Alexander Gruber · Alte Bekannte

Alexander Gruber

Alte Bekannte

Gedichte aus vier Jahrzehnten

Dank an Rainer Hagl

Widmung

An einige Leser:

Immer noch

Als Kinder banden wir die schönen

Maikäfer mit den braunen Flügeldecken

an Fäden fest, und sie,

sie schwirrten auf in schimmernd blaue Luft,

so weit die Fäden reichten.

Und mußten in die Kinderhand zurück,

zurück in einen Schuhkarton mit Löchern …

So habt Ihr, Freunde, mich am Faden noch –

immer noch!

IM LABYRINTH

Pasiphaë, graue Flügel entfaltend,

Minotaurus, schleppend das dunkle Haupt.

Minotaurus

1

Da steht er auf, der quer verbaute Bub,

den Mord im Aug, den er im Geist begeht,

ohnmächtig immer, nach Vergebung toll.

2

Ob noch dein Auswurf zeugt, alt wie du bist

und Eisen grau am ganzen zottigen Leib?

Läßt doch nicht ab im Finstern vom Verzehr

fauliger Reste. Andres ist nicht mehr.

Knabe Eros

1

Nicht das Geschlecht ist es, was fasziniert,

sondern des Leibs Aura, Gliederschmelz,

der Gangart Fließen, der Erscheinung Duft:

ein Gartenbursch, der lächelt und den Kopf dreht,

ein Tanzender verdunkelten Gesichts,

ein Augenblitzen, Schulterheben:

Eros,

Gott im Verweslichen, scheint unverweslich

und Augenblicks trifft er des Lebens Nerv.

*

Wie leben also? Wahr ist auch der Wunsch

nach Einverleibung und Vereinigung,

Besamung irgend und Empfangbarkeit.

Wahr ist der Schrecken, das Entzücken am

braunen Moorsee, wenn durch eine Ritze

der Badehütte steht des neuen Vetters

dicht vor dem Auge zierliches Geschlecht

[als wärs das eigene, lebendig doch]

blinkend von Tropfen in dem goldnen Haar –

der Schreck von Scham und Schönheit!

2

Wahr ist auch,

daß diese Knabenwelt nicht dauern kann.

Ihr folgt die Gier, die all erfaßt, aushülst.

Das Heilige vermodert, wird Gestank.

Wie leben, wenn sich Trieb und Treue trennen?

3

Beim Knaben liegen wie beim Weibe bringt

Gesetzes Tod.

O Liebe!

wie sie zerstiebt, zerstäubt ins Nichts. Ins Nichts.

Ach, wie sie blendet!

Ach!