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Zu diesem Buch

Wer Hühner hält, hat Freude an der Herde: Vom Krähen des Hahnes bei Anbruch des Tages, der Versorgung der Tiere mit Wasser und Futter, und – über den Tag verteilt – mit Salat und frischem Gemüse, und insbesondere bei der Kükenaufzucht auch mit Getreidekeimlingen.

Wo heute noch ein gepflegter Rasen ums Haus gerade mal zum wöchentlichen Mähen veranlasst, kann schon bald ein kleines Hühnerhaus stehen und die ganze Familie zum Beobachten und Staunen einladen: Schritt für Schritt sich vertraut machen mit den täglichen Gewohnheiten der Hühner, ihrem Bedarf nach regelmäßigem Auslauf zur Futtersuche und -aufnahme und den Bedürfnissen nach freier Bewegung – dem Gehen, Laufen und Flügelschlagen.

Ganz besonders interessiert uns als Hühnerhalter die Orientierung der Hennen in den Morgenstunden zum Nest; ihre Inspektion des-selben, das geschickte Aufnehmen der Nesteinstreu mit dem Schnabel, das Verweilen auf dem Nest, der Moment der Eiablage und die Nachruhe auf dem Gelege. Anschließend geht die Henne wieder zur Herde zurück.

Wenn wir gegen Mittag in die Nester schauen und die Eier einsammeln können, freuen wir uns über diese schönen Gebilde, die so gut in der Hand liegen. So werden wir unabhängig von den Eiern aus dem Supermarkt, deren Herkunft anonym ist. Werden in der Küche die Eier zum Backen oder für ein Spiegelei aufgeschlagen, können wir die Intensität der Eigelbfärbung wahrnehmen.

Möchten Sie mehr über das Verhalten der Hühner, ihre Lebensweise, Haltung, Fütterung und über die Bedürfnisse verschiedener Rassen wissen, so bietet das vorliegende Buch, gut bebildert, reichhaltige Informationen, schmökern Sie!

Artgerecht und natürlich gehaltene Hühner erleben macht Freude!

Ihr Prof. Dr. habil. Detlef W. Fölsch, Dr. habil. Prof. i. R.

Ehemaliger Leiter des heutigen Fachgebietes für Nutztierethologie und Tierhaltung am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel, Witzenhausen

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Vom Wild- zum Haushuhn

Der Weg der Hühner aus ihrem ursprünglichen Lebensraum in unsere Bauerngärten und in die industriellen Haltungsformen ist lang und an vielen Stellen wenig ruhmreich. Aufgrund der menschlichen Einflussnahme erreichen die Höhen und Tiefen der hühnereigenen Kulturgeschichte eine enorme Spannbreite, reichen von Anbetung bis Ausnutzung, vom einzeln wertvollen Statussymbol bis zur entwürdigten Massenkreatur. Gerade zu Beginn des Weges ist neben etlichen historischen Fakten vieles auch Mutmaßung und vieles wird immer ungewiss bleiben. Aber wie auch immer, einige der Stationen zwischen Wildnis und Legebatterie wollen wir Ihnen nicht vorenthalten.

Bevor wir nun die Hühner ein Stück weit auf ihrem Weg begleiten werden, eines noch vorab: Es gibt eine denkbar simple, aber wichtige und wundervolle, ja faszinierende Begebenheit, die wir uns immer wieder vor Augen halten können: Ein Huhn bleibt ein Huhn. Was auch immer der Mensch in der Vergangenheit mit ihm vorhatte oder heute noch mit ihm betreibt, egal, wie wir das Federvieh lieben oder malträtieren – sein Verhalten ist und bleibt im Wesentlichen ganz ursprünglich. Natürlich haben sich durch züchterische Bemühungen besonders die Leistungsfähigkeit und zum Teil auch das äußere Erscheinungsbild stark verändert. Außerdem bringt die Domestizierung Begleiterscheinungen wie ein vermindertes Fluchtverhalten mit sich, und bei den meisten Hochleistungshühnern ist mangels Erfordernis die Brutfähigkeit quasi in Vergessenheit geraten. Grundsätzlich jedoch ist das Verhaltensrepertoire eines Huhns heute noch genau das gleiche wie vor Tausenden von Jahren. Die allermeisten Verhaltensweisen sind einem Huhn angeboren und formen sich durch Reifung, Prägung und entsprechende Auseinandersetzung mit der Umwelt nach und nach aus – nur eben in der freien Natur in einer anderen Intensität als im Käfig.

