Dieter Schäfer
Die Gewaltfalle
Fotos: Polizeipräsidium Mannheim
Bildtechnik & techn. Assistenz: Steffen Macholdt,
Steven Au, Tamara Herr
Satz & Gestaltung: Holger Ohm
ISBN Taschenbuch |
978-3-86476-034-1 |
ISBN E-Book EPUB |
978-3-86476-610-7 |
ISBN E-Book PDF |
978-3-86476-611-4 |
Verlag Waldkirch KG |
© Verlag Waldkirch Mannheim, 2013
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags.
Gewalt gegen Polizei
Einsatzbewältigung
Ich widme diesen Dokumentarbericht allen in Tumultlagen verletzten Kolleginnen und Kollegen.
Ich widme ihn auch den verletzten Seelen der bei solchen Anlässen posttraumatisch belasteten oder schwerem psychischen Stress ausgesetzten Einsatzbeamten.
Ich widme ihn aber gerade auch den Einheitsführern und Polizeiführern, die solche emotionalen Wellentäler aushalten mussten.
Ein Dokumentarbericht zur Bewältigung und Aufarbeitung der Gewaltexzesse gegen die Polizei beim Kurdischen Kulturfestival im September 2012 in Mannheim
Dieter Schäfer, Polizeidirektor
und Einsatzleiter PP Mannheim
Dieser Beitrag bezieht sich auf frei zugängliche Berichte und Nachbetrachtungen in Print- und Internetmedien, in zwei Landtagsanfragen der Fraktion der CDU, eine aktuelle Debatte im Landtag am 26.09.2012 und die abschließende Behandlung im Innenausschuss in öffentlicher Sitzung am 13.03.2013.
Im Wesentlichen ist er aber mein Rückblick als Polizeiführer der Kurdeneinsätze in Mannheim im September 2012 auf die Vorbereitung und Durchführung der Einsätze und mein persönlicher Bericht über die unmittelbare Nachbereitung für die eingesetzten Kräfte unter dem Eindruck der medialen und politischen Verlautbarungen.
Meine Beweggründe liegen im erforderlichen Wissens- und Erfahrungstransfer der Auswirkungen der Geschehnisse auf und in die Polizei, solange die Erinnerungen noch nicht verblasst sind.
Außerdem ist es wichtig, Gewalt gegen Polizeibeamte öffentlich zu ächten. Die Öffentlichkeit soll durch einen Einblick in die Einsatzbewältigung und die Einsatznachbereitung erfahren, was Polizisten im Einsatz erdulden und erleiden müssen.
Die wenigsten Polizeiführer haben in ihrer Karriere ein solches außergewöhnliches und prägendes Einsatzerlebnis. Wiederkehrende Anlässe dieser Art kennt man wohl nur aus Berlin oder Hamburg.
Insbesondere wenn die Folgen gravierend sind, findet reflexartig eine öffentliche Suche nach den Schuldigen statt. Dem Polizeiführer bläst schnell ein kräftiger Wind ins Gesicht. Er muss sich rechtfertigen und Begründungen abgeben. Der öffentliche Druck ist immens.
Im vorliegenden Fall war vieles anders. Ich verspürte weder Druck aus der Polizeiführung des Landes, noch aus der Kommunalpolitik. Die Landespolitik/-er erlebte ich ambivalent. Während sich alle Vertreter der Parlamentsfraktionen in ihren Statements zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen hinter die Polizei stellten, wurde aus Oppositionskreisen aber immer wieder auch Kritik laut. Entsprechend veränderte sich das Medienecho.
Rückblickend wurde mir persönlich großes Verständnis entgegen gebracht, ich bekam aus meinem dienstlichen Umfeld jede Unterstützung, die ich brauchte.
Eigentlich hätte ich die Einsatznachbereitung in Ruhe angehen können.
Dennoch erlebte ich in den drei Folgewochen Stress wie nie zuvor.
I |
Die Einsatzplanung |
II |
Der Lange Marsch |
III |
Ex-post Betrachtungen zum Langen Marsch |
IV |
Einsatzphase I -Kurdisches Kulturfestival |
V |
Einsatzphase II - Die 3 Gewaltwellen |
VI |
Wesentliche Erkenntnisse |
VII |
Ermittlungsgruppe Kurdenfestival |
VIII |
Dankschreiben und Reaktionen |
IX |
Stressmanagement |
X |
Die öffentliche Aufarbeitung |
XI |
Konsequenzen für die Polizei |
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Zur Person des Autors |
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Anhang |
Kapitel 1
Anfang August 2012 erfuhr der Referent Verkehr des Polizeipräsidiums Mannheim vom Fachbereich Veranstaltungen der Stadt Mannheim, dass zum Kurdischen Kulturfestival am 8. September 2012 bis zu 400 Reisebusse anreisen sollen. Die Suche nach geeigneten Parkflächen ruhte zu diesem Zeitpunkt noch, weil sowohl der Verantwortliche der Mannheimer Parkhausbetriebe, als auch der zunächst geplante Einsatzleiter der Polizei in Erholungsurlaub waren.
