Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
2. Auflage 2008
Dokumentation Band 31
Umschlagbild: typeandsound / photocase.de
© Milena Verlag 2007
A-1080 Wien, Lange Gasse 51/10
www.milena-verlag.at
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
eISBN 978-3-85286-142-X
DEN MÄDCHEN UND JUNGEN FRAUEN
IN GRÖßTEM RESPEKT UND WERTSCHÄTZUNG
Beate Wimmer- Puchinger: Vorwort
Motivation
Einführung
Die Studie
I.Lebenswelt Strich
1. Aspekte der Lebenssituation
2. Hard Facts
3. Die Freier
4. Partner oder Zuhälter?
5. »… meine Seele ist schon fast tot …«
6. Doppelleben
7. Schwangerschaften und eigene Kinder
8. Tipps und Ratschläge für den alltäglichen Überlebenskampf
II.Das Leben vor dem Strich
1. Babsi
2. Mercedes
3. Carina
4. Jenny
5. Stella
6. Janina
7. Rita
8. Nicole
9. Sarah
10. Andrea
III.Gründe und Ursachen
IV.Einstiegsszenarien
V.Überlebenswille – »… ich bin ein Stehaufmandl …«
VI.Wünsche, Träume, Hoffnungen
VII.Resümee
Danksagungen
Literaturverzeichnis
Dieses Buch appelliert mit Vehemenz an unser aller Verantwortung, junge Mädchen, die als ihren letzen Ausweg den »Baby Strich« ansehen, nicht im Stich zu lassen. Die Autorinnen machen mit ihrer Untersuchung transparent, dass die betroffenen jungen Frauen auf ein einsames, von frühester Kindheit an sich selbst überlassenes Leben ohne Liebe, Unterstützung und Fürsorge zurückblicken, das überdies von Gewalt, Verrat, sexuellem Missbrauch und tiefer Enttäuschung erfüllt ist!
Das Buch straft all jene Lügen, die Mädchen, die sich prostituieren, diskriminieren, verachten und kriminalisieren, anstatt zu fragen und zu verstehen. Wie verletzend und hoffnungslos muss ein Leben sein, dass Mädchen auf den »Baby Strich« und in eine Existenz der Illegalität – schutzlos ausgeliefert der Macht der Zuhälter und Freier – führt?
Die Autorinnen haben mit größter Empathie, Engagement und wissenschaftlicher Seriosität den Mädchen eine Stimme, und uns somit einen wertvollen Schlüssel zum besseren Verständnis gegeben.
Das vorliegende Buch rüttelt auf und macht betroffen.
Ich möchte den Autorinnen zu ihrem engagierten Buch gratulieren und ihnen danken, dieses Thema, zu dem es bislang wenig wissenschaftliche Untersuchungen und Publikationen gibt, mit aller gebotenen Objektivität und Verständnis aufgegriffen zu haben.
a.o. Univ. Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
Wiener Frauengesundheitsbeauftragte
Die Idee für die Durchführung einer Studie über weibliche, jugendliche Prostituierte entstand während unseres Praktikums in Hamburg. Wir absolvierten im Rahmen unserer Ausbildung an der Fachhochschule St. Pölten zur Magistra für sozialwissenschaftliche Berufe unser viermonatiges Langzeitpraktikum in verschiedenen sozialen Institutionen. Durch die praktische Tätigkeit im Bereich von Vereinen für Prostituierte, der Mitarbeit an einem bundesdeutschen Forschungsprojekt1 und der Teilnahme an Streetwork, Beratungsgesprächen sowie Kreativangeboten mit und für SexarbeiterInnen im Rahmen dieses Praktikums, gewannen wir erstmals in die Situation von weiblichen, jugendlichen Prostituierten Einblick. Unser Interesse verstärkte sich auch dadurch, dass wir in Hamburg in einem Stadtteil wohnten, in dem vorwiegend minderjährige Mädchen illegal der Prostitution nachgehen – womit wir dann auch unmittelbar konfrontiert waren.
