image

image

Antonia Rados

Die Fronten sind überall

Antonia Rados

Die Fronten sind überall

Aus dem Alltag der Kriegsreportage

Herausgegeben von
Hannes Haas

Theodor-Herzl-Vorlesung

image

Copyright © 2009 by Antonia Rados
Copyright Deutsche Erstausgabe © 2009 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
2. Auflage 2013
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Michael Meller Literary Agency, München
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
eISBN 978-3-7117-5268-0
ISBN 978-3-85452-648-3

Informationen über das aktuelle Programm
des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

Antonia Rados, geboren 1953 in Klagenfurt, promovierte Politikwissenschaftlerin, arbeitete ab 1978 beim ORF als Redakteurin in der Außenpolitik. Eine ihrer ersten Reportagen führte sie in den Bürgerkrieg im Libanon. In den Jahren darauf berichtete sie aus verschiedenen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und aus Lateinamerika. Nach dem Kuwait-Krieg 1991 wurde sie mit der Romy ausgezeichnet. Später erhielt sie den Concordia-Preis für Menschenrechte. Ab 1991 arbeitete sie für die ARD, seit 1994 – mit einer kurzen Unterbrechung beim ZDF – für RTL und den Nachrichtensender NTV. Für ihre Berichterstattung über den Golfkrieg 2003 wurde sie mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Inhalt

Zum Autor

Hannes Haas

Zwischen Engagement und Distanz.
Die Kriegsreporterin Antonia Rados

Vorwort

Antonia Rados

Zwei Vorlesungen zur Poetik des Journalismus

(Januar 2009)

Was Krisen- und Kriegsjournalismus kann und was er nicht kann

Frage & Antwort

Die Arbeit des Kriegsreporters an Beispielen

Wie engagiert muss oder kann Kriegsjournalismus oder Journalismus im Allgemeinen sein?

Die Reportage »Feuertod«

Hannes Haas

Zwischen Engagement und Distanz.
Die Kriegsreporterin Antonia Rados

Vorwort

Antonia Rados beantwortet E-Mails. Nicht immer so schnell wie andere, aber das hat gute Gründe – sie ist viel unterwegs. Ich erhalte ihre Mail an einem Freitag um 16:00 Uhr, es geht um die Themen für ihre Vorlesungen im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Die Zeit drängt, das Programm und die Einladungen müssen gedruckt und verschickt werden. Noch am selben Abend und nur wenige Stunden später sehe ich im TV eine Live-Schaltung mit Antonia Rados. Sie berichtet über Angriffe und eine unbekannte Zahl an Opfern. Krieg, Tod und Zerstörung, dazwischen die Übersendung der Themen für die Vorlesungen nach Wien …

Sie sagt, sie habe die Einladung gerne angenommen, und sie hat auch nicht gefragt, was denn unter diesem komplexen Titel: »Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus« zu verstehen sei. Das war nicht immer so. Jetzt, wo die Dozentur längst etabliert ist, sollen die Schwierigkeiten des Anfangs nicht vergessen werden. Was denn Journalismus mit Poetik zu tun habe, ob – nachgerade beim österreichischen Journalismus – nicht immer ein wenig »Poetik« (gemeint war wahrscheinlich »Poesie«?) dabei wäre, wurden wir gefragt. Dabei waren es ganz andere Ziele, die Wolfgang R. Langenbucher, der langjährige Vorstand des Instituts, im Jahr 2000 mit der Gründung im Auge hatte. Die Dozentur folgte einer international schon jahrzehntealten kulturellen und universitären Tradition. So hielt Igor Strawinsky 1939/40 Gastvorlesungen an der Harvard University, die unter dem Titel »Poétique Musicale« berühmt und zum Vorbild für Zyklen akademischer Gastveranstaltungen – etwa der Frankfurter Poetik-Vorlesungen – wurden. Mit der Theodor-Herzl-Dozentur haben wir in Wien erstmals für eine Poetik des Journalismus jenen kulturellen und intellektuellen Rang postuliert, der für Literatur, Musik und Kunst traditionellerweise selbstverständlich geworden ist. Wir befinden uns damit im Gegensatz zum Dogma vieler Journalismusforscher und -forscherinnen, die Journalismus als redaktionelle Leistung betrachten und individuelle journalistische Werke tendenziell negieren. Wir fühlen uns sehr wohl in dieser Uferlage, nicht zuletzt deshalb, weil die Zahl der Besucher aus dem Mainstream steigt. »Poetik« bedeutet übrigens »schöpferisch tätig sein, herstellen, verfertigen«; Poetik ist das »Studium des zu machenden Werkes«.

