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»I decided long ago never to walk in anyone’s shadows.«

Whitney Houston, »The Greatest Love of All«

Vorwort von Anne M. Schüller

Icon_01.jpg»Du bist wie so ein wildes Pferd. Läufst allen davon, schaust Dich nicht einmal um. Hältst alle auf Trab. Hast ständig was Neues im Gange. Jetzt mach mal Pause, mach mal leise und lass die anderen auch mal machen.« Da wurde wohl ein Extro beschrieben. Und man hatte scheinbar einige Mühe mit mir. Einmal habe ich einen Kollegen, den ich wegen seiner fundierten Meinung sehr schätzte, im Geschäftsleitungsmeeting vor versammelter Mannschaft niedergemacht: »Nun sag doch auch mal was! Sitzt hier rum, kriegst keinen Ton raus. Dabei hättest Du so viel Wertvolles beizutragen.« Da hatte ich wohl einen Intro erwischt.

All das ist sehr lange her. Und heute würde mir so was natürlich nicht mehr passieren. Ich habe viel gelernt seitdem, habe selber Bücher geschrieben und im Zuge dessen auch sehr viel gelesen. Ein Buch ist mir dabei besonders ans Herz gewachsen: Sylvia Löhkens letztes Buch über die leisen Menschen und ihre starke Wirkung. Darin zeigt sie den Lauten unter uns auf sehr feine Weise, was alles in den Leisen steckt und wie nützlich das für die Gemeinschaft, die Arbeitswelt und unser Miteinander ist. Und den Leisen zeigt sie das auch. Ihr größter Verdienst aber ist der: Sie hat den leisen Menschen eine Bühne gegeben und sie ins Rampenlicht gerückt. Wie wichtig das war, zeigt die Pressewelle, die dieses Thema ausgelöst hat: sozusagen ein »Lovestorm« für die vielen, vielen wunderbaren Intros da draußen.

Mit diesem Buch führt uns Sylvia Löhken weiter in das Thema hinein.

Erstens wird deutlich: Intro- und Extroversion sind als Persönlichkeitseigenschaften so tiefgreifend, dass sie in die Diskussion um Diversität am Arbeitsplatz eingebunden werden sollten. Obwohl die Unterscheidung und ihre Wichtigkeit fast 100 Jahre bekannt sind, war dies bisher kein Thema.

Zweitens hilft das Buch dem Leser dabei, sich aus einer interessanten Perspektive mit sich selbst auseinanderzusetzen. Es zeigt, was Intros und Extros brauchen, was sie gut können und wo sie aufpassen sollten. Und weil die Menschen selten zu 100 Prozent so oder so, sondern meist eine Mischung aus beidem sind, werden nun auch die Zentrovertierten unter die Lupe genommen.

Drittens zeigt Sylvia Löhken, wie sich das Wissen um die Intros, die Extros und die Zentros in der Mitarbeiterführung und im Verkauf zielführend einsetzen lässt. Nicht die Homogenität einer Gruppe, sondern die verschiedenen Blickwinkel ihrer Mitglieder wie auch der richtige Einsatz derselben sind bestimmend für den Erfolg – insbesondere heute, in unserer zunehmend komplexen, schönen neuen Businesswelt.

Als Wissenschaftlerin geht Sylvia Löhken den diversen Mythen über Intro- und Extrovertierte auf den Grund. Als Praktikerin zeigt sie, wie Menschen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten, Neigungen und Eigenschaften zusammenwirken und voneinander profitieren können. Als Mensch wirbt sie für Toleranz und Wertschätzung gegenüber »leisen« und »nicht so leisen« Eigenschaften – in der Selbst- wie in der Fremdwahrnehmung. Und so ganz nebenbei wird noch aufgeräumt: Endlich werden Statussignale einmal sauber in Kategorien gepackt. Seien Sie gespannt!

Anne M. Schüller

Keynote-Speaker, Bestsellerautorin, Business-Consultant

Expertin für Touchpoint Management, Loyalitätsmarketing und eine kundenfokussierte Unternehmensführung

Vorwort von Hans-Uwe L. Köhler

Icon_02_Zentro.jpgMir ist diese Welt manchmal zu laut, zu aufgeregt, und alles ist immer so furchtbar wichtig! – Dieses sehr persönliche Statement wird Sie als Leser vielleicht dann besonders erstaunen, wenn Sie erfahren, dass die Mehrzahl der Menschen, die Hans-Uwe L. Köhler als Redner kennen, diesen als extrovertierten Menschen einschätzen.

Als ich Sylvia Löhken kennenlernte, ging es genau um diesen Punkt. Und fast im Spaß, als Floskel, rutschte mir die Bemerkung raus: »Ach wissen Sie, ich bin eigentlich ganz anders – ich komme nur so selten dazu!« Völlig ungläubig sagte sie dann: »Aber ein introvertierter Mensch sind Sie doch auch nicht!«

Was entsteht eigentlich, wenn man Weiß mit Extro und Schwarz mit Intro vergleichen würde? Bleiben diese Positionen allein für sich stehen? Keineswegs, es entsteht ein riesiger Freiraum in den wundervollsten Spielfarben von Grau!

Und wenn es einen besonderen Grund geben sollte, das vorliegende Buch zu lesen, dann diesen: nicht nur Erklärungen zu liefern, sondern Zwischenräume zu entdecken. Wer immer nur nach den Polen zwischen Ansichten oder Werten sucht, versucht ständig, die Erde wieder in eine Scheibe zu verwandeln. Erst das »Dazwischen« ermöglicht das Wachstum einer Kugel!

Wenn Sie als Leser feststellen sollten, dass Sie in die eine oder in die andere Richtung tendieren, dann könnten Sie sich natürlich über diesen Erkenntnisstand freuen – und auf Wunsch natürlich auch furchtbar ärgern. Aber es geht hier ja nicht um Astrologie. Eigentlich müsste Ihr jeweiliger Erkenntnisstand Sie ermuntern, neugierig im Verstehen der »anderen« Seite zu werden! Dann könnte genau das passieren, was Sylvia Löhken mit diesem Buch beabsichtigt: die Welt für unser Miteinander ein wenig besser zu machen.

Und sollte sich nun herausstellen, dass Sie weder zur einen noch zur anderen Seite prinzipiell dazugehören, dann soll Sie auch nicht der Mischtyp beunruhigen. Es gibt in diesem Buch ein wunderbares Geschenk für Sie: Vielleicht gehören Sie ja zu der Gruppe der Zentrovertierten! Dann gehören Sie zu denjenigen, die mit beiden Seiten richtig gut können. Und dann wissen Sie auch, wie Hans-Uwe L. Köhler tickt.

Liebe Leserin, lieber Leser, Ihnen steht eine lehrreiche und erbauliche Lektüre bevor. Lehnen Sie sich entspannt zurück und genießen Sie diese Entdeckungsreise …

Bon voyage!