Die Idee dieses Buches ist es also, genau diese typischen, Jahrtausende alten Verhaltensweisen des Huhns sowie seine Sinneswahrnehmungen näher zu beleuchten, um sie schließlich als Basis für eine hühnergerechte Haltung anwenden zu können.

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Mutter Huhn weiß, wo es sicher ist.

Die wilden (Kamm)hühner

Man kann davon ausgehen, dass die Vorfahren unserer Haushühner die wilden Kammhühner sind. Als Hauptausgangsform aus der Gattung der Kammhühner gilt das Bankiva-Huhn (Gallus gallus) mit seinen fünf Unterarten. Das Bankiva-Huhn stammt aus den gemäßigten und tropischen Klimazonen Asiens und lebt dort zum Teil auch heute noch. Sein ursprünglicher Lebensraum sind das Unterholz und der Waldrand, wo tagsüber Deckung und nachts erhöhte Aufbaummöglichkeiten vorhanden sind. Es ist ein relativ guter Flieger und kann kurze Strecken auch sehr schnell rennend bewältigen.

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© John Corder/WPA

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© John Corder/WPA
Wilde Kammhühner, Henne und Hahn.

Bei Sonnenaufgang und nachmittags vor Sonnenuntergang macht es sich auf Futtersuche, wobei seine Nahrung derjenigen von frei lebenden Haushühnern ähnlich ist. Die Hennen legen ein- bis zweimal jährlich 8 bis 12 Eier an einen meist bodennahen und dunklen, möglichst geheimen Nistplatz, der unter Büschen oder überhängenden Pflanzenteilen liegen kann. Gebrütet wird, wie auch bei unseren Haushühnern, 21 Tage. Der Tierverhaltensforscher Konrad Lorenz fand 1950 heraus, dass eine Bankiva-Henne etwaige andersfarbige Küken, die nicht eine bestimmte Zeichnung auf Oberkopf und Rücken aufweisen, tötet. Da ist unser Haushuhn allerdings unbedarfter: Unter Umständen schafft man es, ihm trotz der andersartigen Laute sogar Entenküken unterzumogeln. Während der Brutzeit besteht eine Bankiva-Herde aus einem Hahn mit etwa fünf Hennen unterschiedlichen Alters, außerhalb der Brutzeit bilden sich gemischte Herden mit einer sicherheitstechnisch günstigeren Größe von bis zu 50 Tieren. Das Bankiva-Huhn hat ungefähr das Format unserer Zwerghühner und ähnelt farblich dem heutigen Italienerhuhn.

Info

Kammhühner

Neben dem Bankiva-Huhn gehören das Lafayettehuhn und das Sonneratshuhn zu den wilden Kammhühnern. Letzteres ist als einziges silberfarben und seine Federn haben eine ungewöhnliche Feinstruktur. Als das schönste Wildhuhn gilt jedoch das Gabelschwanzhuhn. Der Hahn ist sehr farbenprächtig und hat zwei Schwanzfedern mehr. Charakteristisch ist auch sein halbrunder, ungezackter Kamm. Gabelschwanzhühner sind erst im zweiten Jahr fortpflanzungsfähig und leben, ganz im Gegensatz zu den polygamen Kollegen, in treuer Einehe.

