Umschlag

Veronika A. Grager wurde in Wien geboren, lebt aber seit vielen Jahren in einem kleinen Dorf in Niederösterreich, wo sie auch ihre Krimis ansiedelt. Hier, inmitten von friedlichen Wiesen, Feldern und Wäldern, ist die Welt noch in Ordnung. Grund genug, ein paar Leichen in die Gegend zu werfen.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2014 Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: photocase.com/TheGRischun
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-86358-395-8
Originalausgabe

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Wichtiger Hinweis für Leserinnen und Leser, die des niederösterreichischen Idioms und des Seglerlateins nur bedingt mächtig sind: Im Glossar gibt es Hilfe.

Sich elend zu sehen durch eigene,

nicht durch anderer Schuld,

das bereitet die bittersten Qualen.

Sophokles

1

Kalt. So kalt. Dunkel. Er riss die Augen auf, doch da war immer noch Finsternis. Und es brannte. Luft! Er brauchte Luft! Er atmete ein, Wasser drang in seine Lungen. Sein benebelter Verstand registrierte, dass er sich unter Wasser befand und dringend auftauchen musste. Das eingeatmete Wasser löste Hustenreiz aus. Der Schmerz zerriss ihn fast, als er ihm nachgab. Er fasste mit den Händen an seinen Bauch. Spürte etwas, das er dort nicht erwartet hatte. Wärme. Die über seine Hände nach außen drang. Oh Gott!

Panik erfasste ihn. Er musste an die Wasseroberfläche! Er stieß sich vom Boden ab, und erstaunlich schnell erreichte er sie. Er schnappte gierig nach Luft. Quälende Schmerzen bohrten sich in seine Eingeweide. Was war nur los mit ihm?

Er blickte nach oben. Über ihm tobte ein Sturm. Wolkenfetzen rasten über den Himmel. Blitze zuckten durch das Grau und erhellten kurz die Umgebung. Die Wellen waren aufgepeitscht. Er konnte sich kaum über Wasser halten. In kurzer Entfernung, und doch unerreichbar weit weg, verschwand ein Boot im Regen. Sein Boot! Wenn er ins Wasser gestürzt war, wer zum Teufel segelte es dann? Diesen Kurs könnte es nicht ohne Steuermann halten. Hatte ihn jemand verloren? Über Bord geworfen? Das war ja krank. Wer würde denn das tun? Wenn er sich nur erinnern könnte!

Er zitterte. Seine Zähne schlugen aufeinander. Die Kälte wurde beißend, der unerträgliche Schmerz im Bauch ließ ihm kaum Luft zum Atmen. Er war müde und schwach und fühlte sich elend.

Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Wie er ins Wasser gelangt war. Er wusste nur eines: Er würde sterben, wenn nicht rasch Hilfe kam.

2

Dorothea Wiltzing sprang wütend und besorgt aus der Dusche, um das Telefon abzuheben, das unaufhörlich klingelte. Wenn um diese Zeit jemand anrief, musste etwas passiert sein. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit meldete sie sich mit einem knappen »Ja?«.

»Dorli, hast du fürs Wochenende schon etwas vor?«

»Diese Frage fällt dir ausgerechnet jetzt ein, Lupo? Schaust du gelegentlich mal auf die Uhr? Es ist Viertel nach gestern!«, knurrte sie ungnädig in den Hörer. Und war erleichtert, dass nichts passiert war.

»Oh, entschuldige, Dorli. Es ist ja schon nach Mitternacht. Hab ich dich geweckt?«

»Nein, aus der Dusche geholt. Ich bin waschelnass und tropf den Fußboden voll.«

»Schmarrn! Dass es noch immer kein Bildtelefon gibt …«

»I glaub, dir geht’s net guat!« Dorli maulte zwar entrüstet, aber sie musste über den lieben, zerstreuten Kerl schmunzeln. Im Gegensatz zu ihr mit ihrem geregelten Tagesablauf lebte Lupo in den Tag hinein, ließ sich hierhin und dorthin treiben. Wenn er einen Detektiv-Auftrag ergatterte, war er kurzzeitig zielbewusst und sogar ein wenig organisiert. Bekam er keinen, arbeitete er als Paketzusteller, Rausschmeißer in einer Disco oder in anderen Hilfsjobs. Einerseits eine beneidenswerte Einstellung, andererseits hätte Dorli das Fehlen jeglicher Sicherheit wahnsinnig gemacht. Und in Lupos Alter, mit etwas mehr als vierzig Lenzen auf dem Buckel, sollte man vielleicht auch schön langsam an die Altersvorsorge denken.

»Du hast mir noch keine Antwort gegeben, Dorli. Weißt, ich muss hier raus. Meine grässliche Nachbarin ist so gestört, die kann nicht leise reden. Und ihre Tochter, die ist ein echtes Früchtchen. Pubertierender Teenager mit allem, was man sich nicht wünscht. Schulstageln, Rauchen und Saufen, wahrscheinlich nimmt sie auch noch Drogen, so weggetreten, wie sie daherkommt. Und das mit dreizehn Jahren! Mit dem Fratzen plärrt die Alte Tag und Nacht herum. Und Fenster schließen bei der Hitze ist nicht drin. Ich muss hier raus, sonst bring ich eine von den zweien noch um. Damit endlich Ruh ist.«

»Zahlt sich nicht aus, Lupo. Im Häfen ist es sicher auch nicht leiser! Und ich bezweifle sehr, dass du dort ein Einzelzimmer bekommst.«

Dorli versuchte, sich einen mordlustigen Lupo vorzustellen. Etwas, das gar nicht zusammenging. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass »die Alte«, von der Lupo sprach, vermutlich gleich alt, wenn nicht sogar jünger war als sie. Hm. War das jetzt ein Grund zum Ärgern, oder sollte sie den Möchtegern-Charmebolzen doch eher bedauern? Sie beschloss, die Sache mit Humor zu nehmen. Anders ertrug man Lupo ohnehin nicht.

Nebenbei warf sie das Handtuch, das bisher um die nassen Haare geschlungen war, auf den Boden, um damit den See, den sie dort hintröpfelte, zu bannen, bevor alles zwischen den Holzbohlen versickerte.