Im Zuge dieses Praktikums und aufgrund der direkten Kontakte mit minderjährigen Prostituierten stellte sich für uns die Frage, was diese jungen Mädchen dazu gebracht hat, sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Diese Fragestellung bildete wiederum den Ansatzpunktpunkt dafür, die Situation sich prostituierender Mädchen in Wien zu erheben und zu untersuchen, welche Hilfsangebote existieren. Die anschließende Studie, die wir im Rahmen unserer Diplomarbeiten erstellten, machte es uns möglich, genau diese Aspekte zu untersuchen und Antworten zu erhalten.
Wir hoffen mit diesem Buch dazu beizutragen, dass die Existenz und die Situation dieser Mädchen und jungen Frauen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und darüber hinaus eine Sensibilisierung für diese Thematik stattfindet. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, wie notwendig die Implementierung eines Hilfsangebotes für diese Mädchen ist.
1»Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland« – nationale Repräsentativuntersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland, durchgeführt von der Universität Bielefeld 2002–2004
Mädchen und junge Frauen, die sich prostituieren, haben in ihrer Vergangenheit eine Vielzahl von traumatisierenden und enttäuschenden Erfahrungen gemacht. Sie wurden Opfer sexualisierter Gewalt, von körperlichen Misshandlungen und psychischen Verletzungen, die sie vor allem im Familienkreis erlebten. Das Klima in ihren Familien war und ist von der Alkohol- und Drogenabhängigkeit der Eltern und ihren ambivalenten, unberechenbaren Verhaltensweisen, die durch die Sucht hervorgerufen werden, geprägt. Die Mädchen erfahren nicht die Liebe, Zuwendung und Geborgenheit die sie brauchen, um Vertrauen, Selbstwertgefühl und eine gefestigte Persönlichkeit zu entwickeln. Gewalttätigkeiten und Desinteresse prägen ihre Kindheit und Jugend. In der Beziehung zu ihren Eltern konnte und kann kaum Kontinuität und Sicherheit entstehen, weshalb auch ihre Beziehungsfähigkeit stark beeinträchtigt ist. Die jungen Prostituierten kommen aus allen Schichten der Gesellschaft – sowohl aus reichen, gut situierten Elternhäusern als auch aus finanziell schwachen Familien, wobei der überwiegende Anteil in sozial ungünstigen Verhältnissen aufwächst. Viele haben eine unzureichende Schulbildung und Probleme damit, eine Lehr- bzw. Arbeitsstelle zu finden.
Ihre Biographien werden oftmals von konfliktreichen Familienkonstellationen bestimmt, die aufgrund von Todesfällen, Scheidungen und neuen PartnerInnenschaften der Eltern entstanden sind und tendenziell dazu führen, dass sie sich nicht ausreichend wahrgenommen bzw. verlassen fühlen.
Viele Mütter vermitteln ihren Töchtern auch ein Frauenbild, in dem der Wert von Frauen ausschließlich über Männer definiert wird und eigene Bedürfnisse keine Existenzberechtigung haben. Die Mädchen werden auch mit den ständig wechselnden Sexualpartnern ihrer Mütter und der Erfahrung, im Zuge dessen kaum mehr beachtet zu werden, konfrontiert. Einige bekommen auch mit, dass ihre Mütter selbst auf den Strich gehen bzw. gegangen sind.
Die Mädchen und jungen Frauen versuchen aufgrund all dieser Erfahrungen, aus der für sie untragbaren familiären Situation zu flüchten und sich den elterlichen Zugriffsmöglichkeiten zu entziehen. Sie machen Erfahrungen mit Unterbringungen in sozialpädagogischen Einrichtungen, von denen sie aber auch wieder ausreißen und die Straße als neues Zuhause bzw. als ihren Lebensmittelpunkt wählen. Viele beginnen Suchtmittel zu konsumieren und versuchen auf diese Weise, ihre Probleme aushalten oder sie vergessen zu können. Diese gesamte Dynamik wird verstärkt durch die in der Pubertät ohnehin vorhandene Bereitschaft, Risiken einzugehen und Grenzen zu überschreiten.