Ihr

Hans-Uwe L. Köhler

Experte für emotionale Kommunikation

1 Intros – Extros – Zentros

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Einleitung

Dieses Buch fragt nach erfolgreicher Kommunikation zwischen introvertierten und extrovertierten Persönlichkeiten.

Als ich das Buch Leise Menschen – starke Wirkung schrieb, war es mein Ziel, eine Lücke zu füllen: Es gab bis dahin kein Arbeitsbuch, das introvertierten Menschen half, ihre Stärken zu entdecken und erfolgreich zu kommunizieren. Weil diese Lücke so groß war, habe ich zunächst einmal auf eines verzichtet: auf die Perspektive und die Eigenschaften der Extrovertierten. Auch die Ambi- oder Zentrovertierten, die in der Mitte zwischen den beiden Ausprägungen liegen, teilten dieses Schicksal. Sie wurden erwähnt, aber dann ging es in die Intro-Perspektive. Um etwas über den Blickwinkel der anderen Persönlichkeiten zu erfahren, habe ich dann lange gesucht und stellte fest: Ratgeber und Sachbücher für und über Introvertierte gibt es inzwischen zwar einige, doch Zentro- und Extrovertierte kommen als eigene Zielgruppe nicht vor.

Das Buch, das Sie gerade in den Händen halten, soll diese zweite Lücke ausgleichen. Intros, Extros und Zentros nebeneinander in ihren Stärken, Neigungen und auch Hürden im Umgang miteinander zu betrachten – das ist nicht nur fair, sondern ein Gebot der Realität. Denn wir leben ja nicht in Intro- und Extro-Kapseln. Die Realität ist das gemischte Team: in der Partnerschaft und in der Familie, mit Freunden und Kollegen, mit Chefinnen und Mitarbeitern.

Für viele Fachleute ist der Grad der Intro- oder Extroversion einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Menschen. Der Psychologe James Dee Higley spricht vom »Norden und Süden des Temperaments«, und C. G. Jung, der die Begriffe erstmals systematisch verwendete, sah Intro- und Extroversion als den dominanten Faktor der Persönlichkeit. Doch erst allmählich beginnen wir über die Bedürfnisse nachzudenken, die dieser andere »kleine Unterschied« mit sich bringt – rund 100 Jahre, nachdem er dank C. G. Jung für eine breite Öffentlichkeit »aktenkundig« wurde. Das ist erstaunlich, denn andere Unterscheidungen – Junge und Alte, Inländer und Immigranten, Männer und Frauen, Behinderte und Gesunde – sind mit der Diskussion von Diversität schon längst ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Doch obwohl die meisten Persönlichkeitstests nach der Unterscheidung fragen, kursieren noch einige merkwürdige Mythen über das, was Intros und Extros ausmacht. Auch ist das Miteinander von Intros und Extros noch immer kein Diversitätsthema, obwohl ich den Eindruck habe, dass sich dies allmählich ändert. So machte »Der Spiegel« den Intro-Extro-Unterschied zum Titelthema1 und druckte auch meinen Test »Sind Sie ein leiser Mensch?« ab, mit dem sich herausfinden lässt, wie intro- oder extrovertiert eine Persönlichkeit ist. (Sie finden den Test auch am Ende dieses Buches!) Dies ist eines der deutlicheren Zeichen dafür, wie tief dieses Persönlichkeitsmerkmal uns und unser Miteinander prägt.. Die Nachfrage nach Information und Weiterbildung zu diesem Thema erlebe ich sehr unmittelbar bei meinen Lesern und Kunden.

Doch das, was Sie in diesem Buch finden, soll keine Diversitätspolitik machen. Es soll vor allem eines: Ihnen unmittelbar nutzen. Ich werde also vieles, was die Wissenschaft sagt, vereinfachen oder zusammenfassen. Wenn Sie sich mit einzelnen Bereichen intensiver beschäftigen wollen, finden Sie in den Anmerkungen Ergänzungen und Leseempfehlungen. Alles Wichtige ist aber ohne diese Anmerkungen gut verständlich. Wenn Sie den ersten Teil des Buches gelesen haben, ist Ihr Blick auf die Unterschiede, Stärken, Prioritäten und Bedürfnisse intro- und extrovertierter Menschen klarer – und Sie verstehen, was es bedeutet, als Zentro in der Mitte zu liegen.

Der zweite Teil zeigt, was die Unterschiede im täglichen Leben bedeuten und wie Intros und Extros mit sich selbst und anderen umgehen können. Von Sport und Lernen über Kommunikation für Führungskräfte bis zu Verkaufen und Statuskommunikation habe ich sehr verschiedene Bereiche gewählt, die aber eines gemeinsam haben: Es sind diese Bereiche, die meine Auftraggeber, Leserinnen und Kunden am häufigsten im Auge haben, wenn sie sich mit dem Thema Intro- und Extroversion auseinandersetzen.2 Ich hoffe, auch Sie finden in der Auswahl Themen und Ideen, die Sie besonders umtreiben.

Vorab zwei Anmerkungen, bevor Sie gleich mit dem ersten Teil beginnen. Erstens werde ich auch in diesem Buch von Extro- statt von Extravertierten sprechen, wenn auch in der Originalliteratur das »a« steht. Dies hat ganz praktische Gründe: Ich kann als Kurzbezeichnung »Extro« schreiben anstatt des merkwürdig klingenden »Extra«. Zum Glück ist die Version mit »o« heute eine gängige Variante.

Zweitens finden Sie in allen Teilen dieses Buches immer wieder Beispiele und Geschichten, die ich so verändert habe, dass Sie die realen Personen dahinter nicht identifizieren können. Damit Sie die Intros und Extros unter den Akteuren leicht unterscheiden können, habe ich einen einfachen Weg gewählt: Erstens unterscheidet sich die Darstellung der Intro- und der Extro-Perspektive. Sie finden zur Unterscheidung die beiden folgenden Icons:

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und

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Zentros finden sich unter dem Icon:

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Zweitens tragen die Akteure Namen, die mit I bzw. mit E beginnen. Damit sollte die Unterscheidung leicht werden …

Doch jetzt viel Freude bei Ihrer Entdeckungsreise in eines der spannendsten Gebiete überhaupt: der Persönlichkeit, Ihrer Persönlichkeit – was sie ausmacht und was sie für Ihr Leben bedeutet.

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Persönlichkeit. Woher sie kommt. Was sie prägt. Was Verschiedenheit bedeutet

»Die Vorteile eines Menschen sind stets auch seine Nachteile.«

Simone Veil

Introvertiert oder extrovertiert – das ist nur ein Motiv in einem hochkomplexen Puzzle, aus dem menschliche Persönlichkeiten bestehen. Dieses Puzzle bestimmt, wie wir uns entwickeln, was wir mögen, wie wir fühlen. Und es hat eine besondere Spielregel: Wir können es nur mit anderen gemeinsam legen. Dabei prägen uns drei Faktoren – unser biologisches Erbe, unsere soziale Umgebung und die Suche nach dem persönlichen Sinn.