Auch im Hinblick auf die Dimension von avisierten 35.000 kurdischen Teilnehmern und möglicher anstehender Besprechungen mit dem Landespolizeipräsidium war es notwendig, dass sofort ein verantwortlicher Polizeiführer verfügbar war. In der ständigen Leitungsbesprechung des Polizeipräsidiums Mannheim am 3. August 2012 erhielt deshalb ich, als Verantwortlicher für die Verkehrspolizei, den Einsatzauftrag.
Die Planungen liefen bereits seit September 2011, sodass ich mir zunächst einen Überblick über die laufende Informationsgewinnung und bisherige Vereinbarungen in Sicherheitsbesprechungen mit der Stadt Mannheim und dem Veranstalter verschaffen musste.
Im Vorfeld des 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestivals lagen dem Polizeipräsidium Erkenntnisse über den Ort, die Zeit, die Anzahl der Teilnehmer, das Programm und die Gastredner der Veranstaltung vor. Diese Erkenntnisse wurden zusammen mit einer allgemeinen Lageeinschätzung unter Heranziehung der aktuellen politischen Situation in der Türkei und den Auswirkungen auf die Stimmungslage unter den in Deutschland lebenden Kurden und Türken auch dem Landeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Innenministerium übermittelt. Dabei wurde auf die gespannte Atmosphäre innerhalb des PKK-geprägten kurdischen Milieus wie auch innerhalb der nationalistischen türkischen Szene eingegangen. Es wurde außerdem darauf hingewiesen, dass gewalttätige Aktionen – insbesondere bei emotionalisierten Jugendlichen – nicht ausgeschlossen werden können.
Konkrete Gefährdungshinweise lagen den Sicherheitsbehörden bezüglich des 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestivals allerdings nicht vor.1
Wesentliches Ergebnis einer gemeinsamen Lageberatung zwischen Vertretern der Stadtspitze und der Führung des Polizeipräsidiums Mannheim im Frühjahr 2012 war, dass vor dem Hintergrund der bereits 19 mal stattgefundenen YEK KOM -Veranstaltungen die Polizei keine “gerichtsfesten” Verbotsgründe würde liefern können, die eine derartige Veranstaltung auf dem Mannheimer Maimarktgelände ausschließen würden. Kritisch wurde eher ein gegebenenfalls vorgeschalteter Marsch zu dieser Veranstaltung gesehen, bei dem aber mit entsprechenden Auflagen das Risiko minimiert bzw. bei gegebener Lage ein solcher eben aufgelöst werden würde.
Auch die hausinterne kriminalpolizeiliche Einschätzung sprachen nicht gegen die Durchführung eines kurdischen Kulturfestivals. Die dargelegten Informationen der zurückliegenden YEK-KOM2 Veranstaltungen ließen darauf schließen, dass in gewissem Umfang mit Formalverstößen in Bezug auf verbotene Symbole nach dem Vereinsgesetz zu rechnen war, dass aber die staatsanwaltschaftliche Aufarbeitung derartiger Verstöße nahezu regelmäßig mit Verfahrenseinstellungen endete. Anhaltspunkte für eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei aus der Versammlung heraus waren seinerzeit nicht zu erwarten. Außerdem erschien es unwahrscheinlich, dass national gesinnte Türken zwecks Provokationen sich in die Nähe des Veranstaltungsgeländes begeben würden.
Bei vorangegangenen Kulturfestivals waren oft Solidaritäts- oder Sternmärsche zeitlich vorgeschaltet. Für die Mannheimer Veranstaltung war ein solches Vorhaben von den Veranstaltern bis Anfang der 33. Kalenderwoche immer in Abrede gestellt worden.
Nach erster Lageeinschätzung stand ein polizeilich interessanter und für die Verkehrsinfrastruktur rund um das Maimarktgelände herausfordernder Verkehrseinsatz mit kalkulierbaren Störpotenzialen für die öffentliche Sicherheit bevor. Der Stabsbereich Verkehr erarbeitete ein Verkehrs- und Parkraumkonzept, welches eine Maximalkapazität für 430 Busse umfasste und auch noch die avisierten 5.000 PKW berücksichtigte.