Die Einstiegsszenarien in die Prostitution stellen sich vielfältig dar – die Mädchen werden von FreundInnen verleitet, von einer finanziellen Notlage dazu gezwungen oder sie suchen nach Aufmerksamkeit, die sie sonst nirgends erhalten. Bei vielen jungen Prostituierten entsteht die Drogensucht erst nach dem Einstieg in die Prostitution. Sie betäuben sich, um ihre Tätigkeit erträglich zu machen und Gefühle von Erniedrigung und Minderwertigkeit, die beim Bedienen eines Freiers hochkommen, möglichst im Keim zu ersticken. Der rote Faden der Gewalt, der sich durch das Leben dieser Mädchen und jungen Frauen zieht, findet auch auf dem Strich seine Fortsetzung, denn sie sind immer wieder gewalttätigen Übergriffen von Freiern ausgesetzt. Ihr Alltag ist von unsicheren Wohnverhältnissen, vom Druck der Drogenbeschaffung sowie – aufgrund ihres meist illegalen Status – von der Flucht vor der Polizei geprägt. Hilfe von Erwachsenen oder Institutionen wollen sie kaum in Anspruch nehmen, da sie ausnahmslos die Erfahrung machten, niemandem vertrauen zu können und ohnehin nur enttäuscht zu werden. Sie ziehen es vor, sich in selbst gewählte Abhängigkeitsbeziehungen zu begeben anstatt in jenes Umfeld zurückzukehren, aus dem sie geflüchtet sind.
Ihre Lebensbedingungen und die Prostitutionstätigkeit haben massive Auswirkungen auf ihren psychischen und physischen Gesundheitszustand. Sie stehen stundenlang bei jeder Witterung auf dem Strich und laufen außerdem ständig Gefahr, sich mit Infektions- bzw. Geschlechtskrankheiten zu infizieren, da sie Safer Use- und Safer Sex-Regeln oft nicht einhalten. Ihre seelische Verfassung ist massiv beeinträchtigt durch die traumatischen Erlebnisse ihrer Kindheit, die Auswirkungen ihrer Suchtmittelabhängigkeit, aber auch dadurch, dass sie häufig abwertenden und gehässigen Reaktionen ihrer Umwelt ausgesetzt sind und sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Viele der Mädchen haben wenig soziale Kontakte außerhalb des Milieus.
Laut Schätzungen des STD Ambulatoriums der Stadt Wien – dem Ambulatorium zur Diagnose und Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten – gibt es ca. 200 Mädchen unter 18 Jahren, die in Wien der Prostitution nachgehen. Die Anbahnung findet hauptsächlich im 2. Bezirk im Stuwerviertel – in der Bevölkerung auch als »Babystrich« bekannt – sowie im 15. Bezirk im Bereich äußere Mariahilferstraße statt. Die Mädchen stehen auf der Straße und warten auf Freier, die meist sehr auffällig in ihren Autos durch die Gassen kreisen. In beiden Bezirken kommt es aus diesem Grund immer wieder zu Beschwerden und Initiativen von AnrainerInnen, denn hinzu kommt, dass die Freier häufig unbeteiligte Passantinnen ansprechen und belästigen.
Die Ausübung der Prostitution von minderjährigen Personen ist laut Wiener Prostitutionsgesetz2 verboten. Wenn diese gegen das Gesetz verstoßen, begehen sie eine Verwaltungsübertretung3 und werden zu einer Geldstrafe bzw. bei Uneinbringlichkeit zur Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Freier, die mit Minderjährigen sexuelle Handlungen vollziehen, müssen nach der österreichischen Gesetzeslage strafrechtlich verfolgt werden – doch dies ist in der Praxis kaum der Fall. Laut Strafgesetzbuch4 gilt es als sexueller Missbrauch von Jugendlichen, wenn man unter 18-Jährige durch ein Entgelt zu geschlechtlichen Handlungen verleitet. Die Beweisbarkeit stellt sich im Einzelfall als äußerst schwierig dar, denn die Freier behaupten meist, nichts von der Minderjährigkeit der Prostituierten gewusst zu haben5. Die Hauptproblematik ist der Nachweis, dass sich Freier vorsätzlich junge Mädchen suchen.
Die rechtliche Situation führt dazu, dass die jungen Mädchen einen illegalen Status haben, zu Täterinnen gemacht werden – ihre Freier jedoch meist ungestraft davonkommen.