Die Poetik des Journalismus analysiert journalistische Werke, die Bedingungen ihrer Entstehung, die verwendeten Methoden und Verfahren, ihre Herstellungsprozesse und Kontexte. Darüber und über ihre Positionen, ihre Arbeitsweisen und ihren Zugang zum Journalismus reflektieren die Journalistinnen und Journalisten in ihren Vorträgen. Solcher Qualitätsjournalismus unterscheidet sich von den redaktionell erbrachten Dienstleistungen, er wird als eine Leistung mit gesellschaftlichem Mehrwert betrachtet, deren Vielfältigkeit und schöpferische Qualität thematisiert werden sollen. Die Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus wäre ohne den Einsatz von Petra Herczeg und die Unterstützung durch Muna Kadum, Bianca Grossberger und Martina Winkler nicht möglich. Ich danke ihnen herzlich für ihr Engagement und ihre Begeisterung! Seit 2000 haben Journalistinnen und Journalisten wie Margrit Sprecher, Kai Hermann, Herbert Riehl-Heyse, Peter Huemer, Luc Jochimsen, Klaus Harpprecht, Gerhard Kromschröder und Sibylle Hamann als Dozentinnen und Dozenten Vorlesungen gehalten, die auch als Buchveröffentlichungen erschienen sind. Unterstützt werden wir dabei von der Stadt Wien und dem Kuratorium für Journalistenausbildung, bei denen ich mich an dieser Stelle ebenso bedanken möchte wie bei unserem Verleger Alexander Potyka und seinem Team bei Picus.

Ich habe 2008 die Leitung der Theodor-Herzl-Dozentur übernommen, Antonia Rados war meine erste Herzl-Dozentin, 2009 folgte ihr Alice Schwarzer. In ihren Vorlesungen widmete sich die Fernsehreporterin grundlegenden Fragen des Kriegs- und Krisenjournalismus, dabei standen vier zentrale Themenbereiche im Vordergrund:

1. Was sind die Voraussetzungen, Regeln und Bedingungen, um als Reporterin aus einem Krisenland berichten zu können?

2. Was zeichnet gute Krisenreporter aus?

3. Wie hat sich die Kriegsberichterstattung im Laufe der Zeit entwickelt und verändert?

4. Welchen Einfluss haben die neuen Medien (Internet, Blogs) auf die Kriegs- und Krisenberichterstattung?

Einer ihrer Vorlesungstermine musste verschoben werden: »Es tut mir wirklich leid: Ich muss am 12. Dez. passen. Ich schaffe es nicht, aus Pakistan zurückzukommen.« Antonia Rados hat uns so rasch verständigt, dass die Information über die Verschiebung rechtzeitig publiziert werden konnte. Nach ihren ersten Vorlesungen war uns und allen Zuhörern und Zuhörerinnen klar, dass eben diese Abhängigkeit von Ereignissen, das Unvorhersehbare, mehr noch als in anderen Ressorts, ein wesentlicher Teil der beruflichen Umstände einer Kriegsreporterin sind.

Krisen- und Kriegsreporter führen eine Parallelexistenz. Antonia Rados hat diese Leben nebeneinander gewählt und sie beklagt sich nicht. Sie führt wie ihre Kolleginnen und Kollegen ein Leben auf Abruf und mit schnell gepacktem Koffer. Ihr Arbeitsplatz sind die Krisenherde und die Kriegsregionen. Vergleichbar allenfalls mit dem ORF-Urgestein Friedrich Orter war und ist sie dort, wo Journalismus eine Dimension gewinnt, die nur sehr wenige kennen, die permanente Ausnahmesituation. Warum geht man dorthin, wo Krieg herrscht, wo selbst bei größter Vorsicht das eigene Leben ununterbrochen in Gefahr ist? Zynikern fällt auch hier die Antwort leicht: Um ein journalistischer Star zu werden!

