Kapitel 3

Mist, Mist, Mist«, brummte ich, als ich versuchte, die Schlüssel aus meiner Tasche zu fischen und gleichzeitig drei Einkaufstüten voller Lebensmittel zu balancieren.

Eine große Hand zog plötzlich an einer der Tüten, und ich sah erschrocken auf. Logan MacLeod stand hinter mir. »Wa …«

Die Tüte wanderte in seine Hand, die zweite und die dritte wechselten rasch in die andere.

Ich starrte ihn verwirrt an. »Ich habe Sie gar nicht kommen hören.« Für einen so großen Mann bewegte er sich erstaunlich leise.

Statt einer Erwiderung deutete er auf die Haustür.

Ich war so durcheinander, dass meine Hände zitterten, als ich meine Schlüssel herauszog und uns hereinließ. »Ich kann die Tüten jetzt nehmen, vielen Dank.«

Er sah mich an und machte keine Anstalten, mir meine Einkäufe auszuhändigen, also musste ich weitergehen. Ich blieb vor Apartment eins im Erdgeschoss stehen und klopfte an die Tür. Logan wirkte verdutzt. Bevor ich etwas erklären konnte, wurde die Wohnungstür geöffnet, und mein freundlicher Lieblingsnachbar Mr. Jenner erschien.

»Ah, Gracie, da sind Sie ja.« Er grinste mich an. Sein Lächeln verblasste ein wenig, als er hinter mich spähte. »Oh, Sie sind nicht allein?«

»Mr. Jenner, das ist Mr. MacLeod. Er ist vor kurzem hier eingezogen und hat mir netterweise angeboten, Ihre Einkäufe zu tragen.«

»Das ist wirklich nett.« Mr. Jenner strahlte Logan an. »Kommen Sie herein.«

Ich sah Logan an, und er gab meinen Blick mit hochgezogenen Brauen zurück.

»Ich gehe jede Woche für Mr. Jenner einkaufen. Ich kann die Sachen reintragen, wenn Sie wollen.« Ich streckte eine Hand nach den Tüten aus.

»Das geht schon.« Er schob sich an mir vorbei, und ich folgte ihm in Mr. Jenners Wohnung.

Der ältere Herr hatte vor einigen Jahren, nur ein paar Monate nachdem ich in das Haus gezogen war, seine Frau verloren. Sein Sohn hatte eine Putzhilfe eingestellt, die einmal die Woche kam, aber sie hatte für das Erledigen der Einkäufe Extrageld verlangt, daher hatte ich angeboten, es umsonst zu übernehmen, weil die Jenners nett zu mir gewesen waren und mich von Anfang an herzlich aufgenommen hatten.

Ich beobachtete Logan, der sich in der kleinen, ordentlichen Wohnung umsah, und fragte mich, ob er Mr. Jenners Geplauder wirklich zuhörte, als er unserem Nachbarn in die Küche folgte.

Dann wurde mir klar, dass ich so sehr damit beschäftigt gewesen war, Logan zu beobachten, dass ich Mr. Jenner nicht zugehört hatte und daher ziemlich verwirrt reagierte, als Logan sagte: »Ich sehe sie mir mal an.«

»Was denn ansehen?« Ich machte mich daran, die Tüten, die Logan auf dem Küchentresen abgestellt hatte, auszupacken, und räumte die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank.

»Mr. Jenners Waschmaschine macht Schwierigkeiten. Ich werde sie mir mal anschauen.«

»Verstehen Sie denn etwas davon?« Ich fragte mich immer noch neugierig, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente.

»Ja. Ich habe ein Diplom in Waschmaschinentechnik.«

Bei seinem Sarkasmus verdrehte ich die Augen.

»Das ist sehr lieb von Ihnen.« Mr. Jenner schien die unterschwellige Spannung zwischen mir und Logan völlig zu entgehen.

»Ich kümmere mich jetzt gleich darum, wenn das in Ordnung geht?« Auf Jenners dankbares Nicken hin schälte sich Logan aus seiner Jacke.