Um legal der Prostitution nachgehen zu können, müssen Prostituierte volljährig sein und sich bei der Polizei registrieren lassen. Sie erhalten dann im STD Ambulatorium der Stadt Wien eine Kontrollkarte, auch »Deckel« genannt, für die Voraussetzung ist, dass sie keine Geschlechtskrankheiten bzw. kein HIV/AIDS haben. Die Frauen müssen in einwöchigen Abständen eine medizinische Untersuchung im Ambulatorium durchführen und ihren Gesundheitszustand überprüfen lassen, um die Kontrollkarte zu behalten.6 Viele Mädchen und jungen Frauen beantragen die Kontrollkarte nicht und gehen auch wenn sie das 18. Lebensjahr erreicht haben, weiterhin illegal der Prostitution nach. Die Gründe dafür stellen vor allem die Folgen der Registrierung dar. Registrierte Prostituierte gelten seit 1998 als »selbstständig Erwerbstätige«, müssen sich beim Finanzamt eine Steuernummer lösen und Einkommenssteuer zahlen. Außerdem muss eine Meldung bei der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft erfolgen. Diese Gegebenheiten und der bürokratische Aufwand, der damit verbunden ist, schrecken die Mädchen ab und zudem sehen sich die wenigsten selbst als professionelle Prostituierte. Eine große Hemmschwelle stellen auch die ärztlichen Untersuchungen dar, denen sie sich in regelmäßigen Abständen unterziehen müssen. Den Pflichten, die mit einer Registrierung verbunden sind, stehen außerdem wenig Rechte gegenüber, denn Prostituierte verfügen über keine umfassende soziale Absicherung bzw. gelten für sie so gut wie keine arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen.
In Österreich gibt es bisher kaum Literatur bzw. wissenschaftliche Studien zum Thema Mädchenprostitution. Dieses Buch basiert auf den Ergebnissen der empirischen Erhebung, die wir im Rahmen unserer Diplomarbeiten durchgeführt haben und bietet nun erstmals Einblick in die Biographien sowie in die derzeitige Lebenssituation der betroffenen Mädchen und jungen Frauen in Wien. Es macht sichtbar, wie notwendig ein spezifisches Unterstützungsangebot für diese Zielgruppe ist.
2§ 3 Verbotsbestimmungen
3Dies gilt allerdings nicht für unmündige Personen (unter 14-Jährige)
4§ 207 b (3) Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
5Laut Aussagen von Wiener KRIPO-Beamten
6§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz über die gesundheitliche Überwachung von Personen, die der Prostitution nachgehen
Die Studie »Prostitution weiblicher Jugendlicher in Wien« wurde im Rahmen unserer Diplomarbeiten in der Zeit von Jänner 2003 bis Juni 2004 in Wien durchgeführt. Im Mittelpunkt dieser empirischen Erhebung standen drei Forschungsfragen, die auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgerichtet waren. Zum einen wurden die Beweggründe und Ursachen erforscht, die Jugendliche in die Prostitution führen. Ziel war es, herauszufinden, was im Leben dieser Mädchen vorgefallen ist, worin die Gründe für die Prostitution liegen könnten. Hierbei wurden Kindheit, Familie und Jugend fokussiert. Die zweite Forschungsfrage befasste sich mit der aktuellen Lebenssituation der jungen Prostituierten. In diesem Kontext wurden die Mädchen zu den unterschiedlichsten Bereichen ihrer Lebenswelt bzw. zu Themen wie beispielsweise Erfahrungen im Milieu, Gesundheits- bzw. Risikoverhalten und soziale Beziehungen befragt. Somit konnte eine wirklichkeitsgetreue, umfassende Darstellung der Lebenssituationen erarbeitet werden. Die dritte Fragestellung bezog sich auf Unterstützungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe und auf die Überlegung, wie ein adäquates Hilfsangebot aussehen könnte. Die Erfassung der Bedürfnisse und Wünsche der Mädchen hinsichtlich eines solchen Hilfsangebots standen hier im Vordergrund. Neben diesen drei Hauptfragestellungen waren im Sinn eines offenen Forschungsprozesses die von den Befragten selbst eingebrachten Themen von zentraler Bedeutung.
Die Zielgruppe der Untersuchung stellten Mädchen und junge Frauen dar, die vor der Vollendung des 18. Lebensjahres mit der Prostitution begonnen haben und zum Zeitpunkt der Erhebung nicht älter als 25 Jahre alt waren. Der Schwerpunkt der Befragung lag bei österreichischen Staatsbürgerinnen, die keine Kontrollkarte besitzen und somit als Geheimprostituierte definiert werden. Weiters wurden bis auf wenige Ausnahmen Frauen befragt, die auf dem Straßenstrich tätig sind.