Was auch immer eine Starjournalistin sein soll, Antonia Rados ist eine. Das zeigt sich natürlich auch an der Existenz von Konkurrenzneid und Eifersucht, das zeigt auch ihre Präsenz in der TV-Satire oder in YouTube & Co. Dass das Zusammentreffen von Kompetenz und Attraktivität die Inspiration der Fernsehmacher immens beflügelt, stellte Harald Schmidt unter Beweis. An ihrer Berichterstattung über die Bombardements auf Bagdad fiel ihm vor allem auf: »Antonia Rados – das ist für mich: Bagdad 10.30 Uhr, die Frisur sitzt.« Sie konterte in ihrem 2003 veröffentlichten »Tagebuch einer Kriegs-Reporterin«: »Wie schön, denke ich vor dem Einschlafen, dass zumindest einem auffällt, dass es nicht leicht ist, in Form zu bleiben in einem Hotel wie dem unseren.«1

Antonia Rados wurde am 15. Juni 1953 in Klagenfurt geboren, sie studierte Politikwissenschaft in Paris und Salzburg, absolvierte nach dem Doktorat ein Jahr als »postgraduate student« an der Johns Hopkins Universität für internationale Beziehungen in Bologna. Ihr Interesse für internationale Themen konnte sie nach zwei Jahren der freien ORF-Mitarbeit in unterschiedlichen Redaktionen zum Beruf machen: 1980 wurde sie Redakteurin im Ressort Außenpolitik im ORF und spezialisierte sich auf die Berichterstattung über Politik in Europa und aus dem Nahen Osten. 1984 ging sie als Korrespondentin für den ORF nach Washington, ein Jahr später nach Rom. Nach ihrer Rückkehr nach Wien 1988 arbeitete sie als Redakteurin für das ORF-Magazin »Auslandsreport«.

1991 wurde sie für ihre Berichterstattung über die rumänische Revolution zur »Frau des Jahres« gewählt. Sie wechselte vom ORF zum WDR und später als Sonderkorrespondentin Ausland zu RTL. Ab Mai 1995 übernahm sie auch die Leitung des RTL-Studios in Paris. Von hier aus unternahm und unternimmt sie ihre journalistischen Einsätze. Ihre Reportagen während der ersten Bombardierungen Bagdads 2003 und ihre kontinuierliche Arbeit vor Ort verschafften ihr internationale Anerkennung und machten sie zu »Deutschlands bekanntester Krisen- und Kriegsreporterin« (Der Spiegel), zu einer der populärsten Fernsehjournalistinnen des deutschen Sprachraums.

Seit 2003 moderiert sie den »Auslandsreport« für den deutschen Nachrichtensender n-tv. Die Rückkehr ins öffentlich-rechtliche System währte nur kurz: Nachdem sie im Frühsommer 2008 zum Team des »heute-journals« des ZDF gegangen war, kehrte sie bereits im Jänner 2009 wieder zu RTL zurück.

Ihre Arbeiten aus Afghanistan, dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Südafrika, Somalia, Georgien, dem Iran und dem Irak sind vielfach ausgezeichnet worden. So hat sie den »Kritikerpreis«, den »Pirellipreis«, 2003 den »Hanns-Joachim-Friedrichs-Medienpreis für Fernsehjournalismus«, ebenfalls 2003 die »Romy« für die Dokumentation »Mein Freund Saddam« – eine RTL/Arte-Koproduktion – und den »Deutschen Fernsehpreis« für die Irak-Berichterstattung in der Kategorie »Beste Reportage« gewonnen. Für ihre Dokumentation »Feuertod«, einen Film über die Selbstverbrennung einer jungen Afghanin, erhielt sie 2007 den »Robert-Geisendörfer-Preis«, den »Deutschen Kamerapreis« sowie eine Nominierung für den »Grimme Preis« und den »Deutschen Fernsehpreis«.