Ich legte wenig Wert darauf, Zeuge einer guten Tat von Logan zu werden. Das könnte meinen Ärger mildern, und ich wollte nicht, dass irgendetwas meine Abneigung gegen meinen neuen Nachbarn beeinträchtigte. Eine gute Tat wog die wachsende Liste von Beschwerden nicht auf, die ich gegen ihn vorzubringen hatte. »Gut, ich gehe dann mal.«

Mr. Jenner lächelte. »Noch einmal vielen Dank, Gracie. Sie sind ein Engel.«

Ich erwiderte sein Lächeln, aber meines fiel unter Logans stechendem Blick etwas zittrig aus. Ich ignorierte sein spöttisches Grinsen und verabschiedete mich mit einem Winken, ohne einen der beiden Männer anzusehen. Dann flüchtete ich aus der Wohnung.

»All diese Momente werden verloren sein in der Zeit … so wie Tränen im Regen.«

Ich starrte den Satz zum fünfzehnten Mal an; versuchte herauszufinden, woran es lag, dass er mich so beschäftigte, warum er mir so bekannt vorkam, aber ich konnte mich nicht konzentrieren.

Ich konnte mich nicht konzentrieren, weil ich während der letzten zwei Stunden von nebenan mit U2 beschallt worden war. Jedes Mal, wenn zwischen den Songs eine Pause eintrat, wurde der Moment der Stille von Gelächter zerrissen.

Logan gab eine Party.

»All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen«, murmelte ich, dabei tippte ich mit dem Finger gegen meine Computermaus. »All diese Momente. All diese Momente … all diese Momente … grrr!« Ich schob meinen Stuhl zurück und funkelte böse die Wand an.

Mir fiel auf, dass ich ihm gegenüber freundlichere Gefühle hegte, seit er sich so selbstverständlich erboten hatte, Mr. Jenner zu helfen.

Das würde ich mir schnellstens wieder abgewöhnen.

Er war ein rücksichtsloser Flegel.

Gestern Abend war ich zu dem Schluss gekommen, dass ich wohl wieder einen Therapeuten aufsuchen musste, um mit meiner wachsenden Abneigung gegen meinen neuen Nachbarn klarzukommen. Doch am Morgen entschied ich, dass ich wesentlich billiger davonkommen würde, wenn ich meinen Arbeitsrhythmus änderte, statt mich in Therapie zu begeben. Von nun an würde ich nachmittags arbeiten, und damit hatte es sich.

Okay, es ließ mich nicht ganz so kalt, meinen Zeitplan umzustellen, wie ich mir einzureden versuchte. Ich würde Tage, wenn nicht Wochen brauchen, um mich an einen neuen Arbeits- und Schlafrhythmus zu gewöhnen, aber mir blieb nichts anderes übrig, da neben mir ein Radaubruder eingezogen war.

Deshalb war ich schon am Morgen auf den Beinen, um meine Besorgungen zu erledigen, damit ich am frühen Nachmittag zurück war, um ein Manuskript zu beenden, das ich an diesem Abend zurückschicken musste. Es war Samstag, und ich hätte meinen Samstag viel lieber mit Juno und Chloe verbracht, die heute nach St. Andrews wollten.

Ich war müde, ich hatte schlechte Laune, und ich war nicht in der Stimmung, unangenehme Nachbarn zu treffen. Daher war ich natürlich begeistert, als meine Nachbarin Janice gerade in dem Moment auf der Treppe auftauchte, als ich meine Tür abschloss.

Janice stieg die Stufen zu meinem Flur hoch und blieb bei meinem Anblick stehen. »Hast du es schon gehört?«, blaffte sie ohne Einleitung.

Ich schützte mich mit Geduld vor ihrer Eiseskälte wie mit einem Wintermantel.

Janice wohnte mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Lukash auf der Etage über mir. Lukash bekam ich kaum zu sehen, und Janice begegnete ich zum Glück auch nicht oft. Sie war Strafverteidigerin am schottischen Gericht, humorlos, und sie war … nun … es gab kein anderes Wort dafür. Sie war wirklich ein Miststück.

»Was gehört?«

»Dein direkter Nachbar.« Sie deutete mit vor Wut glühenden Augen auf Logans Tür.