Um eine geringere Komplexität und vor allem eine Eingrenzung des Untersuchungsfeldes zu erzielen, wurde bewusst auf die Analyse der Gruppe von sich prostituierenden Migrantinnen/Asylantinnen sowie auf die Miteinbeziehung der Thematik Frauen- bzw. Menschenhandel verzichtet. Weiters wurde in dieser Studie auch Beschaffungsprostitution nicht als gesonderter Bereich untersucht, da die Annahme, dass Drogenkonsum und Prostitution in Wechselwirkung zu einander stehen, den Ausgangspunkt darstellte. In Folge dessen war der Fokus nicht auf drogenkonsumierende, junge Prostituierte gerichtet.
Bis auf zwei Ausnahmen gingen alle Befragten zum Zeitpunkt der Erhebung der Prostitution nach. Ein Mädchen berichtete im Zuge des Interviews, dass sie seit acht Monaten nicht mehr auf den Strich geht, ein anderes machte keine konkrete Angabe dazu. Da viele der jungen Prostituierten früher schon versucht haben auszusteigen, ihnen dies aber nur für kurze Zeit gelungen ist, kann auch bei diesen beiden Mädchen nicht mit Sicherheit angenommen werden, dass es sich bei ihnen um einen endgültigen Ausstieg handelt. Fast keine der befragten Frauen deklariert sich selbst als Prostituierte. Sie sehen ihre Tätigkeit vordergründig als Notwendigkeit für eine gewisse Zeitspanne an und haben kaum professionellen Zugang zur Prostitution.
Die Studie wurde in Kooperation mit dem STD Ambulatorium der Magistratsabteilung 15 in Wien durchgeführt. Die Magistratsabteilung 57 – Frauenbüro der Stadt Wien und die Fachhochschule St. Pölten leisteten finanzielle Unterstützung, um die Realisierung der Studie zu sichern. Als Projektträger der Studie fungierte der Verein SOZAKTIV, dessen Ziel es u.a. ist, Projekte der Sozialarbeitswissenschaft zu fördern. Darüber hinaus unterstützten viele Personen und Einrichtungen aus dem In- und Ausland die Studie durch ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Kooperation.
Um Zugang zur Gruppe der weiblichen, jugendlichen Prostituierten zu finden, lag der erste Schritt darin, Informationen über diese Mädchen beim STD Ambulatorium der Stadt Wien, Magistratsabteilung 15 einzuholen. Frau Maga. (FH) Elisabeth Mayer unterstützte uns dabei herauszufinden, wo sich die Zielgruppe zur Ausübung der Prostitution überwiegend aufhält und wann die »Hauptgeschäftszeiten« sind. Da sich die Mädchen hauptsächlich im 15. Wiener Gemeindebezirk im Gebiet äußere Mariahilferstraße und im 2. Wiener Gemeindebezirk im Stuwerviertel prostituieren, wurden diese Gebiete aufgesucht, um erste Eindrücke von den Abläufen und Gegebenheiten am Straßenstrich zu gewinnen.
Die Kontaktaufnahme mit den Mädchen und jungen Frauen erfolgte einerseits durch persönliches Ansprechen auf der Straße oder anderseits durch telefonische Kontaktaufnahme von Seiten der Mädchen. In diversen niederschwelligen sozialen Einrichtungen des Vereins Wiener Sozialprojekte (Drogenberatungsstelle Ganslwirt, Stützpunkt Streetwork Karlsplatz, Mobile Anlaufstelle am Westbahnhof) sowie auch im STD Ambulatorium wurden Plakate aufgehängt, um auf diesem Weg Mädchen zu erreichen und für die Teilnahme an der Untersuchung zu gewinnen. Zum selben Zweck fand auch die Verteilung von »Visitenkarten« mit Informationen zur Studie an relevanten Orten – wie dem Stuwerviertel und dem 15. Wiener Gemeindebezirk, aber auch am Drogenszene-Treffpunkt Karlsplatz – statt. Um jederzeit für interessierte Mädchen erreichbar zu sein, wurde ein Wertkartenhandy erworben. Die Nummer dieses Handys wurde auf den Plakaten und Visitenkarten vermerkt bzw. auch per Mundpropaganda im Milieu weitergegeben.
