Kapitel 2
Ich konnte meine Abneigung nicht dauerhaft verhehlen und wollte es auch gar nicht versuchen. Das war meine Antwort auf Chloes ›Klingt nach einem heißen Typen‹.
Sie meinte tatsächlich Logan MacLeod. Ich hatte mich gerade ausgiebig bei meinen Freunden Chloe, Aidan und Aidans Verlobter Juno über seine Sexgeräusche und seine Bemerkungen an diesem Morgen beklagt. Wie Chloe nach all meinen Beschwerden auf ›heiß‹ kam, war mir schleierhaft.
»Ich bitte dich.« Mein Gesichtsausdruck entlockte Chloe ein leises Schnauben. »Insgeheim findest du ihn doch auch heiß.«
»Ich finde ihn widerlich«, sagte ich schlechtgelaunt.
»Ich bin jedenfalls stolz auf dich«, lobte Aidan, und Juno kuschelte sich noch mehr an ihn.
Ich hatte Aidan vor elf Jahren während unseres ersten Semesters an der Universität von Edinburgh kennengelernt. Er wusste besser als jeder andere, was es für mich bedeutete, jemandem die Stirn zu bieten. Chloe war im ersten Jahr meine Mitbewohnerin gewesen, und wir drei hatten uns während unserer vier Unijahre eng befreundet. Chloe, eine stets flirtbereite, energiegeladene Quasselstrippe, war das exakte Gegenstück zu Aidan und mir, aber zusammen gaben wir ein gutes Team ab. Und außerdem hätte Aidan ohne Chloe Juno nie getroffen.
Juno kam aus Kanada und absolvierte hier ein weiterführendes Studium. Sie hatte sich auf irgendetwas mit Maschinenbau verlegt, das ich immer noch nicht ganz verstand, und Chloe eines Abends in einer Bar kennengelernt. In einem ihrer hellsichtigen Momente hatte Chloe etwas in Juno entdeckt, von dem sie glaubte, dass es Aidan gefallen könnte. So stellte sie ihm die schüchterne, hochintelligente Kanadierin vor, und es funkte sofort zwischen den beiden. Inzwischen waren sie seit fünf Jahren zusammen und wollten heiraten, wenn Juno mit ihrem Studium fertig war. Sie wohnten in einer ziemlich schnieken Wohnung in Stockbridge, die sie Aidans Einkommen als professioneller Rugbyspieler verdankten.
Ich war der einzige Single der Gruppe, da Chloe ebenfalls in festen Händen war. Ihr Verlobter Ed arbeitete auf dem Gebiet der Energiespartechnik. Er hatte die letzten sechs Monate in Schweden verbracht, wo er eine brillante neue Technologie entwickelt hatte, die die Energiekosten in Privathaushalten drastisch senkt.
Ohne Ed fühlte sich Chloe einsam. Und wenn Chloe sich einsam fühlte, betätigte sie sich gern als Kupplerin. Für mich. Allerdings fand ich ihre Verkuppelungsversuche nicht so schlimm. Ich war Single und Dates nicht abgeneigt.
Außerdem … es war Chloe! Für Chloe, Aidan und Juno würde ich alles tun. Während wir in Aidans und Junos hübscher Wohnung zusammensaßen, war ich einmal mehr glücklich über diese Nähe. Sie waren meine Familie, und sie kannten mich besser als die Familie, zu der ich vor sieben Jahren jeglichen Kontakt abgebrochen hatte.
»Danke«, sagte ich zu Aidan. »Es hat sich wirklich gut angefühlt, mich zu wehren.«
»Wenn er dir Probleme macht, sag es einfach Aidan«, bot mir Juno seine Dienste an. »Er regelt das schon.«
Aidan erhob keine Einwände, weil es stimmte. Trotz seiner zurückhaltenden Art ließ er sich von niemandem etwas bieten, und das galt auch für uns. Dazu kam, dass er groß war, sogar noch größer als Logan. Niemand – es sei denn, er war ein Vollidiot – würde versuchen, sich mit ihm anzulegen. Von einer extrem alkoholgeschwängerten Nacht an der Uni einmal abgesehen, betrachtete ich ihn meistens als einen überfürsorglichen großen Bruder. Er war es mehr als mein »echter« Bruder Sebastian, der sich nie fürsorglich verhalten hatte. Im Gegenteil.