Also hatte er sich bei noch jemandem unbeliebt gemacht. Ich war nicht überrascht.

»Der Ex-Knacki«, giftete sie.

Jetzt war ich überrascht. »Wie bitte?«

Janice trat einen Schritt auf mich zu, was in mir augenblicklich den Wunsch auslöste zurückzuweichen. »Mr. Jenner erzählte mir, Logan MacLeod hätte ihm gegenüber erwähnt, dass er gesessen hat. Anscheinend hat der Idiot angenommen, wir wüssten alle über seine Gefängniszeit Bescheid. Der dämliche alte Bock da unten hält das anscheinend noch nicht einmal für ein Problem. Er hat sich nur lang und breit darüber ausgelassen, dass dieser Gangster seine Waschmaschine repariert hat.«

Ich ballte die Fäuste. »Mr. Jenner ist kein dämlicher alter Bock.«

»Darum geht es doch gar nicht«, fegte Janice meinen Einwand beiseite. »Hast du denn keine Angst, Tür an Tür mit einem verurteilten Kriminellen zu wohnen? Ich habe sofort Mr. Carmichael angerufen, aber der behauptet, der Verbrecher wäre ein Freund von ihm, und mit ihm als Nachbarn wären wir viel sicherer. Ist das zu fassen?«

Mr. Carmichael war unser Vermieter. Ich hatte ihn zwar nie persönlich kennengelernt, aber er war ein Traumvermieter. Wenn irgendetwas am Haus oder in unseren Apartments nicht in Ordnung war, wurde das Problem unverzüglich behoben. »Vielleicht ist er ein guter Menschenkenner. Und vielleicht sind wir ja mit Mr. MacLeod im Haus wirklich sicherer.« Ich hatte keine Ahnung, warum ich Logan in Schutz nahm. Er war unleugbar ein ausgesprochen rücksichtsloser Nachbar, und er schüchterte mich manchmal ein. Aber machte er mir Angst?

Nein. Auf keinen Fall.

Janice seufzte. »Oh, ihr seid alle Dummköpfe. Du vergisst, dass ich solche Leute verteidige. Ich weiß genau, was für ein Mensch er ist. Ich werde mir eine neue Wohnung suchen.«

Endlich mal eine gute Neuigkeit.

Es gelang mir gerade noch, mein Lächeln zu unterdrücken. »Okay. Schönen Tag noch.« Ich schlug einen Bogen um sie und eilte die Treppe hinunter, bevor sie noch mehr von ihrem Gift ausspucken konnte.

Ich war gerade beim Einkaufen, als Aidan anrief und fragte, ob ich Lust auf einen Kaffee hätte. Nur zu gern ließ ich mich überreden, und vielleicht machte der Kaffee mich ja sogar wach.

Die tiefstehende Frühlingssonne tauchte die Terrasse des Coffeeshops in schönes weiches Licht. Ich blinzelte und entdeckte Aidan an einem der kleinen Metalltische. Er hatte mir schon einen Kaffee bestellt.

Ich lächelte dankbar, als ich mich ihm gegenübersetzte. »Du bist ein Schatz.« Ich wärmte meine Hand an der heißen Tasse und trank einen Schluck.

Aidan blinzelte in das Sonnenlicht. »Du siehst fix und fertig aus.«

Na toll. »Danke.«

»Liegt das an deinem Nachbarn?«

Ich dachte an die Neuigkeiten, die ich an diesem Morgen von Janice erfahren hatte, und beschloss, Aidan gegenüber nichts davon zu erwähnen. Er würde sich Sorgen machen und voreilige Schlüsse ziehen.