Die amerikanische Fototheoretikerin Susan Sontag hat in ihrem Werk einen fundamentalen Paradigmenwechsel vollzogen. Hatte sie in früheren Schriften – vor allem im Band »On Photography« (1977) – in der Fotografie noch einen grundsätzlichen Akt der Nichteinmischung gesehen, so entwickelte sie in späteren Jahren eine neue Perspektive, in der die Empathie bei der Betrachtung des »Leidens anderer«, über die zu berichten ist, einen neuen und oft zentralen Stellenwert erhält. Bei Rados war dieser Blick auf die Opfer, die Zivilbevölkerung, die Frauen vor allem, das Land und seine Kultur immer von großer Bedeutung. Fast scheint es, als würde sie die Live-Einstiege, die Berichte von neuralgischen Schauplätzen in Kauf nehmen und absolvieren, um sich dann auf jene Themen konzentrieren zu können, die man auf CNN nicht sehen kann – sensible, vielschichtige, genaue Arbeiten, die das Leben in den Zeiten des Krieges zeigen. Um diese Reportagen, um jede einzelne von ihnen, kämpfe sie, weil sie an das Recht der Opfer glaube, Aufmerksamkeit zu verdienen, betont Rados.

Damit soll nicht gesagt sein, dass der klassische Korrespondentenehrgeiz fehlen würde: In ihrem Bestseller »Gucci gegen Allah« findet sich eine entsprechende Passage. Als Kabul fällt, sitzt sie in einem Hotel in Islamabad vor dem Fernseher und ist überzeugt, den Beruf verfehlt zu haben, weil sie sich als Reporterin nicht direkt am Kriegsschauplatz, in diesem Fall in Afghanistan, befindet. Dabei ist dieser professionelle Reflex gerade in ihrem Fall ein wenig kokett: Schließlich gibt es kaum einen Krisenherd, von dem Antonia Rados nicht berichtet hätte, an vorderster Frontlinie und ständig in Gefahr. In dem angesprochenen Buch verarbeitet sie die Ergebnisse ihrer Recherchen, Gespräche, Erlebnisse und Beobachtungen in den Ländern des Nahen Osten. Der Längsschnitt über fast vier Jahre zeigt den Wandel der Region, dramatische Veränderungen, die nach 9/11 durch Besatzungsmächte und einseitige Globalisierung hervorgerufen wurden. Rados’ Interesse gilt besonders dem Leben der Menschen in diesem »neuen Nahen Osten«, respektvoll und behutsam erzählt sie, erstaunlich unspektakulär selbst inmitten größter Gefahr. Für die TV-Reporterin sind Analyse, Kontext und Hintergrund, die in den TV-Berichten so schwer einzubringen sind, unverzichtbar. Sie beherrscht den erzählerischen Wechsel von erklärender zu erlebender Perspektive, vom Politischen zum Persönlichen und beweist damit, wie eindrucksvoll und informativ Krisenjournalismus mit Abstand sein kann.

Natürlich ist Antonia Rados eine Kriegsreporterin, aber diese Zuordnung greift bei ihr zu kurz. Schließlich sind es gerade ihre Dokumentationen und Reportagen über die Neuordnung des Irak nach der Einstellung der Kampfhandlungen, in denen ihre Vorstellungen von Journalismus besonders deutlich werden. Mehr als bemerkenswert ist dabei der Zug zum Buch. Rados scheint dieses Reflexionsmedium zu suchen, einerseits, um Erlebtes in einem größeren Kontext darzustellen, andererseits, um jene Fragen zu stellen, die im bilderdominierten Medium Fernsehen keinen Platz finden. In ihrem ersten Buch: »Die Verschwörung der Securitate. Rumäniens verratene Revolution«, 1990 bei Hoffmann und Campe erschienen, rekonstruiert sie den Verlauf der rumänischen Revolution und kommt nach Recherchen bei Securisten, Militärs, Politikern, Arbeitern und Studenten zu dem Schluss, dass es sich um ein »geschickt inszeniertes Revolutionsspektakel« gehandelt habe, mit dem nicht nur das rumänische Volk, sondern auch die Weltöffentlichkeit desinformiert worden sei – Revolutionsgewinner sei die »alte, neue Securitate« gewesen. In ihrem zweiten Buch, dem Roman »Quotenfieber« (Diana Verlag, 1997), wechselt sie das Genre und versucht sich im fiktionalen Erzählen. In diesem Buch geht es um eine Abrechnung mit der Quotenhörigkeit des Medienbetriebs, der Missachtung ethischer Standards und der schwierigen Lage des Qualitätsjournalismus.