Insgesamt wurden 25 Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren befragt. Die Studie hat einen explorativqualitativen Charakter und erhebt daher keinen Anspruch repräsentativ zu sein. Die Ergebnisse der Erhebung beziehen sich infolgedessen auf die von uns befragten jungen Frauen und stellen damit einen »Ausschnitt« der gesamten Zielgruppe dar.
Die Untersuchungsmethoden setzten sich aus einer Fragebogenerhebung, leitfadenzentrierten Interviews, ExpertInneninterviews sowie einem Literaturstudium zusammen. Die Fragebogenerhebung diente dazu, Grunddaten der Mädchen zu erfassen sowie einen ersten Eindruck von relevanten Themenbereichen zu gewinnen. Der Fragebogen war so konzipiert, dass die Mädchen ihn nicht selbst ausfüllen mussten, sondern die Antworten notiert wurden. Ein einfacher, zügiger Ablauf der Befragung wurde damit gesichert. Zudem hatten einige ExpertInnen im Vorfeld dieser Befragung Zweifel geäußert, dass alle Mädchen der Zielgruppe ausreichend gut schreiben und lesen können. Um die Eignung des Fragebogens zu überprüfen, wurden Pre-Tests mit sechs Prostituierten durchgeführt, die zu Änderungen im Fragebogendesign führten. Nach einigen Vereinfachungen wurden mit insgesamt 15 Mädchen und jungen Frauen der Fragebogen ausgefüllt.
Die zweite Forschungsphase erfolgte einige Wochen darauf mittels leitfadenzentrierten Interviews und wurde mit zehn jungen Frauen durchgeführt. Der Leitfaden für diese Interviews baute hauptsächlich auf den Ergebnissen der Fragebogenerhebung auf, wobei forschungsrelevante Fragen vertieft und ausgeweitet wurden. Es stand jedoch auch im Vordergrund, den Aussagen der Interviewpartnerinnen genug Platz und Authentizität einzuräumen. Aus diesem Grund wurde besonderes Augenmerk auf die Flexibilität der Fragestellungen gelegt, um sich aus dem Gespräch ergebende Themen aufnehmen und weiterzuverfolgen zu können. Die Interviews wurden mit einem Kassettenrecorder aufgenommen und anschließend transkribiert. Die Auswertung des gewonnenen Datenmaterials erfolgte durch die, an die Grounded Theory angelehnte Methode des thematischen Kodierens.
Die Fragebogenerhebung dauerte pro Befragung ungefähr 30 Minuten, die leitfadenzentrierten Interviews hingegen nahmen mindestens eine bis maximal drei Stunden in Anspruch. Es wurde darauf geachtet, die Mädchen mit den gestellten Fragen nicht zu überfordern bzw. sie nicht zu detailliert über traumatische Erlebnisse zu befragen, da eine eventuell notwendige Nachbetreuung im Rahmen dieses Projekts nicht gewährleistet werden konnte. Hinzu kam allerdings die Problematik, dass viele der Mädchen durch wiederholte Grenzüberschreitungserfahrungen ihre persönlichen Grenzen nicht mehr wahrnehmen und infolgedessen nicht spüren, wann Fragen zu aufwühlend werden. Aus diesem Grund wurde immer wieder ihr Einverständnis für heikle Fragen eingeholt und laufend nachgefragt, ob sie eine Pause benötigen.
Als Kostenersatz erhielten die befragten jungen Prostituierten 30 Euro für ihre Teilnahme an der Studie, da der Zeitaufwand für sie auch einen Verdienstentgang bedeutete. Es zeigte sich, dass diese 30 Euro einen großen Anreiz darstellten, ohne den einige der Mädchen und jungen Frauen wahrscheinlich nicht an der Erhebung teilgenommen hätten. Unsere Interviewpartnerinnen wurden auch zu Getränken und gelegentlich zu einem Imbiss eingeladen.