Vielleicht sollte ich aus dem Umstand, dass mein Nachbar ein verurteilter Krimineller war, auch voreilige Schlüsse ziehen, aber ich wusste weder, weswegen er verurteilt worden war, noch warum Mr. Carmichael so von dem guten Charakter des Mannes überzeugt zu sein schien, und ich war immer gut damit gefahren, mir erst dann ein Urteil zu bilden, wenn ich alle Fakten kannte. So wusste ich zum Beispiel, dass Logan MacLeod arrogant, nervtötend und laut war. Darüber konnte ich urteilen, so viel ich wollte. »Er scheint entschlossen zu sein, das Leben bis zum Äußersten auszukosten.«

»Soll heißen?«

»Er ist sehr laut.«

Aidan zuckte die Achseln. »Vielleicht weiß er gar nicht, wie laut er ist. Sag doch einfach was.«

»Dann hält er mich nur für zickig.«

»Du?«, meinte Aidan. »Zickig? Du wüsstest überhaupt nicht, wie du zickig sein solltest.«

»Ich will nicht über Logan reden. Warum interessierst du dich so für meinen verflixten Nachbarn?«

Er grinste. »Wegen deiner Reaktion auf ihn.«

»O nein, nicht schon wieder! Seit Chloe dich mit Juno bekannt gemacht hat, ist sie für dich der Inbegriff des Scharfsinns. Ich muss dir aber leider mitteilen, dass sie oft falschliegt. Eigentlich dauernd.« Ich nippte an meinem Kaffee und wechselte dann absichtlich das Thema. »Wie geht es Callum?«

Callum war Aidans Teamkamerad. Ich war vor ein paar Jahren einige Monate mit ihm zusammen gewesen, bis wir beide erkannten, dass wir nicht viel gemeinsam hatten und als Paar ziemlich langweilig waren. Als Freunde kamen wir eindeutig besser klar. Ein paar Monate nach unserer Trennung begann sich Callum mit Annie zu treffen, einer sehr extrovertierten Sportjournalistin. Seitdem waren sie zusammen und planten ihre Hochzeit.

Aidan verzog das Gesicht. »Callum und Annie haben sich getrennt.«

»O nein!«, entfuhr es mir bestürzt. »Warum denn?«

»Ob du es glaubst oder nicht, ihre familiäre Situation ähnelt deiner, nur dass sie mit ihren Leuten noch spricht. Ihre Eltern sind dominant und sehr negativ eingestellt, und sie haben versucht, die Hochzeit komplett an sich zu reißen. Sie haben auch angefangen, wegen Enkelkindern Druck zu machen, aber nicht so wie andere Eltern. Ihnen gehört Annies Haus. Callum wusste das nicht. Ihre Mum und ihr Dad haben gedroht, sie hinauszuwerfen, wenn Annie nicht während ihres ersten Ehejahres schwanger ist. Anscheinend glauben sie, Kinder wären ein Beweis dafür, dass es Callum ernst mit Annie ist. Im Gegensatz zu einer Hochzeit.«

»Oje«, murmelte ich. Ich empfand tiefes Mitgefühl. Andere Menschen mochten es lächerlich finden oder gar nicht glauben, dass es solche Eltern überhaupt gab, aber ich wusste es aus eigener Erfahrung.

»Callum hat darauf gewartet, dass Annie sich gegen sie wehrte. Sie hatten schon besprochen, dass sie mindestens ein Jahr warten wollten, ehe sie Kinder bekommen. Ihn interessiert das Haus einen Scheißdreck, er ist bereit, alles hinter sich zu lassen. Aber Annie … sie will das nicht, und sie ist immer sauer auf ihn, wenn er sie bittet, sich gegen ihre Familie durchzusetzen. Schließlich war Callum die ständigen Auseinandersetzungen leid. Er fühlt sich von ihren Eltern in die Enge getrieben, und ihm wurde klar, was ihm für den Rest seines Lebens bevorsteht, wenn er Annie heiratet.«

»Das ist ja furchtbar«, flüsterte ich. Callum tat mir leid. »Verdammte Familien.«

»Nicht alle.«

»Nein«, stimmte ich zu. »Vor allem dann nicht, wenn man sie sich selbst aussucht.«

Aidan kicherte. »Angeblich ist das am besten, natürlich nur wenn du ein gutes Händchen hast.«

»Du musst dir die Kandidaten eben genau ansehen, dann kann nichts schiefgehen.«

»Und du bist der Meinung, bei mir genau hingeguckt zu haben?«

Ich grinste nur, weil er es genau wusste.