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Die 3 Faktoren der Persönlichkeit

Der erste Faktor: unser biologisches Erbe

Icon_04.jpgUnsere Persönlichkeit prägt sich in sehr unterschiedlichen Bereichen aus. Unser biologisches Erbe ist das, was wir »mitbekommen«, wenn wir geboren werden. Der Fortschritt der Neurowissenschaften hat dazu geführt, dass viele Forschungen zur Persönlichkeit sich in den letzten Jahren dem Aufbau unseres Gehirns, seinen Abläufen und den daran beteiligten Stoffen wie Neurotransmittern und Hormonen widmen.

Es gibt Studien, die zeigen: Unterschiede zwischen Babys im Alter von nur vier Monaten lassen bereits solide Vorhersagen darüber zu, ob das jeweilige Kind sich zu einer introvertierten oder einer extrovertierten Person entwickeln wird. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist dabei die Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen: »Intro-Babys« haben ein empfindlicheres Nervensystem und reagieren deshalb stärker (und negativer) als »Extro-Babys« auf starke Licht-, Geräusch- oder Geruchsreize. Dem entspricht im Verlauf des Lebens die Gefahr der Überstimulation für Introvertierte, die sie Energie kostet und deutlich störend wirkt.3

Dies ist allerdings erst ein Teil des komplexen Puzzles, das die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht.

Der zweite Faktor: unsere soziale Umgebung

Icon_05.jpgLange Zeit haben sich die Wissenschaftler darüber gestritten, ob die Persönlichkeit eher durch die biologische Anlage oder eher durch die soziale Umgebung beeinflusst wird. Heute wissen wir: Die beiden Bereiche greifen ineinander. Konkreter: Unsere biologischen Anlagen beeinflussen die Art und Weise, wie wir mit unserer Umgebung kommunizieren. Doch dieser Prozess ist (wie jede Kommunikation) eine Zweibahnstraße. Denn unsere Umgebung verändert ihrerseits auch unser Gehirn – und zwar so lange wir leben. Zwar ist ein junges Gehirn in der Entwicklung mehr und stärkeren Veränderungsprozessen ausgesetzt als ein älteres, doch ändern können wir uns alle solange wir atmen. Die Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, verändern die Strukturen und auch den Stoffwechsel in unserem Denkapparat. Ständig.

Wir kommen unfertig zur Welt.

Keiner von uns wird mit einer fertigen Ausstattung geboren. Ein Teil dessen, was uns ausmacht, unsere »zweite Natur«, entsteht im menschlichen Miteinander. Wir alle werden in eine soziale Gruppe und in einen kulturellen Kontext hineingeboren. Die Beziehungen, in denen wir aufwachsen, machen den zweiten Teil unserer Ausstattung aus. Sie haben Einfluss auf die Art, in der das Gehirn eines Heranwachsenden sich entwickelt. Beziehungen prägen unsere Sprache ebenso wie unsere Vorlieben und Entscheidungen. Kurz: Es reicht nicht, ein Gehirn zu haben. Eine Persönlichkeit in all ihren Facetten kann nur im Austausch mit anderen Menschen entstehen – auch rein biologisch, weil die neuronalen Verbindungen im Hirn sich erst nach der Geburt ausbilden. Dies geschieht nur dann, wenn wir Bezugspersonen haben und diese mit uns kommunizieren. Genau dies schafft die enorme Anpassungsfähigkeit an ganz verschiedene Umgebungen, die den Menschen ausmacht. David Brooks formuliert das so: »Es ist nicht so, dass wir uns zuerst entwickeln und anschließend Beziehungen eingehen, sondern wir werden in Beziehungen hineingeboren […], und diese Beziehungen machen uns überhaupt erst zu Menschen.« (2012, S. 77)

Unsere soziale und kulturelle Umgebung einerseits und unsere biologische Ausstattung andererseits stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Die Frage lautet also nicht: Anlage oder Umwelt? Sie lautet vielmehr: Wie spielen Anlage und Umwelt im Verlauf der Entwicklung eines Menschen so zusammen, dass sich daraus eine Persönlichkeit entwickelt? Gerade unsere Anpassungsfähigkeit an unsere Umgebung ist eine besondere Stärke unserer biologischen Ausstattung. Sie gibt uns die Beweglichkeit, in sehr unterschiedlichen Umgebungen zu gedeihen.

Unsere soziale Umgebung und unsere biologische Ausstattung stehen in einer Wechselwirkung zueinander: Wir wirken auf unsere Umwelt, und diese verändert unser Gehirn in Struktur und Stoffwechsel.

Auch Introversion und Extroversion sind von Geburt an als biologische und messbare Eigenschaften in uns angelegt. Doch dies ist lediglich der Beginn der Persönlichkeitsentwicklung und damit auch der Person selbst: Sie reift in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort und mit bestimmten Menschen. Erst das Zusammenspiel zwischen natürlichen Vorgängen und sozialen wie kulturellen Einflüssen prägt unsere Persönlichkeit – und damit auch Intro- und Extroversion. Unsere Bezugspersonen, unsere Vorbilder, kulturelle Normen, Erwartungen wichtiger Menschen an unser Verhalten: Faktoren wie diese entscheiden mit darüber, wie wir »nach innen« oder »nach außen« gewandt leben.

Der dritte Faktor: die Suche nach dem Sinn

Icon_06.jpgDer dritte Faktor, der unsere Persönlichkeit prägt, ist gleichzeitig der mit der größten Anziehungskraft: Es ist unsere Fähigkeit, aus freien Stücken Entscheidungen für unser Leben zu treffen, die uns sinnvoll und bedeutsam erscheinen. Diese Entscheidungen können durchaus dazu führen, dass wir als Introvertierte extrovertierte Verhaltensweisen an den Tag legen oder als Extrovertierte introvertierte Intervalle einlegen. So kann es beispielsweise dazu kommen, dass eine harmoniebedürftige Intro einen Angriff in einem Meeting zum Anlass nimmt, einem Kollegen öffentlich Grenzen aufzuzeigen. Es kann passieren, dass sich ein extrovertierter Kollege für eine Woche zum Schweigen in ein Kloster zurückzieht. Es kann sogar bedeuten, dass wir uns einen Beruf aussuchen, der unseren persönlichen Eigenschaften – Ergebnisse unserer Anlage oder unserer »zweiten Natur« – so gar nicht entspricht: weil dieser Beruf zu unserer Berufung passt, also zu unseren Lebensmotiven und -zielen. Mit anderen Worten: Wir sollen und müssen uns in unserer Entwicklung zwar binden, um zu Menschen zu werden. Zu echten Persönlichkeiten aber werden wir durch Selbstverwirklichung: im Finden unserer eigenen Werte und Ziele.