Auf dem Weg in den Stall

Schon früh erkannten die Menschen, dass Hühner bestrebt sind, eine bestimmte Anzahl Eier in einem Nest zu sammeln und über längere Zeit immer neue Eier zu legen, wenn man sie regelmäßig aus dem Nest entnimmt. Doch zuallererst wurden die Wildhühner wohl eher gejagt statt gefangen gehalten und ihre Eier wurden einfach aus den Nestern gesammelt. Die spätere Domestizierung der Bankiva-Hühner gelang recht leicht, auch wegen ihrer im Vergleich zu anderen Vögeln eher beschränkten Flugfähigkeit. Solange Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind, ist ihre Anpassungsfähigkeit relativ hoch, sowohl trockenes als auch feuchtes Klima wird akzeptiert. Über den Anfangszeitpunkt der Haustierwerdung gehen die Einschätzungen stark auseinander, doch man kann davon ausgehen, dass die Vergesellschaftung des Wildhuhns mit dem Menschen von indischen und chinesischen Kulturen ausgehend schon viele Tausend Jahre vor Christi Geburt stattgefunden haben muss. Relativ einig sind sich die Wissenschaftler, dass schließlich um 1.500 v. Chr. die Hühner durch den Seehandel nach Ägypten gelangten. In Ägypten sollen 525 v. Chr. sogar schon Hühnereier künstlich ausgebrütet worden sein! Immer wieder wurden damals Wildhühner mit domestizierten Hühnern gekreuzt. Gegen 800 v. Chr. gelangten die Hühner in den Mittelmeerraum und über Italien dann ins restliche Europa und wurden zunächst vor allem in den Klostergärten gehalten. In den Dörfern und Städten des Mittelalters war die Hühnerhaltung schließlich weit verbreitet und erlangte auch wirtschaftliche Bedeutung. Während all der Jahre wurden die Hühner völlig extensiv gehalten, also unter Umständen, die ihrem natürlichen Lebensraum relativ ähnlich waren und ihnen das Ausleben ihres gesamten Verhaltensrepertoires ermöglichten. Sie liefen auf den Hofstellen frei herum, suchten sich bis auf kleine Zufütterungen ihr Futter selbst und schliefen auf Bäumen und in Scheunen. Ihre Eier legten sie irgendwo an ein geeignet erscheinendes Plätzchen. Fanden die Menschen das Gelege einmal nicht, wurde es ausgebrütet. Überzählige Tiere wurden geschlachtet. Viele Höfe und Bauernschaften lagen sehr isoliert, sodass es kaum zum Austausch genetischen Materials über größere Entfernungen kommen konnte. Auf diese Weise bildeten sich auf den „Hühnerinseln“ die vielen verschiedenen Landhuhnrassen heraus.

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Manchen Hühnern steht auch heutzutage der ganze Hof zur Verfügung.

Erst im 18./19. Jahrhundert begann man mit der intensiveren Haltung in Ställen und der gezielten Rassezucht. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass die alten Rassen für die neuen wirtschaftlichen Zwecke nicht viel taugten. Man importierte Mittelmeerrassen wie Leghorn, experimentierte mit Einkreuzungen asiatischer Rassen und erhielt auf diese Weise zahlreiche neue Rassen wie Barnevelder, Noord-Holland, Welsumer, New Hampshire und weitere mit hohem Nutzwert. Diese wurden allerdings in den später entstehenden Massentierhaltungen gegen noch leistungsstärkere Hybriden ausgetauscht, denn Industrie und (die meisten) Verbraucher wollen bis heute Einheitshühner und Einheitseier zum möglichst niedrigen Preis.

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Hereinspaziert!