»Ja, eben. Und jetzt hat mich mein Freund Peter auf sein Boot eingeladen, und ich darf jemanden mitbringen. Wir segeln von Rust nach Podersdorf, besuchen dort das Seefest, und weil dann vermutlich keiner mehr grad stehen kann, übernachten wir auf dem Boot, knapp unter Land. Am Sonntag segeln wir am Nachmittag gemütlich nach Rust zurück und werden bei der Hütte grillen. Wie klingt das für dich?«

»Wacklig, nach Millionen Gelsen und Sonnenbrand. Aber wenn ich für Idefix jemanden find, der ihn übers Wochenende betreut, dann komm ich gerne mit.«

»Hieß der Hund zuletzt nicht Leo, nach deinem Busenfreund, dem geschniegelten Heini vom LKA Sankt Pölten?«

Nach dem »Busenfreund« gebührte Lupo eigentlich gar keine Antwort. Doch sie wollte heute mal nicht so streng sein. »Weißt du, seit i ihn in Leo umtauft hab, hat er kaum mehr gefressen und das wenige auf den Teppich gekotzt, außerdem tausend Flöhe heimgebracht, von den Zecken gar nicht zu reden.«

»Und was hast du getan?«

»Ich nenn ihn wieder Idefix.«

»Und das hilft?«

»Schaut so aus.«

»Geh, das glaubst doch selber nicht! Du kannst den Kerl ja mitnehmen.«

»Na sonst noch was. Bei der Hitze ist er die halbe Zeit im Wasser. Und wer wirft den Sechzig-Kilo-Brocken wieder ins Boot? Dann stinkt es nach nassem Hund, und wenn er sich beutelt, spritzt er alle voll. Das ist auch nicht jedermanns Sache. Und zum Äußerln müssten wir jedes Mal an Land. Nein, das is nix. Und jetzt tschüss, ich muss mich abtrocknen und mir was überziehen. Ich brauch meinen Schönheitsschlaf.«

Dorli legte das Handy lächelnd auf den Tisch. Lupo bemühte sich angestrengt, ihr Interesse zu wecken und Eindruck zu schinden. Vermutlich hatte er diesen Peter wochenlang bekniet, dass er ihn mal mit auf sein Boot nahm, damit er bei Dorli mit seinem Freund und dessen Jacht angeben konnte. Irgendwie süß, wie der große Tollpatsch aus Wien sie umwarb. Seit sie gemeinsam dem Serienmörder von Buchau auf die Schliche gekommen waren und Lupo sie aus dessen Gewalt befreit hatte, scharwenzelte er immer wieder um sie herum. Seltsam, dass er nicht verheiratet war. Er war groß, sah gut aus und hatte ein kluges Köpfchen. Ein wenig unbeholfen wirkte er. Weckte das nicht angeblich die Mutterinstinkte der Frauen?

Sie musste nur achtgeben, dass sie Lore, ihrer Schwägerin, nicht verriet, warum sie auf Idefix aufpassen sollte. Sonst könnte sie sich wieder was anhören, weil ihr nie einer gut genug war und weil sie all die wunderbaren Männer wegbiss. Oder noch schlimmer, wie romantisch das war, schluchz!, mit Herzerln in den verdrehten Augen. Irgendwo hatte Lore sogar recht. Aber dass sie die Männer auf Distanz hielt, hatte seine Gründe. Und ihr miesepetriger Bruder Georg, mit dem Lore gestraft war, war nur einer davon.

Dorli hüllte sich in den flauschigen Bademantel und begann ihr schulterlanges dunkles Haar zu föhnen. Es hatte schon Männer in ihrem Leben gegeben, die sie gewollt hätte. Einen wollte sie sogar heiraten und er sie auch. Doch dann war er einfach gestorben und hatte sie allein gelassen. Es war bei ihnen Liebe auf den ersten Blick gewesen. Das erste und letzte Mal. Die anderen Männer, die Dorli wirklich interessiert hätten, waren alle verheiratet gewesen. Damit waren sie für Dorli nicht vorhanden. Abgesehen davon, was wohl die Tratschweiber im Ort sagen würden, wenn die Gemeindesekretärin einer anderen Frau den Mann ausspannte, gehörte es zu ihren Prinzipien, so etwas niemals zu tun. Und so war es gekommen, dass sie mit siebenunddreißig immer noch ledig war. Was sie überhaupt nicht störte, aber anscheinend eine Menge Leute in ihrer Umgebung.

Lupo warf sich auf das ungemachte Bett und grinste zufrieden. Dorli hatte nicht nur nicht Nein gesagt, sie hatte sogar ziemlich erfreut geklungen. Er wollte, dass ihr Verhältnis, das sie ja gar nicht hatten – also noch nicht hatten, denn es sollte eines werden –, sich nicht wieder abkühlen würde, so wie nach ihrem ersten gemeinsamen Fall.

Er hatte Dorli damals nicht bedrängen wollen, weil er dachte, sie müsse ihre Verletzungen ausheilen. Den Schock, in der Gefangenschaft eines Psychopathen dem Tod entgegenzusehen, erst einmal überwinden. Doch er hatte zu viel Zeit verstreichen lassen. Fast wäre ihm Dorli entglitten.

War er verliebt? Nein, das Gefühl, das er für Dorli empfand, ging tiefer. Dies war keine Verliebtheit. Es war eine starke Verbundenheit, ein wenig Bewunderung für ihr Temperament und ihr Durchsetzungsvermögen, gepaart mit dem innigen Wunsch, alles Böse von ihr fernzuhalten. Nein, er war nicht verliebt. Er liebte sie, gestand er sich ein. Und hatte tierische Angst davor, dass sie für ihn möglicherweise nicht so empfand.

Er wusste, Angst war kein guter Ratgeber. Weder im Beruf noch in der Liebe. Liebe erforderte mehr Mut als alles andere im Leben. Zumindest für ihn, da er schon einmal grandios gescheitert war.

Sofort verdrängte er die unwillkommenen Erinnerungen an Angelina. Er hatte sie so sehr geliebt. Und sie war mit nichts zufrieden gewesen, was er ihr bieten konnte. Ein Luxuspüppchen, das irrtümlich einen armen Schlucker und Habenichts wie ihn geheiratet hatte.

Da war Dorli ganz anders. Naturverbunden, im Hier und Jetzt geerdet, ein Klasseweib. Aber warum sollte sich die Superfrau ausgerechnet für ihn interessieren?

Oh Gott, weg mit diesen negativen Gedanken! Er dachte an einen Satz aus einem Psychoratgeber, den er einmal gelesen und dann weitergeschenkt hatte, weil bei ihm ohnehin Hopfen und Malz verloren war. Da stand: »Wie soll jemand Sie lieben, wenn Sie sich selbst nicht leiden können?« Positiv denken war daher angesagt. Er würde versuchen, unter dem Haufen von negativen Gedanken und Erlebnissen etwas zu finden und auszugraben, woran er sich aufrichten konnte. Wenn er nur den leisesten Schimmer hätte, was das sein könnte!

3

Die Woche schleppte sich dahin. Dorothea Wiltzing kämpfte gegen ihren Widerwillen, in der Früh überhaupt ins Amt zu gehen. Bürgermeister Willi Kofler, dessen Frau vor einigen Monaten, für ihn recht zweckdienlich, das Zeitliche gesegnet hatte, war nach Mordverdacht und nicht gerade angenehmen polizeilichen Ermittlungen gegen ihn wieder ins Amt zurückgekehrt. Obwohl er damals verkündet hatte, nicht mehr zur Bürgermeisterwahl anzutreten, befand er sich schon mitten im Wahlkampf. Und die üblichen Verdächtigen unterstützten ihn nach Kräften. Sie hatten ja auch eine Menge zu verlieren: unter der Hand vergebene Aufträge an die Freunderln, mit etwas pekuniärer Nachhilfe positiv erledigte Anträge, die sonst niemals durchgegangen wären, abgezweigte Materialien und Dienstleistungen von Professionisten, die der öffentlichen Hand verrechnet wurden. Ja, wer würde so etwas schon freiwillig aufgeben? Echt zum Kotzen!

Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, war auch ihre »liebe« Kollegin Barbara Schöne, »die schöne Babsi«, wieder da. Koflers Gschpusi und Scheidungsgrund, bevor seine Frau ebenso unerwartet wie Börsel-schonend den Löffel abgegeben hatte. Die Schöne war Dorlis Nemesis. Blöd wie Bohnenstroh, durchgeknallt und hinterfotzig, mit Make-up zugespachtelt und gekleidet wie eine Strichkatz, galten alle ihre Bemühungen einem einzigen Ziel: Dorli hinauszuekeln. Manchmal bedauerte Dorli, dass sie die dumme Kuh nicht angezeigt hatte, als sie die Gelegenheit dazu hatte. Mit einer Verurteilung wäre die Schöne längere Zeit aus dem Verkehr gezogen gewesen. Aber sie wäre auch ganz schön blamiert dagestanden, wenn im Ort ruchbar geworden wäre, dass die doofe Nuss sie überlistet hatte. Tja, Pech, Chance verpasst.

Doch sosehr der Kofler auch auf die berechnende Schlange abfuhr, er wusste wohl, dass er ohne Dorli aufgeschmissen wäre. Hatte er schon wenig Ahnung, was im Amt so lief, wo man etwas fand und wie es erledigt werden musste, so waren diese Dinge der Schöne auch noch nach einem halben Jahr Einschulung ein Buch mit siebzig Siegeln. Daher versuchte der Kofler immer wieder, die schöne Babsi einzubremsen und Dorothea in den höchsten Tönen zu loben. Zumindest wenn sie dabei war. Was er am Stammtisch mit seinen illustren Freunden, wie dem Vinzenz Kogelbauer, dem Förster Max Richter, dem Huber und den anderen Tippelbrüdern, über sie zum Besten gab, war eine andere Geschichte. Dorli konnte es sich lebhaft vorstellen.

Aktuell ging es wieder mal um ein Grund-und-Boden-Problem. Landtagsabgeordneter Siegfried Huber, ein eingefleischter Neonazi mit längerer nationalsozialistischer Familientradition als der Führer persönlich, hätte gerne an seine Hütte noch einen Zubau angefügt. Auf der einen Seite grenzte sein Haus an die Straße, auf der anderen an den Fußweg zum Friedhof und auf der dritten an ein anderes Haus. Blieb nur die vierte Seite. Doch da wäre er mitten im Friedhof gelandet. Also musste ein Plan her, wie man das benötigte Grundstück von der Kirche bekommen und umwidmen könnte, dazu noch die Mauer um den Kirchgarten niederreißen und einige Gräber umlegen. Und das Ganze durfte den Huber natürlich keinen Cent kosten. Willi Kofler hatte ihm volle Unterstützung signalisiert. Vermutlich gab es dafür irgendein windiges Gegengeschäft. Die Toten in den Gräbern konnten sich nicht wehren, und die lebendigen Angehörigen trauten sich nicht, gegen den blauen Landespolitiker aufzumucken. Aber das Volk murrte. So laut wie noch nie. Doch diesmal ergab sich ein Hindernis, mit dem keiner gerechnet hatte. Der Pfarrer legte sich quer. Die Mauer um den Friedhof war älter als die Kirche selbst. Erbaut aus den Grundsteinen der Urkirche. Urkundlich erwähnt erstmals im 5. Jahrhundert. Niemand würde daran herummurksen oder sie gar einreißen, ließ der Diener Gottes verlauten. Nur über seine Leiche!

Dorli fand, der Herr Pfarrer sollte vorsichtiger mit seinen Formulierungen sein. Man konnte nie wissen, wen man da auf irgendwelche Ideen brachte. So ein Unfall auf einer kurvenreichen Landesstraße war bald passiert. Da der Herr Pfarrer aufgrund akuten Priestermangels schon fünf Gemeinden zu betreuen hatte, war er viel auf unübersichtlichen, engen Landstraßen unterwegs. Und der Huber hatte ein paar Freunde, denen man eine kreative Unfallgestaltung durchaus zutrauen würde.

Im Radio lief ein uriger Bauernjazz, zu dem die Schöne laut, falsch und mit Begeisterung mitquietschte. Nebenbei gab sie ununterbrochen irgendwelche dämlichen Fragen von sich.

»Wieso ist eigentlich der Förster net beim Feuerwehrball g’wesen?«

Weder wusste Dorli das, noch interessierte es sie.

»Die Frau Zahndoktor, die hat an neichen Freind. Haben S’ den scho g’sehn? A fescher Kampl.«

Die Frau Zahndoktor. Oh Mann!

»Wieso braucht des Bundesheer acht Zitronen?«

Wie bitte? Dorli hatte etwas mitbekommen von einer Ausschreibung im Amtsblatt. Sie hatte nur mit einem halben Ohr zugehört, es hatte sie nicht sonderlich interessiert. Aber wie kam die Schöne auf acht Zitronen? Und dafür gab es eine Ausschreibung im Amtsblatt? Dorli schlug sich mit den Fäusten gegen die Schläfen.

Sie hörte genauer hin. Der Radiosprecher sprach von achtzehn Drohnen für das österreichische Bundesheer! Der Trampel konnte ja nicht einmal Kurznachrichten sinnerfassend verstehen.

Und dann setzte der hirnlose Wurm in Menschengestalt noch eins drauf: »Wieso soll die Welt eigentlich rund sein? Die schaut doch von überall flach aus.«

Oh Herr, lass Hirn vom Himmel regnen. Vielleicht trifft der eine oder andere Tropfen die Schöne und sickert durch den Pony.

Dorli zwang ihre Gesichtszüge zu großem Ernst.

»Frau Schöne, darf ich Sie was fragen?«

»Ja, natürlich!« Barbara Schöne strahlte sie an.

»Was halten Sie als Nicht-Betroffene von Intelligenz?«

»Hä?«

»Ja, mit der Antwort habe ich gerechnet. Danke!«

Dorli grinste in sich hinein. Die Schöne machte ein angefressenes Gesicht und blickte wieder auf ihren Bildschirm, auf dem vermutlich gerade Solitär oder ein anderes interessantes Spiel in Arbeit war.

Dorli hämmerte indessen wieder mal den »Hirtenbrief«, Koflers monatliches Selbstbeweihräucherungspamphlet, in den Computer, als die Eingangstür klappte. Gleich darauf kreischte die Schöne in den höchsten Tönen, und eine tiefe Stimme nuschelte hinter einer Skimaske: »Des is a Überfall. Her mit da Marie! Und ka unüberlegte Bewegung.«

In der Hand des Mannes funkelte ein riesiges Schießeisen. Nachdem sich Dorli mit einem flüchtigen Blick davon überzeugt hatte, dass hier nicht die Innenministerin vor ihr stand, die sich neulich mit dem Spruch »Her mit der Marie« den Unmut einiger Parteikollegen zugezogen hatte, versuchte sie die Situation unter Kontrolle zu bringen.

»Machen Sie sich doch nicht unglücklich. Wir sind nicht die Bank. Die ist zwei Straßen weiter. Was wir in der Kassa haben, reicht grad mal für ein paar Bier und a Packerl Zigaretten!«

Die Waffe schwenkte zu Dorli.

»Wird’s bald, du blede Funsen?«

»Wegen meiner.«

Dorli zuckte mit den Achseln. Wegen der paar Netsch würde sie sich nicht niederknallen lassen. Sie kramte die Handkasse aus ihrem Schreibtisch.

»Aufmachen!«, schrie der Räuber.

Dorli nestelte den Schlüssel aus ihrer Bleistifttasse.

»Schlaf net ein, du alte Schrapnöln!«

Jetzt hatte der Kerl eindeutig ihre Schmerzgrenze überschritten. Dorli öffnete die Kassa, entnahm die kleine Geldlade, ging um den Schreibtisch herum und drückte sie dem Räuber in die Hand. Und dann hatte sie endlich mal Gelegenheit, das umzusetzen, was sie im Selbstverteidigungskurs für Frauen bei der Polizei gelernt hatte. Als sie dem Räuber das Geld übergab, versetzte sie ihm mit der anderen Hand einen Handkantenschlag auf die Waffenhand, worauf er die Pistole mit einem lauten Schmerzensschrei fallen ließ. Dorli kickte sie mit dem Fuß weg und drehte dem Mann die Hand auf den Rücken. Dann riss sie ihm mit einem Ruck die Maske vom Kopf. Scheine flatterten durch die Luft, Münzen knallten auf den Boden und kullerten in alle Richtungen davon. Der Räuber stöhnte, die Schöne schrie.

In dem Moment trat Willi Kofler ins Sekretariat.

»Ja servas, Petzi! Was führt denn di zu uns?«

»Ein bewaffneter Raubüberfall«, entgegnete Dorli grantig und drehte dem Petzenköffer den Arm noch ein wenig höher auf den Rücken.

»Na gengan S’, Frau Winzling. Lassen S’ do den armen Kerl los!«

»I denk net dran. Rufen S’ die Polizei. Und im Übrigen kennten S’ schön langsam wissen, wie i haß!«

»War des wirklich a Überfall?« Der Kofler wandte sich ungläubig zu seiner »schönen Babsi« um. Die verdrehte die Augen und fiel in vollendeter Theatralik in Ohnmacht, natürlich in die bereitwillig ausgestreckten Arme des Bürgermeisters.

Dorli reichte es bis obenhin. Mit der freien Hand schnappte sie sich das Telefon und wählte den Polizeinotruf.

»So ein Kasperltheater. Alles muass ma selber machen!«, schimpfte sie. Als sich Bertl Wagner von der Polizeiinspektion Buchau meldete, versuchte der Petzenköffer, sich aus Dorlis Klammergriff zu befreien.

»Überfall im Amtshaus Buchau!«, schrie Dorli ins Telefon. Und dann stieß sie dem Petzi ihr Knie mit voller Wucht ins Gemächt. Worauf dieser aufheulte wie die Feuerwehrsirene und zu Boden ging.

Als kurz darauf Bertl in einer zerknautschten Polizeiuniform erschien, die aussah, als hätte er drin geschlafen, beschwerte sich der verhinderte Räuber. »Die giftige Graten hat mi g’schlog. Und treten hat’s mi a!«

»Das war ein bewaffneter Raubüberfall. Hätt i warten sollen, bis d’ an erschießt?«

»Wenn i jetzt nimma schnackseln kann wegen dir, dann kannst was erleben. Dann klag i di in Grund und Boden!«, echauffierte sich der Petzenköffer weiter.

So was wie du sollt sich eh nicht vermehren. Klugerweise dachte Dorli sich das nur.

»Warum hast denn überhaupt an Überfall gemacht?«, fragte Bertl Wagner.

»Na weil i ka Marie mehr g’habt hab. Und die Bank hat ma a nix geben.«

»Und auf die Idee, dass du vielleicht fragst, ob dir wer was borgt, bist net kommen?«, maulte der Kofler.

»Sicher net. Wegen der Schand.«

»Notstandsgeld hättest ja auch beantragen können. So ein Koffer!« Dorli war schwer verärgert.

Petzenköffer schüttelte den Kopf.

»Ja, ja, ich weiß. Wegen der Schand. Aber dafür, dass du zwei Frauen mit der Puffen bedroht hast, genierst di net?« Dorli zeigte ihm einen Vogel.

»Deswegen hab i ja die Masken aufg’hobt.« Die Stimme des Petzi klang weinerlich. »Und überhaupt«, setzte er noch einen Tick beleidigter mit einem Seitenblick auf Dorli hinzu, »die Krachen is ja net amoi echt.«

»Na glaubst, i bin Waffenexpertin? Für mich hat sie echt genug ausg’schaut!«

»Trampel, damischer«, jammerte der Petzenköffer weiter.