Dann dachte ich an Annie und wünschte, ich könnte zu ihr gehen und ihr sagen, wie viel besser ihr Leben wäre, wenn sie Callum eine Chance geben und ihn zu ihrer Familie machen würde.

Es wäre eine Befreiung.

Eine süße Befreiung.

Es war ungefähr zwei Uhr nachmittags, als ich mit meiner kleinen Einkaufstasche die Treppe zu meiner Wohnung hochstieg. Ich redigierte im Geist bereits mein Manuskript und wurde abrupt aus meiner kleinen Welt gerissen, als Logans Tür sich öffnete und Gelächter erklang.

Ich blieb beim Anblick des zierlichen, umwerfenden Rotschopfs, der vor ihm aus der Wohnung kam, überrascht stehen. Sie war überhaupt nicht sein Typ. Vor allem hatte sie zu viel an.

Die lachende Rothaarige blieb gleichfalls stehen, als sie mich sah, und lächelte. »Hallo.«

Aus reiner Höflichkeit lächelte ich sie ebenfalls an. »Hallo.« Ich ging auf meine Tür zu, aber sie hielt mich erneut zurück.

»Ich bin Shannon. Logans kleine Schwester.« Ihre violetten Augen funkelten mich mit freundlicher Heiterkeit an, und sie streckte mir die Hand hin.

Ich ergriff sie. »Grace. Freut mich, dich kennenzulernen.«

»Du bist Logans Wohnungsnachbarin, nicht wahr?«

»Aye«, bejahte Logan neben ihr.

Ich blickte in sein plötzlich mürrisches Gesicht und empfand einen Anflug von Befriedigung. Es war wundervoll, dass er sich genauso über mich ärgerte wie ich mich über ihn. Es war das Einzige, was seinen rücksichtslos hohen Geräuschpegel erträglich machte.

»Du bist ganz anders, als er dich beschrieben hat.« Shannon grinste ihren Bruder an, bevor sie sich wieder zu mir wandte.

Ich bemerkte die Schadenfreude in ihren atemberaubenden Augen und fragte mich, was genau Logan über mich gesagt hatte. »Schon möglich«, räumte ich ein.

»Was machst du denn beruflich, Grace? Logan ist der Manager vom Fire, dem Nachtclub in der Victoria Street.«

Ich kannte den Club, Chloe hatte mich einige Male dorthin geschleppt. Warum um alles in der Welt fühlte sich Shannon bemüßigt, mir mitzuteilen, wo Logan arbeitete? Aber jetzt war klar, warum er immer so lange auf war. »Ich bin freiberufliche Redakteurin.« Ich blickte zu Logan auf und fügte spitz hinzu: »Ich arbeite zu Hause.«

»Hey, das ist ja toll!«, gab Shannon begeistert zurück.

Warum nur war dieses unkomplizierte Goldstück nicht an Stelle ihres mürrischen älteren Bruders neben mir eingezogen?

»Manchmal schon.« Ich holte tief Atem, schöpfte plötzlich Mut aus Shannons Gegenwart – oder ihrer möglichen Pufferfunktion. »Ich arbeite bis tief in die Nacht … nur war mir das gestern Nacht nicht möglich.« Ich bemühte mich, mich von Logans herrischer Miene nicht einschüchtern zu lassen. »Ihre Party war ausgesprochen laut, und ich fürchte, ich bin um drei Uhr morgens kein großer Fan von U2

Shannon kniff die Lippen zusammen und schielte zu ihrem Bruder hoch. Statt einer Antwort starrte er auf ihren Scheitel, ohne mit einem Wort auf meinen Vorwurf einzugehen. Shannon schüttelte tadelnd den Kopf. »Versuch, ein bisschen mehr Rücksicht zu nehmen, ja?«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Mach mal halblang, Shannon. Miss Farquhar ist eine notorische Nörglerin.«

»Logan!« Shannon wirkte gekränkt.