Unsere Persönlichkeit entwickelt und verändert sich durch das Zusammenwirken von Anlage, sozialer Umgebung und eigenen Entscheidungen.

Es ist dieser dritte Faktor, der der Entwicklung unserer Persönlichkeit das gewisse Etwas verleiht: Erst die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, gibt uns das, was wir Freiheit nennen. Wir können uns weder unsere biologische Ausstattung aussuchen noch unsere soziale Umgebung vollkommen selbst bestimmen. Wir können aber eines: selbstbestimmt wählen, was unserem Leben Sinn und Wert verleiht. Dies kann bedeuten, dass wir uns in bestimmten Situationen für ein anderes Verhalten entscheiden als für eines, das unserer Persönlichkeit eigentlich näherliegt.4

Doch bei aller Freiheit: Ganz und gar losmachen können wir uns nicht von den angeborenen Eigenschaften und den sozialen Bedingungen, die uns als Persönlichkeit geprägt haben. Es gibt Wechselwirkungen. So spielen soziale Einflüsse, wie wir heute wissen, in Entscheidungen eine große Rolle, weil sie unser Unbewusstes prägen. Was wir letztlich tun, ist nur zum Teil Ergebnis einer bewussten Abwägung.5

Wie Sie als Intro oder als Extro mit »artfremden« Herausforderungen umgehen können, erfahren Sie im ersten Teil dieses Buches. Dort finden Sie auch alle drei Faktoren – die Anlage, das soziale Umfeld und sinnorientierte Entscheidungen – noch einmal genauer erläutert.

Ich hoffe, dass Sie an den vorangehenden Ausführungen vor allem eines gesehen haben: Persönlichkeit ist eine vielschichtige Sache. Weder Intro- noch Extrovertierte sind allein von ihren biologischen Anlagen gesteuert – ebenso wenig wie Männer und Frauen aufgrund ihres Geschlechtes »verhaltensgesteuert« werden. Was uns zu Menschen macht, ist das Zusammenspiel von angeborenen und erlernten Eigenschaften. Hinzu kommt die Freiheit, uns manchmal auch gegen unsere Neigungen zu entscheiden und »gegen den Wind zu steuern«, wenn wir das wichtig finden.

Intro- und Extroversion prägen uns. Sie legen uns aber nicht fest.

So kommt es, dass es in allen Bereichen des Lebens erfolgreiche introvertierte und extrovertierte Persönlichkeiten gibt. Die folgende Tabelle zeigt quer durch Länder und Epochen Menschen, die sich entschieden haben, das zu tun, was ihnen wichtig ist – und die es als Intro oder als Extro geschafft haben, ihre Berufung zu bestimmen und mit viel Resonanz zu gestalten. Die Übersicht soll Ihnen Mut machen: Persönlichkeitsmerkmale wie Intro- und Extroversion mögen uns tief prägen. Doch sie legen uns nicht fest. Wie wir unsere Persönlichkeit einsetzen: Es ist unser Privileg, darüber zu entscheiden.

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1. Introversion und Extroversion: Fakten und Mythen

»Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt.«

Joseph von Eichendorff

»Just ’cause I don’t like something doesn’t mean it’s bad.«

Sophia Dembling6

In diesem Abschnitt erfahren Sie, welche biologischen Unterschiede es zwischen Intros und Extros gibt – und wie diese sich auf die Persönlichkeit auswirken.

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Das biologische Erbe

Der Neue

Icon_01.jpg»Boah, was für ein Langweiler!«, denkt Ella, als sie ihren neuen Kollegen Ingo auf dem Neujahrsempfang mustert. »Warum geht der nicht mal auf die anderen zu? Steht da steif rum, wie bestellt und nicht abgeholt … Kann ja heiter werden. Aber, hey – wieso kommt der Chef zu ihm? Und die beiden scheinen sich ja bestens zu kennen, so wie die sich begrüßen …?«

Wer die Begriffe »introvertiert« und »extrovertiert« hört, verbindet mit ihnen bestimmte Eigenschaften. Oft schneidet »introvertiert« dabei schlechter ab: Intros wirken auf viele Extros – wie die Kollegin Ella im Beispiel oben – einzelgängerisch, durchsetzungsschwach oder einfach wie langweilige graue Mäuse. Extrovertierte dagegen verbinden viele Menschen bewusst oder unbewusst mit Eigenschaften wie Sozialkompetenz, Führungsstärke oder Herzlichkeit. In den letzten Jahren hat sich diese Wahrnehmung zum Glück zugunsten der Introvertierten verschoben. Doch umgekehrt ist zwar das »Hochjubeln« von Intro-Stärken ein schöner Ausgleich, hat aber ebenfalls Verzerrungen zur Folge. Wahr ist: Intros wie Extros haben ihre jeweils eigenen Stärken, die ihnen Erfolg, Durchsetzungskraft und gute soziale Beziehungen ermöglichen. Und sie haben auch ihre jeweils eigenen Hürden und Bedürfnisse, die sie (neben anderen Faktoren) zu den Persönlichkeiten machen, die sie sind.

Intros wie Extros haben besondere Stärken und Bedürfnisse, die ihnen Erfolg, Durchsetzungskraft und gute soziale Beziehungen ermöglichen.

Dieser Abschnitt soll Sie dabei unterstützen, Ihre persönlichen Eigenarten zu finden und zwischen introvertiert und extrovertiert zu unterscheiden. Direkt beobachten lässt sich eine solche Persönlichkeitsausprägung nicht. Aber es gibt zuverlässige Hinweise: Unterschiede im Gehirn, die messbar sind. Bestimmte Kombinationen von Eigenschaften, die beobachtbar sind.

Zunächst lernen Sie die wichtigsten Unterschiede zwischen intro- und extrovertierten Persönlichkeiten kennen. Dann bekommen Sie einen Überblick über die Stärken und Hürden, die bei Intros und Extros überdurchschnittlich oft zu finden sind. Die gängigsten Klischees zum »kleinen Unterschied« sehen wir uns auf dieser Basis einmal näher an und klären das, was dahintersteckt. Und den Wahrheitsgehalt ebenso.

Bevor es losgeht, schätzen Sie sich bitte zunächst einmal selbst ein. Es geht dabei nur um Ihren Eindruck, nicht um Ihr Wissen! Am Ende des Kapitels können Sie dann diese Selbsteinschätzung mit dem vergleichen, was Sie in diesem Kapitel erfahren. Und natürlich können Sie auch andere Personen einschätzen, mit denen Sie zu tun haben.

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Behalten Sie Ihre Einschätzung im Hinterkopf. Sie werden von diesem Kapitel am meisten profitieren, wenn Sie darauf zurückgreifen und das, was Sie gleich lesen, mit Ihrem ersten Eindruck abgleichen.