Das Schlüsselwort – nicht nur – der Medienpädagogik lautet »Medienkompetenz«. Darunter ist das Wissen der Rezipientinnen und Rezipienten über ein Medium zu verstehen, eine Kenntnis, die sich auch auf die Frage bezieht, wie und unter welchen Rahmenbedingungen Nachrichten, die wir etwa im Fernsehen konsumieren, entstehen, wer welchen Anteil an der Nachricht hat, wer sie verhindern oder beeinflussen wollte, und konkret: unter welchen Restriktionen Kriegsberichterstattung entsteht. Diese Aufklärung für Medienkonsumenten findet sich im dritten Buch von Antonia Rados: »Live aus Bagdad. Das Tagebuch einer Kriegs-Reporterin« (Heyne, 2003). Hier erfahren wir, was vor und nach den Live-Einstiegen passiert, wie es ist, nur mit irakischen Aufpassern ausgehen zu dürfen, überwacht und abgehört zu werden, um die Ausrüstung kämpfen zu müssen, wie sie mit der ständigen Angst im Bombenhagel umgeht, wie die Zivilbevölkerung ihr Leben meistert, was es bedeutet, unter den Bedingungen des Krieges zu leben und allabendlich die Einstiege für den Sender hinzukriegen. In ihrem Buch »Gucci gegen Allah. Der Kampf um den neuen Nahen Osten« (Heyne, 2005) geht sie noch einen Schritt weiter: Wie lebt es sich in dem Dilemma zwischen Konsumversprechungen und gewachsenen kulturellen Werten und Traditionen, sind demokratische Grundprinzipien und religiöse Gesetze vereinbar? Das ist nicht Kriegs-, sondern Kriegsfolgenberichterstattung. Mehr noch als in den früheren Büchern wird in dem Band mit dem Titel »Zwei Atombomben dankend erhalten. Alltag im Iran des Ahmadinedschad« (Heyne, 2007) die Gender-Perspektive zum Thema. Wie lebt es sich als Frau und wie als Reporterin mit den strengen Kopfbedeckungs-Vorschriften, welche Fluchten eröffnen sich den Frauen, was sagen die Regimekritiker?

Der Gender-Aspekt spielt natürlich auch im Kernbereich der Kriegsreportage eine wesentliche Rolle: Was bedeutet es, als Frau in einem traditionell – und Namen wie Alice Schalek im Ersten Weltkrieg oder später Martha Gellhorn, das Role-Model der Kriegsberichterstatterin im 20. Jahrhundert, sind da die Ausnahme – männerdominierten, machistischen Umfeld zu arbeiten? Dass sich die Zeiten ändern, liegt im angelsächsischen Raum an Ausnahme-Reporterinnen wie Christiane Amanpour, die den Golfkrieg 1991 für CNN maßgeblich gecovert, und Kate Adie, die für die BBC berichtet hatte. Adie hatte die Frage, was es bedeute, als Frau über Kriege zu berichten, lapidar auf Wesentliches heruntergebrochen: »I don’t find an advantage or disadvantage in being a woman when reporting. What little advantages there might be in some instances is cancelled out by the basic lack of lavatories round the world for women. It may seem trivial but when you’re in a frontline unit with 2000 men in the desert in Saudi Arabia which is flat and has no sand dunes, no trees and no bushes, there were a number of practical difficulties to say the least.« (Kate Adie, BBC)

Gehen Frauen anders mit dem Entsetzen um, mit der Gewalt? Gibt es gar einen – vielleicht sogar typisch – »weiblichen Blick« auf den Krieg? Antonia Rados verneint diese Frage, professionelles Agieren stehe für männliche genauso wie für weibliche Kriegsreporter im Mittelpunkt: »Das Elend der anderen ist uns zuzumuten. Wir zeigen ohnehin nur einen kleinen Ausschnitt der oft grausamen Wirklichkeit, die wir als Reporter sehen.«