Die Interviews fanden an den unterschiedlichsten Orten statt. Manche Befragungen wurden in Kaffeehäusern und Gaststätten durchgeführt, manche in der Mobilen Anlaufstelle des Vereins Wiener Sozialprojekte am Westbahnhof und andere wiederum auf Parkbänken unter freiem Himmel. Obwohl die Interviews nicht immer unter den idealsten Bedingungen – d.h. nicht immer in einem angenehmen, ruhigen Umfeld – stattfanden, gelang es durchgängig, eine gute Verbindung zu den Jugendlichen aufzubauen. Es konnte eine vertrauensvolle und offene Gesprächsatmosphäre erzeugt werden, die nicht als selbstverständlich angesehen werden kann, denn gerade diese jungen Frauen haben viele enttäuschende Erfahrungen mit Menschen und Institutionen gemacht und neigen daher zu Misstrauen und Verschlossenheit. Außerdem befanden sich einige der Befragten noch in einer Entwicklungsphase, in der Erwachsene häufig als »Gegner« angesehen werden. Dass die Erhebung trotzdem reibungslos und sehr zufrieden stellend verlief, ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass wir Frauen sind und der Bezug zum eigenen Geschlecht immer noch besser ist als der zu Männern. Ein weiterer Vorteil war, dass der Altersunterschied zwischen uns und den Befragten selten groß war und so keine wesentliche, durch das Alter bedingte Kluft entstand.
Einige der – meist telefonisch – vereinbarten Termine wurden von den Mädchen nicht wahrgenommen und sie kamen nicht zu den abgemachten Treffpunkten. Manche von ihnen meldeten sich danach auch nicht mehr. Ihr Nichterscheinen kann u.a. darauf zurückzuführen sein, dass bei vielen Mädchen die Suchtmittelabhängigkeit ihren Tagesablauf bestimmt und sie es daher nur schwer schaffen, Termine einzuhalten.
Der gesamte Erhebungsprozess verlief sehr erfolgreich; zu allen Forschungsfragen wurde ausreichend Datenmaterial erhoben und die Antworten der interviewten Personen können als offen und ehrlich eingeschätzt werden. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass zweifelsohne unklar bleibt, inwieweit die Aussagen der Mädchen sozial »gefällige« Aspekte beinhalten. Es wurde in diesem Sinne davon ausgegangen, dass generell jede Befragung die Wirklichkeit nur in Ausschnitten erfasst und somit immer künstliche bzw. konstruierte Elemente beinhaltet. Eine reflektierende Haltung gegenüber den Aussagen der Mädchen und jungen Frauen ist aus diesem Grund unerlässlich.
Die befragte Zielgruppe bietet durch ihre Tätigkeit, ihren Lebenswandel und ihre Vorgeschichte eine große Angriffsfläche für moralische Diskussionen und verschafft auch zahlreiche Impulse für persönliche Reflexionen über Themen wie z.B. Sexualität oder Suchtverhalten. In diesem Kontext war eine respektvolle Haltung gegenüber den Mädchen und jungen Frauen besonders wichtig. Dies beinhaltet, dass wir ihnen mit einer offenen, wertschätzenden und akzeptierenden Einstellung begegneten und versuchten, ihre Erzählungen immer von einem ganzheitlichen Standpunkt bzw. unter Einbeziehung der jeweiligen komplexen Lebenszusammenhänge, zu verstehen.
Im Lauf der Gespräche mit den jungen Prostituierten wurde deutlich, dass es im Leben jedes Mädchen bzw. jeder Frau zu Umständen und Situationen kommen kann, die in die Prostitution führen. Wir betrachten die Mädchen daher nicht als Menschen mit einem uns völlig unverständlichen bzw. fremden Leben.