Ich verdrängte meine Gedanken an Sebastian und lächelte meine Freunde beruhigend an. »Ich komme schon klar, ich bin nur müde und gereizt. Morgen Abend habe ich dieses Date, und ich hoffe wirklich, dass ich vorher noch ein bisschen Schlaf bekomme, damit ich nicht wie ein Gespenst aussehe.«
»Date?«, hakte Aidan nach.
»Der Typ aus meinem Fitnessstudio.«
Chloe schnaubte. »Ich fasse es immer noch nicht, dass du dich mit einem Kerl triffst, der Frauen in Yogakursen anglotzt.«
»Er war kein Spanner. Er wollte an dem Kurs teilnehmen.«
Aidan grinste. »Natürlich.«
Ich sah ihn böse an. »Ihr denkt alle immer nur das Schlechteste.«
»Und für jemanden, der von Dracula und einer seiner Bräute aufgezogen worden ist, denkst du immer nur das Beste, selbst wenn es gar nicht existiert«, versetzte Chloe.
»Nicht immer«, knurrte ich, dabei dachte ich an meinen Nachbarn.
»Wohin führt der Yogaspanner dich denn aus?«, wollte Chloe wissen.
Ich überging ihre Hänselei. »Er heißt Bryan, und er geht mit mir essen.«
Chloe musterte mich. »Du klingst nicht allzu begeistert.«
»Natürlich freue ich mich darauf. Bryan scheint sehr nett zu sein.« Das stimmte. Außerdem sah er ziemlich gut aus.
»Nett?« Juno lächelte verdutzt. »Süße … nett? Nein. Dein erster Gedanke sollte ›Wow!‹ sein.« Sie zuckte mit den Schultern. »Als ich Aidan kennenlernte, war das jedenfalls so.«
Aidan lächelte sie an. »Das Kompliment kann ich zurückgeben, Schatz.«
»Ugh. Schluss damit.« Chloe fuchtelte mit den Händen. »Kein kitschiges Turteltaubengesülze, wenn ich bitten darf. Ich hatte fünf Wochen keinen Sex mehr, und Ms. Farquhar ist seit drei Monaten nicht mehr flachgelegt worden.«
Ich lief rot an. »Danke, dass du andere an deinem Wissen teilhaben lässt.«
»Nur weil du eine Weile keinen Sex hattest, heißt das noch lange nicht, dass du dich auf diesen Typen fixieren sollst«, meinte Juno.
»Wer behauptet das denn?« Ich schlug entnervt die Hände über dem Kopf zusammen. »Keiner von euch hat ihn bislang kennengelernt.«
»Das müssen wir auch gar nicht«, kam es von Aidan. »Deine letzten fünf Dates wiesen alle eine gespenstische Ähnlichkeit auf und versprühten den Charme eines nassen Waschlappens. Du verkaufst dich zu billig, Grace. Kannst du es uns verübeln, dass wir bei diesem Typen ein bisschen skeptisch sind?«
»Und wenn Aidan von gespenstischer Ähnlichkeit spricht, meint er Kerle, für die du eine Nummer zu groß bist«, fügte Chloe hinzu.
»Das stimmt doch gar nicht. Wie kann man nur so etwas Abgedroschenes sagen. Es kommt doch nicht immer nur auf das Äußere an. Ich bin auch nicht gerade Angelina Jolie.«
Aidan gab einen missmutigen Laut von sich und griff nach seinem Kaffeebecher. Er trank lieber einen Schluck, statt etwas zu sagen, worüber ich mich aufregte. Chloe jedoch fluchte unterdrückt und giftete: »Ich könnte deiner verdammten Mutter den Hals umdrehen!«
»Schon gut, beruhig dich«, murmelte ich, nippte an meinem Kaffee und vermied den Blickkontakt mit ihr. Ich hatte absolut keine Lust auf so ein Gespräch.
»Joe, der Freund von meinem Bruder, hat dein Foto auf meiner Facebook-Seite gesehen. Er hat gesagt, er findet dich bildhübsch.« Juno grinste mich an.
Ich errötete und wand mich unbehaglich. »Nein.«
Sie lachte. »Doch. Ich habe Ally gebeten, ihn mit nach Schottland zu bringen, wenn er mich das nächste Mal besucht.«
»So ein Unsinn.« Die Vorstellung entlockte mir ein Schnauben.
»Ist dieser Joe ein heißer Typ?«, erkundigte sich Chloe.
»O ja.«
»Ich weiß das Kompliment zwar zu schätzen, aber ich denke, ich werde mich trotzdem mit Bryan treffen, wenn ihr nichts dagegen habt. Ich kann mich mit vielem abfinden, aber ein Ozean zwischen mir und meinem Freund gehört nicht dazu.«
»Wie wäre es mit einem Treppenabsatz?«, neckte mich Chloe.
Ich rümpfte ob ihrer abschweifenden Gedankengänge die Nase. »Logan MacLeod ist auf dieser Welt der unwahrscheinlichste Kandidat für den Posten meines Freundes.«
Sie hob eine Braue, und ich errötete schon wieder, als mir klarwurde, dass ich die Antwort praktisch herausgeschrien hatte. »Berühmte letzte Worte.«
»Nein, keine berühmten letzten Worte«, beharrte ich, dabei spürte ich, wie bei dem bloßen Gedanken an meinen Nachbarn Wut in mir aufstieg. »Logan MacLeod ist ungehobelt, wahrscheinlich mit allen möglichen Geschlechtskrankheiten infiziert und absolut nicht mein Typ. Und ich bin eindeutig nicht sein Typ. Du solltest die Frauen sehen, mit denen er schläft. Sie sind alle sexy, gebräunt, haben blonde Haare und einen großen Busen. Er denkt, ich wäre prüde und humorlos, weil der Saum meines Rocks über meinen Schritt reicht und ich die Knöpfe über meinem Dekolleté schließe.«
Chloes Augen wurden rund, während ich weiterwetterte. Sichtlich verwundert, drehte sie sich zu Aidan und Juno um. »Ich muss diesen Mann kennenlernen.«
»Warum?«, fauchte ich.
»Weil er eindeutig etwas Faszinierendes an sich hat, wenn er das in dir auslösen kann.« Sie machte eine unbestimmte Geste in meine Richtung.
»Was auslösen?«
»Das.« Sie wiederholte die Geste.
Ich biss die Zähne zusammen. »Was ist das?«
»Ich weiß nicht, was es ist, ich weiß nur, dass es irgendetwas ist.«
Menschen, die mich nicht gut kannten, haben früher behauptet, dass ich als Redakteurin, die ihre Tage mit dem Bearbeiten von Romanen verbringt, vielleicht unrealistische Erwartungen in Bezug auf Männer hege. Jeder, der mich dagegen kannte – wirklich gut kannte – , wusste, dass das nicht zutraf. Zwar suchte ich aktiv nach dem Mann, mit dem ich mein Leben verbringen wollte, aber ich suchte keinen Phantasiemann. Ich suchte nach jemandem, der verständnisvoll, fürsorglich und witzig war. Ich erwartete keine Perfektion. Ich wollte ihn nur mögen, und liebenswert sollte er sein.
Bryan war weder witzig noch liebenswert.
»Da hat die Schlampe doch tatsächlich den Fisch genommen, obwohl sie ihn nicht bezahlt hat«, schloss Bryan mit bebenden Nasenflügeln.
Ich zwinkerte und fragte mich, wie meine Bemerkung, dass mein Seehecht köstlich gewesen war, uns irgendwie auf seine Exfreundin gebracht hatte. Wieder einmal. Bislang hatte Bryan alle Gespräche bei diesem fürchterlichen Date auf seine beiden letzten Freundinnen gelenkt.
Er machte den Eindruck eines sehr wütenden kleinen Mannes.
Aus Langeweile stach ich in das Wespennest. »Aber hast du nicht gesagt, dass du ihn auf der Kirmes für sie gewonnen hast?«
Seine Miene verfinsterte sich. »Darum geht es doch gar nicht.«
»Ein Geschenk kann man doch sicher nicht zurückfordern.«
»Pah, das ist typisch Frau.«
Ich winkte dem Kellner. »Die Rechnung, bitte.«
Nach dem grässlichen Date war ich erschöpft und wollte nur noch nach Hause, um es mir gemütlich zu machen und die letzte Folge meiner Lieblingsgesangsshow anzusehen, die ich am Wochenende aufgezeichnet hatte.
Ich eilte die Treppe hoch, als zu meinem Entsetzen seine Tür aufging.
Logan trat heraus und überraschte mich mit seinem Outfit. Er trug einen schicken schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd ohne Krawatte. Der oberste Hemdknopf stand offen, aber er sah trotzdem ausgesprochen elegant aus – gepflegter, als ich ihn je zuvor gesehen hatte. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er nachts arbeitete und was genau er machte.
Ich blieb stehen. Logan zuckte zusammen, als er mich sah, sein Blick wanderte über mich hinweg, und seine Lippen öffneten sich leicht, als hätte er einen Schock erlitten. Genau wie er trug ich Schwarz. Ein schwarzes Kleid von Alexander McQueen mit einem knielangen Faltenrock und einem V-Ausschnitt, der ein dezentes Dekolleté freigab. Das Kleid war ein Relikt aus meinem früheren Leben und Klasse pur. Ich liebte es. Mein honigbraunes Haar fiel mir lose über die Schultern, und mein Make-up bestand aus samtigen Pinkschattierungen, die zu meinem hellen Teint passten.
Ich lief rot an, als sich unsere Blicke trafen.
»Ein Date?« Er klang, als wäre er darüber verwundert.
»Ja«, antwortete ich aus Höflichkeit.
»Ich nehme an, es lief nicht gut?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Weil Sie alleine nach Hause kommen.«
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg, wie das meistens in seiner Gegenwart der Fall war, drängte mich an ihm vorbei und kramte in meiner Clutch nach den Schlüsseln. »Es mag ein Schock für Sie sein, Mr. MacLeod, aber nicht jede erste Verabredung endet gleich im Bett.«
»Wie langweilig.«
Bei seinem spöttischen Ton fuhr ich herum und stellte fest, dass seine Augen funkelten. »Man nennt das: eine Frau respektieren.«
»Man nennt es: das Leben nicht auskosten.« Er ging die Treppe hinunter. »Wenn Sie mal ordentlichen Sex hätten, wären Sie vielleicht ein bisschen entspannter.«
Ich schnaubte leise; noch nicht einmal mir selbst gegenüber wollte ich zugeben, dass seine Worte mir einen Stich versetzten. »Ich bin absolut entspannt.«
»Ja, so klingen Sie auch«, rief er zu mir hoch. Er kicherte, was mich rasend machte, und verschwand endlich aus meinem Blickfeld.
»Grrr!« Ich schlug meine Tasche gegen meine Tür, bevor ich sie aufstieß und hinter mir wieder zuschlug. Die Clutch segelte durch die Diele, so wütend war ich. »Zur Hölle mit diesem Mann!«
Nächstes Mal würde ich das letzte Wort haben, so viel stand fest.