ich stellte mich vor und fragte ihn, ob ich ihm irgendwie behilflich sein könnte.
»Kommen Sie um fünf Uhr nachmittags wieder«, lautete seine Antwort. »Bis dahin würden Sie hier nur Ihre Zeit vergeuden.«