Kommen wir zu den Fakten: Gibt es konkret messbare Unterschiede zwischen Intros und Extros? Ja!

Intros und Extros: die biologischen Unterschiede

Introvertiert bedeutet wörtlich »nach innen gewandt«; extrovertiert heißt entsprechend »nach außen gewandt«. Als C. G. Jung 1921 die beiden Persönlichkeitsmerkmale erstmals beschrieb7, konnte er noch nicht ahnen, dass sich die Unterschiede zwischen den beiden Typen einmal mit Bezug auf biologische Eigenschaften beschreiben lassen würden. Er ging davon aus, dass die psychische Energie bei Intros nach innen und bei Extros nach außen fließt. Intro- und extrovertiert werden heute nicht mehr als Gegensätze gesehen, die die Menschen in zwei Kategorien unterteilen. Vielmehr gelten die Merkmale als äußerste Punkte einer kontinuierlichen Skala. Jeder Mensch hat sowohl intro- als auch extrovertierte Eigenschaften, neigt aber meistens zu einer Ausprägung, wobei sich die meisten Menschen in einem gemäßigten mittleren Bereich befinden. Wer klar »in der Mitte« liegt, heißt in der Fachsprache übrigens ambi- oder zentrovertiert. Am Ende dieses Kapitels finden Sie zu den »Zentros« einen eigenen Abschnitt.

Bestimmte Faktoren können für leichte Verschiebungen von Intro- oder Extroversion sorgen. Schon C. G. Jung erwähnte, dass Menschen mit dem Alter ihre Position auf der Skala leicht verändern können. Die Grundtendenz bleibt aber überwiegend erhalten.

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Das Intro-Extro-Kontinuum mit Gauß’scher Normalverteilung

Heute können wir viel genauer hinsehen und unterscheiden. Die Hinwendung nach innen oder nach außen, inklusive aller Stärken und Hürden, die Intros und Extros häufig an sich beobachten können, lassen sich auf messbare Unterschiede in unserer Schaltzentrale zurückführen: unserem Hirn.

In der nachfolgenden Übersicht habe ich die wesentlichen Unterschiede verknappt zusammengefasst. Wenn Ihnen die biologischen Details zu fade vorkommen, überspringen Sie einfach diese Passage – direkt im Anschluss gibt es eine Kurzversion und eine Super-Kurzversion, die die wichtigsten Aspekte auf den Punkt bringen.

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Nach dem Studium solcher Fakten kann ich leichter akzeptieren, dass ich dieses Manuskript nach getanem Tagewerk nicht weniger als drei Mal auf unterschiedlichen Speichermedien aktualisiere. Ich finde es auch erträglich, dass ich so gut wie nie euphorisch bin. Es ist eben kein rauschartiges Hochgefühl, sondern Sicherheit, die ich als Intro schätze. Dafür kann ich mich an der Begeisterung extrovertierter Freunde und Kolleginnen umso mehr freuen – sie leuchten dann geradezu von innen heraus!

Falls Sie keine Lust hatten, sich durch all die unterschiedlichen Hirnareale und -windungen zu kämpfen, kommt hier die eingangs versprochene knackige Zusammenfassung: Wenn Sie diese lesen, kennen Sie die wichtigsten biologisch nachweisbaren Unterschiede zwischen Intros und Extros.

Der erste Unterschied: Empfindlichkeit für Reize

Die Wendung nach innen oder nach außen ist, wie wir heute wissen, ganz wörtlich zu verstehen: Im Vorderhirn introvertierter Menschen lässt sich eine höhere elektrische Aktivität als in Extro-Hirnen nachweisen – genau dort, wo Lernen, Entscheiden, Erinnern und Problemlösen angesiedelt sind, also die Auseinandersetzung mit inneren Vorgängen. Damit verbunden ist auch ein erhöhter Blutfluss. Extros reagieren weniger empfindlich als Intros auf Außenreize und brauchen wegen der Art ihres vegetativen Nervensystems im Vergleich weniger Ruhe. Sie verarbeiten Sinneseindrücke leichter als Intros.

Aus diesen neurobiologischen Faktoren leitet sich der erste große Unterschied zwischen Intros und Extros ab: Extrovertierte kommen mit Eindrücken der Außenwelt meistens gut klar – das heißt, mit allen Reizen, die sie mit ihren Sinnesorganen aufnehmen. Und mehr noch: Extros beziehen viel von ihrer Energie und auch ihrer Lebensqualität aus dem Austausch mit anderen Menschen und aus Impulsen der Außenwelt.

Verschiedene Strukturen im Gehirn sind die Ursache für den Unterschied zwischen Extros und Intros. Extros schätzen mehr als Intros verschiedene äußere Eindrücke, Intros schätzen mehr als Extros die intensive Auseinandersetzung mit inneren Vorgängen.

Extros mögen Aktivitäten und Initiative; viele Extros sind begeisterte Reisende und lieben Abwechslung. Sie treiben im Durchschnitt mehr Sport und haben mehr Kontakte und auch mehr Sexualpartner als Intros.8 Introvertierte dagegen sind bereits ohne Außeneindrücke mit Verarbeitungsprozessen beschäftigt und sind anders aktiv als ihre extrovertierten Zeitgenossen: Sie reflektieren. Auch ein nach außen hin scheinbar inaktiver Mensch kann auf diese Weise innerlich auf Hochtouren laufen. Die Folge dieses Unterschiedes: Introvertierte sind leichter überstimuliert als Extrovertierte.

Intros schätzen und brauchen ruhige Phasen für sich – in einem ganz wörtlichen Sinn: nicht zu laut, nicht zu hell, möglichst ohne, höchstens mit sehr wenigen Menschen. Sie beziehen aus reizarmen Zeiten ohne Gesellschaft ihre Energie. Dies kann nach belastenden Phasen auch Extros so gehen. Intros aber sind grundsätzlich auf das »Akkuaufladen« in Ruhe angewiesen.

Ein besonderes Thema ist in diesem Zusammenhang die Hochsensibilität: Auch Hochsensible sind leicht überstimuliert – und obwohl die Mehrzahl unter ihnen Intros sind, geht die amerikanische Psychologin Elaine Aron von 30 Prozent hochsensiblen Extros aus (Aron 2005). Da der neuronale Unterschied nicht ganz klar ist, verzichte ich auf eine Behandlung des Themas. Was wir festhalten können, ist: Überstimulation kann für Introvertierte und für Hochsensible zum Problem werden.

Der zweite Unterschied: Risiko und Sicherheit

Auch die zweite große Differenz zwischen Intros und Extros lässt sich auf neurobiologisch nachmessbare Unterschiede zurückführen.

In Intro- und Extro-Hirnen sind unterschiedliche Teile des neuronalen Gefühlszentrums aktiv. Intros haben ein empfindlicheres Angstzentrum, während Extros stärker auf die Aussicht auf Belohnung reagieren. Zusätzlich unterscheiden sich die Konzentrationen verschiedener Botenstoffe. Introvertierte verfügen über einen höheren Pegel an Acetylcholin, das für Konzentration, Gedächtnis, Lernen und Abwägen zuständig ist.9 Extrovertierte dagegen haben im Vergleich einen höheren Pegel an Dopamin in ihren Hirnen. Dieser Neurotransmitter fördert Bewegung, aber auch Neugier, die Suche nach Abwechslung sowie das Streben nach Belohnung und lustvollen Aktivitäten.

»Safety first!« oder »No risk – no fun!« – Intros und Extros bevorzugen mit ihrer biologischen Ausstattung bestimmte Erfahrungen, um sich wohlzufühlen.

Dieser Unterschied hat deutliche Folgen für die persönlichen Neigungen intro- und extrovertierter Menschen. Intros schätzen Abstand von den Dingen und Raum zum Verarbeiten von Eindrücken und haben einen starken Selbsterhaltungstrieb. Vor allem aber sorgt das Acetylcholin für ein relativ hohes Sicherheitsbedürfnis. Intros haben tatsächlich auch weniger Unfälle und sind überdurchschnittlich wachsam. Extros dagegen schätzen Abwechslung und Tätigkeiten, die eine Belohnung versprechen. Das Dopamin sorgt dafür, dass Extros Herausforderungen, Risiken und zuweilen sogar Gefahren auf sich nehmen, um an die ersehnte Belohnung zu kommen. Das Bedürfnis nach reizvollen Abwechslungen und Belohnungen ist so stark, dass manch Extrovertierter Beziehungen oder Besitztümer aufs Spiel setzt, die ihm eigentlich viel wert sind. So haben Extros zwar ein größeres Netzwerk, riskieren aber leichter, beständige Partnerschaften durch sexuelle »Ausflüge« zu gefährden, neigen eher zu Glücksspielen und begehen sogar mehr Verbrechen.10

Ein anschauliches Beispiel dafür, wie wir die Neigung zu Sicherheit oder Risiko in unserer Kommunikation ausdrücken, ist die Wahl unserer Kleidung: Wir wählen sie unter anderem auch nach unseren persönlichkeitsbedingten Neigungen. Dabei gibt es, so die Modeexpertin Susannne Ackstaller, deutliche Unterschiede zwischen Intros und Extros:

Die Schale zeigt den Typ!

Susanne Ackstaller, Texterin und Bloggerin

Icon_01.jpgBei Mode- und Stilfragen entspricht die Realität tatsächlich den Erwartungen: Intros kleiden sich eher klassisch-schlicht, wählen reduzierte Farben und Muster, schminken sich dezent. Extros hingegen gehen »in die Vollen«: Kleidung zum Hingucken, der Business-Look wird mit auffälligeren Accessoires aufgepeppt, und statt Lipgloss gibt es hier knallrot geschminkte Lippen. In Marken gesprochen sind Intros eher Jil Sander, und Extros tendieren zu Escada.

Zwar habe ich schon Intros mit wirklich wilden Schuhen gesehen, aber die Grundtendenz scheint zu stimmen.

Das Beeindruckende an Extros ist ihre Fähigkeit zur Begeisterung – von der Freude an einer Sache über tiefe Sehnsucht bis hin zur Euphorie. Auch diese positiven Gefühle sind eine Folge der hohen Dopaminkonzentration im Hirn und des sehr aktiven Nucleus accumbens (siehe oben). Begeisterung und Euphorie sind Reaktionen darauf, dass ein attraktives Ziel oder eine wichtige Sache erreicht wurde, und damit eine Art »Belohnungsdoping« im Hirn.11 Intros neigen nur selten zu überschwänglichen Gefühlen wie extremer Aufregung oder ausgelassener Freude. Das heißt – dies als Botschaft an die Extros, die hier mitleidig gucken – ganz und gar nicht, dass ihre Lebensqualität geringer ist. Sie ist nur anders. Um es in einem Bild auszudrücken: Da, wo der Extro ein Feuerwerk zündet, wärmt sich die Intro an einem warmen Holzkohlefeuer.

Da, wo der Extro begeistert ein Feuerwerk zündet, wärmt sich die Intro zufrieden an einem warmen Holzkohlefeuer.

Die Kehrseite: Wenn die Anreize durch die Außenwelt ausbleiben, stellen sich bei einem Extro schneller als bei einem Intro Langeweile und Überdruss ein. Dies kann dazu führen, dass der unterstimulierte Extro unnötige oder zu große Risiken auf sich nimmt und entsprechend Schaden erleidet, um auf seinen Dopaminpegel zu kommen – und mit ihm leiden dann meist auch andere. Auch Selbstüberschätzung und sozial schädliches Verhalten werden als Nebenwirkungen des Dopamins gehandelt. Verbrechen oder verheerende Finanzkrisen sind zwei Stichwörter, die Ihnen eine Idee von der Bandbreite möglicher Risiken geben.

Doch auch der Intro-Neurotransmitter Acetylcholin hat seine Nachteile: Über die Vorsicht, das Nachdenken und das Auswerten, zu denen dieser Botenstoff anregt, verzögert oder vergisst manche Intro das Handeln. Viele brillante Ideen bleiben unrealisiert, weil der dazugehörige Intro-Kopf das Risiko der Ausführung scheut oder zu viele Bedenken hat.

Hier noch einmal eine Kurzversion der Kurzversion:

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Andere Stärken – andere Hürden

Nachdem Sie die Unterschiede zwischen Intros und Extros kennengelernt haben, liegt eine Frage nahe: Was folgt denn nun genau aus diesem Wissen? Diese Frage ist nicht nur berechtigt, sondern auch sehr wichtig: Denn die Antworten sind der Schlüssel zu einem »artgerechten« Leben, in dem wir die Unterschiede zwischen intro- und extrovertierten Menschen in allen Bereichen schätzen und nutzen lernen.

Weder Intros noch Extros sind die »besseren« Menschen. Sie sind schlicht verschieden in dem, was sie gut können und was sie stresst oder herausfordert. Dies bedeutet, dass ein Extrovertierter ein Ziel oder den Aufbau von Kontakten anders angehen sollte als eine Introvertierte: zum Beispiel einen bestimmten Karriereschritt oder auch nur die Organisation der täglichen Arbeit.

Intros und Extros sind nicht gleichartig – aber sie sind gleichwertig. Und sie haben ihre jeweils eigenen Erfolgsrezepte.

Die Unterschiede machen Intros in bestimmten Bereichen besonders stark, Extros in anderen. Doch sie bringen auch bestimmte Hürden und damit besondere Bedürfnisse und Schwierigkeiten mit sich.

In diesem Abschnitt lernen Sie zehn typische Stärken und zehn typische Hürden kennen. Sie bekommen außerdem einen ersten Eindruck davon, wie Intros und Extros sich in ihren Stärken und Hürden manchmal gegenseitig wahrnehmen: Das »Andere« ist nämlich selbst dann nicht immer attraktiv, wenn es eigentlich eine Stärke ist.

Vorab zwei wichtige Anmerkungen, die Sie beim Lesen »mitnehmen« sollten.

Erste Vorbemerkung. Die beiden Zehnerlisten sind weder erschöpfend noch sollen sie ein vollständiges Psychogramm intro- und extrovertierter Persönlichkeiten bieten. Sie enthalten Eigenschaften, die für die Kommunikation zwischen Menschen wichtig werden können. Mit anderen Worten: Sie sollen solide Grundlagen an die Hand bekommen, um in Ihrem beruflichen und privaten Alltag mit Intros und Extros gleichermaßen klarzukommen. Und ja, Sie können sich vor allem auch persönlich mit Blick auf Ihre Außenkommunikation kennenlernen.

Zweite Vorbemerkung. Die Eigenschaften sind »in freier Wildbahn« keinesfalls fein säuberlich zwischen Intros und Extros aufgeteilt. Erstens sind wir alle Mischungen aus introvertierten und extrovertierten Eigenschaften. Zweitens gibt es keine Exklusivrechte auf Stärken und Hürden. Allerdings sind Häufungen zu beobachten – das heißt zum Beispiel, dass sehr viele Intros gern schreiben: Schreiben ist eine introspektive Tätigkeit, die die innere Auseinandersetzung mit Inhalten fördert. Viele Extros werden dagegen das Reden dem Schreiben vorziehen: weil es schneller, direkter und spontaner ist und einen unmittelbaren Kontakt mit den Mitmenschen ermöglicht. Dennoch gibt es natürlich ausgezeichnete extrovertierte Autorinnen und exzellente introvertierte Redner. Nur eben seltener.

Jetzt zu den Eigenschaften selbst. Der Übersichtlichkeit halber finden Sie sie in Intro-Extro-Duos dargestellt und in zwei Gesamtlisten (Stärken und Hürden) mit kurzer Erläuterung nebeneinandergestellt. Sie können die Gegenüberstellungen und die beiden Gesamtlisten gut bei der weiteren Lektüre zum Nachschlagen verwenden. Und vor allem können Sie sich beim Lesen fragen: Welche dieser Stärken und Hürden können Sie an sich persönlich beobachten?

Am Ende dieses Abschnitts finden Sie diese Frage noch einmal – mit Raum für Ihre Notizen.

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Intro- und Extro-Stärken im Doppelpack

Stärken-Duo 1: Vorsicht und Mut

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Die hohen Konzentrationen von Acetylcholin (Sicherheit!) in Intro-Hirnen und von Dopamin (Belohnung!) in Extro-Hirnen geben der Vorsicht und dem Mut eine biologische Basis: Die beiden Stärken haben in den Konzentrationen der Neurotransmitter eine direkte Entsprechung. Hinzu kommen die unterschiedlichen starken Aktivitäten im Angstzentrum (Amygdala, aktiver bei Intros) und dem Belohnungszentrum (Nucleus accumbens, aktiver bei Extros).

Aus diesem Grund sind viele Intros beständig, vorausschauend und denken sorgfältig nach, bevor sie handeln. Das hat Vorteile in Zeiten, in denen es nicht nötig ist, das eigene »Revier« auszudehnen – also zum Beispiel in bequemen Zeiten eines etablierten Wohlstands. Vorsicht ist auch als Frühwarnsystem wichtig, wenn es darum geht, mit »schleichenden« Risiken umzugehen – also mit solchen Gefahren, die keinen unmittelbaren Druck ausüben, langfristig aber enorme Auswirkungen haben können. Beispiele sind die Klimaentwicklung, die Entwicklung der globalen Verteilung von Ressourcen, die Nahrungsmittelqualität oder die Datensicherheit.

Viele Extros können dagegen mit der Stärke des Muts entschlossen und energisch handeln und geben dabei auch Komfort oder Sicherheit auf, wenn sie dies nötig finden. Sie gehen Risiken ein und setzen Geld oder Beziehungen aufs Spiel, wenn es ihnen für das jeweilige Ziel wichtig erscheint. Das Vermeiden von Schmerz ist ihnen wegen ihrer geringeren Empfindlichkeit weniger wichtig als den reizsensiblen Intros. Der Extro-Mut wird zum Beispiel in unsicheren gefährlichen Zeiten nützlich, wenn es nötig ist, neue »Reviere« zu erschließen und neue Ressourcen zu finden.12

Folgen für die Kommunikation: Vorsichtige Menschen dosieren die Informationen, die sie weitergeben. Sie sind unaufdringlich und verwerten das, was sie gesehen und gehört haben, um Worte und Verhalten möglichst gut einzuschätzen. Sie verhalten sich oft diplomatisch.

Mutige Menschen schaffen es, aus vorgegebenen Ritualen auszubrechen und für frischen Wind zu sorgen. Sie wagen es, Klartext zu reden und für ein Anliegen zu kämpfen. Dafür nehmen sie auch Folgen in Kauf, die auf der Beziehungsebene nicht immer angenehm sind.

Vorsichtige Menschen wollen mehr als mutige Menschen Schmerzen, Risiken und Schwierigkeiten vermeiden. Im Austausch miteinander hält der Vorsichtige die Mutige leicht für waghalsig. Und der Mutigen erscheint der Vorsichtige leicht als Angsthase oder zumindest als Bedenkenträger.

Stärken-Duo 2: Substanz und Begeisterung

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Menschen mit Substanz streben danach, die Tiefendimension von Themen, Ereignissen und Fragestellungen zu erschließen. Die bevorzugten Hirnaktivitäten von Intros, das Abwägen, Auswerten und Vergleichen von Informationen, ist eine gute Grundlage dafür, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Wenn es einen Grund gibt, warum ich manchmal trotzdem gern eine Extro wäre, ist es die Begeisterung, die sich bis zur Euphorie steigern kann. Der Intro-Botenstoff Acetylcholin (siehe oben) ist für dieses berauschende Gefühl weniger geeignet – der Extro-Neurotransmitter Dopamin dafür umso mehr! Extros werden damit eher als Intros zu Begeisterten, die andere mit ihrer Energie anstecken und ihnen Impulse zum Handeln geben können.

Folgen für die Kommunikation: Spätestens jetzt kennen Sie einen der wichtigsten Gründe dafür, dass viele Intros eine Abneigung gegen Small Talk haben: Er ist zu flach. Selbst wenn der introvertierten Person klar ist, dass es im »kleinen Gespräch« vor allem um den Aufbau eines grundsätzlichen Vertrauens und einer guten Beziehung geht: Er wirkt bei dem reichen Innenleben eines typischen Intros einfach zu wenig stimulierend. Eine Konversation mit Tiefe dagegen wissen die meisten Intros sehr zu schätzen. In einem solchen Gespräch können sie ihre Stärke substanziellen Denkens leben. Dembling (2012, S. 26f.) nennt noch einen anderen Grund dafür, echte Konversation wertzuschätzen: Studien zufolge ist ein tiefergehendes Gespräch mit einer Auseinandersetzung über Inhalte für das Wohlbefinden besser geeignet als Small Talk, der nur der Vergewisserung der Beziehungsebene dient, aber in der thematischen Gestaltung eher »dünn« zu sein pflegt.