Mitte August rief dann die Apoistische Jugend Deutschland im Internet zum „Mesa Dirêj“ (Langen Marsch) vom 1. bis 7. September, von Straßburg nach Mannheim auf.
Bei der Stadtverwaltung Kehl wurde für den Zeitraum von Samstag, 1. September 2012, bis Freitag, 7. September 2012 unter dem Motto „Anerkennung der Identität des kurdischen Volkes“ eine Versammlung in sieben Etappen von Straßburg nach Mannheim angemeldet. Für alle Etappen war die Stadtverwaltung Kehl zuständige Versammlungsbehörde. Die jeweils örtlich zuständigen Versammlungsbehörden und Polizeidienststellen waren im Vorfeld und während der Etappen beratend (z.B. Mitwirkung an der Aufzugsstrecke) eingebunden.3
Bereits im April 2012 hatte ein Marsch von Mannheim nach Straßburg stattgefunden. Die angemeldete Marschstrecke sollte dieselbe sein. Der vom Polizeipräsidium Mannheim zu betreuende Streckenabschnitt wurde unter Sicherheitsaspekten aufgeklärt und es erfolgte ein in Teilen abweichender Vorschlag an die Mannheimer Versammlungsbehörde für den aus polizeilicher Sicht gefahrlosesten Marschweg zur Übermittlung an die zuständige Behörde in Kehl.
Die endgültige Kräfteplanung für die Schlussetappe des Aufzuges und das Kulturfestival auf dem Maimarktgelände wurde auf den letztmöglichen Zeitpunkt hinausgeschoben, um noch die aktuellsten Lageinformationen zu den erwähnten Spannungen im Osten der Türkei und deren Auswirkungen auf diesen Anlass in die Planungen einfließen lassen zu können.
Die unweit des Rheins gelegene Rhein-Neckar-Kreis-Gemeinde Brühl mit etwas mehr als 14.000 Einwohnern war der erste Etappenort des Langen Marsches im Zuständigkeitsbereich des PP Mannheim.
Die Übernahme des Aufzuges am Ortsrand und die Wegführung durch den Ort, abseits von klassifizierten Straßen bis zum Mannheimer Stadtteil Rheinau erschien unproblematisch.
Der Ziel- und Quellverkehr innerorts von Brühl entlang der Marschstrecke würde zwar kurzfristig ins Stocken geraten und zu Verkehrsstörungen führen, die aber für Ortskundige umfahrbar sind.
In Rheinau, wie auch dem angrenzenden Wohngebiet Hochstätt wohnt jedoch eine Vielzahl türkischer Mitbürger. Hier waren Konfrontationen mit nationalistisch eingestellten türkischen Anwohnern möglich.
Der Rest der Marschstrecke bis zum Zielpunkt „Maimarktgelände“ führte durch unbewohntes Gebiet.
Das angemietete Maimarktgelände beherbergt die jährlich stattfindende Regionalmesse gleichen Namens und wird für Großveranstaltungen aller Art vermietet.
Das Gelände liegt verkehrsgünstig am Ostrand Mannheims, flankiert an der Südseite durch die Bundesautobahn A 656 und an der Westseite durch die vierspurige Bundesstraße B 38a.
Es besteht eine direkte Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) durch Straßenbahn und Busse. Der südlich gelegene S-Bahn-Haltepunkt ist etwa 1 km entfernt.
Südlich der BAB A656 liegt die SAP-Arena mit der für Ligaspiele im Eishockey und im Handball geschaffenen Verkehrsinfrastruktur:
So gibt es Parkraum für bis zu 14.000 PKW. Busse reduzieren die Kapazität allerdings erheblich, da nur teilweise hinreichend befestigter Untergrund auf den Parkflächen vorhanden ist.
Das Messegelände ist umzäunt und von der unteren Katastrophenschutzbehörde für etwas mehr als 70.000 Besucher zugelassen. Rund um das Gelände führt ein asphaltierter Versorgungsweg, welcher bei Großveranstaltungen gleichzeitig als Rettungsnotweg dient.
Kritische Massenphänomene können sich an zwei Punkten ergeben. Der Großparkplatz P20 wird durch die Bundesstraße B38a vom Veranstaltungsgelände abgetrennt. Besucher gelangen ausschließlich über eine etwa fünf Meter breite Fußgängerbrücke zum Haupteingang des Messegeländes und zurück.