»Und wieso hast eigentlich uns überfallen und net die Bank, am besten ane in Berndorf oder Wiener Neustadt? Ka Hund scheißt dort, wo er frisst.«

»Is net gangen. Mei Auto is hin.«

Bertl Wagner drehte den Petzi mit der Schulter zur Tür.

»Das kannst uns alles auf der Inspektion erzählen und später dem Richter. Aber du bist schon a selten dämlicher Hund, wirklich. Genierst di, um Unterstützung zu bitten, und dass du jetzt wegen nix und wieder nix in den Häfen gehst, ist ka Schand?«

»Alles nur wegen der brutalen Oiden da!«, schrie der Petzenköffer und machte einen Schritt in Dorlis Richtung.

»Wennst noch ein kleines Ohrenreiberl für unterwegs brauchst, dann komm ruhig näher.«

»Hearst d’ es?«, wandte sich der Petzenköffer an den Bertl. »Sie bedroht mi ja schon wieder!«

»Geh bitte, mach di net lächerlich. Und jetzt Abmarsch!«

Die Schöne hatte sich mittlerweile von ihrem »Ohnmachtsanfall« erholt. Wenn man ihr jetzt zuhörte, wie sie dem Kofler ihr tapferes Einschreiten beschrieb, das für Dorli ausschließlich darin bestand, dass sie losgekreischt hatte wie ein angestochenes Schwein, könnte man meinen, sie habe den Überfall im Alleingang verhindert.

Dorli spülte den schlechten Geschmack im Mund mit dem Rest ihres lauwarmen Kaffees hinunter und hämmerte wieder in die Tasten des PCs. Sollten die Turteltäubchen schnäbeln oder sich prügeln, ihr war das vollkommen schnurz. Sie machte, dass sie mit ihrer Arbeit fertig wurde, und dann nichts wie weg!

Früher hatte sie sich nie vorstellen können, wie man am Arbeitsplatz ein Burn-out-Syndrom bekommen konnte. Doch mit dem Team Kofler-Schöne war sie auf dem besten Weg dorthin.

4

Der Samstag stellte sich mit einem wunderbaren Segelwetter ein. Sonne, kein Wölkchen am Himmel und dazu ein frischer Wind. Und das Ende September!

Dorli hatte sich erboten, Lupo in Wien abzuholen, da sie seinem klapprigen Schrotthaufen nicht traute. Wer wusste schon, ob der museumsreife Polo den Weg zum Neusiedler See und retour überhaupt noch schaffte und nicht auf halbem Weg auseinanderfiel. Den hielten ja nur noch Rost und saurer Regen zusammen. Lupo hatte dem energisch widersprochen. Leukoplast, Paketschnur, Draht und Gaffatape waren auch dabei.

Viel lieber wäre Dorli mit ihrer Kawasaki gefahren. Es machte immer wieder tierischen Spaß, mal richtig die Sau rauszulassen. Auf der linken Spur über die Autobahn zu brettern, auf Bundesstraßen die Kurven zu schneiden. Und wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann ritt sie beim Biken manchmal ein kleines Teufelchen und ließ sie die Tempolimits einfach ignorieren. Doch für den Wochenendausflug zum Baden und den Besuch eines Festes war ein wenig mehr Garderobe als Motorradkombi und Badeanzug nötig. Und Lupo würde vermutlich auch etwas Gepäck haben. Also hatte sie sich schweren Herzens für das Auto entschieden.

Als sie in Rust auf dem Parkplatz vor dem Seebad aus Dorlis rotem Octavia Kombi kletterten, musterte Lupo besorgt die Fähnchen des Jachtclubs, die munter in der steifen Brise gegen die Masten klackerten. Die Boote schaukelten im Hafen fröhlich auf und ab. Es roch nach Schlamm, frisch gemähtem Gras, Sonnenöl und einem Hauch von verfaultem Fisch.

Lupo schien ein wenig bleich um die Nüstern. »Was meinst, ist das nicht zu viel Wind zum Segeln?«

»Geh Lupo, schau dir die Schifferln draußen am See an. Die haben den Spinnaker gesetzt. Von Sturm keine Rede. Ein schöner Wind zum Segeln. Wo liegt denn das Boot von deinem Freund?«

Lupo brabbelte etwas Unverständliches in seinen imaginären Bart und zog das Handy aus der Hosentasche. »Wir sind da!«, vermeldete er seinem Gesprächspartner. Kurz darauf erschien ein Mann in Lupos Alter, tiefbraun, das Gesicht von tausend Lachfalten durchzogen, mit einer soliden Stirnglatze.

»Schön, dass ihr pünktlich seid. Da können wir den ablandigen Wind ausnützen, um flott rüberzusegeln.«

Er wies mit einer lässigen Handbewegung hinaus auf den See. Vom anderen Ufer war nichts zu sehen, das lag verborgen im Dunst. Täuschte sich Dorli, oder wurde Lupo noch einen Deut blasser? Sein fast schwarzes Haar, wie immer etwas zu lang, wurde vom Wind wie ein dunkler Heiligenschein um sein Gesicht geweht. Und ein leidender Zug lag um seinen Mund. Mit Dornenkrone und ein paar Blutstropfen hätte er das ideale Karfreitags-Kreuzweg-Gesicht. Für die Passionsspiele von Erl in Tirol hätte man ihn sicher vom Fleck weg engagiert.

Sie durchquerten das Bad und gelangten zu einer Marina. Dort musste Peter eine Tür aufschließen, sodass sie in den abgesperrten Bereich gelangten, wo die Boote lagen. Bei seinem, der Morning Rose, angekommen, begrüßten sie erst mal Peters Frau Hilde, eine lebhafte kleine Brünette mit Pferdeschwanz, und die Nachbarn Peters, Lena und Willi, sowie Greta und Ernst, die in einem zweiten Boot namens Lilibeth an dem Ausflug teilnahmen. Die anderen hatten ihr Gepäck schon an Bord gebracht. Dorli und Lupo erhielten eine kurze Einweisung, wo sie ihr Zeug abstellen und sich ungestört umziehen konnten. Sobald Dorli in ihrem Badeanzug und Lupo mit einer Maxishort an Deck erschienen, wurden die Taue zum Liegeplatz gelöst und die Boote nur unter Vorsegel aus der Marina manövriert. Die Hafeneinfahrt war ein wenig eng, und so mussten sie in der Ruster Bucht ein paarmal aufkreuzen, wobei es immer wieder anderen Booten, Surfern und Schwimmern auszuweichen galt. Weiter draußen war weniger Verkehr. Der Wind war hier deutlich stärker zu spüren, die Wellen höher, und das Schiffchen bekam Seitenlage.

Lupo war inzwischen grün um die Nüstern.

»Ja geh, Alter, was is denn? Willst a Tabletten gegen die Seekrankheit?«

»Lass mich in Ruh, Peter. Mir fehlt nix.«

Doch gleich darauf hing Lupo mit dem Kopf über der Reling und spuckte sein Frühstück zu den Fischen. Er tat Dorli leid. Da hatte er ein wenig vor ihr angeben wollen und jetzt das!

»Pass ja auf, dass du dich auf der richtigen Seite rauslehnst. Sonst schickt’s dir der Wind gleich wieder retour!« Peter lachte gutmütig. »Und wie geht’s dir, Dorli?«

»Super! Echt schön, wie wir dahinflitzen.«

»Das ist leider nicht immer so. Oft liegen wir hier stundenlang in der Flaute, bevor sich ein Lüfterl regt. Aber heute ist es optimal.«

Vom Heck ertönte ein qualvolles Würgen. »Der arme Lupinski is seekrank. Willst du das Großsegel setzen, Dorli?«

»Mit Vergnügen. Wenn du mir sagst, was ich tun muss.«

»Mach ich gleich. Aber fall mir nicht in den Bach!«

»Kann man da nicht eh überall stehen?«

»Durchaus nicht«, antwortete Peter, »aber das glauben alle, weil es ein flacher Binnensee ist. Das ist der Grund, warum viele Leute mit dem See Probleme bekommen. Denn selbst wenn das Wasser noch relativ warm ist, so wie jetzt, kühlt man nach kurzer Zeit aus. Wenn man kein sehr geübter Schwimmer ist, können einem sogar die kleinen Wellen Schwierigkeiten bereiten. Und bei Sturm wird’s überhaupt ungemütlich.«

Lupo stöhnte und erbrach sich erneut gurgelnd. Peter und Dorli ignorierten ihn.

»Ich dachte, den See kann man zu Fuß durchqueren?«, entgegnete Dorli.

»Nicht jedes Jahr, nicht zu jeder Jahreszeit, nicht bei jedem Wetter. Aber wenn die Wellen höher werden, kann es sogar bei normalem Wasserstand passieren, dass man mit dem Kielschwert am Grund aufschlägt. Dann muss man es raufholen, was zur Folge hat, dass das Boot eine ziemliche Abdrift bekommen kann, je nachdem, woher der Wind weht.«

»Also kein See für Anfänger?«

»Nicht unbedingt. Aber für Segler mit ein wenig Erfahrung durchaus beherrschbar. Hier segeln ja schon die Kinder. Unsere auch, die haben hier jedes Jahr bei der Optimisten-Regatta mitgemacht.«

»Und manchmal sogar gewonnen«, mischte sich Hilde ein. »Aber jetzt ist Schluss mit den Schauergeschichten. Ich mix uns mal einen Manöverschluck. Dann wird es Lupo gleich besser gehen.«

Sie verschwand in der Pantry, was so viel hieß, dass sie ein paar Treppenstufen nach unten in die Küche des Bootes kletterte. Gleich darauf kehrte sie mit vier beschlagenen Gläsern mit Gin Tonic zurück. Und mit einer Tablette für Lupo.

»Komm, runter damit. Dann wird es dir gleich besser gehen.«

Lupo, so grau im Gesicht wie das Wasser des Sees, nahm widerstrebend das Glas in Empfang.

»Ich bring nix runter«, nuschelte er atemlos.

Peter lachte fröhlich. »Sei nicht so eine Memme, nimm dir ein Beispiel an deiner Freundin.« Und an Dorli gewandt setzte er fort: »Der arme Lupinski hat ein zartes Gemüt und einen sehr sensiblen Magen. Aber sonst ist er ziemlich in Ordnung.«

Er hieb Lupo auf die Schulter, dass dieser fast aus dem Boot fiel.

»Wisst’s ihr eigentlich, dass Podersdorf der einzige Ort direkt am See ist?«, fragte Hilde.

»Ich weiß, dass dort kein Schilf wächst. Aber nicht, dass dies nur an dieser Stelle der Fall ist«, antwortete Dorli.

»Überall sonst rund um den See mussten erst lange Dämme durch das Schilf aufgeschüttet werden und außerdem noch jede Menge Erde und Sand für die Bäder.«

»Na ja, es dürfte sich rechnen. Denn im Sommer ist es doch überall bummvoll.«

»Und bald gibt’s so viel Schiffanakeln, dass man nimmer segeln kann«, brummte Peter.

»Ach, so wild ist das auch wieder nicht. Aber es werden schon jedes Jahr mehr, und es kommen auch immer mehr Surfer dazu. Und jetzt auch noch die Skiter.«

»Was bitte sind Skiter?«

»Die mit den Bretteln und einem Schirm. Die sind ganz schön flott unterwegs.«

Hilde trank ihr Glas leer. Dann wandte sie sich an Dorli. »Wollen wir uns am Vorschiff in die Sonne legen?«

Dorli nickte, reichte Peter ihr leeres Glas, und dann schwankten die beiden Frauen nach vorne.

»Damit die Männer mal ungestört plauschen können. Das wird den armen Lupo ablenken. Ich glaub, die haben sich schon jahrelang nicht mehr gesehen. Seit Lupos Scheidung sicher nicht mehr als zwei oder drei Mal.«

»Warum hat die Ehe nicht gehalten?«, fragte Dorli.

Sie hatte Lupo nie dazu befragt, weil sie dachte, es sei ihm vielleicht unangenehm.

»Ach, die Angelina, die war so eine G’spreizte. Nix war ihr gut und teuer genug. Lupo verdiente zu wenig, kümmerte sich angeblich nicht ausreichend um sie und bot ihr vor allem nicht den Luxus, den sie sich erträumt hatte. Dazu war sie ein faules Aas. Lupo sollte Geld verdienen, den Haushalt schupfen, und wenn er abends todmüd ins Bett fiel, wollte Madame, die sich den ganzen Tag nur im Spiegel betrachtet und gestylt hatte, fein ausgehen. Nur hatten sie, abgesehen davon, dass Lupo am Abend ausgepowert war, einfach kein Geld für große Unterhaltungen. Anfangs ist sie stinksauer zu Hause geblieben, aber nach kürzester Zeit zog sie alleine los und ließ sich von fremden Männern einladen. Oft kehrte sie erst am Morgen nach Hause zurück, als Lupo längst wieder zur Arbeit war.«

»Oh Mann. Und wie hat er das aufgenommen?«

»Stoisch. Ich denke, es war ihm bald klar, dass diese Frau sich selbst am meisten liebte und an zweiter Stelle Geld und Tand. Da sie dies mit Lupo nicht erreichen konnte, kam es, wie es kommen musste. Sie lernte einen reichen Schnösel kennen, der ihr das Blaue vom Himmel versprach. Da ließ sie Lupo sitzen. Eines Abends, als er heimkam, stand sein Zeug vor der Tür, und das Schloss war ausgewechselt. Zu guter Letzt hatte sie noch den Nerv, bei der Scheidung Unterhalt zu verlangen. Aber da ist Lupo dann endlich aufgewacht und hat ihr geraten, entweder arbeiten zu gehen oder sich einen anderen Trottel zu suchen, der sie aushält.«

»Da bin ich ja gut davongekommen. Ich war nie verheiratet.«

Hilde grinste. »Nicht alle sind so schrecklich. Ich kenn etliche Paare, die, so wie Peter und ich, seit vielen Jahren verheiratet sind und durchaus gut miteinander auskommen. Aber Lupo und Angie haben wirklich überhaupt nicht zueinander gepasst.«

Sie schwiegen eine Weile und genossen das sanfte Auf und Ab des Schiffes. Dann wandte Hilde sich Dorli zu. »Warum hast du nie geheiratet? Oder ist die Frage zu indiskret?«

»Nein, ist sie nicht. Ich hatte als junges Mädchen einen Freund. Die große Liebe. Wir hatten ein absolut inniges Verhältnis. Doch dann ist Daniel kurz vor der geplanten Hochzeit gestorben. Eine Gehirnblutung aus heiterem Himmel. Er wurde zwar noch notoperiert, aber ein paar Tage drauf ist er gestorben, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Jahrelang hab ich mich dann zurückgezogen und war voll Hass auf Gott und die Welt. Später, als ich langsam wieder begann, am Leben teilzunehmen, waren alle halbwegs passablen Männer vergeben. Also bin ich halt allein geblieben. Ich hab damit nie ein Problem gehabt.«

»Auch eine schlimme Geschichte.« Hilde griff über das Deck, nahm Dorlis Hand und drückte sie. »Aber vielleicht gibt es irgendwann ein Happy End.«

»Wer weiß?« Dorli wälzte sich auf den Bauch. »Schau mal, da drüben schält sich schon das andere Ufer aus dem Dunst.«

»Siehst du den einzelnen Baum? Bei dem werden wir unser Nachtlager aufschlagen. Dort ist eine sanfte Bucht im Schilf, da ist es sicher. Damit wir nicht Angst haben müssen, dass uns nächtens ein Besoffener über den Haufen fährt.«

Als sie den Platz erreichten, zeigte Hilde Dorli, wie man das Tau an den dafür vorgesehenen Klampen belegte, dann warf Peter den Anker in hohem Bogen ins Wasser, während Hilde und Dorli die lose im Wind flatternden Segel bargen.

»Gute Mannschaft, ihr zwei da vorne!«, rief Peter. Und zu Lupo gewandt: »Sei so lieb und hol die Zeisinge aus dem Schwalbennest.«

Lupo starrte ihn an, als sei er ein grünes Marsmännchen.

»Na hopp auf, oder willst du gar nix tun?«

»Äh – was sind bitte die Schwalben im Zweigennest?«

»Lupinski, die bist doch früher schon mit mir segeln gewesen. Hast dein Hirn mit ausgekotzt? Die Zeisinge sind die Gummischnürln mit den Holzkugeln dran zum Auftuchen der Segel am Baum. Und die Schwalbennester sind die Staufächer in Sichthöhe. Die Zeiserln sind auf der rechten Seite, erstes Fach!«

»Und warum kannst dann net Deutsch mit mir reden?«, grantelte Lupo. Er schwankte über die kurze Treppe ins Schiffsinnere. Immerhin brachte er die gewünschten »Zeisinge« mit.

»Da hast deine Vogerln, du feiner Pinkel. Früher hast des Segel einfach mit a paar Schnürln festbunden. So viel zum ›Hirn auskotzt‹.« Er reichte Peter die Gummistropper. »Ihr Segler seid’s genauso deppat wie die Jäger und Fischer. Braucht’s unbedingt jeder a eigene Sprach! Bei dir halt Seglerlatein.«

»Geh komm, du Grantscherm, beruhig di. I häng am Heck die Badeleiter rein.« Peter zog die Leiter aus einer der Backkisten. »Badetag eröffnet!«

Dann prüfte er noch, ob der Anker hielt, und stieg in den Bauch des Bootes, um sich die Badehose anzuziehen.

Dorli und Hilde, die schon in Badekleidung waren, köpfelten umgehend ins Wasser.

»Ma, herrlich! Komm rein, Lupo. Dann stehst du auf solidem Grund. Da wird dir gleich besser.«

»I hab nix!«, maulte er. Es musste seiner gekränkten Männlichkeit richtig wehtun, dass er nicht, wie geplant, den starken Kerl markieren konnte. Doch vermutlich war es mit seiner Mannesehre auch nicht vereinbar, dass er als Einziger auf dem schwankenden Boot hockte. Er sprang, Beine voran, über Bord. Gleich darauf verzog er schmerzlich das Gesicht.

»Lupinski, was ist denn jetzt schon wieder?« Peter schwamm in seine Richtung.

»Ich bin auf so einen blödsinnigen Schilfstengel g’hupft. Weil das Wasser so scheißtrüb ist. Ich glaub, ich hab mir den Fuß aufg’schnitten.«

»Heut ist irgendwie nicht dein Tag, oder?« Dorli kraulte zu ihm. »Zeig her.«

»Wie denn? Der Fuß ist unten, Gnädigste.«

»Herrschaftszeiten, stell di net so an. Leg di flach aufs Wasser und halt die zarten Fußerln nach oben.«

Dorli musterte seine Fußsohlen. »Blutet ein bisserl. Ist aber net sehr tief. Wirst mit dem Leben davonkommen.«

»Ja, macht’s euch nur alle lustig über mich!« Lupo drehte sich beleidigt um und schwamm davon.

»Der kriegt sich schon wieder ein. Lasst’s ihn jetzt in Ruhe schmollen.« Dorli wusste nur allzu gut, wie man mit beleidigten Leberwürsten umging. Ihr Bruder war ja ein Paradebeispiel für so was. Da hatte sie jahrzehntelanges unfreiwilliges Training hinter sich.

Hilde lachte und schwamm zum Nachbarboot. Nicht weit entfernt waren mittlerweile die Freunde vor Anker gegangen. Bald waren auch hier alle im Wasser, und kurz darauf tobte eine herzerfrischende Wasserschlacht. Plötzlich riss irgendetwas Dorli von den Beinen. Als sie wieder an die Oberfläche kam, spritzte ihr Lupo eine Handvoll Wasser ins Gesicht.

»Na sieh mal einer an, wer da wieder unter den Lebenden weilt!«

»Jetzt geht’s mir wieder gut. Mir war so sauschlecht. Am liebsten wär ich ins Wasser g’hupft und zurückmarschiert. Oder g’storben.«

»Armes Wolfi-Schatzi!«

Damit fing sich Dorli die nächste Breitseite Wasser ein. Lupo hieß nämlich Wolfgang Schatz und war schon in der Volksschule die längste Zeit als »Wolfi-Schatzi« gehänselt worden, bis ihm ein Freund den Namen Lupo verpasste.

»Wenn alle abgekühlt sind, machen wir uns halbwegs stadtfein und segeln noch ein Stückerl nach Norden, nach Podersdorf. Dort suchen wir uns einen gemütlichen Heurigen und schlagen uns den Wanst voll. Und dann werfen wir uns ins festliche Gewühl. Alle einverstanden?«

Nach Peters Rede kletterten sie an Bord. Obwohl das Boot recht groß war, war das Umkleiden, Schminken und Frisieren doch ein wenig mühsam, schon alleine mangels Stehhöhe im Schiffsbauch. Schiffe mit Tiefgang hatten auf dem Neusiedler See keine Daseinsberechtigung. Das Wasser war einfach zu seicht.

Eine Stunde später kletterten sie auf den Steg, an dem Peters Boot angelegt hatte. Kurz darauf schnüffelte Dorli wie ein Fährtenhund. Dann folgte sie den Geruchsspuren.

»Mei schaut’s, Steckerlfisch! Die hab i das letzte Mal als Kind gegessen. Können wir nicht da was schmausen?«

Ein Blick in die Runde zeigte ihr, dass die anderen Segler ihrem Vorschlag nicht abgeneigt waren. Sie enterten einen Tisch, bestellten ihre Fische und jeder ein Krügerl Bier.

Die Fischbräter arbeiteten trotz Affenhitze in ihrem Kabuff am offenen Feuer wie am Fließband.

»Die sind echt arme Hunde. Bei der Hitz dauernd so nah am Feuer!« Lupo schüttelte bedauernd den Kopf. »I würd das nicht aushalten. Aber da kommen unsere Fischerln. Mmm.«

»Memme!«, war Peters Kommentar. Schon mit vollen Backen kauend, räumte er jedoch ein: »Das muss wirklich a Sauhacken sein. Aber schmeckt das nicht herrlich?«

Später marschierten sie zum Sportplatz, wo das Festzelt stand und die »Puszta Cowboys« verzweifelt versuchten, die lachenden und sich brüllend unterhaltenden Festgäste zu übertönen. Hier verstand man das eigene Wort nicht, und außerdem war es in dem Zelt brütend heiß und dampfig.

Peter schlug vor, eine Kutsche zu mieten und in die »Hölle« zum Heurigen zu fahren. Sein Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Dort saßen sie gemütlich unter den ausladenden Ästen alter Bäume im Schatten und kosteten sich durch die Weine der Gegend.

Zu später Stunde, wieder zurück in Podersdorf, merkten sie, dass nun eine andere Band am Werk war. Die Burschen nannten sich »Greyhound Gang«, fünf mittelalterliche Herren, deren Sänger ihren Auftritt mit den Worten einleitete: »Zweihundertfünfundsiebzig Jahre Rock und Blues betraten soeben die Bühne. Also sozusagen lebendige Musikgeschichte.«

Dorli dachte, dass einer aussah wie ein Altachtundsechziger, einer wie ein aus den Sechzigerjahren übrig gebliebener Gammler, dazu ein Danzer-Verschnitt, ein Pilzkopf und ein Hippie. Der Altachtundsechziger und der Gammler hätten allerdings das Gesamtalter der Herren ein wenig angehoben. Na ja, vielleicht schummelten nicht nur Frauen bei der Altersangabe ein wenig. Abgesehen davon: Keith Richards von den Stones sah seit dreißig Jahren wie sechzig aus. Man durfte bei Musikern nicht vom Aussehen auf das Alter schließen.

Aber was nun durch die einsetzende Dunkelheit schallte, war durchaus reizvoll und machte ihnen richtig Lust, auch mal das Tanzbein zu schwingen. Dorli tanzte mit allen Männern der Runde. Nur Lupo war nicht dazu zu bewegen, sich auch auf die Tanzfläche zu begeben. Als er sich endlich dazu aufraffte, Dorli aufzufordern, nachdem ihn alle am Tisch gnadenlos aufgezogen hatten, intonierte die Band einen Lamourhatscher.

Dorli musste grinsen. Als hätte er die grauen Hunde bestochen! Dabei war Lupo gar nicht so unbegabt. Immerhin gelang es ihm locker, den Takt zu halten und dazu noch hin und wieder ein Wort in Dorlis Haar zu murmeln. Leider verstand sie genau gar nichts davon, die Musik war lauter.

Gegen Mitternacht schlenderten sie gut gelaunt, beschwingt und mehr oder weniger angeheitert Richtung Boot. Eine Stunde später saßen sie bei Kerzenlicht im Schiffsbauch und plauderten noch ein wenig über den Tag und die alten Zeiten. Plötzlich knallte etwas mit einem dumpfen Schlag gegen die Schiffswand.

»Sicher nur ein Stück Treibholz«, sagte Peter.

Doch kaum hatte er zu Ende gesprochen, ging es wieder wumm, begleitet von einem scharrenden Geräusch.

»Treibholz? Hört sich eher an, als würde da was an der Außenhaut anklopfen.« Lupo versuchte, durch eines der klitzekleinen Fenster zu schielen. »Man sieht nix, zu finster.«

»Das Ungeheuer von Loch Ness ist auf Sommerfrische bei uns. Habt’s es nicht g’hört in ›Burgenland heute‹?«, lästerte Hilda.

Wumm. Scharrazzz. Klong. Lauter diesmal, länger.

Jetzt sprangen sie alle auf und schoben das Gelsengitter vor dem Eingang zur Seite.

»Hilde, nimm die Taschenlampe mit«, rief Peter. »Es ist finster wie in einem Bärenarsch!«