Aus der Kulturgeschichte der Hühner: Oh, Hahn, du armes Wundertier …

Wie sich von Ausgrabungsfunden ableiten lässt, wurden viele der ersten domestizierten Hühner wohl weniger wegen des Fleisches und der Eier gehalten, sondern vor allem für die weithin populären Hahnenkämpfe. Bei einem Hahnenkampf geht es in hoch dotierten Wetten darum, welcher Hahn in einer Kampfarena den anderen zuerst besiegt. Der Kampf ist zu Ende, wenn das unterlegene Tier schwer verletzt oder tot ist. Damit dem Gegner schlimmere Wunden zugefügt werden können, werden dem Hahn zusätzliche scharfe Sporne an die Füße geklebt. Im Anschluss an den Kampf sind geselliges Beisammensein und Feiern üblich. Glücklicherweise ist der Hahnenkampf aufgrund seiner Grausamkeit heute in den meisten, doch leider nicht allen, Ländern verboten. Dort, wo er verboten ist, findet er jedoch oft illegal statt. Selbst in Frankreich ist der Hahnenkampf mit Berufung auf die lange Tradition an bestimmten Stätten heute noch zulässig. Befürworter dieses „Sports“ wehren sich gegen den Grausamkeitsvorwurf mit dem Argument, die heute übliche Massentierhaltung von Legehennen oder Masthähnen sei weitaus schlimmer. Was die Menge der leidenden Tiere angeht, mag das Argument zwar zutreffen, doch ist es wirklich eine angemessene Rechtfertigung? Auf Geflügelausstellungen sind Kampfhühner aufgrund ihres Aussehens auch ohne Kämpfe populär.

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Im Kampfdesign: Am linken Bein sieht man einen natürlichen Sporn, für Kämpfe werden weitere befestigt.

Die Liste dessen, was mit Hähnen sonst noch alles angestellt wurde und wird, ist lang. Eine weitere zweifelhafte Tradition ist z. B. die Mast von Kapaunen. Wird ein Hahn kastriert und bekommt zugleich Kamm und Bartlappen abgeschnitten, kann er später als Kapaun teuer verkauft werden. Wird er vor dem Eingriff betäubt, kann man noch von „Glück“ sprechen. Früher war gerade bei den Kapaunen auch das fürchterliche „Stopfen“ üblich, das man sonst von den Gänsen her kennt. Bis heute gilt Kapaun als Delikatesse und gehört wiederum in Frankreich, aber auch in Österreich und Italien, zur gängigen Praxis der Gourmets.

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© Birgit Wilhelm
Vom ruhigen Typ: Klassischer Vertreter einer Fleischrasse (Deutsches Lachshuhn).

Über Jahrhunderte waren Hähne in vielen Kulturen Opfer religiöser Kulthandlungen oder galten als heilig. Selbst Sokrates soll 399 v. Chr. vor seinem Vergiftungstod dem Gott Äskulap als Dank für seine frühere Genesung einen Hahn geopfert haben. Große Verehrung für den Hahn entspringt im Persien des 7. und 6. Jahrhunderts vor Christus den Schriften des Zarathustra. Hier ist der Hahn der Wächter des Guten gegen das Böse und, da er rufend den Tag begrüßt, zugleich Sinnbild des Lichts. Wegen seines auffallenden Balzverhaltens war der Hahn übrigens zeitweise auch ein attraktives Liebesgeschenk für junge Männer! Und auf jüdischen Hochzeiten war es lange Zeit üblich, dass das Brautpaar einen Hahn vorneweg trug. Die Hennen hingegen hatten die Ehre als Orakel römischer Heerführer zu dienen: Fraßen sie viel, war dies ein gutes Omen, fraßen sie wenig, drohte Böses. So war es dem Heerführer ein Leichtes, die Hennen vor der Weissagung ein wenig hungern zu lassen, wenn er doch den Soldaten zeigen wollte, dass die Zeichen für den anstehenden Feldzug günstig stünden …

Zu guter Letzt sei noch die Verwendung des Huhns als modisches Accessoire erwähnt, das Wohlstand verkündete und zum Prahlen nützlich war. Zu Zeiten großer Prachtgärten und Parks, in denen mit erlesenen Gästen zwischen exotischen Pflanzen und Liebeslauben gelustwandelt wurde, waren die Hühner und Hähne stets eine besondere Zierde – und je weiter gereist sie waren und je ungewöhnlicher ihre Erscheinung, umso besser …

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Sinnbild des Lichts: Krähend wird der Tag begrüßt.