Bei Großveranstaltungen mit festgelegtem Ende, wie beispielsweise Open Air Konzerten, stauen sich an der Ostseite der Brücke, gegenüber dem Haupteingang, die Parkplatznutzer. Mit diesen Fußgängerströmen mischen sich die Nutzer des ÖPNV, da die Straßenbahn- und Bushaltestelle direkt südlich dieser Traverse angrenzt.
Dasselbe Phänomen ergibt sich am Haupteingang beim Abströmen der Zuschauer, da dort eine bauliche Verengung besteht und sich das Tor nicht komplett, sondern nur durch mehrere Flügeltüren öffnen lässt.
Störungen von außen lassen sich durch die günstige Lage taktisch einfach bewältigen.
Die Planungen für die jeweilige Etappe gingen alle beteiligten Polizeidienststellen zunächst verhalten an. Als Polizeiführer hatte ich zunächst die Absicht, den verantwortlichen Zugführer des Einsatzzuges Mannheim mit der Begleitung zu betrauen.
Als es jedoch gleich nach dem Grenzübertritt auf der zweiten Etappe von Kehl nach Rheinau-Freistett zu ersten Provokationen und Straftaten durch die Marschteilnehmer kam, entschloss ich mich, die Etappe auf Mannheimer Zuständigkeitsgebiet selbst zu führen. An allen Etappen nahmen zwischen 100 und 175 Personen teil. Aufgrund einer in Teilen aufgeheizten Stimmung kam es, insbesondere beim Aufeinandertreffen mit türkischen Staatsangehörigen, zu aggressiven Reaktionen bis hin zu körperlichen Übergriffen.6
Ich hielt ein Kräfte- / Störer Verhältnis von annähernd 1:1 und damit ein Kräftevolumen von drei Zügen für angemessen und ausreichend, um zu erwartende, vereinzelte Störungen beseitigen zu können.
Die Informationslage für die Erstellung einer fundierten Gefahrenprognose hinsichtlich potenziellem Störer Verhalten war dünn und wenig aussagekräftig. So fasste ich für den Veranstaltungstag des Kulturfestivals den Entschluss, den Einsatz in zwei Zeitphasen mit einem Überlappungszeitraum durchzuführen, für welchen ich mir eine Reserve vorhalten würde.
Es waren Formalverstöße gegen Bestimmungen des Vereinsgesetzes zu erwarten und darüber hinaus bei Konfrontationen einzelne Körperverletzungsdelikte oder vereinzelte Widerstandshandlungen. Der Legalitätspflicht wollte ich, in enger Absprache mit der für Verstöße gegen das Vereinsgesetz zuständigen Staatsanwaltschaft Karlsruhe, durch räumlich vom Haupteingang des Maimarktgeländes abgesetzte Strafverfolgungsmaßnahmen in der Anmarschphase genügen.
Aufgrund der beschriebenen latenten Spannungen und der Gefahr gewalttätiger Aktionen durch emotionalisierte Jugendliche entschied ich mich zu einer defensiven, deeskalierenden Einsatztaktik.
Nach Beginn der Veranstaltung und einem absehbar friedlichen Verlauf wollte ich den Einsatz mit schwächeren Kräften in der Zeitphase II beenden.
Kapitel 2
Mit dem Ansinnen „Anerkennung der Identität des kurdischen Volkes – Freiheit für Öcalan“ marschierten nun seit dem 1. September 2012 bis zu 150 kurdische Demonstranten in Tagesetappen von Straßburg kommend auf Mannheim zu. Das Eintreffen des Aufzuges in unserem Zuständigkeitsgebiet war im Verlauf des Freitags, dem 7. September zu erwarten.
Es handelte sich zwar um das letzte Schulferienwochenende in Baden-Württemberg. Durch das von der FIFA international festgelegte WM-Qualifikationswochenende fanden jedoch glücklicherweise keine größeren Fußballeinsätze im Land statt, sodass für den Sondereinsatz alle angefragten Kräfte unterstellt wurden.
Die am 7. September morgens eingesetzte Hundertschaft musste aus arbeitszeitrechtlichen Verpflichtungen um 13.30 Uhr, exakt dem Zeitpunkt des Eintreffens des Aufzuges am Übergabeort in Brühl, entlassen werden, da sie für den Folgetag bereits wieder für die Zeitphase I des Einsatzes, ab sieben Uhr morgens, beim Kulturfestival eingeplant war.
Der Einsatzzug der PD Heidelberg war am Vormittag, im Bereich der benachbarten Polizeidirektion Heidelberg, im Raumschutz eingesetzt.
Nach Ankunft im Zuständigkeitsbereich des PP Mannheim auf der Gemarkung Brühl legten die Marschteilnehmer erst einmal eine halbstündige Rast ein.