Es waren Reflexionen über Fragen wie diese, die das Auditorium in Atem hielten und die die Diskussion danach belebten. Welche Rolle nimmt die Kriegsreportage im Rahmen der Kriegsberichterstattung ein? Worin besteht die besondere Glaubwürdigkeit einer Vor-Ort-Berichterstattung und welche Rahmenbedingungen finden die Journalisten und Journalistinnen in diesen Situationen vor? Gibt es so etwas wie eine tendenzielle Überbewertung der Rolle der Kriegsberichterstatter, die wir für (an)teilnehmende Beobachter, für Augenzeugen halten, und die doch nur das sehen sollen und dort teilnehmen dürfen, wo dies vom militärisch-politischen Informationsmanagement gewünscht wird? In ihrem Buch »Gucci gegen Allah« liefert Antonia Rados ein Beispiel dafür:

»Unsere Arbeit im Irak war eine unsichere und willkürliche Angelegenheit, die vom Wohlwollen des Informationsministeriums abhing. Groteskerweise wurde sie dadurch erleichtert, dass Saddams Staatsapparat funktionierte wie die Mafia. Es herrschte zwar Furcht vor dem obersten Boss, aber wer konnte, verfolgte seine eigenen Interessen und bereicherte sich so sehr wie nur möglich. Das ging so weit, dass innerhalb des Ministeriums Leute, die mit uns Reportern zu tun hatten, regelmäßig ausgetauscht wurden. Immer dann, wenn der Minister glaubte, der Konsul in der jordanischen Botschaft in Amman, wo unsere Visa ausgestellt wurden, hätte bereits genug für Reporter-Visa kassiert, wurde dieser zurückberufen. Natürlich musste er einen Anteil seiner Einnahmen an den Minister abliefern. So aber bekam ich gegen ein Honorar, das wir an den jeweiligen Konsul zahlten, immer wieder ein Visum. Was nicht hieß, dass man alles machen durfte, was einem einfiel. Wie bei der Mafia war es nicht ratsam, den Boss, Saddam, zu beleidigen. Journalisten, die kritische Artikel über den Diktator geschrieben hatten, wurden nicht mehr ins Land gelassen. Nach dem Kuwait-Krieg wurde ich einige Jahre lang auf eine schwarze Liste gesetzt. Zum kafkaesken System der Willkür gehörte, dass man nie erfuhr, warum einem das Visum verweigert wurde.

Danach überlegte ich zweimal, was ich berichtete. Und ich war nicht die Einzige, die sich von dem undurchsichtigen, mafiösen Klima einschüchtern ließ. Es gab Reporter, die Dankesbriefe an Saddams Schergen im Ministerium schrieben, was mir, bei aller Angst vor Visa-Entzug, aber sehr schwer gefallen wäre.«2

Was wissen wir über Kriege, wer steuert wie dieses Wissen, wer lenkt die »Informationsbomben« (Paul Virilio), wie kann die Augenzeugenschaft in zeitliche und medienspezifische Formate kodiert und wie können die Wahrnehmungen, die Erfahrungen, die Perspektiven der Kriegsreporter in Deutungsmuster über kriegerische Handlungen übersetzt werden? Welche Rolle spielen die Agenturen, welche die Propagandastäbe der kriegsführenden Staaten, wie arbeiten die militärischen Kommunikationszentralen, welche Optionen und welche Zwänge bieten sie den Journalisten und Journalistinnen? Kurzum: Welchen Restriktionen unterliegt Kriegsberichterstattung?

Und schließlich: Wie haben sich die Bedingungen der Medienberichterstattung mit der technischen und militärischen Weiterentwicklung verändert? Wo und unter welchen Umständen ist Journalismus möglich? Welche neue Formen haben sich seit dem Vietnam-Trauma der USA entwickelt, dem ersten Fernsehkrieg der Geschichte? Und mit welchen Folgen? Was bedeutet es, wenn Objektivität und Distanz durch Nähe, Unmittelbarkeit und Teilnahme ersetzt werden? Welche Authentizität entsteht dadurch? Was bedeutet die Vermischung der Perspektiven durch den eingebetten, den embedded journalism