Extros dagegen bringen ein Leuchten in die Kommunikation: Sie können inspirierende, lustige und motivierende Momente schaffen, indem sie mit ihrer Freude an ihrer Umgebung, an neuen Ideen und an interessanten Aktivitäten andere anstecken. Das macht sie oft unwiderstehlich.

Substanzorientierte Menschen halten Begeisterte leicht für oberflächlich oder übertrieben emotional. Begeisterte halten substanzorientierte Menschen oft für schwerfällig oder kühl: Schließlich fehlt aus ihrer Sicht der emotionale Funke.

Stärken-Duo 3: Konzentration und Flexibilität

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Intros mögen es, sich mit einer Sache tiefer zu beschäftigen und »dicke Bretter« zu bohren. Wenn sie sich vor Überstimulation und plötzlichen Unterbrechungen schützen können, ist es für sie leicht, sich manchmal stundenlang in ein Projekt zu vertiefen. Die Energie, die sie zur Verfügung haben, können sie durch Fokussierung auf etwas für sie Wesentliches (siehe Substanz – Stärken-Duo 2) optimal nutzen. Sie kommen dabei zu erstaunlichen Ergebnissen, besonders in Kombination mit der Stärke der Beharrlichkeit (siehe Stärken-Duo 8). Alle erfolgreichen Wissenschaftler und Erfinder haben die Stärke der Konzentration.

Extros haben dafür die Stärke der Flexibilität auf ihrer Seite. Da sie wechselnde Impulse von außen nicht nur ertragen, sondern sogar schätzen, macht es ihnen nichts aus, wenn ihr Alltag »schnelle Schnitte«, überraschende Wendungen und Änderungen oder unerwartete Termine und Aufgaben mit sich bringt. Sie sind mit dieser Beweglichkeit auch weniger störanfällig als Intros. Und mehr noch: Extros beziehen aus der Beweglichkeit Energie, da diese für zusätzliche Stimulation sorgt.

Folgen für die Kommunikation: Im Austausch mit anderen können Intros ihrem Gegenüber ihre ganze Aufmerksamkeit schenken. Diese wohl kostbarste Währung im menschlichen Miteinander (neben dem Vertrauen) kann introvertierten Menschen zu einer sehr intensiven Präsenz verhelfen. Sie sind besonders dann überzeugend, wenn sie zeigen, wie sehr sie ihr Thema durchdringen und auf Fragen und Kommentare eingehen können – auch in öffentlichen Situationen wie Vorträgen oder Diskussionen.

Extros schaffen es durch ihre leichtfüßige Beweglichkeit, einem Gespräch Esprit und Tempo zu geben. Sie können sich mühelos auf Themenwechsel einstellen und neue Informationen spontan in ihre Gedankengänge einbeziehen. Das ist vor allem in Verhandlungen und in allen Stegreifsituationen nützlich, wenn der Extro Bezüge zu etwas herstellt, was jemand anderes gesagt hat oder was in der Zwischenzeit passiert ist. Schriftliche Vorlagen sind für Extros oftmals so etwas wie Trampoline: Sie federn ab und bestimmen dann die Richtung …

Konzentrierte Menschen halten flexible Personen leicht für wankelmütig, unstetig oder flüchtig. Flexible Personen halten konzentrierte Menschen manchmal für unbeweglich, fixiert oder langweilig.

Stärken-Duo 4: Zuhören und Darstellung

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Extros sind mit ihrer Fähigkeit, ihre Anliegen und sich selbst darzustellen, gute Anwälte ihrer Positionen und Bedürfnisse. Dies gilt ganz besonders, wenn die Stärke des Redens (Stärken-Duo 9) hinzukommt. Durch ihre geringere Empfindlichkeit gegenüber Außenreizen wirken Extros oft »cooler«, also entspannter und lässiger als leicht überstimulierte Intros. Das gibt ihnen in der (Selbst-)Darstellung einen zusätzlichen Vorteil, weil sie Kraft und Souveränität ausstrahlen.

Während viele Intros die unterschätzte Kunst des echten Zuhörens gut beherrschen, können dafür Extros Informationen gekonnt in passende Worte fassen und dann an ihr Gegenüber liefern. Wenn es sein muss, schaffen sie dies meist auch schnell!

An dieser Stelle sei eine besondere Spielart des Zuhörens erwähnt: Die meisten Intros sind besonders geübt darin, sich selbst zuzuhören und zu beobachten. Sie nutzen dieses »Self-Monitoring« dazu, sich geschickt an die sozialen Anforderungen in bestimmten Situationen anzupassen.13

Folgen für die Kommunikation: Viele Intros hören tatsächlich gut zu und beobachten gut. Sie sind Experten im Verarbeiten der Informationen, die sie dabei aufnehmen. Aus dem über die Sinneskanäle gewonnenen Material filtern sie Wichtiges und tragen die Ergebnisse in den weiteren Dialog. Wie die Konzentration vermittelt das Zuhören dem Kommunikationspartner intensive Zugewandtheit – und damit Aufmerksamkeit. Viele Intros haken nach, wenn sie etwas genauer wissen oder erläutert haben möchten, und beziehen sich dabei auf das gerade Gehörte. Dies wirkt meist sehr angenehm auf Gesprächspartner. Oft erkennen Intros auch im Gehörten und Beobachteten Feinheiten und Zwischentöne heraus, zum Beispiel unausgesprochene Konflikte zwischen Anwesenden oder eine plötzliche Veränderung der Stimmungslage. Das kann in Situationen unschätzbar sein, die Fingerspitzengefühl und diplomatisches Handeln fordern.

Die Stärke der Extros betrifft den anderen Teil dieser Kommunikation: Sie schaffen es oft souverän und mit Überzeugungskraft, Inhalte zu vermitteln und voller Energie zu vertreten. Sie können auch frisch Gehörtes schnell in neue Strategien einbeziehen, besonders, wenn sie auf die Stärke der Flexibilität zurückgreifen können (siehe Stärken-Duo 2).

Eine gute Zuhörerin kann einen Darsteller für ichbezogen und substanzlos halten. Ein guter Darsteller kann eine Zuhörerin für passiv oder impulsarm halten. Und Achtung: Extros brauchen stärkere Reize als Intros, um gut zuhören zu können – das sollten die Intro-Meister in diesem Bereich berücksichtigen!14

Stärken-Duo 5: Ruhe und Schnelligkeit

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