Ihre Reaktion ermutigte mich noch mehr. »Ich habe mich darüber beschwert, dass der Stringtanga Ihres One-Night-Stands auf meinem Geländer trocknet und dass sich Ihr One-Night-Stand direkt vor meiner Tür übergeben hat. Worüber ich mich nicht beschwert habe, waren die unzähligen Nächte, während derer ich wegen der lauten Sexgeräusche aus Ihrer Wohnung nicht arbeiten konnte.«

Seine Schwester starrte ihn mit vor Entsetzen runden Augen an. »Logan?«

Er funkelte sie finster an, schwieg aber. Er brauchte auch gar nichts zu sagen. Die Worte ›Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig‹ standen ihm klar und deutlich auf die Stirn geschrieben.

Der Klang von Schritten unterbrach den angespannten Moment, und wir drehten uns alle um, als Janice die Treppe zu unserem Flur hinunterkam. Ich wappnete mich innerlich.

Die attraktive Brünette nickte mir zu. »Grace.« Dann hob sie auf eine so hochnäsige Art das Kinn, dass es schon fast komisch wirkte, und rauschte an Logan und Shannon vorbei, ohne Notiz von ihnen zu nehmen.

Als ihre Schritte verklangen, flüsterte Shannon: »Was war das denn?«

Ich trat unbehaglich auf der Stelle; ich hasste es, die Überbringerin schlechter Nachrichten zu sein. Selbst wenn sie Logan betrafen. »Ich fürchte, Mr. Jenner hat den Fehler begangen, Janice gegenüber zu erwähnen, dass Logan im Gefängnis gesessen hat. Mr. Jenner ist so nett, wisst ihr … ihm ist nicht klar, dass Menschen wie Janice … es nicht sind

Bei diesen Neuigkeiten verkrampfte sich Logans ganzer Körper vor Anspannung. Selbst seine Gesichtszüge verhärteten sich.

Shannon wurde blass. »Wir dachten, alle wüssten schon Bescheid. Soll das heißen, dass Sie es erst jetzt wissen?«

Aus irgendeinem Grund, den ich nicht zu deuten vermochte, zog sich mein Magen vor Unbehagen zusammen, und plötzlich begriff ich … es tat mir für Logan leid.

Wer hätte das gedacht?

»Es macht keinen Unterschied«, versicherte ich den beiden hastig. »Janice … nun, wir wissen alle, wie unangenehm sie sein kann. Ich würde mir keine Gedanken deswegen machen. Es ist alles in Ordnung.« Ich zuckte die Achseln, da ich nicht wusste, was ich sonst noch sagen sollte. »Schön, dich kennengelernt zu haben, Shannon.« Ich drehte mich zu meiner Tür, hielt dann inne und blickte über meine Schulter hinweg zu Logan, der mich auf eine Weise anstarrte, dass es mir den Atem verschlug.

Er wirkte … entwaffnet.

Ich schüttelte meine Reaktion auf ihn ab und sagte in einem Ton, von dem ich hoffte, dass er als diplomatisch durchging: »Wenn Sie versuchen könnten, etwas leiser zu sein, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«

Logan nickte knapp. »Partylärm kann ich dämpfen. Aber darauf, wie laut Frauen in meinem Bett sind, habe ich keinen Einfluss.«

»Ach, Logan.« Angesichts seiner Arroganz verzog Shannon das Gesicht zu einer komisch-angewiderten Grimasse, und ihr Bruder grinste breit.

Einmal mehr stockte mir der Atem, als er auf seine Schwester hinablächelte. Es war das erste Mal, dass ich Logan MacLeod aufrichtig, von Herzen kommend und ohne jeglichen Spott lächeln sah.

Was für ein Anblick!

Plötzlich sah er mich an, und unsere Blicke kreuzten sich.

Ich suchte verzweifelt nach einem Weg, mich aus seinem Bann zu lösen.

Atme, Grace, atme.

Ich blies die Luft zwischen den Lippen hindurch, zwang mich, meinen Blick abzuwenden, öffnete meine Tür und ging hinein. »Ich bin wie immer von Ihrem Charme bezaubert, Mr. MacLeod«, sagte ich, dabei wünschte ich, mehr Sarkasmus in meine Worte gelegt zu haben.

Ehe er etwas sagen oder machen konnte, was mich erneut aus der Fassung brachte, schloss ich die Tür.