Neben der Fragebogenerhebung und den Leitfadeninterviews stellten die ExpertInneninterviews den dritten großen Teil der Studie dar. Es wurden Fachleute kontaktiert, die mit der Zielgruppe in Wien in Berührung kommen und mit den Mädchen – wenn auch in einem anderen Kontext als der Prostitution – arbeiten (z.B. ExpertInnen aus diversen Drogen- und Streetwork-Einrichtungen, aus dem Fremdunterbringungsbereich der Magistratsabteilung 11 und aus dem Gesundheitssektor). Weiters wurden Gespräche mit zuständigen Kriminalbeamten des 2. und 15. Wiener Gemeindebezirks sowie von der Kriminaldirektion 1 geführt. Im Zuge dessen fand auch die Teilnahme an abendlichen Kontrollfahrten statt, um die Prostitutionsszene von einer anderen Seite kennen zu lernen und von den Erfahrungsberichten der Kriminalbeamten zu profitieren. Einen weiteren Schwerpunkt stellte die Befragung von ExpertInnen in Hamburg dar, da es u.a. in dieser Stadt spezielle Einrichtungen für weibliche, jugendliche Prostituierte gibt. Die ExpertInneninterviews wurden ebenso auf Kassettenrecorder aufgenommen und teilweise transkribiert.
Die Suche nach relevanter deutschsprachiger Literatur gestaltete sich schwierig, da es zum Thema Jugendprostitution kaum wissenschaftliches Material gibt. Als Basis diente daher die lebensweltorientierte Literatur von Isabell Tiede7 und Susan Millhagen8, die sich mit dem Phänomen der Jugendprostitution in Hamburg beschäftigt haben.
7Isabell Tiede war 10 Jahre lang Leiterin des Café Sperrgebiets, einer Anlauf- und Beratungsstelle für junge Prostituierte in Hamburg
8Freie Journalistin und Autorin, die anhand von Analysen sowie Erfahrungsberichten die Jugendprostitution in Hamburg untersuchte
Um die Anonymität der befragten Mädchen sicherzustellen, wurden Angaben, die Rückschlüsse auf ihre Person zulassen könnten, geändert.
Der Gesundheitszustand der meisten Mädchen und jungen Frauen ist durch ihre Lebensumstände stark beeinträchtigt; viele berichten über Beschwerden oder Krankheiten, nur wenige fühlen sich körperlich gesund. Eine Expertin berichtet über ihre Beobachtungen in diesem Kontext: »Der psychische und physische Zustand der sich prostituierenden Mädchen ist total unterschiedlich aus meiner Sicht, die Bandbreite ist von total ungepflegt, verwahrlost, unattraktiv bis hin zu sehr gepflegt und gestylt.«
Die Arbeitsbedingungen auf dem Strich bergen zahlreiche Risiken für die Gesundheit, denn die Mädchen stehen zu jeder Jahres- und Tageszeit auf der Straße – ihre Tätigkeit lässt sich als Schwerstarbeit bezeichnen. Stundenlanges Warten an kalten, zugigen Ecken ohne die entsprechende Kleidung kann zu chronischen Unterleibserkrankungen wie Blasenentzündungen, Eierstock- und Gebärmutterinfektionen führen.9 Diese Arbeitsbedingungen tragen dazu bei, dass sich die Mädchen und jungen Frauen ausgelaugt fühlen. Babsi, die seit Jahren nahezu ohne Unterbrechung der Prostitution nachgeht, berichtet: »Ich fühl mich eigentlich die ganze Zeit müde … aber sonst … krank fühl ich mich nicht, aber eben dauernd erschöpft … weil du bist ja doch 13 oder 14 Stunden am Tag unterwegs und kommst nie zu Ruhe … ich bin teilweise extrem … ich steh voll neben mir … ich kann mich teilweise an Sachen, die noch überhaupt nicht lang her sind, nimmer erinnern … dann erinner ich mich wieder an Sachen, die ewig her sind … alles total durcheinander im Kopf … wie wenn du deppert wirst … es hört sich jetzt komisch an, aber es is so … es ist eine totale Verwirrung … da erinnerst dich an Sachen, da warst so klein und das was du gestern gmacht hast, is weg … so gehts mir ur oft … alles is weg … woher das kommt weiß ich nicht … ich schätz einmal das ist eine Konzentrationsschwäche oder so.«
Andreas Gesundheitszustand ist vor allem aufgrund ihrer Drogensucht sehr angeschlagen. Sie beschreibt ihr momentanes Körpergefühl als »… so schlapp, so fertig.« Die meisten jungen Prostituierten konsumieren Suchtmittel – vorwiegend Substanzen wie Heroin, Kokain und Benzodiazepine. Mercedes erzählt über ihr Konsumverhalten: Rita konsumiert seit zwei Jahren Heroin: Ritas Freundin Nicole berichtet: